Freie Musensöhne

Sitten und Bräuche der Studenten in Leipzig von ihren Wurzeln bis zur Burschenschaft


Textbook, 2009

353 Pages


Excerpt


Inhalt

Ein Wort zuvor

Zum Geleit

Der Student in der Antike

... und im Mittelalter

Prag - die Mutteruniversität von Leipzig - prägte auch die deutschen Universitäten

Leipziger Studentenleben im 15. und 16. Jahrhundert

Der Leipziger Student im 17. Jahrhundert

Der Leipziger Student im 18. Jahrhundert

Der Leipziger Student im 19. Jahrhundert

Die Zeit des Napoleonischen Krieges, der Wiener Kongreß und seine Folgen

Wie kam es zum Wartburgfest?

Die weitere Entwicklung - "Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktobers" - Folgen des Wartburgfestes

"Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktobers"

Der schwere Weg bis zur Gründung der Burschenschaft in Leipzig

Zwischen Gründung und Demagogenverfolgung

Die Zeit bis zum Dresdner und Streitberger Burschentag

Vom Adelsclub - Odenwälder Burschentag

Jünglingsbund und Verfolgung Einigung eines Brauchs mit den Landsmannschaften - Verschärfte Verfolgungen - Die Fechtgesellschaft

Die Entstehung der arminischen und germanischen Richtungen

Woher stammen die Bezeichnungen "Germania" und "Arminia"?

Erweitertes Ehrengericht, gegenseitige Frotzeleien und Leipziger Aufstand

Der Kampf zwischen arminischer und germanischer Richtung bis zum Frankfurter Wachensturm

Studentische Aktivitäten bis ca. 1840

Die weitere Entwicklung bis zu den revolutionären Ereignissen 1848/

Der Weg zur Frankfurter Nationalversammlung, ihr Wirken und ihr Scheitern

Aber die burschenschaftlichen Ideen wirken fort

Neue Ideen, neue Aktivitäten

Überblick über alle von 1818 bis 1860 auftretenden Leipziger Burschenschaften

Leipziger Burschenschafter in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/

Bekannte Leipziger Burschenschafter von der Gründung 1818 bis 1860 von "A -Z"

Das Burschenschafterlied

Verwendete Literatur (Quellennachweis)

Ein Wort zuvor

Dieses Buch wurde als erster Band einer zweibändigen Festschrift aus Anlaß des 150-jährigen Stiftungsfestes der Burschenschaft Arminia zu Leipzig verfaßt. Es beschreibt das studentische Zusammenleben von der Antike bis in das 19. Jahrhundert und soll zeigen, wie lange es dauerte und wie schwierig es war, eine Burschenschaft zu gründen und unter welchen historischen Umständen die Burschenschaft Arminia gegründet wurde.

Die Wurzeln studentischer Gemeinschaften, Zusammenschlüsse, Sitten und Bräuche reichen zurück bis in die Akademien des Altertums und pflanzten sich fort über die ersten mittelalterlichen Universitäten Bologna und Padua. Von Prag, der ersten Universität nördlich der Alpen, gelangten sie nach Leipzig. Wir verfolgen die Entwicklung, wie sich die Studenten aus klerikaler Sittenstrenge, kirchlicher Bevormundung und mönchischer Abgeschiedenheit befreiten und zu freien, fröhlichen, selbstbewußten Musensöhnen wurden.

Weiterhin wird ausführlich über die Entstehung der Burschenschaft in Leipzig 1818 berichtet. Die Burschenschaft war die erste demokratische Bewegung in Deutschland. Die Burschen strebten nach Freiheit, Recht und einem einigen deutschen Vaterland. Bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung entstanden innerhalb der Burschenschaft unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieses Ziel erreicht werden sollte. Die germanische Richtung strebte einen gewaltsamen, revolutionären Umsturz an, die gemäßigte arminische Richtung befürwortete einen gleitenden Übergang zur Demokratie. Die Burschenschafter wurden als Demagogen verfolgt und häufig zu hohen

Haftstrafen verurteilt. Zwischen 1818 und 1859 erfolgten mehrmals Verbote. Trotz allem hatten sie einen erheblichen Einfluß auf das studentische Leben.

Durch die Verbote und das dadurch bedingte Wirken im Untergrund zur Zeit der Restauration war ein lückenloser Übergang der einzelnen Burschenschaften nicht mehr gewährleistet. Der Gründungstag der Burschenschaft Arminia zu Leipzig ist der 18. Juni 1860, der Tag, an dem der Senat der Universität Leipzig die Statuten des "Vereins Arminia" genehmigte. Die Bezeichnung Burschenschaft war noch immer nicht gestattet. In die geschichtlichen Abläufe wurden auch kleinere Begebenheiten mit eingeflochten, welche die damalige studentische Denk- und Lebensweise näher beleuchten sollen.

Den Abschluß dieser Schrift bildet eine Auflistung bekannter Leipziger Burschenschafter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik zur Gründerzeit (1818 - 1860).

Die Burschenschaft als demokratische Bewegung hatte häufig unter Verboten und der Verfolgung ihrer Mitglieder zu leiden. Das begann zur Zeit der Restauration und setzte sich unter den Diktaturen des Nationalsozialismus und Kommunismus fort. Alle diese Regime sind untergegangen. Das Streben nach Freiheit und Demokratie hat sich durchgesetzt - die Burschenschaft lebt.

Wir Verfasser sind "Hobby"-Historiker. Der eine ist

Naturwissenschaftler, der andere Techniker und Wirtschaftswissenschaftler. Obwohl unser Herz für die alma mater Lipsiensis und die Burschenschaft schlägt, haben wir alles getan, diese Geschichte objektiv und sachlich darzustellen.

Zur der Zeit, als das Manuskript zu dieser Schrift entstand, gab es Diskussionen und Streit über eine Rechtschreibreform unter den Wissenschaftlern und Politikern im deutschsprachigen Raum. Da sich diese Diskussionen über Jahre hinzogen, haben wir uns entschlossen - ebenso wie einige führende deutsche Zeitungen und Schriftsteller - die bisherige Rechtschreibung beizubehalten.

Herrn Professor Dr. Peter Kaupp danken wir für die Hilfe bei der Suche nach bekannten Leipziger Burschenschaftern der Jahre 1818 bis 1860. Unser Dank gilt ferner den Herren Friedrich Schmiz, Dr. Walter Egeler, Ernst Rudolf Völger und Frau Tanja Völger, die Korrektur gelesen haben, sowie Clemens Padel und Andreas Werner, die Teile des Manuskripts in die elektronische Form brachten. Ein weiterer Dank gilt Dr. Karl Wolfgang Völger für die abschließende formale Überarbeitung mit Satz und Layout sowie die Erstellung der Druckvorlage.

Herzlichen Dank an die Archive der Universitäten Leipzig und Jena, dem Archiv der Bundesrepublik Deutschland, Abt. Burschenschaft, Herrn Dr. Harald Lönnecker, dem Institut für Hochschulkunde der Universität Würzburg und dem Historischen Museum Frankfurt/M. für die Unterstützung mit Literatur, Archiv- und Bildmaterial. Ebenso gilt unser Dank allen städtischen Archiven, die uns schriftliche oder telefonische Auskünfte über Leipziger Burschenschafter aus ihren Heimatorten bzw. ihren Wirkungsstätten gaben.

Zum Geleit

In das schwarze Band des Lebens flechte das Schicksal das rote der Liebe. Glücklich, wenn das goldene der Freundschaft im Bunde nicht fehlt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Student in der Antike

Wie Überlieferungen zeigen, gab es bereits in den Akademien der antiken Welt, so in Athen, Alexandria, Byzanz (das spätere Konstantinopel) und Berytos in Syrien, studentische Zusammenschlüsse.

Aus Schriften von Libanius und Gregor von Nazianz erfährt man, daß studentische Bräuche teils bis in die Antike zurückreichen. So gab es an der Akademie Athens Studentenverbindungen, die Choroi - der Ursprung für das heutige Wort Corps. Drei Namen sind uns überliefert: "Spartae", "Theseidae" und "Heraklidae".

Wie bereits aus diesen Namen zu erkennen ist, handelt es sich um landsmannschaftlich geprägte Gemeinschaften, die einem jeden Mitglied in der Fremde Schutz, Heimat und Geborgenheit boten.

War der Neuankömmling, der Mulus, geworben, mußte er erst einmal eine Probezeit überstehen, ob er für den Choros tauglich war. Dabei wurde er auf mancherlei Art und Weise mit mehr oder weniger Feingefühl gehänselt und gedemütigt. Danach wurde er endgültig in die Gemeinschaft aufgenommen. Das erfolgte mit einem rituellen Bad auf der Agora, dem Marktplatz. Symbolisch wurde er von seiner unwürdigen und schmutzigen Vergangenheit gereinigt. Er empfing die Weihe eines Studenten. Als äußeres Zeichen seiner neuen Würde erhielt er einen Flaus oder Vlie, ein Stück gefärbtes Lammfell. Anzunehmen ist, daß dieses die Farbe seines Choros hatte. Auch gab es gemeinschaftliche Kommerse, einem Symposion nachempfunden. Ein Vorsitzender - ein Senior - bestimmte den Verlauf des Abends. Er bestimmte auch die Stärke des Getränks, indem er das Verhältnis Wein zu Wasser festlegte. Getrunken wurde aus Tongefäßen.

Während des Kommerses gab es Rundgesänge und Sologesänge. Dazwischen freie Gespräche oder einen Vortrag. Im jugendlichen Übermut kam es nach solchen Gelagen gelegentlich zu Ausschreitungen. Es wird von einem ungeliebten Lehrer berichtet, der von den Studenten auf einem Teppich wieder und wieder in die Luft geschleudert wurde. Gewiß fanden derartige Bräuche nicht immer den Beifall der Bürger. Der Kirchenvater Gregor von Nazianz, der selbst solchen Kommersen beigewohnt hatte, fand diese jedoch ganz artig und possierlich.

... und im Mittelalter

Ein gleitender Übergang von den wissenschaftlichen Akademien des Altertums auf das christlich geprägte Mittelalter der westlichen Welt ist nicht vorhanden. Die letzte "heidnische" Universität des Abendlandes, Athen, wurde 529 von Kaiser Justinian geschlossen, war doch das weströmische Reich mit Eroberungskriegen befaßt.

Nördlich der Alpen ließen die Völkerwanderungen ebenfalls keinen Raum für Bildung und Wissenschaft. Erst mit dem Entstehen eines großen Imperiums durch den fränkischen König und späteren Kaiser, Karl der Große (742-814), der die besten Gelehrten seines Reiches um sich scharte, entstanden Bildungsstätten. Der Kaiser verfügte, an jedem Bischofssitz und Kloster sei eine Schule einzurichten. Daher wohnten auch die Scholaren in klösterlichen Gemeinschaften. Höchstes Ansehen hatte die Hofschule an der Kaiserpfalz zu Aachen, eine Art Akademie ähnlich der des Altertums. Bekannt ist der Universalgelehrte Alkuin, der die Erkenntnisse der antiken Wissenschaften mit der Überlieferung des Christentums zu verbinden verstand.

Die Aachener Kaiserpfalz wurde zum Mittelpunkt von Kunst und Wissenschaft. Waren doch dort die besten Gelehrten des Reiches versammelt. Wer die Klosterschule erfolgreich besucht hatte und zum höheren Klerus oder weltlichen Ämtern aufsteigen wollte, mußte die Schule der Kaiserpfalz, die "Hofschule", besuchen.

Nach dem Tode des großen Kaisers gab es in den nächsten zwei Jahrhunderten nur noch wenige Gründungen von Dom- und Klosterschulen. Die Förderung von Bildung und Wissenschaft unter seinen Nachfolgern verfiel mehr und mehr. Latein, die Sprache des Klerus wurde vernachlässigt und verkam zum "Küchenlatein". Nicht nur die Kirche brauchte ausgebildete Priester, zunehmend war es auch notwendig, daß die Landesherren und die Städte für ihre Verwaltungen zur Abfassung von Verträgen und bei rechtlichen Auseinandersetzungen ausgebildete Fachleute erhielten.

Von Reims, dem neuen Bildungszentrum, ging die Forderung aus, die antiken Schriften und die der Kirchenlehrer nicht aus Abschriften, sondern nur in den echten Originalhandschriften der Verfasser zu studieren. Die Bücher sollten nicht mehr zu den Studenten, die Studenten zu den Büchern kommen.

Die erste Universität entstand in Bologna Ende des 11. Jahrhunderts (etwa 1088). Als zweite Universität folgte Padua (1222). Während in Bologna die Jurisprudenz im Mittelpunkt der Lehre stand, war es in Padua die Theologie.

Die Grundlagen des Lehrunterrichts waren die Gesetzessammlungen des "Römischen Rechts" zur Zeit des Kaisers Justinian. Damit ergab sich wie selbstverständlich, daß die Wissenschaftssprache Latein wurde, zumal auch die Kirchensprache Latein war und die Kirchenväter, wie Augustinus und Benedikt von Nursia, ihre Schriften in Latein verfaßt hatten. Hinzu kam, daß die Studenten aus vielen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen kamen. Latein war somit auch eine neutrale Sprache.

Die Handschriften konnten gewiß nicht von jedem einzelnen Studenten eingesehen und gelesen werden, das wäre zu zeitaufwendig gewesen und würde zudem die empfindlichen Schriften zerstört haben. Sie wurden daher von einem Professor vorgelesen - daher die Bezeichnung Vorlesung - und den Studenten diktiert. Danach wurde der Text erläutert. Es folgte eine Disputation mit These und Antithese, Rede und Gegenrede. Diese vertiefte das Wissen und übte in Rede, Argumentation und Dialektik.

Die Vorlesungen fanden zuerst in Kirchen statt, später in Kollegienhäusern. Auf diese Weise konnte allen Studierenden das Wissen gleichermaßen vermittelt werden. Die Originalschriften durften von den Studenten auch eingesehen werden. Gegen Diebstahl waren die Bücher daher angekettet.

Der theologischen und juristischen Fakultät folgte etwa einhundert Jahre später die medizinische Fakultät.

Vorgeschaltet vor diesen drei höheren Fakultäten war eine niedrigere, die "Artistenfakultät", welche die "sieben freien Künste" (ursprünglich neun Künste) lehrte. Diese ist etwa zu vergleichen mit der heutigen Oberstufe des Gymnasiums.

Voraussetzung hierfür waren Lese-, Schreib-, Rechen- und Lateinkenntnisse. Gelehrt wurden "die sieben freien Künste", die sich wiederum unterteilten in ein "Trivium" (= Dreiweg) mit den Fächern Grammatik, Rhetorik und Dialektik, sowie in ein "Quadrivium" (= Vierweg) mit den Fächern Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (Astrologie). Das "Trivium" wurde mit dem Grad des Bakkalaureus, was etwa soviel bedeutet wie "Gefolgsmann " oder "Knappe ", das Quadrivium mit dem Grad des Magister Artium, das bedeutet "Lehrer der Künste", abgeschlossen.

Danach erst konnten die drei höheren Fakultäten Theologie, Jura und Medizin besucht werden. Der höchste Abschluß der höheren Fakultäten war der "Doctor", was soviel bedeutet wie Lehrer, Lehrmeister, Gelehrter. Damit war er berechtigt, an allen Universitäten Europas zu lehren. Der Grad des Doctors wurde erreicht durch eine schriftliche wissenschaftliche Abhandlung mit einer öffentlichen Verteidigung der darin aufgestellten Thesen und Erkenntnisse, so wie einer mündlichen Prüfung, dem Rigorosum. Der Grad eines Doctors war nicht nur Titel, sondern Namensbestandteil - bis heute. Damit erwarb man sich den persönlichen Adel und somit gesellschaftliche und rechtliche Privilegien.

Die Lehrer der Artistenfakultät waren meist Studenten der höheren Fakultäten. Auch sie nannten sich Professoren, jedoch gehörten sie nicht zum akademischen Lehrpersonal. Aus der Artistenfakultät entstand im späten Mittelalter die Philosophische Fakultät.

Wer studierte?

Zuerst waren es Söhne von Adelsfamilien. Diese wurden jedoch immer häufiger für Kriegsdienste in den Kreuzzügen und kleinen Territorialfehden benötigt. So schickte man die Söhne von Leibeigenen oder Söhne von Halbfreien, den Hörigen, zum Studium an die Universitäten.

Die Wege zu den Universitätsstädten waren lang und voller Gefahren, daher versuchten sie, sich auf ihren Wanderungen zu Gruppen zusammenzuschließen. Um sich gegen Raub und Überfälle zu schützen, mußten sie wehrhaft sein. Sie bekamen das Privileg, eine Waffe zu tragen. An den Universitäten gab es daher zur Vervollkommnung im Fechten seit Anbeginn Fechtunterricht.

In den Universitätsstädten hatten sie zudem keine Bürgerrechte und wurden bei Auseinandersetzungen mit den Bürgern von den parteiischen Gerichten benachteiligt, ja sogar jeglicher Willkür ausgesetzt. Auch hier hieß es: Durch Zusammenhalt ist man stark. Dazu bedurfte es einer geeigneten Organisation. Aus den deutschen Landen brachten die Scholaren das Gildenwesen und das Gildenrecht mit, das in seinen Grundzügen übernommen wurde. Das freie und zwanglose Universitätsleben begünstigte den Zusammenschluß von landsmannschaftlichen Schutzgilden. Somit wurde Bologna der Entstehungsort der ersten Vorläufer der heutigen Korporationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Akademisches Leben im Mittelalter - ein Professor liest aus einer Handschrift, schreibende und zuhörende Studenten in Kirchenbänken, vorne links mehrere Magister und Doktoren, bereit zur "Disputation". (Miniatur aus dem 14. Jahrhundert)

Die Gilde hatte drei Aufgaben zu erfüllen: Das Studium der Handschriften zu ermöglichen, ihre Mitglieder im fremden Land gegen Übergriffe zu schützen und die soziale Hilfe bei unverschuldeter Not und bei Krankheit zu ermöglichen. Im Todesfalle mußte auch ein christliches Begräbnis gesichert werden. Die Studenten schlossen sich nach ihrer landsmannschaftlichen Herkunft zusammen. Diese landsmannschaftlichen Gilden oder "societates" standen unter kirchlichem Schutz. So tagten sie in der Kirche und hatten dort ihre "Lade" worin alle Wertsachen, wie Urkunden und gemeinsame Gelder aufbewahrt wurden.

Diese landsmannschaftlich gegliederten "Gilden" waren zunächst zweigeteilt in die "citramontanorum", das sind die Studenten aus Italien, also südlich der Alpen und die "ultramontanorum", die Studenten von nördlich der Alpen. Mit zunehmender Zahl der Studenten gliederten diese sich wieder in einzelne "nationes". Es gab drei italienische Nationen und über ein Dutzend Nationen von jenseits der Alpen - Normannen, Katalonier, Pannonier, Ungarn, Spanier, Engländer, Provenzalen, Deutsche und andere.

Aus der deutschen Nation, der "natio teutonica", entstanden wegen der großen Zuwanderung von jährlich bis zu 150 Studenten vier weitere Nationen: Die Bayern, die Lothringer, die Schwaben und die Sachsen. Zu den Sachsen gehörten auch die Polen.

Zu den Mitgliedern der Nationen zählten auch die Lehrer, also die Professoren aus dem jeweiligen Lande. Jedes Mitglied einer Nation wählte den Vorstand, Consiliarii, bestehend aus dem "Curator" und "Procurator". Auch der "Rector" wurde durch Wahl bestimmt. Jede Nation stellte, je nach Anzahl ihrer Mitglieder, einen oder mehrere "Electores", eine Art Wahlmänner. Der Rector selbst kam stets aus der Mitte der Studenten, nicht von den Lehrern. Dieser war das Haupt und der Richter in allen Angelegenheiten der Hochschule. Dem Rector beigeordnet waren die "Procuratoren" als ständiger beisitzender Rat. Die Universität war demnach demokratisch organisiert und geordnet.

Jede einzelne Nation wurde, wie erwähnt, von einem "Kurator" geleitet. Nach einer Probezeit wurde der Mulus feierlich mit einem Ritterschlag endgültig in die Nation aufgenommen. Dabei mußte er ehrenhaftes Verhalten und die Einhaltung der Nationenordnung geloben. Unehrenhaftes Verhalten zog nicht nur den Verlust des Schutzes und den Ausschluß aus der Nation nach sich, es bedeutete auch den so genannten "Verschiß", die Ächtung durch alle Studenten, was meist zum Verlassen der Universität und somit zum Abbruch des Studiums führte.

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Links: Studenten mit langen Mänteln bekleidet und Schellen in der Hand, weshalb sie im Volksmund "Halbpfaffen" genannt wurden, ebenso ist ihr Lehrer durch Schellen in der Hand charakterisiert. (Holzschnitt von Albrecht Dürer 1494) Rechts: Trinkgelage von Scholaren (Holzschnitt eines unbekannten Meisters, 1489)

Zurück in der Heimat

Von den Landesherren wurden meist Leibeigene und Hörige zu den Studien geschickt. Nach Bologna zum Studium der Jurisprudenz, nach Padua zum Studium der Theologie, jedoch weniger häufig nach Paris. Noch im fast kindlichen Alter von 13, 14, 15 Jahren mußten sie den weiten und sehr gefährlichen Weg zu den Universitäten antreten. Wochen, ja Monate waren die "Fahrenden Scholaren", wie sie auch genannt wurden, unterwegs zu ihrer Universitätsstadt. Sie schlossen sich daher häufig zu Gruppen zusammen, um sich so besser gegen räuberische Angriffe zu schützen. Dabei lernten sie sich zu behaupten und im Lebenskampf durchzusetzen. Sie lernten fremde Sitten, fremde Bräuche kennen und erwarben neue Fertigkeiten.

Nach Jahren kehrten sie zurück aus der Fremde mit dem an der Universität erlernten Wissen und den erlangten Lebenserfahrungen als weitgereiste, weltoffene, selbstbewußte und gebildete Menschen. Dazu brachten sie geschickten Umgang im Gebrauch von Degen und Schwert mit. Das machte sie gegenüber den zurück gebliebenen adeligen Knappen deutlich überlegen. Ihre Fähigkeit, Verträge zu verfassen, in Rechtsstreitigkeiten wortgewandt und dialektisch zu argumentieren, ließ sie für die Fürsten und Landesherren, aber auch für die Kirche und die freien Reichsstädte unentbehrlich werden.

Sie rückten in die höchsten Vertrauensstellungen vor und wurden mit Landgütern und mit der Erhebung in den Adel belohnt. Aus unfreien Hörigen und Leibeigenen wurde ein neuer Adelsstand, der Stand der "Ministerialen". Aus einem leibeigenen Studenten ging die Sippe Bismarck hervor, die bis zum Fürstentum aufstieg und deren hervorragendster Repräsentant Otto Fürst von Bismarck, von 1871 bis 1890 erster deutscher Reichskanzler und einer der profiliertesten Politiker seiner Zeit in Europa, war.

Prag - die Mutteruniversität von Leipzig - prägte auch die deutschen Universitäten

Während sich die ältesten italienischen Universitäten bis in das 11. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, ist die älteste deutsche Universität im ehrwürdigen Prag, auch die Stammuniversität Leipzigs, erst im Jahre 1348 ins Leben gerufen worden.

Nach der Gründung der Prager Universität und vor der Gründung der Universität Leipzig 1409 entstanden die Universitäten Wien 1384, Heidelberg 1386, Köln 1388, Erfurt 1392 und Würzburg 1402.

Die italienischen Universitäten Bologna und Padua waren, wie wir bereits vernommen haben, nach demokratisch-genossenschaftlichen Grundlagen entstanden. Maßgebend waren die Studenten, sie wählten ihre Lehrer und auch den Rektor. Sie hatten also ein aktives Wahlrecht. In Frankreich, an der Universität Paris (gegründet Anfang des 12. Jh.) hingegen, wurden die Professoren, Dozenten und der Rektor von dem Landesherrn ernannt. Die Studenten hatten kein Mitbestimmungsrecht und demnach auch keinen Einfluß auf die Gestaltung und die Organisation ihrer Hochschule. Dort herrschte eine autokratisch-hierarchische Struktur. Bei den Gründungen der deutschen Universitäten haben sowohl die italienische Form als auch die französische Form Einflüsse gehabt. So gab es in Prag vier Fakultäten - Theologie, Jurisprudenz, Medizin und, diesen vorgeschaltet, die Artistenfakultät. Aus letzterer entstand später die Philosophische Fakultät - nach französischem Vorbild. Dazu gliederte sich die Hochschule in politische Korporationen nach den Herkunftsländern der Studenten, den Nationen nach italienischem Vorbild.

In Prag gab es vier Nationen: die Böhmische Nation mit Ungarn und Siebenbürgern, die Bayrische Nation mit den süddeutschen, österreichischen und schweizer Studenten, die Sächsische Nation mit den Schlesiern, Thüringern und Polen, sowie die Norddeutsche Nation mit den skandinavischen Studenten.

Schon bald kam es zu Streitereien zwischen der böhmischen und den drei deutschen Nationen, da erstere sich durch die Überzahl der deutschen Studenten benachteiligt fühlte. Zu diesem nationalen Gegensatz kam um 1400 ein weiterer hinzu, der religiöse Ursachen hatte. Die Deutschen waren wohl ebenfalls für kirchliche Reformen, jedoch nicht im Sinne von Johannes Hus1, dem die Böhmen huldigten. Die Folge war, König Wenzel von Böhmen gestand der böhmischen Nation drei Stimmen, den übrigen Nationen hingegen nur jeweils eine Stimme im Universitätskonzil zu.

Trotz der Ankündigung der deutschen Nationen, geschlossen die Universität zu verlassen, wenn diese ungerechte Regelung nicht zurück genommen werde, übergab König Wenzel am 9. Mai 1409 die Universitätsinsignien einem von ihm ernannten tschechischen Rektor. Der größere Teil der fremdländischen Studenten verließ daraufhin gemeinsam mit ihren Lehrern Prag.

Prag, die "Mutter " der Leipziger Universität

Der Universität Prag war infolge der an ihr bald entstehenden religiösen und nationalen Gegensätze keine lange friedliche Entwicklung beschieden. Der Ausgangspunkt des Streites, der im Jahre 1409 zur Katastrophe führte, war zunächst ein rein religiöser, ja dogmatischer, in dem die reformatorischen Lehren Wiclifs und Johannes Hus' in die Böhmische Nation Eingang fanden und wehrhaft verfochten wurden. Der Streit wurde aber bald durch das Eingreifen des tschechischen Reformators Johannes Hus und durch die Stellungnahme von König Wenzel von Böhmen ein nationaler und politischer.

Die Mehrheit der Studenten gehörte den drei deutschen Nationen an. Daher konnten die Böhmen ihre Forderungen und Ziele, wie beispielsweise einen tschechischen Rektor, nicht durchsetzen und fühlten sich beeinträchtigt. Nachdem bereits jahrelange Reibereien zwischen den beiden Parteien vorausgegangen waren, wußten die Böhmen durch ein geschicktes Eingehen auf die Wünsche König Wenzels diesen sich zugeneigt zu machen. Sie fügten sich im Jahre 1408 einem Verbote des Königs betreffs der Verbreitung der Wiclifschen Lehrsätze und sie kamen weiter dem Verlangen König Wenzels entgegen, sich von Papst Gregor XII zu trennen und sich bis zu dem bevorstehenden allgemeinen Konzil in Konstanz 1414 strenge Neutralität zwischen den beiden sich bekämpfenden Päpsten Gregor und Alexander zu wahren. Die drei anderen Nationen widersprachen jedoch diesem Ansinnen des Königs. Diese Weigerung gab König Wenzel den Anlaß, den Wünschen der Böhmen zu folgen.

Durch ein Dekret vom 14. Januar 1409 verfügte er unter Verletzung der Universitätsstatuten, daß in allen die Universität betreffenden Angelegenheiten, Abstimmungen und Wahlen die Böhmische Nation drei Stimmen, die anderen drei Nationen jeweils nur eine Stimme im Universitätskonzil haben sollten. Damit war die Mehrheit im Konzil gebrochen. Die Grundrechte der Gleichberechtigung aller Studenten waren damit zudem auf das Empfindlichste verletzt worden.

Am 26. Januar 1409 wurde das betreffende königliche Dekret der Universität überreicht. Am 6. Februar übergaben die drei deutschen Nationen dem König ihre Gegenvorstellungen. Aber jeder Widerstand war vergeblich. Selbst die Androhung aller deutscher und ausländischer Studenten, Prag zu verlassen, wurde ignoriert.

Die im April vorzunehmende Wahl des Rektors und eines Dekans wußten die Böhmen zu verhindern.

Am 9. Mai wurden dem Rektor Magister Henning Boltenhagen und dem Dekan Magister Albert Fahrentrapp Siegel, Matrikel und Schlüssel der Universität gewaltsam entrissen. Der nunmehr nach den Universitätsstatuten rechtmäßig gewählte neue Rektor Magister Johann Hofmann von Schweidnitz wurde von König Wenzel nicht anerkannt. Vielmehr ernannte er eigenmächtig einen Rektor und einen Dekan. Daraufhin beschlossen die deutschen Nationen, ihre Androhung wahr zu machen und Prag zu verlassen. Innerhalb von einer Woche verließen über 2000 Studenten die Stadt. Ein großer Teil zerstreute sich und bezog andere deutsche Universitäten.

Der größte Teil der Lehrer wandte sich nach Meißen, wo sie bei dem Markgrafen und späteren Kurfürsten Friedrich dem Streitbaren und seinem Bruder, dem Markgrafen Wilhelm, bereitwilliges Entgegenkommen und gastliche Aufnahme fanden.

Die Bulle des inzwischen zum Papst gewählten Alexander V., in der er zur Errichtung der Universität Leipzig seinen Segen erteilte, ist am 9. September 1409 in Pisa ausgestellt worden. Am 24. Oktober fand bereits die Wahl des Dekans der Artistenfakultät (später Philosophische Fakultät) und am 13. November die Verlesung der päpstlichen Bulle in der Wohnung des Magisters Boltenhagen statt.

Der 2. Dezember 1409 brachte sodann die feierliche Eröffnung der neuen Universität Leipzig im Beisein der Landesherren und die Wahl des ersten Rektors, Johannes von Münsterberg, im Refektorium der Augustinerherren zu St. Thomas.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auswanderung der deutschen Lehrer und Studenten aus Prag (Kupferstich aus der Sammlung von Dr. W. Stoÿa in Wiesbaden)

In die Matrikel wurden 46 Lehrer und 369 Studenten eingetragen, von denen 79 zur Meißnischen, 98 zur Sächsischen, 129 zur Polnischen und 35 zur Bayrischen Nation gehörten, während es für den Rest unbestimmt blieb, wohin man sie zählen sollte. Bis zum Schluß des ersten Jahres waren 602 Studenten "wirklich immatrikuliert".

Ordentlicher Student und vollberechtigtes Mitglied der Universität wurde nur derjenige, der als Magister Artium die Artistenfakultät als der gemeinsamen Grundlage für die drei höheren Fakultäten, Theologie, Jurisprudenz und Medizin, abgeschlossen hatte. Diese hatten über die Nationen bei der Rektorenwahl und den Dekanwahlen das aktive und das passive Wahlrecht. Jeder Student konnte somit den Rektor und die Dekane wählen, aber auch selbst zum Rektor oder Dekan gewählt werden. Jeder hatte somit direkten Einfluß auf die politische Gestaltung der Hochschule.

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Gründungsurkunde der Universität Leipzig (Archiv der Universität Leipzig) Vorbedingungen für die Wählbarkeit zum Rektor oder Dekan waren Zugehörigkeit zur Universität, ein ehrbarer und unbescholtener Lebenswandel - "elegatur persona universitatis nostrae - vita et moribus comenfabilis" - eheliche Geburt, ein Alter von mindestens 25 Jahren, Unbeweibtheit und im Besitze mindestens der niederen Weihen. Der Abschluß eines akademischen Studiums war dagegen nicht erforderlich. Hieraus kann man bereits erkennen, daß die Theologie eine Vorrangstellung beanspruchte.

Der Student in Leipzig

Alle Studenten mußten in besonderen Häusern, den Kollegienhäusern und den Bursen, leben und wohnen. Dort lebten Lehrer und Schüler in einer Art klösterlicher Gemeinschaft zusammen. In späterer Zeit gab es Bursen für die einzelnen Nationen, so die Sachsen-Burse, die bayrische Burse, die polnische und die meißnische Burse. Dazu gab es noch eine Burse der adligen Studenten der "nobilium locus". Hier sind - wenn auch nur andeutungsweise - gewisse Separierungen zu erkennen.

Die Leitung einer jeden Burse hatte ein Magister, der die Bursarii in seiner Kost hatte, ihren Studiengang regelte, sie auch in ihrer spärlich bemessenen Freizeit überwachte und ihnen Bücher auslieh. In den Bursen durfte, wie in den Vorlesungen, nur Latein gesprochen werden - auch in der Freizeit.

Das Essen muß sehr karg gewesen sein, wie in Briefen nach Hause beklagt wurde "... es gibt nur Grüze, Suppe und Mus, in ewiger Wiederholung, ganz selten Braten. Das Bier aber ist gut ...".

Die Vorlesungen begannen bereits um 5 Uhr morgens. Es herrschten fast klösterliche Verhältnisse. Das machte sich auch in der studentischen Kleidung bemerkbar. Die Studiosi trugen lange dunkle Kutten und Kapuzen wie die Mönche, gegürtet nur mit einem Strick. Sie wurden spöttisch und völlig zutreffend "Halbpfaffen" genannt.

Diese Art, sich zu kleiden, und die geforderte "Unbeweibtheit" des Rektors und der Dekane lassen die Nähe und die enge Verbindung zur Kirche erkennen. Noch im 16. Jahrhundert mußte ein Rektor bei seiner Verlobung das Amt niederlegen.

Alle Kollegienhäuser und Bursen scharten sich um die Ritterstraße und die Grimmaische Straße - noch heute das Zentrum der Universität. Im alten Karmeliterkloster waren die Bibliothek und das Concilium - das Gericht der Hochschule - untergebracht. Hier befand sich auch das Studentengefängnis, der Karzer.

Studentenleben in Leipzig

Unter einem mittelalterlichen Gefängnis stellt man sich ein dunkles, feuchtes und kaltes Verlies mit faulendem Stroh voller Ungeziefer vor, darin kettenrasselnd gefesselte Gefangene bei Wasser und Brot. Nicht so der Karzer. Es waren helle lichte Räume. Das war ein fröhliches Gefängnis. Jedenfalls lassen das zahlreiche Berichte vermuten. Gingen die Insassen doch täglich frei ihren Studien nach, abends bekamen sie zwei Liter Bier gestellt. Man vergnügte sich beim Karten- und Würfelspiel. Ein Pedell, der sie bewachte, sorgte für ihre leiblichen Bedürfnisse wie Essen und weiteres Bier. Sogar eine Putzfrau fehlte nicht, die für saubere Kleidung und täglich blank geputzte Stiefel sorgte und die Zellen reinigte. In ihrem Übermut bemalten die "Delinquenten" die Wände mit wahrhaft künstlerischen Gemälden. Auch diese sind Zeugnisse von dem fidelen Gefängnis. Wie berichtet wird, sind die "Verbrecher" häufig von einer Musikkapelle und ihren Kommilitonen begleitet im Karzer abgeliefert worden. Nach Ende des Strafvollzugs wurden die Befreiten von den bereits vor den Toren wartenden Freunden empfangen und in die nächste Kneipe entführt. Bedauerlicherweise sind diese Räume und ihr "Wandschmuck" durch die Kriegseinwirkungen verloren gegangen.

Die Studiosi benahmen sich nicht so mönchisch und keusch, wie ihre Kleidung und das Leben in den Bursen vermuten ließ und es die Hausordnungen vorschrieben.

Auf die Beschwerde des Rates der Stadt, wonach die Bursarii Bürgermädchen in ihre Behausungen entführen und dort verführen würden, antwortete der Rektor kühl und gelassen:

" ... sei ihr nicht bewußt, daß Ausschreitungen vorgekommen seien. Sei dies wirklich geschehen, so tragen allein die Ratsherren die Schuld daran, da sie gestattet haben, Stuben in den Weinkellern einzurichten >dorynne sich solliche büffen unnd unczuchtige dyrnen zcu samen fynden,< indem durch das öffentlich betriebene unsittliche Leben Kollegiaten, Studenten und Magister verführt würden, denn >wann der Abt Würfel auflegt, so spielen die Mönch.<"

Der in eine Burse Neueintretende, der Beanus, ein Gelbschnabel oder Bacchant, mußte sich einer Deposition, einer Aufnahmezeremonie, unterziehen. Es waren z.T. uralte Gebräuche, die von Handwerks- und Kaufmannsgilden stammten, aber auch schon in den italienischen und französischen Universitäten, ja bereits bei den antiken Akademien in Byzanz und Athen üblich waren. Jeder Novize hatte eine "Depositionsgebühr", einen Geldbetrag zu Gunsten der Burse, zu entrichten. Dieser war abhängig von der Fülle seines Geldbeutels. Der Neue wurde gewaschen, geschrubbt, gehobelt, mit Schimpfworten über seine unwürdige Vergangenheit bedacht. Symbolisch sollte er rein und sauber in seine neue und höhere studentische Würde eintreten.

Nach und nach artete diese Deposition jedoch in Hänseleien und Demütigungen der Bacchanten aus. Diese Zeremonie wurde im Beisein der Magister, Professoren und Dekane vollzogen. Solche Depositions-Zeremonien gab es in Leipzig noch bis Ende des 18. Jahrhunderts.

Ein wohl ziemlich vollständiges Bild, was der Leipziger Student im 15. und 16. Jahrhundert in jugendlichem Übermut, aber auch gegen die öffentliche Ordnung seiner Zeit mit Vorliebe zu begehen pflegte, gibt uns als sittengeschichtliche Quelle der "libellus formularis Universitatis Studii Lipczensis". Darin ist es unter anderem verboten, "die Beane zu quälen und zu beleidigen, sie zu schimpfen, zu begießen, sie mit Staub und Schmutz zu bewerfen ... verboten wird weiterhin das Wohnen in von der Universität nicht approbierten Bursen, das Beherbergen Relegierter und Excludierter, die Störung der Doktor- und Magisterschmäuse, indem man den Dienern die Speisen zu entreißen versuchte." Verbote richteten sich auch gegen das Geleit der nach bestandenem Examen unter Gesang und musikalischer Begleitung in die Heimat zurückkehrenden Studenten.

Verbote bestanden gegen das Beschädigen von Bäumen und Pflanzen, das Rauben von Früchten aus den Gärten und von den Feldern und gegen das Jagen im Rosenthal, das Fischen in den Gräben und Gewässern, gegen das Umherschweifen und Waffenführen auf den Gassen zur Nachtzeit, gegen das dabei verübte Gebrüll, gegen das Beschmieren der vorübergehenden Bürger mit Pech, gegen das Vermummen und Larventragen zur Faschingszeit, gegen das Brett- und Würfelspiel mit Laien um Geld auf offener Straße oder in Wirtshäusern, sowie vor den Toren, besonders hinter der Johanneskirche, gegen den Umgang mit liederlichen Dirnen, gegen den Luxus und die Unsittlichkeit in der Kleidung. Verboten wird ferner die Belästigung der Stadtknechte, der fürstlichen Vasallen, das Ersteigen der Festungswerke der Pleißenburg, die Störung und Beleidigung der nützlichen Arbeit verrichtenden Kloakenreiniger, die Angriffe auf den Scharfrichter und vieles mehr.

[...]


1 Johannes Hus oder Huß, böhmisch-tschechischer Kirchenreformator, geboren 1369, trotz kaiserlicher Zusicherung freien Geleits wurde er auf dem Konzil zu Konstanz 1415 wegen ketzerischer Umtriebe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Excerpt out of 353 pages

Details

Title
Freie Musensöhne
Subtitle
Sitten und Bräuche der Studenten in Leipzig von ihren Wurzeln bis zur Burschenschaft
Authors
Year
2009
Pages
353
Catalog Number
V136894
ISBN (eBook)
9783640439287
ISBN (Book)
9783640439164
File size
15608 KB
Language
German
Notes
Hochschulkunde, Studentengeschichte
Keywords
Freie, Musensöhne, Sitten, Bräuche, Studenten, Leipzig, Wurzeln, Burschenschaft
Quote paper
Dr. rer. nat. Werner-Georg Stoÿa (Author)Dr. oec. Kurt Noack (Author), 2009, Freie Musensöhne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136894

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Title: Freie Musensöhne



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