"Grabbing for Hispanic Votes" - Der Latino-Faktor in der US-Präsidentenwahl von 2000 (und 2004)


Mémoire de Maîtrise, 2005

129 Pages, Note: 1,8


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte, Definitionen und aktuelle Trends: Einige Vorbetrachtungen
2.1 “A Nation of Nations“: Kurze Geschichte der Einwanderung
2.1.1 Ursprünge der Immigration in die Vereinigten Staaten
2.1.2 Die 1920er Jahre: Flucht aus Südosteuropa
2.1.3 Das Jahr 1965: Tiefgreifende Veränderungen
2.1.4 Das Jahr 2000: Aktuelle demographische Trends
2.1.5 Zukunftsperspektiven: Bedrohung oder Chance?
2.2 Hispanische Immigration in die USA: Ein Überblick
2.2.1 Herkunftsländer und bevorzugte Siedlungsregionen von Hispanics
2.2.2 Ausgewählte hispanische Einwanderergruppen im Blickpunkt
2.2.2.1 Mexican Americans
2.2.2.2 Puertoricaner
2.2.2.3 Cuban Americans
2.2.2.4 Zentral- und Südamerikaner
2.2.3 Zwischenfazit
2.3 Hispano, Latino, Chicano: Zur Begriffs- und Identitätsfrage
2.3.1 Hispanic America und Hispanic Americans
2.3.2 Latino
2.3.3 Chicano, Mexicano, Cubano und andere
2.3.4 Begriffliche Festlegungen für die folgenden Untersuchungen
2.3.5 “A Pan-ethnic Latino consciousness“: Abgrenzung, Gemeinsamkeit und Doppelidentitäten

3 Mexicanos, Cubanos und die politischen Parteien: Genauere Betrachtungen
3.1 Mexican und Cuban Americans als Untersuchungsbeispiele
3.2 Mexican Americans: Die ambivalente Minderheit?
3.2.1 Demographische Fakten
3.2.2 Geschichte, Immigrationsmotivation und Assimilation
3.3.3 Bildung und sozioökonomischer Status
3.3.4 Parteienzugehörigkeit, Wählerregistrierung und Wahlbeteiligung
3.3 Cuban Americans: Eine amerikanische Erfolgsstory?
3.3.1 Demographische Fakten
3.3.2 Geschichte, Immigrationsmotivation und Assimilation
3.3.3 Bildung und sozioökonomischer Status
3.3.4 Wählerregistrierung, Wahlbeteiligung und Parteienzugehörigkeit

4 Der Latino-Faktor in der US-Präsidentenwahl 2000 (und 2004): “Grabbing For Hispanic Votes“?
4.1 Der Latino-Faktor
4.1.1 Latinos in den USA: Eine Minderheit gewinnt an Macht?
4.1.2 Wahlergebnisse und Wahlverhalten der Latinos: Präsidentenwahl 2000
4.2 Der Kampf um die Latino-Stimmen: Die republikanische Wahlkampagne 2000
4.2.1 Bush und “Compassionate Conservatism“: Ideologische Grundlagen
4.2.2 Der Wahlkampf 2000: Ein politisches Programm für Latino-Wähler
4.2.2.1 Bildungspolitik und bilinguale Bildung
4.2.2.2 Affirmative Action
4.2.2.3 Einwanderungspolitik
4.2.3 Der Wahlkampf 2000: Strategien mit Wirkung auf Latinos?
4.2.3.1 Fernsehspots und öffentliche Auftritte: Image der Multikulturalität?
4.2.3.2 Bush und die spanische Sprache: “Un poco goes far?“
4.2.3.3 Bush und die hispanische Kultur: Familiäre Unterstützung
4.2.4 Zusammenfassung
4.3 Die US-Präsidentenwahl 2004: Einsichten und Aussichten
4.3.1 Vier Jahre danach: Eine Evaluation aus hispanischer Sicht
4.3.2 Der Latino-Faktor 2004: Prognosen und Ergebnisse
4.3.3 Zukunftsperspektiven

5 Resümee

Glossar

Bibliographie

Internetquellen

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Migration von und nach Puerto Rico, 1950-1970

2 Kubanische Immigration in die Vereinigten Staaten, 1959-1980

3 Einwanderung aus Zentralamerika, 1961-1996

4 Mexikanisch-amerikanische Bevölkerung in den USA im Jahr 2000

5 Bildungsstand von Hispanics und Nicht-Hispanics im Vergleich, 1999

6 In Armut lebende Familien in den USA, 1996

7 Wahlbeteiligung in den USA: Hispanisch und nicht-hispanisch im Vergleich, 1986-1998

8 Cuban Americans in den USA: Bevölkerungsverteilung im Jahr 2000

9 Beschäftigungsverhältnisse von Kubanern in Kuba und den USA im Vergleich, 1953-1963

Tabelle

1 Vergleich der US-Bevölkerung 1990/2000

2 Ergebnisse der US-Präsidentenwahl 2000

3 Ergebnisse der US-Präsidentenwahl 2000, Stimmen nach Gruppenzugehörigkeit

4 Wahlbeteiligung bei registrierten US-Bürgern nach Ethnizität, 2000

5 Wahlergebnisse der US-Präsidentenwahl 2004 und Stimmenzuwachs für George W. Bush seit 2000

6 Anteil der hispanischen Wählerschaft an der US-Wahlbevölkerung

7 Stimmen der Hispanics für republikanische Präsidentschaftskandidaten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

“It feels good to be Latino around election time. Politicians make you feel like you are really important to them. They go to your parties, eat your food, play your music and even try to talk to you in your own language. They tell you how much they care about the issues that affect you, and that they, and only they, can make things better for your community.”

(Salinas 2002)

Bereits seit mehreren Jahren beobachten Forscher, wie demographische Entwicklungen in den Vereinigten Staaten die politische Landschaft des Landes tiefgreifend und nachhaltig verändern. Die stetige Einwanderung von Menschen aus lateinamerikanischen Ländern, insbesondere aus Mexiko, ist ein Grund dafür, dass der zahlenmäßige Anteil der Latinos oder Hispanics in den USA in den vergangenen Jahren ständig gestiegen ist. Doch auch die besonderen demographischen Charakteristiken der in den Vereinigten Staaten lebenden hispanischen Bevölkerungsgruppen, die sich von der durchschnittlichen US-Bevölkerung sowie von allen anderen Minderheitengruppen unterscheiden, haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Seit jeher galten die Afro-Amerikaner als die größte ethnische Minderheit der Vereinigten Staaten und als solche mussten sie um soziale, ökonomische sowie politische Anerkennung und Einflussnahme kämpfen. Etwa Ende der 1990er Jahre jedoch hat die hispanische Minderheit die afro-amerikanische zahlenmäßig überrundet, wodurch die Latinos die Stellung der größten US-amerikanischen Minorität eingenommen haben.

Diese Verschiebung der Bevölkerung wirkt sich zunehmend auf die politischen Prozesse des Landes aus. War der Einfluss der hispanischen Wähler bei früheren Präsidentenwahlen aufgrund sehr niedriger Wahlbeteiligung kaum von Bedeutung, so hat er sich mit der Präsidentenwahl des Jahres 2000 erstmalig zu einem Faktor entwickelt, dem Wahlforscher und Demoskopen große Beachtung geschenkt haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der US-Wahlen widmeten sich auch die großen Parteien mit besonderer Aufmerksamkeit dem hispanischen Wählerblock. Wahlforscher hatten die Bedeutung dieser Wähler für den Ausgang der Präsidentenwahlen, besonders in solchen Bundesstaaten mit zahlenmäßig hohen Anteilen an hispanischer Bevölkerung, vorausgesagt. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner gaben Rekordsummen für eine Latino-orientierte Wahlkampagne aus und warben im Jahr 2000 mit überraschender Intensität um die Stimmen dieser Wählerschaft. Wie ist das enorme Wachstum der hispanischen Bevölkerung in den USA zu erklären? Welche Beweggründe veranlassen Menschen aus lateinamerikanischen Ländern zur Emigration in den Norden? Bleiben nationale Eigenheiten beim Aufenthalt in den USA bestehen und wenn ja, welche Auswirkung haben diese auf die politische Mobilisierung der Latinos? Wie einheitlich handelt, denkt und fühlt die Gruppe der Latinos? Wie wandeln sich wachsende Bevölkerungszahlen in politische Kraft? Welche typischen Charakteristiken prägen den sozialen und ökonomischen Status der Latinos und was macht ihre Besonderheit im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen aus? Wie reagieren die politischen Parteien auf sich verändernde demographische Prozesse ihres Landes? Wie nehmen Parteien und besonders deren Anwärter auf eine Präsidentschaft in den USA die hispanische Wählerschaft als zunehmenden Einflussfaktor wahr? Wie wichtig ist die hispanische Stimme wirklich für den Ausgang von Präsidentenwahlen? Wie zeichnet sich die zukünftige Entwicklung des „Latino-Faktors“ in der politischen Landschaft der Vereinigten Staaten ab? Ändern Latino-Wähler ihre Parteineigung zunehmend in die republikanische Richtung oder ist der prozentuale Anstieg der Latino-Stimmen für die republikanische Partei hauptsächlich der wachsenden Popularität des republikanischen Präsidentenkandidaten George W. Bush, insbesondere bei den mexikanisch-amerikanischen Wählern, zuzuschreiben?

Ziel dieses Buches “Grabbing for Hispanic Votes.“ - Der Latino-Faktor in der US-Präsidentenwahl von 2000 (und 2004) ist die schrittweise Beantwortung dieser Fragen. Anhand der US-Präsidentenwahl des Jahres 2000 wird die Position der hispanischen Bevölkerung als zunehmend einflussreiche Wählerschaft analysiert. Die Grundlage bilden dabei allgemeine geschichtliche und definitorische Vorbetrachtungen zur hispanischen Minorität in den USA im Kapitel 2. Darauf aufbauend werden in Kapitel 3 zwei Untergruppen der Hispanics als Untersuchungsbeispiele ausgewählt (Mexican und Cuban Americans) und es wird zu diesen eine intensivere Analyse ihrer jeweiligen nationalen Eigenheiten durchgeführt. Dabei geht es besonders um demographische Fakten, Einwanderungsgeschichte und Immigrationsmotive, Bildungsstand und sozioökonomischen Status sowie traditionelle Parteienzugehörigkeit, Wahlbeteiligung und Wählerregistrierung. Im Hauptteil der Untersuchung, Teil vier, liegt besonderes Augenmerk auf der republikanischen Wahlkampagne des Jahres 2000. Obwohl auch die demokratische Partei eine Latino-Kampagne geführt hatte, konzentriert sich diese Arbeit auf die der republikanischen Partei. Ein Diskussionsschwerpunkt ist hierbei die Frage, wie erfolgreich der republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush bei seinem Versuch, hispanische Wähler für sich zu gewinnen, war und welche Strategien und Themen es waren, die Beobachter der Wahl 2000 von einer republikanischen „Latino-Kampagne“ sprechen ließen. Ein kurzer abschließender Exkurs zur Präsidentenwahl 2004 dient der Beantwortung der Frage, ob sich die ausführlich untersuchten Muster des Jahres 2000 in der darauffolgenden Wahlperiode wiederholt haben und wenn ja, welche Zukunftstendenzen sich im Hinblick auf die Entwicklung der politischen Einflussnahme der hispanischen Wählerschaft in den USA an diesen zwei Wahlen ablesen lassen. Die Jahreszahl 2004 steht deshalb in Klammern, weil dieser letzte Untersuchungsteil keinen Anspruch auf Ausführlichkeit hat. Er konzentriert sich stattdessen auf die wichtigsten Aspekte der Wahl 2004 und dient hauptsächlich dem Vergleich mit dem Hauptteil dieser Arbeit. Das Resümee im 5. Kapitel fasst die durchgeführten Analysen und Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammen und macht abschließende Bemerkungen zum Thema.

Es bleibt zu erwähnen, dass alle männlichen Wortformen in der vorliegenden Arbeit lediglich der Einfachheit halber und um die Übersichtlichkeit zu wahren einheitlich sowohl für die männliche als auch für die weibliche Form verwendet werden.

2 Geschichte, Definitionen und aktuelle Trends: Einige Vorbetrachtungen

Als Hinführung zum Thema gibt dieses Kapitel wichtige geschichtliche Grundlagen. In einem kurzen Exkurs werden die großen Entwicklungslinien der Immigration in die USA nachgezeichnet (2.1), um besonders auf die Verschiebungen der Herkunftsländer Mitte des 20. Jahrhunderts als Beginn der bis heute beständigen Einwanderung aus lateinamerikanischen Ländern einzugehen. Anschließend folgt eine genauere Auseinandersetzung mit den wichtigsten hispanischen Untergruppen (2.2). Auch mit der Definition von Begriffen, die im Zusammenhang mit der hispanischen Bevölkerung in den USA verwendet werden, beschäftigt sich dieser einführende Teil (2.3). Er gibt darüber hinaus einen Einblick in die ambivalente Identitätsfrage der hispanischen nationalen Gruppen, deren Gemeinsamkeiten und nationalen Eigenheiten sowie die sogenannten „Doppelidentitäten“.

2.1 “A Nation of Nations“: Eine kurze Geschichte der Einwanderung

„Americans are not a narrow tribe, our blood is as the flood of the Amazon, made up of a thousand noble currents all pouring into one.”

(Herman Melville)[1]

Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ist die Geschichte der Einwanderung in dieses Land. Obwohl in den USA nur etwa fünf Prozent der gesamten Weltbevölkerung leben, nimmt das Land „mehr als 50 Prozent aller internationalen Emigranten – also der aus einem in ein anderes Land Wandernden – auf“ (Lösche 1989: 17). Seit der Gründung der Vereinigten Staaten haben Immigranten aus aller Welt dazu beigetragen, eines der Hauptmerkmale der amerikanischen Nation zu begründen und zu festigen – seine ethnische, kulturelle sowie religiöse Vielfalt.

Immigranten machten die Vereinigten Staaten zu dem Phänomen, das sie heute sind. Sie haben „das Amerika“ geschaffen, dessen Mythos und typische Charakteristiken sich noch immer der genauen Beschreibung und Definition der wissenschaftlichen sowie populären Literatur entziehen. Einwanderer leisteten nicht nur ihren ganz persönlichen Beitrag zur Geschichte des Landes. Sie haben unter enormen Anstrengungen und persönlichen Entbehrungen auch zur wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen, welche den USA die privilegierte Vormachtstellung sichert, die sie in der heutigen Weltordnung für sich beanspruchen.

Im Folgenden wird einer Überblick über die Geschichte und die wichtigsten Etappen der Einwanderung in die USA gegeben, ausgehend von der Gründung der Vereinigten Staaten (2.1.1), der Veränderung der Strömungen in den 1920er Jahren (2.1.2) bis hin zum Jahr 1965 (2.1.3), dem Jahr wichtiger Änderungen der Einwanderungsgesetze, die zum Trend gegenwärtiger (2.1.4) geführt haben. Es werden Voraussagen zur zukünftigen Einwanderung in die USA (2.1.5) gemacht, die sich angesichts aktueller demographischer Entwicklungen abzeichnen. Die folgenden Ausführungen dienen dabei als Grundlage zum besseren Verständnis der Hauptthematik dieser Arbeit und beanspruchen keine Garantie auf Vollständigkeit bzw. Ausführlichkeit.

2.1.1 Ursprünge der Immigration in die Vereinigten Staaten

Give me your tired, your poor, Your huddled masses yearning to breathe free, The wretched refuse of your teeming shore. Send these, the homeless, tempest-tost to me, I lift my lamp beside the Golden Door!

(Emma Lazarus)[2]

Die Statue of Liberty, auch “Mother of Exiles” (Chavez 2001: 130) genannte Freiheitsstatue auf Ellies Island in New York, ist die Ikone aller Einwanderer, die in vielen Jahren aus den verschiedensten Ländern der Welt in die USA gekommen sind. Im Mythos der grenzenlosen Freiheit in den Vereinigten Staaten hofften sie, dort ein neues Leben zu beginnen. Es sind die Müden und Armen, die zusammengepferchten Massen, die Gescheiterten und Verzweifelten, die Heimatlosen und Verfolgten, denen die Freiheitsstatue, Mutter der Exilsuchenden, die „goldene Tür“ zu einem neuen Leben öffnen soll. So wird es in Emma Lazarus´ Gedicht bildlich dargestellt, das seit dem Jahr 1903 die Inschrift auf der Statue of Liberty prägt. Doch auch die Abenteurer, die Träumer, die Risikofreudigen zählen zu den Immigrantentypen.

Betrachtet man die amerikanische Geschichte, so zeigt sich, dass bisher insgesamt mehr als 45 Millionen Menschen in die USA eingewandert und dort geblieben sind (vgl. Lösche 1989: 18). Die Anfänge dieses Phänomens der ethnischen Vielfalt liegen in der Geschichte der Einwanderung, Besiedlung und Kolonisation des Landes. So waren die dreizehn Kolonien, die sich im Unabhängigkeitskrieg (1775-1781) von der britischen Krone losgesagt und die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet hatten, „überwiegend von Briten (61 Prozent Engländer, 17 Prozent Schotten und Iren) besiedelt worden, 99 Prozent waren Protestanten“ (Lösche 1989: 20). Am Anfang der Einwanderungsgeschichte in die USA stand also eine mehr oder weniger starke ethnisch-religiöse Geschlossenheit, die der sogenannten “White Anglo-Saxon Protestants“ (WASP). Diese Bezeichnung wird heutzutage eher mit einer weißen nativistischen, Anti-Immigrationsströmung in Verbindung gebracht (vgl. Lösche 1989: 20 und Huntington 2004a: 41).

Da Menschen fehlten, die die immensen Territorien des neu gegründeten Landes besiedeln würden, setzten bald darauf neue Einwanderungsströme ein. Diese brachten eine weitere ethnische Ausdifferenzierung der Bevölkerung mit sich. „Während die Alte Welt unter Bevölkerungsüberschuss litt“ (Lösche 1989: 20), verbreitete sich in Europa schnell der Mythos von Freiheit und Neuanfang in Übersee. Seit jeher waren es vor allem wirtschaftliche Gründe, die die Menschen aus Europa vertrieben hatten, während in Amerika wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Aufstieg lockten. Lösche (1989) bezeichnet diese beiden Faktoren als “Push“- und “Pull“- Faktoren[3]. Sie galten das gesamte 19. und 20. Jahrhundert und haben bis in die Gegenwart nichts von ihrer Anziehungskraft verloren, auch wenn sich die Herkunftsländer der Immigranten im Laufe der Zeit stark veränderten.

Im 19. Jahrhundert waren es vor allem die Deutschen, die katholischen Iren und die Skandinavier, welche die ethnische Vielfalt der bis dahin eingewanderten amerikanischen Bevölkerung weiter prägten. Doch nicht nur Siedler aus Europa kamen in die USA. Es wurde auch weiterhin neues Territorium erobert und die dort ansässige Urbevölkerung einfach dem neuen Land „einverleibt“. So verlor der südliche Nachbar der USA, Mexiko, am Ende des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges im Jahr 1848 fast die Hälfte seines riesigen Landes. Es war jenes Gebiet, „auf dem heute die Staaten Arizona, Kalifornien, Nevada, New Mexico und Teile von Colorado und Texas liegen. 80.000 Mexikaner wurden zu Amerikanern“ (Lösche 1989: 21).

Diese Annexion mexikanischen Territoriums führte bald darauf zu einem Einwanderungsstrom aus Mexiko und brachte den USA „billige landwirtschaftliche Arbeitskräfte, später auch billige Hilfsarbeiter für die Industrie“ (ebd.: 21). Sieht man aber von den etwa vier Millionen Mexikanern ab, die zu dieser Zeit in den Norden kamen, so waren bis in die 1920er Jahre die Einwanderer in die Vereinigten Staaten vorwiegend aus Europa. Lösche (1989) nennt folgende Zahlen:

- 1790 bis 1840: 750.000 Einwanderer
- 1840 bis 1880: 8 Millionen Einwanderer
- 1880 bis 1930: 23 Millionen Einwanderer (vgl. Lösche 1989: 21f.)

Die Gebiete mit sich schnell entwickelnder Industrie waren immer auf die Neuankömmlinge aus den verschiedensten Ländern angewiesen und verdanken ihnen nicht zuletzt auch den enormen wirtschaftlichen Aufstieg des Landes.

2.1.2 Die 1920er Jahre: Flucht aus Südosteuropa

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich die Demographie der Einwanderung aus Europa insofern verändert, dass nun vorwiegend Süd- und Osteuropäer ihre Länder verließen, um in den USA ein neues Leben zu beginnen. In der sogenannten „Neuen Einwanderung“ (vgl. Avery/Steinisch 1998: 82) von 1880 bis 1930 „wanderten Italiener, Polen und russische Juden, die politisch verfolgt wurden, aber auch Slowenen, Kroaten, Serben, Tschechen, Bulgaren, Ungarn, Rumänen, Griechen, Spanier und Portugiesen ein“ (Lösche 1989: 22). Im Jahr 1910 war bereits ein Viertel aller in den USA tätigen Arbeitskräfte im Ausland geboren.

In den 1920er Jahren ließ jedoch die große Nachfrage nach neuen Arbeitskräften aufgrund eines gewissen Sättigungsgrades der Industrialisierung nach (vgl. ebd.: 22). Dazu kam, dass die Einwanderer aus Süd- und Osteuropa in den USA nicht nur mit Wohlwollen betrachtet wurde. Es gab sogar jene Stimmen, die davon überzeugt waren, dass die „Neuen“ rassisch minderwertig bzw. den „alten“ Einwanderern kulturell unterlegen seien (vgl. ebd.: 22). Fremdenfeindlichkeit beeinflusste die Immigrationspolitik der USA in dieser Zeit (vgl. Schwabe 1998: 115). Es wurde nach Mitteln und Wegen gesucht, um die Einwanderung aus den Ländern Ost- und Südeuropas drastisch einzudämmen. Dieses Bestreben fand schließlich in den Immigration Acts von 1921 und 1924[4] seinen Ausdruck. Diese gesetzlichen Neuerungen wurden aufgrund ihrer Inhalte auch Quotengesetze genannt. Sie bestanden in der erstmaligen „Einführung einer jährlichen Höchstgrenze von insgesamt nur noch 150.000 Einwanderern aus Europa und der Quotierung dieser Einwanderervisa entsprechend dem Anteil der jeweiligen Nationalitätengruppe an der amerikanischen Bevölkerung im Jahr 1920“ (Lösche 1989: 22).

Wegen der demographischen Zusammensetzung der US–Bevölkerung bevorzugte diese Regelung jedoch weiterhin sehr stark die Zuwanderung aus den west- und nordeuropäischen Ländern (vgl. Chavez 2001: 5 und Guggisberg 1988: 186). So wurden beispielsweise im Jahr 1929 mehr als 82 Prozent aller Visa den Ländern Nordwesteuropas zugewiesen, während die Länder Südosteuropas nur 16 Prozent der Visa in Anspruch nehmen durften und gerade 2 Prozent für alle anderen Länder übrig blieben. Asiaten hatten zu dieser Zeit nur äußerst geringe bis gar keine Chancen, ein Visum zur Einreise in die Vereinigten Staaten zu erhalten (vgl. Chavez 2001: 5). Unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise kam die Einwanderung dann fast völlig zum Erliegen.

Zu den Immigrationsströmungen vor und während des Zweiten Weltkrieges lässt sich feststellen, dass die restriktive Einwanderungspolitik der USA im Wesentlichen anhielt (vgl. Van Capelleveen 1989: 57) und „nicht nur zu einem substantiellen Rückgang der Zahl der Einwanderer insgesamt [führte], sondern auch eine eindeutige Präferenz für Immigranten aus Nord- und Westeuropa“ (ebd.: 57) signalisierte. Bis in die 1960er Jahre hinein dauerte diese Phase der recht einseitigen, zahlenmäßig begrenzten Einwanderung in die Vereinigten Staaten. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges „die restriktive Starrheit und relative Undurchlässigkeit der amerikanischen Einwanderungspolitik zunehmend Löcher [...]“ (ebd.: 57) bekam. So erhielten im Rahmen des sogenannten Bracero -Programmes (1942-1964) knapp fünf Millionen saisonaler „Gastarbeiter“ aus Mexiko befristete Arbeitsverträge, um in der amerikanischen Landwirtschaft zu arbeiten. Doch auch private Haushalte, der Bergbau und die verarbeitende Industrie benötigten die in der Regel ungelernten Arbeitskräfte (vgl. Van Capelleveen 1989: 62).

2.1.3 Das Jahr 1965: Tiefgreifende Veränderungen

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten sich sogenannte Einwanderer communities in den USA gebildet, die für die nach 1965 kommenden Migranten eine fundamentale Basis bilden sollten. Diese communities ließen den Neuankömmlingen „nicht nur Information und materielle Zuwendungen zukommen [...], sondern [fungierten] für [...] sie auch als wichtige Verbindung und Anlaufstelle [...]“ (Van Capelleveen 1989: 62). Vor 1965 war besonders die Einwanderung aus Asien und den meisten lateinamerikanischen Ländern erschwert und begrenzt. Auch die süd- und osteuropäische Einwanderung ging stark zurück. West- und Nordeuropäer dagegen wurden weiterhin bevorzugt.

Mit der Änderung der Einwanderungsgesetze von 1965 wurde diese Bevorzugung jedoch im Wesentlichen aufgehoben und die zukünftige Einwanderung vereinfacht. Dies führte dazu, dass die Zahl der legalen Einwanderer „entsprechend von 279.000 im Jahre 1965 auf 800.000 im Jahre 1980 emporgeschnellt“ ist (Lösche 1989: 27). Das neue Gesetz, das am 1. Juli 1968 in Kraft trat, schaffte die bisherige Restriktionspolitik ab und „ersetzt es zugunsten eines primär auf Familienbeziehungen und, weniger prominent, auf Arbeitsmarkterfordernisse ausgerichteten Präferenzsystems“ (Van Capelleveen 1989: 62). Präferenzen hatten somit Immigranten mit Arbeitszertifizierungen und auch solche, die im Zuge der Familienzusammenführung einreisen durften. So kamen hochqualifizierte Fachkräfte wie Wissenschaftler, Künstler, Ärzte, Facharbeiter, aber auch un-/angelernte Arbeiter, sofern eine Knappheit an solchen Arbeitskräften bestand. Flüchtlinge standen an letzter Stelle dieses Präferenzsystems (vgl. Van Capelleveen 1989: 63). Der größte Teil, circa 74 Prozent der Gesamteinwanderung, war für sonstige Familienangehörige von Amerikanern bzw. für Einwanderer mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis (permanent residents) reserviert (vgl. ebd.: 63).

Obwohl die Neuerungen der Immigrationsgesetze nach der Einschätzung des damaligen Präsidenten Johnson nicht unbedingt revolutionär waren („this is not a revolutionary bill“ (Van Capelleveen 1989: 63), so hatten sie doch das erklärte Ziel, „die Benachteiligung von Einwanderern aus Süd- und Osteuropa sowie die offene Diskriminierung asiatischer Einwanderer“ (ebd.: 63) abzuschaffen.

2.1.4 Das Jahr 2000: Aktuelle demographische Trends

“We were, and still are, a nation of immigrants.”

(Chavez 2001: 80)

“Since 1965, changes have taken place both in the composition and total numbers of immigrants coming to the United States” (Chavez 2001: 82). Waren im Jahr 1959 noch 61 Prozent aller Einwanderer aus Europa, 9 Prozent aus Kanada und Asien, etwa 1,6 Prozent aus Afrika und Ozeanien und circa 20 Prozent aus Lateinamerika (vgl. Murswieck 1998: 625ff.), so lässt sich in den darauffolgenden Jahren ein gewaltiger demographischer Wandel verzeichnen. Veränderungen sind dabei nicht nur an den Einwanderungszahlen ablesbar, sondern auch bei Betrachtung der Herkunftsländer – ein Wandel, der seine Aktualität bis in die Gegenwart beibehält.

Zwischen 1981 und 1998 fiel die Zahl der europäischen Einwanderer auf weniger als 12 Prozent und die der Kanadier auf 1,6 Prozent. Die Zahl der Einwanderer aus Asien stieg auf beträchtliche 35 Prozent und die der Zuwanderer aus Lateinamerika sogar auf 47,5 Prozent. Australien und alle anderen Länder zusammen stellten 3,9 Prozent aller Einwanderer in dem genannten Zeitraum (vgl. Hübner 2001: 27). Dem US-Zensus[5] von 1998 zufolge lebten in diesem Jahr circa 270 Millionen Menschen in folgender Zusammensetzung in den USA:

- 195 Millionen Weiße nicht-hispanischer Abstammung
- 32,7 Millionen nicht-hispanische Schwarze
- 9,8 Millionen nicht-hispanische Asiaten und die sogenannten Pacific Islanders
- 2 Millionen nicht-hispanische Native Americans, Eskimos und Aleuts
- 30,5 Millionen Hispanics (vgl. Denton 2002: 138)

Im US-Zensus des Jahres 2000 haben sich die Zahlen erneut wesentlich verändert. Beim Vergleich des Anteils der hispanischen Bevölkerung an der Gesamteinwohnerzahl lässt sich ablesen, dass dessen Größe bereits auf 35,3 Millionen gestiegen ist. Das entspricht etwa einem Anteil von 12,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung (vgl. Acuña 2003: 2). Nicht-hispanische Weiße machten im Jahr 2000 etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung (vgl. Schachter 2003: 4) aus. Noch zwei Jahre zuvor hatte ihr Anteil an der gesamten US-Bevölkerung 73,3 Prozent betragen (vgl. Denton 2002: 139).

Tabelle 1: Vergleich der US-Bevölkerung 1990/2000

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: US Census of Population, 1990/2000 [6]

Allein anhand dieser wenigen Zahlen lässt sich der gegenwärtige demographische Trend in den Vereinigten Staaten ablesen. Europäische Einwanderung sowie die Migration aus Kanada nimmt kontinuierlich ab, während die Einwanderung aus Lateinamerika und Asien bereits beträchtliche Ausmaße angenommen hat. Weitere Einwanderung ist jedoch nicht der einzige Grund für die sich verändernden Bevölkerungszahlen. Auch die nach Herkunftsländern variierenden Geburts- und Sterberaten bilden wesentliche Einflussfaktoren auf die demographische Zusammensetzung der US-Bevölkerung und deren stetiger Veränderung.

2.1.5 Zukunftsperspektiven: Bedrohung oder Chance?

Die gegenwärtigen Trends der sich rasant verändernden Zusammensetzung der US-amerikanischen Bevölkerung werden sich weiterhin fortsetzen und nachhaltige Folgen haben. So wird der Anstieg der hispanisch-amerikanischen Bevölkerung bis zum Jahr 2030 auf circa 17,9 Prozent geschätzt, während nicht-hispanische Weiße auf 60, 1 Prozent fallen werden[7]. Allgemein lässt sich sagen, dass „von 1997 bis 2030 [...] die Hälfte des Bevölkerungswachstums auf die hispanischen und asiatisch-pazifischen Bevölkerungsgruppen entfallen [wird]“ (Murswieck 1998: 627f.). Den Zukunftsprognosen der Demoskopen zufolge werden bis zum Jahr 2050 durch weitere Einwanderung und Nachwuchs etwa 97 Millionen Hispanic Americans in den USA leben. Das entspricht etwa 24,5 Prozent der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten (vgl. Sullivan 2000: 1).

Diese deutlichen Veränderungen der Zusammensetzung der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten werden jedoch nicht von allen US-Amerikanern mit Wohlwollen betrachtet. Die öffentliche Diskussion um eine Interpretation der aktuellen und zukünftigen Zahlen hat sich in einem breiten Meinungsspektrum manifestiert, wie beispielsweise eine Studie von Chavez (2001) belegt. Diese untersucht die populären Images und Metaphern von Beiträgen und Artikeln in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, mit denen die öffentliche Berichterstattung sich über einen Zeitraum von circa 30 Jahren hinweg mit dem Thema der Einwanderung und der sich verändernden Zusammensetzung der US-Bevölkerung auseinandergesetzt hat. Das Bild der Bedrohung wird in den verschiedensten dazu untersuchten Zeitungen und Zeitschriften wesentlich stärker gezeichnet, als das der Chance, die eine solche Veränderung in sich birgt. Auch andere anerkannte Autoren wie zum Beispiel Samuel P. Huntington (2004b) in seiner neuesten Veröffentlichung Who are we?: The Challenges to America´s National Identity[8] behandeln jenes Thema der Selbstidentifikation der US-Amerikaner, das in den letzten Jahren eine nicht zu unterschätzende Brisanz erlangt hat.

2.2 Hispanische Immigration in die USA: Ein Überblick

“The relationship between the United States, Mexico, and other Latin American countries [...] is inextricably intertwined by a complex history of militarily, politically, and economically oppressive relationships over the last 200 years. Latinos have generation after generation, at times through enormous personal sacrifice and working in subhuman conditions, made a significant contribution to this country´s cultural life and to its economic and democratic institutions.”

(Donaldo Macedo)[9]

Bei der Diskussion um die Zukunftsprognosen der US-amerikanischen Bevölkerung spielen Hispanics eine wesentliche Rolle. Sie stellen bereits heute einen hohen prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung der USA und ihre Anzahl wird weiter wachsen. Viel früher als von verschiedenen Schätzungen vorausgesagt, haben sie die African Americans als größte Minderheit überholt[10]. Neuere Studien und Zensus-Zahlen belegen, dass die Hispanics bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt die größte Minorität sind:

„Der United States Census 2000 ergab, dass rund 35,3 Millionen Amerikaner aus einem spanischsprachigen Land stammen. Damit hat ihr Anteil den der 34,7 Millionen Amerikaner, die sich ausschließlich zu den African Americans zählen, überrundet. Heute stellen die Hispanics die größte ethnische Minderheit der USA dar. In manchen Bundesstaaten beträgt ihr Anteil über 30 Prozent“ (Baldauf 2002: 83).

Diese Entwicklung nimmt wesentlichen Einfluss auf verschiedenste Aspekte des US-Alltags, nicht nur auf ökonomische und soziale, sondern auch auf politische. Seit dem Jahr 1990 ist die amerikanische Bevölkerung hispanischen Ursprungs auf 12,5 Prozent bzw. auf 35,3 Millionen Menschen gestiegen. Bei der Präsidentenwahl des Jahres 2000 in den USA machten Hispanics 7 Prozent oder 5,9 Millionen aller Wähler (vgl. Borrus 1999) aus. Das sind bereits 60 Prozent mehr als noch im Jahr 1988.

Woher kommen nun die Einwanderer hispanischer Herkunft, wo haben sie in den Vereinigten Staaten ihre bevorzugten Siedlungsgebiete und wie begründet sich der enorme Anstieg der Zuwanderung aus den Ländern Lateinamerikas in die USA – das Land, welches die Hispanics häufig „el otro lado“ nennen („die andere Seite“) oder auch “La Tierra del Tío Sam“ („Das Land von Onkel Sam“) oder einfach “El Norte” („Der Norden“) (vgl. Chavez 2001: 239)?

2.2.1 Herkunftsländer und bevorzugte Siedlungsregionen von Hispanics

Die größte Quelle der Immigranten ist Mexiko. Aus dem südlichen Nachbarland der USA kamen 1996 etwa 64 Prozent aller hispanischen Einwanderer. Aber auch Puerto Rico (10,5 Prozent), die Dominikanische Republik und Kuba (4,8 Prozent) sind Herkunftsländer (vgl. Cockcroft 1996: 12f.), die einen wesentlichen Anteil lateinamerikanischer Einwanderer in die USA stellen. Aus zentralamerikanischen Ländern wie Guatemala, El Salvador, Panama und Honduras kommen die Menschen ebenfalls. Viele nehmen beim Versuch, die Grenze zum nördlichen Nachbarn, oft ohne Papiere und illegal zu überqueren, große Anstrengungen auf sich. Auch Südamerika stellt einen kleinen Prozentsatz hispanischer Einwanderer, wenn auch nicht in der Höhe wie andere lateinamerikanische Länder.

Hispanic Americans besiedeln fast das gesamte Territorium der Vereinigten Staaten, doch es gibt einige besonders bevorzugte Regionen, in denen große Teile der hispanischen Bevölkerung leben: “Mexican Americans in the Southwest, Puerto Ricans in the Northeast, and Cubans in South Florida” (Longoria 2000: 181). Sie ließen sich vor allem in größeren Städten nieder, aufgrund der besseren Arbeitsmarktsituation. „Los Angeles is home to about 5 million Latinos; New York City, 3 million; Miami, 1 million; and San Francisco, Chicago, and Houston each have close to one million Latino residents” (ebd.: 181).

2.2.2 Ausgewählte hispanische Einwanderergruppen im Blickpunkt

Die vier wichtigsten, oft in der Literatur erwähnten Gruppen der Hispanics, sind die Mexican Americans, Puertoricaner, Cuban Americans sowie Zentral- und Südamerikaner. Die Geschichte jeder einzelnen Gruppe ist verschieden. Häufig wird in der Literatur beschrieben, dass sich keineswegs von einer homogenen ethnischen Gruppe sprechen lässt. Weiterführend werden einige Aspekte der wichtigsten Gruppen in einem Überblick skizziert.

2.2.2.1 Mexican Americans

Mexiko nimmt aufgrund der territorialen Nähe zu den Vereinigten Staaten und deren eng verbundenen Geschichte zweifelsohne eine Sonderstellung unter den Emigrationsländern ein. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wurde bereits etwas zu den Ursprüngen mexikanischer Herkunft im 19. Jahrhundert in den USA erläutert. So war diese keineswegs eine Einwanderung im ursprünglichen Sinn, sondern eine durch Krieg, Annexion und später durch Kauf verursachte „Einverleibung“ ehemals mexikanischen Territoriums und der darin lebenden Bevölkerung in die USA. Viele Vorfahren der hispanischen Bevölkerung in Staaten wie Kalifornien, Arizona, New Mexico und Texas stammen aus dieser Kolonialzeit (vgl. Sullivan 2000: 5).

Im Jahr 1990 identifizierten sich circa 13,4 Millionen Amerikaner als Mexican Americans. Obwohl es vorwiegend im Südwesten der USA seit der Kolonialzeit Mexican Americans gibt, auch im Rahmen des Bracero -Programmes[11] (vgl. Van Capelleveen 1989: 62 und Ochoa 2001: 147ff.) eine größere Zahl saisonaler Arbeiter aus Mexiko in die USA kamen, sind doch die meisten aller mexikanischer Immigranten erst ab 1985 eingewandert. In den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends war Mexiko noch immer eines der hauptsächlichen Herkunftsländer der Immigranten. Doch nicht nur auf legale Weise kommen die Mexikaner in die USA. Nach Schätzungen des INS, des Immigration and Naturalization Service, bilden die Mexikaner auch die größte Quelle illegaler Einwanderung. Schätzungen zufolge waren im Jahr 1996 circa 2,7 Millionen Mexikaner ohne Papiere über die Grenze gekommen (vgl. Sullivan 2000: 6).

Die Mehrzahl der mexikanisch-amerikanischen Bevölkerung ist in größeren Städten sesshaft geworden. Vor allem Texas, Arizona, New Mexico, Utah, Colorado und Nevada haben sich als wichtige Staaten herausgebildet haben (vgl. ebd: 6). Mexiko trägt als Herkunftsland der Immigration gegenwärtig eine Schlüsselrolle in der öffentlichen Diskussion der Vereinigten Staaten und wird den Zukunftsprognosen zufolge weiterhin an Bedeutung gewinnen.

2.2.2.2 Puertoricaner

Alle Puertoricaner erhalten von Geburt an die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Als Folge des Spanisch-Amerikanischen Krieges (1898) fiel die Insel Puerto Rico vom spanischen Besitz in den der Vereinigten Staaten. Puertoricaner sind deshalb keine Immigranten im herkömmlichen Sinn, sondern werden eher als Migranten bezeichnet, die sich relativ frei zwischen dem Hauptland USA und der Insel Puerto Rico bewegen können. Es gibt eine konstante Migrantenströmung vorwiegend zwischen den Städten der Ostküste, hauptsächlich der New York City/New Jersey-Region, und zwischen der Insel Puerto Rico.

Besonders in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten viele Puertoricaner von der Insel in die USA in einer Strömung, die auch als „Great Migration“ bekannt wurde (vgl. Ochoa 2001: 151). Gründe dafür waren die Armut und die Überbevölkerung auf der Insel, aber auch die immer wiederkehrenden politischen Unruhen. Puerto Rico war im Jahr der Eroberung von den Vereinigten Staaten ein „Commonwealth-Status“ zugestanden worden und damit die politische Selbstverwaltung, nicht jedoch die volle Unhabhängigkeit von den USA. Um diese zu erlangen bildeten sich vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedene terroristische Gruppen. Der Versuch, den damaligen US-Präsident Harry S. Truman (Regierungszeit von 1945-1953) während der Unabhängigkeitsbestrebungen zu beseitigen, scheiterte jedoch (vgl. ebd.: 151). In einem öffentlichen Referendum im Jahr 1967 stimmten 60 Prozent aller Puertoricaner für ein Weiterbestehen des Commonwealth-Status der Insel, 39 Prozent verlangten die Eigenstaatlichkeit und nur ein Prozent stimmte für die völlige Unabhängigkeit Puerto Ricos (vgl. Ochoa 2001: 154). Nach dem US-Zensus von 1990 lebten in diesem Jahr etwa 2,7 Millionen Puertoricaner in den Vereinigten Staaten. Damit stellten sie circa 12,1 Prozent aller Hispanics und bilden nach den Mexikanern die zweitgrößte Untergruppe der hispanischen Minderheit (vgl. Sullivan 2000: 6). Auf der Insel Puerto Rico selbst lebten in dem genannten Jahr circa 3,5 Millionen Puertoricaner.

Abbildung 1: Migration von und nach Puerto Rico, 1950-1970

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Ochoa 2001: 157

2.2.2.3 Cuban Americans

Einige der Cuban Americans waren bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten eingewandert. Der größte Teil von ihnen kam jedoch erst seit den frühen 1960er Jahren, nachdem Fidel Castro 1959 durch die Revolution in Kuba an die Macht gekommen war und das Land unter sozialistische Führung brachte. 1990 waren die Cuban Americans nach den Mexikanern und Puertoricanern die drittgrößte Gruppe der Hispanics mit etwas mehr als einer Million Menschen (vgl. Sullivan 2000: 7). 72 Prozent dieser Menschen sind in Kuba geboren.

Die Mehrzahl der seit 1960 aus Kuba Eingewanderten werden als politische Flüchtlinge bezeichnet. Allein zwischen 1959 und 1962 flohen circa 155.000 Kubaner vor Castros politischem Regime in die Vereinigten Staaten. Die meisten von ihnen waren Geschäftsleute, Bankangestellte, Anwälte, Lehrer oder Staatsbeamte – vorwiegend Menschen der kubanischen Mittel- und Oberschicht. Im Jahr 1973 zählten die Vereinigten Staaten bereits mehr als 500.000 Kubaner (vgl. Ochoa 2001: 160). Die Mehrheit der kubanischen Amerikaner leben ebenso wie die Puertoricaner in der New York City/New Jersey-Region, aber auch in Florida siedeln viele von ihnen, vermutlich aufgrund der territorialen Nähe zu Kuba. Die Stadt Miami ist wegen des hohen Anteils an Cuban Americans auch als „Little Cuba“ bekannt geworden. Viele kubanische Flüchtlinge und deren Kinder haben dort Geschäfte eröffnet oder Firmen gegründet.

Ein etwas kleinerer Anteil an kubanischen Immigranten kam in einer zweiten Flüchtlingswelle während der 1980er Jahre, die meisten im sogenannten “Mariel boatlift“. Dies war eine „Rettungsaktion“ durch amerikanische Soldaten, die mit US-amerikanischen Booten kubanische Flüchtlinge aus den Häfen Kubas abholten und in Flüchtlingslager auf das amerikanische Festland brachten (vgl. Sullivan 2000: 7 und Ochoa 2001: 158ff.). Seit den 1990er Jahren hat der Strom einwanderungswilliger Kubaner allerdings nachgelassen, obwohl die ehemals strengen Reisebeschränkungen zwischen Kuba und den USA inzwischen gelockert wurden.

Abbildung 2: Kubanische Immigration in die Vereinigten Staaten, 1959-1980

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Ochoa 2001: 160

2.2.2.4 Zentral- und Südamerikaner

Die Zahl der Immigranten aus Zentral- und Südamerika erreicht nicht die Ausmaße wie der bereits genannten Ländern, dennoch dürfen sie in der Diskussion nicht unterschätzt werden. Die Ursachen für die Auswanderung aus den Ländern Zentral- und Südamerikas sind so vielfältig wie deren Einwohner. Einige der „Pushfaktoren“, die viele Menschen zur Auswanderung aus ihrer Heimat veranlassen, sind politische Unruhen, ein großes Bevölkerungswachstum sowie ökonomischer Notstand.

Zentralamerika

Besonders für Menschen aus Zentralamerika waren es die politischen Unruhen der vergangenen Jahrzehnte, die sie dazu veranlassten, aus ihren Heimatländern zu fliehen. Sie verließen ihre Heimatländer meist in der Hoffnung, in den Vereinigten Staaten wenigstens vor der Bedrohung durch Militärdiktaturen oder Guerillabewegungen[12] geschützt zu sein. Doch auch die zum Teil durch korrupte Regierungen verursachte extreme wirtschaftliche Notlage und die sie begleitende Armut großer Bevölkerungsschichten trieben viele Zentralamerikaner zur Entscheidung, „auf der anderen Seite“ ihr Glück zu versuchen.

Im Jahr 2000 lebten etwa 1,3 Millionen Zentralamerikaner in den Vereinigten Staaten, mit El Salvador als führendem Herkunftsland. Mehr als 565.000 Salvadorianer lebten 1990 in den USA und etwa 117.000 kamen zwischen 1991 und 1994 noch dazu (vgl. Sullivan 2000: 7). El Salvadors nördliches Nachbarland, Guatemala, stellt die zweithöchste Zahl an Immigranten aus dieser Region. Die Guatemalteken flohen vor allem während der Zeit des 36 Jahre andauernden Bürgerkrieges (1960-1996) in die USA. Dieser manifestierte sich zwischen der Militärdiktatur und der linken Guerilla des Landes und ging als der längste Bürgerkrieg in die Geschichte Lateinamerikas ein. Neben Salvadorianern und Guatemalteken leben auch kleinere Gruppen von Nikaraguanern, Honduranern, Panamaern und Costaricanern in den Vereinigten Staaten, von denen die meisten nach 1985 in die USA eingewandert sind.

Viele dieser Immigranten, insbesondere aus Guatemala, Panama und El Salvador, haben aufgrund von Gewalt und politischer Verfolgung in ihrer Heimat um einen Flüchtlingsstatus in den USA ersucht, den die US-Regierungen ihnen allerdings nur mit größter Zurückhaltung gewährt haben (vgl. Van Capelleveen 1989: 64). Allein in Guatemala wurde während des Bürgerkrieges über eine Million Menschen zu Flüchtlingen, die nicht nur in den Vereinigten Staaten um Aufnahme baten, sondern auch in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten (vgl. Ochoa 2001: 191). Die hauptsächliche Ursache für das Zögern der USA, Menschen aus diesen Ländern als Flüchtlinge aufzunehmen, waren jedoch die zumeist „freundschaftlichen Beziehungen“ zu den Militärdiktaturen dieser Länder, wie z.B. im Falle El Salvadors oder Guatemalas. Diese Regionen haben historisch begründete starke ökonomische Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Nach 1840 begannen US-amerikanische Firmen[13], Millionen von US-Dollar in Landwirtschaft und Bergbau dieser Regionen zu investieren (vgl. Ochoa 2001: 170). Um diese zu sichern, unterstützten sie die meist rechtsgerichteten Diktatoren.

Die bereits brisante ökonomische Situation wurde durch die politischen Unruhen in den Ländern Zentralamerikas noch wesentlich verschärft, die Armut wuchs und für viele Zentralamerikaner lag die einzige Hoffnung in „El Norte“, den Vereinigten Staaten. Wenn es möglich war, kamen sie auf legalem Weg mittels Visum in die USA, doch viele versuchten auch, nach beschwerlichen Reisen durch Mexiko, illegal über die Grenze zu gelangen. Hauptsächliches Siedlungsgebiet von Zentralamerikanern ist Los Angeles, aber auch Städte wie New York, Miami und andere Orte, in denen sich bereits Latino-communities etabliert hatten, wurden zum Ziel der Immigranten aus zentralamerikanischen Ländern (vgl. Ochoa 2001: 170) und sind es bis heute geblieben.

Abbildung 3: Einwanderung aus Zentralamerika, 1961-1996

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Ochoa 2001: 190

Südamerika

Mehr als eine Millionen Menschen aus verschiedenen Ländern Südamerikas lebten dem US-Zensus zufolge im Jahr 1990 in den Vereinigten Staaten (vgl. Ochoa 2001: 193). Die größten Gruppen kamen dabei aus Kolumbien (circa 286.000 im Jahr 1990), Peru und Ecuador (vgl. Sullivan 2000: 7f.). Auch aus Argentinien und Chile kamen Einwanderer, wenn auch nur sehr wenige (vgl. Ochoa 2001: 193). Es bleibt festzuhalten, dass die Südamerikaner keine einheitliche bzw. vereinte Einwandererkommune bilden. Aufgrund ihrer langen Geschichte der Unabhängigkeits- sowie Konkurrenzkämpfe unterscheiden sich die verschiedenen Länder stark voneinander: „South American immigrants tend to identify themselves by their individual nationalities, not as South Americans” (Ochoa 2001: 193).

Trotz der Unterschiede gibt es jedoch auch Faktoren, die die südamerikanischen Länder vereinen. Dies gilt auch für die Ursachen der Einwanderung und die Entwicklung der von ihnen gegründeten Kommunen. Im Vergleich zu Zentralamerikanern sind es meist besser-situierte, hochgebildete Menschen, die aus ökonomischen Gründen in die USA emigrieren und dort auf dem Arbeitsmarkt nicht selten sehr gute Positionen besetzen (vgl. ebd.: 193). Obwohl auch die Länder Südamerikas in den vergangenen Jahrzehnten wie Zentralamerika von politischen Unruhen heimgesucht wurden und gewaltsame Militärregierungen, Revolutionen und Guerillabewegungen die politischen Entwicklungen vieler Länder Südamerikas prägten, so ist doch die Hoffnung auf eine Verbesserung der ökonomischen Situation das Hauptmotiv für die Emigration in die USA. Seit den 1990er Jahren werden die Länder Südamerikas generell von demokratischen Regierungen beherrscht. Die Armut vieler Länder ist jedoch aufgrund hoher Auslandsverschuldung, Privatisierungen, internationaler Rezession und hoher Inflation ein anhaltendes Phänomen geblieben.

Nach Angaben von Ochoa (2001) siedelten die meisten hispanischen Einwanderer südamerikanischer Herkunft im Jahr 2000 in New York, New Jersey, Kalifornien und Florida. Jeder dieser Staaten zählt mehr als 100.000 Südamerikaner (Ochoa 2001: 194). Doch auch andere Staaten wie Texas, Illinois, Massachusetts und Connecticut sind den Südamerikanern eine neue Heimat geworden. Die meisten zieht es in den Bezirk Queens nach New York City, insbesondere in den Teil Jackson Heights, der vor allem unter den dort ansässigen Kolumbianern auch als “Chapinero“ bekannt geworden ist (benannt nach einem Vorort der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá). Südamerikanische Einwanderer in den Vereinigten Staaten sind ökonomisch generell besser gestellt als Mexikaner oder Puertoricaner, wenn sie auch nicht ein solches Maß an Prosperität erreicht haben, wie die kubanischen Einwanderer (vgl. Ochoa 2001: 194).

2.2.3 Zwischenfazit

Einwanderern hispanischer Herkunft kommt eine äußerst wichtige Bedeutung in der Geschichte der Immigration in die Vereinigten Staaten zu. So vielfältig wie die Geschichte der Einwanderung aus jedem einzelnen lateinamerikanischen Land ist, so vielfältig sind auch die Ursachen, die die Menschen zur Emigration aus ihren Heimatländern veranlasst haben. Obwohl sich einige Gemeinsamkeiten finden lassen, zeigt die Betrachtung der einzelnen Untergruppen der Hispanic Americans vor allem Unterschiede. Diese bestehen in den Gründen ihrer Immigration, aber auch in ihren bevorzugten Siedlungsregionen, dem gegenwärtigen Status der einzelnen Gruppen und der ökonomischen Situation.

Zusammenfassend zeichnet sich ab, dass die Zuwanderung hispanischer Immigranten in den Vereinigten Staaten kontinuierlich steigt, wobei sich einige Herkunftsregionen stärker als andere als Ursprungsländer herausgebildet haben. Mit der steigenden Einwandererzahl steigt auch der politische Einfluss der Hispanic Americans. Im Laufe der Geschichte der Einwanderung aus den Ländern Lateinamerikas haben sich vor allem die Staaten Kalifornien, Texas, New York, Florida, Illinois, New Jersey, Arizona, New Mexico und Colorado als Siedlungsgebiete herausgebildet und weisen heute die meisten Zahlen an hispanischen Immigranten auf. Die beliebtesten Städte bei den Hispanic Americans sind Los Angeles, New York City, Miami, San Francisco, Chicago und Houston (vgl. Cockcroft 1996: 12).

Bei der bisherigen Diskussion um die hispanische Einwanderung in die Vereinigten Staaten ist ein wichtiger Aspekt jedoch noch nicht erwähnt worden: Ist Hispanic gleich Latino? Was ist ein Chicano ? Bei einer Analyse der Literatur zum Thema fällt auf, dass die verwendeten Bezeichnungen für die Einwanderer aus den Ländern Lateinamerikas in den USA nicht immer klar abgrenzbar sind und zum Teil äquivalent verwendet werden. Eine genaue Begriffsdefinition ist für eine differenzierte Behandlung des Themas jedoch nötig und wird im Folgenden vorgenommen.

2.3 Hispano, Latino, Chicano: Zur Begriffs- und Identitätsfrage

Latino und Hispanic sind die in der Literatur am häufigsten verwendeten Termini, um Menschen zu beschreiben, die karibische, mexikanische, zentral- oder südamerikanische Wurzeln haben. Viele Autoren verwenden diese Begriffe gleichwertig und austauschbar. Doch es gibt signifikante Unterschiede. Diese werden im Folgenden herausgearbeitet, bevor wichtige Festlegungen für die Begriffsverwendung in dieser Arbeit vorgenommen werden.

2.3.1 Hispanic America und Hispanic Americans

“A Hispanic is a person who descends from one of the world´s Spanish-speaking peoples” (Ochoa 2001: vii). Die meisten Autoren stimmen mit dieser oder ähnlichen Definitionen überein: Die Bezeichnung Hispanic beschreibt demnach eine Person, die ihre Herkunft in einem der spanischsprachigen Völker der Welt hat. Das hispanische Amerika aber blickt auf eine äußerst komplexe Geschichte zurück und eine genaue Definition dessen, wo das Territorium von Hispanic America liegt und welche Menschen die Hispanic Americans sind, verlangt einige detailliertere Betrachtungen.

Mit Hispanic America werden meist die achtzehn Nationen der westlichen Hemisphäre bezeichnet, die ehemalige Kolonien Spaniens waren und in denen Spanisch heute noch als offizielle Sprache gesprochen wird. Mexiko, Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panama, Kuba, die Dominikanische Republik, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Peru, Bolivien, Paraguay, Argentinien, Uruguay und Chile sind diese Länder, die auch als Spanisch-Amerika oder spanischsprechendes Amerika bezeichnet werden. Oftmals wird Hispanic America auch verwendet, um die Regionen in Amerika zu beschreiben, in denen Hispanics in größeren Zahlen leben, so auch in den Vereinigten Staaten (vgl. Ochoa 2001: vii). Manchmal ist mit dieser Bezeichnung nur die hispanische Bevölkerung der Vereinigten Staaten gemeint – ein Hispanic kann also dementsprechend ein Bewohner eines der spanischsprechenden Länder der westlichen Hemisphäre, oder aber ein in den Vereinigten Staaten lebender Nachfahre der Bevölkerung eines dieser Länder sein (vgl. ebd.: vii).

Genau genommen bezeichnet der Begriff Hispanic einen sprachlichen Ursprung bzw. eine sprachliche Gemeinsamkeit, ist jedoch keine Bezeichnung für eine Rasse. Denn so wie es keine einheitliche hispanische Kultur gibt, existiert auch keine hispanische Rasse, unter deren Bezeichnung sich die Menschen hispanischer Herkunft vereinen ließen. Menschen, die mit dem Begriff Hispanic zusammengefasst werden, können jeder Rasse angehören, können schwarz oder weiß sein, indianische, europäische und afrikanische Vorfahren haben oder eine Mischung all dieser Ursprünge sein. “That is why the U.S. Census Bureau notes in its documents that `persons of Hispanic origin may be of any race´” (Ochoa 2001: vii). “Hispanic is a term that encompasses White, Black, and mestizo/mulato, the mixture of African, Native American, and European races that often lead both Hispanic leaders and other Americans to refer to Hispanics as a brown race” (Cafferty/Engstrom 2000: xiii).

Es musste jedoch ein Begriff gefunden werden, mit dem die Statistiken und Zensus-Büros[14] diese Menschen und deren demographische Entwicklungen erfassen konnten. Hispanic ist eigentlich eine sprachliche Neuschöpfung, die ihren Ursprung im englischsprachigen Raum hat. Viele Menschen hispanischer Herkunft lehnen diese Bezeichnung aufgrund der besonderen Betonung Spaniens[15] jedoch ab. “The terms Hispanic, Black, and non-Hispanic White are U.S. census terms [...] that do not begin to capture the diversity that is American society and that is the population we identify as Hispanic” (Cafferty/Engstrom 2000: xiii).

Die ursprüngliche Intention der Einführung eines solchen Begriffes war es, eine nicht-pejorative Bezeichnung zu finden, mit der Menschen erfasst werden konnten, die zwar in den USA geboren sind, deren Wurzeln aber in einem spanischsprachigen Land liegen. Aber auch Menschen, die aus Spanien, Mexiko, den karibischen Ländern und aus Zentral- und Südamerika (außer Brasilien) in die USA eingewandert sind (vgl. Sullivan 2000: 2), sollten unter diesem Begriff vereint werden. Die Bezeichnung Hispanic ist insofern etwas kontrovers und irreführend, als das sie großen Wert auf die gemeinsame Sprache legt, die Menschen mit hispanischer Herkunft sprechen. Viele dieser Menschen haben jedoch eine andere Muttersprache als Spanisch, wie beispielsweise viele der Immigranten aus Zentralamerika und Mexiko, die eine der vielen heute noch aktuellen indianischen Sprachen als Erstsprache sprechen (vgl. Sullivan 2000: 3).

Der Terminus Hispanic versucht also, eine in sich differenzierte Gruppe von Individuen unter einer gemeinsamen Bezeichnung zusammenzufassen. Dennoch sollte die Heterogenität der „hispanischen“ Bevölkerung, die der Einfachheit halber durch die Verwendung eines solchen Begriffs leicht übersehen werden kann, nicht vernachlässigt werden.

2.3.2 Latino

“[S]ome commentators prefer the term Latino to refer generally to persons who are from or descended from peoples in Spanish-speaking countries of the Americas” (Sullivan 2000: 3). Obwohl viele Autoren sowohl den Terminus Latino als auch Hispanic als anerkannte Bezeichnungen zumeist äquivalent verwenden, gibt es doch viele Menschen hispanischer Herkunft, die den Begriff Latino aufgrund größerer Neutralität sowie größerer Distanz zu Spanien bevorzugen. “ `Latino´, by contrast, is an authentic Spanish word that does not directly mention Spain [...]” (Ochoa 2001: vi).

Acuña (2003) stellt jedoch fest, dass auch der Begriff Latino ein artifiziell konstruiertes Konzept der US-Regierung ist (vgl. Acuña 2003: 1), welches dazu dient, die Verschiedenheiten der spanischsprechenden Nationalitätengruppen unter einem gemeinsamen Begriff zu vereinen. “Although Latinos can be of different nationalities, [...], the census lumps them together for the census count“ (ebd.: 1). Oft wird dabei außer Acht gelassen, dass die unter einem solchen Begriff vereinten Menschen neben verschiedenen kulturellen auch völlig verschiedene rassische Hintergründe haben: „most people under this umbrella are of mixed-race background” (Acuña 2003: 1).

Davis (1999) teilt das kritische Bewusstsein darüber, dass sowohl Latino als auch Hispanic künstlich geschaffene Bezeichnungen sind, die „die entscheidenden Quotienten der indigenen genetischen und kulturellen Vielfalt in den Bevölkerungsteilen, die sie zu umschreiben versuchen, verkennen“. Seiner Meinung nach wird jedoch insbesondere im Bundesstaat Kalifornien die Bezeichnung Latino dem Begriff Hispanic vorgezogen. Historische Recherchen ergaben Davis (1999) zufolge, dass es sich bei beiden „Meta-Kategorien“ ursprünglich um ideologische Konstrukte der Kolonialherren aus dem Europa des 19. Jahrhunderts handelt: „Hispanic kommt aus Spanien und Latinity aus dem Frankreich Napoleons III.“ (Davis 1999).

Interessanterweise verbinden sich mit den verschiedenen Bezeichnungen auch Bedeutungsunterschiede im pragmatischen Sinne. So stellt Oswald (2001) Folgendes fest: “in some circles `Hispanic´ carries with it a connotation of affluence while `Latino´ is associated with poverty and injustice“ (Oswald 2001: xif.). Das Fremdwörterbuch des Dudenverlages setzt „Latino“ gleich mit „Hispanoamerikaner“ und beschreibt den Begriff als „ein in den USA lebender Einwanderer aus den Spanisch sprechenden Ländern Lateinamerikas“[16]

Wie man diese beiden Bezeichnungen für Menschen hispanischer Herkunft versteht und interpretieren will, hängt sicher zum großen Teil von persönlicher Vorliebe ab. Festzuhalten ist, dass beide Termini mehr oder weniger artifizielle Wortbildungen sind, die der Einfachheit halber in die öffentliche Diskussion sowie in die Volkszählungen und Statistiken Zugang gefunden haben. Sie versuchen, eine Verschiedenartigkeit an Nationalitätengruppen, die durch die spanische Sprache vereint sind, zusammenzufassen. Dabei gibt es gewisse Präferenzen in verschiedenen Regionen der USA, deren kulturelle Hintergründe jedoch nur schwer wissenschaftlich erfassbar sind. Die begrifflichen Unterschiede beschränken sich jedoch nicht nur auf die beiden hier beschriebenen Bezeichnungen. Bei genauerer Betrachtung lassen sich noch wesentlich feinere sprachliche Differenzierungen herausstellen.

2.3.3 Chicano, Mexicano, Cubano und andere

Hispanic und Latino sind zwar die bekanntesten Termini, um die hispanische Minderheit in den Vereinigten Staaten zu benennen. Dennoch gibt es wesentlich mehr Bezeichnungen, mit denen die hispanische Bevölkerung beschrieben wird oder mit denen sie sich selbst identifiziert.

[...]


[1] Vgl. Chavez 2001: 1

[2] Gedicht von Emma Lazarus, Inschrift auf der Freiheitsstatue, vgl. Chavez 2001: 130

[3] Unter dem Begriff „Pushfaktoren“ werden alle Bedingungen des Herkunftslandes zusammengefasst, die Menschen zur Emigration veranlassen. Das sind meist solche Faktoren wie politische oder religiöse Verfolgung, (Bürger)Kriege, bewaffnete Auseinandersetzungen oder Naturkatastrophen. Auch wirtschaftliche Rezession und Arbeitsmangel zählen zu diesen Faktoren. Der Begriff „Pullfaktoren“ bezeichnet all die Bedingungen des Aufnahmelandes, die Menschen zur Immigration dorthin bewegen. Pullfaktoren sind zum Beispiel politische Stabilität im Zielland, Religionsfreiheit, stabile Wirtschaft, ein großes Arbeitsangebot und die damit verbundene erwartete Verbesserung der Lebenssituation der Immigranten (vgl. Han 2000: 14).

[4] Immigration Acts: Mai 1921: Erlassung des Johnson Act, 1924: Erlassung des Johnson-Reid Act (vgl. Van Capelleveen 1989: 57)

[5] US-amerikanische Institution, die jährliche Volkszählungen durchführt, vgl. <http://www.census.gov>

[6] Vgl. Clark 1996: 91 und Budde 2004: 43

[7] Statistical Abstract of the United States, Washington (D.C.) 1995, S.19; U.S. Bureau of the Census 1997, vgl. Murswieck 1998: 626

[8] Vgl. Huntington, Samuel P. (2004b). Who are we?: The Challenges to America´s National Identity. New York: Simon & Schuster.

[9] Vgl. Trueba 1999: xi

[10] „During the 1990s, Hispanics surpassed non-Hispanic African Americans to become the country´s largest minority group, and they are expected to account for one-quarter of the population by 2055” (Ochoa 2001: vii).

[11] „poultry workers, [...] bracero, which was also the name given to the labor contract program that brought Mexicans to work in the United States between 1942 and 1964. Bracero means `arms´ in Spanish, which serves as a metaphor for the immigrant laborer whose body is sought after for production but who is not necessarily desired as a person (head/personality) who might settle and raise family” (Chavez 2001: 204).

[12] Guerillabewegungen sind Bewegungen bewaffneter, revolutionärer Gruppen, die meist durch Sabotageakte oder Aufstände gegen die Regierung des Landes kämpfen, wie z.B. im Bürgerkrieg in Guatemala.

[13] Im Fall Guatemalas hat sich besonders die United Fruit Company mit hohen Investitionen in das Land einen Namen gemacht. Sie war seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Guatemala präsent und degradierte das Land wie auch El Salvador und Costa Rica zu „Bananenrepubliken“ (vgl. Ochoa 2001: 170).

[14] “`Hispanic´ was the only term that until the year 2000 was employed on census and other forms in connection with this group and continues to be used in everyday conversation in Texas, Florida and other parts of the country with large Spanish speaking populations” (Oswald 2001: xii).

[15] Hispania ist der lateinische Name für das Land Spanien (vgl. Ochoa 2001: vii).

[16] Vgl. Drosdowski 1997: 324

Fin de l'extrait de 129 pages

Résumé des informations

Titre
"Grabbing for Hispanic Votes" - Der Latino-Faktor in der US-Präsidentenwahl von 2000 (und 2004)
Université
Technical University of Chemnitz
Note
1,8
Auteur
Année
2005
Pages
129
N° de catalogue
V136939
ISBN (ebook)
9783640440658
ISBN (Livre)
9783640440917
Taille d'un fichier
7289 KB
Langue
allemand
Mots clés
USA, Präsidentenwahlen, Latinos, Latino-Faktor, George W. Bush
Citation du texte
M.A. Annekatrin Grundke (Auteur), 2005, "Grabbing for Hispanic Votes" - Der Latino-Faktor in der US-Präsidentenwahl von 2000 (und 2004), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136939

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