Über die lebendige Toleranz unter den Weltreligionen

Diskussion der Theorie und praktisches Zeugnis einer Utopie


Trabajo de Seminario, 2004

39 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Nikolaus von Kues
Ein Philosoph seiner Zeit - Ein frommer Idealist

3. „De pace fidei“
Ein theoretischer Diskurs. Ein interreligiöses Gespräch
3.1 Von der Erkenntnis zur Einsicht
Schritte und Schlüsse in der Argumentation
3.2 Friede im Glauben
Geistige Einheit als Keim für lebendige Toleranz

4. Gotthold Ephraim Lessing
Ein mutiger Freidenker. Ein kritischer Optimist

5. Nathan der Weise
Ein Zeugnis lebendiger Toleranz im Spiegel der Vernunft
5.1 Form und Wirkung
Ein dramatisches Gedicht als Exempel gelebter Utopie
5.2 Der Friede im Glauben
Toleranz offenbart durch Reflexion und Aktion

6. Schlusswort

Bibliographie

1. Vorwort

Fanatismus, Extremismus, Terror, Selbstmordattentäter und Anschlagsserien:

Der Glaube und die Religion sind zwischen die Fronten geraten, die Notwendigkeit einer interreligiösen Auseinandersetzung wird immer deutlicher. Sei es der verbitterte Kampf um Palästina im Nahen Osten oder die Angst vor Anschlägen und Gewalt unter Christen und Muslimen in den Niederlanden; jeden Tag neu berichten die Medien vom Unfrieden unter den Religionen. Multikulturelles Miteinander scheint bedroht zu sein durch radikale, intolerante und aggressive Ausformungen religiöser Gemeinschaften.

Ist der Friede unter den Weltreligionen also tatsächlich nur eine Utopie? Müssen sich Vorurteile verhärten, Ängste verschärfen und Gewaltbereitschaft zunehmen?

Die vorliegende Arbeit versucht Wege aufzuzeigen, welche die Religionen zueinander führen können.

Im Vergleich stehen zwei Werke einander gegenüber. Zum einen „De pace fidei“ von Nikolaus von Kues (1401-1464) und zum anderen „Nathan der Weise“, ein dramatisches Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781).

Während Nikolaus von Kues die Toleranzfrage aus einem theoretischen Blickwinkel angeht, ist das Drama Lessings der Versuch, lebendige Toleranz praktisch, konkret und lebensnah zu präsentieren.

Beide Werke, die theoretische Abhandlung des Cusaners sowie das dramatische Gedicht Lessings sollen zunächst aus sich heraus erschlossen werden, bevor dann ein fruchtbarer Vergleich greifen kann. Der Analyse vorangestellt ist sowohl bei Cusanus als auch bei Lessing ein kurzes Portrait der Person, das dazu dient, Geisteshaltung, Darstellungsform und Wirkungsabsicht der Autoren besser nachzuvollziehen. In die Analyse eingebettet ist bei Cusanus und ebenso bei Lessing eine formale Betrachtung der jeweiligen Werke.

Insgesamt verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, die Gedanken des Philosophen und Geistlichen Nikolaus von Kues mit denen des Dichters Lessing in einen Austausch zu bringen. Es geht darum, die Theorie bei Cusanus zusammen mit dem praktischen Zeugnis Lessings als eine gelungene Vision von Toleranz zu präsentieren.

2. Nikolaus von Kues

Ein Philosoph seiner Zeit - Ein frommer Idealist

Wer ist dieser Nikolaus von Kues, der besser bekannt ist unter dem Namen Cusanus? Dieser bedeutende Mann des 15. Jahrhunderts hat viele Gesichter, die es zu erkennen gilt, möchte man sein Werk und die damit verbundene Intention begreifen.

Nikolaus von Kues wurde 1401 als Sohn eines wohlhabenden Schiffers namens Johann Cryftz (Krebs) und seiner Frau Katharina, geb. Roemer, in Kues bei Trier geboren.[1] Nach Padua zog es ihn zum Studium des Kirchenrechts, das er 1423 beendete mit dem Grad eines Doktors der Dekrete; und mit dem „Doktor in der Tasche ließ sich einiges machen.“[2]

Bevor er zurückkehrt in seine Heimat, die Diözese Trier, widmet er sich zwischen 1425 und 1427 philosophischen und theologischen Studien in Köln. Den Weg nach Trier zurückgefunden, wird ihm sein erstes bedeutendes Amt übertragen. Nikolaus von Kues wird Sekretär des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain. Durch ihn kommt Cusanus erstmals mit der Kurie in Berührung, die ihn später noch zu höheren Würden erheben soll. Während seines Dienstes beim Trierer Erzbischof, trägt die Stadt Löwen Nikolaus 1428 den Lehrstuhl für kanonisches Recht an der Universität an, im Jahre 1435 wird dieses Angebot ein zweites Mal vorgebracht, doch Cusanus leht beide Male ab.[3] Ob er hier schon ahnt, dass er im Dienst der Kurie noch Vieles auf den Weg bringen würde, sei es als Kardinal oder später als Bischof von Brixon?

Eine Kanzlerschaft beim Kandidaten für den Trierer Bischofsstuhl, Ulrich von Manderscheid, führt den Weg Nikolaus’ 1432 zum Konzil nach Basel. Dort soll er Fürsprache für Manderscheid einlegen, da dieser, zwar vom Kapitel zum Bischof erwählt wurde, jedoch nicht die Gunst des Papstes Martin V. gewinnen konnte.[4] Die Entscheidung, ob nun Manderscheid oder der päpstliche Kandidat, Jakob von Sierck, bisher Bischof von Speyer, das Amt einnehmen soll, kann Cusanus nicht beeinflussen. Allerdings konnte Cusanus das Konzil von sich überzeugen und im Rückblick ist sein Wirken in Basel als „de[r] groß[e] Sprung in das Forum europäischer Öffentlichkeit“ zu werten.[5] Was bedeutet dies für seinen persönlichen Werdegang? Protegiert vom Konzilspräsidenten, Kardinal Cesarini, einen ehemaligen Lehrer Cusanus’ aus Studienzeiten in Padua, verfasst Nikolaus das Werk „De concordantia catholica“. In diesem Werk versucht Cusanus hierarchisches und pluralistisches Denken in ‚Eintracht zu bringen. Das Streben nach Eintracht und Frieden soll seinen weiteren Weg bedeutend bestimmen. Meuthen schreibt dazu in seiner „Skizze einer Biographie“: „Diese Frage [die Frage nach der Einheit, nach dem einheitlichen Verständnis von Gott und Schöpfung] wird sich von geradezu persönlicher Bedeutung auch für Nikolaus von Kues enthüllen.“[6] Als Gesandter von Papst Eugen IV. begibt sich Nikolaus 1437 zusammen mit dem Patriarchen von Konstantinopel und anderen Vertretern der griechisch-orthodoxen Kirche zu Unionsverhandlungen nach Ferrara, die in Florenz zu Ende geführte werden.[7] „Nach nicht immer leichten Verhandlungen wurde 1439 die Union feierlich beschlossen“, allerdings wurde sie nie allgemein anerkannt.[8]

In den Jahren 1440 bis 1445 entstehen weitere bedeutende Schriften des Cusaners, wie: „De docta ignorantia“, „De coniecturis“ und die „Opuscula“, die viele theologische Abhandlungen umfasst, wie beispielsweise „De filitatione dei“. In San Pietro in Vincoli, Italien, wird Nikolaus schließlich 1448 unter Papst Nikolaus dem V. zum Kardinal ernannt. Zwei Jahre später schon führt ihn sein Weg nach Brixon, Tirol, wo er zum Bischof ernannt wird und von wo aus er als päpstlicher Legat eine Legationsreise in die deutschsprachigen Lande unternimmt.[9] Die Erschütterung über den drohenden Fall Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 veranlasst Cusanus zu seiner Schrift: „De pace fidei“, „Über den Frieden im Glauben.“ Seine Aufgabe in diesem Werk:

„Die Verkündigung und Verbreitung einer universalen Religion, die alle Menschen und Nationen im Dienste des Einen wahren Gottes ohne Behelligung um gegensätzliche Bräuche miteinander verbinden und verpflichten soll.“[10]

Es wird deutlich sichtbar, dass man Nikolaus von Kues sowohl als Geistlichen mit religiösem Auftrag als auch als Politiker und Weltmenschen betrachten darf. Und nicht zuletzt auch als Literaten, der sich nicht nur selbst schreibend produziert, wovon im Übrigen seine zahlreichen Predigten Zeugnis ablegen, sondern sich überdies in der Suche nach Handschriften bei den Humanisten im Italien des 15. Jahrhunderts einen Namen gemacht hat.[11]

Im Alter von 63 Jahren stirbt Nikolaus von Kues schließlich im August 1464 in Todi auf dem Weg zu Papst Pius II.

Möchte man den Versuch begehen, die Philosophie des Cusaners einzuordnen, so existieren verschiedene Ansichten nebeneinander. Grundsätzlich herrscht die Meinung vor, Cusanus stünde in einer platonischen Tradition, wobei diesbezüglich unterschieden wird zwischen einem sogenannten „genuinen Platonismus“ und der Zugehörigkeit der cusanischen Philosophie zum „Neuplatonismus“. Die Vertreter der Überzeugung Cusanus vertrete einen genuinen Platonismus, wie beispielsweise Hoffmann, gehen davon aus, nicht nur das platonische Denken sei dialogisch-dialektisch, sondern auch das cusanische, ebenso wie unter ihnen die Ansicht vorherrscht, das platonische Verhältnis von Ideen zu Erscheinungen in der wandelbaren Welt decke sich mit dem Verhältnis zwischen endlich Seiendem und göttlich, ewig Seienden bei Cusanus.[12] Die Vertreter der Überzeugung Cusanus stünde in der Tradition des Neuplatonismus hingegen sehen genau diesen Aspekt der eins zu eins Übertragung der platonischen Intention mit der cusanischen als fragwürdig an. Ihrer Ansicht nach, wie sie beispielsweise von Koch vertreten wird, kann aus verschiedenen Gründen nicht von einem genuinen Platonismus bei Cusanus ausgegangen werden. Zum einen, so hat die Forschung um Koch ergeben, sei Nikolaus von Kues über seine intensive Beschäftigung mit Proklos und Pseudo- Dionysios mit Platon in Berührung gekommen. Weiter wird berichtet, dass Nikolaus, die für sein eigenes Denken wichtigste platonische Schrift, den „Parmenides“ ihm nur aus dem Kommentar des Proklos kenne und dass er auf Platon oder Proklos meist ohne Unterschied referiere.[13] Im Gegensatz zur thomistischen Philosophie, die von einer Seinsmethaphysik ausgeht, welche darin besteht, dass alles Sein vom Seienden abgeleitet wird, erweise sich die cusanische Philosophie, so die Ansicht der Vertreter der neuplatonischen Theorie bei Cusanus, als eine „Einheitsmetaphysik“.[14] Diese These fügt sich insofern in das cusanische Denken ein, als dass Nikolaus von Kues selbst die Einheitsthematik, die Lehre von der Vielheit aus der Einheit, in vielen seiner Schriften zum Ausgangspunkt macht. So heißt es doch in „De pace fidei“, der Schrift, in der er jenes kühne Ziel zu verwirklichen sucht, die Religionen dieser Welt vor Gott in Eintracht und Frieden zu führen, recht zu Beginn der Unterredung : „Der Urgrund ist […] ewig.“ Und „[e]bensowenig ist es möglich, daß es mehrere ewige Wesen gäbe, denn vor jeder Mehrheit besteht die Einheit.“[15] Eben dieses von Cusanus immer wieder in den Vordergrund der Betrachtung gestellte Phänomen wird von den Neuplatonikern bei Cusanus begriffen als eine Einheitsmetaphysik, die „von der absoluten Einheit als dem Erstgegebenen [ausgeht] und von da zum Verständnis der Welt herabsteigt.“[16] Kann dies jedoch so stehengelassen werden? Birgt nicht diese Auffassung weitere grundsätzliche Problemstellungen? Jacobi wirft berechtigt die Frage auf, wie die absolute Einheit des „Erstgegebenen“ sein kann, ohne dass entweder die Transzendenz Gottes geopfert oder die Endlichkeit des Menschen vernachlässigt werde.[17] Wie begegnet man nun diesem Problem, stellt sich abschließend die Frage. Jacobi vertritt die These, dass Cusanus durchaus die Möglichkeit gehabt habe, sich an die platonische Philosophie anzulehnen, einen Anstoß zu nehmen, ohne im Detail dessen Theorie zu entsprechen. Das heißt, so führt Jacobi aus, im Gegensatz zu Aristoteles, biete die platonische Philosophie Raum zur Auslegung.

„Die aristotelische Philosophie wird als „Lehre“ , als in den Grundzügen abgeschlossenes System tradiert. […] In dieser Weise ist die platonische Philosophie nicht tradierbar. Sie, die schon bei Platon selbst immer in Bewegung bleibt, die als niemals vollends ans Ziel kommende Suche verstanden wird, wirkt als Anstoß und Anregung“.

So findet man in Jacobis Werk: „Die Methode der cusanischen Philosophie“ anschließend an die Diskussion der verschiedenen Standpunkte in der Frage, ob Cusanus in der Tradition Platons stehe, ein Kapitel mit der Überschrift: „Die cusanische Philosophie als Auslegung Platons und als neue Art von Ontologie“. Seiner Meinungs nach ist den unterschiedlichen Ansichten zur Tradition und Stoßrichtung des Cusanus derart beizukommen, dass sowohl ein Rückbezug auf Platon angenommen werde, welcher sich vermenge mit einer neuen orginär cusanischen Ontologie. Wie sieht dies nun im Einzelnen aus? In Bezug auf Platon meint dies:

„Cusanus greift das platonische Problem von Sein und Schein […] in der Fassung auf, die der Neuplatonismus – und nach ihm besonders der christliche Platonismus der Schule von Chatres – diesem Problem gegeben hatte: als die Frage nach Einheit und Vielheit.“[18]

Der Platonismus wird hier verstanden als „Überlieferung einer fundamentalen Problemstellung, […] als eine Geschichte von Neudeutungen.“[19], die Cusanus den nötigen Freiraum zur Verfügung stellt, seine eigene Philosophie daran anzuknüpfen, eine neue Ontologie weiterzudenken. Werke wie die „docta ignorantia“ sowie die „coincidentia oppositorum“ geben deutlich Kunde von jenem cusanisch, ontologischen Ansatz.

Ein buntes Portrait dieses bedeutenden mittelaterlichen Menschen soll hiermit zum Ende kommen. Mögen wir Nikolaus von Kues als einen großen Geistlichen, einen kritischen Politiker und einen mutigen Idealisten im Hinterkopf behalten, wenn es nun im konkreten um sein Werk: „De pace fidei“ gehen soll, eine große interreligiöse Vision mit einer klaren Botschaft.

3. „De pace fidei“

Ein theoretischer Diskurs. Ein interreligiöses Gespräch

Cusanus’ Schrift über den Frieden im Glauben ist eine Visionsschrift, ein aus der Bestürzung aktueller Geschehnisse im 15. Jahrhundert erwachsener Wunsch nach Eintracht und Frieden und das nicht nur unter Christen. Warum genau hat Nikolaus von Kues diese Schrift auf den Weg gebracht? Sein Ziel, eine Lösung für das friedliche, tolerante Neben- und Miteinander der Weltreligionen ist das Eine, was aber ist sein Motiv?

Gleich zu Beginn des „himmlischen Gespräches“ heißt es: „Sed nosti, Domine, quod magna multitudine non potest esse sine multa diversitate […].“[20]. Die Verschiedenheit der Menschen, die einerseits eine zwingende Notwendigkeit zu deren Existenz ist, bedingt andererseits den Konflikt der Intoleranz untereinander. Auf diesem Hintergrund ist die Schrift des Cusaner anzusiedeln. Es geht um die Frage nach der Verschiedenheit der einzelnen Religionen im Gegenspiel mit der für alle Religionen gleichermaßen geltenden einen Gottheit. „De pace fidei“ ist die Niederschrift einer Vision, welche einem, wie es heißt, „geisterfüllten Menschen“, zu einer Begegnung mit Gott verhilft, die sich später zu einem, man könnte sagen, „Konzil der Weltreligionen“ ausweitet.

Bevor es im nächsten Kapitel darum gehen soll, den Verlauf des Gespräches bzw. Diskurses nachzuzeichnen und Erkenntnisse daraus aufzudecken, soll im Folgenden das Werk „De pace fidei“ aus Sicht der Forschung betrachtet werden.

„Er [Nikolaus von Kues] ist ein hilfreicher Ratgeber für Strukturfragen einer Synode, er ist der kühnste aller Ökumeniker und er ist der engagierte Anwalt der Völkerverständigung […].“[21], so das Bild des Cusaners nach Bernhard Hanssler. Wie ist dieser Standpunkt zu vertreten? Inwiefern kann man mit Cusanus in einen Kontext von Strukturfragen eintreten? Hanssler spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verhältnisbestimmung zwischen dem Einen und dem Vielen“[22] als dem eigentlichen Thema der Schrift „De pace fidei“. Diese These wirft jedoch die Frage nach der Relevanz des religiösen Rahmens auf. Ist das interreligiöse Gespräch bloß Anschauungsobjekt, damit Cusanus seine philosophische Seinsmetaphysik illustrieren kann? Gewiss nicht, denn wie das Porträt seiner Person gezeigt hat, steht er sowohl für weltliche, philosophische Theorien ein als auch für theologische, religiöse Problemstellungen. Denn „für ihn gibt es noch nicht die neuzeitliche Scheidung von Kirche und Staat, sondern immer noch die eine Christenheit, die Universalgesellschaft Kirche-Staat […].“[23] Aus dieser Erkenntnis heraus ist zudem interessant zu wissen, dass, nach Auffassung Hansslers, der Blick des Cusanus primär bzw. nahezu ausschließlich auf Deutschland gerichtet sei und nicht, wie man annehmen könnte, auf die gesamte Weltbevölkerung.[24] Diese These schließt jedoch die Tatsache nicht aus, Nikolaus habe in seiner Vision den Religionsfrieden aller Völker der Welt mit im Sinn gehabt.

„Aber wenn er auch zunächst nur vom hegemonialen Reich handelt, so hat er doch seine universalistische Perspektive immer noch mitgedacht.“[25]

Zudem verweist Hanssler auf das ethnologische Interesse des Cusaners: „Ihn interessieren die Völker in ihrer jeweiligen Volksindividualität.“[26] Jene Völkerindividualität ist der Ausgangspunkt der cusanischen Schrift „De pace fidei“. Ein Religionsvertreter nach dem anderen tritt vor das Wort, in Person von Jesus Christus, und trägt ihre Nöte und Bedenken vor, einen Religionsfrieden anstrebend und nach der einen für alle Religionen zu Grunde liegenden Religion suchend. Jesus Christus, der in der cusanischen Schrift immer als das „Wort“ auftritt, benennt die Zielsetzung der himmlischen Unterredung folgendermaßen: „Quae cum sit una [veritas], […], perducetur omnis religionum diversitas in unam fidem orthodoxam.“[27] In der deutschen Übersetzung nach Mohler heißt es an dieser Stelle: „Da diese[die Wahrheit] nur Eine ist[…] so wäre es angebracht, wenn alle Verschiedenheit der Religionen auf den einen wahren Glauben zurückgeführt würde.“[28]

Dass dieses Vorhaben unter christlichem Vorzeichen steht, wird die Unterredung zeigen, in der es die Trinität des christlichen Glaubens ist, die den „einen wahren Glauben“ konstituiert. Allerdings, und das unterstreicht auch Hanssler, steht das „Programm selbst, sein formaler und sein methodisccher Gedanke“[29] nicht hinter diesem Vorhaben zurück. Hanssler sieht klar, dass „[i]n der säkularisierten modernen Welt […] der Versuch einer Reduktion weltanschaulicher Unterschiede auf eine verborgene Christusorientierung natürlich keine Aussicht auf allgemeine Zustimmung [hat].“[30] Die, wie er es umschreibt, „Technik der Reduktion von Ideologien“[31] jedoch bleibe aktuell. Welche Relevanz hat nun „De pace fidei“ für Hanssler, sieht er doch die möglicherweise beabsichtigte Integration der Weltrelgionen durch Christianisierung als fragwürdig an.

Entscheidend für Hanssler ist das „Wie“ der cusanischen Friedenstheorie. „Die Mittel, die der Verwirklichung […] dienen, sind bezeichnet durch die cusanischen Grundworte Konsens und Repräsentation […].“[32] Diesen Grundansatz, des in Auseinandersetzung gefundenen Konsenses und der daraus resultierenden Repräsentation, der nicht originär cusanisch ist, bringt denn schon Pierre d’Ailly[33] diese Theorie in Bezug auf die Kardinäle vor, sieht Hanssler in„De pace fidei“ in glücklicher Weise umgesetzt. Zunächst gelte es, das alle Religionen Verbindende herauszustellen, einen Konsens zu gewinnen oder wie Hanssler sagt, „einen weltanschaulichen Generalnenner [zu] suchen“[34]. Erst dann kann via Represäntation das Neue, Friedenstiftende hinausgetragen werden und zwar vermittels des Einzelnen. Denn, so argumentiert Hanssler, sei die Wahrheit des Ganzen im Einzelnen präsent und dadurch vermöge das Einzelne das Ganze zu repräsentieren.[35] Die Botschaft der Einheit, welche die Vielheit und die Verschiedenartigkeit der Welt hervorbringe, möge, so der Wunsch des Cusaners, in die Welt getragen werden. Am Schluss der Schrift „De pace fidei“ heißt es:

„So wurde nun im Himmel in der geschilderten Art eine der vernünftigsten Überlegungen entsprechende Übereinstimmung aller Religionen beschlossen, und der König der Könige befahl, die Weisen sollten in ihre Länder zurückkehren und ihre Nationen zur Einigung in der wahren Gottesverehrung führen.“[36]

Nach Hanssler ist diese wahre Gottesverehrung als eine Frucht aus geistigem Konsens oder auch erfolgreicher Suche nach dem Generalnenner zu begreifen.

Es drängt sich indes aber die Frage auf, welche Konsequenzen die Erkenntnisse aus „De pace fidei“ mit sich bringen. Toleranz, will sie lebendig sein, kann und darf wahrlich nicht in der Theorie verhaften. Es ist nun ausgeschlossen worden, dass die cusansiche Schrift „Über den Frieden im Glauben“, bloße metaphysisch, ontologische Interessen im Sinn habe, sondern vielmehr als eine Vision des Friedens unter den Völkern zu begreifen sei. Dennoch bleibt die Frage, wie Cusanus nicht nur seine Theorie vermittelt, sondern auch in welchen konkreten, praktischen Rahmen er diese stellt. Es ist nicht zu erwarten, dass in jenem interrelgiösen Gespräch Handlungsvorschläge individueller, praxisorientierter Art gemacht werden, liegt Cusanus doch die geistige Verständigung zu förderst am Herzen. Dennoch, und dies betont Gerd von Heinz-Mohr in seinem Vortrag: „Friede im Glauben. Die Vision des Nikolaus von Kues.“, ist die Botschaft des Cusaners eindeutig an eine konkrete Verantwortung gebunden.

„Die theoretische und existentielle Ebene fallen bei ihm [Cusanus] nicht auseinander. Er sieht den Ursprung menschlichen Erkennens immer spannungsvoll in eins mit seinen Leistungen und seinem Vollzug der Praxis.“[37]

[...]


[1] Vgl. JACOBI, KLAUS (Hrsg): „Nikolaus von Kues“. –Freiburg/ München: Alber 1979 S.157

[2] MEUTHEN, ERICH: „Leben in der Zeit“. In: „Nikolaus von Kues“. Hrsg. von Klaus Jacobi. –Freiburg/ München: Alber 1979 S.9

[3] Vgl. JACOBI, KLAUS (Hrsg): a.a.O. S. 157

[4] MEUTHEN, ERICH: a.a.O. S.10

[5] MEUTHEN, ERICH: a.a.O. S.12

[6] MEUTHEN, ERICH: „Nikolaus von Kues 1401 -1464. Skizze einer Biographie. –Münster: Verlag Aschendorff 1976 S.29

[7] Vgl. JACOBI, KLAUS (Hrsg): a.a.O. S.158

[8] HEINZ-MOHR, GERD: „Friede im Glauben. Die Vision des Nikolaus von Kues.“ Vortrag vor der Mitgliederversammlung der Cusanus-Gesellschaft am 29.03.1969. In: Haubst, Rudolf: „Nikolaus von Kues als Promotor der Ökumene.“ Akten des Symposiums in Bernkastel-Kues vom 22. bis 24. September 1979. –Mainz: Grünewald 1971 S. 168

[9] Vgl. JACOBI, KLAUS (Hrsg): a.a.O. S.158

[10] VON CUES, NIKOLAUS: „Über den Frieden im Glauben“. De pace fidei von Ludwig Mohler. Der philosophischen Bibliothek Band 223 erschienen im Jahre 1943. -Leipzig: Felix Meiner S.5

[11] Vgl,. MEUTHEN, ERICH: „Leben in der Zeit“. In: „Nikolaus von Kues“. Hrsg. von Klaus Jacobi. –Freiburg/ München: Alber 1979 S.12

[12] Vgl. JACOBI, KLAUS: „Die Methode der cusanischen Philosophie“. In: SYMPOSIUM 31. Philosophische Schriftenreihe. Hrsg. von Max Müller; Bernard Welte; Erik Wolf. –Freiburg/ München: Alber 1969 S.63ff

[13] JACOBI, KLAUS: Ebd. S.66f

[14] Vgl. JACOBI, KLAUS. Ebd.S. 66

[15] VON CUES, NIKOLAUS: a.a.O. S. 103

[16] JACOBI, KLAUS: „Die Methode der cusanischen Philosophie“. In: SYMPOSIUM 31. Philosophische Schriftenreihe. Hrsg. von Max Müller; Bernard Welte; Erik Wolf. –Freiburg/ München: Alber 1969 S: „Die Methode der cusanischen Philosophie“. In: SYMPOSIUM 31. Philosophische Schriftenreihe. Hrsg. von Max Müller; Bernard Welte; Erik Wolf. –Freiburg/ München: Alber 1969 S.66

[17] Vgl. JACOBI, KLAUS. Ebd. S. 67

[18] JACOBI, KLAUS. Ebd. S. 77

[19] JACOBI, KLAUS. Ebd. S.78

[20] MEDIAVAL AND RENAISSANCE STUDIES: Edited by Richard Hunt, Raymond Klibansky in Co-operation with Lotte Labobsky. Supplement III. -London: 1956 S.5??

[21] HANSSLER, BERNHARD: „ Die Idee der Völkergemeinschaft bei Nikolaus von Kues.“ In: Haubst, Rudolf: „Nikolaus von Kues als Promotor der Ökumene.“ Akten des Symposiums in Bernkastel-Kues vom 22. bis 24. September 1979. –Mainz: Grünewald 1971 S. 190

[22] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.190

[23] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.190

[24] Vgl. HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.190

[25] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.194

[26] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.191

[27] MEDIAVAL AND RENAISSANCE STUDIES: a.a.O. S. 10??

[28] VON CUES, NIKOLAUS: a.a.O. S.95 f

[29] HANSSLER, BERNHARD: a.a.O. S.196

[30] HANSSLER, BERNHARD: a.a.O. S.196

[31] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.196

[32] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.192

[33] Vgl. HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.194

[34] HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S. 196

[35] Vgl. HANSSLER, BERNHARD: Ebd. S.199

[36] VON CUES, NIKOLAUS: a.a.O. S. 155

[37] HEINZ-MOHR, GERD: a.a.O. S. 167

Final del extracto de 39 páginas

Detalles

Título
Über die lebendige Toleranz unter den Weltreligionen
Subtítulo
Diskussion der Theorie und praktisches Zeugnis einer Utopie
Universidad
RWTH Aachen University
Autor
Año
2004
Páginas
39
No. de catálogo
V137774
ISBN (Ebook)
9783640615827
ISBN (Libro)
9783640616084
Tamaño de fichero
588 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Nicolaus von Cues, Lessing, Nathan der Weise, Toleranz, Weltreligionen, Utopie, Neuere deutsche Literatur
Citar trabajo
Vera Fischer (Autor), 2004, Über die lebendige Toleranz unter den Weltreligionen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137774

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