Wenn Eltern trinken. Alkoholabhängigkeit in der Familie und ihre Auswirkungen auf die Kinder


Mémoire (de fin d'études), 2007

82 Pages, Note: 3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Grundlegende Begriffsbestimmung
1.1 Allgemeine Definition von stoffgebundener Abhängigkeit
1.2 Das Suchtmittel Alkohol
1.2.1 Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit
1.2.2 Zum Krankheitsbild des Alkoholismus
1.2.3 Alkoholismus als Familienkrankheit
1.2.4 Co-Abhängigkeit

2. Kinder aus alkoholbelasteten Familien
2.1 Die Familie aus systemischer Sicht
2.2 Der familiäre Kontext in alkoholbelasteten Familien
2.2.1 Unausgesprochene Familienregeln in Suchtfamilien
2.3 Verhaltensmuster, Rollenmodelle und Geschwister-Konstellation
2.3.1 Der Held
2.3.2 Der Sündenbock
2.3.3 Das verlorene Kind
2.3.4 Der Clown
2.4 Auswirkungen der elterlichen Abhängigkeit auf die Kinder
2.4.1 Schutz- und Risikofaktoren in der kindlichen Entwicklung
2.4.2 Direkte und Indirekte Folgen elterlichen Alkoholmissbrauchs
2.4.2.1 Schulleistungen und –verhalten
2.4.2.2 Intelligenz und sprachliche Fähigkeit
2.4.2.3 Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Hyperaktivität (ADHS)
2.4.2.4 Störungen des Sozialverhaltens
2.4.2.5 Angststörungen und Depression
2.4.2.6 Gewalt
2.5 Resümee

3. Erwachsene Kinder alkoholkranker Eltern
3.1 Soziale Kompetenz/ psychosoziale Anpassung
3.2 Die Veränderung des Rollenverhaltens bei erwachsenen Kindern
3.2.1 Der Held
3.2.2 Das verlorene Kind
3.2.3 Der Sündenbock
3.2.4 Der Clown
3.2.5 Resümee

4. Transmission von Alkoholismus
4.1 Familienstudien
4.1.1 Halbgeschwister-Studien
4.1.2 Zwillingsstudien
4.1.3 Adoptionsstudien
4.1.4 Zusammenfassung
4.2. Die Rolle der familiären Umwelt
4.2.1 Eltern als Modelle
4.2.2 Trinkstatus des abhängigen Elternteils
4.3. Risiko- und Schutzfunktionen bei der Transmission der Alkoholabhängigkeit
4.3.1 Kindbezogene Risikofaktoren
4.3.2 Umgebungsbezogene Risikofaktoren
4.3.3 Kindbezogene Schutzfaktoren
4.3.4 Umgebungsbezogene Schutzfaktoren

5. Therapie und Hilfemaßnahmen für Kinder mit alkoholabhängigen Eltern
5.1. Kindertherapeutische Hilfen
5.1.1 Spieltherapie
5.1.2 Rollenspiele
5.1.3 Bewegungstherapie
5.1.4 Musiktherapie
5.1.5 Eltern-Kind-Arbeit
5.1.6 Offene Kindergruppe
5.1.7 Weitere Hilfemaßnahmen
5.2. Ziele der Kindertherapie

6. Zusammenfassung

7. Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Häufigkeit von schwerwiegenden physischen Gewalterfahrungen innerhalb der Familie bei Alkoholikern und Nicht-Alkoholikern

Tabelle 2: Charakteristische Gefühle, Verhaltensweisen, Rollen und Persönlichkeitsmerkmale von Kindern mit einem alkoholabhängigen Elternteil nach Wegscheider

Tabelle 3: Die sieben Resilienzen

und ihre Entwicklung über die Lebensspanne

Tabelle 4: Alkoholabhängigkeit bei Halbgeschwistern mit unterschiedlichem Risikostatus, die in verschiedenen Umwelten…

Tabelle 5: Alkoholkonsum bei den biologischen Eltern und ihren adoptierten Kindern

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Täterkriterien beim aufgeklärten Fall: Alkoholeinfluss 1997

Abbildung 2: Die Co-Abhängigen

Abbildung 3: Risiko- und Schutzfaktoren in der Entwicklung des Kindes

Abbildung 4: Risiko- und Schutzfunktionen bei der Transmission der Alkoholabhängigkeit

Einleitung

Seit vielen Jahrhunderten ist der Konsum von alkoholischen Getränken fest in unserem gesellschaftlichen und kulturellen Leben verankert. Alkohol ist unbeschränkt und vor allem legal in größeren Mengen für volljährige Personen verfügbar. Alkoholische Getränke sind in Deutschland in das soziale und kulturelle Leben fest integriert und werden dort auch toleriert. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. kommt es zu einem Pro-Kopf-Konsum in Deutschland von 10 Litern reinem Alkohol im Jahr, was bestätigt, dass in Deutschland regelmäßig Alkohol konsumiert wird.

Leider bringt der Genuss von Alkohol auch erhebliche Probleme mit sich: Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2006, S.4) leben in Deutschland ca. 1,6 Millionen alkoholabhängige Menschen, in deren unmittelbarer Umgebung wiederum ca. 2,65 Millionen Kinder aufwachsen. Über 40.000 alkoholbedingte Todesfälle sind pro Jahr zu verzeichnen, davon sterben ca. 17.000 Menschen an Leberzirrhose. 5 bis 7 Millionen Angehörige sind durch die Alkoholabhängigkeit eines Familienmitglieds betroffen. Eine Viertelmillion Kinder und Jugendliche sind stark alkoholgefährdet oder bereits abhängig. 70% der jungen Abhängigen haben ein suchtkrankes Elternteil, und jedes 250. Kind wird mit Schädigungen aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft geboren (2.200 Kinder pro Jahr). Desweiteren gibt es ca. 5-6 Millionen erwachsene Kinder suchtkranker Eltern; ein großer Teil von Ihnen leidet im späteren Leben unter verschiedenen psychischen Beeinträchtigungen und Störungen. Erschreckend ist, dass mehr als 30 Prozent der Kinder aus suchtbelasteten Familien selbst suchtkrank werden.

Zweifellos zählt der Alkoholismus zu den größten gesundheitspolitischen Problemen unserer Gesellschaft, doch der schwerwiegendste Tatort dieser Erkrankung ist und bleibt die Familie.

In der Familie leben die Menschen, die dem Suchtkranken am nächsten stehen und demzufolge auch am meisten leiden. Die Angehörigen sind von den Auswirkungen der Sucht und der damit einhergehenden Belastung permanent und direkt betroffen – häufig können sie nichts dagegen tun. Die Ehepartner und Kinder werden direkt von der Alkoholkrankheit beeinflusst, so dass in der gängigen Literatur auch von der "alkoholkranken Familie" gesprochen wird. Jedoch wurde bisher kaum den daraus resultierenden Problemen der Kinder, vor allem jedoch den Auswirkungen der familiären Suchterfahrung auf das spätere Erwachsenenalter jener Kinder, Beachtung geschenkt. Sie waren die „vergessenen Kinder“ (Cork, 1969, zit. in Zobel, 2000, S. 23) denen es zu helfen galt. Daraufhin wurden viele pädagogische Hilfemaßnahmen ergriffen und konzipiert, in denen betroffenen Kindern effektiv geholfen werden konnte. Generell entwickelte sich eine defizitorientierte Arbeit mit den betroffenen Kindern, ohne auf die Ressourcen zu achten.

Forschungen haben ergeben, dass ca. 1/3 der untersuchten Alkoholiker einen Elternteil hat, der selbst alkoholabhängig war. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Kinder, die in einer Familie mit Suchtproblematiken aufwachsen später selbst abhängig werden. Aus Untersuchungen gehen dennoch erschreckend hohe Zahlen hervor: 25% bis 30% aller Kinder aus suchtbelasteten Familien werden selbst wieder suchtkrank werden, wenn ihnen nicht frühzeitig geholfen werden kann.

Kinder, die mit mindestens einem alkoholabhängigen Elternteil aufwachsen, können extremen Belastungssituationen ausgesetzt sein. Diese sind unter anderem durch häufige Konflikte, psychische und körperliche Gewalt, Vernachlässigung und instabile Familienverhältnisse gekennzeichnet. Nicht nur die Partner, sondern vor allem die Kinder leiden extrem unter dieser Situation, da sie auf die Zuwendung und Fürsorge der Eltern angewiesen sind.

Diesen Kindern widmet sich diese Arbeit. Es soll aufgezeigt werden welchen Einfluss und welche Auswirkungen der krankhafte elterliche Alkoholkonsum für diese Kinder hat.

Die Arbeit lässt sich in fünf größere Abschnitte unterteilen. Im ersten Kapitel möchte ich allgemeine Begriffsdefinitionen zum Thema Suchtmittel Alkohol, Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit abgeben. Nach der Aufführung der Klassifikationsschemata DSM-IV und ICD-10 und einiger wichtiger Zahlen folgt das Krankheitsbild des Alkoholismus mit seinen medizinischen Risiken und Folgeschäden. Desweiteren gebe ich einen kurzen Einblick in co-abhängiges Verhalten der Familienmitglieder, bevor ich im zweiten Teil der Arbeit detailierter auf die innerfamiliäre Situation der Kinder suchtkranker Eltern eingehe. Es wird u.a. das Zusammenleben in der Familie, Probleme und Schwierigkeiten der Angehörigen eines Alkoholkranken, die Gefühle dieser Kinder sowie ein Modell der unausgesprochenen Familienregeln behandelt, deren Existenz zahlreiche Autoren immer wieder bestätigen. Danach erfolgt die Darstellung verschiedener Rollenmuster, welche die Angehörigen, speziell die Kinder von Suchtkranken, im Laufe der Zeit entwickeln. Die Durchführungen beziehen sich auf das Konzept von Sharon Wegscheider. Mit Hilfe eines spezifischen Rollenverhaltens versuchen sich die Kinder alkoholabhängiger Eltern den belastenden Verhältnissen in der Familie anzupassen. Der darauf folgende Abschnitt handelt von Risiko- und Schutzfaktoren betroffener Kinder. An dieser Stelle werden verschiedene psychische Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und das Risiko einer eigenen Abhängigkeit erörtert. Mögliche Auswirkungen der elterlichen Alkoholsucht auf das Erwachsenenalter der betroffenen Kinder werden in Kapitel 3 erläutert. Dabei beziehe ich mich auf eine Auswahl theoretischer Ansätze und gehe auch näher auf die fortgesetzten Rollenmodelle ein.

Leider beschäftigen sich die Untersuchungen vorrangig mit den negativen Auswirkungen des Aufwachsens in einer alkoholbelasteten Familie, wobei Ressourcen und positive Entwicklungen der erwachsenen Kinder wenig beachtet werden. Familienorientierte Theorien sind auch heute noch selten.

Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Transmission von Alkoholabhängigkeit, wobei nicht nur auf die genetischen Faktoren, sondern auch auf die unterschiedlichen Umwelteinflüsse näher eingegangen wird. In Anlehnung an Petermann (1997) möchte ich sein Modell der Risiko- und Schutzfaktoren bei erwachsenen Kindern alkoholabhängigen Eltern näher erläutern. Im letzten Kapitel werden mögliche Hilfen und Therapieformen für Kinder aus alkoholbelasteten Familien kurz dargestellt. Nicht nur Gruppentherapien, sondern auch Einzeltherapien werden genannt. In einer Zusammenfassung der vollständigen Arbeit möchte ich die wichtigsten Punkte noch einmal kurz zum Ausdruck bringen.

1. Grundlegende Begriffsbestimmung

1.1 Allgemeine Definition von stoffgebundener Abhängigkeit

Die Begriffe Sucht und Abhängigkeit werden synonym angewendet. Sucht ist ein veralteter Begriff und wird eigentlich nur noch in der Umgangssprache benutzt. 1964 ersetzte die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization à WHO) „Sucht“ durch „Abhängigkeit“, da der Begriff „Sucht“ medizinisch zu ungenau ist und zu weit gefächert (z.B. Eifersucht, Spielsucht, Schwindsucht, Gelbsucht).

Abhängigkeit ist in der Medizin und klinischen Psychologie definiert durch das Angewiesen sein auf bestimmte Substanzen oder Verhaltensweisen, welche kurzfristig einen befriedigenden Zustand erzielen.

Oftmals muss im Laufe der Zeit die Dosis gesteigert werden, um diesen Zustand zu erlangen.

Abhängigkeit wird von der WHO als Krankheit eingestuft und nicht als Willen- oder Charakterschwäche. Sie definiert Abhängigkeit als „einen seelischen, eventuell auch körperlichen Zustand, der dadurch charakterisiert ist, dass ein dringendes Verlangen oder unbezwingbares Bedürfnis besteht, sich die entsprechende Substanz fortgesetzt und periodisch zuzuführen.“

Stoffgebundene Abhängigkeiten werden in körperliche (z.B. Alkohol, Nikotin, Heroin...) und psychische (Cannabis, Kokain...) Abhängigkeiten unterteilt (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sucht).

1.2 Das Suchtmittel Alkohol

1.2.1 Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit

Der Begriff Alkoholmissbrauch bedeutet falscher, schädigender Gebrauch von Alkohol, bestimmt von den jeweiligen sozio-kulturellen Normen. Dieser Begriff ist sehr unscharf, da er sich auf Menge, Ort, Zeit und Person beziehen kann und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich definiert wird.

In dem weltweit verbreiteten Klassifikationsschema DSM-IV wird für die Diagnose des Missbrauchs von Alkohol (DSM-IV 305.00) das Vorhandensein von mindestens einem der folgenden Kriterien innerhalb desselben 12-Monat-Zeitraums verlangt:

- wiederholter Alkoholkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt
- wiederholter Alkoholkonsum in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z.B. Alkohol am Steuer oder das Bedienen von Maschinen unter Alkoholeinfluss)
- wiederkehrende rechtliche Probleme in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum (Verhaftungen aufgrund ungebührlichen Betragens in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum)
- fortgesetzter Alkoholkonsum trotz ständiger oder sich wiederholender sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen des Alkohols verursacht oder verstärkt werden

In dem zweiten, weltweit verbreiteten Klassifikationsschema ICD-10 wurde der frühere Begriff des Alkoholmissbrauchs aufgegeben und durch den Begriff des „schädlichen Gebrauchs“ ersetzt. Dieser beinhaltet als Folge des chronischen Alkoholkonsums eine körperliche oder psychische Störung (Feuerlein, Küfner, Soyka, 1998, S.8).

Zu den Symptomen des Alkoholmissbrauchs gehören auch Schwierigkeiten bei der Artikulation bzw. Koordination motorischer Funktionen, Verhaltensänderungen (Aggressivität, Depression, Enthemmung) und Gedächtnis-Störungen ("Filmriss"). Wird daraus ein zwanghaftes Bedürfnis, Alkohol zu konsumieren, liegt eine – psychische und/oder physische – Abhängigkeit vor.

Während sich die physische Abhängigkeit durch Entzugserscheinungen nach Abstinenzepisoden zeigt, charakterisiert sich die psychische Abhängigkeit durch das zwingende Verlangen nach weiterem Alkoholkonsum, um die eigene Stimmung zu verbessern, Ängste zu betäuben, Hemmungen abzubauen oder seine Probleme zu vergessen. Beide Abhängigkeitsformen stehen in der Regel bei einem Alkoholkranken in engem Zusammenhang (vgl. Schmidt, 1986, S. 23).

Alkoholabhängigkeit, früher auch „Trunksucht” oder „Alkoholsucht” genannt, ist eine Abhängigkeit von der psychoaktiven Substanz Ethanol. Die Beschaffung und der Konsum von Alkohol können zum Lebensmittelpunkt werden, um den sich alles dreht. Typische Symptome sind der Zwang zum Konsum, fortschreitender Kontrollverlust, Vernachlässigung früherer Interessen zugunsten des Trinkens, Leugnen des Suchtverhaltens, Entzugserscheinungen bei Konsumreduktion, Nachweis einer Toleranz gegenüber Alkohol (Trinkfestigkeit), sowie der Veränderung der Persönlichkeit (Wikipedia, Alkoholabhängigkei t).

In der heutigen Beratungsliteratur wird weitgehend auf den in der wissenschaftlichen Literatur verwendeten Ausdruck „Alkoholismus“ verzichtet, um den Krankheitswert der Abhängigkeit zu betonen, und somit auch um Hemmungen, die an einen Arztbesuch gekoppelt sind abzubauen.

Frauen sind auch heute noch weniger von Alkoholabhängigkeit betroffen als Männer. Von weit über 4,3 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland sind nur ca. 30 % weiblichen Geschlechts, Tendenz jedoch steigend. Auch beginnt der Krankheitsverlauf bei Frauen in der Regel erst im mittleren Lebensalter, bei Männern jedoch sind meist schon in der frühen Jugend erste Zeichen eines schädlichen Trinkverhaltens erkennbar (a.a.O.).

Das ICD-10 klassifiziert Alkohol in der Kategorie F10 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol”.

- F10.0 Akute Intoxikation (akuter Rausch)

Zustand nach Alkoholaufnahme mit Störung der Bewusstseinslage, die in direktem Zusammenhang mit der akuten pharmakologischen Wirkung steht und bis zur vollständigen Wiederherstellung mit der Zeit abnimmt, ausgenommen Fälle, bei denen Gewebeschädigungen oder andere Komplikationen (Delir, Koma, etc.) auftreten.

- F10.1 Schädlicher Gebrauch

Alkoholkonsum, der zur Gesundheitsschädigung führt (z.B. depressive Episoden nach massivem Alkoholkonsum).

- F 10.2 Abhängigkeitssyndrom

Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Konsum entwickeln. Starkes Verlangen nach Alkohol, Schwierigkeiten der Konsumkontrolle, Toleranzentwicklung.

- F10.3 Entzugssyndrom

Gruppe von Symptomen unterschiedlicher Art und Schwere beim Alkoholentzug mit zeitlich begrenzter Dauer.

- F10.4 Entzugssymptom mit Delirium

Delirium tremens

- F10.5 Psychotische Störung

Halluzinogene Wahrnehmungsstörungen, psychomotorische Störungen (Alkoholhalluzinose, Alkoholische Paranoia, Alkoholpsychose).

- F10.6 Amnestisches Syndrom

Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und des Zeitgefühls. Lernschwierigkeiten und Konfabulation. Korsakow-Syndrom.

- F10.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung

Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten, der Persönlichkeit und des Verhaltens die über den Zeitraum der Substanzeinwirkung hinausgehen (z.B. Alkoholdemenz).

- F10.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
- F10.9 Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörungen

(Alkohol-Lexikon, ICD-10).

Für die Diagnose der Alkoholabhängigkeit (F10.2) wird in der Regel ein Katalog von 6 Kriterien (WHO 97) herangezogen.

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge des Alkoholkonsums
3. Ein körperliches Entzugssyndrom
4. Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrige Dosen hervorgerufene Wirkung zu erreichen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu schweren Beeinträchtigungen oder gar zum Tode führten
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen und Interessen
6. Anhaltender Alkoholkonsum trotz Nachweis eindeutiger schädlicher Folgen

Die Diagnose „Abhängigkeit“ trifft nur zu, wenn mindestens 3 der genannten Kriterien erfüllt sind. Statistisch gehäuft treten dabei eine verminderte Kontrollfähigkeit und Toleranzentwicklung in Erscheinung (vgl. Feuerlein, Küfner, Soyka, 1998, S.9).

1.2.2 Zum Krankheitsbild des Alkoholismus

Alkohol besitzt durch seine unbeschränkte und vor allem legale Verfügbarkeit ein besonderes Gefährdungspotenzial. Er kann eine schwere körperliche und/oder psychische Abhängigkeit verursachen, die erhebliche gesundheitliche Schäden zur Folge hat.

Alkoholismus entsteht nicht innerhalb eines kurzen Zeitraumes sondern ist charakterisiert durch einen langen Krankheitsverlauf, unterteilt in unterschiedliche Stadien, auf die ich im weiteren Verlauf näher eingehen möchte. Alkoholismus entsteht dann, wenn langfristiger hoher Alkoholkonsum und eine individuell genetische Disposition aufeinander wirken.

Seit 1968 gilt Alkoholismus als Krankheit, wobei die Behandlung und Therapie jedoch erst seit 1978 in die Zuständigkeit der Krankenkassen und der Rentenversicherung fällt (http://www.optiserver.de/dhs/substanzen_alkohol.html).

Im Folgenden möchte ich kurz auf die medizinischen Risiken und Folgeschäden chronischen Alkoholkonsums eingehen.

Akute Risiken ergeben sich vor allem aus der Verminderung der Konzentrationsfähigkeit, der Reaktionszeit, der Wahrnehmung und der Urteilskraft. Bereits bei geringen Alkoholmengen ergibt sich eine erhöhte Unfallgefahr, vor allem im Straßenverkehr. Darüber hinaus kommt es infolge erhöhten Alkoholkonsums häufig zu sozialen Problemen durch Aggression und Gewalt. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2006, S. 71, wurden im vergangenen Jahr fast drei von zehn aufgeklärten Gewaltdelikten von Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss begangen (http://www.bka.de/pks/pks2006/p_2_2_3.pdf).

Grafik 1

Abbildung 1: Täterkriterien beim aufgeklärten Fall: Alkoholeinfluss 1997 (aus 16)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Michael Soyka, 2001, A 2733)

Neben diesen akuten Risiken steigert vor allem regelmäßig erhöhter Alkoholkonsum das Risiko zahlreicher schwerwiegender gesundheitlicher Folgeschäden wie z.B. Zellschädigungen, Veränderungen der Leber (Fettleber, Leberentzündung, Leberzirrhose), der Bauchspeicheldrüse, des Herzens sowie des zentralen und peripheren Nervensystems und der Muskulatur. Desweiteren besteht bei langfristigem massivem Alkoholkonsum ein erhöhtes Krebsrisiko. Die Alkoholkrankheit verläuft nicht selten tödlich, wenngleich die direkten Todesursachen meist durch die Folgekrankheiten (Leberzirrhose und multiple Organschädigungen, Herzinfarkt, Epilepsie) bedingt sind.

Ebenso besteht die Möglichkeit psychischer Beeinträchtigungen, die sich beispielsweise in Angstzuständen, Stimmungsschwankungen, mangelndes Selbstbewusstsein, Verzweiflung, Aggression und Depressionen bis hin zu einer Suizidgefährdung bemerkbar machen können.

Eine abrupte Abstinenz kann gefährliche Entzugserscheinungen zur Folge haben. Diese äußern sich durch Krampfanfälle bis hin zum Delirium tremens. Dieses ist charakterisiert durch Orientierungsverlust und eine Bewusstseinsstörung, die häufig von beängstigenden Wahnvorstellungen begleitet wird. Hinzu kommen meistens erhöhter Puls und Blutdruck, Übelkeit und Erbrechen, starkes Schwitzen, innere Unruhe, Panik- und Angstzustände (vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., 2005).

Ein chronischer Alkoholkonsum zieht nicht nur körperliche und psychische Folgen mit sich, sondern vor allem die sozialen Veränderungen spielen eine gewichtige Rolle. Der Verlust des Arbeitsplatzes und das Scheitern der Ehe sind nur zwei von vielen sozialen Folgen, die durch eine Alkoholkrankheit entstehen können. Ca. acht Prozent der Erwerbstätigen trinken täglich während der Arbeit Alkohol, vier bis sieben Prozent aller Berufstätigen sind alkoholabhängig. Die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Bayern veröffentlichte 1997 folgende Zahlen (http://www.gesundheitsamt.de/alle/sucht/stoffe/alkohol/betrieb.htm):

- Alkoholkranke fehlen 16 mal häufiger am Arbeitsplatz
- sie sind 2,5 mal häufiger krank
- und fehlen 1,4 mal länger nach Unfällen

Häufige Krankheitstage, sowie die durch Alkoholkonsum verminderte psychische und kognitive Leistungsfähigkeit, die Abnahme der Lernbereitschaft, die verschlechterte motorische Geschicklichkeit und die Verlangsamung des Reaktionsvermögens führen meist zu Kündigung und Arbeitslosigkeit. Auch Persönlichkeitsveränderungen wie Unzuverlässigkeit, mangelnde Sorgfalt, Selbstüberschätzung, Aggressivität, Gleichgültigkeit und Gereiztheit tragen zu einem schlechten Betriebsklima und Auseinandersetzungen mit dem Vorgesetzten und den Kollegen bei.

Viele alkoholabhängige Menschen versuchen ihre Krankheit dennoch am Arbeitsplatz durch ein überangepasstes Verhalten zu verheimlichen, was jedoch nicht funktioniert, da nach und nach die oben genannten Symptome überhand nehmen (vgl. Soyka, 2001, A2735).

In den meisten Fällen entstehen soziale Konflikte im Bekannten- und Verwandtenkreis, da die meisten alkoholabhängigen Menschen die gut gemeinten Ratschläge und Hilfezuwendungen Angehöriger und Freunde falsch interpretieren und mit Aggression und Ablehnung reagieren bzw. sich zurück ziehen. Die Fähigkeit zu echter Kommunikation nimmt ab und mit zunehmender Verschlechterung des Zustandes verliert der Alkoholkranke immer mehr das Interesse an seiner Umwelt. Auf Dauer distanzierte er sich in den meisten Fällen von seiner Familie, vom Partner, Freunden und Kollegen. Familiäre Probleme werden nicht mehr bewältigt, sondern im Alkohol "ertränkt". Versprechen werden nicht mehr eingehalten und er versucht zunehmend Ausreden für seine Krankheit zu finden. Somit verliert der Alkoholabhängige immer mehr seine Glaubwürdigkeit (Soyka, 2001, A2734).

Oftmals verändert sich auch das äußere Erscheinungsbild des Alkoholkranken. Mangelnde Körperhygiene und eine Vernachlässigung bei der Kleidung können mögliche Folgen der Alkoholsucht sein. Nicht selten treten Schweißausbrüche und ein unangenehmer Körpergeruch auf.

Viele Alkoholiker bagatellisieren ihre Alkoholmenge, verstecken ihren Vorrat an alkoholischen Getränken, bzw. trinken heimlich. Sie wollen partout nicht auffallen. In den meisten Fällen wissen sie um ihren schädlichen Alkoholkonsum und versuchen diesen einzuschränken oder nur noch zu bestimmten Trinkzeiten und –ritualen Alkohol zu konsumieren. Ohne Hilfe jedoch gelingt es ihnen nicht mehr kontrolliert zu trinken. Eine völlige Alkohol-Abstinenz ist unabdingbar erforderlich um ein gutes Behandlungsergebnis bei stark abhängigen Patienten zu erreichen (vgl. Sobell u. Sobell, 1995 zit. in Feuerlein, Küfner, Soyka, 1998, S. 242).

1.2.3 Alkoholismus als Familienkrankheit

Die Alkoholkrankheit stellt nicht nur ein Problem für den direkt Betroffenen dar, sondern gleichermaßen für die ganze Familie. Sie leidet mit und muss mit den einzelnen Phasen des Abhängigen umgehen. Vieles wird getan um den Alkoholkonsum des Partners, der Mutter oder des Vaters einzuschränken oder gar zu verhindern. Flehen, schimpfen, drohen, mittrinken, den Alkohol wegschütten – alles Methoden, die dem Abhängigen nicht wirklich helfen seinen Alkoholkonsum einzustellen.

Das Thema Alkohol bestimmt das gesamte Denken, Handeln und Fühlen der kompletten Familie. Dabei erlebt sie immer wieder eine starke Schwankung zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Die Krankheit verändert die Struktur und den gewohnten Alltagsablauf einer Familie erheblich. Die Familie leidet mit darunter, dass Freunde, Verwandte und Bekannte die Auswirkungen des Alkoholismus nicht weiter tolerieren und den Betroffenen und seine Familie meiden (vgl. Zobel, 2000, S. 24 ff).

Umgangssprachlich heißt es oft, dass Alkoholismus „in der Familie liegt“. Untersuchungen belegen, dass bei einem alkoholabhängigen Menschen meist schon in der früheren Generation Alkoholismus aufgetreten ist und auch in der nächsten Generation mit höchster Wahrscheinlichkeit auftreten wird.

Cotton (zit. in Feuerlein, Küfner, Soyka, 1998, S. 58) fand 1979 heraus, dass bei ca. 27 % der Alkoholiker der Vater ebenfalls alkoholabhängig war, bei ca. 5 % lag eine Alkoholkrankheit der Mutter vor, bei 31 % waren beide Elternteile Alkoholiker.

25% bis 30% aller Kinder aus suchtbelasteten Familien werden selbst wieder suchtkrank werden, wenn ihnen nicht frühzeitig geholfen werden kann (RIAS, 1998).

Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich detailierter auf diese Thematik eingehen.

1.2.4 Co-Abhängigkeit

Der Zusammenhang zwischen Aufrechterhaltung der Alkoholkrankheit des Betroffenen und des Ehepartners wurde seit langem untersucht, in den letzten Jahren hauptsächlich unter dem Begriff der Co-Abhängigkeit. Darunter versteht man zwanghafte Verhaltensweisen des Partners oder andere dem Alkoholabhängigen nahe stehenden Personen, mit denen das Suchtverhalten unterstützt und aufrecht erhalten wird. Der Co-Abhängige nimmt den Betroffenen die Eigenverantwortung für die Abhängigkeit ab und unterstützt ihn in seiner Selbsttäuschung. Es handelt sich dabei meist um eine unbewusste Handlung, wobei die Person jedoch zum Erhalt der Krankheit beiträgt und somit zum Teilhaber wird. Oftmals ist es der Partner, der den Betroffenen im sozialen Umfeld rechtfertigt, ihn beschützt und somit eine falsche Realität versucht vorzutäuschen (vgl. Feuerlein, Küfner, Soyka, 1998, S. 78).

Abbildung 2: Die Co-Abhängigen (LZG Bayern e.V., 2001, http://www.lzg-bayern.de/zis/online/leitfad/lfad_04.htm)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Als Folge dieses co-abhängigen Verhaltens geraten Co-Abhängige zunehmend selbst in Schwierigkeiten und benötigen, ohne die Gewissheit darüber zu haben, oft ebenso Hilfe wie der Alkoholkranke selbst. Dies ist mitunter darauf zurückzuführen, dass das psychische Wohlergehen der co-abhängigen Person mehr und mehr von einigen der oben beschriebenen Verhaltensweisen abhängt. So hat er z.B. Angst davor den Partner zu verletzen, ihm Schaden zuzufügen oder selbst an Persönlichkeitswert zu verlieren, wenn er das Verhalten des Partners nicht toleriert, entschuldigt oder rechtfertigt. Co-Abhängige verspüren das Gefühl nicht mehr mit diesen Verhaltensweisen aufhören zu können und geraten in einen weiteren Teufelskreis, denn je mehr der Betroffene Hilfe benötigt, um so mehr kümmert sich der Co-Abhängige um ihn, „deckt“ und versorgt ihn, und um so weiter verschlechtert sich die Situation, da dem Kranken damit nicht geholfen wird – im Gegenteil. Der co-abhängige Außenstehende verhindert somit eine Heilung und trägt zu einer Verlängerung der Krankheit bei. Er schützt ihn vor dem vollen Ausmaß der Krankheit und ihren Konsequenzen. Das Problem des Betroffenen wird zum Problem des Co-Abhängigen. Erst wenn der Alkoholabhängige keine haltgebenden Helfer mehr um sich hat und auf sich alleine gestellt ist wird er im Idealfall durch die verstärkte Angst und den erhöhten Leidensdruck spüren, dass es so nicht weiter gehen kann und er sich dringend professionelle Hilfe suchen muss (vgl. Burr, 1985, S.52). Er merkt nicht, dass er selbst ein Sucht-Verhalten zeigt und gerät selbst in eine Abhängigkeits-Krankheit hinein. Diese Menschen leiden meist unter einem mangelnden Selbstwertgefühl und versuchen durch die Rolle als Helfer ihr starkes Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen, indem sie versuchen den Betroffenen „zu retten“ à auch umgangssprachlich als Helfersyndrom bekannt. Im schlimmsten Fall kann es so weit gehen, das Co-Abhängige sich ohne den Suchtkranken als Nichts empfinden. Eine wechselseitige Beziehung entsteht: der eine kann ohne den anderen nicht mehr existieren, Abgrenzung wird unmöglich. Äußerlich wird allen vorgespielt, dass die Familie glücklich beisammen lebt.

[...]

Fin de l'extrait de 82 pages

Résumé des informations

Titre
Wenn Eltern trinken. Alkoholabhängigkeit in der Familie und ihre Auswirkungen auf die Kinder
Université
University of Applied Sciences Düsseldorf
Note
3
Auteur
Année
2007
Pages
82
N° de catalogue
V139036
ISBN (ebook)
9783640469680
ISBN (Livre)
9783640470006
Taille d'un fichier
1996 KB
Langue
allemand
Mots clés
Wenn, Eltern, Alkoholabhängigkeit, Familie, Unter, Fokussierung, Auswirkungen, Kinder
Citation du texte
Sandra Röches (Auteur), 2007, Wenn Eltern trinken. Alkoholabhängigkeit in der Familie und ihre Auswirkungen auf die Kinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139036

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