1. Einleitung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Versagen und Scheitern von Staatlichkeit auf die Agenda aller entwicklungspolitischen Akteure gerückt. Angesichts der Erkenntnis, dass Staatszerfall auch die Sicherheit und Freiheit westlicher Gesellschaften bedroht, ist klar, dass die Entwicklungspolitik sich dieser Herausforderung stellen und gegebenenfalls ihre traditionellen Verfahrensweisen modifizieren muss. Länder, die durch Staatsversagen blockiert oder bereits vom Staatszerfall geprägt sind, bieten dem transnationalen Terrorismus Rückzugs- und Organisationsräume, Bürgerkriege führen zu massiven Flüchtlingsströmen und auch die unkontrollierte Proliferation von Waffen stellt eine erhebliche Sicherheitsbedrohung dar.
Auch wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die einhergehenden, grenzüberschreitenden Folgen fragiler Staatlichkeit ein internationales Problem darstellen, stellt sich die Frage, was gegen Ursachen und Folgen von fehlenden staatlichen Strukturen und schlecht funktionierenden, nicht legitimierten Regierungen unternommen werden kann. Hier sind vor allem die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gefragt. Besonders die Entwicklungspolitik kann in kollabierten Staaten Handlungsanreize schaffen, Unterstützung beim Aufbau funktionsfähiger Strukturen in schwachen Staaten leisten und bei einigermaßen konsolidierten Systemen Stabilitätserfolge sichern.[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die 90er Jahre – Ein verlorenes Jahrzehnt?
3. Komponenten des Staatsversagens in fragilen Staaten
4. Entwicklungsziele in fragilen Staaten
5. Kann die aktuelle entwicklungspolitische Praxis angemessen auf Staatszerfall reagieren?
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Versagen und Scheitern von Staatlichkeit auf die Agenda aller entwicklungspolitischen Akteure gerückt. Angesichts der Erkenntnis, dass Staatszerfall auch die Sicherheit und Freiheit westlicher Gesellschaften bedroht, ist klar, dass die Entwicklungspolitik sich dieser Herausforderung stellen und gegebenenfalls ihre traditionellen Verfahrensweisen modifizieren muss. Länder, die durch Staatsversagen blockiert oder bereits vom Staatszerfall geprägt sind, bieten dem transnationalen Terrorismus Rückzugs- und Organisationsräume, Bürgerkriege führen zu massiven Flüchtlingsströmen und auch die unkontrollierte Proliferation von Waffen stellt eine erhebliche Sicherheitsbedrohung dar.[1]
Auch wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die einhergehenden, grenzüberschreitenden Folgen fragiler Staatlichkeit ein internationales Problem darstellen, stellt sich die Frage, was gegen Ursachen und Folgen von fehlenden staatlichen Strukturen und schlecht funktionierenden, nicht legitimierten Regierungen unternommen werden kann. Hier sind vor allem die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gefragt. Besonders die Entwicklungspolitik kann in kollabierten Staaten Handlungsanreize schaffen, Unterstützung beim Aufbau funktionsfähiger Strukturen in schwachen Staaten leisten und bei einigermaßen konsolidierten Systemen Stabilitätserfolge sichern.[2]
Im ersten Teil soll als historischer Kontext kurz der Wandel innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit bezüglich der Kooperationspartner in den Entwicklungsländern während der 80er und 90er Jahren dargestellt werden. Des weiteren werden typische Leistungsdefizite in instabilen Staaten erläutert, die trotz der Vielschichtigkeit fragiler Staatlichkeit für Entwicklungsländer charakteristisch sind. Im vierten Abschnitt sollen schließlich drei allgemeine Entwicklungsziele für fragile Staaten; die Reform des Sicherheitssektors, des Justizsystems und eine bessere Macht- und Kompetenzverteilung, vorgestellt werden. Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, wie die aktuelle entwicklungspolitische Praxis angemessen auf Staatsverfall reagieren kann.
Letztendlich soll dieser Essay einen Einblick in die Problematik der fragilen Staaten sowie in die internationale Debatte über eine Modifizierung der aktuellen Entwicklungszusammenarbeit geben.
2. Die 90er Jahre – Ein verlorenes Jahrzehnt?
Seit in den 90er Jahren eine Tendenz zum Verfall von Staatlichkeit zu beobachten ist, wird es immer deutlicher, dass die Entwicklungspolitik dem Problem der fragilen Staaten angepasst werden muss. Ein zentraler Ansatzpunkt der internationalen Gemeinschaft ist, „die Verwundbarkeit krisenanfälliger Staaten zu reduzieren und legitime sowie funktionierende staatliche Strukturen zu fördern.“[3] Während den 1980er Jahren wurde verstärkt auf nichtstaatliche Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit ausgewichen, da der Staat in vielen Fällen als repressiv, ineffizient und unkooperativ galt. Dies ließ sich für eine Vielzahl an Krisen- und Entwicklungsländern belegen, allerdings ist durchaus fraglich, ob entwicklungspolitische Akteure durch die völlige Vernachlässigung der zentralstaatlichen Regierung eine weitere Schwächung der staatlichen Akteure in Kauf nehmen sollten.[4]
In der entwicklungspolitischen Diskussion in den 90er Jahren kam es zu einer „Wiederkehr des Staates“ und Staat, beziehungsweise Governance – Fragen rückten immer mehr in den Mittelpunkt entwicklungspolitischer Ansätze. Allerdings waren die Geberländer in den 1990er Jahren sehr zurückhaltend und engagierten sich kaum in fragilen Staaten, da sie sich mit unüberwindbaren Schwierigkeiten mit reformunwilligen oder –unfähigen Regierungen konfrontiert sahen. Die Debatte über einen möglichst wirksamen Einsatz von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit führte Ende der 1990er Jahre dazu, dass die sogenannten „good performers“ den „poor performers“ vorgezogen wurden und sich internationale Geber zunehmend aus fragilen Staaten zurückzogen.
Zunehmend setzt sich nun in der entwicklungspolitischen Diskussion die Erkenntnis durch, dass man sich nicht ganz von fragilen Staaten abwenden kann und die Devise lautet: „Stay engaged, but differently!“.[5] Momentan wird diskutiert, wie mit fragilen Staaten zukünftig umgegangen werden soll, die gemessen an ihrem Bedarf wenig „Official Development Assistance - ODA“[6] erhalten haben, denn die Mittelunsicherheit in fragilen Staaten beeinflusst die Kosten-Nutzen-Analyse der Geberländer maßgeblich und führt dazu, sich hauptsächlich auf Länder von Sicherheitsinteresse konzentriert wird. Zudem haben ganzheitliche Ansätze, bei denen sicherheits-, außen- und entwicklungspolitische Maßnahmen stärker vernetzt werden sollen, die punktuellen Maßnahmen und das Konzept der zivilen Krisenprävention aus den 90er Jahren abgelöst.[7]
3. Komponenten des Staatsversagens in fragilen Staaten
Auch wenn es Unterschiede in der Ausprägung der Fragilität von Staaten gibt, haben die als problematisch eingestuften Länder im Wesentlichen ähnliche Leistungsdefizite in zentralen staatlichen Funktionsbereichen. Es existiert kein legitimes Gewaltmonopol, welches für die staatliche Steuerung verantwortlich ist. Der Staat ist somit nicht in der Lage, seine Bürger vor Gewalt zu schützen, oft übernehmen nichtsstaatliche Sicherheitsdienste diese Funktion. Auch sind die Bürger oft nicht vor staatlicher Willkür geschützt, da ein etabliertes Rechtssystem fehlt. Staatliche Dienstleistungen werden nicht gewährleistet, Steuererhebungen funktionieren nicht. Ein Mangel besteht zudem in der Bereitstellung öffentlicher Güter, oft kann die Grundversorgung der Bevölkerung nicht sichergestellt werden. Aufgrund des Fehlens verlässlicher Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ist ein selbstständiges Entkommen aus der Misere kaum möglich. Laut Daten der Weltbank ist die Lage in fragilen Staaten im Vergleich zu armen Ländern dramatisch: Das Pro-Kopf-Einkommen ist nur etwa halb so groß wie in armen Ländern. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt des Doppelte, die Sterblichkeit bei Müttern sogar das Dreifache. Dazu kommen Krankheiten wie Malaria, unter denen große Bevölkerungsteile leiden, sowie die hohe Unterernährung.[8]
Das Spektrum staatlichen Verfalls ist breit, Rotberg unternimmt hier eine brauchbare Einteilung in „weak states“, „collapsed states“ und „failed states“ vor.[9] Während einige Staaten sich zwar eine demokratische Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild zu eigen gemacht haben, jedoch Sicherheitsrisiken wie Alltagskriminalität und mangelnde soziale Grundsicherung für die Bevölkerung fortbestehen, gibt es auf der anderen Seite kollabierte und zerfallene Staaten in denen Staatlichkeit in keinem Bereich mehr vorhanden ist. Die meisten fragilen Staaten bewegen sich zwischen den beiden Polen, wobei die unterschiedlichen Ausprägungen von Staatsversagen und Staatsverfall sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder berücksichtigt werden müssen. Auch innerhalb der Staaten existieren lokale Unterschiede innerhalb der Reichweite des zentralstaatlichen Gewaltmonopols. In „staatsfreien Räumen“ regieren lokale Machthaber innerhalb traditioneller Strukturen, die von der dortigen Bevölkerung durchaus als legitim betrachtet werden, was dazu führt, dass zahlreiche Länder trotz fragiler Strukturen, funktionieren. „Die Vielschichtigkeit fragiler Staatlichkeit schließt insofern „one size fits all“- Lösungen aus.“[10]
4. Entwicklungsziele und Zielkonflikte in fragilen Staaten
Mit Blick auf fragile Staaten lassen sich folgende Ziele definieren: Zum einen ist die Stärkung der demokratischen Legitimität von Staaten sowie der staatlicher Organe und Verfahren eine wichtige Aufgabe. Des weiteren müssen Entwicklungsländer in ihrem Gestaltungswillen und ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt werden. Schließlich soll ein staatliches Gewaltmonopol geschaffen, beziehungsweise gestärkt werden, um der Ausbreitung von Gewalt entgegenzutreten[11] Die unterschiedlichen Formen des Zerfalls von Staaten führen zu der Annahme, dass Entwicklungszusammenarbeit auf jedes einzelne Land abgestimmt sein und den individuellen Gegebenheiten eines Entwicklungslandes angepasst sein muss.
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[1] vgl.: Debiel, T./ Klingebiel, S./ Mehler, A./ Schneckener, U. (2005). Zwischen Ignorieren und Intervenieren, Policy Paper 23, Stiftung Entwicklung und Frieden, S. 2
[2] vgl.: Klingebiel, S. (2005). Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?, in: Entwicklung und ländlicher Raum, Juni 2005, S. 27
[3] Klingebiel, S. (2005). Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?, in: Entwicklung und ländlicher Raum, Juni 2005, S. 27 S. 2
[4] vgl. ebd., S. 3
[5] vgl.: Debiel, T. (2005). Fragile Staaten als Problem der Entwicklungspolitik, in: APuZ, Juli 2005, S. 13
[6] Entwicklungshilfemittel des Entwicklungshilfeausschusses der OECD, dem „Development Assistance Comittee/DAC“
[7] vgl.: Klingebiel, S. (2005). Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?, in: Entwicklung und ländlicher Raum, Juni 2005, S. 28
[8] vgl.: Debiel, T. (2005). Fragile Staaten als Problem der Entwicklungspolitik, in: APuZ, Juli 2005, S. 12
[9] vgl.: Rotberg, R. I. (2003). Failed States, Collapsed States, Weak States: Causes and Indicators, In: State Failure and State Weakness in a Time of Terror. Washington D.C.: Brookings
[10] vgl.: Debiel, T./ Klingebiel, S./ Mehler, A./ Schneckener, U. (2005). Zwischen Ignorieren und Intervenieren, Policy Paper 23, Stiftung Entwicklung und Frieden, S. 4
[11] vgl.: Klingebiel, S. (2005). Überwindung fragiler Strukturen von außen: Was kann Entwicklungspolitik erreichen?, in: Entwicklung und ländlicher Raum, Juni 2005, S. 28
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- Dipl.-Pol. Sylvia Stützer (Autor), 2007, Die Problematik der Anwendbarkeit traditioneller Entwicklungskonzepte auf fragile Staaten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138767