Das Thema der Arbeit ist von der Trakl-Philologie bisher übersehen worden.
Aber auch Martin Heideggers philosophische Trakl-Auslegung in seinem berühmten Aufsatz DIE SPRACHE bedenkt bei der Besprechung des Gedichts EIN WINTERABEND anhand der Verse
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet
lediglich "Schneefall" und "Läuten der Abendglocke", nicht aber das "Fenster".
Trakl verwendet das Fenster-Motiv in seinem lyrischen Gesamtwerk mit vier Ausnahmen ausschließlich adverbial. Hierin dürfte, abgesehen davon, dass "Fenster" im Vergleich zum übrigen Wortschatz der Traklschen Dichtungen eine eher unscheinbare Vokabel ist, ein Hauptgrund dafür zu sehen sein, dass das Fenster-Motiv, obwohl es mit insgesamt 84 Belegstellen zu den häufigsten Motiven gehört, einen Eindruck von Beiläufigkeit macht und leicht überlesen wird.
Bereits in Trakls erster Prosaveröffentlichung TRAUMLAND (1906) bildet aber das Fenster (neben den Rosen, die der Ich-Erzähler der kranken Maria wiederholt in den Schoß legt) das zentrale durchgängige Motiv. Auffällig ist, dass das Fenster-Motiv hier als in sich gedoppelt erscheint, nämlich als zwei Orte, die die beiden Handlungspole der Erzählung ausmachen:
a. als der Ort, von dem aus der Ich-Erzähler beobachtet
sowie
b. als ein zweiter Ort, den der Ich-Erzähler beobachtet.
Die Untersuchung weist nach, dass diese spezifische Doppelung des Fenster-Motivs (einerseits Ausgangspunkt, andererseits Zielpunkt der Beobachtung) als paradigmatisch für die Verwendung des Motivs im Gesamtwerk des Dichters angesehen werden kann.
Indem der grammatische und der textuale Kontext des Fenster-Motivs in Trakls lyrischem Gesamtwerk akribisch analysiert werden, gelingt es der Untersuchung fünf Motive zu identifizieren, die sich in Trakls dichterischem Schaffen durchhalten, während sie zugleich die Hauptmotive der Erzählung TRAUMLAND bilden, so dass TRAUMLAND als das Bedeutungsparadigma für die Verwendung des Fenster-Motivs bei Trakl ausgewiesen werden kann.
In einem zweiten Teil der Arbeit wird eine neue Perspektive aufgezeigt, Trakls Poetologie mit den Elementen
a. Wohllaut,
b. farbenheißer Abglanz,
c. unendliche Bewegung
auf der Grundlage der gewonnenen Ergebnisse rekonstruieren zu können.
Inhaltsverzeichnis
1. Bedeutung des Themas und organisatorische Vorbemerkungen
2. Das Fenster-Motiv in Trakls lyrischem Gesamtwerk
2.1. Komposita, Attribute und grammatischer Kontext
2.2. Textualer Kontext
3. Das Fenster als Ausdruck des Lebens und Fensterlyrik
4. Literaturverzeichnis
1. Bedeutung des Themas und organisatorische Vorbemerkungen
Das Thema der vorliegenden Arbeit ist, soweit ich feststellen konnte, von der Forschung bisher nicht beachtet worden – so bedenkt zum Beispiel auch Martin Heidegger in seinem berühmten Aufsatz Die Sprache bei der Besprechung des Traklschen Gedichts Ein Winterabend anhand der Verse
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet [58]
lediglich „Schneefall“[1] und „Läuten der Abendglocke“[2], nicht aber das Fenster.
Aus der Forschungslage ergeben sich einige Besonderheiten, die in Wechselbeziehung zu meiner Vorgehensweise bei der Bearbeitung des Themas stehen, nämlich, daß
1. das Thema seine Bedeutung erst noch eigens nachweisen muß
sowie
2. die Bearbeitung im Wesentlichen auf das Ganze zielt, insofern statistische Untersuchungen (Häufigkeit, Komposita, Attribute, Kontext) zur Verwendung des Fenster-Motivs im Gesamtwerk des Dichters im Mittelpunkt stehen sollen.
Deutlich wird, daß statistische Untersuchungen am Gesamtwerk gegenüber Detailuntersuchungen zu spezifischen Verwendungen des Motivs an zwei oder drei willkürlich ausgewählten Belegstellen den Vorteil bieten, daß auf diese Weise Aussagen über 1. möglich werden.
Zur Häufigkeit des Motivs vorab einige Hinweise:
1. In Trakls erster Prosaveröffentlichung Traumland vom 12.05.1906 bildet das Fenster (neben den Rosen, die der Ich-Erzähler der kranken Maria wiederholt in den Schoß legt) das zentrale durchgängige Motiv. Auffällig ist, daß das Fenster-Motiv hier als in sich gedoppelt erscheint, nämlich als zwei Orte, die die beiden Handlungspole der Erzählung ausmachen:
a. als der Ort, von dem aus der Ich-Erzähler beobachtet
sowie
b. als ein zweiter Ort, der vom Ich-Erzähler beobachtet wird.
Die erzählte Wirklichkeit in Trakls erster Veröffentlichung ist also so beschaffen, daß der durchmessene Raum von Fenster zu Fenster reicht.
Ob diese spezifische Doppelung des Fenster-Motivs (einerseits Ausgangspunkt, andererseits Zielpunkt der Beobachtung) als paradigmatisch für die Verwendung des Motivs im Gesamtwerk des Dichters angesehen werden kann, soll genauer untersucht werden.
2. Auf den wenigen erhaltenen Blättern der Dramenentwürfe Don Juans Tod (entstanden zwischen 1906 und 1908) und Blaubart (1910) taumeln die verschiedenen Protagonisten nacheinander ans Fenster, stoßen es auf, sprechen am Fenster und stürzen sich hinaus. Die Regieanweisungen, die Trakl jeweils vorgesehen hat, erschöpfen sich hierin schon.
3. Vor 1909 hat ein Trakl ein Gedicht geschaffen, das den Titel trägt: An einem Fenster [142].
4. Noch die letzte Überarbeitung des Gedichts Traum des Bösen in der Zelle in Krakau, wenige Tage oder Stunden vor dem Tod des Dichters, nennt das Fenster:
Verhallend eines Sterbeglöckchens Klänge –
Ein Liebender erwacht in schwarzen Zimmern,
Die Wang‘ an Sternen, die am Fenster flimmern. [197]
Aus diesen ersten Hinweisen ergeben sich für die Frage nach der Bedeutung des Themas als vorläufige Ergebnisse:
1. Trakl verwendet das Fenster-Motiv durchgängig über den gesamten Zeitraum seines dichterischen Schaffens.
2. Trakl verwendet das Fenster-Motiv nicht gattungsgebunden, sondern für alle literarischen Gattungen (Lyrik, Prosa, Drama), in denen er gedichtet hat.
Diese ersten vorläufigen Ergebnisse haben Konsequenzen für die Anordnung des Materials der Untersuchung. Ich habe mich für eine chronologische Ordnung nach den Entstehungsdaten entschieden, d.h. daß ich nicht berücksichtigen werde:
1. ob das Material veröffentlicht wurde, dem Nachlaß entstammt oder von Trakl für eine Veröffentlichung vorgesehen war
sowie
2. die Anordnung der Dichtungen zueinander, wie Trakl sie für die Veröffentlichung bestimmt hat.
Gegenüber anderen Anordnungen des Materials bietet die chronologische Ordnung nach den Entstehungsdaten, d.h. dem dichterischen Schaffensprozeß folgend, den Vorteil, daß so am ehesten Aussagen über einen etwaigen Bedeutungswandel bei der Verwendung des Fenster-Motivs erwartet werden können.
Dieser Aspekt ist wegen der engen Verquickung von Dichtung und Person des Dichters, die bei Trakl unbestritten ist, von besonderem Interesse.
Die Datierungen folgen der historisch-kritischen Ausgabe[3]. Zitiert ist (unter Angabe der Seitenzahlen in eckigen Klammern) nach der dtv-Ausgabe[4].
2. Das Fenster-Motiv in Trakls lyrischem Gesamtwerk
2.1. Komposita, Attribute und grammatischer Kontext
Trakl verwendet das Fenster-Motiv in seinem lyrischen Gesamtwerk mit vier Ausnahmen, auf die ich später eingehen werde, ausschließlich adverbial. Hierin dürfte, abgesehen davon, daß Fenster im Vergleich zum übrigen Wortschatz der TrakIschen Dichtungen eine eher unscheinbare Vokabel ist, ein Hauptgrund dafür zu sehen sein, daß das Fenster-Motiv, obwohl es mit insgesamt 84 Belegstellen zu den häufigsten Motiven gehört, einen Eindruck von Beiläufigkeit macht.
Ich habe im Folgenden die Belegstellen daraufhin geordnet, ob das Satzglied, das Fenster enthält, grammatisch:
1. entweder
a. ein Ortsadverbiale
oder
b. ein Richtungsadverbiale
ist; sowie
2. Fenster
a. im Singular
oder
b. im Plural
nennt.
Fenster als Ortsadverbiale im Singular
am Fenster
Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale
meinem die Nacht weint
kleiner Blätter zittern
Schatten
offenen Weinlaub schwankt flimmernd
sie (die junge sieht Reseden
Magd)
ein wächsern regt sich
Antlitz
Blumen welken warm und rot
das vergittert die Närrin weint mit offenem Haar
starrt
der Student schaut ihr (der lange
nach fremden
Schwester)
des Toten regt
Antlitz sich
die stille Gestalt erscheint am Abend
die Georginen darben
Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale
rote Pelagonien verdorren wieder
offenen die Stunden welken still
des Liebenden
die Hyazinthe war auf - blau
geblüht
vorm Fenster
Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale
der Silber- hehlt verschlungene
vorhang Glieder, Lippen
zarte Brüste
tönendes Grün und Rot
im Fenster
Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale
Flammen flimmern
Fenster als Ortsadverbiale im Plural
[...]
[1] Martin Heidegger: Die Sprache. In: Unterwegs zur Sprache. Stuttgart: 1959, S. 21.
[2] Ebda.
[3] Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Walther Killy und Hans Szklenar. Band 2. Salzburg: 1969.
[4] Georg Trakl: Das dichterische Werk. München: 131992.
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