Transnationalisierung sozialer Kämpfe

Transformation von Staatlichkeit und ihre Auswirkungen auf das Ideal vom Menschenrechtsuniversalismus


Dossier / Travail, 2009

20 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. STAATLICHKEIT IN DER MODERNE
2.1 GENESE DES MODERNEN STAATES
2.1.1 FREIHEIT UND DISZIPLIN
2.1.2 MODERNISIERUNGSOFFENSIVEN
2.1.3 INSTITUTIONALISIERUNG VON MACHT
2.2 ENTWICKLUNG UND AUSBREITUNG DER MODERNEN STAATSIDEE

3. DYNAMIKEN VON STAATLICHKEIT
3.1 GESELLSCHAFTLICHE DYNAMIKEN
3.2 THEORIEANSÄTZE
3.3 AUSWIRKUNGEN AUF STAATLICHKEIT

4. FAZIT

5. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

„Menschenrechte sind Rechte, welche einem jeden Menschen ungeachtet aller seiner sonstigen Eigenschaften allein kraft seines Menschseins zukommen (sollen)“ (Sandkühler 1999: 818). Inhaltlich vollzog sich die Genese der Menschenrechte in drei Generationen: Zuerst wurden bürgerliche und politische Freiheitsrechte anerkannt, hiernach wirtschaftliche und soziale Gleichheitsrechte und die dritte Generation beinhaltet letztlich auch die Erklärung kultureller Kollektivrechte (Probst 2006: 13/14). Dabei gelten die Menschenrechte allgemein als unveräußerlich und ursprünglich, das heißt, ihre Existenz bedarf keines Rechtsetzungs-aktes, bzw. einer Verleihung durch den Staat (Pötsch 2004: 24). Sie sind also vorpositiv, doch gilt der Staat spätestens seit Hobbes und Locke als Voraussetzung aller menschlichen Freiheiten, da nur er mittels seines Gewaltmonopols die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte garantieren kann. Vielmehr ergibt sich sogar, zumindest theorie-geschichtlich, die Existenz des Staates aus dem Bekenntnis zu den Menschenrechten und ihrer Unveräußerlichkeit. Der Staat ist also auf der einen Seite Quelle der Menschenrechte, erhält aber gleichzeitig durch sie seine Legitimation (Bielefeld 2004: 6, Sandkühler 1999: 818).

Spätestens seit den 1970er Jahren findet jedoch, ausgehend von der Ökonomie, ein tiefgreifender Wandel sozialer Beziehungen statt, der die Begrenztheit von Nationalstaaten aufbricht, zu einer Inter- und Transnationalisierung von Interaktion führt und gemeinhin als Globalisierung bezeichnet wird. Dies führt nicht nur zu einer Verbindung loser sozialer Räume zu dem, was vielfach als Weltgesellschaft bezeichnet wird, sondern darüber hinaus auch zu einer zwangsläufigen Neubewertung politikwissenschaftlicher Grundbegriffe wie Staatlichkeit und Souveränität (Schlichte 2005: 30/31). Das Entstehen eines Weltstaates nach Vorbild des modernen Nationalstaates, der die wesentlichen Staatsfunktionen demokratisch legitimer Rechtssetzung und –durchsetzung bündelt, ist jedoch nicht absehbar, daher ist davon auszugehen, dass die stärker werdenden globalen Veränderungsprozesse die politische Souveränität von Staatlichkeit insgesamt anfechten (Schlichte 2005: 39). Für den Bestand und die weitere Entwicklung der Menschenrechte ergibt sich daher eine ambivalente Prognose: Auf der einen Seite ist eine Internationalisierung von Menschenrechtsregimen, wie beispielsweise der UN-Charta, gleichzeitig jedoch ein Abbau von Freiheitsrechten im Nationalstaat aufgrund internationaler Vorgaben erkennbar (Baldus 2006: 57). Hieraus ergibt sich die Frage dieser Arbeit, wie sich Politik und Recht im globalen Raum gestalten lassen und welche Rolle der Staat dabei spielt. Die Kontrolle globaler Veränderungsprozesse setzt dabei ein tiefer gehendes Verständnis derselben voraus. Staat und internationales System stehen dabei in reziprokem Verhältnis zueinander, beide sind jedoch in soziale Entwicklungen eingebettet (Schlichte 2005: 34). Methodisch kann die Fixierung auf den Staat zum Verständnis globaler Prozesse daher nicht ausreichen und bedarf im Gegenteil einem Loslösen von der Vorstellung, dass Politik nicht ohne Staat denkbar sei. Hieraus ergibt sich als Analyseebene ganz grundlegend das Feld sozialer Konstituierung des Politischen, von der Staatlichkeit nur einen Teilbereich darstellt (Schlichte 2005: 38/39). Zentral wird daher die Frage nach Macht und Herrschaft sein.

In einem ersten Schritt ist es demzufolge nötig, die Geschichtlichkeit des Staates zu verstehen und die moderne Gesellschaft als Machtverhältnis aufzufassen, das sich in Form der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung institutionalisiert und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten global ausbreitet (Schlichte 2005: 35). Hierbei wird der Hamburger Ansatz globaler Vergesellschaftung und damit in großem Maße die Herrschaftssoziologie von Max Weber zu Grunde gelegt. Im zweiten Schritt werden die Dynamiken von Staatlichkeit und sozialer Ordnung dargestellt. So soll ein Überblick über Veränderungen des Sozialen durch die Globalisierung gewonnen und basierend auf den Erkenntnissen aus dem ersten Schritt die Kernfragen dieser Arbeit beantwortet werden.

2. Staatlichkeit in der Moderne

2.1 Genese des modernen Staates

2.1.1 Freiheit und Disziplin

Der geistesgeschichtliche Grundstein der Moderne findet sich im Aufklärungsdiskurs des 17. und 18. Jahrhunderts wieder, der die sozialen Beziehungen zwischen Menschen aufwertet, indem er sie von den negativen Externalitäten ihrer bis dahin verwerflichen Leidenschaften befreit. Galt das Verfolgen der menschlichen Leidenschaften bis dahin als lasterhaft und moralisch verwerflich, so beschreiben Hirschmann (1980) und Rommel (2006) eindrucksvoll wie sich in den Staatstheorien von Hobbes, über Locke und Mandeville, bis hin zu Smith eine quasi-lineare Umdeutung ungezügelter egoistischer Nutzenmaximierung vollzieht, die im radikalsten Fall bei Smith ursächlich für allgemeinen Wohlstand ist und allein durch den freien Markt reguliert werden kann. Hieraus ergibt sich nicht nur eine vollständige Säkularisierung und Lossagung von moralischen Prinzipien, sondern darüber hinaus lässt sich in diesem Diskurs die Grundlage liberalen Staatsverständnisses finden, denn ein eingreifender Staat bedeutete die Verringerung des Allgemeinwohls. Gleichzeitig darf der proklamierte Liberalismus aber nicht auf ökonomisches Handeln reduziert werden, sondern muss Freiheiten vom Staat in sonstigem Handeln mit einbeziehen. Daher kann Hobbes, trotz seines diktatorischen Staatsideals als Begründer individueller Freiheits- und damit Menschenrechte angesehen werden (Probst 2006: 16).

Wagner nennt diese geistesgeschichtliche Entwicklung Befreiungsdiskurs, der aus der Auffassung von einer vorpositiven und unveräußerlichen Freiheit resultiert, sich in der Forderung nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und freier wirtschaftlicher Betätigung ohne staatliche Eingriffe äußert und zur Entwicklung heterogener Lebensstile führt (Wagner 1995: 26/28). Freiheit versteht Wagner hierbei als Abwurf extrinsischer Handlungsmotive, also der Lossagung von Religion und Moral (Wagner 1995: 30). Auf Basis des Universalismus der Vernunft, sowie der Idee der Autonomie jedes Individuums entsteht das Projekt der liberalen modernen Gesellschaft, welche die eigenberechtigten Feudalherren enteignet und stattdessen im Rechtsstaat alle sachlichen Betriebsmittel vereinigt und so einen Raum der Freiheit erschafft (Wagner 1995: 71-73 und Weber 2003: 338). Jedoch reduziert Wagner die entstehende Moderne nicht auf den Befreiungsdiskurs, sondern konstatiert, dass eine Befreiung von Handeln immer auch eine Einschränkung mit sich führt, denn der Befreiungsdiskurs kann zeitlich, räumlich und sozial ungleich verlaufen, wodurch eine nur partielle Ermöglichung von Handeln erzielt wird. Chancen werden ungleich verteilt und führen für die benachteiligten Individuen zu Einschränkungen (Wagner 1995: 40). Daher fügt Wagner neben den Befreiungsdiskurs einen parallel dazu und gleichzeitig verlaufenden Disziplinierungsdiskurs hinzu, der im Staat ein Instrument zur Beschränkung von Praktiken und zur Disziplinierung der Individuen versteht. Freiheit und Disziplin sind untrennbar verbunden und bilden die entscheidenden Charakteristika der Moderne (Wagner 1995: 29/30).

2.1.2 Modernisierungsoffensiven

Im Rahmen des Befreiungs- und Disziplinierungsdiskurses werden durch akkumuliertes Handeln von Individuen gegenläufige Modernisierungsprozesse initiiert, um neue Regeln für soziale Praktiken zu etablieren. Diese Prozesse werden im Extremfall von ganzen sozialen Klassen, immer aber von Gruppen, die sich zueinander zugehörig fühlen, angeschoben und beruhen dabei stets auf Macht (Wagner 1995: 55). Macht beschreibt Weber als die Chance, den eigenen Willen innerhalb sozialer Beziehungen gegen den Widerstand anderer durch- zusetzen[1]. Die Gesellschaft ist dabei als Arena von Kämpfen um Machtanteile zwischen den Individuen, bzw. zwischen Gruppen zu betrachten, wobei Weber das Streben nach Machtanteil als Politik definiert. Das Ergebnis eines Kampfes ist abhängig von der vorherrschenden Machtkonstellation (Wagner 1995: 55), führt aber prinzipiell zur Auslese derer, die über die wesentlichen Kampfressourcen in stärkeren Maße verfügen. Der Begriff der Kampfressourcen ist gleichzusetzen mit dem Begriff des Kapitals im Bourdieu’schen Sinne. Hiernach ist Kapital akkumulierte Arbeit in materieller oder auch inkorporierter Form (Bourdieu 1992: 49) und gliedert sich in die drei Unterarten ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Ersteres ist unmittelbarer Repräsentant von Geld, kulturelles Kapital beinhaltet Bildung, kulturelle Güter und institutionalisiertes kulturelles Kapital in Form von Titeln und Abschlüssen (Bourdieu 1992: 53). Das soziale Kapital letztlich umfasst alle sozialen Beziehungen im weiten Sinne, das heißt Bekanntschaften, Gruppenzugehörigkeiten, soziale Netzwerke, sowie deren ökonomisches und kulturelles Kapital, das für einen selbst mobilisiert werden kann (Bourdieu 1992: 63/64). Die unterschiedliche Zusammensetzung der Kapitalarten jedes Einzelnen bestimmt nun seine Chance, Kämpfe zu gewinnen und Regeln für soziale Praktiken einzuführen. Neue Praktiken bringen wiederum Veränderungen im Machtgefüge mit sich, da sie zu Formalisierung von Handlungsformen führen, das heißt die soziale Realität wird zu besseren Handhabung und zum höheren Verständnis klassifiziert und so die Komplexität der Umwelt reduziert (Wagner 1995: 57/59). Hierdurch entstehen Ordnungen, die laut Weber zumindest durch Missbilligung geschützt sind und daher Handeln determinieren. Ordnungen sind als Regeln zu verstehen, die für einen bestimmten sozialen Kontext bestimmten Entitäten eine Statusfunktion zuweisen, die über die physikalischen Eigenschaften der Entität hinausgehen (Searle 2006: 17). Dem bedruckten Stück Papier wird im Kontext des Warentausches die Funktion von Geld zugewiesen und stellt daher für den Eigentümer Handlungsmacht dar (Searle 2006: 18). Ja selbst die Zuweisung des Eigentümers als Eigentümer ist zurückzuführen auf eine soziale Ordnung und kaum von den naturwissenschaftlich messbaren Eigenschaften der Person ablesbar, daher gänzlich ontologisch subjektiv, das heißt sozial konstruiert. Die Zuweisung von Statusfunktionen ist der Intentionalität jedes Individuums kraft seiner sprachlichen Ausdrucksfähigkeit überlassen, ihre Geltung jedoch ist abhängig von einer kollektiven Anerkennung (Searle 2006: 13/14). Die Anerkennung einer Ordnung, beziehungsweise ihre Legitimität, um in die Weber’sche Semantik zurückzukehren, lässt sich über drei Idealtypen begründen: affektuell, durch Hingabe an eine Person, traditional, durch Glaube an eine Heiligkeit und drittens legal rational, durch die Vorstellung, dass Ordnungen im Einvernehmen gesetzt werden können (Weber-Fas 2003: 333/334).

Mittels überlegener Kapitalressourcen lassen sich also Kämpfe innerhalb sozialer Beziehungen gewinnen, um so Ordnungen, also Regeln für soziale Praktiken, allgemein durchzusetzen. Diese Ordnungen beeinflussen nun wieder die Chancen der sozialen Auslese, indem sie Unterschiede machen und so bestimmte Formen des Sichverhaltens bevorzugen, andere benachteiligen.

2.1.3 Institutionalisierung von Macht

Als Institutionen bezeichnet Wagner nun relativ dauerhafte Sätze von Regeln und Ressourcen, auf die sich menschliches Handeln beziehen kann (Wagner 1995: 46). Sie sind zum einen direktes Resultat von Machtmanifestationsprozessen der durchgesetzten Bedeutungen, Praktiken und Regeln aus sozialen Kämpfen (Schlichte 2006: 41) und führen innerhalb des Disziplinierungsdiskurses über die Formalisierung und Klassifizierung von sozialen Regeln zur Stabilisierung und Verbreitung derselben. Konventionalisierung wird dieser Prozess der Institutionalisierung von Wagner bezeichnet, der auf der anderen Seite logischerweise nicht nur zur Stabilisierung und Verbreitung der sozialen Regeln für Praktiken beiträgt, sondern damit einhergehend auch die Gewinner aus sozialen Kämpfen in ihrem Machtanspruch stabilisiert. Hierbei zentral sind, zumindest nach Foucault, die Disziplinierungsanstalten Schule, Gefängnis und Psychiatrie, welche zur Durchsetzung elementarer Begriffskategorien wie Wahrheit, Abweichung und Wahnsinn dienen (Wagner 1995: 81). Institutionen sichern also Macht und führen damit eine neue Form sozialer Beziehung ein, die der Herrschaft (Schlichte 2006: 66). Herrschaft bezeichnet laut Weber die Chance, dass Befehle Gehorsam finden. Ihre Legitimität erhalten sie analog zu anderen Formen sozialer Ordnung. Zum Verständnis der stabilisierenden Wirkung von Herrschaft lässt sich wieder auf Bourdieu und sein Konzept des Habitus zurückgreifen. Der Habitus ist sowohl strukturierte als auch strukturierende Struktur zugleich. Strukturierend in dem Sinne, dass er ein Dispositionssystem darstellt, welches Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata des Individuums beinhaltet und daher soziale Praktiken hervorbringt. Strukturiert ist der Habitus, da dem Dispositionssystem Unterscheidungsprinzipien zu Grunde liegen, welche, wie bereits dargestellt, gesellschaftlich determiniert sind (Bourdieu 1979: 279). Somit reproduziert der Habitus die sozialen Ordnungen und mit ihnen die gesellschaftliche Machtkonstellation, die sich dann schließlich über ihre strukturierende Wirkung in den Handlungen des Einzelnen widerspiegeln. Die Soziale Unterschiede stabilisieren sich also selbst, indem sie in die Subjekte hineinreichen.

[...]


[1] Die folgenden Definitionen beziehen sich, wenn nicht anders ausgewiesen, auf Kapitel I (Soziologische Grundbegriffe) des Werkes „Wirtschaft und Gesellschaft“ von Max Weber (1980).

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Transnationalisierung sozialer Kämpfe
Sous-titre
Transformation von Staatlichkeit und ihre Auswirkungen auf das Ideal vom Menschenrechtsuniversalismus
Université
University of Hamburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Die Idee der Menschenrechte und ihre politischen und politikwissenschaftlichen Implikationen
Note
1,0
Auteur
Année
2009
Pages
20
N° de catalogue
V136958
ISBN (ebook)
9783640455058
ISBN (Livre)
9783640454822
Taille d'un fichier
443 KB
Langue
allemand
Mots clés
Max Weber, globale Vergesellschaftung, Globalisierung, Menschenrechte, Herrschaftssoziologie, Hamburger Ansatz
Citation du texte
Dipl. Verwaltungswirt (FH) Hendrik Thurnes (Auteur), 2009, Transnationalisierung sozialer Kämpfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136958

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