Die Pragmatik als Kerndisziplin der Sprachwissenschaft neben der Phonologie, der Morphologie, der Syntax und der Semantik beschäftigt sich vorrangig mit der „Beschreibung von kontextabhängigen und nicht-wörtlichen Bedeutungen bei der Verwendung von sprachlichen Ausdrücken in konkreten Situationen, und der Bedingungen für ihr Entstehen.“
In dieser Arbeit soll der Gegenstand der Pragmatik im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen und gezeigt werden, welchen Stellenwert diese Disziplin innerhalb der Geschichte der Sprachwissenschaft einnimmt. Der besonderen Beschäftigung unterliegt dabei die Sprechakttheorie von John Langshaw Austin (1911-1960) und John Rogers Searle (*1932). Ausgehend von einer Analyse des ersten Kapitels des von Searle verfassten Werkes „Sprechakte – Ein sprachphilosophischer Essay“ (Originalausgabe: Speech Acts) werden der Gegenstand und die Methoden der Theorie der Sprechakte vorgestellt und erläutert. Auch soll der Begriff „Sprache“ nach dem Verständnis Searles vorgestellt werden, um ihn anderen Auffassungen des Sprachbegriffs gegenüber zu stellen. Einen weiteren Punkt bildet die Vorstellung der Sprechakttheorie, die allerdings nur kurz und nicht im Detail zur Behandlung kommen soll, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen. Abschließend wird die Sprechakttheorie innerhalb der Pragmatik noch einmal beleuchtet, um auf der Metaebene Schlüsse über die Aktualität der Auffassung von Sprache zu ziehen und es erfolgt eine Bewertung der Theorie der Sprechakte. Um die Bedeutung der Pragmatik sowie der ihr innewohnenden Sprechakttheorie zu erfassen, ist es zunächst erforderlich diese Disziplin in die Geschichte der Sprachwissenschaft einzuordnen. Es wird dementsprechend ein synchrones Verfahren erfolgen, um einen Blick auf die gesamte Entwicklung der Sprachwissenschaft zu erlangen.
Inhaltsverzeichnis:
1 . Einleitung
2. Kurze Charakterisierung der Geschichte der Sprachwissenschaft
2.1. Die traditionelle Grammatik
2.2. Die Vergleichende Philologie
2.3. Die moderne Linguistik
3. Pragmatik
3.1. Was ist Pragmatik?
3.2. Fragestellungen und Gegenstand der Pragmatik
3.3. Stellung der Pragmatik in der Linguistik
4. Die Sprechakttheorie von Austin und Searle
4.1. John Langshaw Austin (1911-1960)
4.2. John Roger Searle (*1932)
4.3. Die Sprachtheorie Searles
4.4. Die Sprechakttheorie in ihren Grundzügen
5. Kurze Analyse der Sprechakttheorie
6. Zusammenfassung und Fazit
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1. Quellenverzeichnis
7.2. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Pragmatik als Kerndisziplin der Sprachwissenschaft[1] neben der Phonologie, der Morphologie, der Syntax und der Semantik, beschäftigt sich vorrangig mit der „Beschreibung von kontextabhängigen und nicht-wörtlichen Bedeutungen bei der Verwendung von sprachlichen Ausdrücken in konkreten Situationen, und der Bedingungen für ihr Entstehen.“[2]
In dieser Arbeit soll der Gegenstand der Pragmatik im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen und gezeigt werden, welchen Stellenwert diese Disziplin innerhalb der Geschichte der Sprachwissenschaft einnimmt. Der besonderen Beschäftigung unterliegt dabei die Sprechakttheorie von John Langshaw Austin (1911-1960) und John Rogers Searle (*1932). Ausgehend von einer Analyse des ersten Kapitels des von Searle verfassten Werkes „Sprechakte – Ein sprachphilosophischer Essay“[3] (Originalausgabe: Speech Acts) werden der Gegenstand und die Methoden der Theorie der Sprechakte vorgestellt und erläutert. Auch soll der Begriff „Sprache“ nach dem Verständnis Searles vorgestellt werden, um ihn anderen Auffassungen des Sprachbegriffs gegenüber zu stellen. Einen weiteren Punkt bildet die Vorstellung der Sprechakttheorie, die allerdings nur kurz und nicht im Detail zur Behandlung kommen soll, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen. Abschließend wird die Sprechakttheorie innerhalb der Pragmatik noch einmal beleuchtet, um auf der Metaebene Schlüsse über die Aktualität der Auffassung von Sprache zu ziehen und es erfolgt eine Bewertung der Theorie der Sprechakte. Um die Bedeutung der Pragmatik sowie der ihr innewohnenden Sprechakttheorie zu erfassen ist es zunächst erforderlich diese Disziplin in die Geschichte der Sprachwissenschaft einzuordnen. Es wird dementsprechend ein synchrones Verfahren erfolgen, um einen Blick auf die gesamte Entwicklung der Sprachwissenschaft zu erlangen.
2. Kurze Charakterisierung der Geschichte der Sprachwissenschaft
In diesem Kapitel soll sich an den Phasen der Geschichte der Sprachwissenschaft des britischen Sprachwissenschaftlers John Lyons orientiert werden, da diese eine gut strukturierte Einsicht erlauben. Es muss allerdings beachtet werden, dass Lyons auch einschränkend und subjektiv vorgeht und im Folgenden immer wieder differenziert werden muss.
Mit seiner Schrift „Einführung in die moderne Linguistik“[4] lässt sich bereits in der Einleitung unter dem Punkt 1.1.1. Definition der Linguistik[5] die Auffassung Lyons zur Linguistik dem Strukturalismus zuordnen. Dort beschreibt Lyons die Linguistik als „die exakte wissenschaftliche Erforschung der Sprache, (womit) ihre Untersuchung mit Hilfe kontrollierbarer und empirisch nachweisbarer Beobachtung unter Bezug auf eine allgemeine Theorie der Sprachstruktur gemeint ist“.[6] Mit dieser Definition schränkt Lyons allerdings nicht nur den Blick auf die Sprache ein, indem er nur kontrollierbare und empirisch nachweisbare Beobachtungen als wissenschaftlich zulässt, sondern auch die Methoden. Dies rührt daher, dass eine Beobachtung keine Wertung zulässt und möglichst nur von beschreibender Natur ist. Diese Objektivität mit absolutem Wirklichkeitsanspruch ist aber nicht erreichbar, vielmehr muss hier von einer Intersubjektivität ausgegangen werden, die sich darin begründet, dass eine Gruppe von Menschen etwas als „wirklich“ festlegt, was dann zu einer konstruierten Wirklichkeit wird.
Lyons unterscheidet drei Phasen der Sprachwissenschaftsgeschichte: 1.) die traditionelle Grammatik[7] (von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts), 2.) die vergleichende Philologie[8], 3.) die moderne Linguistik.[9]
Diese Phasen werden im Folgenden näher vorgestellt, können aber wegen ihrem Umfang nicht im Detail behandelt werden. Vielmehr soll ein kurzer Überblick über die erste und die zweite Phase gegeben werden, während der dritten Phase mehr Platz eingeräumt wird.
2.1. Die traditionelle Grammatik
Die Anfänge der traditionellen Grammatik liegen im Griechenland des 5. Jahrhunderts vor Christus und waren vorrangig philosophisch geprägt.[10] Für die Griechen war die Grammatik ein Teil der Philosophie. Prinzipiell gab es in der griechischen Antike zwei konträre Positionen in bezug auf die Sprache. Während die eine Position die Behauptung vertrat, die Sprache gehe auf die „Natur“ (Ursprung aus ewiger und unveränderlicher Prinzipien außerhalb des Menschen)[11] zurück, war man auf der anderen Seite überzeugt von einem Zurückgehen der Sprache auf „Konvention“ (Ergebnis von Brauch und Überlieferung)[12]. Dieser Disput zwischen „Naturalisten“ und „Konventionalisten“ hielt über viele Jahrhunderte an, weckte während dieser Zeit mit der Hinwendung zu Untersuchungen etymologischen Inhalts allerdings auch „das Interesse der Gelehrten an der Klassifizierung der Wortbeziehungen“.[13] Später entwickelte sich aus dem Gegensatz zwischen „Naturalisten“ und „Konventionalisten“ ein Streit um die „Regelhaftigkeit“ der Sprache. Diejenigen, die davon ausgingen, Sprache sei regelhaft und systematisch, nannten sich „Analogisten“, während diejenigen, die von der Sprache als regelwidrig ausgingen als „Anomalisten“ bezeichnet wurden. „Die Analogisten bemühten sich, verschiedene Modelle zu erstellen, nach denen sich die regelhaften Wörter der Sprache einordnen ließen.[…] Die Anomalisten leugneten nicht, daß es Regelmäßigkeiten bei der Wortbildung gibt; sie wiesen aber auf die vielen Beispiele regelwidriger Wörter hin, für deren Bildung das Analogieprinzip keine Erklärung hat […]“[14] Der Streit zwischen den beiden Parteien ging weit über die Griechen hinaus und trug zu einer Systematisierung der Grammatik bei.
Am Anfang des dritten Jahrhunderts vor Christus rückt Alexandrien mit der Errichtung der berühmten Bibliothek in den Mittelpunkt von konzentrierter „literarischer und sprachwissenschaftlicher Forschungstätigkeit“.[15] Bei dem Versuch der Wiederherstellung der Werke der großen griechischen Autoren waren die Alexandrinischen Gelehrten durch den teilweise katastrophalen Zustand der Originaltexte gezwungen, mehrere Exemplare zu vergleichen. Durch die Bewunderung nicht nur für die Inhalte dieser Werke, sondern auch für die Sprache kam man zu dem Schluss, dass die Sprache der alten griechischen Gelehrten „reiner“ und „richtiger“ war als die Umgangssprache jener Zeit. So gelangte man zu zwei entscheidenden Fehlauffassungen, die Lyons auf den „klassischen Trugschluß in der Sprachforschung“[16] zurückführt. Großes Problem stellte die Konzentration auf die geschriebene Sprache vor der gesprochenen dar und die Betrachtung der Sprache der attischen Autoren als „korrekter“. „In Alexandrien erhielt die von uns heute als <traditionell> bezeichnete Grammatik des Griechischen ihre mehr oder weniger endgültige Form.“[17] Lyons unterscheidet innerhalb der traditionellen Grammatik noch die „römische Epoche“, wobei hier angemerkt sei, dass der griechische Einfluss allgegenwärtig war und sich dementsprechend auch fast simultan auf die Grammatik auswirkte. Hervorzuheben sei innerhalb der Periode der lateinischen Grammatik die Ära des Donatus (um 400 n. Chr.) und des Priscian (um 500 n. Chr.), da sie mit der Schaffung einer Lehrgrammatik die sich der Sprache der „besten Autoren“, vor allem Vergils und Ciceros , widmete, den nach Lyons „klassischen Trugschluß“ beschrieben und erneuerten.[18] Das Mittelalter, in dem Latein vor allem im Bildungswesen eine entscheidende Bedeutung hatte, behielt die Konzentration auf die geschriebene Sprache bei (bei der gesprochenen Sprache des Lateins entwickelte jedes Land seine eigene Aussprache), brachte allerdings auch grundlegende Fortschritte in der grammatischen Analyse des Lateins. Dabei spielte vor allem die Ära der Scholastiker eine prägende Rolle. „Die scholastischen Philosophen waren wie die Stoiker an der Sprache als Werkzeug zur Analyse der Struktur der Wirklichkeit interessiert.“[19] Der Bedeutung kam in diesem Kontext das größte Gewicht zu. Es muss bemerkt werden, dass Sprachwissenschaft allerdings noch Teil der Philosophie war. Unter den Scholastikern kam es zu der Ansicht von der Universalität der Grammatik, wobei Latein eine einzigartige Stellung einnahm. Diese Betrachtung des Lateins und seiner Stellung „war zweifellos ein wichtiger Faktor in der Entwicklung der universalen Grammatik.“[20]
Mit Petrarca (1304-1374) und seinen Anhängern lässt sich eine Rückbesinnung auf die antiken Gelehrten, allen voran Cicero, erkennen und eine Orientierung an deren Sprachgebrauch verzeichnen.[21] Ausgehend von diesen Bestrebungen wurde die Grammatik erneut zum Hilfsmittel zum Verstehen der Literatur der klassischen Antike gebraucht und ebenso dazu eingesetzt, diesen „guten“ lateinischen Stil schreiben zu können. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte ab dem 15. Jahrhundert eine Verbreitung der antiken Originaltexte. In der Renaissance verstärkte sich das Interesse an den europäischen Vulgärsprachen und es wurden eine Vielzahl von Grammatiken verfasst.[22] Allerdings stellte Sprache immer noch Literatursprache dar. Gegen Ende der Renaissance erschien mit der Grammatik von Port Royal („Grammaire générale et raisonnée“) eine erste universalgrammatische Betrachtung von Sprache, die auf der Basis der Struktur der Sprache als Produkt von Vernunft die damaligen Logikvorstellung repräsentierte.
Weiterhin kommt der indischen Tradition von Grammatik eine besondere Bedeutung zu. Sie entwickelte sich früher als die griechische und römische und vielfältiger.[23] Der bedeutendste indische Grammatiker Panini (4. Jhdt. v. Chr.?) verfasste eine präzise Grammatik des Sanskrit (altindische Gelehrten- und Literatursprache)[24], die auch Regeln für die Syntax, die Phonologie und die Morphologie betrafen. Mit der Entdeckung des Sanskrit durch William Jones und der resultierenden Erkenntnis eines gemeinsamen Ursprungs der Sprachen endet die Phase der traditionellen Grammatik und mündet im 18. Jahrhundert in die der Vergleichenden Philologie.
2.2. Die Vergleichende Philologie
Der Schluss auf einen gemeinsamen Ursprung aller Sprachen führte zu der vergleichenden Philologie. Lyons unterscheidet zwischen zwei Phasen innerhalb der Vorgehensweise mit Sprache: einer vorwissenschaftlichen, die nach seiner Auffassung bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reicht, und einer wissenschaftlichen Phase. Diese Auffassung sollte allerdings kritisch betrachtet werden und ist in Frage zu stellen, weil es sehr verallgemeinert ist.
Mit der Entdeckung sowie Beschreibung von immer mehr Sprachen entwickelte sich das Prinzip, diese Sprachen zu vergleichen. Im 19. Jahrhundert entstand dementsprechend eine allgemeine „Theorie des Sprachwandels und der Sprachverwandtschaft.“[25] Ausgehend von der Entdeckung, dass sich manche Sprachen ähnlicher (Lyons teilt die Ähnlichkeit zwischen Sprachen in zwei Aspekte ein: 1. Ähnlichkeit des Vokabulars, 2. Ähnlichkeit der grammatischen Struktur) sind als andere, beginnt der Begriff „Verwandtschaft“ an Bedeutung zu gewinnen. Dazu kommt die Einteilung in Sprachfamilien und deren Subfamilien wie die indogermanische Sprachfamilie, zu der auch das Deutsche als germanische Subfamilie gehört sowie die semitische u.s.w.[26] Den Begriff „Linguistik“ setzt für Lyons erst mit dem 19. Jahrhundert ein, vorher gibt es keine wissenschaftliche Linguistik.[27] Diesen Standpunkt begründet Lyons in bezug auf den heutigen Gebrauch des Ausdrucks „wissenschaftlich“ folgendermaßen: „im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Tatbestände der Sprache sorgfältig und objektiv untersucht und dann mithilfe induktiver Hypothesen erklärt.“[28] Das Problem der Objektivität wurde bereits angesprochen. Zusätzlich wird von Lyons eine induktive Vorgehensweise (also von einem konkreten Einzelfall auf das Allgemeine schließend) als Methode erwähnt. Im 19. Jahrhundert kommt es zu einer gänzlich neuen Sicht auf die Sprache, was wiederum einen Bruch in der Geschichte des Denkens darstellt. Diese „veränderte Geisteshaltung“[29] ging von dem Grundgedanken aus, jegliche menschliche Institutionen unterlägen einem ständigen Wandel. Das Bewusstsein für die Geschichtlichkeit der Sprache und eben auch ihrer Wissenschaft wurde bereits während des 18. Jahrhunderts erkannt. In die Phase der vergleichenden Philologie gehört allerdings auch die Ausprägung des Bewusstseins für die eigene Sprache des Einzelnen sowie der Gesellschaft. Man entwickelte eine Verbundenheit für seine Sprache, die sich im Volksgeist ausprägte. Während der Epoche der Romantik widmete man sich auch den älteren germanischen Sprachen und sammelte zahlreiche Texte, um den historischen Gang der Sprache zu rekonstruieren. Johann Gottfried von Herder (1744-1803) betonte die innere Verbundenheit zwischen dem Nationalcharakter und der Sprache.[30] Und auch Wilhelm von Humboldt (1767-1835) war der Ansicht „jede Sprache habe ihre eigene besondere Struktur, die Denkungsart und Ausdruck des betreffenden Volkes reflektiere und bedinge.“[31]
Auf die besondere Bedeutung der Entdeckung des Sanskrit, also der altindischen Priestersprache, wurde bereits kurz hingewiesen. Die Tatsache, dass das Sanskrit mit dem Lateinischen, Griechischen wie anderen europäischen Sprachen verwandt ist, führte zur intensiven Beschäftigung mit der indogermanischen Sprachfamilie. Diese Beschäftigung führte zu der Einsicht, dass bestimmte Wörter einer Sprache einer anderen entlehnt sein können und es vielfach auch sind. Das hängt ganz von der geografischen Nähe der Sprachen ab. Doch nicht nur den Lehnwörtern wurde Platz für nähere Untersuchungen gegeben, auch die indogermanischen Lautverschiebungen wurden bearbeitet und analysiert.[32] 1822 erkannte man, dass „in den germanischen Sprachen oft (I.) f steht, wo andere indogermanische Sprachen (z.B. Latein oder Griechisch) p hatten; (II.) p, wo andere Sprachen b hatten; (III.) ein th-Laut, wo andere Sprachen ein t hatten; (IV.) ein t, wo andere Sprachen ein d hatten usw.“[33] Aus diesen Erkenntnissen und der Untersuchung der einzelnen Sprachen (Gotisch, Latein, Griechisch, Sanskrit) formulierte man Regeln. Hier spielte Jacob Grimm eine entscheidende Rolle, der erkannte, dass die allgemein aufgestellten Regeln zur Lautverschiebung viele Ausnahmen enthielten, „z.B. das Wort für Vater: gotisch fadar, lateinisch pater, f = p, aber d = t.“[34] Jacob Grimm steht in der Tradition, die Sprache als Organismus zu betrachten. Eine konträre Position kam mit der Formierung der Junggrammatiker, einer Gruppe von Sprachwissenschaftlern, die sich in den 70er Jahren bildete, ebenfalls im 19. Jahrhundert auf. Ihre Vertreter behaupteten, die Lautwechsel die sich während der Sprachgeschichte vollzogen, unterlägen festen und lückenlosen Gesetzen.[35] Weitere Auffassungen der Junggrammatiker waren, dass die Sprachwissenschaft ihren Gegenstand in der konkreten beobachtbaren Sprache des Einzelnen (Ideolekt) hat, die Laute die wichtigste Beschreibungsebene bilden und das Ziel der Sprachwissenschaft die Beschreibung des historischen Wandels der Sprache ist.[36] Die Wende brachte ein im Jahre 1875 veröffentlichter Artikel des dänischen Gelehrten Karl Verner (1846-1896), der eine Ausnahmeregel zur ersten Lautverschiebung entdeckte. „Das Verner’sche Gesetz besagt, dass in den germanischen Sprachen mediale und finale Frikative (Reibelaute in Mittel- und Endstellung) stimmhaft werden, wenn sie in der indogermanischen Ursprache nach einer unbetonten Silbe standen.“[37] Damit widerlegte er die von Grimm als Ausnahmen proklamierten Fälle innerhalb der Lautverschiebung und zeigte, dass die Ausnahmen als Regularitäten angesehen werden müssen.[38] Auch Entlehnungen spielten bei vielen Ausnahmen eine Rolle und diese konnten so erklärt werden.
Mit der Veröffentlichung von Charles Darwins Werk „Über die Entstehung der Arten“(1859) kam dem Begriff der „Evolution“ Bedeutung zu und dieser führte die Sprachwissenschaft näher an die Naturwissenschaften heran. „Viele Einzelheiten im sprachwissenschaftlichen Gedankengut des neunzehnten Jahrhunderts können auf den Einfluß der evolutionären Biologie zurückgeführt werden […].“[39] Hier tat sich der Positivismus (zu dem auch die Junggrammatiker gehörten), als eine philosophische Strömung hervor, die ihre Erkenntnisse einzig aus Erfahrung und empirischen Wissen über Naturphänomene gewann[40]. Unter dem Punkt 1.3.15 (Vergleichende Philologie und allgemeine Sprachwissenschaft)[41] wird durch Lyons zusammengefasst. Er ordnet die vergleichende Sprachwissenschaft als erklärende Wissenschaft der allgemeinen unter und beschreibt mit Sprachwandel und Sprachvergleich die Aufgaben, wobei der Vergleich gleichzeitig eine der wichtigsten Methoden der vergleichenden Philologie ist. Lyons betont, dass der Begriff „Evolution“ heute anders interpretiert wird, als es noch im 19. Jahrhundert der Fall war. Als einen der wichtigsten Beiträge der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts nennt er die Beschäftigung mit der „Evolution“ aus der die Erkenntnis resultierte, „daß formale Veränderungen bei Wörtern und Wortgruppen in den geschrieben Texten und Inschriften einer vergangenen Zeit im allgemeinen aufgrund von belegten oder postulierten Veränderungen der entsprechenden gesprochen Sprache (mithilfe von Lautgesetzen) erklärt werden können.“[42] So trug die Phase der vergleichenden Philologie dazu bei, dass im Bereich der Phonetik ein Aufschwung und eine Entwicklung zu verzeichnen ist, die sich prägend auf die Phase der modernen Linguistik auswirkte. Als letzten Punkt innerhalb der vergleichenden Sprachwissenschaft führt der Autor den Faktor der „Analogie“ an. Lyons stellt fest, dass die „Analogie“, die noch im Bereich der traditionellen Grammatik als Prinzip der Regelmäßigkeit in der Sprache betrachtet wurde, im späten 19. Jahrhundert eher als ein „Hauptfaktor“ angesehen wurde, der „die reguläre Entwicklung der Sprache hinderte.“[43]
[...]
[1] Meibauer, Jörg: Pragmatik. Eine Einführung, Zweite, verbesserte Auflage, Tübingen 2001. Vorwort
[2] Skript zusammengestellt von Karl-Michael Schneider, Universität Passau: Einführung in die Pragmatik, Version vom 23. November 2001. S. 1
[3] Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, Frankfurt am Main 1971.
[4] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik, sechste unveränderte Auflage, München 1984.
[5] ebda S. 1
[6] ebda S. 1
[7] ebda S. 4ff.
[8] ebda S. 21 ff.
[9] ebda S. 39ff.
[10] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. S. 4
[11] ebda S. 4
[12] ebda S. 4
[13] ebda S. 6
[14] ebda S. 7
[15] ebda S. 9
[16] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. S. 9
[17] ebda S. 12
[18] ebda S. 10
[19] ebda S. 15
[20] ebda S. 16
[21] ebda S. 17
[22] ebda S. 17
[23] ebda S. 19
[24] Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2005, Stichwort: Sanskrit
[25] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. S. 22
[26] ebda S. 22
[27] ebda S. 23
[28] ebda S. 23
[29] ebda S. 23
[30] ebda S. 24
[31] ebda S. 24
[32] ebda S. 27
[33] ebda S. 27
[34] ebda S. 29
[35] ebda S. 29
[36] Microsoft Encarta. Stichwort: Junggrammatiker
[37] Microsoft Encarta. Stichwort: Verner´sches Gesetz
[38] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. S. 29
[39] ebda S. 34
[40] Microsoft Encarta, Stichwort: Positivismus
[41] Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. S.34
[42] ebda S. 35
[43] ebda S. 37
- Arbeit zitieren
- Anke Schulz (Autor:in), 2008, Die Pragmatik innerhalb der Sprachwissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung der Sprechakttheorie von John L. Austin und John R. Searle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139776