Für die Wirksamkeitsevaluation von Musik- und Tanzinterventionen empfiehlt der deutsche Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz keine Instrumente mit konkreten Prüfkriterien. Wie Pflegefachkräfte im Alltag evaluieren, welche Erfahrungen sie machen und welchen Herausforderungen sie sich dabei stellen, wurden mit Hilfe einer Literaturrecherche und Expert*innen-Interviews untersucht.
Die Zahl der Menschen mit Demenz (MmD) liegt in Deutschland aktuell bei rund 1,6 Millionen; pro Jahr erkranken mehr als 300.000 Menschen neu, also durchschnittlich etwa 900 Neuerkrankungen pro Tag, entsprechend gibt es in der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit etwa 51.000 MmD. Ein Viertel aller Bewohner*innen in stationären Pflegeeinrichtungen sind MmD.
Die Verbesserung der Lebensqualität (LQ) ist ein Teilziel der Gesundheitsversorgung; so in § 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgehalten. LQ wird als Eck-punkt für einen patientenrelevanten Nutzen angegeben. Die LQ von MmD ist eng verbunden mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen und impliziert Interaktionen; das bedeutet, dass MmD die Möglichkeit haben, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Durch geeignete Interventionen zur Lebensweltorientierung, Wahrnehmungsförderung, Wertschätzung und Zuwendung mit einer personzentrierten Haltung wird eine Beziehung gefördert.
Die Motivation zur Auswahl dieses Themas ist aus der langjährigen Arbeit mit MmD entstanden. Die Relevanz von Beziehungen für MmD wurde im Laufe dieser Zeit immer deutlicher. Eine Dame mit mittelschwerer oder schwerer Demenz interessiert eher wenig, ob ihre Haare perfekt frisiert sind; ebenso wenig interessiert es einen Herrn mit gleicher Erkrankung, ob seine Krawatte korrekt geknotet ist, oder vielleicht doch? Sie brauchen viel mehr! Sicher ist, sie brauchen Menschen, die sich Zeit für ein Gespräch nehmen oder mit ihnen das noch gut in Erinnerung gebliebene Lied singen. Schon der Titel des Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz (ES) erklärt, worauf es bei MmD ankommt. Es geht um Beziehung und nicht primär um physische Befindlichkeit.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Thematischer Hintergrund und Problemstellung
1.2 Fragestellungen und Zielsetzung
1.3 Literaturrecherche
1.4 Kapitelübersicht
I. Theoretischer Teil
2. Demenz, Symptome und Verlauf
2.1 Definition von Demenz
2.2 Arten der Demenz
2.3 Symptome und Verlauf der Demenz
3. Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz
3.1 Struktur des Expertenstandards
3.2 Person-zentrierter Ansatz nach Tom Kitwood
3.3 Beziehungsgestaltung und -förderung bei Menschen mit Demenz
4. Evaluation nach Expertenstandard
4.1 Die Pflegefachkraft verfügt über das Wissen und die Kompetenz zur Evaluation beziehungsfördernder und -gestaltender Pflege. (S 5 a)
4.2 Die Einrichtung stellt sicher, dass die Pflegefachkraft sowie andere an der Pflege Beteiligte ihre Beziehungsgestaltung zu den Menschen mit Demenz reflektieren können. (S 5 b)
4.3 Die Pflegefachkraft überprüft laufend die Wirksamkeit der beziehungsfördernden und -gestaltenden Maßnahmen. Sie nimmt in Absprache mit dem MmD, seinen Angehörigen sowie allen an der Pflege Beteiligten gegebenenfalls Änderungen am Maßnahmenplan vor. (P 5)
4.4 Der MmD zeigt Anzeichen für den Erhalt und die Förderung seines Gefühls, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein. (E 5 a)
4.5 Verlaufsbeobachtungen dieser Anzeichen sind nachvollziehbar dokumentiert und Änderungen im Maßnahmenplan sind bei Bedarf vorgenommen. (E 5 b)
5. Musik und Tanz als Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung
5.1 Bedeutung von Musik und Tanz
5.2 Wirkung von Musik- und Tanzinterventionen bei Menschen mit Demenz
6. Bedeutung der Beziehungsgestaltung für die Lebensqualität
6.1 Pflegebeziehung
6.2 Lebensqualität
6.3 Messung der Lebensqualität bei Menschen mit Demenz
6.4 Instrumente zur Einschätzung der Lebensqualität
II. Empirischer Teil
7. Untersuchungsdesign
7.1 Methode leitfadengestützter Expert*innen-Interviews
7.2 Interviewleitfaden
7.3 Sampling und Feldzugang
7.4 Ethik und Datenschutz
7.5 Ablauf der Interviews
7.6 Datenauswertung
8. Empirische Ergebnisse
8.1 Einführung des Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz in stationären Pflegeeinrichtungen
8.2 Bedeutung und Wirkung von Musik und Tanz als Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung bei Menschen mit Demenz
8.3 Wirksamkeitsevaluation von Musik und Tanz bei Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Demenz
Beobachtungen / Äußerungen von anderen:
8.4 Zukunftserwartungen und Wünsche von Leitungskräften
9. Diskussion
9.1 Auswirkungen der Erfahrungen mit dem ES auf den Evaluationsprozess
9.2 Musik und Tanz und ihre Wirksamkeitsevaluation
9.2.1 Wirkungen von Musik und Tanz
9.2.2 Evaluation von Musik und Tanz
9.2.3 Methoden der Datenerhebung
9.2.4 Dokumentationsinstrumente für die Evaluation
9.2.5 Dokumentationsauswertung
9.3 Wünsche und Zukunftsaussichten der Befragten
9.4 Limitationen
9.5 Kritische Reflektion und Konklusion
10. Fazit und Ausblick
11. Literaturverzeichnis
12. Anhang
Anhang 1: Literaturrechercheprotokoll
Anhang 2: Kriterien des Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz
Anhang 3: Beobachtungsbogen
Anhang 4: Interviewanfrage
Anhang 5: Informationsblatt
Anhang 6: Einwilligung
Anhang 7: Interviewbeginn
Anhang 8: Interviewleitfaden
Anhang 9: Transkriptionsregeln
Anhang 10: Kodierleitfaden
Anhang 11: Darstellung der Haupt- und Subkategorien
Anhang 12: Transkripte der Interviews
Interview 1
Interview 2
Interview 3
Interview 4
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vergleich der nichtteilnehmenden und der teilnehmenden Beobachtung
Abbildung 2: Ablaufschema für die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Beobachtungskriterien und Dokumentationshilfen bei Musik- und Tanzinterventionen
Abkürzungsverzeichnis
d.A.: dieser Arbeit
DCM: Dementia Care Mapping
ES: Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz
LQ: Lebensqualität
LQV: Leistungs- und Qualitätsvereinbarung
MDK: Medizinischer Dienst der Krankenversicherung
MmD: Menschen mit Demenz
o.A.: ohne Angabe des Jahres
PDL: Pflegedienstleitung
PFK: Pflegefachkraft
SIS: Systematische Informationssammlung
teilw.: teilweise
Zusammenfassung
Für die Wirksamkeitsevaluation von Musik- und Tanzinterventionen empfiehlt der deutsche Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz keine Instrumente mit konkreten Prüfkriterien. Wie Pflegefachkräfte im Alltag evaluieren, welche Erfahrungen sie machen und welchen Herausforderungen sie sich dabei stellen, wurden mit Hilfe einer Literaturrecherche und Expert*innen-Interviews untersucht. Die Studienergebnisse zeigen keine wesentlichen Abweichungen zwischen Empfehlungen des Expertenstandards und Vorgehensweisen im Pflegealltag. Die bei Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Demenz durch Beobachtungen erhobenen Daten werden bei Übergaben, in Fallbesprechungen und Betreuungstreffen evaluiert. Die Erfahrungen der Pflegenden im Evaluationsprozess sind überwiegend positiv, die Interventionsauswahl gilt als Herausforderung. Die Coronapandemie hat die Pflegeressourcen zusätzlich reduziert; einzig Verbesserungen der Rahmenbedingungen können für Qualitätsentwicklung der Pflege und der Evaluation sorgen.
Abstract
The German expert standard Relationship Management in the Care of People with Dementia does not recommend any instruments with concrete test criteria for the evaluation of the effectiveness of music and dance interventions. In what way caregivers evaluate in everyday life and their experience and challenges in doing so is investigated with the help of a literature review and expert interviews. The results of the study do not show any significant differences between the recommendations of the expert standard and the procedures in everyday care. The data collected from observations of people with moderate to severe dementia are evaluated during handovers, case discussions and care meetings. The caregivers‘ experiences in the evaluation process are mostly positive, the intervention selection is considered challenging. The Corona pandemic additionally reduced nursing resources; only improvements in the framework conditions can ensure quality development of nursing and evaluation.
1. Einleitung
„… Es sind tägliche Wunder, wenn jemand nicht mehr spricht, aber alle Strophen singt, wenn jemand tanzt, aber nicht mehr gehen kann …“ (Hamborg, 2020, S. 14).
Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. (o.A.) liegt die Zahl der Menschen mit Demenz (MmD) in Deutschland aktuell bei rund 1,6 Millionen; pro Jahr erkranken mehr als 300.000 Menschen neu, also durchschnittlich etwa 900 Neuerkrankungen pro Tag, entsprechend gibt es in der Bevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit etwa 51.000 MmD (Informationsblatt 1). Ein Viertel aller Bewohner*innen in stationären Pflegeeinrichtungen sind MmD (Statista, 2008).
Die Verbesserung der Lebensqualität (LQ) ist ein Teilziel der Gesundheitsversorgung; so in § 1 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgehalten. LQ wird als Eckpunkt für einen patientenrelevanten Nutzen angegeben (Dichter & Halek, 2019, S. 93). Die LQ von MmD ist eng verbunden mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen und impliziert Interaktionen; das bedeutet, dass MmD die Möglichkeit haben, mit anderen Menschen zu kommunizieren (O’Rourke et al., 2015, S. 28). Durch geeignete Interventionen zur Lebensweltorientierung, Wahrnehmungsförderung, Wertschätzung und Zuwendung mit einer person-zentrierten Haltung wird eine Beziehung gefördert (Schumann, 2019, S. 200-203).
Die Motivation zur Auswahl dieses Themas ist aus der langjährigen Arbeit mit MmD entstanden. Die Relevanz von Beziehungen für MmD wurde im Laufe dieser Zeit immer deutlicher. Eine Dame mit mittelschwerer oder schwerer Demenz interessiert eher wenig, ob ihre Haare perfekt frisiert sind; ebenso wenig interessiert es einen Herrn mit gleicher Erkrankung, ob seine Krawatte korrekt geknotet ist, oder vielleicht doch? Sie brauchen viel mehr! Sicher ist, sie brauchen Menschen, die sich Zeit für ein Gespräch nehmen oder mit ihnen das noch gut in Erinnerung gebliebene Lied singen. Schon der Titel des Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz (ES) erklärt, worauf es bei MmD ankommt. Es geht um Beziehung und nicht primär um physische Befindlichkeit.
1.1 Thematischer Hintergrund und Problemstellung
Demenz kann nicht geheilt, aber mit einer Kombination von Medikamenten und nicht-medikamentösen Interventionen wie z.B. Musik und Tanz behandelt werden, um Symptome und Beschwerden zu lindern und die LQ der MmD zu verbessern (Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI), o.A.). Das Tanzen kombiniert Musik und Bewegung und erlaubt dadurch auch eine Möglichkeit des Selbstausdrucks und positiver Selbstwahrnehmung im Alltag von MmD; somit zählen Musik und Tanz zu den Interventionen, die die Beziehungsgestaltung von MmD positiv beeinflussen können (DNQP, 2019, S. 60). Für die Wirksamkeitsevaluation von Musik und Tanz bei MmD wird im ES „eine jeweils dem Setting angepasste kriteriengeleitete Evaluation“ (DNQP, 2019, S. 66) empfohlen und nicht der Einsatz spezieller Evaluationsinstrumente beschrieben; stattdessen wird das Konstrukt LQ genannt sowie Instrumente, die bei ihrer annähernden Erfassung helfen können (DNQP, 2019, S. 66). Bisher entwickelte Lebensqualitätsmessinstrumente für MmD decken nicht unbedingt alle Bereiche ab, die konkret für die individuelle LQ von Relevanz sind und viele wurden außerdem nur für einen spezifischen Demenzgrad konzipiert; dadurch sind sie nicht über den ganzen Verlauf der Erkrankung anwendbar (Ettema et al., 2005 b, S. 354). Wie Pflegefachkräfte1 (PFK) im Praxisalltag diese Evaluationssituation bewältigen, soll im Rahmen d.A. untersucht werden.
1.2 Fragestellungen und Zielsetzung
Die Forschungsfrage lautet daher: „Wie evaluieren Pflegefachkräfte im Alltag die Wirksamkeit von Musik und Tanz als Interventionen zur Beziehungsgestaltung bei Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Demenz, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben?“ Diese Frage beinhaltet, die in der Praxis angewandten Methoden für die Sammlung von Daten zu erheben. Welche Dokumentationsinstrumente für die Evaluation dieser Interventionen kommen zum Einsatz? Wie findet die Datenauswertung statt? Darüber hinaus werden Erfahrungen und Herausforderungen untersucht, die die PFK bei der Evaluation machen. Mit der Beantwortung dieser Forschungsfragen soll ein Ist-Zustand der Evaluation von Musik- und Tanzinterventionen in der Praxis der befragten Personen beschrieben werden, um eine Gegenüberstellung der Evaluation nach Expertenstandard und der tatsächlich im Pflegealltag angewandten Evaluation vorzunehmen. Aus dieser Gegenüberstellung und der Erkundung von Erfahrungen und Herausforderungen sollen Hinweise für praxistaugliche Verbesserungen einer Evaluation im Pflegealltag gewonnen werden.
1.3 Literaturrecherche
Um eine gute, umfangreiche Literaturrecherche durchführen zu können, die einerseits aktuell und anderseits strukturiert ist, ist es nötig, als Suchstrategie eine Kombination aus der Methode der konzentrischen Kreise, auch Schneeballsystem oder Lawinensystem genannt, und der systematischen Methode anzuwenden (Kornmeier, 2007, S. 117-118). Im nächsten Absatz werden diese Suchstrategien näher erläutert.
Das theoretische Fundament dieser Arbeit bildet zunächst der ES, da seine Themenpräzisierung in der Beziehungsgestaltung von MmD liegt. Außerdem enthält der ES die Zusammenfassung einer internationalen Literaturstudie mit allgemeingültigen Evidenzkriterien. Zahlreiche Studien werden in diesem ES beschrieben, die sich u.a. konkret mit der Wirksamkeit von Musik und Tanz als Interventionen zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von MmD in stationären Pflegeeinrichtungen beschäftigen. Die dortigen empirischen Studienergebnissen sind relevant für den Vergleich von Theorie und Praxis und stellen somit eine wesentliche Basis dar. Das Literaturverzeichnis des ES wurde durchsucht, um weitere Literatur zu finden, so dass rasch der Umfang relevanter recherchierter Literatur wuchs. Diese Suchstrategie entspricht der Methode der konzentrischen Kreise nach Kornmeier (2007), bei der die Recherche mit einer bekannten Veröffentlichung, in diesem Fall der ES, zum gewählten Thema startet (S. 117). Es besteht die Gefahr, nur ältere Veröffentlichungen zu finden und das Risiko, in ein sogenanntes Zitierkartell zu geraten (Kornmeier, 2007, S. 118).
Die systematische Methode wird von Nordhausen und Hirt (2020) so beschrieben, dass das gewählte Thema mit Hilfe von Suchbegriffen sorgfältig und umfassend in Bibliotheken und Fachdatenbanken, die wissenschaftliche Publikationen für bestimmte Fachgebiete verzeichnen, nach aktuellen und relevanten wissenschaftlichen Publikationen gesucht wird (S. 10). Diese Strategie eignet sich für gezielte Suchen, die zwischen sensitivem und spezifischem Rechercheprinzip unterscheiden (Nordhausen & Hirt, S. 14). Die sensitive Recherche hat das Ziel, möglichst alle wichtigen Publikationen zu finden, während es bei einer spezifischen darum geht, die wichtigsten Quellen zu erhalten (Nordhausen & Hirt, S. 14).
Es wurde mit Hilfe von Suchbegriffen nach aktuellen vergleichbaren Studien in Bibliotheken und Fachdatenbanken im Bereich des Gesundheitswesens gesucht. Diese Recherche ergab zunächst keine Treffer. Eine mögliche Ursache dafür kann einerseits sein, dass der ES erst im Mai 2019 veröffentlicht wurde und daher wenig beforscht ist, anderseits die Coronapandemie, die kurz nach der Veröffentlichung dieses ES den Pflegealltag sehr veränderte, und daher vermutlich aktuell im Mittelpunkt der Forschenden steht.
Da Musik und Tanz in der Psychotherapie und der Sozialarbeit häufig angewendet werden und sich ähnliche Herausforderungen bei der Evaluation ergeben, wurde die Suche in diesen Bereichen erneut gestartet. Hier wurden zahlreiche Studien gefunden, die die Wirksamkeit von Musik und Tanz in der Praxis untersuchen, auch in der Arbeit mit MmD. Diese Suchstrategie entspricht der systematischen Methode. Anschließend wurden die Literaturverzeichnisse der gefundenen relevanten Literatur durchsucht und einschlägige Literatur gewonnen, so dass eine Kombination beider Methoden stattfand. Eine genauere Darstellung der Literatursuche ist im Rechercheprotokoll (Anhang 1) zu sehen. Ergänzend wurde bei geeigneten Fachstellen gesucht, z.B. bei Bundesministerien und fachspezifischen Institutionen, wie der Alzheimer Gesellschaft. Darüber hinaus wurde händisch in der ASH-Bibliothek gesucht und auf eigene Literatur und Empfehlungen von Fachleuten zurückgegriffen. Diese Suchvorgänge sind nicht im Rechercheprotokoll aufgeführt.
1.4 Kapitelübersicht
In diesem Abschnitt wird ein Überblick über die Hauptkapitel des theoretischen und empirischen Teils gegeben.
Der theoretische Teil d.A. dient dazu, notwendige Grundlagen für die empirische Untersuchung und die fundierte Beantwortung der Forschungsfragen zu schaffen. Zunächst werden die Demenz, Symptome und Verlauf (Kapitel 2) dargestellt. Es folgt die Erläuterung der für d.A. wesentlichen Inhalte des Expertenstandards Beziehungsgestaltung von Menschen mit Demenz (Kapitel 3). Dazu wird die Struktur des ES gezeigt sowie seine wesentliche Grundlage erläutert, die Person-Zentrierung von Tom Kitwood. Dieses Kapitel wird abgeschlossen mit der Darstellung der Elemente zur Vorbereitung und Durchführung von Interventionen zur Beziehungsgestaltung und -förderung. Im Kapitel Evaluation nach ES (Kapitel 4) wird die fünfte Handlungsebene, die Evaluation, ausführlich beschrieben. Anhand von Studien wird die Bedeutung und die Wirkung von Musik und Tanz als Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung (Kapitel 5) belegt. Den Abschluss des theoretischen Teils stellt die Bedeutung der Beziehungsgestaltung auf die Lebensqualität von Menschen mit Demenz (Kapitel 6) dar. Hier wird zunächst die Pflegebeziehung als Kernaufgabe der Pflege erläutert, verschiedene Definitionen des Konstrukts LQ untersucht, gefolgt von der Darstellung der Messung der LQ bei MmD mit einigen dafür geeigneten und zur Verfügung stehenden Instrumenten.
Im empirischen Teil wird zunächst das Untersuchungsdesign (Kapitel 7) dieser qualitativen Sozialforschung erläutert. Hier wird die angewendete Methode leitfadengestützte Expert*innen-Interviews, der Interviewleitfaden, das Sampling und der Feldzugang näher beschrieben. Des Weiteren werden die für die qualitative Sozialforschung wichtigen Bereiche Ethik und Datenschutz dargestellt, gefolgt vom Ablauf der Interviews und der Datenauswertung. Die empirischen Ergebnisse (Kapitel 8) dienen im Wesentlichen der ausführlichen Darstellung der Untersuchungsergebnisse in vier Hauptthematiken. Selbstentwickelte Beobachtungskriterien und Dokumentationshilfen bei Musik- und Tanzinterventionen (Tabelle 1, S. 48) werden gezeigt. In der Diskussion (Kapitel 9) werden relevante Ergebnisse mit der Theorie kontrastiert und so die Forschungsfragen beantwortet, gefolgt von Limitationen und kritischer Reflektion und Konklusion dieser Studie. Das Fazit und Ausblick (Kapitel 10) bildet den Abschluss dieses Kapitels und der gesamten Arbeit.
I. Theoretischer Teil
Der theoretische Teil befasst sich mit den wesentlichen Inhalten, die als Grundlagen für den empirischen Teil dieser Arbeit notwendig sind und für die begründete Beantwortung der Fragestellung dieser Forschungsstudie wichtig sind.
2. Demenz, Symptome und Verlauf
In diesem Kapitel werden zunächst die Definition und die Arten der Demenz kurz dargestellt, gefolgt von Erläuterungen der Symptome und dem Verlauf dieser Erkrankung, Die Symptome und der Verlauf werden ausführlicher beschrieben, da sie für d.A. relevanter sind.
2.1 Definition von Demenz
Die ICD-10-GM ist die amtliche Klassifikation in 10. Revision zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland, die in Version 2021 anzuwenden ist (BfArM, 2021, ICD-10-GM). Demenz wird dort beschrieben als:
… ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom kommt bei der Alzheimer-Krankheit, bei zerebrovaskulären Störungen und bei anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen. (BfArM, 2021, F00-F03)
Wie bereits in der Definition beschrieben, wird unter dem Begriff „Demenz“ eine uneinheitliche Gruppe von Störungen zusammengefasst. Nach der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. (o.A.) ist die häufigste Form der Demenz die Alzheimerkrankheit, darunter leiden mehr als die Hälfte aller an Demenz erkrankten Menschen (Informationsblatt 1). Die zweithäufigste Form ist die gefäßbedingte Demenzform, also die vaskuläre Demenz (Haberstroh et al., 2011, S. 2). Im Anschluss werden die unterschiedlichen Demenzarten erläutert.
2.2 Arten der Demenz
Die ICD-10 unterscheidet folgende Arten der Demenz:
- Demenz bei Alzheimer-Krankheit (BfArM, 2021, F00)
Es handelt sich um eine primär degenerative zerebrale Krankheit mit unentdeckter Ursache und charakteristischen neuropathologischen und neurochemischen Eigenschaften. Organisch lassen sich Veränderungen und Zerstörungen von Hirngewebe sowie ein Rückgang biochemischer Botenstoffe im Gehirn nachweisen. Der Beginn ist meist schleichend, sie entwickelt sich langsam, aber andauernd über einen Zeitraum von einigen Jahren.
- Vaskuläre Demenz (BfArM, 2021, F01)
Diese Demenzerkrankung tritt infolge einer Infarzierung des Gehirns auf. Die zerebrovaskuläre Hypertonie ist durch arteriosklerotische Prozesse verursacht und der Grund für die meist kleinen Infarkte durch deren Anhäufung das Absterben der betroffenen Gehirnsegmente führt. Der Beginn dieser Demenzart liegt meistens im späteren Lebensalter.
- Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheiten (BfArM, 2021, F02)
Es gibt Demenzformen, bei denen eine andere Ursache vorliegt oder vermutet wird. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, selten in höherem Alter. Hierzu zählen z.B. die Demenz bei der Pick-Krankheit, bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, bei Chorea Huntington, beim primären Parkinson-Syndrom, bei der HIV-Krankheit und die Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheitsbildern, wie u.a. Epilepsie, Multiple Sklerose oder Vitamin-B12-Mangel.
- Nicht näher bezeichnete Demenz mit den jeweiligen Untergruppen (BfArM, 2021, F03) Hierzu gehört die präsenile Demenz mit den Unterscheidungen Demenz und Psychose. Daneben wird die primär degenerative von der senilen Demenz und deren Untergruppen depressiver oder paranoider Typus der Demenz bzw. Psychose abgegrenzt.
2.3 Symptome und Verlauf der Demenz
In diesem Kapitel werden Symptome und Verlauf der Demenz erläutert, die individuell sehr unterschiedlich sind (Kurz, 2013, S. 5) und in der Praxis in drei Schweregrade unterteilt werden (Kurz, S. 10). Die wesentlichen Inhalte dieses Kapitels basieren auf Kurz (2013).
Im frühen Krankheitsstadium stehen Gedächtnisstörungen im Vordergrund, diese betreffen die Erinnerung an frühere Ereignisse sowie die Fähigkeit der Speicherung und des Abrufs von neuen Informationen (Kurz, S. 10). Die MmD können sich Gesprächsinhalte oder Mitteilungen in Zeitung und Fernsehen nicht merken und erinnern sich nur bruchstückhaft an kurz zurückliegende Ereignisse; außerdem finden sie abgelegte Gegenstände nicht und vergessen Verabredungen (Kurz, S. 10). Zusätzlich bestehen Störungen des planenden und organisierenden Denkens, Wortfindungsstörungen und Unsicherheiten der zeitlichen oder örtlichen Orientierung (Kurz, S. 10). Die Fähigkeiten, Urteile zu fällen, vernünftige Abwägungen zu treffen und Probleme zu lösen, sind eingeschränkt, aber nicht aufgehoben; ferner sind MmD meist in der Lage, Vorausverfügungen über ihre künftige Behandlung und Versorgung zu treffen, Geschäfte abzuschließen und ein Testament zu errichten (Kurz, S. 10). Im frühen Krankheitsstadium sind sich die Betroffenen zumindest teilw. über das Nachlassen ihrer Leistungsfähigkeit bewusst und fühlen sich dadurch häufig verunsichert, deprimiert und beschämt (Kurz, S. 10). Das Auftreten von Abwehrmechanismen wie Verschleierung oder Verleugnung von Fehlleistungen, Gebrauch von Ausreden und Rückzug zur Vermeidung von Bloßstellungen ist daher verständlich (Kurz, S. 10). Bei Alltagsaufgaben sind die MmD weitgehend selbständig; bei komplexen Verrichtungen, z.B. bei der Führung des Bankkontos, sind sie jedoch auf Hilfe angewiesen, so dass die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit i.d.R. nicht mehr möglich ist (Kurz, S. 11).
Im mittleren Stadium oder bei einer mittelschweren Demenz ist ein selbständiges Leben nicht mehr möglich, da zeitliche, räumliche und persönliche Desorientierungen vorkommen (Kurz, S. 11). Die MmD benötigen immer mehr Hilfe bei leichten Aufgaben des täglichen Lebens wie Einkaufen, Zubereiten von Mahlzeiten, Körperpflege, Wahl der Kleidung oder Aufsuchen der Toilette (Kurz, S. 11). Auch das Langzeitgedächtnis verschlechtert sich zunehmend, ebenso die Sprache und das Sprachverständnis (Kurz, S. 11). Weitere Symptome können gesteigerte Unruhe, Aggressionen, Wahnvorstellungen und Inkontinenz sein (Kurz, S. 11). Sie sind nicht mehr zeitorientiert: Tageszeit, Wochentag und Datum sowie die Jahreszeit können nicht mehr klar aktualisiert werden; sie verlieren allmählich das Zeitgefühl ganz, verlaufen sich außer Haus oder finden in der Wohnung die Zimmer nicht (Kurz, S. 11). Viele Betroffene können keine vollständigen Sätze mehr bilden und sind dadurch schwer zu verstehen (Kurz, S. 11). Die MmD wissen nicht mehr, wen sie geheiratet oder welchen Beruf sie ausgeübt haben, wie ihre Kinder heißen oder wie alt sie sind; auch die Wahrnehmung des eigenen Krankseins geht weitgehend verloren (Kurz, S. 11). Es ist möglich, dass die MmD sich deutlich jünger fühlen als sie sind: Die längst verstorbenen Eltern werden gesucht oder die alte Arbeit will getan werden (Kurz, S. 11). Oft werden Angehörige2 und auch das eigene Spiegelbild nicht mehr erkannt (Kurz, S. 11). Das Verhalten verändert sich, häufig tritt eine beträchtliche Unruhe auf, die Patienten gehen rastlos auf und ab, laufen ihren Bezugspersonen hinterher, stellen dieselben Fragen immer wieder oder sie wollen ständig die Wohnung verlassen (Kurz, S. 11). Viele MmD zeigen auch gereizte und aggressive Verhaltensweisen; nicht selten treten wahnhafte Befürchtungen und Verkennungen auf (Kurz, S. 12). Am Ende des mittleren Stadiums können Probleme bei der Entleerung von Blase oder/und Darm auftreten (Kurz, S. 12).
Bei einer schweren Demenz nehmen die Abbauprozesse zu und der MmD ist weitgehend von Hilfe abhängig (Kurz, S. 12). In diesem fortgeschrittenen Stadium besteht hochgradiger geistiger Abbau, die Sprache beschränkt sich i.d.R. auf wenige Wörter oder geht ganz verloren (Kurz, S. 12). Die Kontrolle über Blase und Darm sowie über die Körperhaltung geht verloren und viele MmD können nicht mehr ohne Hilfe gehen, benötigen einen Rollstuhl oder werden bettlägerig (Kurz, S. 12). An körperlichen Komplikationen können Versteifung von Gliedmaßen, Schluckstörungen und Krampfanfälle auftreten (Kurz, S. 12). Infektionen treten häufiger auf; die Todesursache ist oft eine Lungenentzündung und nicht die Demenzkrankheit (Kurz, S. 12).
3. Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz
Das Ziel des ES lautet „Jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz erhält Angebote zur Beziehungsgestaltung, die das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten und fördern“ (DNQP, 2019, S. 31). Diese Zielsetzung setzt eine person-zentrierte Haltung der Pflegekräften voraus, d.h., der MmD steht im Mittelpunkt, nicht seine Krankheit und deren Defizite; er wird als Individuum mit seinen eigenen Bedürfnissen wahrgenommen (DNQP, S. 29). Die Fokussierung auf Beziehungsgestaltung stellt eine Wende in der Pflege dar von der funktionalen Pflege hin zu einer person-zentrierten Beziehungsgestaltung bei MmD (DNQP, S. 29). Es geht „ … weniger um das Was der Pflege … , beispielsweise die funktionale Unterstützung im körperlichen Bereich, sondern um das Wie der Pflege … “ (DNQP, 2019, S. 29). Beim Was der Pflege geht es also um Pflegehandlung und ihre exakte Dokumentation; beim Wie, das zum Standard wird, steht dagegen die Haltung der Mitarbeitenden und ihre Kompetenzen zur Beziehungsgestaltung im Vordergrund des neuen ES, der sich damit von allen anderen Expertenstandards deutlich unterscheidet (Hamborg, 2020, S. 48).
Für zugelassene Pflegeeinrichtungen sind die im Bundesanzeiger veröffentlichten Expertenstandards nach Sozialgesetzbuch (SGB XI) unmittelbar rechtlich verbindlich (§ 113 a Abs. 3 Satz 2, 3 SGB XI). Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. der Prüfdienst der Privaten Krankenversicherungen prüft, ob nach aktuellem Stand der Pflegewissenschaft gepflegt und betreut wird; die Nichtumsetzung von Expertenstandards stellt haftungsrechtlich eine Fahrlässigkeit und damit ein Verschulden dar, wobei die PFK die Durchführungsverantwortung trägt, PDL und Einrichtungsleitung die Organisationsverantwortung und somit die Haupthaftungsverantwortung für die Umsetzung der Expertenstandards haben (Theuerkauf, 2017, S. 164-167).
Im Folgenden wird zunächst die Struktur des ES, dann die person-zentrierte Haltung nach Kitwood, gefolgt von Beziehungsgestaltung und -förderung bei MmD dargestellt.
3.1 Struktur des Expertenstandards
Der ES hat die gleiche Struktur wie alle anderen bisher veröffentlichten Expertenstandards (Schmidt, 2020, S. 4). Er beginnt mit allgemeinen Erläuterungen in einer Präambel, gefolgt von tabellarisch aufgeführten Standardkriterien und einer ausführlichen Kommentierung jedes Kriteriums (Schmidt, 2020, S. 4). Er wird unterteilt in Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien und jede Einheit beschreibt die Qualifikationen und Verantwortlichkeiten für jedes Kriterium; insgesamt gibt es zu jeder Einheit fünf Handlungsebenen (DNQP, 2019, S. 31) Die Kriterien der fünften Handlungsebene sind die für die Evaluation wichtigsten Inhalte (Hervorhebung im Anhang 2).
3.2 Person-zentrierter Ansatz nach Tom Kitwood
Die person-zentrierte Pflege (Person-Centred Care/PCC) fußt auf der Theorie von Kitwood (Kitwood, 2019, zitiert nach Güther, 2019, S. 275). Dieser Ansatz stellt die Einzigartigkeit der Person in den Mittelpunkt: „Haltung, Person-Zentrierung, Beziehungsgestaltung und Verstehen (-shypothesen) sind unabhängig vom Vorhandensein einer Demenz immer eine Kernkompetenz der Pflege“ (Schmidt, 2020, S. 220). Erhalt und Stärkung des Personseins ist oberstes Ziel bei der Betreuung von MmD und diese Grundhaltung gegenüber MmD und die positive Arbeit und Beziehung bilden die Basis für eine positive Interaktion und Kommunikation. Gute Demenzpflege beinhaltet einen Remenzprozess, der die Wiederherstellung personaler Funktionen unterstützt und dabei grundlegende Bedürfnisse wie Halt, Trost, Nähe und Geborgenheit sowie soziale Verbundenheit stärkt und dabei Beschäftigung und Identitätsarbeit erleichtert (Kitwood, 2019, S. 147). Liebe, Trost, Sicherheit, Einbeziehung, Beschäftigung und Identität sind demenzspezifische Bedürfnisse, die sich nicht klar voneinander trennen lassen (Kitwood, 2019, S. 148). Der MmD hat wie jede Person unterschiedliche Grundbedürfnisse; deren Befriedigung erlaubt es MmD, sich als Person wahrzunehmen und positive Gefühle zu erleben, daher hängt Pflegequalität in der Betreuung von MmD primär von der Qualität der Pflegebeziehung und der Interaktionsfähigkeit des Pflegepersonals ab (Kitwood, 2019, S. 148-150).
3.3 Beziehungsgestaltung und -förderung bei Menschen mit Demenz
Um MmD so zu erreichen, dass sie sich verstanden, gehört und mit Anderen verbunden fühlen, ist es nötig, dass die PFK die Interaktionen nach den Bedürfnissen, der Persönlichkeit und den Fähigkeiten des MmD gestaltet (DNQP, 2019, S. 53). Zunächst werden die beziehungsgestaltenden und -fördernden Maßnahmen dargestellt, auf denen die Vorbereitung und Durchführung von Interventionen zur Beziehungsgestaltung basieren (DNQP, S. 54):
- Lebensweltorientierung: Die biografiegeleitete Gestaltung des Alltags bildet eine gute Grundlage für eine sicherheitschaffende Beziehungsgestaltung mit einem MmD (DNQP, S. 54). Kennen Pflegende die Biografie des Einzelnen, können sie ihn durch Orientierungshilfen unterstützen und durch Beachtung von Vertrautem auf den MmD eingehen (DNQP, S. 54). Wertlegen auf Rituale im Alltag wie das Aufstehen zu den gewohnten Zeiten und Rituale bei der Körperpflege ermöglicht einen Weg zur Kommunikation (DNQP, S. 54-55).
- Wahrnehmungsförderung: MmD benötigen kontinuierlich Unterstützung bei der Sinneswahrnehmung (DNQP, S. 54). Um die Umwelt wahrnehmen und damit wichtige Informationen aufnehmen zu können, ist eine Bereitstellung und die Nutzung von Hilfsmitteln wie Lesebrille, Hörgeräte oder Zahnprothese absolut notwendig, wobei in diesem Bereich die Beschränkungen durch die Demenz bei notwendigen Neuanschaffungen und Anpassungen erhebliche Schwierigkeiten verursachen (DNQP, S. 54). Diese Aufgaben gehören zum Verantwortungsbereich der Pflegenden (DNQP, S. 54). Eine auf die Fähigkeiten abgestimmte Kommunikation zwischen den MmD und den Pflegenden ist die Basis für die Förderung der Wahrnehmung (DNQP, S. 55). Wichtig ist, die Orientierungshilfen nach den vorhandenen Ressourcen des MmD zu richten (DNQP, S. 56).
- Wertschätzung und Zuwendung: Ein wertschätzender Umgang mit MmD und ihren nächsten Bezugspersonen stellt das Kernelement der person-zentrierten Pflege dar (DNQP, S. 58). Das Ausmaß an Nähe richtet sich nach den Bedürfnissen des MmD; hierfür ist eine Kontinuität der Bezugspersonen wichtig, um Vertrauen und Sicherheit zu ermöglichen; die Maßnahmen hierfür orientieren sich an den aktuellen Situationen (DNQP, S. 58). Eine besondere Situation, wie z.B. ein Krankenhausaufenthalt, erfordert eine besondere Maßnahme; hier kann ein Realitätsbezug hilfreich sein z.B. durch die Information: „Sie sind jetzt im Krankenhaus, weil … “ (DNQP, 2019, S. 58), die klar und deutlich kommuniziert wird (DNQP, S. 58). In anderen Situationen kann ein validierendes Gespräch die richtige Wahl sein (DNQP, S. 58). Wertschätzung erfolgt in der Interaktion und Kommunikation durch das Erkennen der Interessen des MmD wie Gespräche über Familie oder Hobbys (DNQP, S. 58).
- Spezifische Maßnahmen: Zu den spezifischen Maßnahmen gehören Gedächtnisstützen, Geschichten, kombinierte Interventionen, wie z.B. Spaziergänge mit Kommunikation, Konversationen, Kunst, der Einsatz von Puppen, Stofftieren und Sozialrobotern, Reminiszenz, Lebensrückblick und soziale Identität, Snoezelen, Technik, Theater, Begegnung mit Tieren und Zusammenleben mit Haustieren sowie Einsatz von Musik, Singen und Tanz (DNQP, S. 59-61). Diese Maßnahmen sind nicht in allen Pflegeinrichtungen realisierbar, deshalb wird vom ES empfohlen, für die einzelnen Einrichtungen spezifische sowie zielgruppenspezifische Maßnahmen zu entwickeln (DNQP, S. 54).
4. Evaluation nach Expertenstandard
In diesem Kapitel werden die im ES genannten Struktur- (S 5a und S 5b), Prozess- (P 5) und Ergebniskriterien (E 5a und E 5b) jeweils in Unterkapiteln (4.1 bis 4.5) beschrieben. Im Kapitel 4.1 werden über die Darstellungen des ES hinaus die Methoden der nichtteilnehmenden und der teilnehmenden Beobachtung zur Datenerhebung nach Flick (2002) gezeigt.
4.1 Die Pflegefachkraft verfügt über das Wissen und die Kompetenz zur Evaluation beziehungsfördernder und -gestaltender Pflege. (S 5 a)
Wesentliche Inhalte dieses Kapitels basieren auf DNQP (2019). Die PFK hat die Aufgabe, konkrete Fragen zu entwickeln, die für die einzelne Intervention und individuell auf den einzelnen MmD abgestimmt sind und auf folgenden Themen basieren (DNQP, S. 62):
- Stimmung und Affekt: Affekte sind emotionale Verfassungen, die durch Anlässe und Situationen plötzlich entstehen, z.B. Angst, Wut, Trauer, Freude (DNQP, S. 62). Unter Stimmungen werden länger anhaltende emotionale Verfassungen wie Laune oder Gemüt verstanden (DNQP, S. 62). Die Funktion der Affekte ist es, uns und anderen wichtige Informationen über unsere grundlegenden Bedürfnisse mitzuteilen, insbesondere ist dies in der Pflege und Betreuung von MmD von großer Bedeutung, da i.d.R. MmD ihre Gefühlswelt nur eingeschränkt steuern können; jedoch ist der Ausdruck der Affekte intakt (DNQP, S. 62). Anhand ihrer Gestik und Mimik ist deutlich zu erkennen, ob negative oder positive Affekte vorliegen, und gerade negative Affekte und Stimmungen, wie bspw. beim Schreien, gilt es, rasch zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren (DNQP, S. 62). Positive Stimmungen und Affekte deuten auf das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu sein; dagegen können negative Stimmungen und Affekte Anzeichen dafür sein, dass diese Gefühle nicht oder ungenügend befriedigt sind (DNQP, S. 63). Hier hat die PFK die Aufgabe, diese Gefühle wahrzunehmen, zu interpretieren und dementsprechend zu reagieren. Durch Beobachten und Nachspüren sollen Stimmungen und Affekte ermittelt werden, die bei dem MmD in einer gewissen Situation vorherrschen (DNQP, S. 66). „Wie wirkt der Mensch auf mich?“; „Wie äußert er sich verbal?“; „Wie ist seine Körpersprache?“ sind mögliche Fragen, die bei der Evaluation dieser Gefühle hilfreich sein können (DNQP, S. 66).
- Beziehung und Interaktion zu Mitmenschen: Im Verlauf der Demenz sind betroffene Personen immer weniger in der Lage, den gelernten sozialen Regeln gerecht zu werden; dies impliziert eine Herausforderung für die Aufrechterhaltung der Beziehung zu anderen Menschen (DNQP, S. 63). Dies kann Stresssituationen auslösen, wie z.B. Angsterleben, und einen Rückzug verursachen (DNQP, S. 63). Hier ermittelt die PFK, ob der MmD Kontakt zu anderen sucht, wie die Suche stattfindet oder ob er sich zurückzieht (DNQP, S. 63). Im stationären Setting ist die Mitwirkung der Angehörigen unbedingt zu evaluieren, da diese Integration als Kernpunkt person-zentrierten pflegerischen Handelns gilt (DNQP, S. 63). Angehörige sind Träger von Wissen über die MmD und stellen für die Erhaltung der Beziehungen eine wichtige Ressource dar (DNQP, S. 63). Folgende Fragen können bei der Evaluation helfen: „Geht der Mensch auf andere zu?“; „Beteiligt er sich an Gesprächen?“; „Wendet er sich ab?“; „Zieht er sich zurück?“; „Wird der Angehörige in die Pflege des Menschen mit Demenz einbezogen?“ (DNQP, 2019, S. 66)
- Betätigung und Eingebunden-Sein: Die Mitgestaltung der materiellen und personalen Umwelt ist bedeutsam für die Zufriedenheit und LQ eines Menschen (DNQP, S. 63). Dazu gehört, allein oder mit anderen Menschen sinnvoll tätig zu sein (DNQP, S. 63). Die Betätigungen und das Eingebunden-Sein stabilisieren die Psyche und können herausforderndes Verhalten verringern; hierdurch kann der MmD Autonomie, Verbundenheit und Teilhabe erfahren und sich als wirkungsvoll erleben (DNQP, S. 63). Die PFK soll bei der Auswahl der passenden Tätigkeiten auf Kontakt- und Austauschmöglichkeiten achten und diese individuell so ermitteln, dass Biografie, Ressourcen und Interessen berücksichtigt werden und weder über- noch unterfordern (DNQP, S. 63). Bei Menschen im fortgeschrittenen Demenzstadium steht immer mehr die Sensorik im Fokus und Anleitung, Begleitung und Vormachen sind nötig (DNQP, S. 64). Anzeichen für adäquate Tätigkeiten können beobachtet werden, wenn der MmD bei leichten Ablenkungen konzentriert bleibt und nach einem gewissen Zeitpunkt selbständig weiter macht (DNQP, S. 64). Inadäquate Tätigkeiten können sich zeigen durch Starre, häufiges Abbrechen, schnelles Aufgeben, Schläfrigkeit und oder keine Reaktion auf Angebote (DNQP, S. 64). Zur Ermittlung adäquater Aufgaben kann die Frage helfen: „Sind die Aktivitäten der Identität, den sensorischen und motorischen Fähigkeiten, den Bedürfnissen … sowie den Gewohnheiten und Präferenzen … angepasst?“ (DNQP, S. 66)
- Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit: An erster Stelle steht die Gestaltung einer sicheren Umgebung, in der sich der MmD geborgen, aufgenommen und gut aufgehoben fühlt (DNQP, S. 64). Dieser Raum bietet die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, sich zu beschäftigen und zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse (DNQP, S. 64). Im Verlauf der Demenz können Betroffene immer weniger für die eigene Sicherheit sorgen; dies impliziert, dass die PFK für sie diese Aufgabe übernimmt (DNQP, S. 64). Eine sichere Umgebung impliziert das Ausschalten von Gefahren (DNQP, S. 64). Die Integration der Angehörigen in dieses Umfeld kann sich positiv auf die Beziehung der PFK zum MmD auswirken und somit deren Beziehung intensivieren, wodurch sich sein Sicherheits- und Geborgenheitsgefühl verstärkt (DNQP, S. 64). Positive Anzeichen für Wohlbefinden sind z.B. Singen, Lächeln, entspanntes Sitzen (DNQP, S. 64-65). Negative Anzeichen können anhand körperlicher Signale leicht erkannt werden, z.B. anhand von Zittern, Schwitzen oder Weggehen sowie deutliche verbale Äußerungen, wie das Rufen oder Schreien (DNQP, S. 65). Fragen für die Einschätzung und Evaluation in diesem Bereich sind: „Beteiligt sich der MmD am Gruppengeschehen?“; „Hält er sich viel in seinem Zimmer auf, ggf. auch mit Angehörigen?“; „Hat er Freude an schön empfundenen Gegenständen/Bildern?“; „Zieht er sich in seine eigene Welt zurück?“; „Wirkt er entspannt und kann er Situationen genießen?“; „Vermeidet er Augenkontakt?“; „Ist er unruhig?“ (DNQP, 2019, S. 66)
Bei Menschen im fortgeschrittenen Stadium der Demenz kann die PFK-Stimmungen und Affekte, Beziehungen und Interaktionen zu Mitmenschen, Betätigung und Eingebunden-sein sowie Anzeichen für das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit größtenteils nur durch Beobachtung und nicht durch Befragen ermitteln (DNQP, S. 62). Die Einschätzung zu diesen Dimensionen und zum laufenden Beziehungsprozess wird im Berichteblatt dokumentiert und in Fallbesprechungen besprochen und ausgewertet (DNQP, S. 62). Deswegen wird hier nur der Vergleich der nichtteilnehmenden und der teilnehmenden Beobachtung als Methoden zur Erhebung visueller Daten gegenübergestellt3 (Abbildung 2). Die Fähigkeit zur Beobachtung ist eine Alltagskompetenz, die methodisch und systematisch in der Sozialforschung Anwendung findet; nicht nur visuelle Wahrnehmungen, sondern auch das Hören, Fühlen und Riechen gehören dazu (Adler & Adler, 1998, zitiert nach Flick, 2002, S. 200). Besonders wichtig ist es, dass sich die Anwender über die Grenzen und Probleme bewusst sind, die diese Beobachtungsverfahren mit sich bringen (Flick, 2002, S. 234-242).
Abbildung 1
Vergleich der nichtteilnehmenden und der teilnehmenden Beobachtung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung. Entnommen aus Flick (2002, S. 236).
4.2 Die Einrichtung stellt sicher, dass die Pflegefachkraft sowie andere an der Pflege Beteiligte ihre Beziehungsgestaltung zu den Menschen mit Demenz reflektieren können. (S 5 b)
Die Reflektion beinhaltet einen Perspektivenwechsel der PFK, in der die Beziehungen, Interaktionen und Maßnahmen bewusst aus einer Außenperspektive betrachtet werden (DNQP, 2019, S. 65). Es geht darum, die Situation aus der Sicht des MmD und anderer am Pflegeprozess beteiligten Personen zu betrachten und mit der eigenen Wahrnehmung zu vergleichen (DNQP, S. 65). Die Reflektion benötigt eine verstehende Haltung und hilft dabei, sich von der funktionalen Pflege zu lösen und sich zu einer personenzentrierten Beziehungsgestaltung hinzuorientieren (DNQP, S. 65). Eine stabile verlässliche tolerante Beziehung zwischen den Pflegenden und den MmD kann durch „Nähe mit Distanz“ (DNQP, 2019, S. 65) aufgebaut werden. Auf der Basis der im Einschätzungs- und Planungsprozess entwickelten Verstehenshypothese, die durch die Reflektion ständig weiterentwickelt wird, können natürliche Situationen erzeugt werden, in denen der MmD wirklich teilhaben kann (DNQP, S. 65). Wertschätzender und angemessener Umgang mit MmD ist dann möglich, wenn sein Verhalten besser verstanden wird (DNQP, S. 43). Die Verstehenshypothesen für jeden MmD über sein Erleben und Verhaltensweisen ermöglichen, sich angemessener zu verhalten (DNQP, S. 43). Wichtig sind in jedem Fall biografische Informationen über die MmD sowie die Unterstützung durch die Leitungsebene, denn ohne besondere Kenntnisse kann dieses Ziel nicht erreicht werden; daher sollen PFK durch Fort- und Weiterbildungen diese Fähigkeiten gewinnen (DNQP, S. 29-30). Fallbesprechungen bieten eine gute Möglichkeit zur Reflektion pflegerischen Handelns (Langner, 2020, S. 144). Im Mittelpunkt für die Entwicklung der Verstehenshypothese stehen im ES drei zentrale Fragen (DNQP, 2019, S. 43):
- „Wie erlebt die Person sich selbst, andere Menschen und ihre Welt?
- Aus welchem Denken, Fühlen und Erleben heraus ergeben die Verhaltensweisen, Befindlichkeiten und Erscheinungsweisen einen subjektiven Sinn?
- Was ist die Funktion von Verhaltensweisen, was wird mit dem Verhalten kompensiert, auf welche inneren Antriebe, Fragen, Themen gibt das Verhalten eine Antwort?“
Ziel der Verstehenshypothese ist es, die innere Motivation der Handlungen des MmD zu verstehen und herauszufinden, welche Problemlösung durch das Verhalten angestrebt wird und worin der subjektive Sinn und mögliche Ziele liegen (Langner, 2020, S. 56).
4.3 Die Pflegefachkraft überprüft laufend die Wirksamkeit der beziehungsfördernden und -gestaltenden Maßnahmen. Sie nimmt in Absprache mit dem MmD, seinen Angehörigen sowie allen an der Pflege Beteiligten gegebenenfalls Änderungen am Maßnahmenplan vor. (P 5)
Die Evaluation der Wirksamkeit beziehungsfördernder und -gestaltender Maßnahmen zum MmD ist nur vor dem Hintergrund einer person-zentrierten Beziehung möglich, das Ziel ist daher, dass Betroffene sich gehört, verstanden, angenommen sowie mit anderen Personen verbunden fühlen (DNQP, 2019, S. 66). Die Tatsache, dass MmD im Verlauf ihrer Erkrankung die Beziehung zu den Pflegepersonen sowie die tatsächliche Qualität der Pflegeleistung immer weniger beurteilen können, hat erhebliche Auswirkungen auf die Evaluationssituation (DNQP, S. 66). Um einschätzen zu können, wie der MmD die Qualität der person-zentrierten Pflege wahrnimmt, sollte eine überlegte Evaluierung z.B. durch Nachfragen und Nachspüren durch die PFK stattfinden (DNQP, S. 66). Daher wird „eine jeweils dem Setting angepasste kriteriengeleitete Evaluation“( DNQP, 2019, S. 66) und nicht der Einsatz spezieller Evaluationsinstrumente empfohlen (DNQP, S. 66).
Demenz ist eine fluktuierende Krankheit; somit ist das Risiko einer Über- oder Unterforderung der MmD häufig gegeben, woraus sich die Komplexität dieses Evaluationsvorgangs erklärt; auch die Einbeziehung aller am Pflegeprozess Beteiligten kann dazu führen, dass leicht Fehlinterpretationen entstehen (DNQP, S. 67). Deshalb erfordert die Pflegeplanung eine Bandbreite für gute und schlechte Tage sowie für eine zeitnahe Korrektur (DNQP, S. 67). Die Verantwortung für die tägliche Evaluation der angewandten Interventionen trägt die PFK, die durch den täglichen Kontakt mit den Betroffenen Anzeichen einer Über- oder Unterforderung erkennen kann und zeitnah die Maßnahmen anpasst (DNQP, S. 67).
An erster Stelle der Evaluation steht die Befragung und Beobachtung des MmD (DNQP, 2019, S. 67). Die Fragen an den MmD orientieren sich am „Hier und Jetzt“ (DNQP, 2019, S. 67) und werden einfach und gut strukturiert formuliert, so dass sie mit einfacher Möglichkeit beantwortet werden können (DNQP, S. 67). Alle anderen im Pflegeprozess beteiligten Menschen werden auch befragt, zu denen z.B. Angehörige, Therapeuten, Alltagsbegleiter und Sozialarbeiter zählen (DNQP, S. 67). Angehörige können im Pflegeprozess integriert werden und mit der PFK eine gemeinsame Sorgehaltung für den MmD entwickeln und z.B. bei der Erstellung der Anamnese und Pflegeplanung einbezogen werden (DNQP, S. 67). Eine erfolgreiche Integration der Angehörigen kann z.B. bei Teamrunden, Fallbesprechungen oder/und Befragungen überprüft werden (DNQP, S. 67).
4.4 Der MmD zeigt Anzeichen für den Erhalt und die Förderung seines Gefühls, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein. (E 5 a)
Eine person-zentrierte Pflege impliziert die Fokussierung auf Stimmung und Affekt, ganz besonders auf Beziehung und Interaktion zu Mitmenschen, auf Betätigung und Eingebunden-Sein sowie auf Sicherheit und Geborgenheit; dafür ist es wichtig, dass die Evaluation aus der Perspektive des MmD gesehen wird, damit die Anhaltspunkte für beziehungsfördernde Pflege einschätzt werden können (DNQP, 2019, S. 67). Das DNQP (2019) stellt in den Vordergrund, vorhandene Ressourcen zu nutzen und die Selbstbestimmung des MmD zu ermöglichen (S. 67). Das Ziel ist es, aus der Sicht des MmD einen sinnvollen Tag zu erleben, in dem ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Zugehörigkeit und Selbstbestimmung herrscht. Selbstbestimmung kann das Bedürfnis implizieren, sich zurückzuziehen oder allein zu sein, aber auch das Gefühl des Eingebunden-Seins sowie der Teilhabe und Betätigung (DNQP, S. 67). Die PFK wägt ab, was der MmD einerseits für sich in Anspruch nimmt und was andererseits als vertretbar und geeignet erscheint (DNQP, S. 68).
4.5 Verlaufsbeobachtungen dieser Anzeichen sind nachvollziehbar dokumentiert und Änderungen im Maßnahmenplan sind bei Bedarf vorgenommen. (E 5 b)
Wahrgenommene Anzeichen für den Erhalt und Förderung des Gefühls gehört, verstanden, angenommen und mit anderen Personen verbunden zu sein, werden verstehbar dokumentiert; damit ist die Dokumentation der Wirkung der angewandten Maßnahmen gemeint (DNQP, 2019, S. 68). Bei Bedarf wird die Pflegeplanung angepasst, und da die Demenz eine fluktuierende Erkrankung ist, ist eine genaue Dokumentation maßgebend, weil sie die Grundlage für Fallbesprechungen und andere Arten der Reflektion bilden kann (DNQP, S. 68). Für die Dokumentation der Standardinhalte können Formulare genutzt werden, wie Risikoassessment nach Bedarf des Pflegesettings, Pflegeanamnese bzw. SIS, Pflegeplanung bzw. Tagesstruktur, Pflegeberichte, Informations- und Schulungsmaterial, Beratungsformular und Fallbesprechung, ggf. mit Verstehenshypothese (Schmidt, 2020, S. 219-220). Schmidt (2020) weist daraufhin, dass der ES für die Evaluation keine exakte Häufigkeit angibt, denn sie richtet sich nach den Wohlbefinden und dem Bedarf der MmD (S. 219).
5. Musik und Tanz als Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung
„Ohne Musik wär’ alles nichts.“ (Wolfgang Amadeus Mozart 1756 – 1791)
Die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG) stellt für MmD fest, dass „… die emotionalisierende Wirkung von Musik … die Gefühlsleere füllen und die Erstarrung verflüssigen kann.“ (DMtG, 2021, Geriatrie/Demenz). Musik dient als Erinnerungsträger, weckt meist positive Assoziationen; aktives Musizieren und Singen fördert Wachheit und Sozialkontakte und ein MmD, der die Orientierung zu sich selbst verloren hat und seinen Namen nicht mehr aussprechen kann, kann aber mühelos ein vielstrophiges Volkslied singen; somit trägt diese Erfahrung zum Identitätserhalt, zum Angstabbau und somit zu einem erheblichen Stück LQ bei (DMtG, Geriatrie/Demenz).
Im Folgenden wird die allgemeine Bedeutung von Musik und Tanz (5.1) und die Wirkung von Musik- und Tanzinterventionen bei Menschen mit Demenz (5.2) erläutert. Von den im ES vorgestellten zahlreichen Studien wird hier eine Auswahl von drei Studien zu Musik- und Tanzinterventionen vorgestellt, die verschiedene Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung zum Gegenstand haben. (DNQP, 2019, S. 121). Eine weitere neuere Studie hebt sich durch einen selbstentwickelten Beobachtungsbogen hervor, mit dem die Wirksamkeit von Musikinterventionen beurteilt werden kann.
5.1 Bedeutung von Musik und Tanz
Dieser Absatz basiert auf den Ausführungen des DNQP (2019) zu Singen, Musik und Tanz. Danach stellt Musik eine wichtige Brücke zum MmD dar, die unter Berücksichtigung von persönlichen Vorlieben Bestandteil des Alltags sein kann; das Tanzen kombiniert Musik und Bewegung und erlaubt die Möglichkeit zu Selbstausdruck und positiver Selbstwahrnehmung (DNQP, S. 60). Musik wird auch als Möglichkeit dargestellt, die Beziehungsgestaltung von MmD positiv zu beeinflussen, so kann die PFK Musik, Tanzen und Singen im Pflegealltag integrieren, indem sie z.B. mit den MmD während der Körperpflege und der Mobilisation singt oder spontan ein Tänzchen, welches langes Sitzen unterbricht, kreativ in den Alltag als Interaktion integrieren (DNQP, S. 60). Auch Menschen, die nicht mehr in der Lage sind zu stehen, können mit Musik angeregt werden, sich im Sitzen zu bewegen (DNQP, S. 60). Laut Beurteilung der Expertenarbeitsgruppe des DNQP (2019) sind diese Maßnahmen ideal, um soziale Interaktion und Beziehung zu fördern, zudem kann Entspannungsmusik auch als Einschlafhilfe genutzt werden (S. 60). Aus den zahlreichen Studien zur Wirksamkeit von Musik und Tanz, die im ES dargestellt werden, kann entnommen werden, dass Musik und Tanz meist positive Auswirkungen haben und diese Interventionen eindeutige Vorteile bieten (DNQP, S. 125).
5.2 Wirkung von Musik- und Tanzinterventionen bei Menschen mit Demenz
Von Fischer und Glanzmann (2016) wird die Wirkung der Musikinterventionen auch bei einem hohen Grad an neuronaler Degeneration aufgrund der Ergebnisse der neueren Hirnforschung als möglich angesehen (S. 77).
Im Folgenden werden zunächst drei Studien vorgestellt, die eine positive Wirkung von Musik und Tanz auf die Beziehungsgestaltung von MmD belegen. Die erste ist eine qualitative Beobachtungsstudie von Götell et al. (2009), die sich mit dem Einfluss von Musik auf die Emotionen von MmD beschäftigt. Die zweite ist eine Fallstudie von Kydd (2001), die sich mit der Auswirkung von Musiktherapie eines MmD bei dem Übergang vom häuslichen Umfeld in eine stationäre Einrichtung beschäftigt. Die dritte Studie ist ein Review von Guzmàn-Garcìa et al. (2013), die systematisch Ergebnisse von durchgeführten Studien über Tanzinterventionen für ältere MmD in Pflegeheimen überprüft. Anschließend wird eine aktuelle Studie von Weise et al. (2020) gezeigt, die sich den unmittelbaren Reaktionen von MmD auf individualisierte Musik widmet und einen neuen und in deutscher Sprache entwickelten Verhaltensbeobachtungsbogen vorstellt.
In der qualitativen Beobachtungsstudie The influence of caregiver singing and background music on vocally expressed emotions and moods in dementia care. A qualitative analysis, untersuchen Götell et al. (2009) die These, Musik und Gesang habe einen starken Einfluss auf die menschlichen Emotionen (S. 422). Dieser Effekt wurde in Pflegeeinrichtungen für MmD nachgewiesen (Götell et al., S. 422). Ziel dieser Studie ist es, die Emotionen und Stimmungen zu beleuchten, die in der Kommunikation zwischen Pflegepersonen und Menschen mit schwerer Demenz während der morgendlichen Pflege zum Ausdruck kommen (Götell et al., S. 424). Es wurden drei Situationen verglichen: Die übliche Pflegesituation ohne Musik, die mit Hintergrundmusik und die mit der singenden Pflegekraft; die Teilnehmer*innen waren neun Menschen mit schwerer Demenz, die in einem Pflegeheim in Schweden leben und fünf professionell Pflegende (Götell et al., S. 424). Es wurde eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt unter Verwendung von Videoaufzeichnungen; der Fokus lag auf stimmlich zum Ausdruck gebrachten Emotionen und Stimmungen während der verbalen Kommunikation (Götell et al., S. 425). Aussagen von MmD und deren Pflegenden wurden transkribiert und analysiert, um Gefühle und Stimmungen positiv oder negativ zu beurteilen (Götell et al., S. 425). Bei dem Vergleich zwischen den Pflegesituationen wurde festgestellt, dass mit Hintergrundmusik eine gesteigerte Leichtigkeit bei den MmD beobachtbar war; außerdem wurde verbal und nonverbal mehr und ausdrucksvoller kommuniziert und es zeigten sich längere Phasen der nonverbalen Verbundenheit zwischen den MmD und den Pflegenden (Götell et al., S. 425). Beim Singen oder Summen der PFK für oder mit dem MmD zeigte sich eine verbesserte Reziprozität der Kommunikation zwischen Pflegenden und dem MmD, ein gemeinsames Gefühl der Vitalität; positive Emotionen verstärkten sich und die Aggressivität nahm bei MmD ab (Götell et al., S. 425). Das Gefühl der Freude, Aufrichtigkeit und Intimität in der Interaktion zwischen Pflegenden und MmD verbesserte sich (Götell et al., S. 427). Hintergrundmusik und Singen der PFK können helfen, die Fähigkeiten von MmD zu verbessern, positive Emotionen und Stimmungen auszudrücken (Götell et al., S. 427-428). Die Ergebnisse der Studie unterstützen auch den Wert des Singens der Pflegenden als Methode zur Verbesserung der Qualität in der Pflege und Betreuung von MmD sowie ihrer LQ (Götell et al., S. 429).
Kydd (2001) stellt in ihrer Studie Using music therapy to help a client with Alzheimer’s disease adapt to long-term care fest, dass Musiktherapie als Einzel- oder Gruppenaktivität eine Möglichkeit bietet, wichtige Ressourcen eines MmD zu erhalten und zu nutzen, die beim Einzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung benötigt werden (S. 103). Ziel dieser Fallstudie ist es zu veranschaulichen, wie Musiktherapie eingesetzt werden kann, um älteren Menschen zu helfen, sich erfolgreich auf das Leben in einer stationären Pflegeeinrichtung einzustellen (Kydd, S. 103). Besonders die Menschen mit Alzheimer-Demenz haben Anpassungsschwierigkeiten bei Veränderungen des Lebensstils und reagieren häufig mit Verhaltensweisen wie Depression, Entzug, Angst, emotionale Schwankungen und Gedächtnisstörungen (Kydd, S. 103). Individuelle Interventionen als Einzelmusiktherapie, Musizieren mit Instrumenten und gemeinsames Singen mit professionellen Musiktherapeuten halfen im Rahmen dieser Fallstudie bei der Anpassung an das Leben in einer stationären Pflegeeinrichtung (Kydd, S. 103). Durch die Interventionen wurden Ressourcen so gestärkt, dass bei diesem MmD nach der Therapie sogar die Teilnahme an Gruppentherapien möglich war, was zuvor auf Grund der Verhaltensweisen nicht der Fall war (Kydd, S. 106). Die LQ des MmD und seine Beziehungen zu Pflegenden, Angehörigen und Mitbewohnenden verbesserten sich deutlich, der MmD wirkte glücklicher und sein Sozialverhalten wurde wahrnehmbar freundlicher (Kydd, S. 107). Kydd (2001) nutzte als Methode die unstrukturierte Beobachtung von Verhaltens- und Erlebensweisen sowie eigene Beschreibungen und Interpretationen (S. 107). Nach einigen Wochen konnte der MmD die volle Musiktherapiesitzung nutzen und mit 20-minütiger Aufmerksamkeitsspanne teilnehmen (Kydd, S. 107-108).
Das Review Dancing as a Psychosocial Intervention in Care Homes: a Systematic Review of the Literature der Demenzforscher Guzmàn-Garcìa et al. (2013) erstreckte sich von 1967 bis 2012 und hatte das Ziel, eine systematische Überprüfung der Ergebnisse von Studien über Tanzinterventionen für ältere MmD in stationären Pflegeeinrichtungen durchzuführen und ihre Relevanz für die Praxis herauszufinden (S. 914). Ziel dieser Überprüfung war es, das Bewusstsein für die Möglichkeit der Durchführung von Tanzarbeit als engagierte Aktivität in Pflegeheimen zu schärfen; insgesamt wurden zehn Studien eingeschlossen, die die Aufnahmekriterien erfüllten, von denen sieben qualitative und drei quantitative Studien waren (Guzmàn-Garcìa et al., S. 916). Die Studien verwendeten verschiedene Ansätze, wie therapeutischen Tanz, Tanzbewegungstherapie, Tanztherapie, Social Dance und psychomotorische Tanzübungen (Guzmàn-Garcìa et al., S. 915). Wesentliche Ergebnisse der untersuchten Studien nach Tanzveranstaltungen sind: problematische Verhaltensweisen nahmen bei MmD ab, soziale Interaktion, Kognition und Stimmung verbesserten sich sowohl bei den Bewohnenden als auch beim Pflegepersonal (Guzmàn-Garcìa et al., S. 922). In den meisten Studien zeigte sich, dass das Tanzen soziale Interaktion und Kommunikation stimuliert und damit der Isolation von MmD entgegenwirkt, und durch das Tanzen verbesserte sich die Interaktion zwischen Mitarbeitenden und Bewohner*innen (Guzmàn-Garcìa et al., S. 922). Deutlich negative Auswirkungen des Tanzens bei den MmD wurden nicht beobachtet; jedoch wurde von einigen Mitarbeitenden Zurückhaltung, Irritationen und Angstgefühle bei Teilnehmenden beobachtet; es wurde auch auf mangelnde Motivation durch Bedenken wegen unzureichender Organisationsstruktur verwiesen (Guzmàn Garcia et al., S. 921-922).
Die drei bisher vorgestellten Studien benennen keine exakten Beobachtungkriterien für die Evaluation ihrer Interventionen, stattdessen werden meistens Hauptkategorien der Beobachtungen genannt, wie z.B. Stimmungen, Gefühle, Körpersprache und Verhaltensweisen. Untergeordnete Kategorien, wie bei der Körpersprache z.B. die Augenbewegung und ihre Bedeutung, können nicht eingesehen werden. Wie wird beispielweise ein Fußwippen interpretiert? Positiv als ein Zeichen von Mitmachen und Mitgehen mit der Musik oder negativ als Ausdruck für Unruhe, genervt sein oder Ablehnung dieser Musik. Solche wichtigen Details bleiben bei der Lektüre dieser Studien unklar, da sie keine Einsicht in die benutzten Beobachtungsinstrumente geben.
Daher wird in diesem Absatz eine letzte Studie vorgestellt, die Einsicht in einen neuen selbstentwickelten Beobachtungsbogen (Anhang 3) erlaubt. Die Studie von Weise et al. (2020) mit dem Titel Unmittelbare Reaktionen von Menschen mit Demenz auf individualisierte Musik hat das Ziel, mit Hilfe ihres Beobachtungsbogens zur systematischen Verhaltensbeobachtung, im Rahmen einer Pilotstudie unmittelbare Auswirkungen einer individualisierten Musikintervention bei MmD, in einem Pflegeheim zu erfassen und auszuwerten (S. 309). 20 Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Demenz, ohne schwere Hörprobleme, wurden vor, während und nach der Intervention des Musikhörens über MP3-Spieler mit Kopfhörern über vier Wochen beobachtet (Weise et al., S. 309). Die Musikintervention fand jeden zweiten Nachmittag für 30 Minuten statt und wurde nach individuellen Präferenzen ausgewählt (Weise et al., S. 309). Es wurde beobachtet, dass die MmD während und nach der Musikintervention deutlich mehr positive Reaktionen wie Freude und Entspannung als vor der Intervention zeigten; die häufigsten Reaktionen waren Lächeln, Bewegungen zur Musik, aufmerksames Zuhören, Wachheit, Interesse ‑ soziale Kontakte und andererseits waren signifikant seltener Anspannung und Traurigkeit zu beobachten (Weise et al., S. 313). Der Beobachtungsbogen erweist sich als geeignet und praktikabel, um Erleben und Verhaltensweisen von MmD umfangreich zu dokumentieren (Weise et al., S. 317).
6. Bedeutung der Beziehungsgestaltung für die Lebensqualität
In diesem Kapitel wird zunächst die Pflegebeziehung (6.1) und die Wichtigkeit der pflegerischen Kompetenz zur Beziehungsgestaltung bei MmD beschrieben sowie der Einfluss der Beziehung auf die LQ. Im nächsten Abschnitt Lebensqualität (6.2) wird zuerst die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dargestellt, die die Grundlage für viele andere Definitionen bildet, gefolgt von einem Review von Ettema et al. (2005 a) über LQ im Alter und LQ von MmD. Danach wird im Abschnitt Messung der Lebensqualität bei Menschen mit Demenz (6.3) der Frage nachgegangen, wie Wohlbefinden gemessen werden kann. Die folgenden drei etablierten Instrumente zur Einschätzung des Wohlbefindens (6.4), Quality of life in Late-Stage Dementia (QUALID Scale), das Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen (H.I.L.D.E.) und das Dementia Care Mapping (DCM) werden am Ende dieses Kapitels näher vorgestellt.
6.1 Pflegebeziehung
Schmidt (2020) erklärt, dass wegen der demografischen Entwicklung und dem dadurch steigenden Pflegenotstand eine eigentliche Kernaufgabe der Pflege, wie z.B. eine gute Pflegebeziehung zu gestalten, in den Hintergrund geraten sei; dies habe schleichend dazu geführt, dass funktionale Aspekte in allen Pflegebereichen an Gewicht gewinnen (S. 201). Pflegende können aufgrund von Zeitmangel und Leistungsdruck die wichtige Aufgabe der Gestaltung einer Pflegebeziehung nicht erfüllen (Schmidt, S. 201). Gerade Menschen mit kognitiven oder kommunikativen Einschränkungen sind diejenigen, die am stärksten betroffen sind, da sie nicht in der Lage sind, adäquat auf Strukturen und Situationen in Pflegeeinrichtungen zu reagieren; sie werden „deshalb als ‚unkooperativ‘, ‚störend‘ und ‚zeit- bzw. arbeitsaufwändig‘ betrachtet“ (Schmidt, S. 201). Nach Schmidt (2020) verdeutlichen die Aussagen des ES die große Bedeutung der Kompetenz Beziehungsgestaltung in der Pflege von MmD sowie der Einfluss der Beziehung auf die Lebensqualität (S. 201).
Nach der Konsistenztheorie des Psychotherapieforschers Grawe (2004) gibt es vier empirisch gut belegte Grundbedürfnisse, die jeder Mensch befriedigen will, um sich wohl zu fühlen; dazu gehören Kontrolle und Orientierung, Lusterleben und Unlustvermeidung, Selbstwerterhöhung und Bindung; alles, was mit sozialer Beziehung zu tun hat, also die Möglichkeit zu Interaktionen mit z.B. Freunden, Familie und Bekannten, spielt eine wesentliche Rolle im Bereich der Bindung, wobei positive Wahrnehmungen zu Spannungsminderung und Wohlbefinden führen (Stucki & Grawe 2007, S. 18). Fischer und Glanzmann (2016) postulieren über die positive Wirkung von musiktherapeutischen Interventionen, die durch Respekt und Hochachtung gegenüber den MmD geprägt sind, die Vermutung, dass das Gefühl der Selbstwirksamkeit und dadurch auch die LQ gestärkt wird (S. 77).
Der ES legt den Fokus auf Beziehung und zielt damit auf Wohlbefinden von MmD ab; was durch persönliche Beziehungsgestaltung zu mehr LQ bei MmD führt; durch personenzentrierte Interaktions- und Kommunikationsangebote wird die Beziehung zwischen dem MmD und seinem sozialen Umfeld erhalten und gefördert, da Beziehungen für den MmD zu den wichtigsten Faktoren gehören, die die LQ positiv beeinflussen (DNQP, 2019, S. 29).
In der Literatur sind zahlreiche verschiedener LQ-Definitionen beschrieben. Die besondere Bedeutung der Beziehungsgestaltung für die LQ von MmD erklärt sich aus dem Inhalt folgender Definitionen von LQ.
6.2 Lebensqualität
Die WHO definiert Lebensqualität (Quality of Life (QOL)) in Anlehnung an den subjektiven Gesundheitsbegriff der WHO als:
… individuals perception of their position in life individuals in the context of the culture and value systems in which they live and in relation to their goals, expectations, standards and concerns. It is a broad ranging concept affected in a complex way by the person's physical health, psychological state, level of independence, social relationships, personal beliefs and their relationship to salient features of their environment. (WHO, 1997, S. 1)
Ettema et al. (2005 b) definieren LQ von MmD als „the multidimensional evaluation of the person-environment system of the individual, in terms of adaption to the perceived consequences of the dementia“ (Ettema et al., 2005 b, S. 353). MmD müssen sieben Anpassungsaufgaben bewältigen: 1) Mit den persönlichen Defiziten fertig werden, 2) Entwickeln einer adäquaten Pflegebeziehung, 3) Bewahren einer emotionalen Balance, 4) Behalten eines positiven Selbstbilds, 5) Sich vorbereiten auf eine ungewisse Zukunft, 6) Entwickeln und aufrechterhalten von sozialen Beziehungen und 7) Zurechtkommen mit dem Umfeld der Pflegeeinrichtung (Ettema et al., S. 361). Diese Definition von Ettema et al. (2005 b) basiert auf dem Adaption-Coping Modell von Dröes (1991), welches auf der Bewältigungstheorie von Lazarus und Folkmann basiert (1984) sowie der Krisentheorie von Moos und Tsu (1977) (Ettema et al., S. 361). Die sieben hier genannten Anpassungsaufgaben werden als wichtige Dimensionen der LQ verstanden (Ettema et al., S. 361). Das Modell von Ettema et al. (2005 b) zur LQ betont die Bedeutung von Anpassung und psychosozialen Dimensionen und vor allem das In-Beziehung-stehen von MmD als bedeutsame Dimension für die LQ von MmD (Ettema et al., S. 353). Daraus entwickelt Ettema et al. (2005 b) die Hypothese, dass auch bei schwerer Demenz eine hohe LQ möglich ist, da hier LQ das Ergebnis gelungener oder weniger gelungener Anpassung ist (Ettema et al., S. 364). Dies ist relevant für MmD, Angehörige und Pflegende, weil es die Möglichkeit für die Entwicklung von psychosozialen Interventionen zur Förderung der LQ und ihrer Evaluation bietet (Clare et al., 2014, S. 2-3).
O’Rourke et al. (2015) identifizieren vier Faktoren, die die LQ aus Sicht von MmD beeinflussen: Beziehungen, wahrgenommenes Wohlbefinden, Selbstbestimmtheit im Leben und Lebensumfeld; alle stehen miteinander in Verbindung; sie können jeweils positiv oder negativ ausgebildet sein und beeinflussen die LQ maßgebend (O’Rourke, S. 28). Beziehungen werden durch O’Rourke et al. näher definiert als liebevoller, freundlicher sowie respektvoller Kontakt zu anderen Menschen (O’Rourke, S. 29). Unter wahrgenommenem Wohlbefinden kann u.a. die Ausprägung und persönliche Bedeutsamkeit von gesundheitsbezogenen Faktoren, wie z.B. Schmerzempfinden, verstanden werden (O’Rourke, S. 30). Zur Selbstbestimmtheit im Leben gehört zusammengefasst, dass eine Person autonom und selbständig das eigene Leben gestalten und persönliche Ziele erreichen kann (O’Rourke, S. 29). Unter Lebensumfeld sind die individuelle Beziehung zum Wohnumfeld und das Gefühl zu verstehen, sich zu Hause zu fühlen (O’Rourke, S. 29). Die Verknüpfung zwischen allen vier Faktoren ist das Gefühl Verbunden-zu-sein (O’Rourke, S. 29). Sich-verbunden-fühlen ist assoziiert mit glücklich und traurig sein als Indikatoren guter oder schlechter LQ (O’Rourke, S. 31). Mit Sich-verbunden-fühlen als zentrale Verbindung zwischen den vier Faktoren fokussiert das Modell auch auf die Anpassung des MmD hinsichtlich der Veränderungen im Leben durch die Demenz (O’Rourke, S. 31). Es schließt die vorhandene oder nicht vorhandene Unterstützung bei der Anpassung durch das Umfeld des MmD ein. (O’Rourke, S. 30). Beziehung beinhaltet Interaktionen; das bedeutet, dass der MmD die Möglichkeit hat, mit anderen Menschen zu kommunizieren (O’Rourke et al., S. 29). Die Prägung dieser Interaktionen ist entscheidend für die LQ, so führt eine positive Prägung der Interaktionen, z.B. durch Respekt, Freundlichkeit oder Liebe, zu einer erhöhten LQ (O’Rourke et al., S. 29).
Laut Dichter und Halek (2019) betonen theoretische Definitionen und Modelle zur LQ von MmD die Individualität der LQ und die Bedeutung von psycho-sozialen Dimensionen (S. 102). LQ wird immer häufiger als das Ergebnis einer gelungenen oder nicht gelungenen Adaption verstanden und diese Perspektive eröffnet die Möglichkeit, dass auch im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz die LQ gut sein kann (Dichter & Halek, S. 102). Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit, dass Interventionen zur Unterstützung der Adaptionsfähigkeiten des MmD, einen Beitrag zu einer guten LQ leisten können (Dichter & Halek, S. 102).
6.3 Messung der Lebensqualität bei Menschen mit Demenz
Laut Corner (2003) ist es schwierig, zu ermitteln, was die LQ einer Person mit Demenz anbelangt und welche Aspekte damit zusammenhängen (S. 7). Die Messung dieser Aspekte gestaltet sich noch schwieriger (Corner, S. 7). Viele Forscher versuchen, Konstrukte zu quantifizieren, die nicht immer direkte oder unabhängige Messungen beinhalten (Corner, S. 7). Das Risiko besteht darin, dass sich die Forschung auf Aspekte konzentriert, die messbar sind, jedoch nicht tatsächlich den Kern der LQ darstellen (Corner, S. 7). Bisher entwickelte Lebensqualitätsinstrumente für MmD decken nicht unbedingt alle Bereiche ab, die konkret für die individuelle LQ von Relevanz sind (Ettema et al., 2005 b, S. 354). Die meisten Instrumente wurden außerdem für einen spezifischen Demenzgrad konzipiert; daher sind sie nicht über den ganzen Verlauf der Erkrankung anwendbar (Ettema et al., S. 354).
6.4 Instrumente zur Einschätzung der Lebensqualität
Es wird nach Ettema et al. (2005 a) zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung in der Lebensqualitätsforschung unterschieden (Ettema et al., S. 675). Obwohl der Selbstbericht oft als Argument für die Erfassung der subjektiven Lebensqualität gilt, so bedeutet die Wahl zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung nicht die Wahl zwischen subjektiver und objektiver LQ (Ettema et al., S. 682). Das Instrument stellt lediglich eine Wahl der Messungsart dar und diese Wahl ist eine Frage der Messgenauigkeit, dabei ist der Schweregrad einer Demenz immer ausschlaggebend (Ettema et al., S. 682). Instrumente zur Selbsteinschätzung von Personen mit Demenz sollen reliable und valide Messungen erreichen (Ettema et al., S. 682). Das kognitive Defizit ist nicht nur ein Problem der Selbsteinschätzung bei schwerer Demenz, sondern auch für Menschen ohne Demenz (Ettema et al., S. 682). Es braucht Geduld und Einfühlungsvermögen, um auf die einzelnen Personen und ihre Fähigkeiten eingehen zu können (Kane et al., 2003, S. 240). Bei Fremdeinschätzungen muss beachtet werden, dass das Wohlbefinden der MmD von Pflegenden generell höher eingeschätzt wird (Porzsolt et al., 2004, S. 6). Angehörige tendieren dazu, das Wohlbefinden niedriger als die Patienten zu bewerten und unabhängig vom gewählten Ansatz basiert die Evaluation auf den Erfahrungen des Individuums, der Pflegenden und deren Perspektive (Ettema et al., 2005 a, S. 682).
Der erste Bereich der Evaluation nach DNQP (2019) stellt Selbst- und Fremdeinschätzungsinstrumente zur Erfassung von LQ dar, wie z.B. Quality of Life in Late-Stage Dementia Scale (QUALID); Quality of Life-Alzheimer Disease (QoL-AD); Dementia Quality of life Instrument (DQI); Quality of life for Dementia (QUALIDEM) und das Heidelberger Instrument zur Erfassung der LQ Demenzkranker (H.I.L.D.E.) (DNQP, S. 170). Diese Instrumente geben einerseits Anregungen für eine gelungene Beziehungsgestaltung zu MmD, andererseits deuten sie auf eine Verbesserung der LQ hin; sie testen und erfassen die LQ als Ergebnisparameter in Interventionsstudien (DNQP, S. 170).
Im zweiten Bereich der Evaluation werden Beobachtungsinstrumente vorgestellt, die durch subjektive Beobachtung geprägt und bei Erfassung von Emotion und Engagement von MmD hilfreich sind (DNQP, 2019, S. 182). Mit Engagement ist hier eine bedeutungsvolle Interaktion mit den Mitmenschen gemeint, die zur Zufriedenheit beiträgt (Brooker 1995, zitiert nach DNQP, S. 182). Die zunächst vorgestellten sechs Instrumente sind Engagement Level, Engagement Type, Short Observation Method, Dementia Care Mapping, Patient Behaviour Observation Instrument und Quality of Interactions Schedule. Für die Codierung von Emotionen wird das Observable Displays of Affect Scale Instrument genutzt (DNQP, S. 182-183). Basis für dieses Instrument bilden Filmaufnahmen (DNQP, S. 184). Die dargestellten Instrumente kamen nur in der Forschung zum Einsatz und nicht in der Praxis; damit gibt es keine Hinweise zur Praktikabilität im Pflegealltag (DNQP, S. 187, 203).
Eine Studie von Hansebo und Kihlgren (2004) (zitiert nach DNQP, 2019, S. 184-186) zur Reflektion pflegerischen Handelns bildet den dritten Bereich der Evaluation (DNQP, S. 170). Hier wurde ein multidimensionales Assessment in Kombination mit Supervision zur Evaluation pflegerischen Handelns eingesetzt (DNQP, S. 184). Methodisch wurden folgende Bereiche analysiert: die Pflegedokumentation, die Resident Assessment Protocols (RAPs), die Biografien und aktuelle Situationen, Videos von Interaktionen, stimulierte Reflektions-Interviews mit Pflegekräften, die ebenfalls per Video aufgezeichnet waren und anschließend ein Fragebogen zum Einsatz von Resident Assessment Instrument/Minimum Data Set (RAI/MDS) (DNQP, S. 186). Mit diesen Methoden konnte gezeigt werden, dass Pflegekräfte sehr unterschiedliches Wissen über Bewohner*innen hatten und dieses Bewusstsein durch Reflektion dafür sorgte, dass mehr Informationen dokumentiert wurden (DNQP, S. 186). Auch unterschiedliches Management-Fachwissen der Pflegekräfte zeichnete sich ab. Außerdem zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Reflektion des Wissens über Bewohner*innen mit einer Verbesserung der Reflektionsfähigkeit und der Bestätigung der gewählten Pflege (DNQP, S. 186). Da die Kombination unterschiedlicher Ansätze zur Reflektion im Mittelpunkt steht, reicht der Einsatz nur eines Evaluationsinstrumentes nicht aus, um Aussagen zur Gestaltung und Förderung der Beziehung von Menschen mit Anzeichen einer mittelschweren bis schweren Demenz zu treffen (DNQP, S. 187).
Nachfolgend werden drei demenzspezifische Instrumente zur Erfassung der LQ und des Wohlbefindens, die für Bewohner*innen von Institutionen entwickelt wurden (Becker et al., 2005, S. 108), näher erläutert. Zunächst wird das Quality of life in Late-Stage Dementia (QUALID Scale) vorgestellt, gefolgt vom Heidelberger Instrument zur Erfassung der LQ bei Demenz (H.I.L.D.E.) und das Dementia Care Mapping (DCM). Alle drei Instrumente sind geeignet für Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Demenz.
Das Quality of life in Late-Stage Dementia (QUALID Scale) ist ein Instrument zur Erfassung der LQ von Menschen mit schwerer Demenz (Weiner et al., 2000, zitiert nach DNQP, 2019, S. 176). Es handelt sich um ein Proxy-Instrument mit elf Items zu Aktivitäten und Emotionen mit je fünf Antwortmöglichkeiten von niedriger bis hoher LQ. Der theoretische Bezug basiert auf Kitwood (2019) und enthält objektive Aspekte, wie Verhalten und Umfeld sowie subjektive Aspekte, die die Wahrnehmung von LQ und Wohlbefinden darstellen. Mit Hilfe dieses Instruments können Pflegende das verbale und nonverbale Verhalten von MmD beobachten und bewerten. Der Fokus liegt auf positiven und negativen Dimensionen von beobachtbaren Situationen und Stimmungen (DNQP, 2019, S. 176).
Das Heidelberger Instrument zur Erfassung der LQ Demenzkranker (H.I.L.D.E.) wurde in Deutschland in den Jahren 2003 bis 2009 von Wissenschaftlern und Praktikern in elf stationären Altenpflegeeinrichtungen entwickelt und erprobt (Becker et al., 2006, S. 3). Das Projekt wurde vom Heidelberger Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg angeregt und teilw. mit der Sektion Gerontopsychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg gemeinsam durchgeführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert (Becker et al., S. 350). Die LQ in H.I.L.DE. wird in sechs Dimensionen unterteilt: Medizinischer Status und Schmerzerleben, räumliche Umwelt, Aktivitäten, soziales Bezugssystem, Emotionalität und Zufriedenheit (Becker et al., S. 551-553). Die Einschätzung der Wirksamkeit bezüglich des Wohlbefindens der gebotenen pflegerischen Interventionen ist hierbei das Ziel. Dafür werden die Ressourcen der MmD genutzt, unabhängig von dem Schweregrad der Erkrankung, um das Wohlbefinden im Sinne erlebter LQ einschätzen zu können (Becker et al., S. 354). Der große Erfolg von H.I.L.D.E liegt speziell darin, dass Ausdruckskompetenzen von Menschen mit einer schweren Demenz genutzt werden, um mit Hilfe von strukturierten und standardisierten Kriterien eine Beurteilung des subjektiven Befindens vorzunehmen (DNQP, 2019, S. 180-181).
Das Dementia Care Mapping (DCM) wird seit 1998 mit Erfolg international angewandt, das auf der person-zentrierten Pflege nach Kitwood basiert (Riesner, 2014, S. 11). Es handelt sich um ein Beobachtungs-/Proxy-Instrument zu Wohlbefinden und LQ von Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz, in der der theoretische Bezug auf persönlichem Wachstum, Selbstmanagement, Gefühl von Handlungsmacht, Selbstsicherheit und Hoffnung nach Kitwood beruht (Müller-Hergl, 2000, S. 252). DCM basiert auf positiver Personenarbeit, d.h., der MmD steht als Person im Vordergrund, nicht seine Krankheit. "Person-Sein" im Sinne von Kitwood umfasst Gefühle, Handlungen, Zugehörigkeit, Bindung an andere Personen und Identität (Müller-Hergl, S. 256). Mit Hilfe dieser Methode kann eine detaillierte Auskunft über Vorlieben oder Abneigungen und wie Pflege und Betreuung erlebt wird, gewonnen werden (Riesner, 2014, S. 58). DCM setzt damit unmittelbar am Erleben der von Demenz betroffenen Person an und gewährt dem Wohlbefinden einen zentralen Stellenwert (Riesner et al., S. 59). Damit wird das Ziel verfolgt, durch Anbieten adäquat ausgewählter Interventionen, die Pflege- und Betreuungsqualität zu steigern (Riesner, S. 11).
II. Empirischer Teil
Der empirische Teil befasst sich zunächst mit den wesentlichen Inhalten der Untersuchungsmethode dieser Studie: das Untersuchungsdesign (Kapitel 7) mit der Methode leitfadengestützter Expert*innen-Interviews, Interviewleitfaden, Sampling und Feldzugang sowie der Bereich Ethik und Datenschutz, gefolgt vom Ablauf der Interviews und der Datenauswertung. Anschließend werden die empirischen Ergebnisse (Kapitel 8) präsentiert. Im Kapitel 9 wird die Diskussion dargestellt. Den Abschluss dieses empirischen Teils bilden das Fazit und Ausblick (Kapitel 10).
7. Untersuchungsdesign
Das Untersuchungsdesign spielt eine wichtige Rolle; denn hier treten praktische Fragen der Forschungsplanung bei qualitativen Studien in den Vordergrund (Flick, 2009, S. 77). Die Auswahl empirischen „Materials“ soll so gestaltet werden, dass die Fragestellung der Studie in der zur Verfügung stehenden Zeit mit den disponiblen Mitteln beantwortet werden kann (Flick, 2009, S. 83). Die Realisierung der Ziele ist das Ergebnis der im Forschungsprozess getroffenen Entscheidungen (Flick, 2009, S. 77). Das Forschungsdesign ist ein Plan für die Sammlung und Analyse von Anhaltspunkten, die es Forschenden erlaubt, eine Antwort zu geben, egal, welche Frage gestellt wird (Ragin, 1994, zitiert nach Flick, 2009, S. 77). Es geht um subjektives Erleben und die Sichtweisen der Beteiligten; das Ziel ist weniger, bereits Bekanntes zu überprüfen, sondern Neues zu entdecken, empirisch begründete Theorien zu entwickeln und Daten über persönliche Haltungen, Handlungen sowie Erleben der Berufsalltagssituationen zu erheben (Flick, 2009, S. 25). Mit Hilfe von Interviews wird ein explorativer Zugang zum Feld und der genannten Fragestellung erreicht; zentrale Kennzeichen qualitativer Forschung sind Gegenstandsangemessenheit von Theorien und Methoden, Berücksichtigung und Analyse unterschiedlicher Perspektiven sowie Reflektion des Forschenden als Teil der Erkenntnis (Flick, 2009, S. 25). Qualitative Forschung orientiert sich am Alltagsgeschehen und -wissen der Teilnehmenden; die Erhebungs-, Analyse- und Interpretationsverfahren müssen der Kontextualität verpflichtet sein und unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen (Flick, 2009, S. 77). Das Untersuchungsdesign bestimmt also, ob eine Untersuchung erfolgreich verlaufen wird, wobei die Subjektivität von Untersuchern und Untersuchten zum Bestandteil des Forschungsprozesses wird (Flick, 2009, S. 57). Die Kommunikation von Forschenden mit dem jeweiligen Feld wird bei qualitativen Methoden nicht als Störvariable ausgeschlossen; ein weiteres zentrales Prinzip qualitativen Forschens ist das Prinzip der Offenheit, das sich aus dem Interesse qualitativer Forschung an der Spezifik und Tiefgründigkeit sozialer Phänomene erklärt (Strübing, 2018, S. 22).
7.1 Methode leitfadengestützter Expert*innen-Interviews
Als Erhebungsinstrument wurden leitfadengestützte Expert*innen-Interviews genutzt. Das Leitfadeninterview ist eine Form des nichtstandardisierten Expert*innen-Interviews und dient empirischen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zur Rekonstruktion von Sachverhalten, um damit einerseits eine maximale Offenheit zu erzielen und anderseits strukturierend anhand der Leitfragen eingreifen zu können (Helfferich, 2009, S. 179). Ein Interview wird als Expert*innen-Interview bezeichnet, wenn die Zielgruppe Personen sind, die über spezielles Fachwissen verfügen; die befragte Person steht weniger im Fokus, sondern vielmehr ihre Perspektiven und Handlungsweisen (Meuser & Nagel, 2009, S. 466). Die Definition von Expert*innen hängt von der Forschungsfrage und dem Handlungsfeld der Personen ab (Helfferich, 2009, S. 163). Meuser und Nagel (2009) definieren Funktionsträger*innen innerhalb einer Organisation als interessante Expert*innen (S. 469). Die Interviewten sind jedoch aufgrund ihrer Tätigkeiten zweckmäßige und prädestinierte Expert*innen für die Forschungsfrage; der Gegenstand eines Expert*innen-Interviews sind die Zuständigkeiten, Aufgaben und Tätigkeiten sowie das hieraus entstandene Wissen und die Erfahrungen der Expert*innen in diesem definierten Wirklichkeitsausschnitt (Meuser & Nagel, 2009, S. 477). Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen, vor allem privater Natur, bleiben außen vor, es werden nur Expert*innen-Erfahrungen als Repräsentanz der Institution betrachtet (Meuser & Nagel, 2009, S. 469). Werden Fakten und Informationen abgefragt, kann der Leitfaden stark strukturiert sein und die Fragen gezielt auf die wesentliche Information formuliert sein; auch thematische Sprünge sind durchführbar (Helfferich, 2009, S. 178-180).
7.2 Interviewleitfaden
Der Leitfaden (Anhang 8) wurde in Anlehnung an Helfferich (2009) sowie nach Durchsicht und Analyse der Fachliteratur entworfen. Er gliedert sich in vier Themenblöcke, die durch eine Einstiegsfrage und zwei Abschlussfragen flankiert werden. Zunächst wird bei den ersten drei Themenblöcken eine kurze Hinführung zu den angesprochenen Themen gegeben. Die leicht zu beantwortende Einstiegsfrage in den ersten Themenblock Einführung des Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz soll für eine vertrauensvolle Atmosphäre sorgen. Änderungen bzw. neue Aufgaben im Alltag als Leitungskraft sowie vorbereitende Maßnahmen in Bezug auf die Einführung des ES werden hier thematisiert. Darauf aufbauend wird im zweiten Themenblock Musik und Tanz als Interventionen zur person-zentrierten Beziehungsgestaltung nach den angewandten Interventionen bei Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Demenz gefragt, ebenso nach den Erfahrungen und Herausforderungen, die sich bei der Auswahl der Interventionen ergeben. Der dritte Themenblock Evaluation der Wirkung von Musik und Tanz zur Beziehungsgestaltung und -förderung bei Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Demenz bildet den umfangreichsten Bereich mit den meisten wichtigen Fragen zur Wirksamkeitsprüfung von Musik und Tanz im Alltag. Die Fragen nach den konkreten alltäglichen Aufgaben in der Evaluation von Musik und Tanz bei Menschen mit mittlerer bis schwerer Demenz, nach den angewandten Erhebungsmethoden und Evaluationsinstrumenten sowie nach Erfahrungen und Herausforderungen werden mit dem Ziel gestellt, ein breites Bild über den Evaluationsprozess zu bekommen. Im letzten Themenblock Wünsche und Verbesserungspotenzial/Zukunftsaussichten geht es um die persönliche Sichtweise im Vergleich zur Einführungszeit des ES und um die Wichtigkeit der Umsetzung dieses ES im Arbeitsalltag. Die Abschlussfragen nach offenen thematischen Aspekten und Wünschen für die Zukunft sollten das Gespräch abschließen und die Chance bieten, unausgesprochenen Gedanken Raum zu geben.
Der Interviewleitfaden wurde im Vorfeld mit Arbeitskolleg*innen und im privaten Bereich mehrfach getestet, was für Vertrauen im Umgang mit den Fragen sorgte und persönliche Sicherheit vermittelte. Bei der Erprobung erwiesen sich einige Formulierungen der Fragen als zu schwierig, so dass der Leitfaden mehrmals angepasst wurde.
Um die Datenauswertung vornehmen zu können, wurden die Interviews mittels Ton-aufzeichnung festgehalten. Die angewandten Transkriptionsregeln (Anhang 8) sind an dem semantisch-inhaltlichen Transkriptionssystem nach Kallmeyer und Schütze (1976) (zitiert nach Dresing & Pehl, 2018, S. 17-25) orientiert. Durch wörtliche Transkription wird ein schnellerer Zugang zum Gesprächsinhalt ermöglicht; diese Methode verzichtet auf genaue Details zur Aussprache, wie z.B. Umgangssprache oder Dialekte, um die Lesbarkeit zu erleichtern (Dresing & Pehl, 2018, S. 18).
7.3 Sampling und Feldzugang
Das Sampling beschreiben Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) für die sozialwissenschaftliche Forschung als Auswahl einer Untergruppe von Fällen, z.B. Personen, Gruppen, Indikationen, die an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten untersucht werden sollen; dabei handelt es sich um eine Grundgesamtheit oder Personen einer bestimmten Population (S. 178). Nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) ist es in der Regel nicht möglich, die ganze Population und nicht jede Ausprägung eines Sachverhalts zu untersuchen, da dies mit viel Zeit und Kosten verbunden ist; zudem gibt es immer Personen, die sich weigern, an einer Untersuchung teilzunehmen (S. 79). Entscheidend sind die Prinzipien, nach denen die mit Hilfe bestimmter Techniken des Samplings gewonnenen Ergebnisse verallgemeinert werden können (Przyborski & Wohlrab-Sahr, S. 179). Im Rahmen dieser qualitativen Studie wurde ein kriterienbasiertes Sampling gewählt. Diese Form des Samplings steht nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) für ein Vorgehen, bei dem auf der Grundlage vorhandener Forschungsergebnisse und nach bestimmten Kriterien gezielt eine Untersuchungsgruppe zusammengestellt wird (S. 182).
Ein Kriterium für potenzielle Interviewpartner*innen sind für Meuser und Nagel (2009) Mitarbeitende in demselben Setting mit unterschiedlichen Berufsperspektiven (S. 468). Mit dem Ziel, Einblick in den Alltag einer stationären Pflegeeinrichtung nach Einführung der neuen ES zu erhalten, sind Mitarbeitende als Interviewpartner*innen in den Fokus gerückt, die die Kompetenzstufen „Erfahrene*r“ und „Expert*in“ erreicht haben. Die Stichprobe besteht aus vier Teilnehmer*innen: sie sind Leitungskräfte, die im Alltag mit dem ES arbeiten und somit damit vertraut sind. Letzteres gilt als wichtigstes Kriterium für die Auswahl. Sie sind in deutschen stationären Altenpflegeeinrichtungen tätig und sind Qualitätsbeauftragte oder leiten Einrichtungen oder Bereiche, in denen MmD leben. Eine Vergleichbarkeit der Interviews ist damit gewährleistet. Die Anzahl der Beschäftigungsjahre der Mitarbeiter*innen hat keine Rolle gespielt, da die Erfahrung und der Umgang im Pflegealltag mit dem ES entscheidend waren. Die Gruppe der Befragten gilt als nichtvulnerabel
[...]
1 In dieser Arbeit sind unter dem Begriff Pflegefachkraft die zur Durchführung der Evaluation befugten Personen gemeint.
2 Als Angehörige werden in dieser Arbeit, Personen, die unabhängig vom Verwandtschaftsgrad wichtig sind, dazu gehören gesetzlicher Betreuer, Nachbarn und Freunde.
3 Andere von Flick (2002) angegebene Methoden wie Ethnographie, Fotos und Filmanalyse als Beobachtungsinstrumente (Flick, S. 237) werden außer Acht gelassen.
- Arbeit zitieren
- Ana Rudolphi (Autor:in), 2021, Wirksamkeitsevaluation von Interventionen zur Beziehungsgestaltung in der Pflege nach Expertenstandard. Eine qualitative Studie zu Musik und Tanz bei Menschen mit mittelschwerer bis schwerer Demenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1368434
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