Terrorismuspolitik in Spanien

Der Strategiewechsel der Regierung Zapateros in der Terrorismuspolitik gegenüber der ETA und die Ursachen des Scheiterns dieser neuen Strategie


Bachelorarbeit, 2008

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Einleitung

Die Problematik des Terrorismus (lat. terror: „Furcht, Schrecken“)[1] ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts und nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 in New York, USA aktueller den je. Jedoch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Geschichte dieser „Taktik des Schreckens“ wesentlich älter und weitreichender ist. Von der Französischer Revolution über die Gruppe der Narodniki in Rußland, bis hin zur RAF in Deutschland oder die IRA in Nordirland haben sich Gruppen des Terrors bedient, um die Realisierung ihrer Ziele voranzutreiben.

Der Terrorismus stellt somit eine besondere Strategie zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele dar, die mit Attentaten, Morden und Entführungen und anderen staatsfeindlichen Gewaltmitteln einhergeht und daher auch eine besondere Strategie der Bekämpfung benötigt.

Ein häufiges Erscheinungsbild des Terrorismus ist der ethnisch-nationalistisch motivierte Terrorismus von Völkern oder ethnischen Minderheiten mit dem Ziel der Autonomie oder der Gründung eines eigenen Staates aufgrund von historisch gewachsener Besonderheit und kulturellem Überlebenswillen. Ein europäisches Beispiel hierfür ist die ETA, eine Organisation die 1959 im Baskenland als Ausdruck des Widerstandes gegen die Unterdrückung der Basken durch das Franco-Regime gegründet wurde.

Was bedeutet „Baskentum“? Was sind die Ziele der ETA und welcher Strategien bedienten sich die spanischen Regierungen und im besonderen die Regierung Rodrigez Zapateros um den Terror zu bekämpfen und den baskischen Konflikt zu lösen?

Diese Bachelorarbeit soll einen Einblick in Beantwortung dieser Fragen geben und so herausstellen, welche Gründe für die Veränderung des Vorgehens gegenüber der Eta mit der Machtübernahme Zapateros vorlagen und warum diese Politik der Gespräche und Kompromisse letztendlich scheiterte.

Die Grundlage dieses Textes bildet vor allem die Auswertung von Zeitungsartikeln, Interviews und Fernsehberichten, Bevölkerungsumfragen, politischen Statuten und Kommuniques, Jahresberichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen und Sekundärliteratur.

Hauptteil

1. Der Begriff des Terrorismus

Der Begriff des Terrorismus ist umstritten und nicht eindeutig zu klassifizieren. Die Grenze zwischen anerkanntem Freiheitskampf einer Gruppe für ein unterdrücktes Volk und verurteiltem Terrorismus ist fließend. Gruppierungen, die von der Gesellschaft zu Beginn ihrer Existenz als einziger Widerstand gegen ein Unrechtsregime Zuspruch erhalten haben, können bei Veränderung der politischen Lage oder auch ihrer eigenen Prioritäten als Bedrohung empfunden werden. Daher ist eine weitreichende Untersuchung der Hintergründe der Gewalt, unter Beachtung aller historischen, politischen und kulturellen Gegebenheiten ein erster wichtiger Schritt, um eine solide Grundlage zur Lösung des Konfliktes zu schaffen.

Das Politik-Lexikon von Holtmann definiert Terrorismus wie folgt:

„Terrorismus ist politisch motivierte Gewaltkriminalität (insbes. Mord, Flugzeugentführung, Geiselnahme) mit revolutionärem bzw. extremistischen Motivhintergrund“[2]

Die Definition des deutsche Soziologen und Terrorismusexperten Peter Waldmann greift auch die Ziele der Terroristen auf: „Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.“[3]

Terroristische Gruppen streben also nach Veränderung. Diese kann, je nach Erscheinungsbild sozialrevolutionärer, ethnisch-nationalistischer, religiöser oder konservativer Natur sein. Jedoch erobern sie Gebiete nicht militärisch, sie stellen keine Armeen auf, um eigenes oder feindliches Territorium zu besetzen. Die gewünschten Veränderungen sollen mit der Verbreitung der Ideologie der Terroristen einhergehen und so den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung schaffen, um den politischen Wandel zu erzwingen.

Terrorismus ist eine Strategie der Gewalt. Mit Hilfe der weltumspannenden Medien wird sie dabei immer mehr zu einer „Kommunikationsstrategie“[4], die vor allem an die demokratischen Staaten der „Ersten Welt“ gerichtet ist. Das Gewaltmonopol liegt dort in staatlichen Händen und schockierende Gewalt ist nicht alltäglich. Gruppen, die sich des Terrors bedienen, nutzen diese Tatsache um medienwirksam Furcht und Schrecken zu verbreiten und den Staat zu einer möglichst starken Reaktion zu bewegen.

Der Kampf einer Nation oder eines Staatenbundes gegen Terrorismus ist geprägt von einem Ungleichgewicht der Kräfte und Mittel. Bei der Auseinandersetzung zwischen zwei ebenbürtigen Staaten können verschiedene Regelwerke greifen. Im voraus erfolgt eine Kriegserklärung, es folgt der Aufmarsch der Truppen, verschiedene Internationale Bündnisse (NATO, UNO) können einbezogen werden. Es existieren die Haager Landkriegsordnung und die Genver Konventionen, die den Krieg in „humanere“ Bahnen lenken und ihn im besten Fall zu einer „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“[5] machen sollen.

Terroristen jedoch verfügen nicht über einen Staat oder ein Heer. Sie können einer Nation weder offiziell den Krieg erklären, noch Diplomaten als Interessenvertretung an internationale Organisationen versenden. Aus diesem Grund ist ihr Kampf auch immer eine „Verlegenheitsstrategie“[6], welche mit wenigen Ressourcen den größtmöglichen Effekt zu erreichen versucht. Der terroristische Kampf entzieht sich ganz bewußt allen Prinzipien der Kriegsordnung und der Menschenrechte und setzt gezielt die psychischen Folgen von Gewalt und Zerstörung als Kriegsmittel ein. Die Feinde werden nicht einfach nur „beseitigt“, ihr Tod wird in grausamen öffentlichen Mordaktionen Mittel zum Zweck. Anders als in herkömmlichen Kriegen, in denen Mord und Zerstörung Begleiterscheinungen sind, wird ihr Sterben instrumentalisiert und somit selbst zur Hauptwaffe in der Kriegsführung. Im Gegensatz zu einem Freiheitskämpfer, nimmt der Terrorist den Tod unbeteiligter Zivilisten nicht nur billigend in Kauf, sondern bedient sich gerade an dem dadurch ausgelösten Schrecken. Um ihren Kampf zu rechtfertigen sind terroristische Gruppierungen daher vor allem bemüht, das Feindbild entsprechend auszudehnen. So propagieren islamischen Fundamentalisten die Schuld aller Ungläubigen und die Gruppen der ETA die Baskenfeindlichkeit aller Konstitutionalisten.

Sieht sich ein Staat einer Bedrohung durch Terroristen ausgesetzt, ist es Aufgabe der Regierung einen individuellen Plan zu entwickeln, um der Gefahr gegenüberzutreten. Besonders im Falle von ethnisch-nationalen Terrorismus gestaltet sich dies oft schwierig, da die Gewalt von einem Teil der eigenen Bevölkerung ausgeht, die unter Berufung auf historisch gewachsener Besonderheit und ethnischer Andersartigkeit um Autonomie oder gar um Abspaltung kämpfen. Die Lösung des Problems kann in einem solchen Fall nicht durch Unterdrückungspolitik und Leugnung des politischen Problems herbeigeführt werden. Sie erfordert Fingerspitzengefühl der Politiker, Einbeziehung aller historischen Umstände und Ursachen und Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten.

2. Die ETA – ethnischer Terrorismus im Kampf gegen die Diktatur

Der Kampf der spanischen Regierungen gegen die baskische Terrororganisation ETA (Euskadi Ta´Askatasuna – Baskenland und dessen Freiheit) zeigt seit Jahrzehnten eindrucksvoll, welche Schwierigkeiten die verschiedenen Lösungskonzepte mit sich bringen und wie viele Faktoren es beim Versuch der Entschärfung des Konfliktes zu beachten gilt.

Das Baskenland (eus: Euskal Herria oder Euskadi; es: Comunidad Autónoma del País Vasco) hat 2,1 Mio. Einwohner und ist mit einer Fläche von 7.261 km2 etwa dreimal so groß wie das Saarland. Es setzt sich aus den Provinzen Gipuzkoa, Bizkaya und Araba zusammen, wobei historisch-kulturell die autonome Gemeinschaft Navarra und die französisch-baskischen Provinzen ebenfalls ein Teil des Landes darstellen.[7]

Der Ursprung des baskischen Konfliktes ist im beginnenden 19. Jahrhundert zu verorten. In den drei aufeinanderfolgenden Carlistenkriegen (1833-1876) stand das Baskenland auf der Seite der monarchischen Carlisten, da es in der Monarchie und der damit einhergehenden Inquisition über weitreichende autonome Sonderrechte, den fueros verfügt hatte.

Schon nach dem ersten Carlistenkrieg, in dem die liberalen Truppen unter der Regentin María Christina von Sizilien die Oberhand behielten, verlor das baskische Volk einen bedeutenden Teil dieser Rechte. Es behielt lediglich die Steuer- und Zollhoheit und war weiterhin vom spanischen Militärdienst ausgeschlossen. Diese Vorteile wurden jedoch nach der Niederlage im letzten der drei Kriege von der spanischen Regierung endgültig beseitigt und so verfügte die baskische Provinz nun nur noch über einen Steuervorteil, der erlaubte, eigene Steuern zu erheben und an Madrid lediglich eine Pauschale zu entrichten.

Der Verlust der fueros und die Herabsetzung des Baskenlandes zu einer Provinz Spaniens verursachten ein starkes Bedrohungs- und Unsicherheitsgefühl unter der baskischen Bevölkerung, die sich bald wie Menschen zweiter Klasse in ihrem eigenen Land fühlten. Diese Identitätskrise wurde mit dem Beginn der Industrialisierung und der damit einhergehenden Aufweichung der traditionellen Gesellschaftsstrukturen noch intensiviert. Denn aufgrund der Modernisierung, des verstärkten Zuzugs von Fremdarbeitern und der sozioökonomischen Veränderungen durch den einsetzenden Kapitalismus verstärkte sich zunehmend das Gefühl von Überfremdung und Identitätsverlust.

„Weder den Kelten, noch den Phönikern, noch den Griechen, Römern, Goten, Arabern und Spaniern gelang es, das goldene baskische Zeitalter zu beenden. Sie kannten weder Sklaverei noch Feudalismus, sondern waren alle Ritter. Ihre Eintracht und die von ihnen errichtete Demokratie hielten so lange an, bis sie in den Carlistischen Kriegen von den Spaniern besiegt wurden. Damit kam das Böse nach Euzkadi in Gestalt des ausbeuterischen, verderblichen, spanischen Kapitalismus“[8]

Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der baskische Schriftsteller und Politiker Sabino Arana Goiri zu stärkerem baskischen Bewußtsein aufgerufen und so den Beginn des radikalen baskischen Nationalismus eingeläutet. Um der neuen Nationalbewegung den nötigen Ausdruck zu verleihen und das Baskenland vom restlichen Spanien abzugrenzen, schuf er den Namen Euzkadi und die Nationalhymne Gora Ta Gora, entwarf die baskische Flagge Ikurriña und gründete am 31. Juli 1985 die baskische Partei Partido Nacionál Vasco (Baskische Nationalpartei – PNV), um dem Wunsch nach Unabhängigkeit auch eine politische Stimme zu geben.[9]

Angesichts dessen stimmte die spanische Regierung einem weitreichenden Autonomiestatut und der Schaffung einer autonomen baskischen Regierung zu, welche von der PNV unter dem Vorsitz von José Antonio de Aguirre geleitet wurde.

All dies führte am Anfang des 20. Jahrhundert zu einer Annäherung der verfeindeten Parteien und veranlaßte die baskische Bevölkerung sich im beginnenden spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) auf die Seite der jungen Republik zu stellen.

Mit der Zerstörung Guernicas – einem Symbol der baskischen Identität - durch die Alliierten der Putschisten, dem Sieg Francos und der Errichtung einer Militärdiktatur wurden die Chancen für eine Lösung des Konflikts jedoch im Keim erstickt. Die baskische Regierung flüchtete ins Exil nach Paris und New York und die neue spanische Staatsmacht unter Diktator General Francisco Franco ging mit ihrer zentralistischen Einheitsstaatspolitik mit unbarmherziger Härte gegen jegliche Autonomiebestrebungen vor. Repressalien, wie das Verbot der baskischen Sprache, die Entfernung aller baskischen Mitarbeiter aus der öffentlichen Verwaltung, die Eindämmung der Wirtschaft durch die Erhebung unverhältnismäßiger Abgaben und bald auch zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen verbreiteten erneut Angst und Schrecken unter der baskischen Bevölkerung, die sich mehr und mehr aus dem politischen Leben zurückzog. Durch das erbarmungslose Vorgehen Francos wurde der baskische Nationalismus für Jahrzehnte in den Untergrund gedrängt, was eine verstärkte Radikalisierung zur Folge hatte.

Vor diesem Hintergrund gründete eine Gruppe junger Studenten der Jesuitenuniversität Bilbao am 31. Juli 1959 – auf den Tag genau 70 Jahre nach Entstehung der PNV - die Untergrundorganisation ETA. Ihre Kritik richtete sich vor allem an die Politik, welche sich ihrer Ansicht nach zu sehr mit Franco arrangiert hatte und sie wünschten sich mehr Unabhängigkeit des Baskenlandes nach dem Vorbild Sabino Aranas. Nach einem ersten Treffen in einem Kloster im französischen Ort Belloc im Jahr 1962 definierte sich die Gruppierung als „revolutionäre Untergrundorganisation mit nationalrevolutionärem und sozialistischem Charakter“[10] und begann ihren Kampf vor allem mit propagandistischen Aktionen und mit kleineren Anschlägen gegen besonders verhaßte Politiker. In weiten Teilen der Bevölkerung im Baskenland und in Spanien hatten die Mitglieder der ETA den Status einer Befreiungsguerilla, die an vorderster Front gegen das Joch der fraquistischen Diktatur ankämpfte. Bei den aufsehenerregenden Prozessen in Burgos im Jahr 1970, bei denen 16 Etarras für das Attentat auf den Polizeikommissar Melitón Manzanas Gonzáles verurteilt wurden, verhinderten Proteste und Streiks der Bevölkerung die Vollstreckung der Todesurteile, die gegen neun von ihnen verhängt worden waren. Das Regime mußte sich dem nationalen und auch internationalen Druck beugen und sie in lebenslängliche Haftstrafen umwandeln.

Das erfolgreichste Attentat der ETA war in den Augen der Oppositionellen der Mord an dem spanischen Ministerpräsidenten und designierten Franco-Nachfolger Luis Carrero Blanco[11], daß ihnen nicht nur die Sympathie der baskisch-nationalistischen Bevölkerung einbrachte, sondern auch unter den nicht-nationalistischen Franco-Gegnern seine Zustimmung fand. Vor allem dieses Attentat führte zu einer Schwächung der Franco-Herrschaft und ließ die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Diktatur aufkeimen. So konnten sich bekennende Etarras (Mitglieder der ETA) bis einige Jahre nach dem Tod Francos frei in Frankreich bewegen und nutzten das Land so als taktischen Rückzugsort.

Die ETA setzte ihre Taktik nach Beendigung der Diktatur und dem Einsetzen der Transición (Bezeichnung für den spanischen Übergang zur Demokratie) in unvermindertem Maße fort und wurde daher schon bald national wie auch international als Terrororganisation eingestuft.

Im Focus der Kritik standen vor allem die Entführungen und Attentate auf baskische Politiker der sozialistischen und konservativen Parteien und die Bedrohungen und Erpressungen von Unternehmern, die ein Zusammenleben im Baskenland unmöglich machten.

1974, ein Jahr vor Beginn der Transición spaltete sich die ETA aufgrund unüberwindbarer innerer Konflikte über das weitere Vorgehen in einen militärisch-nationalistischen und einen politisch-sozialistischen Arm. Daraus resultierten zwei Parteien: die Herri Batasuna , seit 2001 Batasuna (Volksunion - Akzeptanz von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen) und Euskadiko Ezkerra (Baskische Linke – Ablehnung von Gewalt).

Die junge spanische Demokratie amnestierte 1976/77 alle politischen Gefangenen und verabschiedete 1978 die Spanische Verfassung, die bis heute ein Streitpunkt zwischen den Basken und Zentralspanien ist, da sie im Wortlaut nur von „den Spaniern als ein Volk“ spricht und die Aufrechterhaltung der „territorialen Integrität

Spaniens“ festschreibt.[12]

Zur Festlegung der Autonomie des Baskenlandes entwarf die spanische Regierung 1979 in Gemeinschaft mit der PNV das Statut von Guernica, welches eine autonome baskische Regierung, eine eigene Polizei und Justiz, baskischen Schulunterricht und eine weitgehende Finanzautonomie garantierte[13]. Obwohl der militärische Arm der ETA und die Herri Batasuna das Statut nicht akzeptierten und zur Enthaltung aufriefen, wurde es mit großer Mehrheit in einem Volksentscheid im Baskenland angenommen.

Das unverändert gewalttätige Auftreten der ETA fand in den Jahren nach der Transición immer weniger Verständnis in der baskischen Bevölkerung. Vor allem der Übergang von selektiver Gewalt, die sich gegen ihre politischen Gegner richtete, hin zu der Ermordung unbeteiligter Zivilisten, brachte ihr in zunehmendem Maße Kritik und Verachtung ein. Die Basken, die die Organisation in Zeiten der Diktatur als wichtiges Instrument im Kampf gegen die Unterdrückung gesehen hatten, fühlten ihre Interessen nun immer weniger vertreten und lehnten die Gewalt zunehmend ab.

3. Die ETA - in vieler Hinsicht eine Bedrohung für die spanische Regierung

Die Abspaltung des Baskenlandes und die Umwandlung in einen souveränen Staat als erklärtes Ziel der ETA stellt für die Spanische Zentralregierung in mehrfacher Hinsicht ein Problem dar. Das Baskenland zeichnet sich durch eine starke Wirtschaftskraft aus und ist eine der reichsten Regionen Spaniens. Mit Erzeugnissen aus Wirtschaftssektoren wie Metallurgie, Erdölraffinerien, Luftfahrt- und Automobilindustrie und Energieherstellung liegt der BIP des Baskenlandes 10 Punkte über dem europäischen Durchschnitt. Industrie und Baugewerbe stellen 40,42 % des baskischen Bruttoinlandsprodukts. Ein Zehntel der Industrieproduktion und fast ein Zehntel des Exportvolumens Spaniens wird im Baskenland hergestellt. Damit erwirtschaften die Zwei Millionen Einwohner Euskadis fast sieben Prozent des gesamtspanischen Bruttoinlandprodukts[14]. Eine Abspaltung des Baskenlandes von Zentralspanien würde unweigerlich den stärkeren Wunsch nach Souveränität seitens der anderen Autonomien, wie Katalonien oder den Canarischen Inseln nach sich ziehen. Der Verlust des Baskenlandes und dieser vom Tourismus lebenden Landesteile wäre untragbar für die wirtschaftlich schwachen, seit Jahrzehnten von Dürre geplagten wüstenartigen Regionen Zentralspaniens. Der Erhalt des zentralistischen Gewaltmonopols und des politisch-wirtschaftlichen Einflusses ist ein entscheidender Punkt in der Geschichte der spanischen Innenpolitik. Die Strategien zur Bekämpfung des Terrors und zur Lösung des Konflikts waren und sind daher Wahlprogramm aller Regierungen seit der Transición. Die Bevölkerung Spaniens erwartet ein Ende der ständigen Bedrohung gegen Zivilisten und Repräsentanten der Politik. In einer gesamtspanischen Umfrage über die Ängste der Einwohner im Auftrag der spanischen Regierung steht die Angst vor dem ETA-Terrorismus mit 44,8 Prozent an zweiter Stelle gleich nach der Angst vor Arbeitslosigkeit (57,4 Prozent). 51,3 Prozent der Befragten meinen, die Bekämpfung dieses Terrors sei Aufgabe der Parteien.[15]

Eine starke ETA bedeutet für die Zentralregierung den Verlust der Wählersympathie und die Gefährdung wichtiger Wirtschaftssektoren.

Die 1980er Jahre sind als ein solcher Höhepunkt der ETA-Aktivitäten zu verzeichnen. Allein in dem Jahr 1980 kostete der Terrorismus 91 Menschen das Leben. Die enorme Zahl wird besonders deutlich, wenn man sie mit den 16 Opfern des letzten Jahres unter der Franco-Diktatur 1975 vergleicht.[16]

Dieser enorme Anstieg veranlaßte die spanische Regierung zu einer Doppelstrategie. Einerseits erklärte sie sich zu Verhandlungen mit der Terrororganisation bereit, andererseits bediente sie sich einigen widerrechtlichen Mitteln, um der Lage Herr zu werden. Eine davon waren die Grupos Antiterroristas de Liberación (Antiterroristische Befreihungsgruppen - GAL). Die GAL traten von 1983 bis 1986 als verdeckt agierende Kommandos auf. Mit terroristischen Methoden entführten und ermordeten sie 23 Menschen im Auftrag der Partido Socialista Obrero Español (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei - PSOE) unter dem Sozialisten Felipe Gonzáles und mit finanzieller Unterstützung des Innenministeriums. Ihre Opfer, welche sich zum Zeitpunkt ihrer Ergreifung größtenteils in Frankreich aufhielten, waren vermeintliche Mitglieder oder Sympathisanten der ETA, wie Santi Brouard, der damalige Führer der Herri Batasuna. Zum einen sollte mit diesen Maßnahmen Druck auf die im Kampf gegen den Terror unkooperative französische Regierung ausgeübt, zum anderen das strategische Rückzugsgebiet der ETA zerstört werden. Nach Bekanntwerden der Hintergründe und der Identifizierung der Verantwortlichen kam es zu einigen aufsehenerregenden Prozessen, in denen die Täter wegen Mordes angeklagt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.[17]

Dieser in Spanien als guerra sucia (Schmutziger Krieg) bekannte Kampf gegen den Terrorismus hat im wesentlichen zum Sturz der PSOE bei den Parlamentswahlen 1996 beigetragen.

Der GAL-Terror lehrte die Jugendlichen des Baskenlandes, die das Francoregime nicht miterlebt hatten, vor allem eines: Staatsterror ist unabhängig von der Form der Regierung. So hatten die Sozialisten ungewollt dazu beigetragen, daß sich eine weitere Generation für die Ziele der ETA und deren Kampf begeistern konnte.

Die Antwort der Terroristen auf den guerra sucia war unter anderem ein Bombenanschlag auf einen „Hipercor“ Supermarkt in einem Arbeiterviertel von Barcelona am 19. Juni 1987. Dabei starben 18 vollkommen unbeteiligte Zivilisten[18], wodurch die neue Strategie der ETA - weg von gezielten Morden bestimmter Vertreter aus Polizei, Militär und Justiz hin zur willkürlichen Ermordung unschuldiger Zivilisten - offensichtlich wurde.

Diese Beispiele zeigen eindrücklich, welche Bedeutung vor allem die Aufgabe der spanischen Regierung zukommt, nach einer Lösung im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten zu suchen. Der Rechtsstaat Spanien darf sich nicht den terroristischen Methoden seiner Gegner bedienen, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren will. Dies ist vor allem der Fall, da es sich um ethnisch-nationalen Terrorismus handelt, der – ähnlich wie im Bürgerkrieg – den Kampf gegen Teile des eigenen Volkes nötig macht.

Weder der Antiterrorkampf der „Harten Hand“ noch der Versuch der Verhandlungen mit den Terroristen brachten bisher ein zufriedenstellendes Ergebnis im Kampf gegen die ETA. Ein hartes Vorgehen gegen die Gruppe sichert dieser einen stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung des Baskenlandes, die im Zuge der Repressalien auch den baskischen Nationalismus gefährdet sieht. Zusätzlich fallen die gewaltreichen „Antworten“ der Organisation um so stärker aus. Auch eine phasenweise Annäherung durch Verhandlungen und Zugeständnisse wie der Gefangenenverlagerung führten bisher nie zu Kompromissen oder einer Verbesserung der Lage. Im Gegenteil: erklärte Waffenruhen zogen immer neue verstärkte Gewaltwellen nach sich, was den Eindruck erweckt, die ETA nutze solche strategischen Friedensphasen zur Reorganisation und Aufstockung der Waffenarsenale.

Hinzu kommt das Fehlen einer strikten Trennung des politischen und militärischen Arms des baskischen Nationalismus. Während der militärische Arm (ETA und die Batasuna) ihre Ziele mit Gewalt und Terror zu erreichen versucht, bemühen sich gemäßigte baskische Parteien, wie die PNV unter Ministerpräsident Ibarretxe um eine politische und friedliche Lösung des Konflikts. Die gescheiterten Friedensgespräche führten jedoch zu zunehmender Resignation und Mißtrauen gegenüber Friedensplänen von baskischer Seite. So wurde der von der PNV ausgearbeitete Ibarretxe-Plan[19] mit 313 zu 29 Stimmen im spanischen Abgeordnetenhaus als nicht Verfassungskonform abgelehnt, ohne ihn an die eigentlich zuständige Kommission zum Verhandeln zu verweisen. Der Plan wurde am 25. Oktober 2003 vorgestellt und vom baskischen Parlament mit 39 zu 35 Stimmen mit absoluter Mehrheit angenommen. Er sah eine Änderung der spanischen Verfassung und die Erschaffung eines neuen Autonomiestatutes vor. Die Selbstbestimmungsrechte des Baskenlandes sollten gestärkt und durch eigene Abgeordnete im EU Parlament und Vertreter in Internationalen Organisationen auch international verankert werden. Nach Ansicht der baskischen Regierung war der Ibarretxe-Plan eine konstruktive Lösung für den politischen und bewaffneten Konflikt.[20]

4. Das Vorgehen Aznars nach seiner Machtübernahme

Nachdem die sozialistischen Regierung unter Felipe González durch eine Reihe von Korruptions- und Betrugsaffären und nicht zuletzt durch den GAL-Skandal in Mißkredit geraten war, wurde sie bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 12. März 1996 von der konservativen Partido Popular (Volkspartei – PP) unter Ministerpräsident José María Aznar López abgelöst, die mit Hilfe der Nationalistischen Parteien des Baskenlandes (PNV), Kataloniens (CiU) und der Canarischen Inseln (CC) mit 45,61 Prozent eine Minderheitenregierung bildete.[21] Der Jurist und ehemalige Steuerinspekteur Aznar blickte auf eine betont rechtskonservative Karriere zurück. Schon während seines Studiums hatte er sich der Studentenorganisation FES angeschlossen, die sich klar gegen einen Wandel zur Demokratie aussprach. Von 1982 bis 1987 war er Generalsekretär der rechtskonservativen Alianza Popular (Volksallianz - AP) und von 1987 bis 1989 Regierungschef von Kastilien-León. Am 19. April 1995 hatte er ein Bombenattentat der ETA überlebt, was sein starkes persönliches Interesse an der Zerschlagung der Organisation während seiner Regierungszeit erklärt.

[...]


[1] Der große Duden (1974): Fremdwörterbuch, Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag

[2] Holtmann, Everhard (2000): Terrorismus in Politik-Lexikon, Wien: Oldenbourg, S.684 ff

[3] Waldmann, Peter (2005): Terrorismus Provokation der Macht, Hamburg: Murmann Verlag GmbH, S.12

[4] Waldmann, Peter (2005): Terrorismus Provokation der Macht, Hamburg: Murmann Verlag GmbH, S.15

[5] Clausewitz, Carl von (1832): Vom Kriege, Bonn (1951): Dümmlers Verlag, S. 108

[6] Waldmann, Peter (2005): Terrorismus Provokation der Macht, Hamburg: Murmann Verlag GmbH, S.13

[7] Vgl: Bernecker, Walther/ Dirscherl, Klaus (2004): Spanien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Frankfurt/M.: Vervuert

[8] Juan Aranzadi (1981): Waldmann, Peter(1990): Militanter Nationalismus im Baskenland; Frankfurt a. M.: Vervuert , siehe auch: www.bastaya.org/actualidad/BastayaContra/LuisGdelCanuelo_DelBastaya.htm

[9] Vgl. Haubrich, Walter (1997): Spaniens schwieriger Weg in die Freiheit, Band 1-3, Berlin: ed. tranvía

[10] De Cortásar, F. G.; Gonzáles Vesga, J. M. (1993): Historia de España, Madrid: Alianza Editorial, S.A. S.78

[11] Am 20. Dezember 1973 explodierte die Bombe der ETA im Abwasserkanal unter dem Wagen Blancos. Das Auto wurde dabei 11 Meter senkrecht in die Höhe über eine Kirche hinweg und über das Dach eines fünfstöckigen Gebäudes geschleudert und landete im Innenhof auf dem Balkon des zweiten Stocks. Blanco trägt seitdem den Spitznamen „Erster spanischer Kosmonaut“

[12] Constitución de España (1976):Título VIII, Capítulo Tercero, Artículo 149/1/32

[13] Vgl.: Estatuto de la Comunidad Autónoma del País Vasco

[14] Vgl.: De Cortásar, F. G.; Gonzáles Vesga, J. M. (1993): Historia de España, Madrid: Alianza Editorial, S.A.

[15] Vgl.: CIS - Centro de Investigaciones Socilógicas CIS (2006): Situación Social y Política del País Vasco, Abril-Mayo 2006, Madrid: Latorre Literaria, S.A.

[16] Vgl.: El País (10.September 2007): ”¿Cuándo nos dejará ETA en paz?”, Madrid: Prisa, S.19

[17] Vgl.: El País (25.Mai 1998): El Final de los GAL (Beilage), Madrid: Prisa

[18] El País (18.Februar 2004): Más de 50 asesinatos de ETA en Cataluña, Madrid: Prisa, S.21

[19] offizielle Bezeichnung: Propuesta de Estatuto Político de la Comunidad de Euskadi (Vorschlag zu einem politischen Statut der Gemeinschaft des Baskenlandes)

[20] Vgl.: PNV, www.eaj-pnv.eu

[21] Vgl.: Ministerio del Interior, www.elecciones.mir.es/MIR/jsp/resultados/index.htm

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Terrorismuspolitik in Spanien
Untertitel
Der Strategiewechsel der Regierung Zapateros in der Terrorismuspolitik gegenüber der ETA und die Ursachen des Scheiterns dieser neuen Strategie
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Philosophische Fakultät III)
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
44
Katalognummer
V139528
ISBN (eBook)
9783640473977
ISBN (Buch)
9783640473618
Dateigröße
568 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Terrorismus, Terrorismuspolitik, Spanien, Aznar, Zapatero, Franco, ETA
Arbeit zitieren
B.A .Sozialwissenschaften Marie Trappiel (Autor:in), 2008, Terrorismuspolitik in Spanien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139528

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