Arbeit, Identität und Lebensführung – Die personale Resonanz neuer Arbeitskonzepte


Dossier / Travail, 2009

20 Pages, Note: 1,7


Extrait


Gliederung

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1 Arbeit und Akteur
2.2 Neue Techniken (NT)
2.3 Identität und Lebensführung

3. Industriearbeit
3.1 Transformation von Arbeitskraft in Arbeit
3.2 Blick zurück: Arbeit, Identität und Lebensführung - Teil 1

4. Theoretischer Hintergrund
4.1 System und Lebenswelt
4.2 Interaktion, Kolonialisierung und Mediatisierung

5. Hohe personale Resonanz - Arbeit, Identität und Lebensführung - Teil 2

6. Identitätskrisen
6.1 Arbeitslosigkeit (Wegbrechen)
6.2 Beispiel: Arbeitnehmerüberlassung (Austausch)

7. Zusammenfassung und Ausblick

Verwendete Literatur

1. Einleitung

Wirtschaftliche Produktionsstrategien und Arbeitsbedingungen sind seit den 1970er Jahren durch einen umgreifenden technischen Wandel gekennzeichnet. Dieser zeigt sich vorwiegend im Einsatz Neuer Techniken, der Arbeitsabläufe und -plätze ratio- nalisiert, Tätigkeitsstrukturen und Erwerbsbiographien von Arbeitnehmern verändert und "[e]in Arbeitsverständnis, das in erster Linie durch einen starken Rückbezug der Arbeit auf die eigene Person gekennzeichnet ist," (Jäger 1999, 139) betont.

Im Zentrum meiner Arbeit steht deshalb die Frage, welche Folgen der Wandel von Arbeitskonzepten auf die Identität und Lebensführung von Arbeitnehmern hat. Dabei soll bestimmt werden, wie der arbeitsgesellschaftliche Wandel in der Industriearbeit durch seine Veränderung des Verhältnisses von Organisation und Umwelt sichtbar, durch den Arbeitnehmer fassbar und in der Differenzierung von Tätigkeitsstrukturen und Sozialisationsformen reflektiert wird.

Im folgenden werde ich darum den Zusammenhang zwischen Arbeitssituation und Bewusstsein in der Kategorie der "Transformation von Arbeitskraft in Arbeit" (Min- ssen 2006, 19) skizzieren. Nach notwendigen Begriffsbestimmungen werfe ich einen Blick auf die Entwicklung "mechanisierter Produktion" (Mikl-Horke 2007, 37); Ziel soll sein, erste Eckpunkte des Dreiecks Arbeit, Identit ä t und Lebensf ü hrung - AIL - zu finden. Anschließend bilde ich einen von Habermas begründeten theoretischen Rahmen ab und grenze die Makroebene seiner Begriffskonstellationen - System und Lebenswelt - kurz auf zwei Spannungsfelder ein. Abschnitt fünf baut darauf auf und erläutert Entwicklungen im Verhältnis des AIL - Dreiecks. In Kapitel 6 gehe ich auf das Gefüge einer Identitäts- und Strukturfindung innerhalb der Kategorie Arbeits- losigkeit am Beispiel der Zeitarbeit ein. Ein Resümee, ein Blick auf den Arbeitskraft- unternehmer und der Ausblick auf einen eigenen Arbeitnehmertypus arbeitssoziolo- gischer Perspektive schließt meine Arbeit ab.

2. Begriffsbestimmungen

Nach SCHUBERT und KLEIN hat Arbeit die Funktion, "die zur Existenzsicherung notwendigen Mittel zu beschaffen" (2006, 21). Gleichzeitig aber betont BERMES, "daß das Subjekt der Arbeit nicht nur als Träger einer Arbeitsorganisation auftritt, sondern das Arbeiten als einen […] Handlungstyp versteht, vermittels dessen sich das Subjekt realisiert" (2008, 46). In den folgenden drei Abschnitten soll deshalb ein qualitativer Arbeitsbegriff gefunden, der Begriff Neue Techniken benannt und ein Bezugspunkt der Realisation beider (Identität) gefunden werden.

2.1 Arbeit und Akteur

Der Begriff der - menschlichen - Arbeit lässt sich über verschiedene Eckpunkte ein- grenzen. Die Kategorie des Handelns ist zum Beispiel auf die Verrichtung einer sich wiederholenden Tätigkeit ausgerichtet, bindet die Nutzung von Wissen oder initiiert Optimierungsbestrebungen.1 Arbeit soll danach als zweckgebunden, prozessorientiert und - in einem wirtschaftlichen Sinne - wertschöpfend gelten. Sie findet regelnd und geordnet in Organisationen statt und ist nach CONZE heute "durch den allgemein gültigen oder als gültig geforderten Grundsatz der sozialen Gleichheit sowie der technisch-ökonomischen Effizienz bestimmt" (2004, 215). Sie soll kein Ausgangs- punkt von Eigentum oder Reichtum eines Akteurs (Kocka 2001, 8) sein und nicht pa- thetisch verstanden werden 2; allerdings versteht sie sich als lebensnotwendiger Aus- druck menschlicher Strategien zur Bewältigung von Produktion und Erwerb.

Ihre positive Wertschätzung erfährt Arbeit durch den von BERMES betonten Zu- sammenhang zwischen Erwerb und Sinnstiftung. Die Abkehr von restriktiv angeleg- ten Arbeitsverhältnissen hin zu neuen Berufs- und Tätigkeitsstrukturen durchbricht die Schranken ausschließlicher ökonomischer Existenzsicherung. Dies bedeutet aller- dings auch, dass sich eine Entkopplung von Lohn und Arbeitsanforderungen bemerk- bar macht (Fuchs-Heinritz u.a. 2007, 51). Diese Anforderungen (zum Beispiel Ver- antwortung, Qualifikation) spiegeln sich im Verständnis des Akteurs von seiner "Ar- beitskraft" wider und fordern das Unternehmen und den Arbeitnehmer zur Organisa- tion von Maßnahmen auf, diese Arbeitskraft zu bestimmten Bedingungen (Arbeits- verträge, Gewerkschaftsmitgliedschaft) zu entäußern (vgl. Minssen 2006, 20 ff.).

2.2 Neue Techniken (NT)

Der Begriff Neue Techniken bezeichnet Möglichkeiten zur computergesteuerten Automatisierung von (Industrie-) Produktion, Verwaltung und Teilen der Privatsphäre (Kommunikationstechnologien). NT eröffnen neue Fertigungs-, Arbeits- und Lebensbedingungen und bilden damit die "Basis für eine grundlegende Verschränkung aller Teilbereiche der Arbeits- und Lebenswelt" (Jäger 1989, 16). Sie sind dem modernen Arbeitsverständnis immanent und in ihrer Form evolutionär.

2.3 Identität und Lebensführung

Ein wesentliches Merkmal des Normallebenslaufs ist "seine Dreiteilung und die Pri- orität der Erwerbsphase". Daneben sind Lebensplanung und Lebensführung heute "um das Erwerbssystem herum organisiert" (Burkart 2008, 540) und bilden dort die im folgenden zu beschreibende "tatsächliche Erfahrung des Ich in einer bestimmten sozialen Situation" (Berger/Berger/Kellner 1987, 69) ab.3 Wichtigster Bestandteil des Identitätsbegriffs ist das kommunikative Element, das soziale Vorgaben initiiert bzw. auf sie reagiert - auf die Arbeitswelt bezogen, bedeutet dies eine Vervielfältigung so- zialer Rollen und Rationalitäten.

In Anlehnung an JÄGER soll Identität deshalb in seiner zeitlichen und inhaltlichen Struktur "in der sozialen und betrieblichen Realität" (1989, 11) in mehreren Punkten benannt werden: I. die Aufnahme Neuer Techniken in den Arbeitsprozess, II. Ökono- mie (Arbeit und Intension), III. Arbeit als Lebensbild und IV. Unternehmensstruktur (Mikro-Umwelt). Daraus ergeben sich zweckrationale Handlungsmodelle innerhalb eines "betrieblichen" Systems (Industrieunternehmen), dem Handlungsimpulse einer Lebenswelt gegenüber stehen (zum Beispiel die "Gruppenzugehörigkeit" des Arbei- ters), die zwar immer vorhanden, den handelnden Individuen aber nicht immer bewusst sind. Die Lebensführung also wird durch eine betriebliche Identität des mit Arbeit beschäftigten determiniert (zu System und Lebenswelt vgl. Kapitel 4).

Dieser Prozess funktioniert aber auch anders herum: Die durch betriebliche Struk- turen hervorgerufene "aktive, reflexive und […] verstärkt zweck-rationale Organisa- tion [der] alltäglichen Lebensführung" (Voß 1994, 288, zitiert nach Jäger 1999, 141) reproduziert unter dem Stichwort einer ganzheitlichen Nutzung des Arbeitsvermö- gens Fähigkeiten im Sinne außerbetrieblicher Zusammenhänge und Erlebnissphären des Individuums (vgl. ebd.), welche Arbeitsanforderungen bestärken oder bilden.

Der Aufbau des Dreiecks Arbeit, Identität und Lebensführung soll in diesem Text deshalb auf eine Einstellung zur Arbeit hindeuten, die wenig funktional geprägt ist und durch den Arbeitsinhalt wesentlich bestimmt wird. Als Fußpunkt stehen Identität und Lebensplan, während im Zirkel der Begriff der Selbstverwirklichung angestrebt wird. Dieser weicht von der Idee durch seine systemisch-rationale Struktur als Hand- lungsrahmen ab und initiiert Reflexion und Transformation der Identität (Resonanz).

3. Industriearbeit

Ausgangspunkt für die folgenden Betrachtungen ist die sogenannte Zweite industriel- le Revolution am Ende des vergangenen Jahrhunderts. Zu ihren Rahmenbedingungen stellt MIKL-HORKE beispielhaft fest, dass neben dem Einsatz von Werkzeugen und Maschinen - womit noch keine Neue Techniken gemeint sind - "nicht die Arbeitstei- lung als solche [...] das typische Merkmal der Industrie, sondern eine bestimmte Art der Zerlegung und Verteilung der Arbeit" (Mikl-Horke 2007, 36) ist. Im Mittelpunkt der Entwicklung stehen damit zum Beispiel ausführende Teilarbeiten am Fließband oder die Konstituierung einer Arbeiterklasse als Reaktion auf das bestehende Lohn- arbeitssystem.

3.1 Transformation von Arbeitskraft in Arbeit

Die von MINSSEN und anderen mit dem Transformationsproblem formulierten Zu- griffspunkte des Unternehmens auf seine Kapitalverwertung - Technik, Organisation und Arbeit(er) - münden in "die Differenz zwischen der Fähigkeit zu arbeiten und der Entäußerung dieser Fähigkeit" (2006, 19). Mit der Erfindung der Dampfmaschine und der beharrlichen Entwicklung einer Produktionweise, "in der die Teilung und der Rhythmus von Arbeit [nun] von der Maschine bestimmt wurden" (Mikl-Horke 2007, 36) werden alle drei Zugriffspunkte zeitgleich greifbar und forcieren die Aus- bzw. Umgestaltung von Unternehmensstrukturen und Arbeitsprozessen.

3.2 Blick zurück: Arbeit, Identität und Lebensführung - Teil 1

I. Die Aufnahme Neuer Techniken in den Arbeitsprozess

Computergesteuerte Produktion und eine flächendeckende systemische Rationalisierung durch Neue Techniken sind für die Entwicklung der mechanisierten Produktion bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein noch kein Thema. Dennoch entwikkelten sich im Zuge einfacher technischer Innovationen Prinzipien einer Produktionsstrategie, die als (wirtschaftlich) optimierte - "wissenschaftliche" - Betriebsführung (ebd., 65) die Arbeitsorganisation und ihre Zerlegung (Spezialisierung, Leistungsvorgaben, Trennung von Planung und Ausführung) neu beschreibt.

Die technische Komponente als Ausgangspunkt des Produktionsprozesses gewann nach Taylor erst um 1900 und durch Ford an Bedeutung. Serienfertigung und Massenproduktion von standardisierten Produkten durchliefen nun beispielsweise mechanische Beförderungen, wobei einzelne Werkstücke in begrenzten Schritten produziert wurden (ebd., 68). Schließlich entstand ein tayloristisch-fordistisches Ar- beitsmodell, das die Bedingungen von Arbeit unter das Kapital subsumierte, während "Taylor und Ford in der von ihnen propagierten Form der Arbeitsorganisation nicht nur die effizienteste Produktionsmethode für den Kapitalisten, sondern auch den Garant für die »Prosperität« der Arbeitnehmer sahen" (Kühl 2004, 66).

II. Arbeit und Intension

Ein klassisches Element der industriellen Erwerbsarbeit ist der Arbeitsvertrag, der als institutionalisierter Tauschakt zwischen Arbeitskraft und Kapital eine asymmetrische Machtbeziehung 4 zwischen Arbeiter und Kapitaleigner bindet (Zenker 2000, 35).

Erst mit der Entwicklung kollektiver Interessenvertretungen - Gewerkschaften - wird er in seiner Spannbreite für Arbeiter auf betrieblicher Ebene koordinier- und regulierbar. Anzumerken ist, das das Transformationsproblem im Rahmen von Arbeitsverträgen allerdings nur dürftig gelöst wird; die Arbeitsleistung in Form von Bereitschaft oder Engagement - als bewusste Tätigkeit über den funktionalen Aspekt hinaus - wird nicht bestimmt. Seine Hauptaufgabe liegt vielmehr darin, als rechtlicher Rahmen die mindeste Intension des Arbeitnehmers - "Geld zu verdienen" - zu begleiten und ihm dafür eine Vorstrukturierung der Tätigkeit - beispielhaft: Zeit, Ort; nicht aber zum Beispiel Stückzahl - zur Hand zu geben.

III. Arbeit als Lebensbild

Arbeitnehmertum war um die Jahrhundertwende neben der Landwirtschaft durch die Lohnarbeit in der Industrie gekennzeichnet. RUPPERT stellt fest, das 1925 in Deutsch- land jeder vierte Erwerbstätige Fabrikarbeiter war (Ruppert 1986, 102 zit. nach Mikl- Horke 2007, 44) Dabei etablierte sich das sogenannte Proletariat in eigenen Differen- zierungen und Strukturen; beispielsweise kann in der Arbeiterschaft zwischen prekä- ren Arbeitsverhältnissen von ungelernten Arbeitern und stabilen Arbeitsbedingungen bei hochqualifizierten Fachkräften unterschieden werden. Innerhalb dieser Schichten entstand ein Selbstbewusstsein und eine Arbeitskultur, die den Menschen eine Identi- fikation und einen Beruf über eine begrenzte Lebensphase hinaus anbot. Gerade des- halb und trotz seiner Heterogenität wurde das "Arbeiterselbstbewusstsein" in seinem gemeinsamen Ausgangspunkt - der Abhängigkeit - zum Ausdruck einer eigenen Le- Der Lohnarbeitnehmer muss seine Arbeitskraft veräußern, um seine Lebensgrundlagen zu erhal- ten.

[...]


1 BERMES notiert zum Beispiel fünf Strukturmerkmale, die Arbeit nicht als bloßes Verhalten, sondern als Handeln typisieren: Unabgeschlossenheit, Zeitgebundenheit, Optimierung, Expertenwissen sowie Beherrschbarkeit. (vgl. Bermes 2008, 60 ff.)

2 Wie z.B. bei ARENDT: "Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahrhundert damit begonnen, theoretisch die Arbeit zu verherrlichen, und sie hat zu Beginn unseres Jahrhunderts damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeitsgesellschaft zu verwandeln." (Arendt 2005, 12)

3 BERGER/BERGER/KELLNER formulieren einen offenen, differenzierten , individuierten und be- sonders reflexiven Identitätsbegriff, dessen Impuls weniger die primäre Sozialisation eines Ak- teurs ist, sondern die Bereitschaft zur Transformation von Identitäten als moderne Lebens- verwirklichung. (1987, 70 ff.) Diese Bereitschaft ist der Grundtenor dieser Arbeit.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Arbeit, Identität und Lebensführung – Die personale Resonanz neuer Arbeitskonzepte
Université
University of Hagen  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,7
Auteur
Année
2009
Pages
20
N° de catalogue
V139539
ISBN (ebook)
9783640490110
ISBN (Livre)
9783640490509
Taille d'un fichier
480 KB
Langue
allemand
Mots clés
Arbeit, Identität, Lebensführung, Resonanz, Arbeitskonzepte
Citation du texte
Silvio Zimmermann (Auteur), 2009, Arbeit, Identität und Lebensführung – Die personale Resonanz neuer Arbeitskonzepte , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139539

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