Integration von Migranten als kommunale Aufgabe

Perspektiven für ein Integrationskonzept der Stadt Neuwied


Tesis, 2008

135 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Integrationsprobleme in kommunalen Kontexten
1.1 Chancenungleichheit im Bildungssystem
1.1.1 Der Elementarbereich als erste bildungspolitische Einrichtung
1.1.2 Bildungsbenachteiligungen in der Schule
1.2 Jugendhilfe und außerschulische Jugendarbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund
1.3 Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation für Migranten
1.4 Kultur und Religion: Leben in einer mehrkulturellen und mehrreligiösen Gesellschaft

2 Situationsanalyse auf der Basis von Interviews und Dokumenten
2.1 Methodik der Untersuchung
2.1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung
2.1.2 Datenanalyse auf der Basis von Interviews
2.1.2.1 Auswahl der Methoden zur Datenerhebung
2.1.2.2 Ablauf der empirischen Untersuchung
2.1.3 Datenanalyse auf der Basis von Dokumenten
2.2 Situationsanalyse für die Stadt Neuwied
2.2.1 Elementarbereich
2.2.2 Schule
2.2.3 Auftretende Gewaltproblematik
2.2.4 Jugendhilfe und außerschulische Jugendarbeit
2.2.5 Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
2.2.6 Interreligiöser Dialog

2.2.7 Senioren mit Migrationshintergrund

3 Perspektiven für ein Integrationskonzept der Stadt Neuwied
3.1 Perspektiven für den Elementarbereich
3.2 Perspektiven für den schulischen Bereich
3.3 Perspektiven zur Gewaltprävention
3.4 Perspektiven für die Jugendhilfe und die außerschulische Jugendarbeit
3.5 Perspektiven für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
3.6 Perspektiven für den interreligiösen Dialog
3.7 Perspektiven für Senioren mit Migrationshintergrund
3.8 Perspektiven für sozialraumbezogene Projekte

3.9 Zukünftige Aufgaben für die Kommune

4 Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Deutschland ist ein Einwanderungsland!

Diese Tatsache wurde in Deutschland lange Zeit geleugnet. Erst durch das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz, wurde dies in der Bun­desrepublik offiziell anerkannt. Fakt ist, dass mittlerweile ca. 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben. Das ist fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007, 12).

Die Bundesrepublik kann auf eine lange Geschichte der Migration zurück-blicken. Bereits nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 erfolgte die ers-te große Zuwanderungswelle durch angeworbene Arbeitsmigranten. Es wurde jedoch davon ausgegangen, dass die meist allein eingereisten Männer, sogenannte Gastarbeiter, nach einigen Jahren zurück in ihre Heimatländer gehen würden. Anders als erwartet entstand bei ihnen je-doch der Wunsch dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Sie holten im Zuge dessen ihre Familien nach und ließen sich in der Bundesrepublik nieder. Die zweite Migrationsbewegung begann Mitte der 70er Jahre durch die Einwanderung von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen, die auf-grund von Kriegen und Vertreibungen aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Der dritte bedeutende Zuzug von Migranten setzte Ende der 80er Jahre aufgrund des Zusammenbruchs der sozialistischen Staaten ein. Millionen von Spätaussiedlern reisten in diesem Zusammenhang in die Bundesrepublik ein (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2005, 70; Reichwein, Vogel 2004, 14f). Die Politik reagierte jedoch jahrelang nicht mit entspre-chenden Integrationsmaßnahmen, sodass es in Deutschland diesbezüg-lich heute einige Defizite gibt.

Durch diese neue Zusammensetzung der Bevölkerung kam und kommt es bis heute zu vielen Problemen im alltäglichen Leben. Die Erkenntnis, dass Integration Arbeit bedeutet und nicht von alleine geschieht, führte vor eini-gen Jahren zu einem eigenständigen Politikfeld: der Integrationspolitik. Seit diesem Zeitpunkt nehmen die Bemühungen für eine erfolgreiche In­tegration der Migranten zu. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel initiierte bis heute beispielsweise zwei Integrationsgipfel, bei denen unter anderem ein Nationaler Integrationsplan vorgestellt wurde. Auch innerhalb der Kommunen kommt es neuerdings zu vielen Veränderungen aufgrund der veränderten politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung (vgl. MGFFI NRW 2007, 6f).

Basierend auf dieser Ausgangslage befasst sich die vorliegende Arbeit mit dem Thema Integration von Migranten. Eine erfolgreiche oder auch miss-lungene Integration wird vor allem im täglichen Miteinander der Menschen spürbar, weswegen den Kommunen eine besondere Bedeutung zukommt. Ihre Aufgabe ist es, entsprechende Rahmenbedingungen für eine gelin-gende Integration vor Ort zu schaffen. Hierfür formulieren immer mehr Kommunen Leitbilder und Ziele für ihre Arbeit, in Form von Integrations-konzepten. Aufgrund unterschiedlicher Problemlagen soll auch für die Stadt Neuwied ein Integrationskonzept erstellt werden.

Diese Arbeit dient als Grundlage für die Erstellung des Konzeptes und setzt sich aus einem theoretischen und einem empirischen Teil zusam-men. Im theoretischen Teil werden zunächst allgemeine Integrationsprob-leme in kommunalen Kontexten untersucht und aufgezeigt. Anschließend wird im empirischen Teil die aktuelle Situation von Migranten in Neuwied analysiert, um darauf aufbauend konkrete Perspektiven für ein Integrati-onskonzept zu erörtern.

Das Ziel der Arbeit ist es, ausgehend von der allgemeinen Situation von Migranten in Kommunen, häufig auftretende Integrationsprobleme aufzu-zeigen, um anschließend die spezifische Situation für Neuwied darzulegen und basierend auf dieser Grundlage Handlungsperspektiven für die Stadt zu entwicklen. Dadurch sollen bestehende Benachteiligungen für Migran-ten abgebaut und Rahmenbedingungen für ein gelungenes Miteinander geschaffen werden. Die Handlungsvorschläge sollen in erster Linie Migranten die Integration erleichtern.

Zur Erkenntnisgewinnung werden Fachliteratur, Internetquellen, veröffent-lichte und unveröffentlichte Statistiken sowie eine empirische Untersu-chung verwendet. Um die Situation von Migranten in Kommunen ergrün- den zu können, werden für den theoretischen Teil folgende Fragen aufge-stellt:

- Wie ist die Ausgangslage für die Integration von Migranten in kom-munalen Kontexten?
- Welche Probleme entstehen bei der Integration von Migranten in Kommunen?
- In welchen Bereichen kommt es zu Benachteiligungen für Migran-ten und aus welchen Gründen entstehen diese?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird im ersten Kapitel ein allgemeiner Überblick über Integrationsprobleme für Migranten in kommunalen Kontex-ten gegeben. Dabei werden verschiedene Untersuchungsfelder betrachtet. Dieses Kapitel ist in Lebenszyklen untergliedert, da sich frühe Benachteili-gungen in einem Bereich meist auf die später folgenden auswirken. Zu Beginn wird deshalb die Chancenungleichheit im Bildungssystem für Migrantenkinder geschildert. Dieser Abschnitt wird zusätzlich in den Ele-mentarbereich und die Schule aufgegliedert. Anschließend wird die Situa­tion von jungen Migranten in der Jugendhilfe und der außerschulischen Jugendarbeit dargestellt. Darauffolgend werden Probleme auf dem Aus-bildungs- und Arbeitsmarkt analysiert. Im letzten Teil wird auf Schwierig-keiten für Menschen mit Migrationsgeschichte, aufgrund kultureller und religiöser Zugehörigkeiten hingewiesen.

Dieser theoretische Teil bildet die Basis, aufgrund derer die Situation in Neuwied besser eingeschätzt und verstanden werden kann. Mithilfe der empirischen Untersuchung erfolgt anschließend eine Situationsanalyse für Neuwied.

Für die Erkenntnisgewinnung des empirischen Teils der Arbeit ergeben sich ähnliche Fragestellungen wie im theoretischen Teil. Die Fragen sind jedoch nicht mehr allgemein gehalten, sondern beziehen sich auf Neuwied im Speziellen. Folgende Fragen sind die Grundlage für den Erkenntnisge-winn des empirischen Teils:

- Wie ist die Ausgangslage für die Integration von Migranten in Neu-wied?
- Welche Probleme entstehen bei der Integration von Migranten in Neuwied?
- In welchen Bereichen kommt es zu Benachteiligungen für Migran-ten in Neuwied und aus welchen Gründen entstehen diese?
- Wie kann diesen Benachteiligungen seitens der unterschiedlichen Institutionen entgegengewirkt werden?
- Welche Aufgabe hat dabei die Kommune?

Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt im zweiten und dritten Kapitel.

Das zweite Kapitel setzt sich aus zwei Oberkapiteln zusammen. Zu Beginn wird das methodische Vorgehen der Untersuchung erläutert. Dabei wird die Datenanalyse auf der Basis von Experteninterviews und Dokumenten vorgestellt. Darauf aufbauend wird im zweiten Oberkapitel die aktuelle Si­tuation von Migranten in Neuwied dargestellt. In verschiedenen Untersu-chungsfeldern werden Probleme und Schwierigkeiten bei der Integration von Migranten herausgearbeitet. Dies erfolgt auf die gleiche Art und Wei­se, wie auch die Handlungsfelder im theoretischen Teil gegliedert sind, da häufig ein Bogen zu diesem gespannt werden kann. Ergänzend werden die Handlungsfelder Gewalt und Senioren mit Migrationshintergrund auf-geführt. Auf diese wird im ersten Kapitel nicht eingegangen, da nicht in allen Kommunen eine Gewaltproblematik vorliegt, diese jedoch in Neu-wied ein spezifisches Problem darstellt. Da für Senioren mit Migrationshin-tergrund in Neuwied bisher noch keine Informationen vorliegen, wird im theoretischen Teil auf eine ausführliche Darstellung der Situation verzich-tet. Zu Beginn der Situationsanalyse für die Stadt Neuwied wird zunächst der Begriff Sozialraum definiert, da alle Angebote der anschließend fol-genden Handlungsfelder in diesem stattfinden. Des Weiteren wird die all-gemeine Wohnsituation von Migranten in Neuwied kurz erörtert. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Elementarbereich. Dabei wird die Situa­tion von Kindern mit Migrationshintergrund in vorschulischen Einrichtun- gen analysiert. Danach wird auf Schwierigkeiten und Benachteiligungen von jugendlichen Migranten in der Schule eingegangen. Im dritten Ab-schnitt geht es um die vorherrschende Gewaltproblematik, da einige Ju-gendliche mit Migrationshintergrund in Neuwied aktiv darin involviert sind. Anschließend wird die Situation der jungen Migranten in der Jugendhilfe und der außerschulischen Jugendarbeit geschildert. Im fünften Unterkapi-tel werden auftretende Probleme bei der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt-suche für Migranten in Neuwied dargestellt. Darauffolgend werden die Si­tuation von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten aufgezeigt. Im letzten Abschnitt finden die bisher in Erfahrung gebrachten Informationen über Senioren mit Migra-tionshintergrund Beachtung.

Auf der Grundlage der Situationsanalyse werden im dritten Kapitel Per-spektiven für ein Integrationskonzept der Stadt Neuwied herausgearbeitet. Diese beziehen sich direkt auf die bereits aufgeführten Untersuchungsfel-der des vorangegangenen Kapitels. Um den aufgezeigten Schwierigkeiten entgegenzuwirken, werden Handlungsvorschläge für den Elementarbe-reich und die Schule vorgestellt. Anschließend werden für die Themenfel-der Gewaltproblematik, Jugendhilfe und außerschulische Jugendarbeit sowie für die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation Perspektiven für den Abbau von Benachteiligungen dargelegt. Für die Verbesserung der Situa­tion von Migranten in Neuwied werden danach die Handlungsfelder inter-religiöser Dialog und Senioren mit Migrationshintergrund erörtert. An-schließend werden sozialraumbezogene Projekte aufgeführt, da der Sozi-alraum eine wichtige Bedeutung bei der Integration von Migranten hat. Im letzten Teil werden die Aufgaben der Kommune bei der Integrationsförde-rung benannt.

Zum Abschluss werden alle Untersuchungsfelder und die dazugehörigen Handlungsvorschläge in einer Tabelle zusammengefasst aufgeführt.

Diese Arbeit versucht einen möglichst umfassenden Überblick über die Situation von Migranten in Kommunen und speziell in der Stadt Neuwied zu geben. Da nicht alle Bereiche, die Menschen mit Migrationshintergrund betreffen, im Rahmen dieser Arbeit bearbeitet werden können, werden Schwerpunkte auf besonders bedeutsame Handlungsfelder gelegt.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Gruppe der Migranten sehr heterogen ist. Viele von ihnen sind gut integriert und partizipieren bereits am gesellschaftlichen Leben, andere benötigen dagegen Hilfe von unter-schiedlichen Unterstützungsangeboten. Die getroffenen Aussagen in der vorliegenden Arbeit sind somit nicht auf alle in Neuwied lebenden Men-schen mit Migrationshintergrund zu beziehen. Es wird deshalb darauf ge-achtet keine Verallgemeinerungen anzuführen.

Vor der eigentlichen thematischen Ausarbeitung wird im Folgenden eine kurze Definition von Integration und Migrationshintergrund aufgeführt, da dies für das Verständnis der Arbeit notwendig ist.

Definition Integration:

Für den Begriff der Integration gibt es bisher keine einheitliche Definition. Es werden deshalb zwei Auslegungen aufgeführt.

Die erste stammt von dem Psychologen John W. Berry. Integration bedeu-tet für ihn, dass beide Kulturen, die eigene und die fremde wertgeschätzt und zu einer neuen Symbiose zusammengeführt werden (vgl. Zacharaki 2007, 16).

Eine ähnliche Auffassung hat der Soziologe Friedrich Heckmann:

„Integration bezeichnet auf einer allgemeinen Ebene die Eingliederung neuer Bevölkerungsgruppen in bestehende Sozialstrukturen und die Art und Weise, wie diese neuen Bevölkerungsgruppen mit dem bestehenden System sozio-ökonomischer, rechtlicher und kultureller Beziehungen ver-knüpft werden. Integration bedeutet, dass gesellschaftliche Mitgliedschaft erworben wird. Dies geschieht vor allem auf lokaler Ebene. Integration findet daher, wie man seit einiger Zeit zutreffend häufig betont, vor Ort statt.“ (Heckmann, 2007, 27)

Definition Migrationshintergrund:

In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Migrationsgeschichte und Zuwande-rer synonym verwendet. Damit sind Personen gemeint, die eine ausländi-sche Staatsangehörigkeit besitzen, zugewandert sind und/oder mindes-tens ein zugewandertes oder ausländisches Eltern- bzw. Großelternteil haben (vgl. MGFFI NRW 2007, 9). Zu diesem Verständnis gehören auch Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit, beispielsweise russland-deutsche Aussiedler, die in vielen Fällen nicht zur Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund gezählt werden. Es wird in der vorliegenden Ar-beit darauf verzichtet, speziell auf Flüchtlinge einzugehen, da sie aufgrund ihres Aufenthaltsstatus häufig mit einer anderen Situation konfrontiert sind, aus der sich weitere Problemlagen ergeben.

Besonderer Dank gilt allen Interviewpartnern in Neuwied. Mithilfe ihrer Un-terstützung und Kooperationsbereitschaft konnte ein umfassender Über-blick über die Situation in der Stadt und die Erarbeitung notwendiger Handlungsvorschläge ermöglicht werden.

1 Integrationsprobleme in kommunalen Kontexten

Die Integration von Migranten findet auf kommunaler Ebene statt. Die da-bei entstehenden Probleme wirken sich stark auf das tägliche Miteinander der Menschen vor Ort aus. Die Kommune spielt deshalb eine entschei-dende Rolle für den Erfolg oder Misserfolg von Integration (vgl. Reichwein, Vogel 2004, 3). Im folgenden Kapitel werden verschiedene Handlungsfel-der und die dort entstehenden Benachteiligungen und Herausforderungen für Menschen mit Migrationshintergrund untersucht. Am Ende der einzel-nen Bereiche werden weiterhin Best Practice Beispiele aus verschiedenen Städten aufgeführt, um die positive Wirkung verschiedener Projekte auf-zuzeigen.

1.1 Chancenungleichheit im Bildungssystem

Das Bildungssystem in Deutschland hat eine Schlüsselfunktion für die ge-lingende Integration von Migranten in die Gesellschaft (vgl. Beck, Paetz 2003, 5). Bildung ist eine Voraussetzung für die soziale Integration von Migranten in sämtlichen Lebensbereichen (vgl. Becker, Tremel 2006, 414). Sie soll zur sozialen Gerechtigkeit und Persönlichkeitsentwicklung beitra-gen und die Nutzung des Humankapitals fördern (vgl. Neumann 2005, 212).

Im deutschen Bildungssystem herrscht jedoch eine große Chance-nungleichheit. Die Ursachen für eine Bildungsbenachteiligung sind von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren abhängig. PI­SA- und IGLU-Studien zufolge hängt der Bildungserfolg von Kindern zum einen stark von dem Status und der Herkunft ihrer Eltern ab. Vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien ergeben sich häufig Nachteile. Dies betrifft in diesem Zusammenhang insbesondere auch Kinder und Ju-gendliche mit Migrationshintergrund. Zudem stammen sie häufig aus bil-dungsfernen Schichten mit einem niedrigen sozioökonomischen Status (vgl. Beck, Paetz 2003, 5f). Zum anderen kann das System des Bildungs-wesens für die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrati-onshintergrund verantwortlich gemacht werden, da es i ihrer schulischen Karrieren bestimmt. Fehlende Deutschförder-programme an Schulen können beispielsweise zu einem geringen Bil-dungserfolg beitragen (vgl. Ueffing 2007, 33).

Es wird nun getrennt auf den Elementarbereich und die Schule eingegan-gen, da sich in diesen Bereichen zum Teil unterschiedliche Herausforde-rungen und Probleme ergeben.

1.1.1 Der Elementarbereich als erste bildungspolitische Einrichtung

Unter Elementarbereich versteht man sämtliche vorschulische Einrichtun-gen für Kinder. Dazu gehören beispielsweise Kinderkrippen für unter Drei-jährige, Kindergärten und Kindertagesstätten.

Das Kindergartenwesen ist in Deutschland dem Jugendamt zugeordnet, das heißt es ist nicht an das Bildungswesen, also an den schulischen Be-reich angegliedert. Diese politische Aussage prägt die Zielsetzung und Funktion der Kindertagesstätten.

Erst durch die Veröffentlichung der PISA- und IGLU-Ergebnisse ist der Elementarbereich in die gesellschaftliche Diskussion, als erste Stufe des deutschen Bildungswesens, gerückt. Die Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern sowie deren Folgen sind im Zusammenhang mit dem allgemeinen Geburtenrückgang in Deutschland, zur bildungspolitischen Debatte geworden. Das daraus entstandene öffentliche Interesse reicht bis in die regionalen und kommunalen Bildungseinrichtungen (vgl. Ueffing 2007, 17ff).

Im Folgenden wird vor allem die sprachliche Situation von Kindern mit Migrationshintergrund beleuchtet, da diese entscheidend für deren schuli-sche Entwicklung ist.

Der Kindergartenbesuch stellt für alle Kinder eine große Herausforderung dar. Es ist für sie zum einen die erste Erfahrung mit einer fremden, öffent-lichen Einrichtung und zum anderen werden sie meist zum ersten Mal von ihren wichtigsten Bezugspersonen getrennt (vgl. Wagner 2006, 213).

Kinder wachsen in sehr unterschiedlichen Lebenswelten auf. In den vor-schulischen Einrichtungen herrschen häufig andere Regeln und Verhal- tensweisen, als die, die sie zu Hause kennengelernt haben. Manche Kin­der sind dadurch verwirrt und verängstigt (vgl. Militzer 2002, 82).

Für Kinder mit Migrationshintergrund können zusätzlich Verständigungs-und Kommunikationsprobleme hinzukommen, da viele von ihnen zum ers-ten Mal in Kontakt mit der deutschen Sprache kommen (vgl. Michalak 2008, 34; Böhmer 2006, 9). Sie müssen deshalb bei Eintritt in den Kinder­garten neben ihrer Muttersprache zusätzlich die Zweitsprache Deutsch erlernen. In diesem Zusammenhang spricht man von einem frühen Zweit-spracherwerb1 (vgl. Rösch 2003, 58).

Die Mutter- bzw. Familiensprache der Kinder wird häufig nicht ausreichend zur Kenntnis genommen oder sogar als Hindernis für den Erwerb der Zweitsprache angesehen (vgl. Militzer 2002, 140). Aus diesem Grund wird in manchen Einrichtungen der Gebrauch der Muttersprache verboten. Es ist jedoch notwendig, dass die Erstsprache anerkannt und aktiv unterstützt wird, da diese für die Identitätsentwicklung und den Erwerb der Zweitspra-che von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Militzer 2002, 18). Kinder ma-chen die ersten wichtigen Lebenserfahrungen in der Familie und werden durch die dort gesprochene Sprache beeinflusst. Diese vermittelt ihnen Vertrauen und Geborgenheit und ist bedeutsam für die Entwicklung des Kindes. Stößt die Erstsprache auf Ablehnung, so kann der Aufbau des Selbstbewusstseins eines Kindes erschwert werden. Dieses ist jedoch notwendig, damit Interesse und Offenheit gegenüber Lernprozessen ent-stehen kann. Fehlt die Förderung der jeweiligen Muttersprache, so kann das Kind in seinen Entwicklungsmöglichkeiten und an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben seiner Community eingeschränkt werden. Zudem kann es bei einer Vernachlässigung der Erstsprache zu kognitiven Beein-trächtigungen und zu Schulversagen kommen. Die Spracherwerbsfor-schung hat herausgefunden, dass es Kindern leichter fällt, eine zweite Sprache zu erlernen, wenn die Erstsprache gut entwickelt ist. Schwierig- keiten treten häufig dann auf, wenn nur die Zweitsprache gefördert und die Erstsprache vernachlässigt wird (vgl. Militzer 2002, 139ff).

Beherrschen Kinder sowohl die Erst- als auch die Zweitsprache nicht rich-tig, kann es zu einer sogenannten Doppelten Halbsprachigkeit – Semilin-gualismus – kommen. Dabei werden beide Sprachen vermischt, ohne dass die Kinder dies merken. Häufig haben sie bei der Trennung der Sprachen Schwierigkeiten. Zudem haben die Kinder meist einen geringen Wortschatz sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache und können sich in beiden Sprachen schlecht ausdrücken. Bei Semilingualismus kann häufig eine Störung beim Erwerb der Erstsprache festgestellt werden (vgl. Freitag, Hendriks 2007, 143f). Es ist daher essenziell die Erstsprache vor der Zweitsprache zu erlernen, denn nur wenn das Kind seine Mutterspra-che ausreichend beherrscht, ist es möglich, eine weitere Sprache zu erler-nen (vgl. Freitag, Hendriks 2007, 126).

Innerhalb der Familie können ebenfalls Konflikte auftreten, wenn Kinder die deutsche Sprache erlernen. Sie können sich eventuell nicht mehr aus-reichend ihren Eltern mitteilen, da diese sie nicht verstehen. Zudem kann es vorkommen, dass die Eltern stark verunsichert sind, wenn das Kind besser Deutsch spricht als sie selbst. Dies wiederum irritiert die Kinder, was zu einer Störung des Zweitspracherwerbs führen kann (vgl. Militzer 2002, 151). Viele Eltern haben darüber hinaus Angst vor einer kulturellen Entfremdung ihrer Kinder (vgl. Thimm 2007, 306).

Eine weitere Ursache, die sich negativ auf den Erwerb der Zweitsprache auswirken kann, ist die teilweise sehr ungünstige Wohnsituation von Migrantenfamilien. Sie leben häufig in Stadtteilen mit einer hohen Kon-zentration von Risiko- und Problemlagen. Viele Familien sind von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (vgl. Böhmer 2006, 9). Zudem haben einige Eltern ein niedriges Bildungsniveau und sind deshalb, und aufgrund ihrer nicht vorhandenen Deutschkenntnisse, nicht in der Lage ihre Kinder aus-reichend zu fördern (vgl. Springer-Geldmacher 2006, 68).

Familien mit Migrationshintergrund haben häufig nicht die Möglichkeit sich frei für eine Kindertageseinrichtung zu entscheiden. Aus unterschiedlichen Gründen müssen sie ihre Kinder in der nächstliegenden Einrichtung an-melden (vgl. Rauschenbach, Züchner 2007, 126). Dadurch sind in vielen Einrichtungen Migrantenkinder und Kinder aus bildungsfernen Schichten unter sich. Es gibt Kindertageseinrichtungen mit einem Migrantenanteil von 90–100%. Diese Institutionen befinden sich häufig in einem schwa-chen sozioökonomischen Umfeld. Aus diesem Grund fehlt es den Kindern oftmals an einer anregungsreichen Umgebung. Dieses ist jedoch für ein erfolgreiches Lernen sehr wichtig, da ein entscheidender Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Kinder in den Einrichtungen und dem Lernerfolg besteht (vgl. Laube 2003, 107f). Kinder mit Deutsch als Zweit-sprache lernen diese besser, wenn sie Einrichtungen besuchen, in denen nicht viele Kinder derselben Herkunft sind. Dadurch bekommen sie mehr Umgang mit der deutschen Sprache und sprechen in der Einrichtung nicht hauptsächlich ihre Muttersprache (vgl. Rösch 2003, 59).

Mittlerweile ist empirisch belegt worden, dass die vorschulische Betreuung positive Bildungseffekte vor allem auf Kinder mit Migrationshintergrund hat. Gerade deswegen ist es wichtig, dass insbesondere Migrantenkinder eine vorschulische Einrichtung besuchen, selbst wenn dies in Deutschland keine Pflicht ist und auf Freiwilligkeit basiert. Die Sozialintegration wird auf diese Weise gefördert und mögliche Benachteiligungen aufgrund der nati-onalen und sozialen Herkunft, bezogen auf schulische Leistungen und elterliche Bildungsentscheidungen, können infolgedessen kompensiert werden (vgl. Becker, Tremmel 2006, 398ff). Durch den Besuch einer vor-schulischen Einrichtung können Kinder mit Migrationshintergrund bereits soziale Kompetenzen erwerben. Diese werden später in der Schule nach-gefragt (vgl. Statistisches Bundesamt 2006, 476). Die dabei erworbenen Kompetenzen haben später positive Auswirkungen auf die Bildungschan-cen der Kinder. Trotz der fördernden Maßnahmen kann der teilweise be-stehende Bildungsrückstand der Migrantenkinder zu anderen zwar verrin-gert, jedoch nicht vollständig kompensiert werden (vgl. Becker, Tremmel 2006, 414).

Um die häufig unzureichenden Deutschkenntnisse der Kinder mit Migrati-onshintergrund bereits im Elementarbereich zu verbessern, wurden ver-schiedene Programme zur Sprachförderung entwickelt. Im Folgenden soll eines davon vorgestellt werden.

Best Practice Beispiel: Rucksackprojekt

Dieses Projekt stammt ursprünglich aus den Niederlanden und wurde für

Deutschland überarbeitet und adaptiert. Es ist ein Konzept zur Sprachför- derung und Elternarbeit im Elementarbereich.

„Rucksack“ berücksichtigt die Entwicklung der Kinder in ihrer Lebenswelt, ihrer Familie und im Bildungssystem.

Die Hauptziele des Rucksack-Programmes sind:

1. Die Förderung der Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrations-hintergrund.
2. Die Stärkung der Erziehungskompetenzen der Mütter.
3. Die Stärkung des Selbstwertes der Mütter und der Kinder.
4. Die Stärkung der interkulturellen Pädagogik und der Mehrspra-chigkeit im Elementarbereich.

Bei diesem Projekt soll demzufolge sowohl die Erst-, als auch die Zweit-sprache gefördert werden. Hierfür werden die Mütter von Migrantenkin-dern über neun Monate hinweg geschult und begleitet, da sie als Exper-tinnen für das Erlernen der Erstsprache gesehen werden.

Im Zuge des Programms findet einmal die Woche ein zweistündiges Tref-fen der Mütter mit einer ausgebildeten Elternbegleiterin statt. Die Anleitung erfolgt in der Regel in der Muttersprache, da die Mütter sich in dieser si-cher fühlen und dadurch selbst gute Anleiterinnen für ihre Kinder sein können. Bei diesen Treffen erhalten die Mütter Arbeitsmaterialien. Es wird ihnen erklärt, wie sie gemeinsam mit ihrem Kind verschiedene Aktivitäten durchführen und wie sie diese spielerisch in den Alltag integrieren können. Die Mütter lernen dabei verstärkt die Bedeutung von Literatur, Bilderbü-chern, Liedern, Spielen und Malen für die Entwicklung ihrer Kinder ken-nen. Zudem reflektiert das Programm soziokulturelle Themen aus den Er-fahrungsfeldern der Migranten, z. B. der Schule, Freizeit, Feste, Religio-nen uvm.

Um auch die Zweitsprache zu fördern, werden parallel in der Kinderta-geseinrichtung dieselben Themen auf Deutsch behandelt. Es wird davon ausgegangen, dass die Wiedererkennung des Themas in der anderen Sprache den Lernerfolg der Kinder fördert.

Mittlerweile stehen die Arbeitsmaterialien auf Deutsch, Türkisch, Italie-nisch, Arabisch, Serbisch, Kroatisch und Russisch zur Verfügung (vgl. RAA o. J.).

Im Jahr 2007 gab es in Nordrhein-Westfalen 174 Rucksack-Gruppen in 24 Kommunen mit Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (kurz: RAA) und 49 Gruppen in 26 Kommunen ohne RAA. Seit einiger Zeit gibt es auch Rucksack-Projekte in anderen deutschen Bundesländern (vgl. RAA 2008).

Am Beispiel der Stadt Bonn zeigt sich der positive Erfolg dieser Maßnah-me. Der Verein binationaler Familien und Partnerschaften in Bonn startete im März 2006 das Rucksackprojekt zum ersten Mal mit drei Kindergärten und der Unterstützung der Bürgerstiftung Bonn. Seit dem Jahr 2007 konn-te das Projekt, aufgrund städtischer Finanzierung, auf sechs Gruppen ausgeweitet werden. Weitere Kooperationspartner sind das Jugend- und Gesundheitsamt sowie die Volkshochschule (vgl. Fuhg 2008, 7).

Anhand der Ausführungen in diesem Kapitel wurde deutlich, dass sich vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund viele neue Herausforderungen und Probleme beim Eintritt in vorschulische Einrichtungen ergeben. Die erste längere Trennung von ihrem familiären Umfeld und der Erwerb einer neuen Sprache stellen dabei hohe Anforderungen an die Kinder.

Benachteiligungen von Migrantenkindern können beim Erwerb der Zweit-sprache und der eingeschränkten Wahl der Kindertageseinrichtung ent-stehen. Das damit häufig verbundene anregungsarme Umfeld kann zu Integrationsproblemen führen.

Infolge des Besuchs einer vorschulischen Einrichtung und entsprechen-den Förderprogrammen, wie beispielsweise dem Rucksack-Projekt, kann den Benachteiligungen aber entgegengewirkt werden. Durch interkulturel-le Kompetenzen und Sensibilisierung der Erzieher und Verantwortlichen können diese die Ressourcen der Kinder stärken und ihr Selbstbewusst-sein fördern. Mithilfe einer interkulturellen Öffnung kann außerdem ein Grundstein für die erfolgreiche Integration der Kinder in der Schule gelegt werden.

1.1.2 Bildungsbenachteiligungen in der Schule

Wie bereits dargestellt, ist die Teilhabe an Bildung eine der Hauptvoraus-setzungen um am gesellschaftlichen Leben partizipieren zu können. Der Schule kommt deshalb eine zentrale Bedeutung zu, da sie die einzige Bil-dungseinrichtung ist, die alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen über einen längeren Zeitraum besuchen müssen (vgl. Krüger-Potraz 2006, 56). Umso alarmierender ist, dass es dem deutschen Bildungssystem scheinbar nicht gelingt, eine Chancengleichheit für Kinder und Jugendli-che mit Migrationshintergrund in der Schule herzustellen. Eine entspre-chende Förderung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendlichen wird häufig nicht erreicht, wodurch eine erfolgreiche Integration oft misslingt (vgl. Ueffing 2007, 61).

Es gibt eine Vielzahl an Ursachen, die für eine Bildungsbenachteiligung bei Migrantenkindern verantwortlich sein können. Aufgrund unterschiedli-cher Migrationskontexte und schichtspezifischer Sozialisationsprozesse können Differenzen bei der Bildung entstehen. Zudem erhalten viele El-tern aufgrund ihres niedrigen Statuserwerbs und den engen sozialen Netzwerken nicht die nötigen Informationen über die Bildungsmöglichkei-ten ihrer Kinder. Dadurch kann die Bildungswahl der Kinder eingeschränkt werden (vgl. Ottersbach 2006, 262f).

Die Schichtzugehörigkeit spielt jedoch nicht die einzige Rolle bei Bil-dungsbenachteiligungen. Ein weiterer Grund hierfür sind auch die Un-gleichheiten bei sozialen Mobilitätsprozessen. Niedrigere Schulabschlüsse werden aufgrund der steigenden Anzahl höherer Abschlüsse entwertet.

Ebenso trägt die Schule selbst aufgrund ihres sozial und kulturell selekti-ven Systems zu einer Ungleichheit bei. Wie bereits im vorigen Kapitel dar-gestellt, werden Migrantenkinder sowohl im Elementarbereich als auch in der Schule oft nicht ausreichend in ihrer Muttersprache gefördert, wodurch Probleme beim Erlernen der deutschen Sprache entstehen. Zudem wer-den sie von Lehrern2 häufig schlechter beurteilt als deutsche Schüler. Man spricht hierbei von institutionellem Rassismus oder institutioneller Diskri-minierung. Bisher schenkt das deutsche Schulsystem der interkulturellen Kompetenz von Schülern, wie beispielsweise Mehrsprachigkeit, zu wenig Beachtung (vgl. Ottersbach 2006, 262f).

Benachteiligungen entstehen auch durch die frühe Selektion der Schüler im deutschen Bildungssystem. Zurückstufungen beim Schulbesuch, Sit-zenbleiben, Sonderschulüberweisungen und Sortierung nach Schulformen sind einige Maßnahmen der Selektion, durch die einer Heterogenität in den Klassen entgegengewirkt werden soll. Der Grund hierfür ist die vor-herrschende Meinung im deutschen Schulsystem, dass zu große Unter-schiede zwischen den Schülern Probleme erzeugen. Vor allem Schüler mit schwachen Leistungen erfahren durch die Schaffung von Homogenität jedoch eine große Benachteiligung. Sie machen Misserfolgserfahrungen und treffen meist auf Mitschüler mit dem gleichen Schicksal, wodurch das Anregungspotenzial und der Kompetenzerwerb in den Klassen niedrig bleiben. Dies führt häufig zu einer schul- und lerndistanzierten Haltung (vgl. Tillmann 2007, 25ff). Vor allem Schüler mit Migrationshintergrund sind häufig davon betroffen. Die beschriebenen Selektionsmaßnahmen führen demnach nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Ver-schlechterung der Schulleistungen (vgl. Bundesvereinigung der Deut-schen Arbeitgeberverbände 2006, 33).

Häufig werden Kinder in ihren Bildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt, indem über ihre schulische Karriere bereits nach der vierten Klasse ent-schieden wird. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund werden über-durchschnittlich oft an niedrig qualifizierende weiterführende Schulen ver-wiesen (vgl. Ottersbach 2006, 262f). Dieses verhindert ihren sozialen Auf-stieg. Die offizielle Durchlässigkeit bei den Schulformen ist fast nur nach unten vorhanden. Es kommt sehr selten vor, dass Schüler von einer unte-ren Schulform in eine höhere aufsteigen. Zudem haben Kinder bereits mit zehn Jahren stark eingeschränkte Lern- und Lebenschancen, die nicht wieder aufgeholt werden können (vgl. Schweitzer J. 2007, 52).

Laut dem Statistischen Bundesamt besuchten im Schuljahr 2006/2007 insgesamt 897.700 Schüler ausländischer Herkunft eine allgemeinbilden-de Schule. Das sind 9,6% der Gesamtschülerschaft. Der Anteil an auslän-dischen Schülern in Grundschulen betrug 10,6%. Überdurchschnittlich viele Schüler mit ausländischer Herkunft waren dabei an Hauptschulen vertreten (19,2%), gefolgt von integrierten Gesamtschulen mit 13,8%. Deutlich weniger besuchten eine Realschule (7,7%) und nur 4,3% ein Gymnasium (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). Auffallend dabei ist, dass Mädchen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger eine höher qua-lifizierende Schule besuchen als Jungen (vgl. Bundes-vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände 2006, 16).

Die Selektion in den Bildungseinrichtungen beginnt teilweise sogar noch früher. Bereits in der gesamten Grundschulzeit werden 4% aller Schüler an Sonderschulen überwiesen, das sind ca. 400.000 Kinder (vgl. Tillmann 2007, 27). Vor allem aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten und fehlender Sprachkenntnisse werden viele Migrantenkinder als lernbehin-dert eingestuft und dadurch häufig an Sonderschulen für Lernbehinderte verwiesen (vgl. Becker, Tremel 2006, 397). Aus denselben Gründen ist der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, die eine Klasse wiederho-len müssen, viermal so hoch wie bei Einheimischen. Insgesamt sind 24% aller Schüler bis 15 Jahre mindestens einmal Sitzen geblieben. Deutsch­land gehört damit zu den Spitzenreitern im internationalen Vergleich (vgl. Tillmann 2007, 27).

Auffallend ist weiterhin, dass doppelt so viele Schüler mit Migrationshin-tergrund ihre Schullaufbahn ohne Abschluss beenden wie Einheimische (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, 11).

Die PISA-Studie 2003 stellte fest, dass 70-80% der Migrantenkinder, die in Deutschland geboren wurden und von Anfang an das deutsche Bildungs-system durchlaufen haben, die darin vorgegebenen Lernziele nicht er-reichten (vgl. Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände 2006, 14). Schüler mit Migrationshintergrund zeigen vor allem dann schlechtere schulische Leistungen, wenn ihre Familiensprache nicht Deutsch ist und beide Elternteile im Ausland geboren wurden (vgl. Kiper 2006b, 309).

Die Statistiken weisen jedoch teilweise erhebliche Defizite auf, da nicht alle Kinder mit Migrationshintergrund erfasst werden. Aufgrund der Ände-rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 können Kinder unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsbürgerschaft und die der Eltern erhalten. Erst zwischen dem 16. und 23. Lebensjahr müssen sie sich für eine der beiden entscheiden. Der Ausweis kann demnach nicht unbedingt einen Rückschluss auf allgemeine Migrationserfahrungen ge-ben. Kinder und Jugendliche aus Aussiedler- oder binationalen Familien und Eingebürgerte werden also nicht in den Statistiken aufgeführt. Viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund verschwinden somit aus der Statistik. Die Realität der Zusammensetzung von Schülern mit Migrati-onsgeschichte an Schulen wird dadurch in vielen Fällen falsch widerge-spiegelt. Dies hat teilweise gravierende Auswirkungen auf die Bildungspo-litik, da die Statistiken die Grundlage für die Verteilung von personellen und finanziellen Ressourcen bilden (vgl. Krüger-Potratz 2004, 214f).

Die Bildungspolitik, aber auch Kommunen und Institutionen werden dem-nach aufgefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, da-mit die „Schieflagen im Bildungssystem“ (Auernheimer 2006, 3) beseitigt werden können.

Die Stadt Bochum hat aus diesem Grund im Jahr 2005 ein Integrationsbü-ro geschaffen, dass die zahlreichen Aktivitäten der Stadt koordiniert, die zu einer Verbesserung der Integration von Zugewanderten führen sollen. Das Integrationsbüro hat unter anderem ein Projekt zur Förderung von Schüler mit Migrationshintergrund initiiert, um den Bildungsbenachteili-gungen entgegenzuwirken. Dieses wird im Folgenden vorgestellt.

Best Practice Beispiel: Studentischer Förderunterricht an Bochumer Schulen

Das Projekt „Studentischer Förderunterricht an Bochumer Schulen“ wird seit 2002 in enger Zusammenarbeit der RAA Bochum, dem Zentrum für Lehrerbildung der Ruhr-Universität Bochum und Bochumer Schulen durchgeführt.

Die Studierenden des Bachelorstudienganges für Lehramt haben die Mög-lichkeit ein Seminar zu „Interkulturalität und Sprachförderung“ zu besu-chen. In dieser Studieneinheit erhalten sie eine wissenschaftliche Einfüh-rung in „Deutsch als Zweitsprache“ und „Didaktik“. Im anschließenden Semester können sie eine Sprachförderung von Schülern mit Migrations-hintergrund selbstständig übernehmen und durchführen. Während dieses Praktikums unterrichten die Studierenden zu zweit eine Gruppe von vier bis sechs Kindern der fünften und sechsten Klasse. In ihrer Lehrtätigkeit werden sie durch ein pädagogisches Begleitseminar unterstützt.

Das Konzept des Moduls zielt darauf, sowohl die Zweisprachigkeit, als auch den kulturellen Hintergrund der Schüler positiv in den Unterricht zu integrieren.

Ziele des Projektes sind:

1. Die (Sprach-) Förderung von Migrantenkindern. Dabei sollen die Chancen auf ihrem zukünftigen Bildungsweg durch Förderunterricht verbessert werden.
2. Die Qualifizierung von Studierenden. Sie erwerben Kompetenzen für den Unterricht in „Deutsch als Zweitsprache“ und den allgemei-nen Förderunterricht. Zudem sammeln sie praktische Erfahrungen im Unterrichten und in der Vermittlung von interkulturellem Lernen.
3. Fortbildungen für Lehrer anzubieten. Sie erlernen dort Methoden zur Sprachförderung in allen Fächern.

Der studentische Förderunterricht hat positive Auswirkungen sowohl auf die Kinder als auch auf die Studierenden. Die Kinder erhalten in einem überschaubaren Rahmen eine zusätzliche Förderung von motivierten Stu-denten. Benachteiligungen können dadurch zum Teil kompensiert werden. Die Studierenden können durch die Praxiserfahrung schon früh für inter-kulturelle Differenzen sensibilisiert werden, wodurch ihre interkulturelle Kompetenz gestärkt werden kann.

Finanziert wird das Projekt seit 2004 durch die Mercatorstiftung. Seitdem können die Förderlehrkräfte aus den Stiftungsgeldern entlohnt werden. Nach dem Praktikum können die Studierenden die Arbeit in den Gruppen auf Honorarbasis fortsetzen.

Seit 2002 sind insgesamt 14 Schulen am studentischen Förderunterricht beteiligt (vgl. Stadt Bochum o.J, a, b).

Es kann festgehalten werden, dass sich, ebenso wie im Elementarbereich, für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im schulischen Bil-dungsbereich eine große Chancenungleichheit ergibt. Vor allem familiäre Faktoren und die Selektion im Bildungssystem führen zu einer Benachtei-ligung. Das deutsche Schulsystem sortiert nicht nur nach der Leistungsfä- higkeit der Schüler, sondern auch nach deren sozialer Herkunft. Aufgrund dieser sozialen Auslese produziert das deutsche Schulsystem viele Ju-gendliche, die in der Schule scheitern (vgl. Tillmann 2007, 25ff). Zudem sorgt es für einen Teufelskreis von Bildungsarmut. Die soziale und kultu-relle Armut der Migrantenkinder bleibt durch die schulischen Benachteili-gungen erhalten und dehnt sich sogar weiter aus (vgl. Schweitzer J. 2007, 53). Das Risiko für Jugendliche mit Migrationshintergrund sozial ausge-grenzt zu werden wächst aufgrund dieser Benachteiligungen erheblich. Aufgabe des öffentlichen Bildungswesens sollte es daher sein, diese zu beseitigen, da ansonsten die soziale Ungleichheit immer stärker zuneh-men wird. Eine erfolgreiche Integration ist nach einer fehlgeschlagenen Schulkarriere kaum noch möglich.

Neben der Schule, als bildungspolitische Institution, verbringen Jugendli-che die verbleibende Zeit mit Freizeitaktivitäten. Aufgrund dessen wird im nächsten Abschnitt auf Jugendliche mit Migrationsgeschichte in der Ju-gendhilfe und der außerschulischen Jugendarbeit eingegangen.

1.2 Jugendhilfe und außerschulische Jugendarbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund

In diesem Kapitel werden zunächst die allgemeinen Aufgaben der Ju-gendhilfe und der außerschulischen Jugendarbeit beschrieben, um an-schließend auf die Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit sowie Hilfen zur Er-ziehung einzugehen. Des Weiteren werden Gründe für die geringe Inan-spruchnahme der Angebote von Migranten erläutert.

Für viele Jugendliche spielen die Freizeitangebote der Jugendhilfe und außerschulische Jugendarbeit eine bedeutende Rolle in ihrem Alltag. Aus diesem Grund soll im Folgenden dargestellt werden, inwiefern Jugendliche mit Migrationshintergrund diese nutzen.

Kinder und Jugendliche lernen nicht nur in der Schule, sondern auch im öffentlichen Raum, damit sind Lebenswelten, Nahräume, Stadtteile usw. gemeint. Man unterscheidet zwischen formeller, nicht-formeller und infor-meller Bildung. Die formelle Bildung wird im Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem erworben. Unter nicht-formeller Bildung versteht man Formen der organisierten Bildung, die im Gegensatz zur formellen, grund-sätzlich freiwillig ist. Informelle Bildung sind ungeplante Bildungsprozesse, die sich aus dem Alltag ergeben, die aber auch fehlen können. Die Ju-gendhilfe arbeitet im nicht-formellen und informellen Bereich. Sie stellt un-ter anderem außerschulische Lernorte, wie Freizeiteinrichtungen sowie Kultur- und Sportangebote zur Verfügung. Zudem trägt sie durch individu-elle Beratung und Einzelfallhilfe zur Unterstützung des Bildungssystems bei (vgl. Deinert, Icking 2006, 11ff).

Nach §1 Abs. 3 SGB VIII soll die Jugendhilfe

1. „(...) junge Menschen in ihrer individuellen und sozia-len Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benach-teiligungen zu vermeiden oder abzubauen,
2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Er-ziehung beraten und unterstützen,
3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie kinder- und famili-enfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.“ (Stascheit 2006, 1051)

Um dies zu gewährleisten, hat die Jugendhilfe verschiedene Tätigkeits-schwerpunkte und eine große Vielfalt an Angeboten. Schwerpunkte liegen unter anderem in der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit sowie den Hil-fen zur Erziehung. Im Folgenden wird auf diese genauer eingegangen.

Im Bereich der Jugendarbeit dienen die Angebote und Einrichtungen da-zu, die Entwicklung der Jugendlichen zu fördern. Die Angebote knüpfen an den Interessen der Jugendlichen an und befähigen sie dadurch zur Selbstbestimmung und zur gesellschaftlichen Mitverantwortung. Dies kann in Form von Jugendverbänden, beispielsweise Sportvereinen und in offe-ner Form der Jugendarbeit, z. B. Jugendzentren angeboten werden (vgl. BMFSFJ 2007, 23f). Im Jahr 2007 zeigte sich kein Unterschied zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund bei der regelmäßigen Teilnahme an einer Aktivität in einer gemeinwohl- und interessenorientier-ten Organisation. 76,6% der 16- bis 21-Jährigen mit Migrationshintergrund waren nicht oder weniger als einmal pro Woche aktiv. Nur 7,8% nahmen einmal wöchentlich an einer Aktivität teil, übten aber keine Funktion aus.

15,6% übernahmen ein Amt oder eine Funktion in der Organisation (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, 265). Grund für die allge-mein geringe Beteiligung könnte die teilweise hohe Verbindlichkeit der Angebote oder auch die zu hohen finanziellen Kosten sein. Jugendzentren sind dagegen kostengünstig und werden hauptsächlich von männlichen Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten besucht (vgl. Schönig 2008, 143). Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund zwischen 14 und 19 Jahren sind dort häufig stark vertreten. Sie stellen teilweise 90% der Be-sucherschaft dar, wobei Mädchen mit Migrationshintergrund nur mit ca. 20% vertreten sind. Die Mädchen nehmen aufgrund der Tatsache, dass sie teilweise nach traditionellen Werten erzogen werden und dadurch we-nig Freiraum haben, häufig nicht an den Angeboten teil. Dabei werden vor allem solche, die auch von männlichen Jugendlichen besucht werden oder weit vom Wohnort entfernt liegen, selten von Mädchen genutzt (vgl. Haubrich, Frank 2002, 140ff).

Je nach Kommune und Stadtteil setzt sich das Publikum in Jugendzentren teilweise aus sehr vielen unterschiedlichen Nationalitäten zusammen (vgl. Stüwe 2004, 255). Vielfach kommt es jedoch zu einer Ausgrenzung ver-schiedener Minderheitengruppen. In den vorhandenen Treffs dominiert häufig eine Gruppe, in die sich andere nicht integrieren lassen. Jugendli-che, die aus diesem Grund die Jugendzentren nicht besuchen, sind des-halb weiterhin auf der Suche nach Räumen und Orten, an denen sie sich treffen können, da sie sonst keine Aufenthaltsmöglichkeiten haben (vgl. Haubrich, Frank 2002, 142).

In diesem Abschnitt wird deutlich, dass Jugendliche mit Migrationshin-tergrund vor allem niedrigschwellige Angebote der Jugendarbeit wahr-nehmen. Nichtsdestoweniger sind vor allem Mädchen mit Migrationshin-tergrund auch in diesem Bereich schwer zu erreichen.

Der zweite Schwerpunkt der Jugendhilfe, die Jugendsozialarbeit, soll sozi-ale Benachteiligungen ausgleichen und den Jugendlichen bei der Über-windung individueller Beeinträchtigungen helfen. Sozialpädagogischen Maßnahmen sollen bei der schulischen und beruflichen Ausbildung und bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen (vgl. BMFSFJ 2007, 25f).

Die Jugendsozialarbeit ist aufgegliedert in die Jugendberufshilfe, Jugend-wohnen, Schulsozialarbeit und Eingliederungshilfe für junge Aussiedler. In den letzten Jahren ist besonders die Situation von Mädchen und jungen Frauen auf dem Ausbildungsmarkt vermehrt in das öffentliche Blickfeld geraten. Da sie häufig einer Vielzahl an Benachteiligungen ausgesetzt sind, entstand zusätzlich zu den genannten Bereichen, die Mädchensozi-alarbeit. Im Zuge der Jugendsozialarbeit wurden Förderangebote speziell für jugendliche Migranten entwickelt und zahlreiche Projekte für bildungs-ferne Jugendliche durchgeführt (vgl. Stüwe 2004, 257f). Die Jugendbe-rufshilfe versucht beispielsweise die Jugendlichen in die bestehenden Be-ratungs- und Förderangebote und in die Ausbildung sowie die Erwerbsar-beit zu vermitteln (vgl. Haubrich, Frank 2002, 166).

Im dritten Schwerpunkt der Hilfen zur Erziehung, sollen Familien bei Er-ziehungs- und Lebensproblemen Hilfen erhalten. In diesem Fachgebiet muss dabei zwischen stationären, teilstationären und ambulanten Hilfen unterschieden werden. Kinder, Jugendliche und Familien, die besonders belastenden Lebensbedingungen ausgesetzt sind, sollen durch personelle und institutionelle Ressourcen gestärkt werden. Dies sind häufig Familien mit Migrationshintergrund (vgl. Stüwe 2004, 258f). Die Aufenthaltsdauer von jugendlichen Migranten in stationären Hilfen zur Erziehung ist durch-schnittlich ein Jahr kürzer als bei anderen Jugendlichen. Grund hierfür ist nicht der geringer gewordene Hilfebedarf, sondern ein frühzeitiger Ab-bruch durch die Familien. Viele Jugendlichen kehren nach Hause zurück, obwohl sich an der familiären Situation nichts geändert hat. Oftmals ist die nicht gelingende Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Eltern die Ursache für einen Abbruch. Benachteiligt sind davon vor allem die Ju-gendlichen, da sie einen Spagat zwischen Familie und Einrichtung ma-chen oder sich für einen der beiden entscheiden müssen (vgl. Teuber 2002, 81).

Jugendliche Migranten haben häufig Konflikte zwischen der Norm- und Werteorientierung ihrer Kultur und der sie umgebenden Mehrheitskultur. Probleme entstehen vor allem dann, wenn es zu Abweichungen von elter-lichen Geboten kommt, auf die, je nach Familie, mit einer großen Band- breite an Reaktionen und Sanktionen reagiert wird. Diese können schlimmstenfalls bis zu einer physische Bestrafung und der Drohung, sie zurück in ihr Herkunftsland zu schicken, gehen. Viele Eltern fühlen sich mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, weswegen Erziehungshilfen unbe-dingt von Nöten sind und aus diesem Grund attraktiv gestaltet und ange-boten werden sollten (vgl. Stüwe 2004, 259f).

Die Aufgaben der Jugendhilfe werden von öffentlichen und freien Trägern erbracht. Öffentliche Träger sind die Jugendämter der Städte oder Land-kreise. Zu den freien Trägern gehören unter anderem Vereine, Wohl-fahrtsverbände und Kirchen. Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe stehen grundsätzlich allen, in Deutschland lebenden jungen Menschen offen (vgl. BMFSFJ 2007, 11ff). §6 Abs. 3 SGB VIII besagt jedoch, dass ausländische Familien die Leistungen der Jugendhilfe nur beanspruchen können, wenn sie rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung ihren Aufenthalt in Deutschland haben (vgl. Stascheit 2006, 1052).

Migrantenkinder und –jugendliche sind häufiger belastender Lebenssitua-tionen ausgesetzt, als der Durchschnitt der Jugendlichen. Auffällig ist, dass sie vor allem bei präventiven Angeboten der Jugendhilfe eindeutig unterrepräsentiert sind (vgl. Stanulla 2007, 15). Der Anteil an Migranten in der Erziehungsberatung, sozialpädagogischen Familienhilfe und Einzel-betreuung ist relativ gering. Bei intervenierenden Hilfen, das heißt Maß-nahmen für bereits auf- bzw. straffällig gewordene Jugendliche, sind Migranten dagegen deutlich überrepräsentiert. Man kann dabei von „End-station Jugendhilfe“ sprechen (vgl. Freise 2007, 207f). Auffallend hoch ist die Anzahl an jungen Migranten in Jugendhilfeeinrichtungen, wie bei-spielsweise der Jugendgerichtshilfe sowie Notunterkünften für Frauen und Mädchen (vgl. Boos-Nünning, Karakasoglu 2002, 54). Zudem ist ihr Anteil bei der Inobhutnahme verhältnismäßig hoch. Vor allem Mädchen und jun-ge Frauen mit Migrationshintergrund sind dreimal häufiger davon betroffen als deutsche Mädchen (vgl. Teuber 2002, 78). Jedes zweite Mädchen mit Migrationshintergrund, dass den Wunsch auf eine Inobhutnahme äußerte, meldete sich auf Eigeninitiative beim Jugendamt (vgl. Stüwe 2004, 261).

Abgesehen von dem hohen Anteil an Migranten in Jugendhilfeeinrichtun-gen, werden andere Angebote der Jugendhilfe häufig nicht von ihnen wahrgenommen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Vielen Migranten sind die Hilfsangebote der Jugendhilfe nicht bekannt oder sie wissen davon, können sich aber nicht vorstellen, was diese beinhalten (vgl. Teuber 2002, 78). Sie haben Angst vor einer kulturellen Entfremdung der Kinder, wenn deutsche Behörden eingeschaltet werden (vgl. Boos-Nünning, Karaka-soglu 2002, 54). Des Weiteren befürchten sie, dass sie eventuell Erzie-hungsratschläge erhalten, die sich mit ihrem eigenen kulturellen Verständ-nis von Erziehung nicht vereinbaren lassen (vgl. Freise 2007, 206). Zudem spielt die Tatsache, dass Beratungen nicht immer in der Muttersprache durchgeführt werden können, eine große Rolle. Dadurch entstehen zum einen Sprach- und Kommunikationsprobleme und zum anderen können Migranten es als problematisch empfinden, sich den deutschen Mitarbei-tern einer Einrichtung gegenüber zu öffnen und sich ihnen anzuvertrauen (vgl. Boos-Nünning, Karakasoglu 2002, 56). Für einen Großteil der Migranten ist es weiterhin schwer, sich in den deutschen Hilfsstrukturen zurechtzufinden, da in ihren Herkunftsländern oft andere Strukturen herr-schen. Außerdem haben Migrantenfamilien häufig Angst vor Behörden-gängen. Die Hemmschwelle dort um Hilfe zu bitten ist relativ hoch. Die „Komm“-Struktur in deutschen Ämtern trägt im Zuge dessen nicht unbe-dingt dazu bei Hilfen in Anspruch zu nehmen, da es in vielen Kulturen nicht üblich ist, von sich aus eine Behörde aufzusuchen. Des Weiteren ist in vielen Kulturen die Familie „heilig“. Es wird daher immer versucht, in-nerhalb der Familie auftretende Probleme auch dort aufzufangen und zu regeln. Die Schwierigkeiten an die Öffentlichkeit zu tragen, kommt dem Verlust der familiären Integrität gleich (vgl. Stanulla 2007, 14f). Außerdem kann es sein, dass die Angebote den subjektiven Bedürfnissen der Migranten nicht entsprechen oder sie Angst haben, dass ihr soziales Um-feld davon erfährt. Manche Migranten fürchten, dass wenn sie Sozialleis-tungen beziehen, sie auf Kosten anderer leben und dadurch als Schma-rotzer angesehen werden, weswegen sie auf Hilfen verzichten. Ein weite-rer Grund für die geringe Inanspruchnahme könnte sein, dass Migranten keine Hilfe von der Mehrheitskultur annehmen möchten, da diese an ihrer benachteiligten Situation mit verantwortlich ist (vgl. Teuber 2002, 78).

Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind wie sich darstellt, vielfältig und zahlreich. Es wird hier ein Projekt aus dem Kreis Groß-Gerau vorge-stellt, dass sich unter anderem die mobile aufsuchende Sozialarbeit durch Sport zur Aufgabe gemacht hat.

Best Practice Beispiel: „Auszeit“ – Sport mit Jugendlichen

Das Projekt „Auszeit“ wurde bereits 1994 im Rahmen des Jugendaktions-programms „Projekte der Jugendarbeit gegen Gewalt, Fremdenfeindlich-keit und Rechtsextremismus“ des hessischen Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit aufgebaut (vgl. Schaub 2000, 253). Um das Pro-jekt fortführen zu können, wurde nach Ablauf der Finanzierung durch das Ministerium 1998 der Verein „Auszeit im Kreis Groß-Gerau e. V.“ gegrün-det.

Ziel des Vereins ist vor allem die Förderung der Entwicklung und die Be-wältigung der schwierigen Lebenslagen benachteiligter Kinder und Ju-gendlicher, insbesondere mit Migrationshintergrund (vgl. Auszeit e.V. 2005). Über sportbezogene Jugendarbeit sollen hauptsächlich männliche Jugendliche Sport- und Freizeitangebote offeriert werden, die sich gewalt-präventiv auswirken sollen. Viele der Jugendlichen sind nicht in Sportver-einen organisiert oder wurden aufgrund ihres auffälligen und gewalttätigen Verhaltens aus den Vereinen ausgeschlossen (vgl. Auszeit e.V. 2008). Das Projekt wurde unter anderem aufgrund zunehmender Gewalt durch rechtsextreme Jugendliche sowie einem allgemeinen Anstieg an gewalttä-tigen Handlungen im alltäglichen Umgang initiiert (vgl. Schaub 2000, 254). Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die aufsuchende Sozialarbeit. Hierfür wer-den mithilfe des „Auszeit“-Busses regelmäßig Plätze aufgesucht, an denen sich die Jugendlichen verstärkt aufhalten. Der Bus ist mit jugendgerechten und modernen Sportgeräten ausgestattet. Der Sport wird dadurch zu den Jugendlichen gebracht. Dieses Angebot nehmen die Jugendlichen sehr gut an, da die Treffs auf freiwilliger Basis stattfinden, wenig Regeln haben und der Langeweile der Jugendlichen entgegenwirkt. Im Winter finden die Treffen in Sporthallen statt (vgl. Auszeit e.V. 2008).

Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Arbeit in Sportvereinen. Die Mitar-beiter von „Auszeit“ versuchen dabei zwischen den Jugendlichen und den Vereinen sowie Trainern zu vermitteln, um ihnen eine Integration oder Wiedereingliederung zu ermöglichen (vgl. Schaub 2000, 255).

Des Weiteren liegt der Fokus auf Fortbildungen für Multiplikatoren aus Sportvereinen und Jugendhilfeeinrichtungen. Die praxisbezogenen Semi-nare sollen unter anderem Vereinsvertreter, Trainer sowie Sozialarbeiter in der sportbezogenen Jugendarbeit weiterbilden (vgl. Auszeit e.V. 2008).

Das Projekt arbeitet nach dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit, das heißt, die Jugendlichen werden so wie sie sind angenommen und als Personen respektiert, da nur so Präventionsarbeit gelingen kann. Viele Jugendliche kennen zur Lösung von Problemen nur den Einsatz von Ge-walt. Der Sport bietet ihnen ein alternatives und friedliches Konfliktlö-sungsmodell. Für einen sportlichen Erfolg muss man zusammenarbeiten, hilfsbereit sowie teamfähig sein und Sozialverhalten zeigen können. Dies sind keine abstrakten Lernziele, sondern die Voraussetzung für eine er-folgreiche Teilnahme am Mannschaftssport. Aufgrund der sportlichen Tä-tigkeit können Jugendliche den Sinn und die Notwendigkeit von Regeln und Normen besser verstehen und einsehen (vgl. Schaub 2000, 254).

Bewegung und Sport unterstützen die Entwicklung der Jugendlichen, stär-ken ihre Persönlichkeit und ändern ihr Sozialverhalten. Sozial benachtei-ligte Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund können dadurch integriert werden (vgl. Auszeit e.V. 2008).

In diesem Kapitel wurde die Vielzahl an Tätigkeitsschwerpunkten der Ju-gendhilfe und außerschulischen Jugendarbeit deutlich. Um den Jugendli-chen mit Migrationshintergrund darüber hinaus bessere Chancen zur In­tegration zu ermöglichen, ist eine gute Kooperation zwischen Jugendhilfe und Akteuren des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes notwendig. Im an-schließenden Kapitel wird deswegen auf Benachteiligungen in dem Be-reich der Ausbildung und dem Arbeitsmarkt eingegangen.

1.3 Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation für Migranten

Viele Migranten in Deutschland haben, aufgrund verschiedener Benachtei-ligungen, Schwierigkeiten einen Ausbildungs- und/oder Arbeitsplatz zu finden. Diese sollen im Folgenden aufgeführt werden.

Seit Jahren herrscht auf dem Lehrstellenmarkt eine angespannte Situati­on, da die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen das Angebot übersteigt. Dies führt in der Politik seit längerer Zeit zu kontroversen Diskussionen.

Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund sind von dieser Situation betroffen, da sie trotz teilweise guter Schulabschlüsse geringere Chancen auf eine qualifizierte Berufsausbildung haben (vgl. Granato 2007, 1f). Aus diesem Grund erfahren Migranten auch auf dem Arbeitsmarkt eine große Chancenungleichheit, da eine abgeschlossene Berufsausbildung heutzu-tage die Voraussetzung für eine Integration auf dem Arbeitsmarkt ist. Für Migranten entsteht infolge dessen eine Spirale der Benachteiligungen: Ein niedrig qualifizierter Schulabschluss verhindert den Zugang zu Ausbil-dungsplätzen, welcher wiederum für eine schlechte Platzierung auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gemacht werden kann (vgl. Reißig, Gaupp 2006, 20). Viele Migranten sind also in ihrer gesamten Bildungskarriere benachteiligt. Dies trägt zu Ausgrenzungs- und Desintegrationsprozessen bei.

Es gibt eine große Bandbreite an Erklärungen für die geringe Teilhabe von Migranten an der beruflichen Ausbildung. Die Ursachen werden häufig bei den Jugendlichen selbst gesucht. Fehlende Schulabschlüsse und die un-zulängliche Bildungsmotivation werden dafür verantwortlich gemacht. Wis-senschaftliche Ergebnisse widerlegen jedoch die Annahme, dass man-gelndes Interesse und Engagement an einer beruflichen Ausbildung der einzige Grund für die ungünstige Ausbildungssituation junger Migranten ist. Ihre Bewerbungsstrategien und die Anzahl an Bewerbungen unter-scheiden sich unwesentlich von denen deutscher Bewerber (vgl. Granato 2006b, 109f). Junge Migranten zeigen häufig sogar großes Durchhalte-vermögen bei Bewerbungen trotz wiederholter Absagen und daraus ent-stehenden desillusionierenden und entmutigenden Erfahrungen (vgl. Gra-nato 2006a, 34ff). Die Erklärung, dass Chancenungleichheiten im Ausbil-dungssektor aufgrund schulischer Vorkenntnisse entstehen ist auch nicht der alleinige Grund für die geringe Teilhabe, denn selbst wenn Bewerber mit Migrationshintergrund den gleichen Schulabschluss wie andere Anwärter besitzen, liegen ihre Erfolgsaussichten deutlich niedriger. Eine weitere Vermutung, dass persönliche und familiäre Einstellungen gegenüber der beruflichen Zukunft den Grund für die ungünstige Ausbildungslage bilden, mehrere Faktoren gemeinsam Einfluss auf die ungünstige Ausbildungslage. Dazu gehören die Arbeitsmarktbedingungen der Wohnregion und die schulischen Qualifikationen, das heißt die Höhe des Schulabschlusses und hierbei speziell die Mathematiknote, wie die Bewerberbefragung 2004 durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) herausgefunden hat. Eine weitere Erklärung für den geringen Zugang von Migranten zu einer dualen Ausbildung ist der Migrationshintergrund selbst (vgl. Granato 2006b, 113ff). Unabhängig von Schulabschlüssen und Noten beeinflusst dieser negativ die Erfolgsaussichten bei einer Bewerbung. Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren führt demnach zu einer schwierigen Lage und Benachteiligungen von jungen Migranten auf dem Ausbildungsmarkt.

[...]


1 Unter Zweitspracherwerb versteht man das möglichst vollständige Erlernen einer weiteren Spra-che neben der Muttersprache. Diese wird im Ursprungsland bzw. von den Angehörigen der Sprachgemeinschaft erlernt. Die Zweitsprache ist dadurch gekennzeichnet, dass man sie in All-tagssituationen anwenden muss. Der Erwerb ist an Situationen gebunden und kann nicht nur durch Vorbereitungslehrgänge erlernt werden kann (Vgl. Berghoff, Mayer-König 2003, S.34)

2 Im Folgenden wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet

Final del extracto de 135 páginas

Detalles

Título
Integration von Migranten als kommunale Aufgabe
Subtítulo
Perspektiven für ein Integrationskonzept der Stadt Neuwied
Universidad
University of Applied Sciences North Rhine-Westphalia Köln
Calificación
1,7
Autor
Año
2008
Páginas
135
No. de catálogo
V134997
ISBN (Ebook)
9783640489923
ISBN (Libro)
9783640489596
Tamaño de fichero
1044 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die für die Arbeit geführten Interviews wurden in der hier veröffentlichten Version aus Datenschutzgründen aus dem Anhang gelöscht.
Palabras clave
Integration, Migranten, Aufgabe, Perspektiven, Integrationskonzept, Stadt, Neuwied
Citar trabajo
Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogen Melanie Bächle (Autor), 2008, Integration von Migranten als kommunale Aufgabe, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134997

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