Die Walser-Bubis-Debatte


Hausarbeit, 2005

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Eine Debatte

2. Der Auslöser: Martin Walsers Friedenspreisrede

3 Die Debatte
3.1 Erste Reaktionen auf die Friedenspreisrede
3.2 Die Antwort: Ignatz Bubis Rede am 9. November
3.3 Dohnanyi contra Bubis
3.4 Augsteins Kommentar
3.5 Walsers Rede an der Duisburger Universität
3.6 Weitere Stimmen
3.7 Der Schlusspunkt der Debatte: Ein Gespräch

4 Eine Zeitenwende?

5. Zusammenfassender Überblick

6. Quellen- und Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Literatur

1. Eine Debatte

Diese Arbeit beschäftigt sich im Rahmen des Seminars Kontroversen um die deutsche Geschichte mit der Walser-Bubis-Debatte, die im Spätherbst und Winter des Jahres 1998 geführt wurde. Auslöser hierfür war eine Rede, die der Schriftsteller Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hielt und die von Ignatz Bubis, damaliger Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, heftig kritisiert wurde. Die darauf folgende Debatte sollte bis zum Jahresende 1998 andauern.

Im Verlauf dieser Arbeit soll es nicht darum gehen, diese Debatte noch einmal zu führen oder zu entscheiden, wer als Sieger daraus hervorgegangen ist. Vielmehr soll geklärt werden, warum Walsers Rede diese Debatte auslöste, wer die darauf folgende Debatte hauptsächlich geführt hat, wie diese geführt wurde und wie sie sich entwickelt hat. Die erste Frage wird in Kapitel 2 geklärt, das Walsers Rede auf seine Brisanz untersucht. Den Fragen zur Debatte wird dann in Kapitel 3 nachgegangen, welches die Debatte einer genaueren Analyse unterzieht. In einem eigenen Abschnitt (Kap. 4) wird nun der Frage nachgegangen, ob diese Debatte als eine Zeitenwende im Umgang mit der Vergangenheit gesehen werden kann. Schließlich befasst sich das fünfte und letzte Kapitel mit den Ergebnissen dieser Arbeit.

Bei der Bearbeitung dieses Themas wurde auf viele Quellen, besonders Pressemeldungen, Kommentare und Leserbriefe, zurückgegriffen, die in ausreichender Form verfügbar waren. Ebenfalls wurde Literatur benutzt, die aber aufgrund der zeitlichen Nähe des Themas bisher keine sehr große Anzahl umfasst.

2. Der Auslöser: Martin Walsers Friedenspreisrede

Auslöser der unter dem Begriff „Walser-Bubis-Debatte“ bekannt gewordenen Auseinandersetzung zwischen Martin Walser und Ignatz Bubis sowie weiteren Vertretern beider Seiten ist Walsers Friedenspreisrede „Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede“. Diese hielt er zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche.

Zu Beginn seiner Dankesrede sagte Walser, als er von seiner Wahl erfuhr sei er „zunächst einmal von einer einfachen Empfindung befallen worden, die, formuliert, etwa hätte heißen können: Er wird fünfundzwanzig oder dreißig Minuten nur Schönes sagen, das heißt Wohltuendes, Belebendes, Friedenspreismäßiges“1. Zudem werde von ihm eine kritische Rede erwartet. Und wie Walser selbst betont, soll diese Rede kritisch werden, eine „kritische Predigt“2 am Sonntagvormittag. Dann brachte Walser ein Geständnis. Vor allzu Unerträglichem, von dem er durch die Presse oder das Fernsehen erfährt, verschließt er die Augen. „Ich käme ohne Wegschauen und Wegdenken nicht durch den Tag und schon gar nicht durch die Nacht“3. Was genau er jedoch hiermit meint, wird erst später in der Rede angesprochen.

Zunächst einmal beschrieb Walser die Situation von Rainer Rupp, einem ehemaligen Spion für die DDR im Westen. Dieser hatte NATO-Dokumente über einen nicht zu befürchtenden atomaren Erstschlag an den Warschauer Pakt verraten und damit zum Abbau von Vorurteilen und zum Frieden beigetragen, wurde nach der Wende dafür aber zu 12 Jahren Haft verurteilt. Da dies weder etwas mit Resozialisierung oder Abschreckung zu tun habe, hält Walser es schließlich für Sühne. „Ich bin nicht der Ansicht, dass alles gesühnt werden muss“4, erklärt er. Auch hier bleibt der größere Zusammenhang zunächst unklar. Nun wies Walser darauf hin, dass das Gewissen nicht zu beeinflussen sei. Den Versuch von Intellektuellen, moralisch aufzutreten und damit das Gewissen anderer zu beeinflussen, hält Walser nicht für sinnvoll, denn „noch schwieriger dürfte es sein, dich in Gewissensfragen einzumischen und doch den Anschein zu vermeiden, du seist oder hieltest dich für besser als die, die du kritisierst“5. Personen also, die das Gewissen anderer kritisieren, halten sich nach Walsers Ansicht für etwas Besseres. Das Gewissen soll also frei von moralischer Kritik bleiben. Nun bot sich für Walser endlich die Möglichkeit, die Rede kritisch werden zu lassen. Er beschrieb, dass er einen Artikel über die ausländerfeindlichen Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen, wo die mit den Brandstiftern sympathisierende Bevölkerung Würstchenbuden aufstellte, gelesen habe, und dass ihn diese Empörung nicht mobilisierte habe. „Ich muss zugeben, dass ich mir das, wenn ich es nicht in der intellektuell maßgeblichen Wochenzeitung und unter einem verehrungswürdigen Namen läse, nicht vorstellen könnte“6.Walser fährt fort: „Ich kann diese schmerzerzeugenden Sätze [.] einfach nicht glauben“7. Und schließlich hatte Walser einen Verdacht: „Die, die mit solchen Sätzen auftreten wollen uns weh tun, weil sie finden, wir haben das verdient“. Und Walser machte auch gleich klar, wen er mit uns meint: „alle Deutschen. Denn das ist schon klar: In keiner anderen Sprache könnte im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts so von einem Volk, von einer Bevölkerung, einer Gesellschaft gesprochen werden. Das kann man nur von Deutschen sagen“. Jetzt wird klar, warum Walser im „Wegschauen und Wegdenken“ geübt ist. Er konstruiert sich seine eigene Gegenwart und blendet ihm Unangenehmes einfach aus. Zudem wird ihm weh getan, er sieht sich als Beschuldigten. „Denn deutsch sein hießt beschuldigt werden“8.

Dies alles gilt Walser vor allem auch für die deutsche Erinnerung an den Holocaust. „Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird“9.Walser bezeichnet hier den Holocaust als Schande, nicht etwa als eine Schuld, die nachfolgende Generationen gar nicht mehr betrifft. Eine Schande jedoch setzt keine Tat voraus und kommt eventuell nur durch üble Nachrede zustande. Walser kritisierte die zu häufige Thematisierung des Holocaust in den Medien in unseren Tagen: „Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut [.] Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen“10. Walser wird von dieser 'Schande' attackiert und beschuldigt. Er meint, in den Medien eine „Routine des Beschuldigens“11 festzustellen. Damit dienen also alle Dokumentarfilme über das Dritte Reich nicht der Erinnerung und Aufklärung, sondern der Beschuldigung und fördern damit auch noch die 'Dauerpräsentation unserer Schande'12.

Zudem glaubte Walser entdeckt zu haben, „dass öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“13. Welche Zwecke er jedoch hiermit meint, erläuterte er nicht. Auschwitz, sagte Walser, eigne sich nicht dafür, „Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“. Diese Art der Ritualisierung lasse nur noch ein „Lippengebet“ entstehen.

Schließlich hatte Walser auch eine Meinung zum Holocaust-Mahnmal in Berlin. Für ihn ist es weder ein Ort des Gedenkens noch der Mahnung, sondern „die Betonierung des Zentrums unserer Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande“. Hieran könne die Nachwelt einmal ablesen, „was Leute anrichten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlen“. Walser ist also der Meinung, dass öffentliche Gewissensakte dieser Art abzulehen sind, denn „mit seinem Gewissen ist jeder allein“.

Ginge es nach Walser, so würde jede Erinnerung an den Holocaust aus der Öffentlichkeit verschwinden und lediglich dem individuellen Gewissen überlassen bleiben14. Bei einer öffentlichen Thematisierung liegt für Walser eine Instrumentalisierung vor, er will die Erinnerung aus dem kollektiven Gedächtnis ins private Gewissen verlagern. Für die unbelasteten Nachkriegs-Generationen aber bedeutet dies geradezu eine Aufforderung zum Wegdenken. Die Erinnerung wird zur abgeschlossenen Vergangenheit, ohne Wert und Folgen für die Gegenwart.

3. Die Debatte

3.1 Erste Reaktionen auf die Friedenspreisrede

Die ersten Reaktionen auf Martin Walsers Friedenpreisrede fielen größtenteils erwartungsgemäß aus. Ebenso wie im Auditorium der Paulskirche, dass ihren Redner mit stehenden Ovationen feierte, hatte auch die Presse an der Rede nichts Anstößiges feststellen können. Walser wurde im Allgemeinen eine zu erwartende gute Rede attestiert, mit der er seinen Dank für seine Wahl als Preisträger abstattete.

Nur einer konnte sich dieser Bewertung von Walsers Rede nicht anschließen. Ignatz Bubis, selbst anwesend in der Paulskirche, wollte Walser weder applaudieren noch hielt er dessen Rede für gelungen. Im Gegenteil, er hatte einige nicht leicht hinzunehmende Äußerungen vom Friedenspreisträger gehört und bezeichnete Walsers Rede als „geistige Brandstiftung“ mit „schockierenden Thesen“15. Damit stand Bubis jedoch alleine da und musste in der Folgezeit zudem heftige Kritik dafür einstecken oder mit Unverständnis rechnen: „Ich war dabei, ich habe zugehört, ich habe, nachdem Walser seine Rede beendet hatte, wie alle anderen Zuhörer applaudiert. Zwei Tage später erfahre ich, dass mein Applaus einer geistigen Brandstiftung gegolten hat“16. Und Peter Schneider, ein Schriftsteller aus Berlin: „So sehr ich Bubis schätze, hier hat er sich, finde ich, vergriffen. Ich halte es im Gegenteil für völlig legitim, dass Walser vor einer Ritualisierung der Trauer warnt“17. In der selben Pressemeldung, die Bubis' Vorwürfe beinhaltet, bescheinigt der Tübinger Autor und Rhetoriker Walter Jens Walser eine „vorzügliche, präzis strukturierte Rede mit vielen nachdenkenswerten Details“18. Es werden keine provokanten Thesen ausgemacht, oder, mit Anspielung auf den Unterschied einer rhetorischen oder literarischen Analyse des Redetextes: „Der richtige Text am falschen Ort-darin besteht die ganze Provokation“19.Walser selbst äußerte sich nur kurz zu Bubis' Anschuldigungen: „Ich habe einen solchen Vorwurf wie von Bubis nicht für möglich gehalten. [.] 1200 Menschen haben also einer geistigen Brandstiftung Beifall gespendet. An die muss sich Herr Bubis wenden“20.

3.2 Die Antwort: Ignatz Bubis Rede am 9. November

Nachdem Ignatz Bubis Walsers Rede bereits als „geistige Brandstiftung“ mit „schockierenden Thesen“21 bezeichnet hatte, ging er in seiner Rede des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland am 9. November 1998 in der Synagoge Rykerstraße in Berlin erneut darauf ein.

Bubis verlaß in seiner Rede einige Zitate aus Walsers Rede, die er als „den neuesten Versuch, Geschichte zu verdrängen beziehungsweise auszulöschen“22 bezeichnet, und kommentierte diese dann. Zu Walsers Forderung, auf öffentliche Gedenkakte zu verzichten,entgegnete Bubis: „Wir, die jüdische Gemeinde, können nicht die einzigen sein, die die Verbrechen der Zeit des Nationalsozialismus beklagen“.

[...]


1 Martin Walser, Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede, in: Frank Schirrmacher (Hg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999, S. 7.

2 Walser, Sonntagsrede, S. 7.

3 Ebd.

4 Ebd., S. 8.

5 Walser, Sonntagsrede, S. 10.

6 Ebd.

7 Ebd., S. 11, alle folgenden Zitate hier.

8 Joachim Rohloff, Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik, Hamburg 1999, S. 57.

9 Walser, Sonntagsrede, S. 11.

10 Walser, Sonntagsrede, S. 11.

11 Ebd., S. 12.

12 Vgl. Rohloff, Ich bin das Volk, S. 58.

13 Walser, Sonntagsrede, S. 12 f., alle folgenden Zitate hier.

14 Vgl. Rohloff, Ich bin das Volk, S. 59.

15 Ignatz Bubis, Geistige Brandstiftung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.1998

16 Manfred Fuhrmann, Gewissenswarte, in: Franfurter Allgemeine Zeitung vom 14.10.1998.

17 Peter Schneider, Geistige Brandstiftung? In: Die Welt vom 14.10.1998.

18 Walter Jens, in: Brandstiftung, dpa/ FAZ, 13.10.1998.

19 Fritz Göttler, Der Frieden und sein Preis. Rede oder Widerrede: Was spricht, wenn Walser spricht? In: Süddeutsche Zeitung vom 14.10.1998.

20 Martin Walser, Kein Brandstifter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.10.1998.

21 Ignatz Bubis, Geistige Brandstiftung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.1998

22 Ignatz Bubis, Rede des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland am 9. November 1998 in der Synagoge Rykerstraße in Berlin, in: Frank Schirrmacher (Hg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt am Main 1999, S.106ff., alle folgenden Zitate hier.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Walser-Bubis-Debatte
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Neue Geschichte)
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V138204
ISBN (eBook)
9783640467105
ISBN (Buch)
9783640467419
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Martin Walser, Ignatz Bubis, Kontroversen der deutsche Geschichte
Arbeit zitieren
Lars Rothenpieler (Autor:in), 2005, Die Walser-Bubis-Debatte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138204

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