In den vergangenen Jahrhunderten, insbesondere seit dem 18. Jahrhundert wird immer wieder darüber diskutiert, warum der Mensch religiös ist. Woher kommt diese Suche nach Religiosität? Werden wir von außen dazu angeleitet, oder kommt es von ganz allein aus unserer Natur heraus? Schon in dem Seminar "Fragen religionspädagogischer Anthropologie" beschäftigten wir uns mit diesen Fragen. Nun möchte ich mich an dieser Stelle vertiefend damit auseinandersetzen, welche Ansichten wichtige Theologen und Philosophen zu diesem Thema hatten. In diesem Essay beschränke ich mich ausschließlich auf Tertullian, J.-J. Rousseau, G. E. Lessing, F. Schleiermacher und Karl Barth. Zum Schluss werde ich jene Ansichten etwas vergleichen und in Zusammenhang mit der heutigen Zeit bringen. Außerdem werde ich stellenweise einen Bezug zum Religionsunterricht herstellen.
In den vergangenen Jahrhunderten, insbesondere seit dem 18. Jahrhundert wird immer wieder darüber diskutiert, warum der Mensch religiös ist. Woher kommt diese Suche nach Religiosität? Werden wir von außen dazu angeleitet, oder kommt es von ganz allein aus unserer Natur heraus? Schon in dem Seminar "Fragen religionspädagogischer Anthropologie" beschäftigten wir uns mit diesen Fragen. Nun möchte ich mich an dieser Stelle vertiefend damit auseinandersetzen, welche Ansichten wichtige Theologen und Philosophen zu diesem Thema hatten. In diesem Essay beschränke ich mich ausschließlich auf Tertullian, J.-J. Rousseau, G. E. Lessing, F. Schleiermacher und Karl Barth. Zum Schluss werde ich jene Ansichten etwas vergleichen und in Zusammenhang mit der heutigen Zeit bringen. Außerdem werde ich stellenweise einen Bezug zum Religionsunterricht herstellen.
1. Tertullian - Die Seele ist von Natur aus christlich
Tertullian war der erste Kirchenvater, der lateinische Werke schrieb. Er veröffentlichte sein Sammelwerk "Apologeticum"(197), in dem er das Christentum vor dem Heidentum verteidigte. Dies war auch sein erfolgreichstes Werk und wurde sogar ins Griechische übersetzt.1
Laut Tertullian (160-220) kennt die menschliche Seele Gott. Sie weiß wo er ist, denn dorther ist sie herabgestiegen. Egal was mit der Seele geschieht, ob sie von falschen Göttern versklavt wird oder von Lehren auf Irrwege gebracht wird: Sie kommt wieder zu sich. Wie aus einer "Ohnmacht" erkennt sie wieder, was wirklich wahr ist.
Ein Mensch der behauptet, seine Seele würde Gott nicht erkennen, begeht eine Sünde, da Gott niemandem verborgen bleiben kann. Die Seele des Menschen ist eine "anima naturaliter christiana" - eine von Natur aus christliche Seele.
Des Weiteren besagt die Theorie von Tertullian, dass die Bibel dazu dient, Gott besser begreifen zu können. In der Bibel können die Propheten auf Gott aufmerksam machen, da diese niederschrieben, welche Gebote Gott zum Erwerb seiner Gunst erlassen hat und was bei Missachtung dieser geschehen wird. Im Religionsunterricht kann diese von Natur aus christliche Seele als Anknüpfungspunkt für die Vermittlung einer religiösen Tradition verwendet werden.
2. Rousseau - Die natürliche Religion
Im 18. Jahrhundert befasst 2 sich der Genfer Schriftsteller, Philosoph und Pädagoge Rousseau u.A. mit der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (Emilé, 1762). Er ist der Ansicht, man solle sie sich selbst und der Natur überlassen, sie weitestgehend von der Gesellschaft fernhalten. Rousseau gilt als wichtiger Wegbereiter der französischen Revolution und er hatte starken Einfluss auf die Entwicklung der Pädagogik und Politik des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rousseau (1712-1778) unterscheidet zwischen der natürlichen (wahren) Religion und der positiven Religion. Nach ihm wird durch reine Vernunft eine natürliche Religion entwickelt. Der Mensch muss auf seine innere Stimme hören und die Natur beachten. So kann er Gott erkennen. Er lernt das Gute zu wollen, was Gott will. Und er lernt Pflichten zu erfüllen, um Gott zu gefallen (S.352).
Rousseau ist überzeugt: Wenn ein Mensch einsam auf einer Insel aufwachsen würde, er würde durch seine Vernunft erkennen, was richtig und gut ist. Er würde so zu Gott gelangen, ohne ihn selber zu kennen oder erkennen.
Weiterhin erklärt er positive bzw. historische Religionen als Heilsanstalten, die vorschreiben, wie Gott durch öffentlichen Kult zu dienen ist. Doch der wahre Kult ist der Kult des Herzens (S. 354). Dogmen, die auf das Handeln und die Moral keinen Einfluss haben, sind uninteressant.
Die Offenbarung Gottes verleugnet Rousseau mit der Begründung, Gott würde so etwas "unbeweisbares und zweifelhaftes" nicht tun. Es hätte Gott nicht mehr gekostet, alle Menschen diese Offenbarung hören zu lassen und jene wären vor Täuschung bewahrt geblieben (S. 340).
Hätten die Menschen immer nur auf Gottes Stimme in ihrem Herzen gehört, gäbe es bis heute nur eine Religion, doch durch die "ausgedachte" Offenbarung entstanden mehrere. Propheten setzen mit ihren Offenbarungsreden Gott herab, weil sie ihm menschliche Leidenschaften andichten. Die Bibel ist für den wahren Glauben, die natürliche Religion, nicht notwendig. Gott gibt dem menschlichen Geist Einsichten und flößt dem Herzen Gefühle ein. Eine andere Religion kann nicht mehr bieten, als das, was man aus seinen Seelenkräften gewinnt, eben das, was die natürliche Religion bieten kann. Durch reine Vernunft gelange der Mensch zu den "erhabendsten Ideen von der Gottheit" (S. 337).
Auf dieser Basis lässt sich schnell erahnen, dass Rousseau überzeugt ist, dass Kinder nicht "religiös" sein können. Wenn sie an Gott glauben, sind sie Götzendiener oder Anthropomorphisten (S. 287). Vor dem 15. Lebensjahr sollte mit Kindern nicht über Religion gesprochen werden. Selbst mit 18 Jahren ist nicht sicher, ob sie begreifen können, dass es in ihnen eine Seele gibt. Und wenn Kinder zu früh darüber aufgeklärt werden, besteht die Gefahr, dass sie es niemals wirklich begreifen können (S. 289).
Außerdem gilt nach Rousseau jeder Mensch als gläubig, der glauben würde, falls er die nötigen Einsichten hätte. Ungläubig ist nur der, dessen Herz sich der Wahrheit verschließt. Trotzdem existiert in jedem Menschen immer die Fähigkeit zur Moralität und auch ein Streben nach dieser.
Rousseaus natürliche Religion beruht auf moralisch reinem Handeln. Die positive Religion, also Traditionen oder z.B. der Glaube an eine Offenbarung sind erfunden und damit überflüssig.
3. Lessing (1729-1781)
Lessing -wichtigster deutscher Dichter der Aufklärung- geht von einer religiösen Anlage aus. Diese ist von Geburt an in jedem Menschen verankert. Der Mensch ist fähig durch reine Vernunft die wahre Religion zu entdecken und zu Gott zu finden. Dafür sind die Bibel und die Offenbarung nicht notwendig.
Durch die Erziehung entwickelt sich diese Anlage jedoch schneller und leichter. Daher ist es wichtig ihr Raum zur Entfaltung zu geben oder sie sogar zu fördern. Eine konkrete religiöse Tradition dient dabei quasi als Katalysator oder Hilfestellung für die schnellere Entwicklung einer natürlichen Religiosität.3
4. Schleiermacher - Die religiöse Anlage
Schleiermacher (1768-1834) war der wichtigste Religionspädagoge des 19. Jahrhunderts.
Laut Barth ist er der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts, der „an die Spitze einer Theologie der neuesten Zeit gehört […] und keiner neben ihn."
Er hat ähnlich wie Lessing eine andere Vorstellung von Religiosität, als Rousseau. Er ist überzeugt davon, dass der Mensch mit einer religiösen Anlage geboren wird, wie mit jeder anderen Anlage auch. Die Religion sei somit dem Denken und dem Handeln gleichwertig.
Doch der angeborene Sinn für Religion wird gewaltsam unterdrückt und die Gemeinschaft zwischen dem Menschen und dem Universum wird gesperrt. Die Anlage wird nicht von Unreligiösen oder Zweiflern unterdrückt, sondern gerade von den Verständigen und praktischen Menschen. Diese verhindern die Entwicklung, indem sie dem kindlichen Suchen nach Übernatürlichem und Wunderbarem, Endliches und Bestimmtes gegenübersetzen. Sie lassen den Glauben an Unerklärliches nicht offen zu. Doch die Kinder suchen weiter, sie sind überzeugt, fündig zu werden. In diesem Moment zeigt sich im Kind die erste Regung der Religion.4
Schleiermacher wendet sich im Gesamten gegen Rousseaus natürliche Religion, denn diese erkenne keinen Gott, der Fleisch geworden ist, an. Sie sei eine armselige, dürftige, unbestimmte Idee, ein Gedankengebilde und keine Wirklichkeit. In der natürlichen Religion gebe es keine Individualisierung. Zwar herrsche Freiheit, mit dieser aber auch die Freiheit, ungebildet zu bleiben. Religion als Wirklichkeit kann es nur in konkreter, geschichtlicher Ausformung geben (C. Ehrhardt, S. 44), welche Rousseau die positive Religion nennt. Nur in den historischen Religionen ist eine wahre individuelle Ausbildung der Religion möglich. Währenddessen ist das Christentum mit all seinen Traditionen für Schleiermacher die Religion der Religionen.5
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1 Tertullian, Apologeticum, S. 119ff.
2 Rousseau, Emil oder über die Erziehung, 1963
3 Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, §4
4 Gesamter Abschnitt: Schleiermacher, Über die Religion, S. 96f.
5 Gesamter Abschnitt: Christiane Ehrhardt, Religion, Bildung und Erziehung bei Schleiermacher. S. 43f.
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- Yvonne Finken (Autor), 2009, Religiöse Anlage, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139660