Doppelgänger & Co. - Über die Ich-Problematik und ihren künstlerischen Ausdruck in Form von Doppelgängern und Androiden in der romantischen Dichtung


Magisterarbeit, 2003

105 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


1. Einleitung

Die Idee zu dieser Arbeit kam durch die Lektüre von Jean Pauls „Siebenkäs“, der zu den Doppelgängerdichtungen gezählt werden kann. Mit Lust auf mehr, stürzte ich mich auf weitere Beispiele dieser Lektüreart und fand heraus, dass es doch erhebliche Unterschiede zwischen den Autoren und der Gestaltung (Realisation) und Verwendung des Motivs gibt. Vor allem in der Romantik findet sich eine Fülle von Doppelgänger– und Automatendichtungen; die Letzteren machen ebenfalls einen Teil der Arbeit aus.

Aus diesem Interesse heraus ergab sich für mich das Thema dieser Magisterarbeit: Das Phänomen des Doppelgängers und des künstlichen Menschen in der romantischen Literatur.

„Doppeltgänger* *So heißen Leute, die sich selber sehen.“[1] Diese Definition Jean Pauls, die seinen eigens erfundenen Begriff für ein schon lange bekanntes Phänomen beschreibt, besticht durch ihre Einfachheit. Sich selber sehen, sich in etwas oder jemandem erkennen, mehr ist nicht nötig, um einen Doppelgänger ins Leben zu rufen. Etliche der Romangeschöpfe Jean Pauls zeugen davon, dass er einer der führenden Köpfe bezüglich des Doppelgängermotivs war. An deren Beispiel wird ersichtlich, dass oft nur der Schein ausreicht, um einen Doppelgänger entstehen zu lassen. Manchmal genügt es, nur ganz einfache äußerliche Merkmale zu kopieren, um für eine andere Person gehalten zu werden. Die Grenzen für eine eindeutige Bestimmung – also wann jemand zu einem Doppelgänger von jemand anderem wird (oder umgekehrt) – bleiben letztlich subjektiv bestimmt und unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Das ist wohl auch der Grund, weshalb komplizierte Definitionen immer unstimmig und ergänzungswürdig erscheinen. Die einfachere Erklärung bleibt deshalb wohl die bessere.

Die zahlreichen Möglichkeiten, die das Motiv literarisch eröffnet, sind sicherlich ein Grund für die so vielfältige und heterogene Realisation des Motivs. Das gilt vor allem für die Schriftsteller der Romantik, aber auch für die anderer Epochen. Dabei ist es egal, ob der Doppelgänger als reale, lebende Person, als Schatten, als Spiegelbild, als Porträt oder als Golem realisiert wird. Wichtig ist nur die Tatsache, dass man sich selbst in ihm erkennt bzw. dass andere den Doppelgänger nicht vom Original unterscheiden können. Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, Spiegelbilder, Schatten oder Wachsbüsten zu den Doppelgängern zu zählen, da man sich, oder einen Teil des Ichs, in ihnen wiedererkennt.

Wie unterschiedlich die Gestaltung und die Funktion des Doppelgängers in der romantischen Literatur sein können, soll diese Arbeit anhand weniger ausgewählter Beispiele zeigen. Die Arbeit soll nur als begrenzte Forschungsleistung angesehen werden, da sie keinesfalls das gesamte Arsenal der Doppelgängerdichtungen bearbeiten und abdecken kann. Weil gerade die literarisch produktive Romantik für ihren häufigen Gebrauch des Motivs bekannt ist, wäre das auch unmöglich. Vielmehr soll an den Beispieltexten das Motiv in seiner Form und Funktion näher untersucht werden, um dadurch die Vielfalt, die dem Motiv innewohnt, zu verdeutlichen. Zu diesem Zweck ist es vorteilhaft, die Texte an den Stellen miteinander zu vergleichen, an denen es sich als möglich und sinnvoll erweist. Die Beispiele sind breit gefächert und können als exemplarisch für eine bestimmte Gestaltungsart des Motivs stehen. Es werden mehrere Arten des Doppelgängers untersucht, die sich von konkreten, lebenden Menschen, über nicht mehr so lebendige, bis hin zu abstrakteren Formen erstrecken. Leider ist es nicht zu erwarten, irgendwelche besonderen Neuigkeiten ans Licht zu befördern, doch manche Texte sind in der Literaturforschung immer noch Neuland, welches es zu entdecken gilt.

Die ausgewählten Texte stammen von vier verschiedenen Schriftstellern und zeigen verschiedene Spielarten des Doppelgängermotivs. Ziel soll es sein, mittels der einzelnen Untersuchungen und Darstellungen zu beweisen, dass es in der Romantik keine stereotype Verwendung des Motivs gab, sondern dass der Spielraum, den das Motiv innehat, in alle Richtungen genutzt wurde. Das heißt, es ist keine eindeutige Verwendungsrichtung vorherrschend. Eine Stereotypie ist eher im Opus einzelner Autoren festzustellen, wobei aber nur einzelne Aspekte des Phänomens solch stereotype Züge aufweisen.

Die Arten und Funktionen der Doppelgänger sind sehr verschieden. Vom komischen Verwechslungsmotiv über gemeine Usurpatoren bis hin zum Auslöser psychischer Störungen und Krankheiten ist so ziemlich alles vertreten. Wie bereits erwähnt, beschränken sich die Dichter nicht nur auf lebende, fleischliche Doppelgänger; das Motiv kann beliebig mit einem anderen sehr beliebten Motiv der Romantik kombiniert werden: mit dem des künstlichen Menschen. Hier geht die Bandbreite vom Golem, über den Alraun, bis zum Automaten. Eine weitere Ausnahme sind die abstrakteren Doppelgänger, wie der Schatten, den wir uns noch näher ansehen werden. Überall Doppelgänger, so die Feststellung. Wie sich diese offenbaren und was für ein Ziel sie verfolgen, zeigt sich am einzelnen Beispiel.

Die Texte werden nur auf das Doppelgängermotiv, und auf das Motiv des künstlichen Menschen näher und eingehender untersucht. Selbstverständlich wird stellenweise etwas weiter ausgeholt werden, doch eine vollständige Interpretation der Texte ist nicht vorgesehen. Zwangsläufig bildet sich dadurch eine einseitige Perspektive, die viele interessante Details der Werke außer Acht lassen muss. Neben der Funktion sollen auch mögliche Einflüsse und Vorbilder genannt werden. Die Vergleiche unter den Autoren und innerhalb der Romantik sollen die epochentypische Bearbeitungs- und Verwendungsweise der Motive erhellen.

Die eingesetzten Methoden und Ansätze sind nicht immer gleich und ändern sich z.T. von Werk zu Werk. Diesen Methodenpuralismus halte ich für vorteilhaft, weil dadurch die Vorzüge aller Methoden genutzt werden können. Grundsätzlich werden ein funktionaler sowie ein beschreibender (deskriptiver) Ansatz verwendet, da die Funktion des Doppelgängers von hoher Wichtigkeit ist.

2. Motivische Vielfalt: Der Doppelgänger als künstlicher Mensch

Der erste Dichter, an dessen Werk wir uns mit dem Doppelgängermotiv eingehender befassen wollen, ist Achim von Arnim. Die folgenden Beispiele offenbaren einen durchwegs ernsthaften Gebrauch des Motivs. Der Doppelgänger dient als Ersatz des Originals, ihm wird aber keine dauerhafte Ersatzrolle zugestanden. Arnim hat sehr weit gedacht und dabei einen neuen Typ des Doppelgängers geschaffen. Er ist in jedem Falle außergewöhnlich, jedoch nicht abstrakt, wie Chamissos Schatten-Doppelgänger.

Arnim speist seine Ausführung aus verschiedenen literarischen Quellen, vor allem aus seinem literarischen Umfeld. Bei ihm wird immer eine übernatürliche bzw. exoterische Macht benötigt, um den Doppelgänger zu schaffen. Keine geborenen Menschen werden zu Doppelgängern, es sind stets künstliche Wesen. Hier besteht ein Unterschied zu Hoffmann, der fast durchgängig lebende, bereits existierende Menschen verwendet, um die Doppelgängerei zu realisieren. Eigenartig ist, dass der Doppelgänger durch seine Anwesenheit keine gravierende Ich–Problematik auslöst. Er nimmt keinen psychischen Einfluss auf das Original. Das deutet auf eine gewisse Erhabenheit der Individuen. Es könnte aber auch daran liegen, dass seine Heldinnen an eine positive, prophetische Mission gebunden sind, was ihr Scheitern nicht erlaubt. So z.B. bei Isabella, die ein ganzes Volk retten und vereinen soll. Sie kann und darf nicht scheitern, denn es wäre nicht in Einklang mit der Prophezeiung, auf die Arnim sehr viel Wert gelegt hat. Ähnlich verhält es sich auch bei Hoffmann in diesem Punkte. Bei ihm sind die Helden, die an eine Mission gebunden sind, ebenfalls erfolgreich, doch ihr Leben bleibt trotzdem nicht dauerhaft verschont. Die Ich–Problematik hat bei Arnim mehr mit der Liebe zu tun, als mit dem Doppelgänger. Wie sich das Motiv bei Arnim vorstellt, soll im Folgenden genauer analysiert werden.

2.1 Achim von Arnim: „Isabella von Ägypten, Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe“

2.1.1 Allgemeines zu Dichter und Werk

Die Erzählung entstand im Jahre 1811, Arnims Hochzeitsjahr, in dem er Bettine Brentano heiratete. Die „Isabella“ ist die erste von vier Erzählungen im Erzählband von 1812, der von einer relativ lockeren Rahmenhandlung[3] zusammengehalten wird. Zum Thema der Doppelgänger und der künstlichen Menschen findet sich hier vielfältiges Material. Arnims Vorliebe für eine Vermischung aus historischen, realen und phantastischen Stoffen wirkt sich auch auf das Personal aus. Zusätzlich kommen transzendente, übernatürliche Einflüsse hinzu, wie beispielsweise die Prophezeiung, die Arnims eigene Erfindung war[4]. Er versucht in seinen Novellen, die er selbst nie genauer definiert hat, eine Vermischung von „Welt und Innenwelt“ zu erreichen[5]. Dieses Prinzip folgt seiner Ästhetik, die er leider nie als ein Gesamtwerk produzierte und die „fragmentarisch und aphorismenhaft“[6] ist, denn er war nicht dem Typus der theoretisch orientierten Dichter zugeneigt. In der Tat bildeten Brentano, Eichendorff und er die praktische Fraktion der jungen Romantiker. Diese Vermischung von Innen und Außen ist im Sinne der Arnimschen Kunstauffassung durchaus programmatisch zu verstehen.[2]

In der Kunst sah er eine vermittelnde Instanz, ihre Funktion war die einer Mittlerin zwischen ihm und dem (Lese-) Publikum. Die Kunst und das Kunstwerk waren also Medium. Beim Kunstwerk unterschied er zwischen der „äußeren Form“ und dem „inneren Wesen“. Die Form ist einer zeitlichen Konstante untergeordnet und macht meist den historischen Kontext, also den Rahmen der Geschichte aus. Das innere Wesen ist daher das Überzeitliche, das Transzendente, welches nach seiner Auffassung in ausgewogenem Maße vorhanden sein muss, um der Geschichte „Tiefe“ zu verleihen. Das Transzendente ist deshalb so wichtig, weil er an die Medialität des Auftrags glaubt. „Arnim denkt das gelungene Kunstwerk – wie wir sahen – als überzeitlichen »Stoff« in zeitlicher »Form«.“[7]

Der Gehalt bzw. die Tiefe der Geschichte wird durch die unbewusste Inspiration gewonnen, während die Form nur das Ergebnis einer bewussten Tätigkeit ist, die jeder Dichter besitzen muss. „Arnim war der Ansicht, dass er das Leben am besten einfangen könne, wenn er seiner poetischen Phantasie, die er als Ausdruck einer höheren Inspiration ansah, freien Lauf ließe und ihren Strom nicht durch rationale Erwägungen und Reflexionen störe.“[8] Mit dem Begriff der Inspiration hatte Arnim auf eine Definition aus der Zeit vor Goethe zurückgegriffen, denn für ihn war es „göttliche Inspiration“, die den transzendenten Gehalt des Werkes sicherte. Inspiration war also eine konkrete Erscheinung der Bindung des Dichters an eine transzendente Quelle der Dichtung und Kunst[9].

2.1.2 Einflüsse zur Entstehung der Erzählung

1811, im Jahre des Kometen über Deutschland, erwarteten Achim und seine Frau Bettina ihr erstes gemeinsames Kind. Dieses Ereignis spiegelt sich in der „Isabella“ wieder, als der Hofmeister Adrian in den Sternen sieht, „daß diese Nacht den wunderbarsten Sohn der Venus und des Mars gezeugt habe“ (S. 82). Gemeint ist damit Lrak, der Sohn Karls und Isabellas. Offensichtlich reale Begebenheiten werden leicht verändert verarbeitet, so wie Arnims Rheinfahrt, die er mit Brentano machte, und die für die Konstruktion des Rahmens diente. Arnim nahm sehr viele Einflüsse auf und trachtete danach, sie alle für seine Dichtung auszunutzen. Dies gilt vor allem für literarische Impulse. Die Heterogenität des Stoffs ist in der „Isabella“ deutlich zu erkennen. Einen wichtigen Teil macht der jüdische Kulturkreis aus, der, wie sich noch zeigen wird, eher negativ behandelt wird[10]. Vor allem die Kabbala und ihre mystisch–magischen Inhalte, die zur Schaffung des Golems beitragen, wurden benutzt. Die materielle Besessenheit und ihre natürliche Prädisposition zum Geld wurden ebenso von Arnim thematisiert. Den Gegenpol zur jüdischen Seite bilden die Zigeuner. Dass Arnim sie mochte, ist aus seinen Angaben anzunehmen:

„Warum zieht es uns in Büchern an, was wir von den ersten Entdekkungsreisen, von den Weltfahrten, von ziehenden Schauspielern, insonderheit was wir von dem wunderbaren Wandel des Zigeunerreichs lesen, im Kriege echte Soldaten, im Frieden zutrauliche Ärzte (dessen die gelernten sich jetzt fast alle entwöhnt); ich erinnere mich noch ihrer nächtlichen Feuer im Walde, wie sie mir aus der Hand wahrsagten: Und sagten sie mir etwas Gutes, so sage ich wieder Gutes von ihnen.“[11]

Aus dem Aberglauben, aus Sagen und Märchen, wurde ebenfalls geschöpft, genauso wie aus dem christlichen Kulturkreis. Als Quellen für die Zigeunerthematik (so genannte „Zigeunerromantik“) diente wohl u.a. Heinrich Moritz Gottlieb Grellmanns „Die Zigeuner. Ein historischer Versuch über die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volks in Europa, nebst ihrem Ursprunge“[12] (1787), denn es finden sich etliche Übereinstimmungen zur „Isabella“, die Arnim freilich stark abgewandelt hat. Doch auch von Miguel de Cervantes und aus Martin Crusius „Schwäbischer Chronik“ (1733) gab es Einflüsse.

Viel Material schöpfte er aus der „Zeitung für Einsiedler“, in der seine Freunde veröffentlichten. So verwendete er Jacob Grimms Golemsage[13], die er noch leicht modifizierte, um seine Doppelgängerin zu kreieren.

Grimmelshausens „Der erste Bärnhäuter“ (1670) und Brentanos „Geschichte und Ursprung des ersten Bärnhäuters“ standen für seine Version Patenschaft. Ebenso Grimmelshausens „Simplicissimi Galgen – Mannlin oder Ausführlicher Bericht, woher man die genannten Alräungen oder Geld Männlein bekommt“ (1673).

Informationen zum historischen Karl V. hat er wohl aus den Werken Antoine Varillas und William Robertsons „History of the Reign of the Emperor Charles V.“ (1769), dessen Ausgabe er tatsächlich besaß[14].

Wichtig für das Doppelgängermotiv scheint Brentanos „Frontalbo und die beiden Orbellen“[15] zu sein. Auf Jacob Grimms Anreiz hin schrieb Brentano das Stück und ließ es im 11. Heft der „Zeitung für Einsiedler“ drucken. Schon die Namen klingen ähnlich, vor allem die häufiger verwendete Kurzform Bella.

Der Text bietet also historische Elemente, die aber mit sehr stark phantastischen Motiven und Zügen durchflochten sind. Dass die Phantastik einen großen und wesentlichen Teil von Arnims Texten ausmacht, betont nicht nur Neuhold. In der „Isabella“ vermischen und durchdringen sich kabbalistische Mystik, Zigeunerromantik, altdeutscher Aberglaube, Prophezeiungen, Träume und noch viele verschiedene Motive und Ideen zu einem sehr heterogen Konglomerat.

2.1.3 Das Doppelgängermotiv und seine Realisation

Das Doppelgängermotiv wird bei Arnim ganz frei behandelt und mit einigen anderen Motiven kombiniert. In unserem Falle wird der Doppelgänger mit einem künstlichen Geschöpf verbunden. Damit verknüpft er das Motiv des künstlichen Menschen mit dem Doppelgängermotiv; beide waren äußerst beliebte Motive der Romantik. Dabei bleibt es aber nicht, denn Arnim lässt noch das Venusmotiv[16] in die Gestalt mit einfließen. Durch ihre Rolle als Verführerin kann die Golem-Bella in diese Kategorie gezählt werden. Daraus ergibt sich eine Parallele zu E.T.A. Hoffmanns Olimpia („Sandmann“). Mit dem Doppelgängermotiv will Arnim aber keine Ich–Problematik im Stile Hoffmanns darstellen, sondern es dient dazu, die Liebe zwischen Bella und Karl zu ermöglichen, oder sie später zu stören. Obwohl die Doppelgängerin zunächst nützlich ist, wird sie später zum Störfaktor der Liebe. Von der Verwechslungsfunktion wechselt sie zu einer zerstörerischen Funktion, bis sie vernichtet wird. So haben wir drei an sich verschiedene Motive, die auf eine Person projiziert sind.

Künstliche Menschen und künstliche Zeugungen gibt es mehrere in der Erzählung. „In »Isabella von Ägypten« ist in der Tat eine ganze Reihe von solitären Zeugungen belegt, deren künstliche menschenähnliche Produkte dazu dienen, eine wunderbare einmalige Zeugung zwischen zwei Mesalliancepartnern und damit die Weiterexistenz des Zigeuner – Künstlervolks zu ermöglichen.“[17] Der Golem, der Alraun und der Bärenhäuter werden durch Sprachschöpfung erschaffen.

Wichtig erscheint auch das Liebeskonzept, weil es für die Handlung und ihren Ablauf verantwortlich ist. Selbstverständlich spielt die Prophezeiung auch noch eine bedeutende Rolle. Moralische Punkte werden ebenso angesprochen, vor allem das Thema Geld und Umgang mit selbigem wird angerissen. Parallelen zu Chamissos „Schlemihl“ und zu Brentanos „Wehmüllern“ werden dadurch sichtbar, die auch eine sozial- und gesellschaftskritische Note aufweisen und vom Umgang mit Geld handeln.

Ein ganz deutlicher Unterschied zwischen Arnim und Hoffmann besteht in ihrer unterschiedlichen Erzählweise, sowie in ihren Quellen und Einflüssen. Bei Arnim werden die Personen wenig oder gar nicht psychologisch profiliert. Ganz anders dagegen Hoffmann. In der „Isabella“ kommt es so gut wie nie zu einer ernsthaften Ich–Problematik, zumindest nicht für Bella[18]. Sie durchlebt zwar Probleme, zeigt aber keine psychische Störung, wie das bei Hoffmanns Doppelgängern sehr oft der Fall ist. Man erfährt reichlich wenig vom Innenleben, was zum Teil an der auktorialen Erzählform liegt. Deshalb wird die Untersuchung auf die Doppelgänger und den Aalraun beschränkt. Die persönliche Entwicklung Bellas, muss außer Acht gelassen werden, weil sie in unserem Rahmen nichts wirklich Wichtiges zur Ich–Problematik beiträgt. Daran erkennt man die grudsätzlichen Unterschiede zwischen Arnim, Hoffmann und Chamisso. Obwohl Isabella wie Medardus letztlich die Prophezeiung, die über ihnen liegt, erfüllen, sind ihre psychischen Gemütszustände völlig verschieden. Isabellas Doppelgängerin wirkt nur auf ihre Liebesbeziehung negativ. Ihre Psyche bleibt unberührt und unbeschrieben.

2.1.4 Künstliche Zeugungen

Einen großen Stellenwert für die Romantik hatten Wort, Schrift und Sprache. Arnim bildet hierin keine Ausnahme. Die geläufige Vorstellung von Weltschöpfung als Sprachschöpfung[19] wird auch in dieser Erzählung durchgesetzt. Die auffälligste unter diesen Schöpfungen ist der Golem. Er wird mittels kabbalistischer Mystik durch das Wort, nämlich das „Aemeth“, auf seiner Stirn, und durch die Belebungsformel, das „Schemhamphoras“ (S. 73), zum Leben erweckt. Also durch Schrift und Sprache. Dabei vermischen sich Oralität und Literarität. Diese Zeugungen sind „außergenital“[20] und erfolgen in dem Falle des Golems auch noch zusätzlich durch einen Blick, den die echte Bella in den Spiegel wirft, um aus einem Golem ihren Doppelgänger zu machen.

Das zweite Geschöpf in dieser Reihe ist der Alraun. Der Alraun, der aus dem althochdeutschen „rune“[21] hervorgeht, was gleichzeitig „alte Schrift“ bedeutet, wird tatsächlich aus den alten Schriften von Isabellas Vater entnommen. Erst als Isabella die „Zauberbücher“ (S. 21, 43) und Schriften ihres Vaters liest, stößt sie auf den Alraun und das Geheimnis seiner Gewinnung. Damit ist das Buch, und dessen Inhalt, die Schrift, als Initiator der Schaffung zu sehen. Ohne das Buch kein Alraun. Doch kommen wir nun erst einmal zum inhaltlich wichtigeren Doppelgängermotiv, welches im Zentrum dieser Arbeit steht.

2.1.5 Bella und Golem-Bella: Das Doppelgängermotiv kombiniert mit anderen Motiven

Was uns bei diesem Doppelgängerpaar auffällt, ist die Tatsache, dass ein künstlich geschaffener Mensch zum Doppelgänger eines echten Menschen wird. Außer bei Arnim, der ähnliches auch in der „Melück“ macht, kommt das bei keinem anderen Autor in dieser Untersuchung vor. Künstliche Menschen bleiben in der Regel individualisiert, sie können zwar, wie im „Sandmann“, den Menschen täuschen und sich als Menschen ausgeben, doch sie versuchen niemals, eine konkrete, lebende Person zu ersetzen, sprich zu jemandes Doppelgänger zu werden. Diese Schwierigkeit liegt in der Realisation der Sprachgabe und Gedanken, was Arnim erkannte und durch phantastische Utensilien zu überbrücken suchte. Wenn man so will, ging Arnim, dessen Erzählungen die ältesten innerhalb der Untersuchung sind, am weitesten, denn dem künstlichen Menschen werden die Macht der Täuschung und die Ersatzfähigkeit zugesprochen. Ja, sogar der vollständige Ersatz einer lebenden Person ist möglich und denkbar. Aber trotz allem will sich bei Arnim nie ein rechter Schrecken einstellen. In dieser Hinsicht ist Hoffmann ihm überlegen, allerdings glaube ich nicht, dass es Arnims Anliegen war, das Motiv in der Art einzusetzen, wie Hoffmann es später tat. Dafür sind ihre dichterischen Ziele und Praktiken zu verschieden.

Ein wichtiger Unterschied zu Hoffmann ist der psychologische Gehalt der Erzählung, der bei Arnim sehr gering ist. Der Doppelgänger, der eigentlich nur als Ablenkung gedacht war, stiftet Verwirrung, mehr aber auch nicht. Selbst als Bella ihrer Doppelgängerin gegenübersteht, kommt es zu keinerlei bedeutendem psychischen Kollaps. Der Golem wird mit negativen Attributen behaftet, was ganz klar an der antisemitischen Tendenz Arnims lag. Er wird zur bösen Schwester Bellas, die nur „Hochmut, Wollust und Geiz“ (S. 75) kennt. Damit werden diese schlechten Eigenschaften direkt mit den Juden verknüpft. Diese Thematik hat einen großen Raum im Werk bekommen, und die Entscheidung für das Geld oder für die Liebe ist ein zentraler Punkt.

In der vorliegenden Erzählung finden wir durch eine geschickte und durchdachte Weise die Golemsage, die mit dem Doppelgängermotiv kombiniert wurde, in einem weiterentwickelten Zustand. Um diese Kreuzung der Motive im textinternen Kontext aufrechterhalten zu können, bedarf es eines bestimmten Wissens, welches die Golem-Bella von der echten Bella mittels eines „Zauberspiegels“[22] erhält. Dieses Wissen ist notwendig, weil sie als Ersatz der echten Bella zwangsläufig in die Situation kommt, in der sie sprechen und ein vorausgesetztes Wissen zeigen muss. Sie soll schließlich den Alraun täuschen und beschäftigen. Dieses Wissen, oder eine einfache Art des Bewusstseins, wird ihr mit Hilfe des Rabbis von der echten Bella transferiert. Sie entsteht durch Magie und „Blickzeugung“[23].

„Als er das gesprochen, hatte der alte Jude sein Werk beendigt, er hauchte die Bildsäule an, schrieb das Wort auf ihre Stirn, das sich unter Haarlocken versteckte, und eine zweite Bella stand vor beiden, die alles durch jenen Spiegel wußte, was Bella bis dahin erfahren, die aber nichts Eignes wollte, als was in des jüdischen Schöpfers Gedanken gelegen, nämlich Hochmut, Wollust und Geiz, drei plumpe Verkörperungen geistiger, herrlicher Richtungen, wie alle Laster; daß diese hier ohne die geistige Richtung in ihr sich zeigten, das unterschied sie selbst vom Juden, überhaupt aber von allen Menschen, die sie übrigens so wunderbar täuschen konnte, wie jenes alte Bild von Früchten alle Vögel, daß sie an die Leinwand flogen und davon zu naschen suchten.“ (S. 75/76)

Die Konsequenz ist schließlich eine Verknüpfung dreier Motive, die unter dem Aspekt der Verdopplung alle in einer Reihe stehen. Der Doppelgänger, der Spiegel und der Golem stehen für eine Verdopplung, bzw. Potenzierung einer ursprünglichen Person. Dadurch ist eine Konzentrierung dieser Motivik im Text spürbar. Doch Arnim begnügt sich nicht damit, sondern er geht noch weiter mit seinen Spiegelungen und Multiplikationen. Dabei zeigt der Text wahrlich Interessantes.

Der Golem und die Golemgeschichte, waren Arnim bestens vertraut. Nicht nur, dass die Grimms es literarisch verwerteten, sondern auch sein „Herzbruder“ Brentano, mit dem er zuvor schon an „Des Knaben Wunderhorn“ arbeitete, hat die Golemgeschichte gekannt und in kurzer Form unter dem Titel „Erklärung der sogenannten Golem in der Rabbinischen Kabbala“[24] herausgegeben. Eines ist deshalb ganz besonders auffällig, nämlich die Tatsache, dass der Golem in allen literarischen Vorlagen zusehends wächst. Selbst Arnim bringt diese Warnung in der Erzählung, doch bei der Golem-Bella fehlt diese Eigenschaft. Es wird nicht einmal erwähnt, dass sie wachsen würde. Damit blendet Arnim diese Eigenschaft funktional aus, denn eine wachsende Golem-Bella wäre schnell enttarnt und könnte ihre Verwechslungsfunktion nicht erfüllen[25]. Es ist kaum vorstellbar das Arnim dieses Attribut aus Unachtsamkeit oder Zufall weggelassen hat. Wenn H.M. Kastinger Riley von einem „Kontaminationsstil“ bei Brentano spricht, können wir das in diesem Falle auch Arnim zusprechen, wenn es heißt: „die Kontamination ist daher die romantische Umwandlung einer fremden Idee und deren Ausweitung durch eine neue Perspektive und neue Facette“[26].

Dass Arnim ein wirklich guter Erzähler und geschickter Dichter war, ist bekannt. So ist auch in seinen Texten eine gewisse Zeichenhaftigkeit vorhanden. Bei der Spiegelung als Motiv hat Arnim ganze Arbeit geleistet. Die erste Spiegelung (also Verdopplung) kommt ganz am Anfang, als die beiden verfolgten Völker dieser Welt angesprochen werden, nämlich die Juden und die Zigeuner. Zwei Völker, ein Dualismus, der sich in einigen Spiegelungen zeigen wird. Schauen wir auf die wichtigste Spiegelung der Erzählung, die Doppelgängerin Golem-Bella. Sie wird von einem Rabbi geschaffen, der als Jude schon zu einen der beiden genannten Völker zählt. Die Golem-Bella entsteht aus der Intention heraus, eine Täuschung des Alrauns zu bewirken. Somit ist ihre Aufgabe von vornherein geklärt. Wie sich später herausstellt, verhält es sich nicht ganz so einfach, und ihre Rolle wird eine ambivalente, da sie auch Karl verführt. Ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllt sie zwar und tut damit anfangs Gutes, doch später verkehrt sich ihre Rolle; und anstatt des Alrauns verführt sie den Prinzen. Diese Umkehrung ihrer Wirkung zeigt die Unkontrollierbarkeit eines künstlichen Geschöpfs, vor allem eines Golems[27]. Diese Eigenschaft ist in Arnims Erzählung auch anderen Geschöpfen eigen, so auch dem Alraun.

Ihre Ersatzrolle spielt die Golem-Bella ganz gut, niemandem – außer dem Bärenhäuter[28] – fällt die Usurpation auf. Die restlichen Golemeigenschaften weist sie nur z.T. auf. Interessant erscheint ihre Abscheu gegen ihr Original (Bella). Bei der ersten Begegnung kann sie das Original schon nicht leiden und ist dafür verantwortlich, dass Bella verjagt wird. Als sie sich zum zweiten Mal begegnen, versucht Golem-Bella sogar, die echte Bella zu verletzen. Sie reagiert ausgesprochen schlecht, feindselig und aggressiv auf ihre Gegenwart.

„Muß ich dich wiedersehen, du Vorgeschaffene Gottes, muß ich an dir schaudern, daß ich nicht lebe?“ schrie Golem und stach mit einer pfeilförmigen, goldnen Haarnadel nach ihr. Der Erzherzog aber, dem alles im Augenblicke schrecklich klar wurde, was er sich bisher abgestritten hatte, hielt Golem Bella bei den Haaren zurück, deren Flechten niederfielen; er sah die Schrift auf der Höhe der Stirn, das Aemeth, löschte die erste Silbe rasch aus, und im Augenblicke stürzte sie in Erde zusammen.“ (S. 108/109)

Dieses Verhalten könnte man als eine Form der Gewalt gegen den Konkurrenten sehen. In diesem Falle gegen die Konkurrentin. Identisch mit den Vorlagen bleibt ihre unvermeidbare Vernichtung, wie bei allen Golemsagen. Die Vernichtung erweist sich als relativ unproblematisch, was durch den ausbleibenden Wuchs unterstützt wird.

Neben den aussparenden Veränderungen erweisen sich die Erweiterungen als sehr interessant. Der Golem, der üblicherweise nicht viel spricht und der eher Satzfragmente als richtige Sätze formulieren kann, erhält bei Arnim eine voll ausgebildete Sprachgabe. Sie spricht ganz normal und hat auch ein eingeschränkt funktionierendes Gedächtnis. Dieses hat sie aber nur, weil es ihr mittels eines „Kunstspiegels“ verliehen wurde: „Der Jude verlangte, sie [Bella, Z.M.] nur einmal in seinen Kunstspiegel einsehen zu lassen, so bleibe ihr Bild darin festgemalt.“ (S. 74) Dieses wird dann dem Golem eingepflanzt, wodurch er, in diesem Falle sie, eine Identität bekommt und zum Doppelgänger eines lebenden Menschen avanciert. Der Spiegel kann hier als romantisches Spezial gelten, der innerste Gedanken registrieren und festzuhalten vermag[29]. Das ist wichtig, weil es wohl das erste Mal ist, dass ein Golem gleichzeitig zu einem realen Doppelgänger wird. Ansonsten hat er zwar die Qualität eines Ersatzes als Diener oder Ähnliches, doch eine konkrete, lebende Person hatte er erst hier zu ersetzen.

Es gibt verschiedene Doppelgängerarten; eine davon ist der lebende, reale Doppelgänger, der uns in Form eines Körpers vorkommt. Der reale, der also im Normalfall aus Fleisch und Blut besteht, ist in diesem Falle gar nicht so lebendig beschaffen, sondern er besteht aus Lehm. Gerade in dieser eigenwilligen, bunten und prächtigen Mischung aus allem liegt die Schönheit und Phantasiekraft von Arnims Werken.

Zurück zur Bella, die Zigeunerin hoher Abstammung ist, und deren Schicksal es laut einem Gelübde ist, die zerstreuten und vertriebenen Zigeuner als freies Volk nach Ägypten zurückzuführen. Gleich zu Beginn wird dies erwähnt, da es eine große Rolle spielt: „Halt´ doch fest, daß du die Unsern, wenn unser Gelübde vollbracht, zurückführen sollst; [...]“ (S. 4). Ein weiterer Bestandteil der Prophezeiung ist die Geburt eines gemeinsamen Kindes von Bella und Karl. Das Kind wird später die Aufgabe Bellas übernehmen und das Zigeunervolk führen:

„Du sollst ihn haben, du mußt ihn haben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Plan mit dir, den auch die Oberhäupter unsres Volkes billigen. Du mußt von diesem künftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch die Liebe seines mächtigen Vaters den zerstreuten Überbleib deines Volkes in Europa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandes zurückführt.“ (S. 55)

2.1.6 Spiegelungen / Verdopplungen

Über mehrere Umwege erfüllt sie schließlich ihr Gelübde und tut damit sehr viel Gutes für ihr Volk. Deshalb kann sie am Ende der Erzählung auch einen versöhnlichen Tod sterben, indem sie zu einer Art Apotheose gelangt. Sie stirbt übrigens am selben Tage (dem 20. August 1558) wie Karl. Karl legt sich lebendig in den Sarg, und Isabella lässt noch während sie lebt ein Totengericht über sich halten. So findet eine indirekte Zusammenführung im Tode statt. Auf diese Weise erreicht Arnim wieder eine Spiegelung, denn beide sterben gleichzeitig.

Eine noch eindeutigere Konstellation von Spiegelungen hat Arnim durch die beiden Völker erreicht. Wie schon angedeutet, stehen die Juden und die Zigeuner von Beginn der Erzählung an in einer Art Spiegelung. Diese wird konsequent durchgesetzt und manifestiert sich auch wieder im Doppelgängerpaar. Bella, eine Zigeunerin, die für ihr Volk steht, wird eine jüdische Doppelgängerin gegenübergestellt, weil die falsche Bella eigentlich ein Golem ist, der von einem polnischen Rabbi geschaffen wurde. Diese Erschaffung gründete sich auf kabbalistischer Kunst. Dies kann keinesfalls Zufall sein. Arnim spielt bewusst die beiden Völker gegeneinander aus. Dadurch erreicht er eine doppelte Spiegelung: die erste ist allgemein gehalten, wird am Anfang geschildert und betrifft generell die beiden Völker. Die zweite ist konkreter und besteht im Einzelfall, hier zwischen Isabella und dem Golem, die beide jeweils als Stellvertreter für ihre Völker stehen.

Solche Zeichen der Verdopplung gibt es noch mehr. Eine ganz auffallende und wohl auch wichtige ist der Name des gemeinsamen Sohnes von Isabella und Karl. Sein Name ist Lrak und ist somit eine Art Anagramm von Karl, hier sogar eine direkte Spiegelung. Diese Tatsache trägt auch zeichenhafte Züge und steht für die Verbindung des Vaters zum Sohn. Der Sohn ist etwas ganz besonderes, denn wie Adrian prophezeit, wird Bella ihn in einer Nacht empfangen, die Positives verheißt: „[...] diese Nacht den wunderbarsten Sohn der Venus und des Mars gezeugt habe.“ (S. 82) Die Frucht dieser Nacht ist Lrak und er soll die befreiten Zigeuner als ihr Anführer durch ihre zukünftige Freiheit in Ägypten führen. Demnach ist er auch ein Anführer. So wie Karl der Anführer von seinem Volke ist, so soll auch sein Sohn einmal ein Volk regieren.

Weitere Verdopplungen hat Arnim beim Personal vorgenommen. Hier ist ebenso eine Potenzierung zu beobachten. Angefangen bei den zwei Helferfiguren, Braka und Cenrio, die als Berater und Ideengeber tätig sind und jeweils auf der ihrigen Seite tätig sind.

Auch Karl wurde mehrfach potenziert; nicht nur in Form des Sohnes, sondern im Text ist auch die Rede von einer Puppe Bellas[30], in der sie ihren Geliebten erkannte. Daneben wird er nochmal durch eine ausgestopfte Puppe ersetzt, um sich vor Adrian zu schützen, und in diesem Augenblick mit der falschen Bella sein vergnügen zu haben. Ganz am Ende der Erzählung ist es der fahrende Schüler, der in Konkurrenz zu Karl tritt. Selbst die Verführer in Frau Nietkens Haus sind zu zweit, denn „Alles Doppelte entzückt Arnim“[31].

2.1.7 Künstliche Menschen als Sprachschöpfungen

Ein ganz wichtiger Teil der Erzählung ist der Alraun. Er entsteht aus dem Medium der Schrift bzw. der Sprache. Schon im Mittelalter war der Alraun bekannt[32]. Arnim sah in Herzog Ferdinands Wunderkammer 1802 einen Alraun. An Einflüssen fehlt es also nicht unbedingt. Auch bei dieser Figur hat er einige Änderungen eingeführt, die ihm unerläßlich schienen. Er schwächt die Herkunft des Alrauns ab, indem er ihn nicht aus dem männlichen Samen eines Gehängten entstehen lässt, sondern aus deren Tränen. „[...] und trotz allem Geschrei dieser Wurzel, die keineswegs natürlicher Art, sondern ein Kind der unschuldigen Tränen des Erhenkten ist [...]“ (S. 18) Die Transformation hat eine Verharmlosung zur Folge und dadurch vermeidet er von vornherein jede Art einer sexuellen Konnotation mit Bella.

Am Alraun bestehen auch, wie im gesamten Text, Verdopplungen. Bei ihm sind es die Augen, denn anstatt eines Augenpaares besitzt der Alraun dank Isabellas Übereifer jetzt zwei Augenpaare. Das zweite Augenpaar sitzt im Nacken und mit ihnen hat es etwas ganz eigenes auf sich. Nicht nur die Augen im Nacken, welche eine unheimliche, durchdringende Fähigkeit besitzen, sind besonders, nein, auch der Tag an dem er aus der Erde gezogen wurde, ist besonders, denn es ist Karls Geburtstag[33]. Das dies zeichenhaften Charakter besitzt ist anzunehmen, genau wie der gemeinsame Todestag. Zu den Augen heißt es: „Bella erschrak wie eine überwiesene Sünderin, diese Allwissenheit oder vielmehr dieses ahnende Augenpaar in dem Kleinen setzte sie tief in Verzweiflung [...]“ (S. 30). Woher diese Fähigkeit seiner Augen herkommt wird im Text selbst nicht ausdrücklich geklärt. Dieses Augenpaar wird ihm später durch die Golem Bella eingedrückt, was ihm natürlich die Möglichkeit raubt einen tieferen „Einblick“ ins Innere der Menschen, oder in diesem Falle des Golems zu erlangen und den Betrug zu durchschauen.

Eine Funktion, die der Alraun übernimmt, ist der Ersatz des Menschen, denn als solcher gibt er sich ja durch die gesamte Erzählung hindurch aus. Diese wird ihm aber nicht ohne weiteres abgekauft, und so muss er verschiedene Aussagen zu seiner Menschlichkeit sammeln, um am Hofe eine Stellung zu bekommen, was außerordentlich lustig geraten ist[34]. Eine witzige Antwort im Text erhält man auch, als der Alraun nach seinem Wesen gefragt wird. »Bist du denn ein Geist oder ein Mensch lieber Cornelius? Fragte Bella.- „Ich“, stammelte der Alraun, „das ist eine dumme Frage, ich bin ich und ihr seid nicht ich, und ich werde Feldmarshall und ihr bleibt was ihr waret [...]« (S. 42) Diese Antwort könnte durchaus in Absprache mit Fichte entstanden sein, was sicherlich auch kein Zufall ist, sondern ein privater Spaß auf Fichtes Kosten[35]. In gleicher Weise steht der Alraun auch für eine Kritik der damaligen Zeit und ihrer Vorgänge, spezieller: er könnte eine Gestalt sein, auf der sich eine kapitalismuskritische Sichtweise manifestiert. Arnim hat auch dem Alraun jüdische Tendenzen zugewiesen, die in der damaligen Zeit gängige Stereotype dem jüdischen Volk gegenüber darstellten. Er hat einen besonderen Bezug zum Geld, denkt nur an Ansehen und Erfolg und ist Egoist. Dabei ist er ebenso ambivalent wie der Golem. Zunächst wird er geschaffen, um an Geld und damit an den Prinzen heran zu kommen; doch vom ursprünglichen Mittel zum Zweck gerät er zusehends zum Störfaktor.

Seine Einmischung, seine Eifersucht und sein zu weit entwickeltes Eigenleben führen schließlich zum Bruch der Liebe zwischen Bella und Karl. Dieser „domestizierte Dämon“[36], der so gut wie alle negativen Seiten eines Juden aufweist, wird sogar mir einer Jüdin verheiratet. Im Glauben, Bella zu heiraten, nimmt er irrtümlich die Golem-Bella zur Frau. Damit sind die zwei Geldgierigen vereint und Braka, die ihnen in dieser Hinsicht in nichts nachsteht, begleitet sie zusammen mit dem Bärenhäuter, der zuletzt als Ahasver, der ewige Jude, entlarvt wird. Soviel Antisemitismus ist kein Zufall. Schließlich wird oder soll der Alraun Finanzminister werden, als seine Fähigkeiten ans Licht treten. Alle sehen in ihm nur eine Möglichkeit, an Geld zu kommen. An dieser Stelle äußert sich auch Karls moralische Schwäche, weil er mehr an den Alraun und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten denkt als an Bella, also an die Liebe und sein Herz.

Mit einer abschließenden Bemerkung zum engeren Doppelgängerthema möchte ich diese Erzählung ruhen lassen. Wir sahen, dass Arnim nicht auf konventionelle Doppelgängerarten zurückgreift, sondern durch neue Motivzusammenführungen einen neuen Typ des Doppelgängers entwirft. Im funktionalen Zusammenhang ist der Doppelgänger hier als reine Verwechslungs- bzw. Täuschungsfigur zu sehen. Durch seine Einführung erfolgen einige Verwechslungen, vor denen fast keine Person verschont bleibt. Nicht einmal der Auftraggeber (Karl). Jeder fällt auf sie herein (außer dem Bärnhäuter, der als halbtotes Wesen gleich durchschaut was los ist). Das Anliegen des Doppelgängers ist es nicht, die echte Bella vollständig zu ersetzen, auch wenn es solche Anzeichen gibt, die sich in Aggression gegenüber Bella manifestieren. Sie besitzt bei Arnim, im Unterschied zu Hoffmann, keine psychologische Funktion. Durch ihre Einführung kompliziert sich das Verhältnis zwischen Bella und Karl erheblich. Schließlich schaffen sie es nicht, zusammen zu bleiben. Sie trägt zu einer Entzweiung bei, genau wie der Alraun, der auch negativ auf ihre Beziehung wirkt. Dadurch erscheinen die künstlichen Menschen durchwegs als negativ handelnde Charaktere.

Golem-Bella ist als ein realer Doppelgänger unterwegs, ist sichtbar und fühlbar für jeden und verbreitet trotzdem keinen Schrecken und keine existentiellen Ängste. Das mutet doch etwas merkwürdig an, ist aber im Vergleich mit Chamissos „Schlemihl“ noch eher harmlos. Charakteristisch bleibt ihr notwendiges Ableben, dass aus zwei Ursachen notwendig wird. Als Golem muss sie ohnehin irgendwann vernichtet werden, und als Doppelgänger auch, denn in den meisten Fällen verschwindet oder stirbt einer der Doppelgänger (meistens die Kopie), oder sogar beide. Das gehört zu diesem Motiv fast immer dazu. Ausnahmen gibt es sicherlich einige, z.B. Hoffmanns Erzählung „Die Doppeltgänger“, welche im Rahmen dieser Arbeit noch genauer analysiert wird.

2.2 „Melück Maria Blainville, die Hausprophetin aus Arabien“

2.2.1 Allgemein

Das zweite Beispiel, an dem Arnims Gestaltung des Doppelgängermotivs betrachten werden kann, ist die zweite Erzählung des Erzählbandes von 1812, die gleich auf die „Isabella“ folgende „Melück“. Die relativ kurze ‚Anekdote’ gilt als „Zwillingsschwester“(S. 744) der Isabella. Hoermann weist darauf hin, dass beide „heimatlose Außenseiterin[nen] aus dem »Orient«“[38] sind und das „Beide Heldinnen sind [die, Z. M.] an eine prophetische Mission“ gebunden sind. Das Prinzip der Vermischung von historischen und phantastischen Elementen wird beibehalten, wobei die Handlung zur Zeit der französischen Revolution stattfindet. Eine zweifellos wichtige Zeit, vor allem auch für die Generation der jungen Romantiker. Das Phantastische wird diesmal mittels morgenländischer Zauberei bewerkstelligt. Der jüdische Hintergrund der „Isabella“ wird hier ersetzt. Erneut speist Arnim seine phantastischen Elemente aus dem mystischen Bereich. Hinzu kommt noch das Puppenmotiv bzw. das Motiv des künstlichen Menschen, das zur Gestaltung des Doppelgängers beiträgt. Eigentlich ist es wieder eine Vermischung von beiden Motiven. Aufgrund der Kürze sind die Motive allesamt nicht tiefgehend durchgeführt worden. Mehr als zu Andeutungen dessen, was möglich wäre, reicht es nicht.[37]

Zu den Einflüssen lässt sich nur wenig sagen. Arnim hat die ‚Anekdote‘ zu Ehren Caroline von Günderodes geschrieben, die sich 1806 selbst das Leben nahm. Soviel lässt sich aus der Rahmenhandlung erkennen. Im Folgenden soll nur das Doppelgängermotiv und das Puppenmotiv näher untersucht werden. Die Revolutionsthematik und alle Details der Liebeskonzeption werden nicht mit einbezogen.

2.2.2 Die Zueignung – der Weg zur Entstehung des Doppelgängers

Das Doppelgängermotiv wird diesmal in einer anderen Konstellation eingesetzt, als es bei der „Isabella“ der Fall war, denn es wird nicht die Titelheldin verdoppelt. Nein, diese selbst, Melück, erschafft mittels ihrer besonderen Fähigkeiten einen Doppelgänger ihres Geliebten. Seine Rolle wird, ebenso wie bei den anderen untersuchten künstlichen Geschöpfen Arnims, eine ambivalente. Doch zunächst einmal dazu, wie sich die ganze Geschichte ereignete.

Melück, die Emirstochter, kommt auf einem Schiff aus dem Orient nach Frankreich. Dabei spielt der Wind eine große Rolle, denn er rettet ihr Schiff vor den Feinden, die sie ausrauben wollen. Der Erzähler spielt früh auf übernatürliche Ereignisse an, als er eine „türkische Windbeschwörerin“ (S. 745) für dieses Glück verantwortlich macht. Was wäre passender, als diese Anspielung später auf Melück zu beziehen? Sie rückt dadurch in die Nähe des magischen, phantastischen Bereichs, und der Verdacht wird sich bestätigen. In nächster Zeit bleibt sie unnahbar für alle männlichen Verehrer, die heißblütig auf sie warten. Niemand schafft es, sich ihr zu nähern, bis der Graf Saintree sie plötzlich erobert. Der bereits verlobte Graf gelangt durch seine künstlerische Ader zu ihrem Herzen und versäumt es nicht, ihre erwachte Liebe auszukosten. Dabei ist er von Anfang an unehrlich zu ihr, denn er stellt Melück innerlich unter seine Verlobte Mathilda: „Er behauptete, die ganze Welt sei von zweierlei Liebe besessen; unbeschadet der höheren, glaubte er sich der Araberin in dem niederen Sinne ergeben zu können, wenn es Mathilden nur verschwiegen bliebe, und dies wurde seine einzige Sorge.“ (S. 755)

Doch wie kommt es zur ersten Liebesnacht? Graf Saintree findet sich in Melücks Haus ein, unterrichtet sie in der Schauspielerei und demonstriert dabei den modischen Faltenwurf von Mänteln, wobei ihm recht heiß wird; er entschließt sich, seinen blauen seidenen Rock auszuziehen, um sich besser bewegen zu können. Mit diesem Rock hat es etwas Besonderes auf sich. Er ist ein Andenken an seine Verlobte Mathilda, die bei ihrer unfreiwilligen Trennung Tränen darauf vergoß. Für Saintree hat er schon Fetisch-Charakter, denn er trennt sich niemals von ihm und trägt ihn ständig. Für Melück und Saintree wird er noch äußerst bedeutend. Melück weiß um die Geschichte des Rocks, zudem verbirgt Saintree die Tatsache auch nicht, dass der Rock eine große Bedeutung für ihn hat.

Als Saintree den Rock auszieht, will er ihn einer Gliederpuppe in Isabellas Zimmer anziehen. Die Gliederpuppe wird später zu seinem Doppelgänger und wird noch gute und schlechte Seiten offenbaren. Melück warnt Saintree davor, die Puppe mit seinem Rock zu bekleiden und sich darin zu bespiegeln. Doch er schlägt die scherzhafte Warnung aus und zieht der Puppe seinen Rock und Hut an und legt ihr zuletzt noch einen Granatkranz auf den Kopf. Auffällig ist, dass Arnim die Herkunft der Puppe nicht klärt und auch mit keinem Wort erwähnt. Sie wird einfach vorausgesetzt und erfüllt ihre zugewiesene Funktion. Es bleibt unklar ob Melück sie machte, kaufte oder verzauberte, was sich aus der folgenden Handlung vermuten ließe. Das bleibt völlig im Dunkeln. Das einzige, was sicher ist, ist Melücks Wissen um die Fähigkeiten der Puppe, die sie später und am Schluss beweist, als sie Mathilda in die Arme der Puppe einschließt.

Saintree bekleidet jedenfalls die Puppe, die nach seinem energischen Auftritt plötzlich kurzzeitig zum Leben erwacht, dreimal klatscht, den Granatkranz auf seinen Kopf wirft, die Arme verschränkt und danach wieder leblos erstarrt. Beide scheinen zunächst erschrocken und überrascht über das eben Erlebte. Saintree glaubt Melück dafür verantwortlich, die durch eine „künstliche Einrichtung“ (S. 753) die Bewegung hervorgebracht haben soll. Für Saintree entsteht dadurch ein großes Problem, weil er seinen Rock jetzt nicht mehr von der Puppe bekommt. Da er es vorzieht den Rock nicht auseinanderschneiden zu lassen, bleiben sowohl er als auch auch sein Rock erst einmal bei Melück im Haus. Alle Versuche, die Arme der Puppe zu öffnen, scheitern. Aus Angst, sich so, unbekleidet‘ in der Öffentlichkeit zu zeigen, bleibt er bis zum Abend. Letztlich kommt es zur Liebesnacht.

Nochmal zurück zum Rock, denn er hat eine besondere Funktion. Aufgrund des weiteren Verlaufs der Handlung scheint es so, als ob Melück die Puppe dazu veranlasst hat, den Rock nicht wieder frei zu geben, denn er wird später dazu benötigt und benutzt, um Saintrees Herz zu verzaubern. Nach Frenels Angabe wird dafür „ein Liebeszeichen von jener Glücklichern“ (S. 761) benötigt, um den Zauber auszuführen. Weil der Rock mit Mathildas Tränen benetzt wurde, ist er ein solches Objekt bzw. „Liebeszeichen“. Zunächst bleibt er noch uneingesetzt, doch als Saintree mit Melück bricht und sich noch öffentlich gegen sie stellt, zögert sie keinen Augenblick und beschließt, ihn zu strafen und zu zerstören. Sie verzaubert aus Liebeskummer sein Herz. „Melück nahm es im Augenblicke wahr, und blickte auf ihn, daß er für einige Augenblicke erblindete und in seinem Krampfe niederstürzte.“ (S. 760) Dieses Zusammenbrechen erinnert an eine Art magnetischer Praktik, die uns später bei Hoffmann sehr oft begegnet.

Daran wird deutlich wie Saintree unter Melücks Einfluss gerät. Sie wirkt auf eine wunderbare, unerklärliche Weise (Zauberei) auf ihn ein. Er wird von Tag zu Tag schwächer und droht zu sterben, als sein alter Freund Frenel plötzlich von einer Orientreise zurückkehrt und erkennt, womit Saintrees Krankheit zu tun hat. Kurzerhand entschließt er sich, zu Melück zu gehen und den von ihr hervorgerufenen Zauber zu beenden. Mittels einer List schafft er es, sie als die Übeltäterin zu identifizieren und bringt sie dazu, dem Grafen zu helfen.

„Bei diesen Worten schlug sie den Vorhang zurück und Frenel sah mit Staunen, die Gliederpuppe, die im Gesichte durch das Bildnertalent der Melück ein getreues Abbild des Grafen, sowohl in Form, wie in Farbe geworden war, ganz wie er in blühendster Zeit ihr erschienen. Dies Bild trug den mit Tränen bezeichneten Rock des Grafen noch mit festverschlungenen Armen. Ein leiser Druck der Melück, löste die übereinandergeschlagenen Arme der Statue. Sie zog den Rock schnell herunter, sah in eine dunkle Höhlung in der Gegend des Herzens, sah bedenklich aus und sprach: Geht schnell Frenel, denn in einer Stunde ist es zu spät, er lebt von der letzten Faser seines Herzens. Zieht schnell eurem Freunde diesen tränengeweihten Rock an, nicht Nachts, nicht Tags soll er ihn verlassen, bis er äußerlich ganz genesen; sein Herz erhält er aber nicht wieder, als wenn ich bei ihm bin, denn es ist in mir. Sagts ihm, daß er mich unglücklich gemacht: ich wolle nichts weiter von ihm, als seine stete Nähe. Seine Frau möge sich seines kosmischen Daseins freuen; in mir sei sein Herz, ohne mich könne er nicht leben, und nur so lange wie ich, würde er leben!-„ (S. 763f.)

Diese Passage ist in vielerlei Hinsicht informativ. Zunächst einmal tritt hier das Doppelgängermotiv am stärksten und deutlichsten hervor. Die vorher gesichtslose Puppe bekommt durch Melücks Hilfe Saintrees Gesichtszüge verpasst. Sie erschafft sein Bildnis, so ähnlich wie Pygmalion ein Bildnis schuf, welches zum Leben erweckt wurde[39]. Zusätzlich trägt die Puppe auch noch seinen Rock, also seine Kleidung. In einer „dunklen Höhlung“ (S. 763) der Puppe sieht Melück, wie es um sein Herz bzw. sein Leben bestellt ist. Die doppelgängerische Puppe hat die Funktion einer Art Lebensanzeige. Durch die zumindest Teilweise äußerliche Übereinstimmung und die innerliche Verbundenheit (sein Herz ist in der Puppe zu erkennen), die irgendwie bestehen muss, wird die Puppe zu seinem Doppelgänger. Die ganze Konstellation erinnert an einen Teil des Voodoo-Kults, in welchem mittels einer Voodoo-Puppe und anderer Fetische[40] Menschen verzaubert werden können. Dieser Kult stammt allerdings nicht aus dem Orient, wo Melück ja her kommt, sondern aus dem karibischen Raum (Haiti), allerdings basiert ein Großteil des Voodoo auf Glaubensrichtungen aus Zentral- und Westafrika[41], damit dem morgenländischen näher. In Wirklichkeit gibt und gab es nie solche Praktiken im Voodoo. Vorstellbar ist allerdings eine willkürliche Erfindung Arnims, der bekanntlich vieles aufgreift und umformt[42] - wieso also nicht auch hier.

[...]


[1] Zitat und Definition aus: Jean Paul: Siebenkäs, Reclam, Stuttgart, 1994, S. 67.

[2] Alle Zitate (in Klammern) folgen der Ausgabe: Achim von Arnim: Isabella von Ägypten, Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe, Reclam, Stuttgart, 2002.

[3] Die Rahmenhandlung fehlt bei den Einzelausgaben oftmals, weshalb es sich empfiehlt die Gesamtausgabe zu lesen.

[4] Von Werner Vordtriede: Achim von Arnim, in: (Hrsg.) Benno von Wiese: Deutsche Dichter der Romantik, Schmidt, Berlin, 1983, S. 327.

[5] Aus Johannes Klein: Geschichte der deutschen Novelle, Steiner, Wiesbaden, 1960, S. 138.

[6] Roswitha Burwick: Achim von Arnims Ästhetik. Die Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft, Poesie und Leben, Dichtung und Malerei, in: Neue Tendenzen der Arnimforschung. Edition, Biographie, Interpretation, mit unbekannten Dokumenten, hrsg. von Roswitha Burwick und Bernd Fischer, Bern u.a. 1990 (=Germanic Studies in America No. 60), S.102.

[7] Martin Neuhold: Achim von Arnims Kunsttheorie und sein Roman „Die Kronenwächter“ im Kontext ihrer Epoche. Niemeyer, Tübingen, 1994, S. 43.

[8] Ernst Schürer: Quellen und Fluß der Geschichte: Zur Interpretation von Arnims „Isabella von Ägypten“, in: Lebendige Form, Festschrift für Heinrich E. K. Henel, Fink, München, 1970, S. 190.

[9] M. Neuhold, S. 29.

[10] Siehe bei Gonthier-Louis Fink: Pygmalion und das belebte Marmorbild. Wandlungen eines Märchenmotivs von der Frühaufklärung bis zur Spätromantik, in: Aurora 43, 1983, S. 105.

[11] Zitat aus: Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn, Band 1, hrsg. von Heinz Rölleke, Reclam, Stuttgart, 1987, S. 393f.

[12] Vgl. Renate Moering: Achim von Arnim, Werke, Band 3, DTV Werkausgabe, im Nachwort S. 1254 und E. Schürer, S. 193f.

[13] Gedruckt im 7. Heft, am 23. April 1808 in der „Zeitung für Einsiedler“, vgl. dazu Neumann, S. 304.

[14] Siehe bei R. Moering, S. 1255.

[15] Vgl. bei Peter Horst Neumann: Legende, Sage und Geschichte in Achim von Arnims „Isabella von Ägypten“, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 1968, S. 304.

[16] Vgl. G.L. Fink, S. 103.

[17] Volker Hoffmann: Künstliche Zeugung und Zeugung von Kunst im Erzählwerk Achim von Arnims, in: Aurora 46, 1986, S. 161.

[18] Die einzige Stelle, bei der sie wirklich richtig erschüttert gewesen zu sein scheint, ist nach der Liebesnacht, als sie von Karl verstoßen wurde und alleine durch die Gegend zieht. Die Verhältnisse werden aber relativ zügig geklärt und es gibt kein tragisches Ende, was auch direkt gegen die Prophezeiung sprechen würde. Es ist anzumerken, dass der Doppelgänger bei ihr keine Identitätskrise auslöst. Hier ist die Liebe ein schwerwiegenderer Faktor.

[19] Von Detlef Kremer: Romantik, J.B. Metzler, Stuttgart, 2001, S. 170.

[20] V. Hoffmann, S. 162.

[21] Vgl. D. Kremer, S. 170.

[22] Hier wird die Vorliebe der Romantiker für optische Hilfsmittel deutlich. Bei Hoffmann und Chamisso sind es Fernrohre oder ebenfalls Spiegel, die eine magische Wirkung haben können.

[23] V. Hoffmann, S. 162.

[24] Nachzulesen in: Künstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente über Golems, Homunculi, Androiden und liebende Statuen, hrsg. von Klaus Völker, Hanser, München, 1971, S. 8f.

[25] Im Sinne einer logischen Motivierung, hatte Arnim besonders auf eine streng kausale Folgerung Wert gelegt. Deshalb ist es nachvollziehbar, weshalb er einige unpassende Eigenschaften weglässt und andere wie die Sprachgabe hinzufügt.

[26] Von Helene M. Kastinger Riley: Clemens Brentano, Metzler, Stuttgart, 1985, S. 21.

[27] Es bestehen wesentliche Unterschiede zwischen künstlichen Geschöpfen. So gilt der Golem als äußerst gefährlich, was öfters erwähnt wird, da er im Unterschied zu einem Automaten z.B. nicht so leicht kontrollierbar ist. Er besitzt in der Tat ein Eigenleben, was auch sein Wuchs (im Normalfall) beweist.

[28] „Es begegnete ihr aber in der Nähe des Kirchhofes der arme Bärnhäuter, [...] er habe es gleich bemerkt, daß sie von einer falschen, nachgebildeten Figur verdrängt sei, aber aus Furcht, seinen Dienst zu verlieren, habe er nichts zu sagen gewagt.“ (S. 100)

[29] D. Kremer, S. 170.

[30] „Bella durchlief noch einmal das Zauberbuch, ihr Herz schlug heftig, als es langsam eilf schlug, der schwarze Hund schleppte ihre Puppe, in der sie ihren Prinzen sah und verehrte, herbei, zerrte und biß darin: das brachte sie zum Entschluß; diesen Schimpf, den er ihrem Liebling angetan, mußte er büßen;...“ (S. 21)

[31] Werner Vordtriede: Nachwort zur „Isabella von Ägypten“, Reclam, Stuttgart, 2002, S. 139.

[32] Hanns Bächtold – Stäubli: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, de Gruyter, Berlin, 1987, Bd.1, unter dem Stichwort „Alraun“, S. 312f.

[33] „Jetzt war sie oben, und sie sah über die reiche Stadt hin, wo noch manches Licht brannte, ein Haus war aber hell erleuchtet, und da, meinte sie, müsse der Prinz wohnen: so hatte ihr die Alte sein Haus beschrieben, und sie wußte, daß sein Geburtstag gefeiert wurde. Sie hätte alles bei dem Anblicke vergessen, selbst die trocknen Gehenkten über sich, die einander fragend anzustoßen schienen, hätte nicht der schwarze Hund aus eigener Lust unter dem Dreifuße gegraben.“ (S. 22)

[34] Zu dieser Szene lässt sich aus Arnims Leben eine Parallele finden, die ihn womöglich zu diesem Einfall gebracht hat. Mehr dazu bei Neumann, S. 301f.

[35] Vgl. (Hrsg.) F. Schulz: Geschichte der deutschen Literatur, VII/2, C.H. Beck, München, 1989, S. 407.

[36] Neumann, S. 301f.

[37] Alle Zitate (in Klammern) folgen der Ausgabe: Achim von Arnim: Sämtliche Werke, Band 3, Hrsg. von Renate Moering, DTV, Frankfurt, 1990, S. 744.

[38] Roland Hoermann: Achim von Arnims Erzählung „Melück Maria Blainville; die Hausprophetin aus Arabien“, in: Aurora 44, 1984, S. 178.

[39] Die Behauptung stellt R. Hoermann auf, S. 190. Der Unterschied ist allerdings deutlich, da die Puppe hier jeweils nur kurzzeitig zu leben scheint. Eigentlich wird sie aber gesteuert, so dass sie eher in die Reihe der Automaten zu klassifizieren ist.

[40] In diesem Falle Saintrees blauer Rock, der als Fetisch gilt. Allerdings ist es ganz und gar nicht so, dass es im Voodoo Rituale gibt, die so etwas wie hier vollbringen könnten. Die Variante dort ist eine harmlosere. Die Puppen können nur als Überbringer von Nachrichten an die Toten fungieren. Die Vorstellung von der durchstochenen Voodoo-Puppe, ist ein Aberglaube und entspricht nicht der Realität. Siehe bei Leah Gordon: Voodoo. Magie und Rituale, Bassermann, 2000, S. 34/35.

[41] Nachzulesen bei L. Gordon, S. 10f. Das heutige Voodoo ist eine Mischung aus verschiedenen Gebräuchen und Praktiken, die von den Sklaven, die aus verschiedenen Völkern Afrikas stammen, auf der Insel Haiti entwickelt und geglaubt wurde und noch bis heute praktiziert wird.

[42] Vgl. mit der Golemsage in der Isabella, die ebenfalls verändert wird und nicht mehr mit ihrem Vorbild vollkommen übereinstimmt.

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Doppelgänger & Co. - Über die Ich-Problematik und ihren künstlerischen Ausdruck in Form von Doppelgängern und Androiden in der romantischen Dichtung
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Philosophische Fakultät II)
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
105
Katalognummer
V137789
ISBN (eBook)
9783640456406
ISBN (Buch)
9783640456512
Dateigröße
998 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Doppelgänger, Romantik, Ich-Problematik, Schatten, Golem
Arbeit zitieren
M.A. Zoran Mirosav (Autor:in), 2003, Doppelgänger & Co. - Über die Ich-Problematik und ihren künstlerischen Ausdruck in Form von Doppelgängern und Androiden in der romantischen Dichtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137789

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