Die politische Rolle des polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski auf dem Hintergrund der Verfassungsentwicklung der III. Republik


Trabajo Escrito, 2004

15 Páginas


Extracto


INHALT

I. EINLEITUNG

II. HAUPTTEIL
1. Die Stellung des Präsidenten im Verfassungsgebungsprozess der III. Republik
1.1.Die Runder-Tisch-Verfassung von 1989
1.2. Die Kleine Verfassung von 1992
1.3. Die Neue Verfassung von 1997
2. Ein zwiespältiges Verhältnis zur Vergangenheit
3. Der Präsidentschaftswahlkampf Kwaśniewskis 1995
4. Kwaśniewskis erste Amtszeit

III. SCHLUSS

IV. ANHANG

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetquellen

I. EINLEITUNG

Am 1. Mai 2004 sind im Zuge der Osterweiterung zehn Staaten der Europäischen Union beigetreten. Der größte davon ist Polen, das als alte europäische Kulturnation eine besondere Stellung in Mittel- und Osteuropa einnimmt. Der amtierende polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski kann den Beitritt und die große Zustimmung dafür in der polnischen Bevölkerung als einen Erfolg verbuchen. So haben 77,5 Prozent der Polen bei einem Referendum am 7. und 8. Juni 2003 für eine Mitgliedschaft in der EU gestimmt.[1]

Doch nicht immer war Kwaśniewski so populär wie heute, ein Jahr vor Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit. Besonders vor seinem Amtsantritt im November 1995 polarisierte der ehemalige kommunistische Funktionär die polnische Gesellschaft. Nach neun Jahren Präsidentschaft scheint es nun an der Zeit, die politische Rolle des polnischen Staatsoberhauptes darzustellen und zu analysieren. Da noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen über seine zweite Amtszeit greifbar sind, wird diese hier außer Acht gelassen.

Um die institutionellen Grundlagen des Präsidentenamtes geht es im ersten Kapitel der Arbeit, das den mühsamen Verfassungsgebungsprozess der III. Polnischen Republik von der friedlichen Wende 1989 bis hin zur Neuen Verfassung von 1997 beschreibt. Wo es sich anbietet, werden auch Vergleiche zu westeuropäischen Verfassungen gezogen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Neuen Verfassung, in der die Zuständigkeitsbereiche des Präsidenten gegenüber Parlament und Regierung teils beschnitten, teils konkretisiert wurden. Der folgende Abschnitt widmet sich dem zwiespältigen Verhältnis Kwaśniewskis zu seiner Vergangenheit in der Volksrepublik Polen. Im dritten Kapitel kommt der teils sehr emotional und heftig geführte Präsidentschaftswahlkampf von 1995 zur Sprache. Anschließend wird die politische Rolle Kwaśniewskis anhand seiner ersten Amtszeit erläutert, wobei die Kürze dieses Kapitels auf die nicht sehr umfangreiche wissenschaftliche Quellenlage zurückzuführen ist.

II. HAUPTTEIL

1. Die Stellung des Präsidenten im Verfassungsgebungsprozess der III. Republik

1.1. Die Runder-Tisch-Verfassung von 1989

In den ersten Monaten des Jahres 1989 kamen die oppositionelle Gewerkschaft Solidarność und die „Reformkommunisten“ der PZPR, darunter auch Aleksander Kwaśniewski, am Runden Tisch in Warschau zusammen. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich darauf, das Institutionsgefüge zu verändern, um einen schrittweisen Übergang in ein demokratisch-parlamentarisches System einzuleiten. Die polnische Verfassungstradition[2] spielte dabei kaum eine Rolle. Gesucht war vielmehr ein Verfassungssystem, das einerseits die Integration der bisherigen Opposition in das politische System ermöglichte und andererseits die PZPR an der Macht belassen sollte. Dem bisherigen Parteivorsitzenden, General Wojciech Jaruzelski, sollten die wichtigsten Kompetenzen, die er zuvor als Parteichef besessen hatte, auch in der neuen Ordnung erhalten bleiben. Daher bot sich eine Anleihe beim Verfassungssystem der V. Französischen Republik an.[3] Der Sejm, das polnische Unterhaus, ratifizierte die am Runden Tisch beschlossenen Verfassungsrevisionen am 7. April 1989.

An die Stelle des Staatsrates trat ein mit umfassenden Kompetenzen ausgestatteter Staatspräsident. Er wurde zum höchsten Repräsentanten des polnischen Staates in nationalen und internationalen Angelegenheiten, der über die Einhaltung der Verfassung und die Unverletzlichkeit des Territoriums wachte (Art. 32 RTV)[4]. Die Zuordnung der präsidialen Befugnisse blieb durch Begriffe wie „achtet“ oder hütet“ aber vage. Auch die Abgrenzung seiner Befugnisse zum Regierungschef war nicht klar formuliert. Darüber hinaus besaß der Staatspräsident das Initiativrecht bei der Ernennung und Entlassung des Premierministers (Art. 32f. Abs. 6 RTV)[5], der in Polen dem Ministerrat vorsitzt. Bei der Regierungsbildung war der Premierminister auf die Zustimmung des Präsidenten angewiesen (Art. 37 Abs. 1 RTV). Im selben Artikel wurde jedoch auch dem Parlament das Recht zugewiesen, die Regierung oder einzelne Minister zu entlassen: „Sodann wurde die ausschließliche Kompetenz des Sejm beibehalten, die Regierung einzuberufen, doch es wurde die Möglichkeit ausgeschlossen, eine Regierung zu berufen, deren politische Orientierung und personelle Zusammensetzung vom Präsidenten nicht akzeptiert worden wären.“[6]

Der Präsident konnte zudem sein Veto gegen ein vom Sejm verabschiedetes Gesetz geltend machen, das der Sejm nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen konnte. Damals kritisierten die mit der Solidarność verbundenen Rechtsexperten diese Hürde, die höher war als im Frankreich der V. Republik, wo eine absolute Stimmenmehrheit genügt.[7] Ebenso umstritten waren die Regelungen, die die Vollmachten des Präsidenten in Krisensituationen definierten. So fungierte er als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und erhielt das Recht, für drei Monate den Ausnahme- bzw. Kriegszustand zu verhängen. In dieser Zeit durfte der Sejm jedoch nicht aufgelöst und die Verfassung sowie das Wahlrecht nicht verändert werden (Art. 32, Abs. 4 u. 5 RTV)[8]. Auf ähnliche Art wird beispielsweise in der spanischen Verfassung vom Dezember 1978 eine Verfassungsänderung während des Kriegs-, Alarm-, Ausnahme- und Belagerungszustandes ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 169). Die Verfassung der französischen Fünften Republik (Art. 89) oder das Bonner Grundgesetz (Art. 79, Abs. 3) verbieten wiederum jede Verfassungsnovelle, die die als unverzichtbar geltenden Grundlagen der staatlichen Ordnung verändern würde.[9]

Als ein Organ der Legislative hat der Staatspräsident seit 1989 das Recht, selbst Gesetzentwürfe in das Parlament einzubringen, für weitere Aktivitäten muss er jedoch die Gegenzeichnung des Premierministers einholen. Des Weiteren kann der Präsident jedes Gesetz zurückweisen, das vom Sejm verabschiedet wurde. Um das Gesetz in diesem Fall dennoch durchzubringen, benötigte der Sejm bis zur Verabschiedung der Neuen Verfassung eine Zweidrittelmehrheit.[10] Außerdem konnte der Präsident laut RTV nach eigenem Ermessen das Parlament auflösen, wenn es dem Sejm innerhalb von drei Monaten nicht gelang, eine Regierung zu bilden sowie einen Wirtschafts- und Sozialplan oder den Staatshaushalt zu verabschieden. Er konnte auch zum Mittel der Auflösung greifen, wenn der Sejm Gesetze beschließen sollte, die den Präsidenten an der Ausübung seiner Rechte hindern würden. Dieser Fall war bewusst unpräzise formuliert worden, damit die Parteiführung über den Staatspräsidenten, der aus den Reihen der PZPR kommen sollte, die weitere politische Entwicklung unter Kontrolle behalten konnte.[11]

Die Wahl des Präsidenten erfolgte im Juli 1989 indirekt durch die Nationalversammlung, bestehend aus dem Sejm und dem Senat, dem polischen Oberhaus. Seine Amtsdauer wurde am Runden Tisch auf sechs Jahre festgelegt, mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl (Art. 32a RTV)[12]. General Jaruzelski profitierte allerdings nicht mehr davon, er trat 1990 zurück.

1.2. Die Kleine Verfassung von 1992

Im selben Jahr wurde der ehemalige Gewerkschaftsführers Lech Wałęsa zum Präsidenten gewählt, der die präsidialen Zuständigkeiten bei der Regierungsbildung sehr extensiv auslegte. Daraufhin begann unter polnischen Verfassungsrechtlern und Politikern ein Streit, wie diese genau zu interpretieren seien.[13] Nachdem diese Konflikte in der Praxis die Regierungsbildung blockierten, wurde in der Kleinen Verfassung vom 17.10.1992 eine neue Regelung getroffen. Der Staatspräsident behielt das Recht, einen Premierminister zu designieren. Wenn diesem aber vom Sejm kein Vertrauen ausgesprochen wurde, wechselte das Nominierungsrecht zum Sejm und pendelte dann ggf. zwischen Präsident und Parlament, wobei dem Staatspräsidenten die letzte Entscheidungsbefugnis zufiel. Sein Recht, die Ablösung der Regierung aus politischen Gründen zu beantragen, wurde aufgehoben, und bei der Ernennung von Ministern reduzierte sich sein faktisches Mitspracherecht auf die drei Ministerien der Verteidigung, des Inneren und des Äußeren. Dazu musste nur noch seine „Meinung eingeholt werden“ (Art. 61 KV)[14], was eine Schwächung im Vergleich zu der vorherigen Formulierung bedeutete. Allerdings wurde nicht definiert, wer im Streitfall das letzte Wort haben sollte, der Premierminister oder der Präsident. Die Folge war, dass Wałęsa dieses Mitspracherecht instrumentalisierte und es häufig zu Ministerwechseln kam oder deren Ernennung sich über mehrere Monate hinzog.[15]

Die Verfassungsnovelle bescheinigte dem Staatspräsidenten zwar die „allgemeine Führung“ auf dem Gebiet der Außenpolitik (Art. 32 KV) sowie der inneren und äußeren Sicherheit des Staates (Art. 34 KV), was zusammengenommen stärkere Regelungen waren, als sie die Verfassung der V. Französischen Republik dem Präsidenten einräumt (Art. 15, 20, 21 und 52). Da sie jedoch relativ vage formuliert waren, waren sie in der Verfassungspraxis umstritten, anders als dies heute in Frankreich weitgehend der Fall ist.[16]

[...]


[1] Vgl. Woyno, Polen, S.1.

[2] Am 3. Mai 1791 verabschiedete Polen die erste moderne Verfassung Kontinentaleuropas und die nach Cromwells „Instrument of Government“ zweite europäische Verfassung überhaupt; siehe dazu: Steffani, Gewaltenteilung und Parteien im Wandel, S. 90, Anm. 3.

[3] Vgl. Ziemer, Das politische System Polens, S. 188.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 665.

[6] Mołdawa, Legislative und Exekutive, S. 206.

[7] Vgl. Ciemniewski, Ponad Parlamentem.

[8] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 666.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. Ziemer, Das politische System Polens, S. 191.

[11] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 667.

[12] Vgl. Ziemer, Das politische System Polens, S. 192.

[13] Vgl. ebd., S. 191.

[14] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 668.

[15] Siehe dazu: Matthes, Polen und Ungarn, S. 199-213. Zitiert nach: Ziemer, Das politische System Polens, S. 191.

[16] Vgl. ebd.

Final del extracto de 15 páginas

Detalles

Título
Die politische Rolle des polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski auf dem Hintergrund der Verfassungsentwicklung der III. Republik
Universidad
LMU Munich  (Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft)
Curso
Übung: Die Rolle von Staatsoberhäuptern im politischen Prozess (West- und Osteuropa im Vergleich)
Autor
Año
2004
Páginas
15
No. de catálogo
V137461
ISBN (Ebook)
9783640457618
ISBN (Libro)
9783640457403
Tamaño de fichero
529 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Rolle, Präsidenten, Aleksander, Kwaśniewski, Hintergrund, Verfassungsentwicklung, Republik
Citar trabajo
M.A. Piotr Grochocki (Autor), 2004, Die politische Rolle des polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski auf dem Hintergrund der Verfassungsentwicklung der III. Republik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137461

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