Der erstmals im März 1994 zusammengetretene Ausschuss der Regionen (AdR), dessen offizielle Bezeichnung „Beratender Ausschuss der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften“ lautet, soll die subnationalen Körperschaften institutionell in die Europäische Gemeinschaft (EG) einbinden. Damit wird der zunehmenden Kompetenzverlagerung auf die EG, die innerstaatlich auch zu Lasten der Regionen geht, Rechnung getragen. Tragender Gedanke ist, dass sich die Regionen nicht gegen eine Ausweitung der EG-Kompetenzen wehren, sondern selbst auf der EG-Ebene an der Ausübung der erweiterten EG-Kompetenzen beteiligt werden sollen. Es wird damit ein Konzept des sogenannten Beteiligungsföderalismus verfolgt, nachdem die wachsende Bedeutung der EG nicht mehr aufzuhalten ist und sich ein Konzept der Besitzstandswahrung der Regionen (Kompetenzföderalismus) als nicht mehr wirksam erweist.
In der vorliegenden Arbeit soll zum einen die bisherige Entwicklung des AdR und seiner Einflussmöglichkeiten wiedergegeben, zum anderen eine mögliche Perspektive gewiesen werden. Dabei soll im Blickfeld behalten werden, was man sich vom AdR versprach, inwieweit die darin gesetzten Hoffnungen erfüllt wurden und ob eine Fortentwicklung dieses Instruments des Beteiligungsföderalismus erwartet werden kann.
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Vorgeschichte des AdR
1. Internationale Kooperationen der Regionen außerhalb der EG-Institutionen
2. Entwicklung regionaler Repräsentation in der EG bis zur Gründung des Beirats regionaler und lokaler Gebietskörperschaften im Jahre
3. Genese des AdR in der Zeit nach Etablierung des Beirats
III. Der AdR nach dem Vertrag von Maastricht
1. Stellung, Aufbau und Funktionen des AdR
a) Vertragliche Regelungen über Stellung und Mitglieder des AdR
b) Anspruch der Kommunen auf Vertretung?
c) Tatsächliche Mitgliederstruktur und Position der Mitglieder
d) Organe und Untergliederungen sowie Arbeitsweise des AdR
e) Haushalt des AdR und Amtshaftung für seine Handlungen
2. Stellungnahmekompetenzen des AdR
a) Obligatorische Stellungnahme
b) Fakultative Anhörung
c) Akzessorische Anhörung
d) Initiativstellungnahme
e) Bewertung der Stellungnahmemöglichkeiten
3. Klagerecht des AdR?
4. Eingeschränkte Geschäftsordnungsautonomie
5. Entwicklungen des AdR zwischen den Konferenzen von Maastricht und Amsterdam
IV. Der AdR nach dem Vertrag von Amsterdam
1. Erweiterte Stellungnahmekompetenzen
a) Neuerungen zugunsten des AdR
b) Bewertung
c) Weitere Änderungen im Rahmen der Anhörung
2. Geschäftsordnungsautonomie und neue Geschäftsordnung
3. Weitere Neuerungen im Rahmen des AdR
V. Die Zukunft des AdR
1. Die Neuerungen des Vertrages von Nizza
2. Ausblick auf mögliche Entwicklungen
VI. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Tabelle: Zeittafel zur EG-Regionalpolitik
Abkürzungsverzeichnis.
I. Einleitung
Der erstmals im März 1994 zusammengetretene Ausschuss der Regionen (AdR), dessen offizielle Bezeichnung „Beratender Ausschuss der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften“ lautet,[1] soll die subnationalen Körperschaften institutionell in die Europäische Gemeinschaft (EG) einbinden. Damit wird der zunehmenden Kompetenzverlagerung auf die EG, die innerstaatlich auch zu Lasten der Regionen geht, Rechnung getragen. Tragender Gedanke ist, dass sich die Regionen nicht gegen eine Ausweitung der EG-Kompetenzen wehren, sondern selbst auf der EG-Ebene an der Ausübung der erweiterten EG-Kompetenzen beteiligt werden sollen. Es wird damit ein Konzept des sogenannten Beteiligungsföderalismus verfolgt, nachdem die wachsende Bedeutung der EG nicht mehr aufzuhalten ist und sich ein Konzept der Besitzstandswahrung der Regionen (Kompetenzföderalismus) als nicht mehr wirksam erweist.[2]
In der vorliegenden Arbeit soll zum einen die bisherige Entwicklung des AdR und seiner Einflussmöglichkeiten wiedergegeben, zum anderen eine mögliche Perspektive gewiesen werden. Dabei soll im Blickfeld behalten werden, was man sich vom AdR versprach, inwieweit die darin gesetzten Hoffnungen erfüllt wurden und ob eine Fortentwicklung dieses Instruments des Beteiligungsföderalismus erwartet werden kann.
Im folgenden Abschnitt (II.) wird die Vorgeschichte des AdR geschildert, deren Kenntnis zum Verständnis der weiteren Entwicklung unerlässlich ist. Darauf folgt eine Darstellung des AdR, wie er im Vertrag von Maastricht verankert ist (III.). In dem Abschnitt über den AdR nach Maastricht wird auch die Weiterentwicklung bis zur Vertragsrevision von Amsterdam behandelt. Der darauf folgende Abschnitt (IV.) beschreibt den AdR nach der Vertragsrevision von Amsterdam. In einem weiteren Abschnitt (V.) wird die Zukunft des AdR - auch unter Berücksichtigung der Vertragsrevision von Nizza im Dezember 2000 - ins Auge gefasst, bevor ein Fazit der Arbeit gezogen und eine Zusammenfassung gegeben wird (VI.).
II. Vorgeschichte des AdR
1. Internationale Kooperationen der Regionen außerhalb der EG-Institutionen
Bemühungen der Regionen, international zu kooperieren und sich dadurch Einfluss zu erhalten oder zusätzlich zu verschaffen, gibt es nicht erst seit der Einbindung der Regionen in die EG. Es bildeten sich Organisationen heraus, die bei der Schaffung des AdR Vorarbeiten leisten und Einfluss nehmen konnten. In dieser Hinsicht sind insbesondere zwei Organisationen von Belang, nämlich der „Rat der Gemeinden und Regionen Europas“ (RGRE) und die „Versammlung der Regionen Europas“ (VRE). RGRE und VRE können als „Paten“ des AdR bezeichnet werden.[3]
Bereits 1951 wurde der RGRE (damals noch lediglich „Rat der Gemeinden“ genannt) von deutschen und französischen Bürgermeistern in Genf gegründet.[4] Dieser vertritt heute über 100.000 Gebietskörperschaften und hat 38 Mitgliedsverbände (keine Einzelmitglieder) aus 29 Staaten.[5] Sein Generalsekretariat befindet sich in Paris, ein Büro in Brüssel. Ziel des RGRE war von Anfang an die Arbeit für ein vereintes Europa, zunächst vornehmlich auf der Basis von Städtepartnerschaften. Außerdem setzt sich der RGRE für eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung ein. Seit dem Zusammenschluss des RGRE mit dem Internationalen Gemeindeverband (IULA) fungiert der RGRE als europäische Sektion des IULA.
Die VRE geht auf die 1971 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen“ zurück, die im Jahre 1981 zusammen mit der „Konferenz der peripheren Küstenregionen“ und dem „Komitee zur Kooperation zwischen den Alpenregionen“ das „Verbindungsbüro der europäischen regionalen Gebietskörperschaften“ gründete.[6] Aus dem Verbindungsbüro ging 1985 der „Rat der Regionen Europas“ hervor, der sich 1987 in VRE umbenannte. Die VRE repräsentiert mehr als 250 europäische Regionen in 22 Staaten, aber keine kommunalen beziehungsweise lokalen Gebietskörperschaften.[7] Gleichwohl weisen seine Mitglieder wegen der nationalen Unterschiede, auf die später noch einzugehen ist, eine sehr heterogene Struktur auf.
Ungeachtet der nationalen Unterschiede gab es also bereits seit längerer Zeit Promotoren für eine Stärkung der Regionen auf internationaler Ebene. In den sechziger und siebziger Jahren traten zudem Bewegungen auf, die sich unter den Schlagworten „Regionalisierung“ und „Europa der Regionen“ durch eine Stärkung subnationaler Einheiten größere Bürgernähe und demokratischere Entscheidungsstrukturen versprachen. In Brüssel unterhalten zahlreiche Gebietskörperschaften Regionalbüros, um den Kontakt mit den europäischen Institutionen zu verstärken.[8]
2. Entwicklung regionaler Repräsentation in der EG bis zur Gründung des Beirats regionaler und lokaler Gebietskörperschaften im Jahre 1988
Die EG wurde in den Jahren 1957/58 als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet und war ursprünglich von dem Gedanken beseelt, auch ohne eine eigene Regionalpolitik werde es zu einer allgemeinen Hebung des Wirtschaftsniveaus und zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse kommen, wenn die Zollunion verwirklicht werde.[9] Schon Anfang der sechziger Jahre nahm man allerdings zur Kenntnis, dass ohne eine aktive Strukturpolitik die zurückgebliebenen Regionen der EWG sich nicht wie erhofft entfalten würden. Strukturschwache Regionen wurden nunmehr auch aktiv unterstützt. Einen Schub erhielt die regionale Strukturpolitik der EG 1973 durch den Beitritt Großbritanniens und Irlands, da insbesondere Irland teilweise unterentwickelt war.[10] Im März 1975 wurde der (schon 1972 in Paris beschlossene) „Europäische Fonds für regionale Entwicklung“ (EFRE) auf der Grundlage von Art. 235 EWG-Vertrag eingerichtet. Seit 1976 arbeitete die Kommission mit dem informellen „Beratenden Ausschuss der Lokalen und Regionalen Gebietskörperschaften bei den Europäischen Gemeinschaften“ zusammen.
Eine neue Phase der EG-Regionalpolitik wurde schließlich Mitte der achtziger Jahre erreicht, als die „Gemeinsame Erklärung“ des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments (EP) zur Reform des EFRE abgegeben wurde. Es wurde das „Prinzip der Partnerschaft“ zwischen der Gemeinschaft und den Regionen entwickelt. Hintergrund dafür war die Einsicht, dass Strukturprojekte nur wirkungsvoll umgesetzt werden können, wenn diese vor Ort Akzeptanz finden und lokaler Sachverstand nutzbar gemacht werden kann. Im Jahre 1986 wurden im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) die regionalpolitischen Kompetenznormen in den damaligen Art. 130a ff. EGV zusammengeführt. 1988 wurden die Strukturfonds der EG grundlegend reformiert. Das Prinzip der Partnerschaft wurde als „enge Konzertierung zwischen der Kommission, dem betreffenden Mitgliedstaat und von ihm bezeichneten, auf nationaler, regionaler, lokaler oder sonstiger Ebene zuständigen Behörden“ bei der Erstellung von Plänen für Fördermaßnahmen in einer Verordnung verankert.[11] Zum 1. August 1988 wurde schließlich der „Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Kommission“ (Beirat) eingerichtet, um die „dritte Ebene“ unterhalb Gemeinschaft und Mitgliedstaaten in das Institutionengefüge der EG einzubinden. Der Beirat kann damit als „Vorläufer“ des AdR bezeichnet werden (der Beirat wurde nach Etablierung des AdR Anfang 1994 auch aufgelöst), wenn sich der AdR auch nicht wirklich aus dem Beirat heraus entwickelte. Der Beirat war als bloßes Beratungsgremium ohne Initiativrecht konzipiert und hing in Existenz und Bedeutung gänzlich von der Kommission ab.[12] Er bestand zur Hälfte aus Vertretern der Regionen und zur Hälfte aus Vertretern der Kommunen. Die Mitglieder wurden von der Kommission auf Vorschlag der VRE, des RGRE und des IULA für eine Amtszeit von drei Jahren ernannt.[13] Wegen der geringen Größe des Beirats (42 Mitglieder und 42 Stellvertreter) waren nicht alle Regionen repräsentiert. Die heterogene Zusammensetzung galt wegen der immanenten Interessengegensätze schon damals als hemmend für die Wirksamkeit des Gremiums.[14]
3. Genese des AdR in der Zeit nach Etablierung des Beirats
Einen maßgeblichen Anstoß für eine Fortentwicklung der Rolle der Regionen in der EG gab am 18.11.1988 das Europäische Parlament (EP) mit seiner Entschließung zur Regionalpolitik und zur Rolle der Regionen. Inhalt der Entschließung war die Forderung, den Regionen innerhalb der EG-Ebene durch eine demokratische Vertretung mehr Gewicht zu verleihen.[15] Diese Entschließung wurde von den deutschen Bundesländern aufgegriffen, die fortan der Motor der Stärkung der Regionen in der EG waren.
Ursache für das Selbstbewusstsein und die Tatkraft der Länder war die Tatsache, dass in keinem anderen Mitgliedstaat der EG die Regionen eine so starke Stellung haben wie in der Bundesrepublik. Dem deutschen Bundesstaat mit seinen 16 Ländern vergleichbar sind nur Österreich (erst 1995 beigetreten) mit seinen neun Bundesländern[16] und Belgien mit seinen drei Regionen sowie drei (Kultur-) Gemeinschaften.[17] Teilweise föderalisiert sind auch Spanien mit seinen 17 Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autonomas)[18] sowie Italien mit seinen 20 Regionen (regioni).[19] Frankreich (26 Regionen)[20] und Portugal (18 distritos sowie die Autonomen Regionen Azoren und Madeira)[21] können als regionalisierte Einheitsstaaten charakterisiert werden. Die Niederlande sowie die skandinavischen Staaten Schweden, Finnland und Dänemark sind in geringem Umfang dezentralisiert.[22] Demgegenüber sind Großbritannien, Irland, Griechenland und Luxemburg unitarische Einheitsstaaten und gestehen ihren Untergliederungen nur sehr geringe Befugnisse zu.[23] Bei der Größe Luxemburgs ergibt sich das Fehlen einer Föderalisierung aus der Natur der Sache.
Am 18. Oktober 1989 fand in München auf Veranlassung des damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl erstmals die Konferenz „Europa der Regionen“ statt, die Ausdruck des Machtanspruchs (vor allem) der deutschen Länder war. Auf einer Sitzung vom 25.-27. Oktober 1989 setzte die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) eine Arbeitsgruppe zum Thema „Europa der Regionen“ ein. Diese Sitzung wird vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement als „der tatsächliche Ursprung des heutigen AdR“ angesehen.[24] Am 16. Februar 1990 forderte auch der Bundesrat in einem Beschluss eine neue Art der Regionalbeteiligung auf EG-Ebene.
Am 22. Mai 1990 legte die Arbeitsgruppe „Europa der Regionen“ der MPK ihren Bericht vor. Dieser Bericht beinhaltete zwei unterschiedliche Modelle für eine künftige Regionalbeteiligung in der EG. Beiden Modellen gemeinsam war die Einrichtung eines neuen Regionalorgans. Das erste Modell schlug einen sogenannten „Regionalrat“ vor, der Stellungnahmerechte haben und vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagebefugt sein sollte. Das zweite Modell, das auf eine längerfristige Umsetzung zielte, führte stattdessen eine sogenannte „Regionalkammer“ ein, die auch echte Mitentscheidungsrechte auf EG-Ebene erhalten sollte. Im weiteren politischen Prozess zeigte sich, dass es unrealistisch war, das weitergehende Modell auf absehbare Zeit umzusetzen. Das Modell eines Regionalorgans mit Beratungsfunktion wurde aber weiterverfolgt, bis es schließlich im AdR seine Verwirklichung fand.
Die Bundesregierung machte sich weitgehend die Position der Länder zu eigen und brachte sie in die Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten ein. Der Bund musste den Ländern entgegenkommen, da das Ergebnis seiner Verhandlungen, der Unionsvertrag, der Zustimmung des Bundesrates unterliegen würde.[25] Zahlreiche Stellungnahmen von Rat, Kommission, EP, Beirat, Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA), anderen Regierungen sowie von Verbänden (RGRE, VRE) und Regionalvertretern folgten. Alternativmodelle zum deutschen Vorschlag (Nothomb-Modell, Brunner-Modell, Andreotti-Modell, Luster-Modell)[26] setzten sich nicht durch, doch war auch der deutsche Vorschlag starken Veränderungen ausgesetzt. Die unitarischen Staaten misstrauten einem starken Regionalorgan, da in ihrer Tradition den Regionen keine besondere Rolle zukommt. Sie fürchteten, durch europarechtliche Vorgaben gezwungen zu werden, innerstaatlich den Regionen mehr Kompetenzen zu geben. Schließlich wurde jedoch unter den Mitgliedstaaten eine Kompromisslösung gefunden, die im Vertrag zur Errichtung der Europäischen Union (EU) verankert wurde. Dieser Vertrag wurde am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet. Er trat nach den Ratifizierungen und der Abwehr mehrerer Verfassungsbeschwerden durch das deutsche Bundesverfassungsgericht[27] am 1. November 1993 in Kraft.
III. Der AdR nach dem Vertrag von Maastricht
1. Stellung, Aufbau und Funktionen des AdR
a) Vertragliche Regelungen über Stellung und Mitglieder des AdR
Der AdR ist in Art. 4 Abs. 2 und Art. 198a ff. EGV-Maastricht[28] geregelt. Danach hat der AdR nicht die formelle Stellung eines Organs der EU. Hauptorganen obliegen die Gestaltungs- und Leitungsfunktionen in der Gemeinschaft, ferner bedeutet die Organeigenschaft, die Entscheidungen der anderen Organe nach außen mitzuverantworten und außenwirksame Handlungen treffen zu können.[29] Diese Voraussetzungen erfüllt der AdR nicht. Er ist auch nicht in Art. 4 Abs. 1 EGV-Maastricht (Art. 7 Abs. 1 EGV-Amsterdam) bei der Aufzählung der Organe erwähnt. Der AdR kann jedoch als Einrichtung eigener Art und als beratendes „Nebenorgan“ bezeichnet werden.[30] Dafür spricht auch die systematische Stellung, denn der AdR ist zwar im fünften Teil des EGV geregelt („Die Organe der Gemeinschaft“), nicht jedoch im Kapitel I des Titels I („Die Organe“).[31]
Der AdR versteht sich und seine Mitglieder als Botschafter zwischen den Organen der Gemeinschaft und den Bürgern der Heimatregion, der zur wechselseitigen Annäherung beiträgt.[32] Vom AdR werden regelmäßig Foren, Seminare und ähnliche Veranstaltungen durchgeführt. Zudem sind die Mitglieder des Ausschusses gehalten, an unterschiedlichsten Veranstaltungen Dritter teilzunehmen.[33] Der AdR erstellt Studien, um neue politische Themen auf die politische Agenda der EU zu setzen und um den Mitgliedern für ihre Arbeit die nötigen Hintergrundinformationen zu liefern.[34]
Der AdR hatte zunächst 189 Mitglieder, mit dem Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zum 1. Januar1995 ist er auf 222 Mitglieder gewachsen. Die Verteilung der Sitze auf die einzelnen Mitgliedstaaten ist im Einzelnen in Art. 198a EGV-Maastricht geregelt. Danach verteilen sich die Sitze folgendermaßen auf die Mitgliedstaaten (wobei die kleineren Staaten überrepräsentiert sind):
- Belgien 12
- Dänemark 9
- Deutschland 24
- Griechenland 12
- Spanien 21
- Frankreich 24
- Irland 9
- Italien 24
- Luxemburg 6
- Niederlande 12
- Österreich (seit 1.1.1995) 12
- Portugal 12
- Finnland (seit 1.1.1995) 9
- Schweden (seit 1.1.1995) 12
- Vereinigtes Königreich 24
Die innerstaatliche Verteilung der jeweiligen Sitze ist europarechtlich nicht geregelt. Eine Einigung zwischen föderalisierten und unitarischen Staaten konnte in dieser Hinsicht nicht erzielt werden. Ergebnis ist, dass einige Mitgliedstaaten lediglich Kommunalvertreter entsenden, andere sowohl Kommunal- als auch Regionalvertreter, Belgien als einziger Mitgliedstaat dagegen nur Regionalvertreter. Vom WSA unterscheidet sich der AdR jedoch maßgeblich dadurch, dass er Repräsentanten staatlicher Gebietskörperschaften zu Mitgliedern hat, während im WSA Lobbyisten gesellschaftlicher Gruppen (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und andere) versammelt sind. Berufsständische Kammern sind im AdR nicht vertreten, doch wurde noch 1992 sogar eine dementsprechende Anfrage vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) und vom Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) an den damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau gerichtet.
b) Anspruch der Kommunen auf Vertretung?
Sehr umstritten ist, ob die Verpflichtung eines jeden Mitgliedstaates besteht, auch kommunale Vertreter zu entsenden.[35] Dafür spricht der Wortlaut des Art. 198 a Abs. 1 EGV („regionalen und lokalen“, nicht „regionalen oder lokalen“).[36] Auch wird die Entstehungsgeschichte der Vorschrift für diese Ansicht angeführt, da erste Vorschläge explizit nur die Entsendung regionaler Vertreter vorsahen, in dieser Form aber abgelehnt wurden.[37] Außerdem wird geltend gemacht, dass auch der (abgeschaffte) Beirat als „Vorläufer“ des AdR zur Hälfte mit kommunalen Vertretern besetzt war.[38] Die Beratungsfunktion des AdR erstrecke sich auch auf kommunale Bereiche.[39] Im Übrigen beruft man sich auf das in Art. A Abs. 2 EUV niedergelegte Prinzip der Bürgernähe und auf den Subsidiaritätsgedanken.[40] Schließlich entspreche es auch dem „effet utile“, wenn der lokale Sachverstand im AdR einbezogen würde.[41] Weiter wird der Vertretungsanspruch deutscher Kommunen auch mit dem in Art. 28 Abs. 2 GG verankerten Recht der kommunalen Selbstverwaltung begründet.[42] Teilweise wird innerhalb dieser Meinungsströmung immerhin zugestanden, dass das Schwergewicht bei den regionalen Vertretern liegen müsse.[43]
Die Gegenauffassung[44] behauptet, die Entsendung kommunaler Vertreter sei nur für diejenigen Mitgliedstaaten verbindlich, bei denen es an einer intermediären regionalen Ebene fehle.[45] Dies gehe aus der Entstehungsgeschichte der Norm hervor.[46] Dieses Ergebnis sei außerdem durch den Sinn der Vorschrift vorgegeben, denn der AdR sei gerade mit typisch regionalen Angelegenheiten befasst (Transeuropäische Netze, Kultur und Bildung usw.).[47] Der AdR sei gerade kein lediglich „aufgebesserter“ Beirat. Zudem gelte es, politische und praktische Gründe für eine rein regionale Besetzung zu beachten: der AdR bedürfe für seine Durchschlagskraft einer homogenen Identität.[48] Für diese Ansicht kann weiter angeführt werden, dass in Art. 198c Abs. 3 Satz 2 EGV-Maastricht nur „regionale“ Interessen genannt sind.[49] Teilweise wird sogar geltend gemacht, Mitgliedstaaten mit regionaler Zwischenebene dürften ausschließlich Regionalvertreter entsenden.[50]
c) Tatsächliche Mitgliederstruktur und Position der Mitglieder
Tatsächlich besteht die überwiegende Zahl der Mitglieder des Regionalausschusses aus Kommunalvertretern, wenn auch die Zuordnung zur regionalen oder kommunalen Ebene nicht immer ganz eindeutig erfolgen kann. Tauras kommt in seiner Untersuchung (betreffend die erste Mandatsperiode 1994-1998) zu dem Ergebnis, dass der AdR sich aus 85 Regionalvertretern, 96 Kommunalvertretern und 41 Vertretern der „intermediären“ Ebene zusammensetzt.[51] Hasselbach kommt ebenfalls auf 85 regionale Sitze (38 %), denen 137 kommunale Sitze (62 %) gegenüberstehen.[52] Auch Schöbel ordnet der regionalen Ebene insgesamt 85 Mitglieder zu (davon 42 als Vertreter von Regionen „mit Staatsqualität“), der intermediären Ebene (Provinzen, Kreise usw.) 41 und der lokalen Ebene 96.[53]
Die Entsendung der deutschen Vertreter in den AdR ist in § 14 EUZBLG (BGBl. I 1993 S. 313 ff.) so geregelt, dass die Bundesregierung dem Ministerrat die von den Ländern benannten Vertreter vorschlägt. Die Länder müssen die Gemeinden und Gemeindeverbände mit drei Vertretern beteiligen. Weitere Einzelheiten sind durch eine Ländervereinbarung und eine Bund-Länder-Vereinbarung festgelegt. Im Ergebnis führte dies zu folgender Regelung: 21 der 24 deutschen Sitze werden von Ländervertretern wahrgenommen, die übrigen drei Sitze verteilen sich auf Vertreter der Kommunalverbände Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund sowie Deutscher Landkreistag.
Formell werden die Mitglieder des AdR sowie ihre Stellvertreter von ihren Heimatstaaten nur vorgeschlagen. Ernannt werden sie einstimmig vom Ministerrat (Art. 198a Abs. 3 Satz 1 EGV-Maastricht). Wiederernennung ist zulässig (Art. 198a Abs. 3 Satz 2 EGV-Maastricht). Dem Ministerrat steht ein formelles Prüfungsrecht zu, jedoch keine eigene Auswahlbefugnis.[54] Die Regionen haben durchgesetzt, dass die Ausschussmitglieder nicht wie beim WSA von einer Liste ausgewählt werden.[55]
Die Mitglieder des AdR sind keine Vertreter „ihrer“ Region, sondern vertreten die regionale Ebene zum allgemeinen Wohle der Gemeinschaft (Art. 198a Abs. 4 Satz 2 EGV-Maastricht). Sie sind an keine Weisungen gebunden (Art. 198a Abs. 4 Satz 1 EGV-Maastricht). Diese Regelungen werden teilweise kritisiert, da die regionale Vertretung nur bei einer gewissen Steuerbarkeit der Vertreter wirksam sein könne.[56] In der Praxis stellt sich das freie Mandat der Ausschussmitglieder indes nicht als Problem dar, da diese als politische Repräsentanten von sich aus die Interessen ihrer Heimatregion im Blick behalten. Es ist „schwierig, die Vorstellung des EGV mit der politischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Die Mitglieder des AdR werden sich in besonderem Maße als Sachwalter ihrer regionalen und kommunalen Interessen verstehen“.[57] Auch ein Verbot der Weisungsannahme oder -anforderung wird nicht angenommen, da ein solches anders als im Falle der Kommissionsmitglieder und der Rechnungshofmitglieder nicht normiert ist.[58] Bindend wäre die Vereinbarung mit der Heimatregion oder dem Heimatstaat über ein bestimmtes Verhalten allerdings nicht. Ein regionales oder kommunales Wahlmandat, also eine unmittelbare demokratische Legitimation, ist nicht Voraussetzung für die Mitgliedschaft im AdR.[59] Der Verlust eines Wahlmandates der entsendenden Körperschaft ist auch kein Absetzungsgrund im Rahmen des AdR.[60] Die Rücknahme der Ernennung bedarf eines Beschlusses des Ministerrates (actus contrarius zur Ernennung). In der Praxis treten Ausschussmitglieder aber häufig zurück, wenn sie ihr regionales Mandat verlieren, was sich in einer großen Zahl von Neuernennungen einzelner Mitglieder durch den Rat niederschlägt.[61]
[...]
[1] Hasselbach S. 71 (Fn. 278), Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn. 40.
[2] Hasselbach S. 69 ff., Tauras S. 71.
[3] Schöbel S. 7.
[4] Dieckmann DÖV 2000, S. 457 (459), Schöbel S.7, Theissen S. 91.
[5] Dieckmann DÖV 2000, S. 457 (459), Theissen S. 92.
[6] Theissen S. 88.
[7] Schöbel S. 8, Theissen S. 88.
[8] Benz VerwArch 1993, S. 328 (341), Dästner NWVBl. 1994, S. 1 (6), Hasselbach S. 70, Regionalbüros der Länder sind seit 1993 gesetzlich anerkannt in § 8 EUBLZG, BGBl. 1993 I S. 313.
[9] Hasselbach S. 71 f.
[10] Hasselbach S. 73.
[11] Art. 4 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) Nr. 2052/88.
[12] Benz VerwArch 1993, S. 328 (334), Grabitz/Hilf-Blanke vor Art. 198 a-c Rn. 10, Wuermeling EuR 1993, S. 196 (197).
[13] Benz VerwArch 1993, S. 328 (334), Theissen S. 70.
[14] Benz VerwArch 1993, S. 328 (334), Mietzsch APuZ 25-26/1998, S. 34 (35) und DStT 1998, S. 290.
[15] Hasselbach S. 80 f.
[16] Hasselbach S. 16 ff., Theissen S. 52.
[17] Hasselbach S. 19 ff., Tauras S. 125 f., Theissen S. 43 f.
[18] Hasselbach S. 26 ff., Theissen S. 53 ff.
[19] Hasselbach S. 31 ff., Theissen S. 49 ff.
[20] Hasselbach S. 36 ff., Theissen S. 47 f.
[21] Hasselbach S. 41 ff., Theissen S. 52 f.
[22] Hasselbach S. 44 ff., Theissen S. 45 ff.
[23] Hasselbach S. 55 ff., Tauras S. 131 ff., Theissen S. 48 ff.
[24] Clement StWiss 1993, S. 159 (163).
[25] Benz VerwArch 1993, S. 328 (337), Theissen S. 103.
[26] Hasselbach S. 88 ff.
[27] BVerfGE 89, 155 ff.
[28] BGBl. 1992 II S. 1253 ff.
[29] Wiedmann EuR 1999, S. 49 (61).
[30] Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198a Rn. 1, Hasselbach S. 109, Kleffner-Riedel S. 199, Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn. 7 und 20, Wiedmann EuR 1999, S. 49 (60).
[31] Paul S. 29, Theissen S. 206 f.
[32] AdR-Prioritäten S. 24.
[33] AdR-Prioritäten S. 17.
[34] AdR-Prioritäten S. 18.
[35] So die nicht veröffentlichten Gutachten von Bahlmann (Juli 1992) und Tomuschat (Oktober 1992) sowie Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198a Rn. 15, Lenz-Kaufmann-Bühler Art. 263 Rn. 4, Streinz S. 60.
[36] Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198 a Rn.15, Heberlein BayVBl. 1993, S. 676 (678), Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn. 33, Streinz S.59, Strohmeier BayVBl. 1993, 417 (419), Tauras S.98, Theissen S. 172.
[37] Streinz S. 59, Tauras S. 98 f.
[38] Streinz S. 59, Tauras S. 98.
[39] Heberlein BayVBl. 1993, 676 (678).
[40] Streinz S.59, Tauras S.98 f.
[41] Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198a Rn.18, Tauras S.123.
[42] Knemeyer/Heberlein S.93 ff.
[43] Streinz S.60.
[44] Baetge BayVBl. 1992, 711 (713 f.), Clement StWiss 1993, 159 (164 f.), Dästner NWVBl. 1994, 1 (7), Konow S.86, Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn.35, Tauras S.124, Theissen S.183, Wiedmann EuR 1999, 49 (80), Wuermeling EuR 1993, 196 (200).
[45] Streinz S.59, Theissen S.173, Wiedmann EuR 1999, 49 (81).
[46] Clement StWiss 1993, 159 (164 f.), Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn.33, Wiedmann EuR 1999, 49 (80).
[47] Clement StWiss 1993, 159 (165), Schwarze-Wiedmann Art. 263 Rn.33, Wiedmann EuR 1999, 49 (81).
[48] Clement StWiss 1993, 159 (166).
[49] Streinz S.59.
[50] Clement StWiss 1993, 159 (164 f.).
[51] Tauras S.136 ff. i.V.m. S.185 ff.
[52] Hasselbach S.129 f.
[53] Schöbel S.30.
[54] Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198 a Rn.21, Hasselbach S.162, Kleffner-Riedel S.201, Tauras S.98, Theissen S.189 f.
[55] Fischer NWVBl. 1994, 161 (163), Wuermeling EuR 1993, 196 (201).
[56] Kleffner-Riedel S.203.
[57] Lenz-Kaufmann-Bühler Art. 263 Rn.8.
[58] Streinz S.62, Tauras S.100.
[59] Dästner NWVBl. 1994, 1 (8), Lenz-Kaufmann-Bühler Art. 263 Rn.5.
[60] Grabitz/Hilf-Blanke Art. 198 a Rn.26, Konow S.87, Lenz-Kaufmann-Bühler Art. 263 Rn.5, Streinz S.63, Tauras S.100 f., Wuermeling EuR 1993, 196 (201).
[61] Lenz-Kaufmann-Bühler Art. 263 Rn.5.
- Arbeit zitieren
- Dr. Thomas Stuhlfauth (Autor:in), 2001, Der Ausschuss der Regionen (Stand: 2001), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138556