Internationales Regieren als Neue Staatsräson?

Das Beispiel einer GASP der Europäischen Union


Seminar Paper, 2005

14 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Collusive Delegation These
2.1 Erörterung und logische Folgerungen der These
2.2 Belege für die These

3. Europäische Regierungen und eine GASP
3.1 Die GASP der EU: Ein Kandidat für Collusive Delegation?
Exkurs: konspirative Vollmachtsübertragungen
3.2 Ein Vergleich der ehemals 15 EU-Mitgliedsstaaten anhand einer Regressionsanalyse
3.3 Ein Vergleich von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Beim Thema „International Governance as New Raison d´Ét at? The Case of the EU Common Foreign and Security Policy” wird das Konzept der Neuen Staatsräson angewendet, um internationales Regieren zu untersuchen. Bei dieser Analyse gilt es, bestimmte Regeln und Mechanismen aufzuzeigen, die bei politischen Vollmachtsübertragungen nationaler Regierungen auf die internationale Ebene wirken.

Das Konzept der Neuen Staatsräson ist als eine Theorie der internationalen Beziehungen zu betrachten, auf einer Ebene mit klassischen Forschungstraditionen wie dem Realismus, dem Liberalismus oder auch dem Konstruktivismus (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 153). Dieses Konzept dient als Quelle für Hypothesen, warum internationale Institutionen entstehen und warum sie beständig sind (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 174). Eine dieser entwickelten Hypothesen ist die These der collusive delegation, nach welcher internationales Regieren als abgekartete Vollmachtsübertragung angesehen werden kann. Mathias Koenig-Archibugi versucht am Fall der GASP der EU die Existenz und Funktionsweise dieser These nachzuweisen und somit eine Erklärung für das Phänomen internationaler Institutionen und Abkommen zu liefern[1].

2. Die Collusive Delegation These

2.1 Erörterung und logische Folgerungen der These

Im Zentrum der collusive delegation These steht die Autonomie nationaler Regierungen und deren Interesse daran, ihre Autonomie auszubauen[2]. Jede nationale Exekutive ist mit einem bestimmten Grad an außenpolitischer und innenpolitischer Autonomie ausgestattet. „Wenn Regierungen entscheiden müssen, ob sie die Abgabe von Machtbefugnissen unterstützen oder sich ihr entgegenstellen, können sie einem Kompromiss zwischen außenpolitischer und innenpolitischer Autonomie gegenüberstehen und werden die Lösung wählen, die ihre Gesamtautonomie steigert“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 154). Der collusive delegation These nach geht es bei der Teilnahme am internationalen Politikgeschäft in erster Linie nicht um irgendwelche explizit formulierten, sondern um versteckte Beweggründe, von Eric Nordlinger als das „Autonomiesteigernde Leistungsvermögen des Staates und seine Möglichkeiten, die ihm verhängten gesellschaftlichen Zwänge irgendwie zu verhindern, aufzuheben, umzuwandeln, sich ihnen zu widersetzen oder sie zu bezwingen“ bezeichnet (Nordlinger 1981, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 153).

Da „die Teilnahme an zwischenstaatlichen Verhandlungen und Institutionen tendenziell zu einer Vergrößerung der innenpolitischen Unabhängigkeit nationaler Exekutiven führt“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 154), implizieren einzelne Exekutiven mit einer politischen Vollmachtsübertragung einen Gesamtautonomiezuwachs, wobei dieser insbesondere inländische Akteure wie Parlamente, parteipolitische Oppositionen und gesellschaftliche Interessengruppen benachteiligt und deren demokratisch legitimierte Kontrollfunktionen erschwert[3]. Laut Andrew Moravcsik werden die politischen Mittel, welche Einfluss in der inländischen Arena verleihen, neu verteilt[4], in der Regel zu Gunsten nationaler Entscheidungsträger, wobei dieser Umverteilungseffekt üblicherweise zu erneuten internationalen Verhandlungen führt, bei denen für nationale Exekutiven ein vergrößerter Anreiz besteht, von neuem Übereinkünfte zu erreichen (Vgl. Moravcsik 1993, 1994, 1997, 1998, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 151).

Hierbei kann es zu einer Bildung von „Exekutivkartellen“ kommen, d.h. nationale Regierungen können sich gegenseitig helfen, sich von inländischen politischen Beschränkungen freizumachen und somit die jeweilige Politikrichtung näher an ihre eigenen Präferenzen zu bringen (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 152). Regierungen handeln somit nicht als vertrauensvolle Agenten für gesellschaftliche Gruppen, sondern verfolgen ihre eigenen Ziele. Janice Thomson spricht davon, dass „Staaten gegen Gesellschaften kooperieren können“ (Thomson 1995, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 153).

Zwei logische Folgerungen ergeben sich aus der collusive delegation These:

1. „Jede Regierung ist mit unterschiedlichen Anreizen konfrontiert, abhängig vom Grad der inländischen Autonomie, die sie bereits besitzt“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 154).

2. „Der Anreiz Macht zu übertragen ist in den politischen Bereichen stärker, in denen die Regierung vor allem engen inländischen Zwängen gegenübersteht“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 154).

2.2 Belege für die These

Dass die These einer collusive delegation nicht nur ein theoretisches Konstrukt aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft darstellt, sondern in einer globalisierten Welt bei Entscheidungsträgern einen realen Beweggrund für die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen verkörpert, belegt Koenig-Archibugi anhand dreier historischer Beispiele aus Politik und Wirtschaft[5]:

1. Die spezielle innenpolitische Situation in den USA und die versteckten Beweggründe des amerikanischen Präsidenten für die Gründung des Freihandelsabkommens zwischen Kanada und den USA
2. Die spezielle innenpolitische Situation in Italien und die versteckten Beweggründe der italienischen Exekutive, den europäischen Währungszusammenschluss voranzutreiben
3. Die versteckten Beweggründe japanischer und amerikanischer Behörden für einen Beitritt zum Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht

Diese drei aufgeführten Beispiele analysieren die Teilnahme nationaler Exekutiven und Behörden an zwischenstaatlichen und internationalen Übereinkünften und ergründen die potenziellen Beweggründe der beteiligten Entscheidungsträger, die bei der Abtretung von Machtbefugnissen eine Rolle gespielt haben. Die anschaulichen Darlegungen von Koenig-Archibugi und weiterer von ihm zitierten Autoren[6] machen die Existenz und Wirkungsweise einer collusive delegation mehr als wahrscheinlich. Auch wenn die These der collusive delegation am Hauptproblem einer jeden Verschwörungstheorie leidet – „der Nachweis ihrer Wahrheit besteht genau in der Tatsache (wenn die aufgedeckte Verschwörung erfolgreich ist), dass kein Beweis für sie gefunden werden kann“ (Wolf 2000, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 155).

Anhand des dritten von Koenig-Archibugi gewählten Beispiels wird sehr gut deutlich, dass der Gebrauch der collusive delegation nicht nur ein Vorrecht für Chefexekutivkräfte oder Kabinette bedeutet, sondern dass sich auch sonstige nationale Vertretungen wie Finanzbehörden der Attraktivität einer abgekarteten Vollmachtsübertragung bewusst sind und folglich auch konspirativ mit anderen nationalen Behörden kooperieren, um sich ihrer inländischen Fesseln zu entledigen (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 156).

3. Europäische Regierungen und eine GASP

Untersucht man den Intensitätsgrad an Zusammenarbeit bei einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. das Maß an Bereitschaft zur Zusammenarbeit, welches bei den unterschiedlichen europäischen Exekutiven bezüglich dieses Politikbereichs dominiert, so fällt folgendes auf: „Es gab und gibt erhebliche Unterschiede bei den Präferenzen europäischer Regierungen bezüglich ihrer Zusammenarbeit bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Das optimale Niveau an politischer Vereinheitlichung in der EU ist eine Frage heftiger Meinungsverschiedenheit, nicht nur zwischen den Bürgern, sondern auch zwischen Mitgliedsregierungen“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 158). Daher stellt sich die Frage: Kann die collusive delegation These zur Erklärung dieser Mannigfaltigkeit beitragen?

3.1 Die GASP der EU: Ein Kandidat für Collusive Delegation?

Das Beispiel der GASP der Europäischen Union kann also womöglich einen weiteren handfesten Beleg dafür liefern, dass nationale Regierungen sich bewusst an konspirativen Vollmachtsübertragungen beteiligen, wenn dies für sie von Vorteil sein kann.

Exkurs: konspirative Vollmachtsübertragungen

An dieser Stelle ist es angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es notwendig ist von „konspirativen“ oder „abgekarteten“ Vollmachtsübertragungen zu sprechen. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass politische oder ökonomische Entscheidungsträger sobald sie gewillt sind, sich von inländischen Kontrollmechanismen und beschränkenden politischen und ökonomischen Fesseln jeglicher Art zu lösen, diese wahren Beweggründe niemals öffentlich, explizit und aus freien Stücken deklarieren werden[7] (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 155), sondern im Gegenteil, plausible und überzeugende Pseudoargumente für die Teilnahme an internationalen Übereinkünften finden und energisch propagieren werden[8].

[...]


[1] Auch wenn laut Koenig-Archibugi die Implikationen und Auswirkungen der collusive delegation These Aufschluss darüber geben, warum nationale Regierungen überhaupt dazu bereit sind, Machtbefugnisse an internationale Institutionen abzutreten, ist er sich sehr wohl bewusst, dass „die collusive delegation am Besten eher als Teil einer multikausalen Beschreibung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit gesehen werden sollte, als eine Erklärung, die alle anderen überflüssig macht“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 176).

[2] Hierbei gibt es unterschiedliche Ansätze. „Während für Andrew Moravcsik Exekutiven nur daran interessiert sind die Anzahl ihrer möglichen Schachzüge zu vergrößern, wenn ihnen dies bei der Erreichung konkreter politischer Ziele hilft, geht Klaus Dieter Wolf um einiges weiter und behauptet, dass Staaten ein a priori Interesse daran haben, ihre Autonomie gegenüber der Gesellschaft auszubauen“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 152).

[3] Das so genannte Demokratiedefizitproblem der EU ist demnach „nicht bloß ein Nebenprodukt der Übertragung von Macht an supranationale Institutionen, sondern auch einer der Zwecke dieser Machtübertragung“ (Koenig-Archibugi 2004, S. 151). Einzelne nationale Exekutiven benutzen bewusst die Komplexität und den Mangel an Transparenz bei internationalen Verhandlungen, um sich demokratischer Kontrollfunktionen zu entziehen (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 150).

[4] Moravcsik betont, dass internationales Kooperieren die 4 I´s verändern kann: die Initiative, die Institutionen, die Informationen und die Ideen (Vgl. Moravcsik 1993, 1994, 1997, 1998, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 151).

[5] Diese Anschauliche Illustration basiert auf den bei Koenig-Archibugi 2004, S. 155-157 zitierten Ausführungen von Judith Goldstein (1996), Andrew Moravcsik (1994, 1998), Kenneth Dyson und Kevin Featherstone (1999), David Zaring (1998) sowie Enrico Colombatto und Jonathan Macey (1996). Goldstein berichtet vom 1988 geschlossenen bilateralen Freihandelsabkommen zwischen Kanada und den USA. Moravcsik betrachtet die europäische Währungsunion, wobei Dyson und Featherstone insbesondere sich mit der Rolle Italiens und seiner Exekutive beim Zustandekommen des europäischen Währungszusammenschlusses beschäftigen. Zaring gibt Aufschluss über die US-Teilnahme am Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, wohingegen Colombatto und Macey sich mit den japanischen Beweggründen für eine Teilnahme an dieser internationalen Finanzregulierungsorganisation befassen.

[6] Goldstein, Moravcsik, Dyson und Featherstone, Zaring, Colombatto und Macey

[7] In seltenen Fällen kommt es aber durchaus vor, dass Entscheidungsträger mit persönlichen Äußerungen in die Nähe einer Bestätigung der Logik der collusive delegation gelangen wie folgendes Statement von Guido Carli belegt – Italiens Finanzminister und Chefverhandlungsführer bei der Regierungskonferenz zur Europäischen Währungsunion – als er bemerkte, dass „unsere Agenda am Tisch der Regierungskonferenz über eine Europäische Union eine Alternativlösung für Probleme verkörpert, bei denen wir nicht fähig waren, sie über die normalen Regierungs- und Parlamentswege zu bewältigen“ (erwähnt bei Dyson und Featherstone 1999, zitiert bei Koenig-Archibugi 2004, S. 156)

[8] Einen überzeugenden Beleg hierfür liefert die hitzigste Sicherheitspolitikdebatte seit der Wiedervereinigung in Deutschland, die sich Mitte der 90er Jahre mit der Frage legitimer out-of-area-Missionen der Bundeswehr beschäftigte. Der primäre Beweggrund der damals christlich demokratischen Regierung, nämlich innenpolitische Unabhängigkeit in der out-of-area-Frage bzw. noch allgemeiner in der Verteidigungspolitik im Ganzen zu erlangen, wurde durch den Gebrauch des Europaarguments – damit ist das gemeint, was sowohl Volker Rühe (CDU), als auch sein späterer Nachfolger im Verteidigungsministerium Rudolf Scharping (SPD) als Bündnisfähigkeit und als Europafähigkeit deklariert haben – bewusst verborgen (Vgl. Koenig-Archibugi 2004, S. 168-170).

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Details

Title
Internationales Regieren als Neue Staatsräson?
Subtitle
Das Beispiel einer GASP der Europäischen Union
College
University of Siegen
Course
Seminar "Neue Institutionenökonomik der internationalen Beziehungen"
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
14
Catalog Number
V135621
ISBN (eBook)
9783640436927
ISBN (Book)
9783640437030
File size
444 KB
Language
German
Keywords
Internationales, Regieren, Neue, Staatsräson, Beispiel, GASP, Europäischen, Union
Quote paper
Magister Artium Christian Hoffmann (Author), 2005, Internationales Regieren als Neue Staatsräson? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135621

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