Furcht und Elend der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert

Über Zensur & Exil


Essai, 2009

26 Pages


Extrait


Die Verfolgung der Literatur und ihrer Autoren durch die jeweils Herrschenden hat in Deutschland eine lange unrühmliche Tradition. Meistens ist nur im Gedächtnis, falls überhaupt, daß die Nationalsozialisten die Grausamkeit gegen das gedruckte Wort und seine Urheber ins Absolute perfektionierten, aber kaum, daß bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Unterdrückung einen beschämenden Höhepunkt erreichte.

Drei Methoden der Repression waren gang und gäbe: Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit durch Einkerkern und auf die geistige Unversehrtheit durch Zensur, woraus, keineswegs selten, die Vertreibung ins Exil resultierte. Hier soll jetzt zunächst Rede sein von der Zensur.

Auch auf dem Gebiet der Zensur war Preußen - wie bei vielen anderen wichtigen politischen Belangen - Vorreiter in Deutschland. Die Zensur der Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geht zurück auf das am 19. Dezember 1788 erlassene preußische Zensuredikt, in dessen Präambel es heißt:

"Ob wir gleich von den großen und mannigfachen Vortheilen einer gemäßigten und wohlgeordneten Preßfreiheit zur Ausbreitung der Wissenschaft und aller gemeinnützigen Kenntnisse vollkommen überzeugt und daher solche in unseren Staaten möglichst zu begünstigen entschlossen sind, so hat doch die Erfahrung gelehrt, welche schädliche Folgen eine gänzliche Ungebundenheit der Presse hervorbringen, und wie häufig dieselbe von unbesonnenen oder gar boshaften Schriftstel­lern zur Besprechung gemeinschädlicher praktischer Irrthümer über die wichtigsten Angelegenheiten der Menschen, zur Verderbniß der Sitten durch schlüpfrige Bilder und lackende Darstellungen des Lasters, zum höhnischen Spott und boshaften Tadel öffentlicher Anstalten und Verfügungen, wodurch in manchen nicht genugsam unterrichteten Gemüthern Kummer und Unzufriedenheit darüber erzeugt und genährt werden und zur Befriedigung niedriger Privatleidenschaften, der Verleumdung, des Beides und der Rachgier, welche die Ruhe guter und nützlicher Staatsbürger stören, auch ihre Achtung vor dem Publico kränken, besonders in den sogenannten Volksschichten bisher gewiß gebraucht worden ist.“

Da dieses fast zweihundert Jahre alte Dokument den Regeln klassisch-moderner Argu­mentation folgt, erübrigt sich ein Kommentar. Die Hauptbestimmungen des Gesetzes waren folgende:

"1. Alle Schriften müssen der Censur vorgelegt und dürfen ohne deren Erlaubnis weder gedruckt noch verkauft werden. 2. Die Censur hat die Aufgabe, demjenigen zu steuern, was wider die allgemeinen Grundsätze der Religion, wider den Staat und sowohl moralischer als bürgerlicher Ordnung entgegen ist, oder zur Kränkung der persönlichen Ehre oder des guten Namens anderer abzielt."

In Punkt 7 der Bestimmungen wurde festgelegt, daß nach erteilter Druckerlaubnis Verleger und Drucker von jeder Verantwortung frei seien, was jedoch nicht für den Autor galt: "...dem Verfasser aber kann eine gleiche, vollständige Befreiung nicht zu statten kommen; wenn sich finden sollte, daß er den Censor zu übereilen, seine Aufmerksamkeit zu hintergehen, oder sonst durch unzulässige Mittel die Erlaubnis zum Druck zu erschleichen gewußt habe, so bleibt er deshalb bei einzelnen, in einem großen Werke vorkommenden unerlaubten Stellen nach wie vor verantwortlich.“

1819 sollte dieses Zensurgesetz liberalisiert werden, aber dieses Vorhaben vereitelten die Karlsbader Beschlüsse vom August desselben Jahres, die aus Furcht vor revolutio­nären Bestrebungen zustande kamen: 1815 war in Jena die Burschenschaft gegründet worden, die u.a. der Zersplitterung Deutschlands in 38 Bundes-Staaten den Gedanken nationaler Einheit entgegen­ hielt und 1817 eine mächtige Demonstration mit ihrem Wartburgfest veranstaltet hatte; das Ende der staatlichen Geduld besiegelte dann die Ermordung des reaktionären Schriftstellers Kotzebue durch den Studenten Sand.

In den Karlsbader Beschlüssen werden nicht nur die Universitäten an die Kette gelegt und die Burschenschaften verboten, es wird auch eine Vorzensur angeordnet für "Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, desgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind".

Das bedeutete praktisch: Vorzensur der Presse und aller Bücher, die dünner als 2o Bogen, also 320 Seiten, waren, wobei anscheinend die Überlegung Pate gestanden hat, dickere Bücher fänden keine Leser und das Volk könne sie sich finanziell sowieso nicht leisten. Auf der Grund­lage der Karlsbader Beschlüsse einigte sich der Deutsche Bund am 20. September 1819 darauf, die Zensur in allen deutschen Staaten einzuführen oder zu erneuern.

Vier Wochen später wurde auch in Preußen ein neues Zensuredikt erlassen, welches zwar das Gesetz von 1788 aufhob, im wesentlichen aber noch eine Verschärfung jenes Gesetzes brachte: Die Zensurfreiheit der Mitglieder der Akademie und der Universitäten wurde nun auch aufgehoben. Vollständig neu war die Einrichtung eines Obercensurcollegiums: es sollte über Beschwerden von Verfassern und Verlegern bei Druckverweigerung entscheiden, sollte als Oberbehörde die Erlasse der einzelnen Zensoren prüfen, als Vermittler zwischen den Zensurministern im Innen-, Außen- und Kultusministerium fungieren und sollte schließlich das Verbot der zum Debit, zum Vertrieb, ungeeigneten Bücher veranlassen. Die Behörde, die den Auftrag hatte, literarische Sünden zu rächen, war also in erster Linie das Obercensurkollegium.

Besonders aktiv wurde es nach der Julirevolution 1830 in Frankreich, die Karl X. zur Flucht nach England zwang und den Bürgerkönig Louis-Philippe I. inthronisierte. Zwar änderte sich nicht viel an der französischen Politik, aber die Revolution hatte in ganz Europa Signale gesetzt, und es kam sogar an vielen Orten des Deutschen Bundes zu Unruhen.

Zum Ärger und Verdruß der Zensoren hielten sich in Paris, an revolutionärem Ort, überdies zwei deutsche Schriftsteller auf, die umstürzlerische Gedanken auch in Michels tumben Kopf schmug­gelten: Heinrich Heine und Ludwig Börne. Heine, der von der Julirevolution nach Paris gelockt wurde, woraus sich schließlich ein lebenslanges Exil ergab, hatte sehr viel unter der deutschen und besonders der preußischen Zensur zu leiden. Ein Beispiel muß hier genügen. 1831 erschien in Hamburg Heines Buch Nachträge zu den Reisebildern. Es handelt sich dabei um Reisebilder. Vierter Teil und andere Texte. Durch sehr großzügigen Druck wurde eine Bogenzahl von 20 erreicht, und am Ende auf Seite 320 heißt es dann: "Es fehlen mir noch einige Octavseiten, und ich will deshalb noch eine Geschichte erzählen. . . "

Auf diese Weise entging Heines Buch zwar der Vorzensur in Hamburg und konnte ohne Einschränkungen gedruckt werden, aber an preußi­schen Adleraugen kam es nicht vorbei. Sie gehörten einem preußischen Beamten namens Karl Georg von Raumer, der in verschiedenen Ministerien länger als 50 Jahre (mit Auszeichnung) tätig war. Dieser erstattete Meldung dem Obercensurcollegium, dessen Verdikt eindeutig ausfiel: "Das Buch ist nach unserer Ansicht eins der verderblichsten Produkte, welche in der jüngsten Zeit durch die Druckpresse in das Publikum gebracht worden sind. Zum Beweise, daß es das Heiligste herabwürdigt und empörende Blasphemien enthält, durch schlüpfrige Darstellun­gen die guten Sitten beleidigt und neben gehäs­sigen Invektiven gegen Staatsinstitutionen und Staatsverwaltung sich eine schmähende Bezeichnung Friedrichs des Großen erlaubt, darüber bitten wir, auf die Stellen... [es folgen Seitenangaben] Bezug nehmen zu dürfen."

Größtes Entsetzen der Moralapostel dürfte, zum Beispiel, diese Heine-Passage provo­ziert haben: "Ob der liebe Gott es noch lange dulden wird, daß die Pfaffen einen leidigen Popanz für ihn ausgeben und damit Geld verdienen, das weiß ich nicht; wenigstens würde ich mich nicht wundern, wenn ich mal im Hamb. Unpart. Correspondenten läse: daß der alte Jehova Jedermann warne, keinem Menschen, es sey wer es wolle, nicht einmal seinem Sohne, auf seinen Namen Glauben zu schenken. Ueberzeugt bin ich aber, wir werden’s mit der Zeit erleben, daß die Könige sich nicht mehr hingeben wollen zu einer Schaupuppe ihrer adligen Verächter, daß sie die Etiquetten brechen, ihren marmornen Buden entspringen, und unwillig von sich werfen den glänzenden Plunder, der dem Volke imponiren sollte, den rothen Mantel, der scharfrichterlich abschreckte, den diamantenen Reif, den man ihnen über die Ohren gezogen, um sie den Volksstimmen zu versperren, den goldenen Stock, den man ihnen als Scheinzeichen der Herrschaft in die Hand gegeben - und die befreyten Könige werden frey seyn wie andre Menschen, und frey unter ihnen wandeln, und frey fühlen und frey heurathen, und frey ihre Meinung bekennen, und das ist die Emanzipazion der Könige." Prompt wurde Heines Buch in Preußen verboten. Aber es geschah zu spät. Lediglich 36 Exemplare konnten in Berlin konfisziert werden.

Wie sehr das Vorgehen der Zensur Heine trotzdem verletzte, zeigen zwei Verse im 13 Jahre später veröffentlichten Wintermärchen, die in Zusammen­hang mit Heines Überlegung stehen, wie es in Deutschland aussähe, wenn die Römer nicht von den Cheruskern geschlagen worden wären, zwei Verse, die dem Schreibtischtäter Raumer klägliche Un­sterblichkeit verschaffen: "Der Raumer wär' kein deutscher Lump,/ Er wäre ein römischer Lumpacius..."

*

Auch Ludwig Börne lockte die Juli­revolution nach Paris, wo er sich bereits 1822 für längere Zeit aufgehalten hatte. Die Auseinander­setzung mit der Zensur war für Börne ein zentrales Problem schon lange vor 1830. Bereits in seinen frühen Theaterkritiken versucht er sie zu unterlaufen, indem er nur scheinbar über Literatur schreibt, sich in Wirklichkeit aber mit der politischen Situation seiner Zeit auseinander­setzt. Börne war wie Heine ein Meister im "Schmuggelhandel der Freiheit", wie der Schrift­steller Karl Gutzkow die Tarnung der Literatur einmal nannte. Trotzdem brachte Börne die Zensur 1820 einmal 14 Tage Untersuchungshaft ein, was ihn aber nicht davon abschreckte, auch weiterhin hintergründige Texte zu publizieren.

So trägt ein als Reiseschilderung getarnter politischer Dis­kurs, der ein Jahr später erschien, den Titel Monographie der deutschen Postschnecke. Beitrag zur Naturgeschichte der Mollusken und Testaceen. Die ersten Sätze lauten dann: "Es ist sehr einfältig, daß ich gleich vorn sage: ich werde mich in dieser Abhandlung über vaterländische Postwägen satirisch auslassen; denn indem ich durch dieses Geständnis die Überraschung störe, übertrete ich die heilsamsten Polizeigesetze der Redekunst. Aber kann ich anders? Ist nicht zu fürchten, jene gelehrte Überschrift werde alle Leser abschrecken, wenn sie nicht bald erfahren, daß es damit Scherz gewesen? Sie sollte aber keinen abschrecken als den Zensor, zu seinem und meinem Vorteile, und da dieser jetzt schon getäuscht ist und der falsche Paß der verdächtigen Abhandlung glücklich über die Grenze geholfen hat, so ist längere Verstellung unnötig."

Nicht nur Reiseliteratur eignete sich bestens als Versteck für politisches Engagement, auch in der Form von Briefen ließ es sich, zumindest für kurze Zeit, verbergen, wie die Briefe aus Paris von Börne beweisen, die er von der Hauptstadt der Revolution nach Deutschland schickte. Als im Oktober 1831 die ersten 48 als Buch erscheinen, ist die Auflage von 2000 Exemplaren längst vergriffen, ehe die Behörden eingreifen können. Nach dem Verbot sind sie weiterhin im Handel unter dem unverfänglichen Titel Mittheilungen aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde - bis sie erneut verboten werden.

Ludwig Börne erscheint heute als einer der integersten deutschen Autoren im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Aufwecken wollte er Deutschland aus seinem "Todesschlaf", der radikale Demokrat, dessen schriftstellerisches Ethos Anpassung und Unterwerfung im Wort niemals dulde­te. In Börnes Ankündigung der Gesammelten Schrif­ten findet sich sein literarisches Credo, streng und unerbittlich, das gleichzeitig den weiten Ab­stand zu den Dichtern der Klassik markiert: "Was ich immer gesagt, ich glaubte es. Was ich geschrieben, wurde mir von meinem Herzen vorgesagt, ich mußte. Darum, wer meine Schriften liebt, liebt mich selbst. Man würde lachen, wenn man wüßte, wie bewegt ich bin, wenn ich die Feder bewege. Das ist recht schlimm, ich weiß es, denn ich begreife, daß ich darum kein Schriftsteller bin. Der wahre Schriftsteller soll tun wie ein Künstler. Seine Gedanken, seine Empfindungen, hat er sie dargestellt, muß er sie freigeben, er darf nicht in ihnen bleiben, er muß sie sachlich machen. Ach, die böse Sachdenklichkeit, es wollte mir nie damit glücken! Ich weiß nicht, ob ich mich darüber betrüben soll. Es muß wohl etwas Schönes sein um die Kunst. Die Fürsten, die Vornehmen, die Reichen, die Glücklichen, die Ruhigen im Gemüte lieben sie. Aber sie sind so gerecht, die Kunstkenner, daß mich oft schaudert. Nicht was die Kunst darstelle, es kümmert sie nur, wie sie es darstelle. Ein Frosch, eine Gurke, eine Hammelskeule, ein Wilhelm Meister, ein Christus - das gilt ihnen alle gleich; ja sie verzeihen einer Mutter Gottes ihre Heiligkeit, wenn sie nur gut gemalt. So bin ich nicht, so war ich nie."

*

Von der Zensur besonders arg gebeu­telt wurden die vier Schriftsteller Ludolf Wienbarg, Theodor Mundt, Karl Gutzkow und Heinrich Laube,
die in der Literaturgeschichte die Bezeichnung Junges Deutschland erhielten. Obwohl die Verbindungen der Autoren untereinander äußerst locker waren und es nicht zu einem förmlichen Gruppenzusammenschluß kam, einte sie doch, allerdings nur am Anfang, ihr progressives Denken und Schreiben.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Furcht und Elend der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert
Sous-titre
Über Zensur & Exil
Auteur
Année
2009
Pages
26
N° de catalogue
V135701
ISBN (ebook)
9783640528295
ISBN (Livre)
9783640528103
Taille d'un fichier
526 KB
Langue
allemand
Mots clés
Zensur & Exil deutscher Schriftsteller im 19. Jahrhundert
Citation du texte
Niels Höpfner (Auteur), 2009, Furcht und Elend der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135701

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