Der deutsche Katholizismus im 19. Jahrhundert: Seine Milieubildung im Zeichen des Antimodernismus


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

40 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Kirche und die Welt
I-1. Ecclesica Catholica
I-2 Staatsideologie in der Neuzeit
I-3. Kirchenrecht

II. Kulturkampf (1871-1887)

III. Katholisches Milieu im 19. und frühen 20. Jahrhundert
III-1 Katholische Soziallehre
III-2 Integration der deutschen Katholiken im Kaiserreich
III-3 Antimodernismus im katholischen Milieu
III-4. Verkirchlichung

IV. Soziologische Reflexion über den Katholizismus im 19. u. frühen 20. Jahrhundert

V. Epilog

Literaturhinweise

Einleitung

Beim vergangenen Hauptseminar haben wir versucht, unter dem Titel „Welt und Kirche, ihre heikle Beziehung“ das Verhältnis zwischen Welt und Kirche durch die aktuelle Anknüpfung mit der Geschichte theologisch zu reflektieren. Die Themen wurden von der biblischen Zeit bis zur Gegenwart ausgewählt. Mein Beitrag war dabei der Katholizismus in der Neuzeit, dessen Themen unter dem Aspekt Abgrenzungen der Moderne durch „I. Vaticanum und der Antimodernismus und die konfessionellen Milieus“ zu vertreten waren.

Die Aufklärung, die Revolution, die neue Staatsideologie einerseits, die restaurativen Kräfte des áncien Regime und die Staatskirche andererseits: Europa befand sich in diesen säkularisierenden Umbruchszeiten in allen Bereichen der Gesellschaft in einer kritischen Lage und musste die langwierigen und schwierigen Phasen durchlaufen, um die neuen Ordnungen zu schaffen. Alte Regeln verloren langsam ihre Geltung, doch die neuen waren noch nicht durchgesetzt. Es war die Geburt der Moderne einerseits und die Widersprüche andererseits. Bildeten der Staat und die Kirche die beiden ideologischen Pole, kam andererseits die „Industrialisierung“ als ein weiterer wichtiger gesellschaftlicher Faktor hinzu, welcher es mit seinem kapitalistischen Geist, aus einer anderen Ecke der Gesellschaft stammend, noch schwerer machte, einen Überblick dieser Zeiten zu schaffen.

Der „Katholizismus“[1] scheint nun in diesen Zeiten nicht nur innerhalb der Kirche eine völlig neue Form darzustellen, sondern auch außerhalb der Kirche als einzigartiges Sozialphänomen zu gelten. Dies zeigte sich v.a. in der Entstehung der katholischen Vereine im Laufe des 19. Jahrhunderts, die »einen bis dahin unbekannten Typus des religiösen Engagements von Laien darstellten und dadurch den historisch gegebenen politischen und sozialen Bedingungen gesellschaftsbezogener Aktion entsprechen konnten«.[2]

Solche Laien-Selbstorganisationen traten in den gemischtkonfessionellen Ländern mit starken katholischen Minderheiten besonders intensiver auf, wie in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz.

In Deutschland waren ihre ersten Ansätze schon in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vorhanden. Sie bildeten sich vorwiegend in den theologischen und literarischen (romantischen) Kreisen in der Form lockerer Gruppen. In ihrem Glauben und ihrer Moral standen sie dem Zeitgeist der Aufklärung und seinen Vernunftprinzipien entgegen und orientierten sich an der päpstlichen Zentralgewalt und lehnten die Nationalkirchen ab, die sich von der Autorität des Papstes ablösten (Febronianismus und Gallikanismus).

Solche Form des Zirkel- und Honoratiorenkatholizismus mit der lockeren Gruppenbildung[3] bestimmte dann bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus das öffentliche Erscheinungsbild. Allmählich erst fand er dann in einen Prozess der Selbstvergewisserung hinein und verselbständigte sich. Er erstarkte nach der Jahrhundertmitte zu einem politischen Katholizismus im Umkreis der Zentrumspartei, zum anderen in dem sozialen Katholizismus mit seinen außergewöhnlich rasch wachsenden Verbänden und Organisationen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war daher unter den deutschen Katholiken stark die Tendenz zur Herausbildung einer vieldimensionalen Subkultur zu beobachten, die nahezu alle Lebensbereiche erfasste und von unerhörter Dichte und Intensität war, was man nun inzwischen definitorisch unter dem Topos „katholisches Milieu“ subsumiert.

Angesichts der Schwierigkeit bei der Annäherung an das Thema „Katholisches Milieu“, dessen roter Faden wegen seiner zahlreichen sozialen Berührungsmomente mit vielen subtilen Themen schwer zu finden war, bin ich in Hinsicht auf das Thema Kirche und Welt und für den Aufbau der Arbeit einfach vom „Katholizismus von oben“ ausgegangen und habe daran anschließend das Thema weitergeführt. Für die vielen möglichen Themen dieser „werdenden Zeit“ zum modernen Katholizismus, wie Laienapostolat, Ökumene, Reformkatholizismus usw., habe ich mich darum bemüht, jedes Thema möglichst in den passenden Stellen einzuschieben und ergänzend zu erläutern. Ferner, angesichts der Schwierigkeit, dass die Autoren in den bestimmten empfindlichen Bereichen oft kaum übereinstimmend waren und keiner so eine deutliche Meinung geäußert hat, habe ich vorsichtig meine eigene Meinung gebildet und diese an den passenden Stellen hinzugefügt.

Die vorliegende Arbeit ist daher so aufgebaut: Der erste Teil widmet sich dem „Katholizismus von oben“ als Rahmenbedingung des innerkirchlichen Lebens sowie der politischen und kirchengeschichtlichen Situation der Neuzeit, wobei der „Kulturkampf“ in Deutschland insbesondere beispielhaft gezeigt wurde, zumal wenn die schon formierten katholischen Milieus in Deutschland mit und durch den Kulturkampf noch verstärkt und katalysatorisch verdichtet worden sind. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Nachkampfzeit behandelt, wobei der „Katholizismus von unten“ als „Sozialform“ zum Hauptthema wird, eine Form des Katholizismus, die bis zu seiner Auflösung Mitte des vorigen Jahrhunderts den deutschen Katholizismus in Tiefe und Breite prägte. Im letzten Teil der Arbeit wird dann dieses Phänomen des Katholizismus der Neuzeit aus soziologischen Aspekten systematisch analysiert.

Zuerst möchte ich aber einen kurzen geschichtlichen und theologischen Überblick für das Thema „Kirche und Welt“ geben, was für das Verständnis der neuzeitlichen Ereignisse, die um die Kirche herum passiert sind, eine Voraussetzung darstellt.

I. Kirche und die Welt

I-1. Ecclesica Catholica

Das mittelalterliche Unum Corpus Christianum mit dem Kennzeichen des päpstlichen Machtanspruchs, geistliche Gewalt stehe über der weltlichen, brach nun im 16. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und der wachsenden Emanzipierung der Laien auseinander. Und es führte zur Aufspaltung der westlichen Kirche in verschiedene Konfessionen der verschiedenen Nationen.

In der kontroverstheologischen Zuspitzung stellte sich nun eine neue ekklesiologische Aufgabe heraus, »die konfessionellen Unterschiede scharf herauszuarbeiten und durch die Negation der Anderen die eigene Glaubensgemeinschaft als die wahre Kirche Jesu Christi zu legitimieren«.[4] Dem gegenüber stand das Grundprinzip der reformatorischen Theologie „sola scriptura“ und „sola fidei“, die »jene mittelalterliche institutionell- hierarchische Gestalt der Kirche radikal ablehnte«. Die katholische Ekklesiologie verschärfte genau jenes »von Reformierten abgelehnte mittelalterliche Kirchenverständnis, indem sie, vor allem durch Robert BellarminsDisputationes de controversiis christianae fidei“ (1586-93) inspiriert, die objektiv - sichtbaren Strukturelemente des Glaubensbekenntnisses, der sieben Sakramente und der Leitung durch die rechtmäßigen, in apostolischer Sukzession und unter dem Primat des römischen Papstes stehenden Hirten als die Wesensbestimmungen der wahren Kirche hervorhob«.[5]

Der Grundgedanke von bellarminscher „De Ekklesiologie“ ist aber vom tridentinischen strengen Kirchenverständnis etwas zu unterscheiden, denn nach Bellarmin ist mit Kirche nicht nur die „sichtbare Kirche“ gemeint, sondern sie umfasst die universale und unsichtbare Kirche[6]: Gott wirkt in der Welt, und zwar durch seinen Sohn und durch die Kirche als inkarnierte Gnade Gottes. Für das Wirken Gottes in der Welt sind aber drei Repräsentationen nötig (Dreibänderlehre), der Papst, die Hirten und die Könige als Potestas indirekta effectiva. Die päpstliche Macht versteht sich dabei nicht als zeitliche, sondern vielmehr als göttliche, und die Kirche ergreift auch keine direkte Herrschaft mehr über die Welt, sondern sie ist hauptsächlich im anthropologischen Sinne für die Menschen „seelsorgisch“ zuständig. Insofern hat jene zu Bellarmin zurückzuführende Lehre in der „societas perfecta“, die im 19. Jahrhundert in den Auseinandersetzungen mit den neuzeitlichen Staatsideologien eher ein Kampfbegriff wurde, weil sie die „sichtbare Kirche“ als „hierarchisch, pyramidenförmig strukturierte perfekte Gesellschaft“ darstellte[7], die bellarminische Lehre im eigentlichen Sinne verengt.[8]

Bellarmin hat zwar in seiner kontroversen Absicht die „sichtbare Kirche“ betont, aber seine Ekklesiologie steht in der theologischen Tradition, indem die „innere Dimension“ der Kirche unter dem „Leib und Seele“- Verhältnis verstanden worden ist[9] _, denn die katholische Ekklesiologie, die in der „neuscholastischen Materie- Form- Lehre“ gründet, geht eigentlich auf Thomas und dessen Auffassung über „Leib und Seele“ zurück. Thomas griff aber seinerseits den aristotelischen „Hylemorphismus“ auf, wonach alles körperlich Seiende durch die Prinzipien materia prima und forma substantialis bestimmt sei: Die Seele sei die „substanzielle Form des Leibes“ und daher wenn sie im Tod vom Leib getrennt werde, dann sei sie keine „Person“ mehr und existiere in einem Zustand, der ihrem Wesen nicht entspreche.[10] Diese Leib – Seele- Bestimmung von Thomas (ohne Seele kein wesensgleicher Leib und ohne Leib keine wesensgleiche Seele) ist in seiner „Sakramententheologie“ wie der „Ekklesiologie“ wiederzufinden, wo die Kirche nun als „substanz-ontologische Größe“ zu verstehen ist, wie sie bei Bellarmin v.a. durch die „sichtbare Kirche“ zum Ausdruck kam.[11]

Die bellarminische Kontroverstheologie bleibt dann durch ihre wirkungsvollen Einflüsse bis ins 20. Jahrhundert hinein in der katholischen Kirche spürbar, und in der katholischen Kirche setzte sich trotz all der neuen Ansätze der theologischen Erneuerung (z.B. romantische Tübinger Schule) auf Dauer die Ekklesiologie der Neuscholastik durch, die sich im Geist der katholischen Restauration und des Ultramontanismus (de Lamennais) entwickelte und in den Unfehlbarkeitsdogmen des I. Vaticanums (1869-1870) kulminierte.[12]

So war die seit Pius IX. (1846-1878) für offiziell geltende Kirchenlehre in der Lage, »nach innen den contrafaktischen Monopolanspruch der traditionellen Symbolsinnwelt zu legitimieren und nach außen die Überlegenheit der Kirche als der Verwalterin des Wissens um die ewigen Naturgesetze (Kaufmann) zu demonstrieren «.[13]

I-2 Staatsideologie in der Neuzeit

Weltlicherseits nun evozierten die bitteren Erfahrungen der Konfessionskriege in der Aufklärungszeit die Suche nach einem neuen Konsens, zu dessen Prinzip die menschliche „Natur“ und seine „Vernunft“ erhoben wurden. Die seit dem 18. Jahrhundert herrschende neue Philosophie, die von der natürlichen Vernunft geprägt war, leugnete ihrem Wesen nach grundsätzlich jede übernatürliche Offenbarung und jede daraus folgende Lebensordnung. Das Christentum und die Kirche, die nun ganz und gar davon lebten, schienen dieser neuen Lehre nach als ein Wahn, der eigentlich nicht da sein sollte, so dass auf dessen Vernichtung hingearbeitet werden sollte. Denn nicht etwa die übernatürliche Offenbarung, sondern allein die menschliche Vernunft und die ihr entsprungene Wissenschaft sollen nach dieser Lehre das Menschengeschlecht beherrschen, und sie erkannten weder Grenze ihrer berechtigten Sphäre noch eine höhere gottentsprungene Wahrheit an. Der höchste Träger dieser menschlichen Vernunft soll nun der Staat sein, dessen Aufgabe in der Verwirklichung solchen Vernunftreiches besteht. Staat wird somit als oberste kulturelle Instanz begriffen, wobei Sitte, Moral und Recht allein auf die positive „staatliche Gesetzgebung“ und auf die die begleitenden Ideologien gegründet sind. Der Versuch, solchen Omnipotenzanspruch des modernen Staates zu verwirklichen, bedeutete nun die Verfolgung des Christentums.[14]

I-3. Kirchenrecht

Kirchlicherseits steht Ius Publicum Ecclesiasticum sozusagen als katholisches Pendant gegenüber der neuzeitlichen Staatsideologie und dessen Gesetzesgewalt. »Nach dieser Lehre ist der Staat nicht die Quelle allen Rechts. Die Kirche verfügt vielmehr in ihrem Eigenbereich über eine nicht vom Staat begleitete, sondern ihr von ihrem göttlichen Stifter unmittelbar übertragene Eigenrechtsmacht zu staatsunabhängiger Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Dem Staat ist es deshalb verwehrt, in den engeren Bereich der Kirche einzugreifen«.[15]

Wenn die Kirche nach dieser Rechtsstellung nicht einmal mit der „staatlichen Kirchenhoheit“ des 18. Jahrhunderts vereinbart werden konnte, so gab es konsequenterweise in der Neuzeit immer wieder die antimodernen Ausrichtungen des Katholizismus durch die päpstlichen Erklärungen. Das begann mit Pius VI. (1775-1799), der mit der Verurteilung der Zivilkonstitution der französischen Nationalversammlung nicht zufrieden war, weil sie die Kirche nach dem traditionellen „Gallikanismus“ ganz als Staatsinstitution behandelte. Der Papst lehnte sogar ihre Menschenrechtserklärung ab, weil ihr Ursprung die Staatsgewalt war und sie daher nicht mit der katholischen Lehre vereinbart werden konnte.[16]

Den Höhepunkt des päpstlichen Antimodernismus erreichte nun Pius IX. (1846-1878). Seine Verurteilung der liberalen Ideen, die im Jahre 1864 mit der Enzyklika Quanta cura und dem beigefügten Syllabus errorum vorgelegt worden sind, richtete sich ausdrücklich dagegen, dass die Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Religion organisiert werden könne. Die Enzykliken verurteilten daher »Volkssouveränität, Glaubens- und Kulturfreiheit, Pressefreiheit, Säkularisierung der gesellschaftlichen Institutionen und Trennung von Kirche und Staat als Ausdruck des Irrglaubens, ebenso wie Rationalismus, Ökonomismus und Sozialismus«.[17]

Nun war ein Kollidieren zwischen Staat und Kirche unvermeidbar geworden, als dem neuen Omnipotenzanspruch des neuzeitlichen Staates eine Kirche gegenübertrat, die sich selber als eine in sich geschlossene Sondergesellschaft verstand und sich in den Vatikanischen Dekreten noch einmal und in besonderer Weise als solche darstellte.[18]

II. Kulturkampf (1871-1887)

Der Kulturkampf versteht sich eigentlich als ein „europäisches Phänomen“. Aber dass sein Vorgang in Deutschland besonders „dramatisch“ war- ausgehend 1860 von Baden und 1870 auf nationaler Ebene entfacht, lag in der Konzentration der Kräfte auf beiden Seiten und in der Entschiedenheit, mit der beide die Auseinandersetzung führten.[19] Der Kampf entfachte zuerst in Italien durch die „Römische Frage“, dann kam es nach dem I. Vaticanum in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich der Dritten Republik zu ernsten Zusammenstößen mit der Staatsgewalt. Die Ursachen und die Vorgänge waren in jeder Nation anders, doch überall führten sie zu einer Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche.[20]

In Preußen war die günstige Lage der katholischen Kirche mit der Reichsgründung (1871) vorbei. Bismarck stand gerade im Begriff, nach dem Sieg Frankreichs das neue Reich möglichst einheitlich zu machen. In staatskirchlichen Gedanken aufgewachsen, konnte er sich dies nur vorstellen, wenn sich die katholische Kirche dem Staat ganz und gar unterordnete. So beschloss er, jenem kirchlichen Anspruch, der durch den Staatsstreich von Pius IX. (1846-1878) beim I. Vat. proklamiert wurde, durch die Kontrolle des modernen Staatslebens entgegenzutreten, nämlich durch die staatsgesetzliche Erneuerung unter der Ablehnung des Konkordatsgedankens. Und das bedeutete »die Errichtung einer straffen staatlichen, in ihrem Umfang allein vom Staat bestimmten und je nach der politischen Lage zu regelnden Kirchenhoheit«.[21] Bismarck war v.a. die Existenz der Zentrumspartei, die gerade 1870 neu gebildet in den Reichstag eintrat, ein Dorn im Auge. Denn er sah bei ihr »nicht nur eine Verschleierung partikularistischer Gegnerschaften gegen das Reich, sondern auch den Versuch, es unter eine Priesterherrschaft zu beugen, eine Überzeugung, in der er durch Syllabus und I. Vaticanum bestärkt worden war«.[22]

An dieser Stelle möchte ich kurz die Gründungssituation der Zentrumspartei als parlamentarische Vertretung der Katholiken erläutern. Die katholischen Laienorganisationen, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert meist in der subgesellschaftlichen Form erschienen, haben ihren großen Fortschritt eigentlich parallel mit der Emanzipierung des weltpolitischen Systems unter der „Vereinsfreiheit, der Demokratie und des Parlamentarismus“ erlebt. Dafür sind die Jahre 1837 und 1848 von entscheidender Bedeutung. Im sog. „Kölner Ereignis“(1837), mit der Verhaftung des Erzbischofs Droste zu Vischering, wurden die Katholiken, die sich bis dahin gegenüber dem preußischen Staat passiv verhielten, mit einem Schlag geweckt. Denn die Verhaftung erfolgte im Grunde „ohne Rechtsgrund“ der Katholiken, sondern allein aus dem staatspolitischen Zweck durch die militärische Gewalt. Dies erweckte die Katholiken zur Protestbewegung und machte ihnen bewusst, dass sie für ihre „Rechtsgleichheit“ im Staat selber kämpfen müssen.[23]

Damit wurde die durch Reichsdeputation (1803) ausgelöste Bewegung unter den Katholiken noch stärker zusammengehalten und diese zusammenhaltende Kraft wurde dann durch die Revolution (1848) und die neue Verfassung weiter forciert, indem die Katholiken diese als die Chance für den rechtlichen Rückhalt für das freie Entfalten in der Gesellschaft nutzten. Auf diese Weise konnte die „katholische Bewegung“[24] zum ersten Mal im parlamentarischen Bereich auftreten. Die katholischen Abgeordneten schlossen sich im preußischen Landtag zur „Katholischen Fraktion“ zusammen, die aus ihrer „mittleren Position“ zwischen Konservativen und Liberalen das „Zentrum“ genannt wurde. Zu ihren wichtigen Persönlichkeiten zählten der Zentrumsführer Windthorst, die Brüder Reichensperger und Bischof Ketteler von Mainz (1871-72).[25]

Diese politische „Mitte“ im Deutschen Reichstag löste aber viele Sorgen aus. Selbst Peter Reichensperger schrieb an seinen Bruder August Reichensperger: „wir werden in der neuen Fraktion verdammt heterogene Elemente zusammenfinden“.[26] Eugen Richter empfand sie als „eine politisch sehr gemischte Gesellschaft, welche die denkbar schroffsten Gegensätze in sich vereinigte“ und nur „in den kirchlichen religiösen Fragen übereinstimmte“.[27]

Auch Bismarck sah in ihr „nicht zwei Seelen, sondern sieben Geistesrichtungen, die in allen Farben des politischen Regenbogens schillern: von der äußersten Rechten bis zur radikalen Linken.“[28]

Aus seiner mangelnden innen- und konfessionspolitischen Verständnis sah er im föderalistisch orientierten Zentrum nichts anderes als »die Mobilmachung der mit Polen, Welfen, Elsässern und anderen Reichsfeinden verbündeten Katholiken gegen den Staat« und »die fünfte Kolonne der katholischen Koalitionen (Frankreich, Österreich, Ungarn) mit dem Papst, die seine Schöpfung außenpolitisch bedrohten«.[29]

So wurde der Kampf gegen die katholische Kirche erklärt, mit den neu belebten mittelalterlichen und reformatorischen Schlagworten, »Imperium gegen Sacerdotium, Deutschland gegen Rom, staatliche Autorität gegen Hierokratie und staatliche Acht gegen Exkommunikation«.[30]

Beginnend mit der Aufhebung der katholischen Abteilung im preußischen Kulturministerium kam der Kanzelparagraph (1871), der die Predigtfreiheit einschränkte.[31]

1872 wurde der Konkordatsgedanken abgelehnt, wodurch der diplomatische Verkehr mit dem Vatikan abgebrochen wurde.[32] Durch das Jesuitengesetz werden die Jesuiten und verwandten Orden (Redemptoristen und Lazaristen) aus ganz Deutschland vertrieben.[33]

1873 wurden die Maigesetze erlassen, die die Anzeigepflicht für Pfarrstellen und Kulturexamen für Priesterkandidaten einführten, d.h. die staatlichen Anweisungen über Ausbildung und Anstellung der Geistlichen, und damit die staatliche Handhabung rein kirchlicher Disziplin und dem erleichterten Kirchenaustritt. 1874 wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt. 1875 wurden alle Klöster und Ordensniederlassungen in Preußen aufgehoben. Das Brotkorbgesetz sperrte sämtliche finanzielle Pflichtleistungen des Staates an die Kirche, stattdessen flossen die Gelder nun an altkatholische „Staatspriester“, die allein dazu bereit waren, die Kulturkampfgesetze anzuerkennen und zu befolgen.[34] »Die Kulturkampfgesetze waren zunächst darauf angelegt, den Einfluss des Staates auf die Organisation der katholischen Kirche zu stärken und dann innerhalb der Kirche die Autorität der Kurie über die deutsche Geistlichkeit durch eine nationale Ausbildung der Geistlichen zu schwächen, die Macht der Bischöfe zugunsten des niederen Klerus zu beschränken und das Laienvolk von Priesterherrschaft zu befreien«.[35]

[...]


[1] Der „Katholizismus“ befasst sich mit den allgemeinen »Erscheinungsformen des katholischen Christentums, die historisch kontingenter Natur sind« (Rahner). Das Wort an sich geht auf die Zeit der Konfessionsbildung zurück, wo man mit ihm die „papsttreu gebliebenen Altgläubigen“ bezeichnete. Als die Aufklärung dann alle reformatorischen Kirchen und Glaubenslehren im Abstraktum „Protestantismus“ zusammenfasste, gewann das ältere Wort „Katholizismus“ als „Korrelat“ eine größere Verbreitung. Während für die Protestanten die katholische Kirche und Katholizismus im Prinzip dasselbe bedeuten, unterschieden die Katholiken deutlicher zwischen „Kirche und Glauben“ einerseits und „Katholizismus als Inbegriff der kulturell-sozialen Manifestationen der römisch- katholischen Tradition“ andererseits. Im 19. Jahrhundert waren die national profilierten Katholizismen nicht nur als ein Akt der Selbstbehauptung und des Überlebens wie auch als ein Akt der Mobilisierung und gesellschaftlicher Sammlung überall in der modernen Welt entstanden. Heute setzt man den Katholizismus mit der „weltweit ansetzenden Inkulturation des Christentums“ gleich (Maier, Katholizismus, 1368-69).

[2] Hürten, 1982, 215.

Wenn die neue Aufgabe des Katholizismus im 19. Jahrhundert darin bestand, in der nachrevolutionären Welt seine Position neu zu bestimmen und »Mittel zu finden, die unter den neuen Bedingungen das notwendig Maß an Einfluss sicherten«, dann mussten diese neuen Wege »zwangsläufig systemkonform sein«, d.h. sich dem bestehenden politischen System anpassen.

Die erste Anregung solcher neuartigen Methode kam aus dem britischen Irland. Der Dubliner Anwalt Daniel O ´ Connell (1775- 1847) gründete 1823 den Verein „Irish Catholic Association“ mit dem Ziel, »in der demokratisch verfassten Gesellschaft für die unterdrückten irischen Katholiken das Wahlrecht für das Londoner Parlament zu erlangen«. Mit dem Minimalmitgliederbeitrag - ein Penny für einen Monat- wuchs der Verein »zu einer ersten politischen Massenorganisation, die es als solche vorher nie gab« (Hürten, 1982, 218; Ders., 1994, 36). Sein Erfolg wurde dann ein Beispiel dafür, »dass die Kirche ein politisches Machtinstrument in den gläubigen Massen besaß, wenn es gelang, sie zu mobilisieren« (Hürten, 1994, 36), und dieses irische Modell wurde nun schnell auf den Kontinent übertragen und löste dort »weitergehendere Konsequenzen« aus (Hürten, 1994, 36).

Der französische Theologe und Priester Félictié de Lamennais (1782-1854) gab für diese neuartige katholische Aktionsweise eine theoretische Festigung. Er forderte die päpstliche Unfehlbarkeit als normgebend für das individuelle Urteil in Glaubensfragen: „Ohne Papst keine Kirche, ohne Kirche kein Christentum, ohne Christentum keine Gesellschaft“ (Franzen, 341). Er verlangte die Trennung der Kirche von der französischen Monarchie, weil diese nach ihm nicht in der Lage war, die christliche Ordnung der Gesellschaft zu garantieren. Aus seinem christlich basierten „Freiheitsgedanken“ heraus betrachtete er die „Demokratie“ als ein gemäßigtes System, in dem sich die Kirche und die christliche Ordnung frei entfalten konnten. So vertrat er ein theologisch begründetes politisches Programm: »die Freiheit der Religion und des Gewissens, des Unterrichtes, der Presse und der Koalition«, und er förderte die Zusammenarbeit der Katholiken mit den Liberalen, ohne sich dabei mit dem Liberalismus identifizieren zu müssen. Obwohl sein Streben mit der Kurie Probleme bereitete und durch die Enzyklika „Mirari vos“ (1832) scheitern musste (Valerius, Gerhard, Deutscher Katholizismus und Lamennais, 1983 Mainz, 20), haben seine Gedanken in der politischen und sozialen Praxis der Katholiken nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen europäischen Ländern inspiriert und wurden »Wegweiser der Zeit« für den europäischen Katholizismus (Vgl. Hürten, 1982, 216- 217; Ders, 1994, 38).

[3] Vgl. Ebd. 220.

In der Restaurationsepoche konnte das im Kern religiös gesetzte politische Ziel, den Bestand von Glaube und Kirche zu bewahren, wegen der damaligen Bedingungen nur im Rahmen der literarischen Vertretung verfolgt werden. Die aktiven Katholiken sammelten sich um die Literaturkreise, wobei die Zeitung, Zeitschrift und die Presseorgane als das wirksame Instrument galten, um ihr Ziel zu erlangen. Die „Theologische Literaturzeitung“, „Club der Päpstler“, der Wiener Kreis um Clemens Maria Hofbauer und der Kreis um Joseph Görres, „Der Katholik“ usw. sind die Namen, die mit solchen Katholikenkreisen verbunden waren. Da diese „Konföderierten“ meist aus dem privaten Zirkel stammten, hieß er „Zirkel- und Honoratiorenkatholizismus“, der eine frühe Form der deutschen Laienorganisation darstellte (Vgl. Hürten, 1982, 221-224; Ders, 1986, 51ff). Dafür gibt Olenhusen ein Beispiel durch einen badischen Pfarrer, der in dieser Zeit „selbstverständlich“ zum „Honoratiorenliberalismus“ gehörte, denn die „Ultramontanisierung des Klerus“ erfolgte erst im zweiten Hälfte des Jahrhunderts (Olenhusen, 47).

[4] Zit. in: Kehl, 571.

[5] Zit. in: Kehl, 571.

[6] Principatus saecularis institutus est ab hominibus estque de jure gentium, at principatus ecclesiasticus est a solo Deo et de jure divino, ille regit...iste vero regit homines, ut Christiani sunt, et magis ratione animarum quam corporum,...iste vitam et felicitatem sempiternam, ille utitur naturalibus legibus et institutis humanis, iste legibus divinis et sacramentis divinitus institutis; ille gerit bella cum hostibus paucis et visibilibus, iste cum invisivilibus et infinitis (R. Bellarmin, Kontroversen, III.1.7 : aus dem Seminarlesetext).

[7] Kasper, 1464.

[8] Aus der Notiz der Seminarsitzung.

So wurde bei den Auseinandersetzungen über die Frage nach der „Staatlichen und Geistlichen Gewalt“ im 19. Jh. der Anspruch der katholischen Kirche auf Beherrschung der Gesellschaft erhoben, und dies wurde folgendermaßen definiert, »ein von Gott unmittelbar gestiftetes Reich höherer Ordnung, dem der Staat sich als eine von Gott nur mittelbar eingesetzte Gewalt in allen Dingen zu unterwerfen hat« (Binder, Wilhelm, Conversationslexikon für das Katholische Deutschland, Bd.12, Regensburg 18733, 522, in: Weber, Ch., 23, Anm. 24).

[9] Vgl. Härle/ Wagner, Theologen Lexikon. Von den Kirchenvätern bis zur Gegenwart, Becksche Reihe 1987, 30.

[10] Ebd. 242.

[11] Dieses scholastische Leib- Seele – Schemata wird in der Neuzeit z.B. vom Leo XIII. bei seinem Staatsverständnis wieder aufgenommen, und auch bei seiner Soziallehre, worüber später noch die Rede sein wird.

[12] Vgl. Kasper, 1463 (letzter Abs. f.)

»Die Tübinger Schule bot keine Anhaltpunkte für eine Legitimation von zentralisierten Kirchenstrukturen, und daher interessierte sie sich gerade nicht an der Errichtung einer scharf gezogenen geistig-moralischen Grenze zwischen den Katholiken und den übrigen. Sie hielten also von den katholischen Sonderinstitutionen nichts, während für die neuscholastischen Theologen die zentrale Autorität der Kirche ein wichtiger Topos war« (K. Gabriel, 1992, 84). So mussten die aufgeklärten Theologen und Gelehrten gegen das kirchliche Amt den „jahrhundertlangen Verzweiflungskampf“ führen, während die ultramontanen Theologen ihre erste Aufgabe darin sahen, sich gegen solche „innerkirchlichen Opponenten“ durchzusetzen, bevor sie den „Turm“ ausbauten« (Weber, Ch., 35, letzte Hälfte).

Das Wort Ultramontanismus (Jenseits der Berge) drückt eigentlich eine besondere Bindung der Gläubigen an den Papst aus. Aber während der langen Konflikte, die um die römisch-katholische Kirche herum passiert wurden, ist es fast zu einem „Parteinamen oder dem „Kampfbegriff“ geworden. Der ehemalige SJ Graf v. Hoensbroech berichtet als der Zeitzeuge folgendes, »Ultramontanismus ist ein System, das dem geistlichen Haupte der katholischen Religion, dem Papste, die Stellung eines weltlich- politischen Großkönigs über Fürsten und Völker zuspricht« (Paul Graf v. Hoensbroech, Der Ultramontanismus, Berlin 18982, 11, in: Weber, Ch. , 22, Am. 19).

[13] Gabriel, 1980, 220 (Endsatz).

[14] Vgl. Huber, Bd. II. 574-575, „Die katholischen Protestbewegungen gegen die staatlichen Kulturkampfmaßnahmen 1872. Fuldaer Denkschrift des deutschen Episkopats über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich am 2. Sep. 1872“; Dinzelbacher, 491.

[15] Listl, 1550.

[16] Vgl. Loth, 9

[17] Unter den verurteilten Stellen sind die besonders „Kirche“ und „Staat“ betreffenden Stellen: DH 2919, „Die Kirche ist keine wahre und vollkommene Gesellschaft, die völlig frei ist; sie verfügt auch nicht über ihre eigenen und beständigen Rechte, die ihr von ihrem göttlichen Gründer übertragen wurden, sondern es ist Aufgabe der bürgerlichen Gewalt, festzulegen, welches die Rechte der Kirche und die Grenzen sind, innerhalb derer sie diese Rechte ausüben kann.“; DH 2939, „Die Staatsverfassung verfügt als Ursprung und Quelle aller Rechte über ein Recht, das von keinen Grenzen eingeschränkt ist.“

[18] Hubert, 45.

[19] Ebd. 45-46.

[20] Feine, 570.

[21] Ebd. 577.

[22] Ebd. 577.

[23] Hürten, 1986, 67; Vgl. Ders, 1994, 38-39.

Im Vergleich zu Frankreich fehlte im deutschen Katholizismus bis zum Jahre 1837 ein Wortführer wie Lamennais, um das Ziel auf der politischen Ebene wirksam werden zu lassen. Erst nach diesem Ereignis forderte J. Görres (1776-1848) in der Öffentlichkeit die Kirchenfreiheit mit dem Kampfziel: „rechtlich gesicherte Freiheit der Kirche innerhalb des Staates“; „Die Kirche hat im Glauben der Völker neuerdings sich emanzipiert, und sie wird sich ferner emanzipieren; und keine Gewalt auf Erden wird im Stande sein, sie länger in den unwürdigen Fesseln zurückzuhalten, die man ihr angelegt. (...) der Bann ist gelöst, der allgemeine Unwillen gegen die falsche Schwarzkunst ist aufgestanden; es ist unmöglich geworden, das alte Unwesen fortzutreiben (...)“(J. Görres, Athanasius, Regensburg 1838, 144, in: Hürten, 1994, 39, Am. 2).

Das „Kölner Ereignis“ markiert insofern den »Wendepunkt« in der Geschichte der Kirche und dem Katholizismus in Deutschland (Hürten, 1986, 64).

[24] Die katholische Bewegung besaß zwar manche Berührungspunkte zur „ultramontanen Bewegung“, doch war ihr primäres Ziel nicht die Förderung zur Romorientierung, sondern die kirchliche Freiheit. Eine Facette von ihr bildete der liberale Katholizismus, der nicht nur um die Freiheit für die Kirche sondern auch für Freiheit in der Kirche gegen den Zentralismus kämpfte. Klare Abgrenzungen dieser vielfältigen Tendenzen sind daher nicht möglich (Tzscheetzsch, 1349). In der Laufe der Zeit offenbarte sich die katholische Bewegung immer mehr als der politische Katholizismus, wie sich die Piusvereine zu den Katholikentagen (seit 1848) und zum „Zentralkomitee“ (1868) entwickelten (Kirchner, 43; darüber wird später noch die Rede sein), so dass ihr Anliegen nach 1871 endgültig der „Zentrumspartei“ einging.

[25] „Zentrumspartei“, in: G. Denzler/ C. Andresen, Wörterbuch der Kirchengeschichte, dtv 19934.

Die Geistlichen gehörten, wie bei der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49), in zunehmender Zahl zu der Zentrumsfraktion (seit 1871). Von den gesamten 483 Zentrumsabgeordneten betrugen die 90 geistlichen Parlamentarier, darunter die bedeutenden Sozialpolitiker, wie Franz Hitze und August Pieper waren (Morsey, 119). Daher ist es nicht zu verwundern, wenn die Außenstehenden diese neue Partei»als politischer Arm der römisch- katholischen Kirche« ansahen (Kirchner, 43).

Hier möchte ich das Sachverhältnis der Geistlichen mit der Politik näher erläutern. Die katholische Bewegung, die im Jahre 1848 ihre Bahn brach, konnte eigentlich ohne die Beteiligung zahlreicher Geistlichen nicht zustande kommen. Die Märzrevolution war aber im Grunde eine Emanzipationsbewegung weltlicher Rechtsform, in der die Geistlichen»prinzipiell keinen anderen Status als die Laien besaßen«. Die Kleriker waren zwar stark daran beteiligt, doch nicht aufgrund ihres Gehorsams kirchlichen Amts, sondern aufgrund ihrer »persönlichen politischen Entscheidung«. Insofern war die katholische Bewegung (1848) trotz der hohen Anteilnahme der Geistlichen zurecht als die „Laienbewegung“ zu bezeichnen (Hürten, 1994, 40).

Ein solches freibürgerliches Bild, das den katholischen Geistlichen in bezug auf ihr politisches Engagement geprägt wurde, bekam im zweiten Hälfte des 19. Jhs. den »hierokratischen Charakter« im Zusammenhang mit der Ultramontanisierung (Olenhusen, 52). Dieser Charakter verstärkt sich dann durch den Kulturkampf und zum „normalen Bild“ des politischengagierten Klerus (vgl. Olenhusen, 63).

[26] Ludwig Pastor, August Reichenberger. Sein Leben und Wirken, Fr. i. Br. 1899, Bd. 2,2 (in: Loth, 267, Am. 4).

[27] Eugen Richter, Im alten Reichstag. Erinnerungen, Berlin 1894, 6 (in: Loth, 267, Am. 5).

[28] Heinrich von Poschinger (Hrsg.), Fürst Bismarck und die Parlamentarier, Bd.3, Breslau 1896, 231 (in: Loth, 267, Am. 5).

[29] Dinzelbacher, 505; vgl. Morsey, 76-77.

Hier ist das Verhältnis des Zentrums zu dem Vatikan näher zu erklären, denn die Gründung des Zentrums vollzog sich ohne irgendeine Verbindung mit dem Papst. Auch sein Parteislogan „für Wahrheit, Freiheit und Recht“, der bis 1933 gelten wird, war ohne irgendeine Zustimmung vom Episkopat entstanden. Mit solchem Parteiprogramm sollte das Zentrum eigentlich»für alle offen stehen, aber es kamen nur die Katholiken« (Hürten, 1994, 44; Morsey, 118-119).

Das Zentrum verhielt sich von Anfang an gegenüber dem Vatikan distanziert, nicht zuletzt, um seinen Anspruch als politische Partei nicht zu gefährden. Umgekehrt hat sich die Kurie auch gegenüber dieser Partei im „Land der Reformation“ traditionsgemäß distanziert, so dass die Verbindungen zwischen beiden nur durch die einzelnen Bischöfe (z.B. Georg Kopp) zustande kommen konnten (Morsey, 120).

So gab es innerhalb der Partei immer zwei Richtungen, »solange die Konfession die stärkste Klammer der Partei bildete«: die „Rechtskatholiken“, die an der Kurie mehr Gehör fanden, und die „nationale Linie“, die »jeden Anschein ultramontaner Fernsteuerung« vermied und am besten das »uneingeschränkte Bekenntnis zu Vaterland und Nation mit der Anhänglichkeit an die römische Kirche verbinden« wollte (Morsey. 121).

[30] Feine, 278.

[31]Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung (...) seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge (...) in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestarft.“(Huber, 528, Nr. 245.)

[32] „(...) ich lege überhaupt auf den Gesandtschaftsposten bei dem Papste für die Zukunft keinen praktischen Wert (...). Die Tätigkeit eines Gesandten in Rom wird auf ein Minimum beschränkt bleiben (...)“(Immediatbericht Bismarcks an Kaiser Wilhelm I., Huber, 537, Nr. 253);

„(...) Ich halte es nach den neuerdings ausgesprochenen und öffentlich promulgierten Dogmen der katholischen Kirche nicht für möglich für eine weltliche Macht, zu einem Konkordat zu gelangen, ohne dass diese weltliche Macht bis zu einem Grade und in einer Weise effacirt (herabgewürdigt) würde, die das Deutsche Reich wenigstens nicht annehmen kann. Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig (...)“(Aus der ersten Rede Bismarcks im Reichstag zur Ablehnung des Botschafters Kardinal Fürst Hohenlohe durch die Kurie, Huber, 540, Nr. 257).

[33] „(...) so ist den Angehörigen dieses Ordens (Gesellschaft Jesu) die Ausübung einer Ordensthätigkeit, insbesondere in Kirche und Schule, sowie die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten. Niederlassungen des Ordens sind spätestens binnen sechs Monaten, vom Tag der Wirksamkeit des Gesetzes an, aufzulösen.“(Huber, 549, Nr. 261);

„(...) betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu (...) hat der Bundesrath beschlossen, dass behufs weiterer Ausführung dieses Gesetzes nachfolgende Genossenschaften: die Congregation der Redemptoristen, der Lazaristen, der Priester vom heiligen Geiste, die Gesellschaft vom heiligen Herzen Jesu, als (...) verwandt anzusehen seien und demzufolge (...) Niederlassungen dieser Genossenschaften (...) aufzulösen sind.“(Huber, 550, Nr. 264)..

[34] Franzen, 349; Feine, 579ff; Kirchner, 46ff.

[35] Zit. in: Feine, 580.

Fin de l'extrait de 40 pages

Résumé des informations

Titre
Der deutsche Katholizismus im 19. Jahrhundert: Seine Milieubildung im Zeichen des Antimodernismus
Université
Free University of Berlin  (Seminar für die katholische Theologie)
Cours
„Kirche und Welt“ Geschichte und Gegenwart einer heiklen Beziehung
Auteur
Année
2003
Pages
40
N° de catalogue
V134698
ISBN (ebook)
9783640427017
ISBN (Livre)
9783640425334
Taille d'un fichier
658 KB
Langue
allemand
Mots clés
Katholizismus, Jahrhundert, Seine, Milieubildung, Zeichen, Antimodernismus
Citation du texte
M.A. Yong-Mie Shin (Auteur), 2003, Der deutsche Katholizismus im 19. Jahrhundert: Seine Milieubildung im Zeichen des Antimodernismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134698

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