Untersuchungen zur Darstellung der Jugend in Anthony Burgess‘ 'A Clockwork Orange'


Mémoire de Maîtrise, 2008

112 Pages, Note: 2,0

Annika Wildersch (Auteur)


Extrait


Inhalt

0. Einleitung

1. Jugendliche im England der 1950er und frühen 1960er Jahre
1.1 Geschichtlicher Hintergrund
1.1.1 Nach dem Krieg: Das Phänomen ‚Jugendkultur‘
1.1.2 Gründe für die Entstehung der Jugendkultur
1.2 Jugendliche Subkulturen
1.2.1 ‚All dressed up and nowhere to go‘: Die Teddyboys
1.2.2 Teenage Chic: Die Mods
1.2.3 Die Gegenspieler der Mods: Die Rocker
1.2.4 Über den Stil der Subkulturen
1.3 Der neue Teenager: Ambivalente Reaktionen älterer Generationen
1.3.1 Positive Reaktionen: Der wohlhabende Teenager
1.3.2 Negative Reaktionen: Der rebellische Teenager
1.3.3 Mögliche Ursachen der Jugendkriminalität

2. Jugend in der britischen Literatur
2.1 Jugend im britischen Bildungsroman
2.2 Jugend im britischen Roman der Nachkriegszeit
2.2.1 Romane der Arbeiterklasse: Post-War Working-Class Fiction
2.2.2 Die Romane der Angry Young Men

3. Anthony Burgess: A Clockwork Orange
3.1 Über den Roman
3.1.1 Inhalt
3.1.2 Warum schrieb Burgess A Clockwork Orange ?
3.2 Jugendliche in A Clockwork Orange
3.2.1 Alex: Sinnbild für Jugend
3.2.2 Alex‘ jugendliches Umfeld: Die Droogs, Billyboys Gang und die jungen Mädchen
3.3 Der Stil der Jugendlichen
3.3.1 Kleidung: Ausdruck für starke Jungs und frühreife Mädchen
3.3.2 Musik: Primitiver Pop und wertfreie Klassik
3.3.3 Ritual: Grenzenlose Freizeit und Gewalt
3.3.4 Slang: Die Jugendsprache ‚Nadsat‘
3.3.5 Verspottung der Jugendkultur?
3.4 Die Beziehung der Jugendlichen zu den Erwachsenen
3.4.1 Die Erwachsenen: Negativ-Vorbilder für die Jugendlichen
3.4.2 Das Zusammenleben von Jugendlichen und Erwachsenen
3.4.3 Der Generationsgraben
3.4.4 Ursachen für die jugendliche Gewalt
3.5 Das 21. Kapitel
3.5.1 Einsicht durch Reife: Alex wird erwachsen
3.5.2 Auswirkungen des 21. Kapitels auf das Bild der Jugend

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis
5.1 Primärquellen
5.1.1 Belletristik
5.1.2 Forschungsliteratur
5.2 Sekundärliteratur
5.2.1 Monographien und Aufsätze
5.2.2 Artikel aus der Presse
5.2.3 Dissertationen
5.2.4 Internetquellen

0. Einleitung

I would there were no age between ten and three-and-twenty, or that youth would sleep out the rest; for there is nothing in the between but getting wenches with child, wronging the ancientry, stealing, fighting.[1]

William Shakespeare

Kriminalität ist statistisch gesehen seit jeher eine Aktivität der Jugendlichen. Genau wie im elisabethanischen England ist Jugendkriminalität auch heute noch ein großes sozialpolitisches Thema. Es ist spannend zu untersuchen, wie zu einer anderen Zeit in einem anderen Land mit dem Thema Jugend umgegangen wurde und welche Gründe man für die kriminelle Energie der Jugendlichen in Erwägung zog. Besonders die 1950er und frühen 1960er Jahre als Zeitraum, in dem das Phänomen Jugend erstmals als kulturelle Einheit erkannt wurde, ist dabei eine interessante Epoche. Der Roman A Clockwork Orange von Anthony Burgess aus dem Jahre 1962 liefert hierfür einen anregenden Anhaltspunkt, denn die Jugend wird darin besonders originell und teilweise kurios und erschreckend dargestellt. Es gibt bereits viel Literatur über A Clockwork Orange, in der die Gewaltdarstellung, die Phantasiesprache Nadsat sowie der Aspekt des freien Willens analysiert werden – es gibt jedoch kein Werk, das sich ausschließlich mit der Rolle der Jugend in dem Roman beschäftigt. Das soll mit dieser Arbeit nachgeholt werden. Das Thema dieser Arbeit ist besonders im Hinblick auf die aktuelle Diskussion über die Jugendkriminalität relevant. Gleichzeitig liefert die Arbeit einen Beitrag zum Verständnis der Jugendzeit als eine entscheidende menschliche Phase der Selbstfindung und des Übergangs zum erwachsenen, entscheidungsfähigen Wesen.

Die vorliegende Arbeit untersucht die Darstellung der Jugend in Anthony Burgess‘ A Clockwork Orange. Sie befasst sich zunächst mit der Beschreibung der einzelnen jugendlichen Figuren in dem Roman. Es soll verdeutlicht werden, dass Burgess‘ Jugendliche unvergleichlich herzlose und brutale Kreaturen sind. Um eine mögliche Erklärung für die Bösartigkeit zu finden, wird das Umfeld der Jugendlichen näher beleuchtet. Die Darstellung der Erwachsenen und deren Beziehung zu den Jugendlichen ist dabei ein wichtiger Aspekt. Außerdem sollen die charakteristischen Merkmale der Jugendlichen in A Clockwork Orange anhand ihres Stils herausgearbeitet werden, der sich aus den Elementen Kleidung, Musik, Ritual und Slang zusammensetzt. Es soll herausgefunden werden, welche Relation Burgess‘ Darstellung der Jugend zur Wirklichkeit der jugendlichen Briten in der Nachkriegszeit hat. Außerdem wird erörtert, welche Rolle die Jugend als Zeitspanne zwischen 13 und 21 Jahren in A Clockwork Orange spielt und welche Bedeutung dieser Phase des geistigen Wachstums im Roman verliehen wird.

Um zu untersuchen, inwiefern die Darstellung der Jugend in A Clockwork Orange der Realität der englischen 1950er und frühen 1960er Jahre entspricht, ist es sinnvoll, den Roman in einen geschichtlichen und literarischen Kontext einzubetten. Die vorliegende Arbeit gliedert sich daher in drei Teile. Der erste Teil befasst sich mit dem historischen Hintergrund, vor dem A Clockwork Orange entstand. Er beinhaltet eine Ausführung über die Entstehung der Jugendkultur in der Nachkriegszeit, deren Ursachen sowie eine Veranschaulichung anhand von drei Beispielen nachkriegszeitlicher Jugendsubkulturen und deren stilistischen Eigenheiten. Auch die Beziehung zwischen Teenagern und Erwachsenen im nachkriegszeitlichen England soll aufgezeigt werden, insbesondere die Reaktion älterer Generationen auf die Jugendkultur. Im zweiten Teil der Arbeit wird der literarische Bezugsrahmen von A Clockwork Orange erörtert , indem die englische Literatur der Nachkriegszeit betrachtet wird. Hierbei soll aufgezeigt werden, wie jugendliche Figuren in den englischen Romanen der 1950er und frühen 1960er Jahren porträtiert wurden, um herauszustellen, welche Gemeinsamkeiten A Clockwork Orange mit dem zu der Zeit gängigen Muster der Jugenddarstellung hat. Im dritten Teil der Arbeit wird schließlich der Roman A Clockwork Orange in Bezug auf die genannten Schwerpunkte umfassend analysiert.

Die zentralen Fragen dieser Arbeit lauten: Wie werden die Jugendlichen in A Clockwork Orange dargestellt? Was sind die wesentlichen stilistischen Merkmale der Jugendkultur in dem Roman? Wodurch unterscheiden sich die Jugendlichen von den Erwachsenen und wie sieht ihre Beziehung zueinander aus? Inwiefern entspricht diese Jugenddarstellung der Realität der Teenager im nachkriegszeitlichen England? Wie wird zudem die Jugend als Lebensabschnitt dargestellt? Welche Bedeutung trägt diese Phase in A Clockwork Orange für die Entwicklung zum verantwortungsbewussten, moralisch handelnden Menschen?

1. Jugendliche im England der 1950er und frühen 1960er Jahre

1.1 Geschichtlicher Hintergrund

1.1.1 Nach dem Krieg: Das Phänomen ‚Jugendkultur‘

Jugendliche Gruppierungen zu Subkulturen sind schon im viktorianischen Zeitalter und zur Zeit Edwards III. bekannt gewesen, wie zum Beispiel die Scuttler beziehungsweise Ikey Lads in Manchester oder Birminghams Peaky Blinders.[2] Schon damals hatten die Anhänger dieser Subkulturen ihre eigenen modischen Trends, durch die sie den Außenstehenden auffielen. Trotzdem muss die Nachkriegszeit in England als signifikanter Wendepunkt in der Entwicklung der britischen Jugend verstanden werden. In den zwanzig Jahren nach dem Kriegsende trug eine Reihe von Faktoren dazu bei, dass der Begriff ‚Jugend‘ völlig neu definiert wurde: „[…] post-war youngsters were palpably different, and culturally distinct, from earlier generations of British youth"[3]. Jugendliche traten das erste Mal als eigenständige Gruppe in Erscheinung, während ein heranwachsender Mensch vor dem Krieg generell als unvollkommener Erwachsener gegolten hatte. In den 50ern und Anfang der 60er Jahre wurde in England die Jugend erstmals als kulturelle Einheit entdeckt.

So wurde der Begriff ‚Teenager’ erst in den 1950er Jahren in den allgemeinen britischen Sprachgebrauch eingebracht, um einen jungen Menschen zu benennen, der zwischen 13 und 19 Jahren alt ist. Mitte der 1940er Jahre war der Begriff erstmals unter amerikanischen Marktforschern gefallen. Anfang der 50er Jahre wurde er in den offiziellen amerikanischen Wortschatz aufgenommen, während der amerikanischen Öffentlichkeit diese neue kulturelle Erscheinung von diversen Forschungsinstituten vorgestellt wurde. Gegen Ende der 40er Jahre wurde der Begriff nach England importiert und verbreitete sich rasch: Bereits in den frühen 50ern wurde die Bezeichnung ‚Teenager‘ ohne Weiteres auch in den britischen Medien angewandt.[4] In ähnlichem Kontext fiel der Begriff Youth Culture erstmals 1942, als der amerikanische Soziologe Talcott Parsons „[…] a distinct set of social structures inhabited by the young […]“[5] beschrieb. Der Begriff Youth Culture, auf deutsch ‚Jugendkultur‘, verbreitete sich in den 1950ern im populären und journalistischen Sprachgebrauch.

Die Entstehung der Jugendkultur hatte eine große Bedeutung für die englische Gesellschaft. Dadurch, dass die Jugendlichen immer mehr zusammenwuchsen und die soziale Stellung immer deutlicher vom Alter abhing, entstand eine Kluft zwischen Alt und Jung, ein sogenannter Generationsgraben. Wie John Clarke et al. ausführen, entwickelte sich bei vielen Menschen der Eindruck, dass die Aufteilung in erwachsene und junge Menschen das bisher gültige Klassensystem der Arbeiterklasse, der mittleren Klasse und der höheren Klasse ablöse:

[…] the simple fact of when you were born displaced the more traditional category of class as a more potent index of social position; and the pre-war chasm between the classes was translated into a mere ‘gap’ between the generations.[6]

Laut Clarke et al. und Bill Osgerby entsprechen diese Vorstellung sowie die damit verknüpfte Bezeichnung ‚Jugendkultur‘ trotzdem nicht der damaligen Realität der Jugendlichen. Osgerby argumentiert:

[…] the post-war youth ‚experience‘ continued to be mediated by structural divisions, social class remaining a crucial determinant of youngsters‘ employment opportunities and leisure preferences.[7]

Die Klasse der Jugendlichen spielte also nach wie vor eine Rolle. Der Begriff ‚Jugendkultur‘ suggeriert jedoch, dass die Jugend in England von vornherein klassenlos war beziehungsweise, dass die gesamte Jugend selbst eine Klasse geworden war. Dies ist laut Clarke et al. eine zu oberflächliche Betrachtungsweise, da sie die komplexen Beziehungen der jugendlichen Gruppen im gesamtkulturellen Zusammenhang außer Acht lasse:

[…] differences between different strata of youth, the class-basis of youth cultures, the relation of ‚Youth Culture‘ to the parent culture and the dominant culture, etc. […].[8]

Mit der dominant culture, zu deutsch ‚dominante Kultur‘, ist hier eine ‚Kultur der Herrschenden‘ gemeint, die durch offizielle Medien und staatliche Bildungs- und Erziehungsinstitutionen vermittelt wird. Der ‚dominanten Kultur‘ untergeordnet sind laut Clarke et al. die Kulturen einzelner Klassen, also die Kultur der Arbeiterklasse, der Mittelklasse und der Bourgeoisie. Sie werden als parent-cultures und auf deutsch als ‚Stammkulturen‘ bezeichnet. Innerhalb der Stammkulturen bildeten sich wiederum verschiedene Subkulturen, darunter auch Kulturen von Jugendlichen. Clarke et al. bevorzugen für letztere Gruppen die Bezeichnung youth sub-cultures ‚ also ‚jugendliche Subkulturen‘ beziehungsweise ‚Jugendsubkulturen‘ anstelle des Begriffs ‚Jugendkultur‘.[9]

In der vorliegenden Arbeit wird der gängige Begriff ‚Jugendkultur‘ verwendet, jedoch nur im deskriptiven Sinn und ohne, dass die sozialen, kulturellen und ökonomischen Aspekte der Jugend vernachlässigt werden. Wenn einzelne, benennbare Gruppen wie die Teddyboys beschrieben werden, wird die Rede sein von ‚jugendlichen Subkulturen‘ beziehungsweise ‚Jugendsubkulturen‘. Mit dieser Entscheidung schließt sich diese Arbeit der Benennung in Resistance through Rituals an, einem Sammelwerk der Kultursoziologen vom Forschungszentrum CCCS[10], dem unter anderem John Clarke angehörte.

Im folgenden soll der Frage auf den Grund gegangen werden, warum in der Nachkriegszeit die weitverbreitete Vorstellung aufkam, dass Jugendliche sich so grundlegend von der ‚Gesellschaft der Erwachsenen‘ unterscheiden. Welche Entwicklungen gab es im nachkriegszeitlichen England unter den Jugendlichen? Wie kam es dazu, dass in England plötzlich von einer Jugendkultur die Rede war?

1.1.2 Gründe für die Entstehung der Jugendkultur

Die Veränderungen, die die Jugendlichen in der Nachkriegszeit betrafen, waren vielfältig. Zum einen waren demographische Faktoren dafür verantwortlich, dass es in der Nachkriegszeit quantitativ mehr junge Menschen in England gab. Aufgrund eines Baby-Booms zu Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab es in den 50ern und frühen 60ern in England mehr Jugendliche als vor Kriegsbeginn und auch der prozentuale Anteil an Jugendlichen in der Gesamtbevölkerung war angestiegen. Desweiteren führte ein generell steigender Lebensstandard dazu, dass die Pubertät bei Jugendlichen immer früher eintrat, wodurch die Zeitspanne der Adoleszenz früher erreicht wurde als beispielsweise im 19. Jahrhundert. Auch dies führte dazu, dass es zu der Zeit eine qualitativ andere Generation von Jugendlichen gab.[11]

Zu den demographischen Faktoren kamen soziale Reformen hinzu. Der Education Act von 1944 hatte dazu geführt, dass Jugendliche ab 1947 die Schule erst mit 15 Jahren verließen und dass lokale Jugendbehörden Freizeiteinrichtungen für die jungen Menschen zur Verfügung stellen mussten. Gleichzeit wurde der Youth Service, eine nicht-militärische Jugendorganisation in England, erweitert. Als ‚youth‘ wurde dafür das Alter zwischen 14 und 21 Jahren definiert. Infolge der Zunahme dieser altersspezifischen Einrichtungen hatten Jugendliche in den 1950ern öfter und über einen längeren Zeitraum mit Gleichaltrigen zu tun.[12] Allein die demographischen Veränderungen und die Reformen in der Bildung hätten ausgereicht, um das Profil der Jugendlichen zu ändern und um laut Bill Osgerby die Idee vom Begriff ‚Jugendkultur‘ überhaupt aufkommen zu lassen:

[…] the post-war reorganization of the education system and expansion of the youth service worked to formalize and institutionalize concepts of ‘youth’ as a discrete social entity associated with specific needs and problems.[13]

Eine ähnliche Auswirkung hatte die Einführung des National Service im Jahre 1948. Seitdem wurden alle jungen Männer dazu verpflichtet, ab dem 18. Lebensjahr zwei Jahre lang dem Volk zu dienen. 160.000 Männer traten fortan jährlich den militärischen Dienst an und verbrachten die zwei folgenden Jahre mit Gleichaltrigen, völlig unter sich und abseits von den älteren Generationen. Zwischen 1945 und 1960 waren bereits über zwei Millionen junge Männer einberufen worden. Dadurch, dass sie für den Militärdienst aufs Land zogen, verbreiteten sie den neuen Stil der Jugend aus den Großstädten in entlegenere Regionen Englands.[14]

Noch ausschlaggebender als der demographische und soziale Wandel waren jedoch die langfristigen Veränderungen in der englischen Ökonomie. Während des Zweiten Weltkrieges hatte England einen wirtschaftlichen Tiefpunkt erfahren. Obwohl die Alliierten den Krieg letztendlich gewonnen hatten, litt England unter großen finanziellen Verlusten, die sich erst in den 1950ern wieder ausgleichen ließen. Bill Osgerby nennt in seinem Artikel The Young Ones die wesentlichen wirtschaftlichen Trends der 50er und 60er Jahre:

[…] the decline of heavy industries, the movement of capital into lighter forms of production (especially the manufacture of consumer goods), the expansion of production line technologies, trends towards ‚de-skilling‘ and the movement of labour out of direct production and into distribution and service.[15]

Von dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen profitierte vor allem die Arbeiterklasse. Gebraucht wurden in erster Linie flexible, nicht unbedingt angelernte Arbeitskräfte, was am meisten auf die jungen Menschen der Arbeiterklasse zutraf. Für die Gelegenheitsjobs wurden sie gerne genommen, waren sie doch auch recht billige Arbeitskräfte im Vergleich zu den Älteren. Auf einen festen Arbeitsplatz hatten junge Männer zu der Zeit ohnehin keine guten Aussichten. Dies hing wiederum mit den sozialen Reformen zusammen. Denn welcher Arbeitgeber wollte schon jemanden fest einstellen, der nur drei Jahre nach dem Schulabschluss Zeit hatte, bis ihn der militärische Dienst rief. Und eine Ausbildung direkt nach der Schule zu beginnen hieß, eine schlechte Bezahlung und einen hohen Arbeitsaufwand in Kauf zu nehmen. So kam es, dass viele junge Männer zwischen 15 und 18 Jahren Gelegenheitsjobs annahmen, wodurch sie sofort ein hohes Einkommen erzielen konnten. Diejenigen, die am meisten von dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Nachkriegszeit profitierten, waren demnach die jungen Männer der Arbeiterklasse.[16]

Mark Abrams‘ Statistiken, die in den 60er Jahren besonders oft zitiert wurden, belegen diese Behauptung. Abrams verglich die Einkommen der Nachkriegszeit mit denen vor dem Krieg und kam laut Osgerby zu folgendem Ergebnis:

[…] since 1945 young people’s real earnings had risen by 50 % (roughly double that of adults), while youth’s ‚discretionary‘ spending had risen by as much as 100 % – representing an annual expenditure of around £ 830 million.[17]

Abrams‘ Statistiken sind zwar mit etwas Vorsicht zu genießen – spätere Forscher wie Osgerby betonen Ungenauigkeiten in Abrams‘ Zahlen (Abrams berücksichtigte zum Beispiel keine regionalen Unterschiede oder betrachtete alle Leute zwischen 15 und 25 Jahren als Jugendliche). Dennoch muss eingeräumt werden, dass Abrams tendenziell richtig lag: In den 1950ern und 1960ern konnten vor allem junge Menschen in England einen relativen Wohlstand genießen, den frühere Generationen nicht gekannt hatten. Dieser neue Wohlstand unter den Teenagern, der sogenannten affluent youth, kann generell als wichtigste Ursache zur Entstehung der Jugendkultur betrachtet werden.[18]

Erstmals erreichten die Teenager eine hohe Kaufkraft und konnten im großen Stil konsumieren. Dabei gaben die Jugendlichen laut Abrams ihr Geld hauptsächlich für Freizeitartikel aus, etwa 44 % für Schallplatten oder Schallplattenspieler und 39 % für Mofas oder Motorräder.[19] Als die Teenager als Konsumenten erkannt wurden, entstand schnell ein Markt, der voll und ganz auf die Bedürfnisse der Jugendlichen ausgerichtet war: der kommerzielle youth market. Mit der Massenproduktion von Kleidung kam zum Beispiel eine größere Auswahl, sodass die Teenager sich in ihrem individuellen Stil einkleiden konnten: „For the first time, young workers were breaking down the cloth cap uniform image of the lower classes“[20]. Noch prägnanter waren die Veränderungen in der Musikindustrie. Mit der Entstehung des Popstars als kulturelles Phänomen kamen amerikanische Rock’n’Roll-Größen wie Elvis Presley und Bill Haley nach England, und schon bald zogen hausgemachte Stars nach, wie zum Beispiel Cliff Richard und Marty Wilde in den 50ern oder die Beatles und die Rolling Stones in den frühen 60ern. Der Boom der Popmusik eröffnete den Teenagern eine neue Welt des Vergnügens. Auch die Medien reagierten in den 50ern auf die Jugendszene. Die britische Filmindustrie produzierte teenpics, billige und nicht aufwändige Filme nach amerikanischem Vorbild. Und britische Fernsehsender reagierten mit speziell auf Teenager zugeschnittenen Sendungen wie Six-Five Special und Juke Box Jury. Wegen der neuen Welle der Popmusik erlebten Freizeittreffpunkte wie Varieté-Theater, Diskotheken und Clubs einen höheren Andrang junger Leute und das Programm änderte sich dementsprechend. Besonders coffee bars entwickelten sich zu beliebten Freizeittreffpunkten der Jugendlichen:

The leading focal point to British teenage life, during the fifties and early sixties the coffee bar was a place where youngsters could gather and freely chat amongst themselves or dance to their favourite records on the juke box (itself appearing in much greater numbers from the mid-fifties) – all for the price of a cup of foamy espresso or a bottle of Coca-Cola.[21]

Bezieht man sich wieder auf Abrams, so kann man ihm also zustimmen in der Behauptung, dass „[…] distinctive teenage spending for distinctive teenage ends in a distinctive teenage world“[22] stattfand. Die Jugendlichen gaben ihr Geld hauptsächlich für Dinge aus, die speziell ihrem jugendlichen Lebensstil entsprachen und sie schafften sich damit gewissermaßen ihre eigene jugendliche Welt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es unter den verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Aspekten vor allem die höhere Kaufkraft der Teenager der Arbeiterklasse war, die eine materielle Basis für die neue Identität der Jugendlichen schuf.

1.2 Jugendliche Subkulturen

In diesem Kapitel wird konkret auf die subkulturellen Jugendgruppen eingegangen, die sich in den 1950ern und frühen 1960ern bildeten. Drei verschiedene Typen werden vorgestellt: die Teddyboys, die Mods und die Rocker. Anschließend folgt eine Analyse des Stils der jugendlichen Subkulturen.

1.2.1 „All dressed up and nowhere to go“: Die Teddyboys

In der Nachkriegszeit entstanden viele jugendlichen Subkulturen; in England gab es bereits die Mods, die Rocker, die Skinheads, später die Hippies, und viele mehr. Unter all ihnen waren die Teddyboys die erste und bis jetzt die bedeutendste Erscheinung.[23]

Die Subkultur der Teddyboys entstand in den frühen 1950ern in London und verbreitete sich von dort aus erst in Vororte wie Kingston, Croydon, Barking und Finchley sowie an die Küstenstädtchen Brighton und Southend. Nach einiger Zeit wurden auch Städte wie Birmingham, Nottingham, Liverpool und Bristol zu beliebten Zentren der Teddyboys.[24]

Wie bereits erläutert wurde, verdienten die Jugendlichen zu der Zeit relativ gut. Die Teddyboys gaben ihr Geld hauptsächlich für Kleidung aus, nämlich für ihre ‚Teddyboy - Uniform‘, die sich an die Mode aus der Regierungszeit von Edward VII. anlehnte. Sie adoptierten den Edwardian Look, der zu Anfang der Dekade ursprünglich von Angehörigen der höheren Klassen getragen wurde. Der Stil war 1950 von Designern der Savile Row, einer vornehmen Einkaufsstraße in Mayfair (London) kreiert worden. Er war speziell für die jungen, aufstrebenden Männer der gehobenen Klasse gedacht und bestand im Wesentlichen aus einem langen, taillierten Jackett mit Jackenaufschlag, engen Hosen, unauffälligen geschlossenen Schuhen und einer eleganten Weste. Doch schon gegen 1953 wurde die Mode von den jungen Männern der Arbeiterklasse übernommen, woraufhin der Look ein weniger hohes Ansehen in den aristokratischen Teilen der Gesellschaft genoss. Die Teddyboys adoptierten das lang geschnittene Anzugsjackett, die sogenannten drapes, mit Rockschößen und Samtkragen. Dazu kombinierten sie gestrickte Krawatten, einfarbige oder geblümte Westen, eng anliegende Hosen (strides), breite Schuhe mit auffälligen Kreppsohlen, und etliche Accessoires wie zum Beispiel das bootlace tie, eine dünne Lederkordel um den Nacken. Statt grau und schwarz trugen die Teddyboys lebhafte Farben wie grün, rot und pink. Die gesamte Aufmachung kostete ungefähr zwanzig Pfund, damals ein relativ hoher Betrag um sich einzukleiden. Von dem edwardianischen Jackett bekamen die Teddyboys ihren Namen – ‚Teddy‘ war eine Koseform von ‚Edward‘. Bei der Frisur gab es auch bestimmte Vorlieben, so wurden die Haare meist hinten hoch frisiert, mit einer Haartolle über der Stirn und breiten Koteletten. Andere beliebte Variationen waren die vorspringende Frisur à la Tony Curtis, à la Boston und der streng ausrasierte Mohikaner. Der Kleidungsstil der Teddyboys veränderte sich im Laufe der Jahre. Nach und nach wurde der Stil weniger extrem und entwickelte sich am Ende der 1950er zum recht eleganten Italienischen Stil.[25]

Ihre freie Zeit verbrachten die Teddyboys gerne in Cafés oder in Milchbars. Am weitesten verbreitet war das Musikbox-Café, in dem man Musik aus der Jukebox hören und neben den Getränken oft eine günstige Mahlzeit bekommen konnte. T.R. Fyvel, der die Teddyboys als Insecure Offenders bezeichnet, sieht den Grund für den Zeitvertreib in den Musikbox-Cafés in der Langeweile der Teds:

In fact, an atmosphere of garish gaiety, warm coffee steam, contemporary décor and the noise of the juke-box seems to have become for many young people an antidote against the emptiness of their lives.[26]

Neben den Musikbox-Cafés erfreuten sich auch die Espresso-Bars großer Beliebtheit. Durch ihr modernes, italienisches Ambiente hatten sie eine hohe kulturelle Bedeutung für die Teddyboys, die sich nach einem modernen Leben sehnten. Die Musikbox behielt jedoch den höchsten Stellenwert. Durch sie wirkten die Cafés wie ein Magnet auf die Teddyboys, denn dort konnten sie die Musik hören, die ihnen so viel bedeutete: „For many youngsters their most vivid link with contemporary culture is through the lyrics of ‘pop‘ music“[27].

Teddyboys waren beliebte Kinogänger. Während das Kino wegen der Innovation des Fernsehens in den 50ern insgesamt viel niedrigere Besucherzahlen verzeichnete, schlossen die Teddyboys sich diesem Trend nicht an. Denn nur im Kino konnten sie die bekannten Hollywood-Stars bewundern und die Filme sehen, die ihren eigenen großen Traum vom heldenhaften Leben nährten. Fyvel beobachtete ein so starkes Verlangen der Teddyboys nach dem Kino, dass er es als „[…] basic emotional need […]“[28], also als emotionales Grundbedürfnis einstufte. Dabei sei besonders der amerikanische Gangsterfilm für sie wie geschaffen gewesen. Die Helden der Filme lieferten den jungen Teddyboys eine Traumvorstellung vom Erfolg und vermittelten ihnen den Eindruck, dass jeder unabhängig von der sozialen Stufe ein großartiges Leben führen könne. Alles was man dazu brauche, so suggeriert einem etwa der geschickte City Gambler im Gangster-Film, sei die Fähigkeit, ‚mit Köpfchen‘ vorzugehen beziehungsweise die „[…] ability to live by his wits […]“[29]. Die größten Idole stellten die Schauspieler Marlon Brando und James Dean dar.

Fernsehen war, wie bereits angedeutet, keine beliebte Beschäftigung unter den Teddyboys. Dies mag einerseits daran liegen, dass sie dort keine Hollywood-Berühmtheiten zu sehen bekamen. Andererseits könnten sie die häufigen Werbeunterbrechungen gestört haben. Fyvel sieht letzteres bereits als einen Punkt, in dem die Teds sich von den Erwachsenen angegriffen fühlten:

[…] such interruptions showed that the whole television programme was not ‚theirs‘, that some hostile adults were trying to sell them something, that they were being got at […].[30]

Ein weiterer Grund für die regelrechte Verachtung des neuen Mediums waren vermutlich die vielen negativen Fernsehberichte über die Teddyboys selber. Vereinzelte Sendungen über Musik oder Sport wurden zwar gerne gesehen. Insgesamt gehörte ein Abend im Wohnzimmer vor dem Flimmerbild jedoch nicht zu den typischen Gewohnheiten der Teddyboys – das Fernsehen entsprach nicht ihrem kulturellen Leitmotiv.

Dagegen war die Begeisterung für Musik bei den Teddyboys umso größer. Damit waren sie nicht allein: Wie allseits bekannt, erlebte Popmusik in den 1950ern unter jungen Menschen generell einen erstaunlichen Durchbruch. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass die Teddyboys hier mitmachten, wo sie doch sonst gegen den Strom schwammen. In Fyvels Worten: „Here he [the Teddyboy] is no rebel. The point where he feels most at one with the culture of contemporary society is within the commercial musical ensemble […]”[31]. Die Teddyboys kauften sich die neuesten Pop-Platten, die modernsten Plattenspieler mit langer Spieldauer und hörten die Popmusik im Radio und in Cafés aus der Jukebox. Das größte Vorbild in der Musikszene war zweifellos Elvis Presley. Ein bekannter Schlager im Musik-Café brachte die Teddyboys zum Tanzen und Swingen und trat Elvis oder ein anderer Star live auf, so war es keine Seltenheit, wenn die Teenager vor Aufregung fast in Ohnmacht fielen. Fyvel beschreibt die Hingezogenheit zur Popmusik daher als “[…] chink in the Teddy boy’s armour of non-participation“[32].

Leider sorgten die Teddyboys oft für negative Schlagzeilen. Im März 1954 wurde ein Jugendzentrum in Camberwell von „‘cosh-boys‘ in Edwardian suits“[33] überfallen und demoliert. Einen Monat später kam es an einem Bahnsteig in Kent zu einem Bandenkrieg zwischen zwei Gruppen von Teddyboys, bei denen über 50 Jugendliche mit Klappmessern und Ketten aufeinander losgingen.[34] Sie befeindeten sich aber nicht nur gegenseitig: Teddyboys belästigten und verprügelten Busfahrer auf nächtlichen Routen, sie überfielen Inhaber von Jugendzentren und Cafés und verwüsteten deren Einrichtungen.[35] Auch mit dem Hype um die Musik fielen Teddyboys negativ auf. Als der Film Rock Around the Clock 1956 in den englischen Kinos anlief, kam es unter den jugendlichen Zuschauern zu Krawallen. In der Erstaufführung im Prince of Wales Cinema in Paddington, einem der Reviere der frühen Teddyboys, begannen Jugendliche in den Gängen zu swingen und die Polstersessel aufzuschlitzen bis die Polizei anrückte. In den Wochen darauf gab es weitere Unruhen während der Vorstellungen: Immer wieder wurde in Kinosälen wild getanzt, gekämpft und randaliert. Derartige Rock ‘n’ Roll Riots fanden auch im Jahr darauf zu Rock ‘n‘ Roll-Filmen wie Jailhouse Rock, King Creole und Disc Jockey Jamboree und zu Konzerten von Musikern wie Bill Haley statt. Die Teddyboys waren fast immer an den Krawallen beteiligt.[36]

Es kam so weit, dass Teddyboys der Zugang zu vielen Kinos und Tanzlokalen verwehrt wurde. Oder besser gesagt, es wurde ein Dress-Code eingeführt, sodass niemand mehr im Edwardian Look eingelassen wurde. Für die Teddyboys war das der Anlass zu noch größerer Frustration und zu noch heftigeren Gewaltausbrüchen. Im Jahre 1958 gab es gleich zwei Höhepunkte jugendlicher Gewalt: die Notting Hill riots, in denen Teddyboys gegen eine Minderheit von Immigranten kämpften und zwei Kämpfe mit Todesfällen in Tanzlokalen (eines der Opfer war ein Polizist). Danach hatten die Teddyboys endgültig den Ruf als Teufel der Nation, als folk devils gewonnen.[37]

1.2.2 Teenage Chic: Die Mods

Die Bewegung der Mods begann ebenfalls in London, allerdings erst in den frühen 60ern, als die Teddyboys sich bereits aufgelöst hatten. Das Wort ‚Mod‘ steht eigentlich für alles, was mit den Swinging Sixties in London in Verbindung gebracht wird. An dieser Stelle wird etwas konkreter davon ausgegangen, dass mit ‚Mods‘ die jugendliche Subkultur gemeint sind, die sich durch ihren eigenen Stil zu erkennen gab.

Stanley Cohen sieht die Mods als direkte Nachfahren der Teddyboys: „They inherited his [the Teddyboy‘s] vanity, confidence and fussiness […]”[38]. Die Mods waren wie die Teds eine Subkultur, dessen Mitglieder aus der Arbeiterklasse stammten und einen relativ hohen Verdienst erzielten. Der durchschnittliche Mod verdiente etwa 11 £ die Woche und arbeitete zum Beispiel als Büroangestellter oder Kaufhausverkäufer.[39] In ihrem Stil unterschieden sich die Mods allerdings erheblich von ihren Vorgängern. Im Vergleich zum herausfordernden, auffälligen Stil der Teds kleideten sich die Mods anständig und dezent: Sie trugen Anzüge in den gängigen Schwarz- und Grautönen, ihre Haare waren kurz und ordentlich geschnitten. Es war das italienische, moderne sharp-dressing, das zu der Bezeichnung ‚Modernist‘ und der Abkürzung ‚Mod‘ führte.[40] Der Vorteil des ‚unrebellischen‘ Kleidungsstils war, dass die Mods ihn nicht nur in ihrer Freizeit, sondern auch bei der Arbeit oder in der Schule problemlos tragen konnten. Die Mods waren angepasst und schick, so schick jedoch, dass sie gerade deshalb auffielen. Wenn ein 15-jähriger Bürojunge zum Beispiel einen exquisiter geschneiderten Anzug trug als sein Chef, so ist es verständlich dass die Erwachsenen seine Eleganz mit Skepsis betrachteten. Die Mods traten zu gewählt, zu vornehm auf, „[…] [they were] pushing neatness to the point of absurdity“[41].

Der Tag auf der Arbeit war jedoch nicht die Welt der Mods: Sie lebten nur auf den Feierabend und das Wochenende hin, um in Boutiquen und Plattenläden einzukaufen und in Clubs und Diskotheken tanzen zu gehen. Ihre Vorliebe für feine Anzüge führte sie zu Modedesignern im Soho und in Geschäfte auf der Carnaby Street. Abends waren die Londoner Mod-Zentren in Clubs wie The Scene und Flamingo, wo die Mods erstmals mit afro-amerikanischer Soul-Musik in Kontakt kamen.[42] Soul wurde schnell zur populären Musikart unter den Mods, aber auch die Hits von The Who, Rod Stewart, The Faces und den Rolling Stones waren Dauerbrenner.[43] Der typische Mod existierte einzig und allein durch seine Freizeit. Tagsüber stand er als Angestellter in der Hierarchie auf einer relativ niedrigen Stufe und dies kompensierte er, indem er in seiner Freizeit volle Kontrolle über seine Kleidung und seine Aktivitäten ausübte. Das Ziel des durchschnittlichen Mods war es, seine Freizeit so gut wie möglich auszukosten. Wenn es ging wurde jeden Abend gefeiert. Der ideale Alltag eines Mods wird in folgendem Wochenplan beschrieben:

Monday night meant dancing at the Mecca, the Hammersmith Palais, the Purley Orchard, or the Streatham Locarno.

Tuesday meant Soho and the Scene club.

Wednesday was Marquee night.

Thursday was reserved for the ritual washing of the hair.

Friday meant the Scene again.

Saturday afternoon usually meant shopping for clothes and records, Saturday night was spent dancing and rarely finished before 9.00 or 10.00 Sunday morning.

Sunday evening meant the Flamingo or, perhaps, if one showed signs of weakening, could be spent sleeping.[44]

Dass so ein Programm normalerweise nicht einmal eine Woche lang von einem Vollzeit-Beschäftigten durchgezogen werden kann, liegt auf der Hand. Speed war eine weit verbreitete Droge unter den Mods[45], die das Durchhaltevermögen garantierte. Durch die Amphetamine wurde außerdem die Wunschvorstellung der Mods von einem unwahrscheinlich guten Leben genährt. Das Hollywood-Kino lieferte dem Mod, wie davor schon dem Teddyboy, seine Vorbilder. Darunter waren der italienische ‚Mafioso-Typ‘ und der jamaikanische ‚Hustler‘, der an dunklen Straßenecken mit Schieberhut und dunkler Sonnenbrille seine Geschäfte abwickelt. Die Mods verschafften sich die im Film abgeguckten Accessoires und kopierten die vielgesehenen Al-Capone-Posen um sich ihren Idolen zu nähern. Viele Mods zog es nach Soho und Westend, wo sie die perfekte Grundlage für ihre Thriller-Phantasien vorfanden; hier konnten sie sich vorstellen, selber Gangster zu sein und ein aufregendes, abenteuerliches Leben zu führen. Dick Hebdige deckt das Spiel des lebendigen Kinos auf:

Every mod was existing in a ghost world of gangsterism, luxurious clubs, and beautiful women even if reality only amounted to a draughty Parker anorak, a beaten up Vespa, and fish and chips out of a greasy bag.[46]

Wenn die eigenen Erwartungen oder die Anderer nicht erfüllt wurden, half Speed den Mods, über die Enttäuschung hinweg zu sehen und gab ihnen die Energie, es weiter zu versuchen. Speed (wörtlich übersetzt: Geschwindigkeit) passte sehr zum Lebensstil der Mods, die immerzu in Bewegung waren. Wie wichtig ihnen Bewegung war, wird deutlich, wenn man beachtet, welch große kulturelle Bedeutung die Mods dem Motorroller (scooter) beimaßen, den sie für sich zum Statussymbol ernannten.[47]

Die Mods waren begeisterte Konsumenten, wodurch sie absolut zur affluent youth zählten. Dazu bemerkt Dick Hebdige jedoch, dass die Mods nicht nur passiv konsumierten und er betont ihren aktiven Umgang mit Stil. Damit ist gemeint, dass die Mods Produkte nicht bloß kauften, sondern dass sie den Dingen eine neue Bedeutung verliehen. Als Beispiel sei zum einen der Motorroller genannt, ein zuvor respektables Transportmittel, das sie in ein Zeichen für Solidarität verwandelten. Und mit dem übertrieben eleganten Anzug, der zuvor für seriöses Auftreten stand, verspotteten die Mods den Snobismus der höheren Klassen. In Hebdiges Worten:

The mod dealt his blows by inverting and distorting the images (of neatness, of short hair) so cherished by his employers and parents, to create a style, which while being overtly close to the straight world was nonetheless incomprehensible to it.[48]

Der Stil der Mods stellte eine Parodie auf die Gesellschaft dar, in der sie lebten. Genauso wie sie Gegenstände in ihrer Bedeutung verkehrten, taten die Mods es auch mit Charaktereigenschaften. Negative Züge wie Faulheit, Arroganz und Eitelkeit, welche den Mods während der Arbeit oder in der Schule vorgeworfen wurden, bewerteten sie in ihrer Freizeit positiv. Hebdige betont, dass die Mods eine außerordentlich aktive Subkultur waren. Man kann dies gut am Beispiel der alljährlichen Zusammenkunft am Bank Holiday festmachen, bei welchem die Mods regelmäßig auf die für sie unerträgliche Passivität der erwachsenen Zuschauer trafen:

[…] each mod was a creative subject capable of entertaining an unimaginative adult audience arrogantly displaying the badge of his identity to a nation of featureless picture-watchers.[49]

Im gleichen Zug stellt Hebdige die etwas vereinfachte Formel auf: „WORKING-CLASS + MOD + SPEED = ACTION“[50]. Die Dynamik der Mods kann, wie Hebdige es tut, als eine durchaus positive Eigenschaft gewertet werden.

Laut Hebdige war es aber absehbar, dass die Bewegung der Mods früher oder später selbst ihren Untergang herbeiführen würde. So exzellent die Rebellion der Mods gegen die herablassende Erwachsenen-Kultur auch gewesen sein mag, sie führte letztendlich dazu, dass die Mods sich von sich selbst entfremdeten und sich in ihrer Illusion verloren: „[…] mesmerised by music, stultified by speed, Mod was bound eventually to succumb; to be cheated and exploited at every level“[51]. Am Ende ging es nur noch um den simplen Gebrauch der Waren; der Stil wurde von oben herab geschaffen und der Mod wurde zum bloßen Konsumenten.

1.2.3 Die Gegenspieler der Mods: Die Rocker

Die Subkultur der Rocker entstand zu Anfang der 1960er Jahre, zur gleichen Zeit wie die der Mods. Allerdings stellten die Rocker genau das Gegenteil dar. Die Mods hatten eine ehrgeizige, eitle und arrogante Art – die Rocker hingegen waren absichtlich zuchtlos und laut, „[…] butch – ‚wild ones‘ – anti-domestic and anti-authority“[52]. Während die Mods versuchten, die mittlere Klasse zu imitieren, benahmen die Rocker sich gewollt im Sinne der working-class. Sie besetzten in der Regel niedrige Positionen in der Arbeit und wurden relativ schlecht bezahlt. Anders als die Teddyboys und die Mods zählten sie damit nicht zu Vertretern der wohlhabenden Jugend. Vielmehr missbilligten die Rocker den Drang zum ständigen Konsumieren der Mods, für sie war dies ein Zeichen der Schwäche. Sie verachteten die narzisstische Art der Mods, sich stundenlang mit dem eigenen Aussehen zu beschäftigen, denn für sie zählte robuste Männlichkeit. Die direkte, offene Art hatten sie mit den Teddyboys gemein, und wie die Teddyboys wurden die Rocker oft als ‚Lumpenjugend‘ bezeichnet. Sie waren nicht in den aufgeputzten coffee bars der City anzutreffen, sondern waren stets ‚on the road‘ oder in Fernfahrerlokalen wie dem legendären Busy Bee oder The Ace. Zum typischen Rocker-Outfit gehörte die schwarze Lederjacke, eine einfache Jeans, Stiefel und jede Menge Metallschmuck. Auch in ihrem Musikgeschmack unterschieden sie sich klar von den Mods: Sie tanzten gerne zu Musik von Elvis Presley, Gene Vincent und Eddie Cochran und akzeptierten keine fremden Einflüsse von afro-amerikanischem Soul oder Rhythm and Blues. Die Bezeichnung ‚Rocker‘ wurde ihnen wegen ihrer Loyalität zur frühen Rockmusik verliehen.[53]

Untereinander waren Rocker in zwei Gruppen aufgeteilt. Entweder wie waren e asy riders – Motorradfahrer, die ihr Gefährt als Symbol für Freiheit, Stärke und Einschüchterung sahen – oder sie waren greasers, die weniger mit dem Kult um das Motorrad beschäftigt waren. Ihnen gemein war „[…] a nostalgic unchaining violence and sexuality […]“[54]. Die Rocker hatten eine Abneigung gegen die femininen Mods und generell gegen Frauen. Anders als die Subkultur der Mods, die „[…] dead-pan elegant girls […]“[55] durchaus einbezog, waren die Rocker die einzige unter den spektakulären neuen Jugendsubkulturen, die Frauen keine Zugehörigkeit gewährte.

Da der Lebensstil der Rocker mit dem der Mods völlig unvereinbar war, kam es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Während der Pfingstferien 1964 kam es in Clacton zu Unruhen zwischen den beiden Gruppen. Angeblich ging es dabei ursprünglich nicht um einen Konflikt zwischen ihnen, sondern um den gemeinsamen Frust aufgrund ungenügender Freizeiteinrichtungen in dem Ort. Laut Hebdige seien es vor allem die Medien gewesen, die die Unterschiede zwischen den Mods und Rockern akzentuierten und sie gegeneinander aufhetzten[56]. Fakt ist, dass es während des darauf folgenden Osterwochenendes in Margate und Brighton sowie im August in Hastings zu wiederholten Kämpfen zwischen Mods und Rockern kam. Die Rocker waren den Mods zu ungepflegt, primitiv und großspurig: „The mods rejected the rocker’s crude conception of masculinity, the transparency of his motivations, his clumsiness […] “[57]. Die Rocker hingegen beanstandeten hauptsächlich die Effeminiertheit des Mod-Stils. Der Machismus der Rocker und das Feminine an den Mods lassen sich wiederum damit erklären, dass die beiden Subkulturen versuchten, sich in ihrem Stil immer weiter gegeneinander abzugrenzen.

1.2.4 Über den Stil der Subkulturen

Wie unterschiedlich die Teddyboys, Mods und Rocker auch waren, sie hatten – außer der Tatsache, dass sie alle aus der Arbeiterklasse stammten – noch etwas gemeinsam: Jede jugendliche Subkultur hatte sich ihren eigenen, unverwechselbaren Stil geschaffen. Doch wie entsteht Stil, und woraus besteht er? Die Soziologen Dick Hebdige, Stuart Hall und John Clarke vom CCCS haben sich mit diesen Fragen befasst und sind sich einig darüber, dass der Stil einer Subkultur durch zwei wesentliche Merkmale gekennzeichnet ist: Durch Bricolage und Homologie. Dick Hebdige bringt noch einen dritten Aspekt ein, und zwar die intentional communication, also die absichtliche, bewusste Kommunikation. Dabei gingen alle drei Soziologen davon aus, dass der Stil von Jugendsubkulturen mehr oder weniger aus den vier folgenden Elementen aufgebaut werden kann: Kleidung, Musik, Ritual und Slang.[58]

In Subculture - The Meaning of Style betont Dick Hebdige die bewusste Absicht einer Subkultur, durch ihren Stil etwas auszusagen. Er verweist darauf, dass zwar jedes x-beliebige Outfit eines Menschen für etwas stehe, sozusagen eine kulturelle Bedeutung trage. Jeder drücke mit seiner Kleidung etwas über seine finanzielle Lage, seinen Geschmack oder seine Vorlieben aus, auch wenn es einem nicht immer bewusst sei. Mit dem subkulturellen Stil, so Hebdige, sei es aber anders. Der Stil der Subkulturen sei immer absichtlich und offensichtlich fabriziert: „It stands apart – a visible construction, a loaded choice. It directs attention to itself; it gives itself to be read”[59]. Eine Subkultur ist sich demnach der kulturellen Codes, die sie gebraucht, stets bewusst: „They display their own codes […] or at least demonstrate that codes are there to be used and abused […]”[60]. Eine Subkultur beinhaltet also immer eine intendierte Aussage. Die intentional communication macht den Stil der jugendlichen Subkulturen besonders. Doch wie und woraus schaffen sich die Subkulturen ihren Stil?

Die ökonomischen Grundvoraussetzungen für die Entstehung einer Jugendkultur in der Nachkriegszeit sind bereits beschrieben worden: Erstens eine Lohnsteigerung insbesondere für die Jugendlichen und zweitens die Entstehung eines jugendorientierten Konsumenten-Marktes. Doch das Bereitstellen der Waren allein reichte nicht aus, um einen neuen Stil zu schaffen. Die Artikel im Kaufhaus waren nur das Rohmaterial, das zur Verarbeitung zur Verfügung stand. Laut Clarke et al. war Folgendes notwendig: „[…] actively constructing a specific selection of things and goods into a style“[61], also die Dinge aktiv auszuwählen und zusammenzufügen, sodass sie einen Stil ergeben. Dazu gehörte auch, dass den Dingen eine neue Bedeutung gegeben wurde.

Es ist wichtig an dieser Stelle zu beachten, dass alle Gegenstände einen Gebrauchswert und irgendeine kulturelle Bedeutung tragen. Die kulturelle Bedeutung hängt ab von den Codes, die ihnen von bestimmten kulturellen Gruppen gegeben wurden. Clarke et al. erläutern dies am Beispiel der vornehmen Kleidung: „The bowler hat, pin-stripe suit and rolled umbrella do not, in themselves, mean ‚sobriety‘, ‚respectability‘, bourgeois-man-at-work“[62]. Dies kann einem oft nicht bewusst sein, weil die Bedeutung dem Objekt innezuwohnen scheint und natürlich wirkt. Da jeder Gegenstand eine soziale Bedeutung trägt, kann die Bedeutung auch gesellschaftlich verändert werden.

Der Vorgang einer Subkultur, Objekte auszuwählen und ihnen in einem neuen Kontext eine andere Bedeutung zu verleihen, wird als Bricolage (Bastelei) bezeichnet. Der Jugendliche in der Subkultur ist demnach der Bricoleur. Bricolage wird von Clarke definiert als „[…]the re-ordering and re-contextualisation of objects to communicate fresh meanings […]“[63]. Es ist wie eine Art Puzzle, bei dem jedes einzelne Stück am Ende eine neue Bedeutung bekommt. Wichtig ist, dass der Stil nicht aus dem Nichts entsteht, sondern dass bestehende Dinge aufgenommen werden und eine neue Bedeutung bekommen. Mit anderen Worten:

[…] the transformation and rearrangement of what is given (and ‘borrowed’) into a pattern which carries a new meaning, its translation to a new context, and its adaption.[64]

Ein Beispiel für die Bricolage ist der Edwardian Suit, der ursprünglich von den Edwardian Dandys getragen wurde und durch die Teddyboys seine kulturelle Bedeutung veränderte. Auch die Mods betrieben Bricolage, indem sie den Motorroller – vorher ein respektables Fahrzeug – in ein bedrohliches Symbol für Gruppensolidarität verwandelten. Und indem die Mods Metallkämme messerscharf schliffen, veränderte sich auch die Bedeutung des Kamms: Er signalisierte nicht mehr ‚Eitelkeit‘, sondern eher ‚Kampf‘ und ‚Angriffslust‘.[65] Sogar Sprache kann zum Objekt dieses Vorgangs werden, in dem man einen Slang oder eine Geheimsprache entwickelt, die nur die Gruppenmitglieder verstehen. Dies war zum Beispiel bei einigen devianten Subkulturen und den schwarzen Rudies in den 1970ern der Fall, die ihre eigene ‚Rasta‘-Sprache entwickelten.[66] Ein anderes Beispiel findet noch heutzutage statt: In den französischen Banlieues benutzen die Jugendlichen mit nordafrikanischen Wurzeln den Envers, einen Slang, in dem die Silben in Wörtern vertauscht werden. Der Slang ist für französische Muttersprachler außerhalb der Banlieues völlig unverständlich[67].

Nun stellt sich die Frage, warum Subkulturen bestimmte Elemente in die Bricolage einbeziehen und andere nicht. Anders, als man denken könnte, werden die Gegenstände und Kleidungsstücke nicht zufällig ausgewählt. Eine Subkultur entscheidet, ob ein Gegenstand aufgenommen wird, je nachdem ob er sich dazu eignet und zu der Subkultur passt. Clarke erläutert:

[…] the group must be able to recognise itself in the […] potential meanings of particular symbolic objects. This requires that the object in question must have the ‘objective possibility’ of reflecting the particular values and concerns of the group in question […].[68]

Die Selektion der Objekte richtet sich folglich nach der Homologie zwischen der möglichen potentiellen Bedeutung des Objekts und den zentralen Werten der Subkultur. Das Motorrad eignete sich zum Beispiel besser als ein Fahrrad dazu, im Stil der Rocker die pure Männlichkeit abzubilden. Für die Mods eignete sich der der elegante Anzug – ein Symbol für Ernsthaftigkeit – kombiniert mit weiteren Elementen wie den Pillen und dem Motorroller dazu, den Snobismus der Mittelklasse lächerlich zu machen. Wichtig ist es, im Auge zu behalten, dass die vier Faktoren des Stils (Kleidung, Musik, Ritual und Slang) stets zusammen wirken: „[…] [The subculture’s reaction] must be looked for in the whole range of activities, contexts, and objects which together constitute the stylistic ensemble“[69]. Die Reaktion der Rocker auf die Mods äußerte sich zum Beispiel nicht bloß in einer auffällig maskulinen Kleidung und Rockmusik, sondern auch in physischen Angriffen auf die gegnerische Gruppe.

Der Sinn der Stilbildung besteht zum einen darin, die Gruppenidentität innerhalb der Subkultur zu stärken. Gleichzeitig dient der Stil dazu, dass sichtbare Grenzen gegenüber anderen Gruppen gezogen werden. Die Mods und Rocker sind ein gutes Beispiel für jugendliche Subkulturen, die sich gegenseitig so wenig wie möglich ähneln wollten und sich stilmäßig in zwei verschiedene Richtungen entwickelten. Wohlgemerkt definieren Subkulturen sich nicht nur innerhalb des subkulturellen Kontextes, sondern auch über ihr Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Gruppen, wie der Regierung oder der lokalen Gemeinschaft. Eine eher ungewollte Konsequenz der Stilbildung einer Subkultur ist die Entstehung von Stereotypen. Dabei spielen äußerlich sichtbare Merkmale wie Kleidung und Frisur eine Rolle, weil Außenstehende diese Merkmale automatisch mit besonders typischen Verhaltensweisen in Verbindung bringen.[70]

Der Stil einer Subkultur wird von Stuart Hall und seinen Kollegen am CCCS stets als Widerstand gegen Unterlegenheit interpretiert, wie der Titel des Sammelwerks Resistance through Rituals bereits andeutet. Ein weiterer Aspekt, auf den Clarke in einem der Aufsätze hinweist, ist der symbolische Charakter des Widerstandes.[71] Das heißt, dass der Stil keine wirkliche Lösung der eigentlichen Probleme darstellt. Stanley Cohen fasst zusammen, warum die subkulturellen Stile lediglich ‚magical solutions‘ sind: Zum einen ist das Ziel des Angriffs ungeeignet. Das heißt, wenn Teddyboys Cafébesitzer angreifen oder wenn Rocker gegen Mods kämpfen, verfehlen sie ihr Ziel, denn sie reagieren eigentlich auf etwas Anderes, etwa auf „[…] threats to community homogeneity or traditional stereotypes of masculinity“[72]. Zweitens ist die Lösung stets symbolisch, das heißt, wenn man das Problem nicht bei der Wurzel greift, kann es zu keiner wahrhaftigen Lösung kommen. Mit Cohens Worten: „The gestures are as effective as sticking pins into kewpie dolls […] It is a staged shadow boxing […]“[73]. Drittens steht die Bezeichnung ‘magical‘ dafür, dass der subkulturelle Stil codiert ist, also für etwas außerhalb seiner oberflächlichen Erscheinung steht, wie bereits mit dem Ablauf der Transformation, Neuordnung, Übersetzung und Adaption erklärt wurde. Der Stil einer Jugendsubkultur kann zwar als Widerstand gelesen werden, jedoch nicht als wirksames Mittel gegen gesellschaftliche Probleme.

Der Vollkommenheit halber soll hier erwähnt sein, dass die Teilnahme an einer jugendlichen Subkultur nur eine Möglichkeit darstellt, sich mit kulturellen Problemen innerhalb der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Längst nicht alle Jugendlichen der 1950er und frühen 1960er Jahre gehörten einer fest umrissenen, kohärenten Subkultur wie den Teds, Mods oder Rockern an.

1.3 Der neue Teenager: Ambivalente Reaktionen älterer Generationen

1.3.1 Positive Reaktionen: Der wohlhabende Teenager

In den 1950er und 1960er Jahren gab es in England die Tendenz, die Entwicklung der Jugend als Anzeichen für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen im Land zu deuten – oder wie Clarke et al. es ausdrücken: „[…] youth was employed as a metaphor for social change”[74]. In der Nachkriegszeit schienen die jungen Menschen genau das zu repräsentieren, wonach alle sich sehnten. Mit Jugendlichkeit wurde Dynamik, Verantwortungsbewusstsein, Mobilität, Vergnügen und vor allem Konsum in Verbindung gebracht. Die positiven Reaktionen auf die Jugend sind hauptsächlich den damaligen Medien, Forschern und Politikern zu verdanken.

Von den Medien wurden die Teenager oft hochgejubelt. Osgerby beschreibt in The Young Ones, wie die britischen Zeitungen und Zeitschriften begeistertes Interesse an der Jugendkultur offenbarten. Die Picture Post porträtierte zum Beispiel 1957 in der optimistischen Reihe The Truth About Teenagers den typischen Teenager mit seinen Vorlieben und Abneigungen. Weitere positive Berichte der Daily Mirror und der Mirror halfen

[…] [to] popularize notions of ‚youth‘ as an excitingly positive social force – a vibrant and uplifting contrast to the tired and out-moded conventions of the traditional social order.[75]

In den Mode-Zeitschriften wurden die Mods wegen ihres jugendlich schicken Stils gelobt, mit dem sie zum Trendsetter der 60er Jahre wurden. Offizielle Untersuchungen der Labour Party’s Youth Commision (1959) und der British Medical Association (1961) gaben ebenfalls positives Feedback. Ihre Ergebnisse über Jugendliche waren insgesamt „[…] favourable, indeed almost celebratory, presenting young people as a group whose lively energy was kept in check by their mature sense of responsibility“[76].

Insgesamt befand England sich in einer euphorischen Stimmung, die unterstrichen wurde von Harold Macmillans berühmtem Statement von 1957, dass die Briten ‚never had it so good‘. In der Begeisterung über den wirtschaftlichen Aufschwung bestand die Hoffnung, dass es bald allen so gut gehen würde wie den jungen Menschen. Kurzum wurde Jugend gedeutet als „[…] shorthand signifier for unbridled pleasure in what seemed to be a new age of hedonistic consumption”[77]. Osgerby nimmt an, dass die Teenager in der Nachkriegszeit als eine homogene Klasse – die Jugendkultur – präsentiert wurden, um die allgemeine Hoffnung zu wecken, dass die alte Klassenordnung überholt sei und dass ab jetzt auch Menschen aus der Arbeiterklasse ein erstklassiges Leben führen könnten. Osgerby sagt:

Teenage consumption […] became the defining emblem for the economic changes which, many commentators argued, were steadily ameliorating social divisions, neutralizing traditional class conflicts and ushering in a new epoch of prosperous ‚postcapitalism‘.[78]

[...]


[1] William Shakespeare, The Winter’s Tale = Das Wintermärchen (Tübingen: Francke, 1986), III, 3, S. 157.

[2] Vgl. Bill Osgerby, Youth in Britain since 1945 (Oxford: Blackwell, 1998), S. 7.

[3] Bill Osgerby, “The Young Ones’ – Youth, Consumption and Representations of the ‘Teenager’ in Post-War Britain” in: Youth Identities – Teens and Twens in British Culture, hg. v. Hans-Jürgen Diller, Erwin Otto und Gerd Stratmann (Heidelberg: Winter, 2000), S. 9.

Vgl. Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 16.

[5] Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 28.

[6] Vgl. John Clarke, Stuart Hall, Tony Jefferson und Brian Roberts, “Subcultures, Cultures and Class: A Theoretical Overview” in: Resistance through Rituals – Youth Subcultures in Post-War Britain, hg. v. Stuart Hall und Tony Jefferson (London: HarperCollins Academic, 1991), S. 22.

[7] Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 28.

[8] Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 15.

[9] Vgl. Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 10-17.

[10] Centre for Contemporary Cultural Studies an der University of Birmingham 1964-2002.

[11] Vgl. Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 18.

[12] Vgl. Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 19.

[13] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 10.

[14] Vgl. Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 10.

[15] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 10.

[16] Vgl. Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 10-11.

[17] Osgerby, “The Young Ones” S. 11.

[18] Vgl. Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 11-12.

[19] Vgl. Mark Abrams, The Teenage Consumer (London: London Press Exchange Ltd., 1959), S. 9. Vgl. Osgerby, “The Young Ones”, S. 11.

[20] Ronald Paul, Fire in our Hearts – A Study of the Portrayal of Youth in a Selection of Post-War British Working-Class Fiction (Göteborg: Acta Univ. Gothoburgensis, 1982), S. 52.

[21] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 13-14.

[22] Abrams, S. 10. Zitiert in Osgerby, “The Young Ones”, S. 11.

[23] Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 48.

[24] Vgl. Tosco Raphael Fyvel, The Insecure Offenders – Rebellious Youth in the Welfare State (London: Chatto and Windus, 1961), S. 67-68.

[25] Vgl. Tony Jefferson, “Cultural Responses of the Teds: The Defence of Space and Status” in: Resistance through Rituals – Youth Subcultures in Post-War Britain, hg. v. Stuart Hall und Tony Jefferson (London: HarperCollins Academic, 1991), S. 83-86. Vgl. Fyvel, S. 52-53.

[26] Fyvel, S. 95.

[27] Fyvel, S. 99.

[28] Fyvel, S. 107.

[29] Jefferson, S. 86.

[30] Fyvel, S. 109.

[31] Fyvel, S. 111.

[32] Fyvel, S. 112.

[33] Paul Rock und Stanley Cohen, „The Teddy Boy” in: The Age of Affluence. 1951-1964, hg. v. Vernon Bogdanor und Robert Skidelsky (London: Macmillan, 1970), S. 294.

[34] Vgl. Rock und Cohen, S. 296.

[35] Vgl. Jefferson, S. 83.

[36] Vgl. Rock und Cohen, S. 310-311.

[37] Vgl. Fyvel, S. 19-20. Vgl. Rock und Cohen, S. 296-308.

[38] Stanley Cohen, Folk Devils and Moral Panics – The Creation of the Mods and Rockers (New York: St. Martin’s Press, 1980), S. 184.

[39] Vgl. Dick Hebdige, “The Meaning of Mod” in: Resistance through Rituals – Youth Subcultures in Post-War Britain, hg. v. Stuart Hall und Tony Jefferson (London: HarperCollins Academic, 1991), S. 91.

[40] Vgl. Cohen, S. 184.

[41] Dick Hebdige, Subculture – The Meaning of Style (London: Methuen, 1979), S. 52.

[42] Vgl. Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 42.

[43] Vgl. Michael Brake, Comparative Youth Culture – The Sociology of Youth Cultures and Youth Subcultures in America, Britain and Canada (London: Routledge and Keagan Paul, 1985), S. 74-75.

[44] Aus einer April-Ausgabe der Sunday Times 1964. Zitiert in Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 90.

[45] Vgl. Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 89-92.

[46] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 90. Vgl. auch zu den inhaltlichen Ausführungen: S. 89-90.

[47] Vgl. Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 95. Siehe Fußnotentext 8.

[48] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 93.

[49] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 95. Siehe Fußnotentext 9.

[50] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 96.

[51] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 94.

[52] Brake, S. 75.

[53] Vgl. Brake, S. 75. Vgl. Cohen, S. 185. Vgl. Osgerby, Youth in Britain, S. 42-43.

[54] Brake, S. 75.

[55] Brake, S. 75.

[56] Vgl. Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 88.

[57] Hebdige, “The Meaning of Mod”, S. 88.

[58] Vgl. Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 54.

[59] Hebdige, Subculture, S. 101.

[60] Hebdige: Subculture, S. 101.

[61] Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 54.

[62] Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 55.

[63] John Clarke, “Style” in: Resistance through Rituals – Youth Subcultures in Post-War Britain, hg. v. Stuart Hall und Tony Jefferson (London: HarperCollins Academic, 1991), S. 177.

[64] Clarke, “Style”, S. 178.

[65] Vgl. Hebdige, Subculture, S. 104-105.

[66] Vgl. Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 56.

[67] Vgl. Theodore Dalrymple, A Prophetic and Violent Masterpiece. www.cityjournal.org/html/16_1_oh_to_be.html (18.06.2008)

[68] Clarke, “Style”, S. 179.

[69] Clarke, “Style”, S. 181.

[70] Vgl. Clarke, “Style”, S. 180-185. Vgl. Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 56-57.

[71] Vgl. Clarke, “Style”, S. 189-191.

[72] Cohen, S. xi.

[73] Cohen, S. xi.

[74] Clarke et al., “Subcultures, Cultures and Class”, S. 71.

[75] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 15.

[76] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 15.

[77] Osgerby, Youth in Britain since 1945, S. 33.

[78] Osgerby, “’The Young Ones’”, S. 16.

Fin de l'extrait de 112 pages

Résumé des informations

Titre
Untersuchungen zur Darstellung der Jugend in Anthony Burgess‘ 'A Clockwork Orange'
Université
University of Hamburg  (Insitut für Anglistik)
Note
2,0
Auteur
Année
2008
Pages
112
N° de catalogue
V135075
ISBN (ebook)
9783640431885
ISBN (Livre)
9783640432066
Taille d'un fichier
967 KB
Langue
allemand
Mots clés
Untersuchungen, Darstellung, Jugend, Anthony, Burgess‘, Clockwork, Orange
Citation du texte
Annika Wildersch (Auteur), 2008, Untersuchungen zur Darstellung der Jugend in Anthony Burgess‘ 'A Clockwork Orange', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135075

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