Über die Relativierung der Moral

Die Unfähigkeit zu trauern - die Bewältigung des nationalsozialistischen Traumas in der deutschen Gesellschaft


Referat (Ausarbeitung), 2003

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Was ist Moral?
1.2 Über die Entstehung gesellschaftlicher Moral
1.3 Ein metasozietärer Blickwinkel
1.4 Ein innersozitärer Blickwinkel
1.5 Über Grenzen einer Moral

2 Arbeit, Sublimierung, Ich-Stärke und Moral

3 Moral, Sadismus und Todestrieb
3.1 Moral und Sadismus
3.1.1 Sadismus und Todestrieb
3.2 Die moralische Rechtfertigung

4 Die Relativierung der Moral
4.1 Das Massenschicksal
4.2 Empathie und Distanzierung vom Ich

5 Zusammenfassung

6 Literaturverzeichnis

1 Einführung

Ich werde in diesem Text unter anderem den Begriff der Moral erläutern, wie er unter besonderer Berücksichtigung der Relativierung der Moral in dem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ von Alexander und Margarete Mitscherlich (2001) herausgearbeitet wurde. Weil unmittelbar damit verknüpft, werden psychoanalytische Theorien wie primärer Narzissmus, Sadismus und Todestrieb angesprochen. Im Verlauf des Textes soll der Mitscherlichsche Versuch einer Herausarbeitung eines neuen Moralbegriffs dargelegt werden. Zunächst folgt jedoch eine Annäherung an den Moralbegriff aus verschiedenen Perspektiven.

1.1 Was ist Moral?

In der Moralentwicklung geht es um einen Konflikt, den bereits jedes Kind kennen lernt und immer wieder neu erfährt: der Konflikt zwischen den auf die Erfüllung eigener Bedürfnisse gerichteten egoistischen Motiven und den moralischen Normen und Werten, welche die Bedürfnisse anderer Menschen und der Gemeinschaft schützen sollen. Im Laufe der Sozialisation unternehmen Eltern, Lehrer und Erzieher, aber auch die Gesellschaft als Ganzes immer wieder enorme Anstrengungen, um dem Heranwachsenden das geltende System von Normen und Werten nahe zu bringen.

Den Aufbau eines eigenen Normen- und Wertesystems durch das Kind oder den Jugendlichen bezeichnet man als Internalisierung von Normen und Werten. Moralentwicklung steht als Begriff für den lebenslangen Prozess der Veränderung von Norm- und Wertmassstäben. Diese stellen Vorschriften und Regeln für das Handeln des einzelnen dar. Sie sagen aus, was sozial akzeptiert ist und was falsch ist.

Moral [lat. moralis die Sitten betreffend], Gesamtheit der das Urteil und Verhalten bestimmenden Normen. ®Gewissen“ (Häcker, Stapf & Kurt, 1998, S. 547).

Bei Freud ist das Gewissen durch das Über-Ich repräsentiert, also dasjenige Funktionssystem der Persönlichkeit, das die aus der Familie übernommenen moralischen Motive repräsentiert. Die Rolle des Über-Ichs „wird von Freud mit der eines Richters oder Zensors des Ichs beschrieben“ (Mertens & Waldvogel, 2002, S. 754), was sich in Schuld- und Unwertgefühlen äußert. Es arbeitet nach dem sogenannten Moralitätsprinzip (im Gegensatz zu Lust- und Realitätsprinzip), das vom Ich absolute Erfüllung verlangt.

Nach Freud entsteht das Über-Ich beim Untergang des Ödipus-Komplexes. Aufgrund von Belegung mit Verboten werden die inzestuös libidinösen Wünsche des Kindes den Eltern gegenüber von ebendiesen (Objekten) abgezogen und als psychische Instanz internalisiert.

In der Furcht vor dem Über-Ich sieht Freud Reste der Kastrationsangst, der Angst, von dem als Rivalen erlebten Vater kastriert zu werden. Deshalb kann sich die Strenge des Über-Ichs relativ getrennt von der tatsächlichen Strenge der Eltern entwickeln.

Somit stellt der Untergang des Ödipuskomplexes den Grundstein für soziales Verhalten dar. „Die Art der Lösung oder Ungelöstheit der ödipalen Konfliktsituation ist das Ausgangsschicksal des Individuums als Sozialwesen“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001, S.189). Allerdings wird es im Laufe der Jahre durch die sozialen und kulturellen Forderungen erweitert (Erziehung, Religion, Moral).

„Soweit das Über-Ich internalisiert ist, trägt es Züge einer ganz unpersönlichen,

archaischen Härte. Es hat noch keine Auseinandersetzung zwischen Über-Ich und kritischem Ich stattgefunden, durch welche sich das Individuum seine eigene Moral errichtet und an ihr sich kritisch misst“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001, S.60).

Wichtig ist zu beachten, dass nicht die Person der Eltern internalisiert wird, sondern vielmehr die elterliche Instanz – das Über-Ich der Eltern. Somit kann das Über-Ich als Träger von tradierten Werten wie eben auch gesellschaftlicher Moral angesehen werden.

Eine sehr frühe moralische Indoktrination führt zu einer sehr starken Verbindung von Ich und Über-Ich, was starken Autoritätsglauben bzw. starke Autoritätsangst entstehen lässt. Dies machte sich die Kirche über Jahrhunderte zur Erhaltung ihres Machtapparates zu nutze. „Das Ich kann sich dann nicht anders als mit den Augen des >>Grossen Bruders<<, eines weniger liebevollen als unerbittlichen oder rächenden Gottvaters sehen“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001, S.190).

1.2 Über die Entstehung gesellschaftlicher Moral

Mitscherlich und Mitscherlich gehen davon aus, dass Moral im Grunde eine Erfindung eines bestimmten einer Situation angemessenen Verhaltens ist, das sich in einer Gruppe oder Gesellschaft ausbreitet. Die Moral wird über den Mechanismus der Identifikation gleichsam in das Innere des Menschen übernommen und wirkt dort als seine eigene Meinung fort. So werden Triebbedürfnisse dem geforderten Verhalten in der Gemeinschaft angepasst. Diese Selbsttäuschung macht die Moral so krisensicher.

Über Generationen hinweg wird ein solches Verhalten automatisiert. Es erstarrt, wird schließlich institutionalisiert und damit zu einem Macht- und Herrschaftsinstrument, das von der herrschenden Gruppe nahezu beliebig eingesetzt, verklärt, verbogen und pervertiert werden kann.

Die Moralgebote lassen die Entspannung der Triebwünsche konformistisch zu, verlagern sie auf andere Objekte oder unterdrücken sie. Wer Macht ausübt und herrscht, kann sich von allen Moralgeboten lösen und sich seine ganz persönliche Moral bilden – ein der Toleranz hart abgerungenes Zugeständnis.

„Der zentrale Inhalt einer Moral ist ihre dogmatische Aussage über ein in der Gruppe, im Kulturbereich jeweils >>richtiges<< Verhalten: >>Du sollst nicht töten<<, heißt es im zivilen Leben; >>rüste dich, zu töten – töte<<, fordert unsere Moral im Krieg von uns“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001, S.165).

Hier wird wieder deutlich, dass Moral immer eine rationale und keine emotionale ist. Moral ist auch Ordnungs- und Herrschaftsinstrument. Den Gehorsam verlangt erst eine äußere Autorität, später das Gewissen in uns. Und Angst vor Bestrafung lenkt unser Verhalten oftmals – und nicht unsere Überzeugung.

An dieser Widersprüchlichkeit der Moral lässt sich klar erkennen, dass Moral eben nicht als gegeben und unveränderlich angesehen werden kann. Je nach Gruppe oder Kultur ist Moral etwas anderes. Im Bewusstsein der parallelen Existenz verschiedener Moralkulturen und deren Konfrontation miteinander führen Mitscherlich und Mitscherlich den Plural Moralen ein.

1.3 Ein metasozietärer Blickwinkel

Die soeben kurz umrissene Auffassung der Moral bei Mitscherlich und Mitscherlich lässt sich also nur begreifen, wenn wir den Blick fort von unserer

eigenen Gesellschaft wenden und auch in andere Kulturen schauen, um deren Mogralbegrifflichkeiten zu untersuchen und mit den unseren zu vergleichen.

Es ist die Rede von „Globalfaktoren“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001, S.158) wie „Technisierung, Urbanisierung, Bürokratisierung“ (ebd.). Allerdings bedeutet der technische Fortschritt noch lange keinen allgemeinen Fortschritt der Menschheit. Die globale Technisierung gibt uns die Möglichkeit, täglich in vielen anderen Kulturkreis mit anderen Normen und Werten zu schauen, die sich scheinbar über unsere Ideale hinwegsetzen. Andere Kulturen blieben bis dahin fremd und „...waren deshalb das scheinbar ganz natürlich vorgegebene Objekt der Ausbeutung und kollektiver Verachtung“ (ebd., S.187). Diese Kulturdifferenzen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass ein „Pluralismus der Sitten Realität“ (ebd., S.158) ist, und man sich diesem in einer sich immer stärker ineinander verflechtenden Welt mit Toleranz öffnen muss.

Was die Technisierung gebracht hat, ist ein einheitliches Kontakt-, jedoch kein einheitliches Toleranzsystem. Es muss erkannt werden, „dass nicht wir allein den einzig richtigen Weg zu einer sinnvollen Lebensform besitzen...“ (Mitscherlich & Mitscherlich, 2001 ,S.159).

Hinzu kommt, dass wir im Vergleich mit anderen Kulturen, an denen wir mittels globaler Technisierung teilhaben können, erkennen können, dass auch unsere Moral altert und sich wandelt. Es wird ein distanzierter Blick möglich, der uns dazu bringt, auch für unsere Gesellschaft neue Werte, aus denen sich Moral ableiten lässt, zu suchen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Über die Relativierung der Moral
Untertitel
Die Unfähigkeit zu trauern - die Bewältigung des nationalsozialistischen Traumas in der deutschen Gesellschaft
Hochschule
Universität Bremen  (Fachbereich 11)
Veranstaltung
Psychoanalytische Kulturpsychologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V135062
ISBN (eBook)
9783640429912
ISBN (Buch)
9783640430116
Dateigröße
409 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr gut. Sie haben den Mitscherlichschen Ansatz voll erkannt. Weiter so!
Schlagworte
Mitscherlich, Nationalsozialismus, Psychoanalyse, Massenpsychologie, Führer
Arbeit zitieren
Dipl.-Psych. Lars Tischler (Autor:in), 2003, Über die Relativierung der Moral, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135062

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