In der Bachelorarbeit konzentriere ich mich auf die nationale Poetry-Slam-Bewegung und möchte sie auf Grund ihres Charakters und ihrer Funktionen in einem weitläufigen Kontext der Kulturwissenschaft betrachten. Nach einer Begriffserklärung & der Vorstellung des Regelwerks, werde ich die Geschichte & Entwicklung in den USA knapp skizzieren. Ausführlich wurde die Geschichte des Poetry Slams jedoch bereits vom Gründer des Poetry Slam, Marc Kelly Smith beschrieben. Auch in Deutschland wurde die Entwicklung bereits detailliert dokumentiert, beispielsweise von Boris Preckwitz oder von Ko Bylanzky und Rayl in Planet Slam.
Danach werde ich auf die Situierung & die Struktur von Poetry Slams eingehen, um den Charakter solcher Veranstaltungen zu verdeutlichen. Es folgt eine genaue Vorstellung der beteiligten Personen.
Der Hauptteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit charakteristischen Merkmalen des Poetry Slam. Dabei soll zunächst eine Abgrenzung von anderen, ähnlichen Formaten, besonders der klassischen Autorenlesung, erfolgen, damit das Besondere und Einmalige am Poetry Slam verdeutlicht werden kann. Im folgenden Kapitel wird auf das neue literarische Genre Slam Poetry, welches durch das Format entstanden ist, näher eingegangen. Ein Beispieltext vom Stuttgarter Slammer Philipp Scharrenberg soll die kurze Darstellung vervollständigen.
Hauptsächlich möchte ich mich in dieser Arbeit mit der Performance im Poetry Slam und dem interaktiven Charakter dieses Formats beschäftigen. Im Kapitel über Interaktivität wird auf die Interaktion während der Veranstaltung eingegangen, auf das Wechselspiel der Akteure & den Kommunikationsprozess in den sie sich begeben & ästhetische Informationen austauschen: Wettbewerbstexte & Zeichencodes der Performance, Zwischenrufe, Stellungnahmen, Moderationen, die sowohl auf den Vortrag reagieren, als auch auf andere Akteure und die Stimmung im Raum. Außerdem soll die Interaktion auf der Textebene betrachtet werden. Nachstehend wird auf die Mobilisierung von Öffentlichkeit auf Grund des demokratisch-interaktiven Charakters von Poetry Slam eingegangen & die aus diesen Interaktionsstrukturen hervorgegangene Vernetzung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Zur Veranschaulichung sollen die Interaktionsstrukturen am Netzwerk Dresdens erläutert werden.
Abschließend soll die Medialisierung des Poetry Slam & der Slam Poetry skizziert werden, um die bewusste Integration und Suche nach Öffentlichkeit zu verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Poetry Slam
2.1. Begriffserklärung
2.2. Regelwerk und Bewertung
2.3. Geschichte
2.4. Situierung
2.5. Struktur
2.6. Die Beteiligten
2.6.1. Slam Master
2.6.2. Master of Ceremony
2.6.3. Slammer
2.6.4. Publikum
3. Merkmale des Poetry Slam
3.1. Das Besondere am Poetry Slam - Abgrenzung zu anderen Begriffen
3.2. Slam Poetry
3.2.1. Theoretisches zur Slam Poetry
3.2.2.Beispieltext: Philipp ‚Scharri’ Scharrenberg - ZapRap
3.3. Performance
3.4. Interaktivität
3.4.1. Interaktion während der Veranstaltung
3.4.2. Interaktion auf Textebene
3.4.3. Mobilisierung von Öffentlichkeit
3.4.4. Netzwerk
3.5. Medialisierung der Poetry Slams
3.5.1. Printmedien
3.5.2. Neue Medien
3.5.2.1. Poetry Clips, CD und DVD
3.5.2.2. TV und Film
3.5.2.3. Internet
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
Anhang
Interviewprotokoll mit Leif Greinus
Interviewprotokoll mit Thomas Jurisch Glossar
1. Einleitung
„Der Poetry Slam ist eine Kommunikationsplattform. Kultureller Austausch. Austausch zwischen Generationen. Ein Meinungsforum. Ein Feld für Experimente. Ein Lernort. Ein Ort für geistigen Austausch.“[1]
Poetry Slam ist ein aktuelles literarisch-kulturelles Phänomen, welches in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre immer mehr Beachtung findet. In vielen Städten haben sich längst monatlich veranstaltete Slams im Kulturbetrieb etabliert und werden gut besucht. In jedem Fall sind Slams Teil einer allgemeinen Freizeitkultur beziehungsweise des Nachtlebens in vielen Städten. Slammer und Slam-Veranstalter versuchen literarische Texte aus ihrer schrift- lichen Passivität zu lösen und in einem lockeren Rahmen, etwa in Kneipen oder Clubs, zu performen statt ‚nur’ zu lesen. Diese Bewegung will einerseits den Zugang zur Lyrik für eine breitere Öffentlichkeit erleichtern. Zum anderen sind Poetry Slams auch für Autoren interessant, denen eine Plattform und ein Publikum geboten werden kann, um eigene Texte zu präsentieren. Hier können Menschen Gehör finden, deren Stimmen sonst weder im Kultur- betrieb noch in der Gesellschaft vernommen worden wären. So tritt zur Jahrtausendwende eine Literatur auf den Plan, bei der der historische Gegensatz von Hochkultur und Subkultur keine Rolle spielt, sondern eine offene Form darstellt, in der jeder Mensch seine Stimme erheben kann - durch einen demokratisch-partizipativen Ansatz. Nicht die Zugehörigkeit zu einer Tradition oder einem Kanon ist dabei entscheidend, sondern die Kommunikation vom Autor zum Publikum und die Mediation seines Textes, das heißt seine ästhetische Vermittlung oder Performance.
Da Poetry Slam ein zeitgenössisches Format in Deutschland ist, gibt es nur wenig Forschungsliteratur. Dadurch wird das wissenschaftliche Recherchieren zu einem schwierigen Vorgang. Es existiert kaum deutschsprachige Forschungsliteratur, die sich explizit mit dem Poetry-Slam-Standort Deutschland beschäftigt. Einer der ersten, der sich wissenschaftlich intensiv mit den deutschen Poetry Slams auseinander setzte war Boris Preckwitz, selbst Slammer und Poetry-Slam-Veranstalter. 1997 verfasste er seine Magisterarbeit an der Universität Hamburg mit dem Thema Slam Poetry: Nachhut der Moderne. Eine literarische Bewegung als Anti-Avantgarde.[2] Zu Preckwitz’ Untersuchung ist anzumerken, dass sie sich zwar intensiv mit dem Poetry Slam auseinandersetzt, allerdings zu einem recht frühen Punkt der Entwicklung in Deutschland, deswegen ist seine Arbeit vielmehr als historische Hin- führung zum Format Poetry Slam zu verstehen. Sie bezieht sich eher auf literarische Vorläufer und auf die US-amerikanische Szene. Zusätzlich bietet Preckwitz einen interessanten Ansatz zu einer Interaktionsästhetik im Poetry Slam. Zusätzlich beziehe ich mich vorwiegend auf Stefanie Westermayrs Arbeit Poetry Slam in Deutschland, welche die Szene zu einem aktuelleren Stand (2004) abbildet.[3] Da sich die wenigen deutschen literaturwissenschaftlichen Texte im Wesentlichen auf die Entstehung und Durchführung des Poetry Slam konzentrieren und sich viele davon auf amerikanische Slams beziehen, beziehungsweise auf einen sehr frühen Zeitpunkt der Poetry-Slam-Bewegung, habe ich mich zusätzlich an aktuellen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln und dem Internet orientiert. Weiterhin führte ich Befragungen von Veranstaltern und Slammern durch und schöpfte aus eigenen Erfahrungswerten, da ich selbst regelmäßige Besucherin des monatlichen Dresdner Poetry Slams in der Scheune und verschiedenen anderen Veranstaltungen in Dresden bin. Die Protokolle zu den Interviews mit Leif Greinus und Thomas Jurisch befinden sich im Anhang. In der vorliegenden Arbeit konzentriere ich mich auf die nationale Poetry-Slam-Bewegung und möchte sie auf Grund ihres Charakters und ihrer Funktionen in einem weitläufigen Kontext der Kulturwissenschaft betrachten. Nach einer Begriffserklärung (Kapitel 2.1.) und der Vorstellung des Regelwerks (Kapitel 2.2.), werde ich die Geschichte und Entwicklung in den USA knapp skizzieren (Kapitel 2.3.), liegen hier doch die Ursprünge der Bewegung. Ausführlich wurde die Geschichte des Poetry Slams jedoch bereits vom Gründer des Poetry Slam, Marc Kelly Smith, in seinem The Complete Idiot's Guide to Slam Poetry[4] beschrieben. Auch in Deutschland wurde die Entwicklung bereits detailliert dokumentiert, beispielsweise vom oben genannten Boris Preckwitz oder von Ko Bylanzky und Rayl in Planet Slam[5], die einen Querschnitt durch die Szene liefern.
Danach werde ich auf die Situierung (Kapitel 2.4.) und die Struktur (Kapitel 2.5.) von Poetry Slams eingehen, um den Charakter solcher Veranstaltungen zu verdeutlichen. Es folgt eine genaue Vorstellung der beteiligten Personen (Kapitel 2.6.), vom Veranstalter (Kapitel 2.6.1.), über den Moderator (Kapitel 2.6.2.), den Autoren (Kapitel 2.6.3.) bis hin zum Publikum (Kapitel 2.6.4.). Dabei sind die Rollen der Mitwirkenden nicht streng voneinander getrennt, sondern können ineinander übergehen: ein Juror kann beim nächsten Slam als Autor auftreten, ein Autor kann dafür den Part des Moderators übernehmen oder ein Zuschauer traut sich den Jurorenjob zu.
Der Hauptteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit charakteristischen Merkmalen des Poetry Slam (Kapitel 3.). Dabei soll zunächst eine Abgrenzung (Kapitel 3.1.) von anderen, ähnlichen Formaten, besonders der klassischen Autorenlesung, erfolgen, damit das Besondere und Einmalige am Poetry Slam verdeutlicht werden kann. Im folgenden Kapitel (3.2.) wird auf das neue literarische Genre Slam Poetry, welches durch das Format entstanden ist, näher eingegangen.
„Inhaltlich reflektiert Slam Poetry modernes Leben in seinen sozialen Verwerfungen, seiner Multikulturalität, seiner Mediengelenktheit und Modebesessenheit. Es ist der Versuch, Literatur zu kommunizieren, um im Medienzeitalter noch ein Publikum zu finden.“[6] Ein Beispieltext (Kapitel 3.2.1.) vom Stuttgarter Slammer Philipp Scharrenberg soll die kurze Darstellung vervollständigen.
Hauptsächlich möchte ich mich in dieser Arbeit mit der Performance (Kapitel 3.3.) im Poetry Slam und dem interaktiven Charakter (Kapitel 3.4.) dieses Formats beschäftigen. Im Kapitel über Interaktivität wird auf die Interaktion während der Veranstaltung (Kapitel 3.4.1.) eingegangen, auf das Wechselspiel der Akteure und den Kommunikationsprozess in den sie sich begeben und ästhetische Informationen austauschen: Wettbewerbstexte und Zeichen- codes der Performance, Zwischenrufe, Stellungnahmen, Moderationen, die sowohl auf den Vortrag reagieren, als auch auf andere Akteure und die Stimmung im Raum.[7] Außerdem soll die Interaktion auf der Textebene (Kapitel 3.4.2.) betrachtet werden. Nachstehend wird auf die Mobilisierung von Öffentlichkeit auf Grund des demokratisch-interaktiven Charakters von Poetry Slam eingegangen und die aus diesen Interaktionsstrukturen hervorgegangene Vernetzung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene (Kapitel 3.4.4.). Zur Ver- anschaulichung sollen die Interaktionsstrukturen am Netzwerk Dresdens erläutert werden.
Abschließend soll im Kapitel 3.5. die Medialisierung des Poetry Slam und der Slam Poetry skizziert werden, um die bewusste Integration und Suche nach Öffentlichkeit zu verdeutlichen.
Da sich im Zuge der Poetry-Slam-Bewegung eine eigene Kunstsprache herausgebildet hat, werde ich Begrifflichkeiten wie Slam Poetry, Slammer, MC, Performance etc. verwenden. In einem von mir zusammengestellten Glossar im Anhang werden diese Begriffe noch einmal einzeln aufgeführt und erläutert.
2. Poetry Slam
2.1. Begriffserklärung
Der Begriff Poetry Slam kommt aus dem Englischen und steht in seiner heutigen Ver- wendung in der Literatur für Dichterwettstreit oder Dichterschlacht.[8] Poetry bedeutet Dichtung, Dichtkunst oder Poesie. Das Verb to slam steht in seiner umgangssprachlichen Bedeutung für das schlagen, zuschlagen oder zuknallen von zum Beispiel einer Tür. Alsbald erlangte es neue Bedeutungen in der Umgangssprache. Das abgeleitete Substantiv slam bezeichnet späterhin einen Stich im Kartenspiel. Auch im Sport findet das Wort seine Verwendung, im Basketball steht slam dunk für einen Volltreffer oder Abschlag. Im Boxen bezeichnet slam einen Schlagabtausch und grand slam im Tennis steht für ein Großturnier. Aus diesen Verwendungen im Sport ergab sich für das Wort to slam die neue Bedeutung: jemanden vernichtend schlagen.[9] „Und bereits 1994 notierte ein Wörterbuch slam als ‚competitive performance’, als eine seit den späten 80er Jahren entstandene Form von Rap- beeinflusster Poetry Performances [...].“[10]
Das Wort slam hat sich sodann als Begriff für ein literarisches Phänomen etabliert. Gemeint ist ein Schlagabtausch, ein offener poetischer Wettbewerb, bei dem selbstgeschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorgetragen werden. Dabei werden sowohl der Inhalt der Texte als auch die Art des Vortrags bewertet. Poetry Slam ist ‚Sport am Wort’, die Betonung liegt besonders auf dem Wettstreit:
„Poetry Slam ist ein Dichterwettstreit für Wortakrobaten mit viel Sportgeist, Zweikampfstärke und einem ausgeprägten Sinn für Performance.“[11]
Der vielfältig schillernde Slam-Begriff hat also eine interessante semantische Odyssee hinter sich gebracht, bevor er Mitte der 90er Jahre im Kompositum Poetry Slam eine literarische Bewegung und ein Veranstaltungsformat kennzeichnete.
Durch diese Dichterwettstreite wurde Literatur in Bars und Kneipen etabliert, demzufolge ist die Definition „zeitkritische Live-Literatur“[12], wie es in einem Artikel in Die Welt heißt, auch sehr anschaulich. Nicht treffend erscheint mir jedoch die Übersetzung des Poetry Slams als "Lyrikvortrag’[13]. Zwar ist Slam Poetry „in Szene gesetzte Poesie“[14], doch sind die Texte inhaltlich und stilistisch weitaus vielfältiger als reine Lyrik:
„Slam Poetry ist nur vage den traditionellen Gattungen zuzuordnen, sie enthält vielmehr
innerhalb von Einzeltexten bzw. im Genre allgemein eine Verbindung prosaischer, lyrischer und dramatischer Formen. Durch die zahlreichen rhythmischen, verdichteten und klangbetonten Texte zeigt Slam Poetry, dass die lyrischen, aber auch dialogisch-dramatischen Formen keineswegs den Rückzug innerhalb der Gegenwartskultur angetreten haben.“ [15] Aus diesem Grund hat ein Poetry Slam einen gewissen Überraschungseffekt für den Zuschauer, ähnlich der Sneak Preview[16] im Kino, da dieser nie weiß, was inhaltlich oder stilistisch zu erwarten ist. Zusammenfassend wird deutlich, dass sich im Kontext der Verwendung die Begriffe in verschiedenen Bedeutungsebenen unterscheiden: Poetry Slam als literarisches Veranstaltungsformat, Slam Poetry als publikumsbezogene, wettkampfgerechte und vorgetragene Form der Poesie und Slam im allgemeinen als internationale literarische Bewegung, die offen in ihren Strukturen ist.
2.2. Regelwerk und Bewertung
Obwohl Poetry Slams vom Veranstalter den eigenen Wünschen entsprechend gestaltet werden können, haben sich einige allgemein gültige Regeln eingebürgert. Die wichtigste lautet: Es dürfen nur selbst geschriebene Texte vortragen werden, jedoch sind dabei der Inhalt und die Form der Texte frei wählbar. Es sind keine Gesangsstücke erlaubt, allerdings dürfen Texte im Sprechgesang vorgetragen werden und das Singen einer einzelnen Zeile ist gestattet. Dies geschieht im Rahmen eines vorher festgelegten Zeitlimits von meistens etwa fünf Minuten. Bei Zeitüberschreitung drohen Strafen wie Punktverlust oder Entzug des Mikrophons. Erlaubt ist nur, was mit der Stimme und dem Körper möglich ist. Die einzigen Hilfsmittel sind Textblatt und Mikrophon. Andere Requisiten oder Kostüme sind nicht gestattet, ebenso verboten sind Musikeinspielungen oder Begleitinstrumente.[17]
Zum Regelwerk gehört auch die Bewertung der Texte durch das Publikum vor Ort. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Methoden, etwa durch die Lautstärke und/oder Dauer des Applauses, der über die Qualität der Darbietung entscheiden soll. Ein anderes System ist das Hochheben von Stimmzetteln:
„Dann war die Jury gefragt; fünf zufällig aus den Zuhörern ausgewählte junge Leute hielten nach zwei Bedenkminuten ihre A4-Blöcke in die Luft, von 0 bis 10 konnten sie eine Wertung abgeben. Lara [Stoll, Slammerin aus Schaffhausen, - Anm. A. Schöne] erhielt dreimal eine 10, eine 9,3 und eine 9,9. Die beste und die schlechteste Wertung wurden gestrichen - es blieben 29,9 Punkte, fast perfekte 30.“[18]
Bob Holman, ein Slammer aus den USA, erklärt zu dem typisch amerikanischen Bewertungssystem von 0 oder 1 bis 10:
„Eins für ein Gedicht, das nie hätte geschrieben werden dürfen, zehn für ein Gedicht, das einen spontanen kollektiven Orgasmus im Raum auslöst.“[19]
Die höchste und die niedrigste Note werden jeweils gestrichen, um die Auswirkungen parteiischer Bewertung zu vermindern. Die Jurymitglieder werden aufgefordert, sowohl auf den Inhalt als auch auf den Vortrag zu achten. Vor Beginn des Wettbewerbs können die Jurymitglieder kurz eingeführt werden oder sich selbst kurz vorstellen und müssen am Mikrophon begründen, welche Qualifikation ihre Jurortätigkeit rechtfertigen würde. Die Moderatoren können bei Bedarf die Mitglieder der Jury auffordern, auch ihre Bewertungen zu begründen. Die Jury bildet eine symbolische Instanz zwischen Publikum und Slammern. Es ist ihnen überlassen, ob sie der Stimmung im Publikum folgen oder entgegen der Publikumsmeinung stimmen. Unterschiede zwischen einer Jurywertung und dem Empfinden des Publikums können Anlass für lautstarke Diskussionen bieten beziehungsweise kann die Jury selbst zur Zielscheibe von Kommentaren aus dem Publikum werden lassen.
Vor allem im deutschsprachigen Raum haben sich alternative Bewertungssysteme entwickelt, bei denen das gesamte Publikum abstimmen kann. Dies kann etwa in Form von Stimmzetteln oder dem Hochheben von Gegenständen geschehen. Je nach Kreativität des Veranstalters können auch andere Mittel zur Siegerfindung eingesetzt werden. So erhält bei manchen Poetry Slams jeder Zuschauer einen Pfennig, den er in das Glas seines Favoriten wirft, eine Wäscheklammer, die dem jeweiligen Lieblingspoeten irgendwo am Körper angeheftet werden kann oder aber Dichtungsringe, die über einen Besenstiel in der Hand des Slammers gesteckt werden. Ausschlaggebend bei diesen Bewertungssystemen ist, dass der Gewinner demo- kratisch gewählt wird.
Der Gewinner des Slams bekommt meist einen symbolischen Preis. In der Regel sind das Sachpreise wie Bücher, Getränkegutscheine oder eine Flasche Hochprozentiges. Dies entspricht der viel zitierten Aussage des amerikanischen Slammers und Veranstalters Allen Wolf: „The points are not the point, the point is poetry.“[20] Der Gewinn eines lokalen Slams kann auch zur Teilnahme an überregionalen Slams qualifizieren.
Angebracht werden soll außerdem, dass bei der Bewertung der Texte bewusst das subjektive Gefühl der Jury oder des Publikums zum obersten Bewertungskriterium erhoben wird. Ob ein Text, der von einem Slammer vorgetragen wurde, gut bewertet wurde oder sogar gewonnen hat, gleichzeitig auch literarisch wertvoll ist, kann nicht eindeutig gesagt werden. Das Abschneiden bei einem Poetry Slam ist jedoch nicht immer aussagekräftig im Bezug auf die literarische Qualität des Textes. Die Stimmung des Publikums oder der Jury, die Sympathie für den Teilnehmer und/oder die Themen der Beiträge bestimmen oftmals über das Ab- schneiden des Kandidaten. Ein und derselbe Beitrag kann auf einem Poetry Slam auf Ablehnung treffen und bei einem anderen zum Sieg führen. Auch die äußeren Umstände der Veranstaltung, die Art des Publikums und die Moderation können darauf Einfluss haben. Und nicht zuletzt entscheidet natürlich auch die eigene Stimmung und Tagesverfassung des Vortragenden über das Abschneiden bei einem Poetry Slam. Planen lässt sich so ein Erfolg nicht, denn es spielen verschiedene kleine Elemente eine Rolle, die nicht vorausgesagt werden können:
„Es gibt kein perfektes Rezept, einen Slam zu gewinnen, denn auch Zufallselemente spielen eine Rolle. Der gleiche Text und der gleiche Vortrag kann auf einem Slam Begeisterungsstürme entfachen, auf einem anderen wird der Vortragende von der Bühne gebuht. Natürlich gibt es Flops, Kitsch, Tagebuchlyrik oder struktur- und ziellose Geschichten, gestotterte und verhaspelte Texte, Nervosität und peinliche Momente. Aber es gibt auch immer Highlights an poetischer Dichte, an Wortmagie, an Experimenten, an ungewöhnlichem Vortrag. Die Abwechslung macht’s, und ohne Flops würde man Highlights nicht so schätzen. Wirklich objektive Kriterien, um Qualität von Literatur zu messen, gibt es nicht. Slams machen genau das deutlich [...]“[21]
Im Laufe der Zeit entwickelten sich aus dem klassischen Poetry Slam mit den bisher aufgeführten Regeln ähnliche Veranstaltungen. Etwa Slams, die unter einem Motto stehen und in dem sich alle Beiträge mit einem bestimmten Thema beschäftigen müssen, zum Beispiel ein Erotik Slam oder ein Dialekt Slam. Außerdem gibt es den Cover Slam, bei dem die Poeten im Gegensatz zu den üblichen Regeln nicht ihre eigenen Texte lesen, sondern Texte anderer Autoren vortragen.[22] Diese Form entfernt sich jedoch sehr weit von der eigentlichen Idee des Poetry Slams. Ähnlich ist es bei der Slam Revue, welcher der Wettbe- werbscharakter des klassischen Slams wegfällt und auch das Zeitlimit spielt eine weniger wichtige Rolle oder kann auch ganz aufgehoben sein. Hier steht die Vielfalt der Stile im Vordergrund und teilweise wird den gezielt eingeladenen Slammern auch erlaubt Hilfsmittel zu verwenden, solange dies der wirkungsvollen Inszenierung des Textes dient.[23] Die höchste Priorität gilt allerdings immer noch den eigenen Texten der Poeten. Slam Revues sind eine gute Möglichkeit für die Slammer, einen ganzen Abend gestalten zu können. Beispielsweise gibt es in Dresden seit 2008 die Reihe Poetengeflüster Solo - Gib dich nicht mit 7 Minuten zufrieden!. Dort treten ‚Deutschlands beste Poetryslammer’ nicht wie üblich gegeneinander an, sondern miteinander, und füllen im Lingnerschloss einen ganzen Abend mit ihren Slam- Texten.[24]
Ferner gibt es den Song Slam, ein freundschaftlicher Wettstreit zwischen Musikern[25], oder den Video Slam, bei dem alle Beiträge entweder auf Video gezeigt oder aber von einem Filmbeitrag untermalt werden[26]. Ferner gibt es Web-Slams[27], eine neue Form des Poetry Slams, bei der die Beiträge im Internet gezeigt werden und Internetnutzer per Votum den Gewinner ermitteln. Diese Form garantiert zwar ein großes Publikum und eine größere Reichweite, jedoch geht die direkte Interaktion verloren und findet zeitversetzt über elektronischem Wege statt. Dies sollen nur einige Beispiele von Variationen des klassischen Poetry Slams sein.
2.3. Geschichte
Als Erfinder des Poetry Slams gilt der ehemalige Bauarbeiter und amerikanische Performance-Poet Marc Kelly Smith. Er veranstaltete am 20. Juli 1986 den ersten Poetry Slam im Green Mill Jazzclub in Chicago. Smith fand die konventionellen Literaturlesungen
überholt und langweilig. Seine Intention beschreibt Smith wie folgt:
„I’ll do anything to grab an audience. I want to change what academics have done. […] I want to move all kinds of people - winos, blacks, yuppies, Mexicana. People are starved to hear someone say something that means something to them.”[28]
Der von Smith organisierte Uptown Poetry Slam bestand ursprünglich aus drei Teilen: einem Open Mic, bei dem jeder die Möglichkeiten nutzen durfte, sich vor Publikum zu beweisen; einem Block mit Poeten aus den gesamten USA und einem Auftritt des, von Smith gegründeten, Chicagoer Poetry Ensemble am Ende jeder Veranstaltung. Nach und nach wurde es für das Ensemble jedoch zu schwierig, jede Woche ein neues Programm einzustudieren, weshalb der dritte Teil durch einen Dichterwettstreit ersetzt wurde, der sich langsam zum Hauptanziehungspunkt des Abends etablierte.
Smith hatte die Idee für mehr Lebendigkeit auf der Bühne:
„Die Poeten sollten der Performance ihrer Texte mehr Beachtung schenken und das Publikum in den Vortrag mit einbeziehen. - Der Poetry Slam war geboren!“[29]
Und auch heute noch, 23 Jahre später, veranstaltet Slampapi Smith einen monatlichen Slam namens Pong Jam Slams, bei denen Poeten zusammen mit der Band The Pong Unit performen.[30]
Der Autor Bob Holman stieß 1989 auf die Poetry-Veranstaltung in Chicago und kurz darauf gab es zum ersten Mal einen Poetry Slam im New Yorker Pub Nuyorican Poets Café und von da an dauerte es nicht lange, bis sich diese Veranstaltungsform in den ganzen Staaten ausbreitete. 1990 wurde der erste National Poetry Slam in San Francisco veranstaltet, bei dem jeweils ein Team aus Chicago, San Francisco und New York teilnahm. Mit zunehmender Netzwerkbildung begann auch die Medialisierung des Slams: Der Musiksender MTV ent- deckte den Trend und machte den Poetry Slam im US-Fernsehen publik, Radiosender bekundeten Interesse und Zeitungen berichteten immer öfter von dem neuen Format. Einzelne Autoren avancierten zu Medienstars, wurden interviewt und schmückten sogar Titelseiten diverser Magazine.[31]
Wenige Jahre später slammte man erstmals auch in London, Stockholm, Berlin und Amsterdam. In Deutschland wurden die ersten Poetry Slams von in Berlin lebenden amerikanischen Künstlern ins Leben gerufen. Dazu stieß Wolfgang Hogekamp als Mitveranstalter, der 1995 die Organisation der Slams in Berlin übernahm. Zu dieser Zeit war er der Einzige, der deutsche Texte vortrug. Selbst als andere deutsche Autoren am Slam teilnahmen, präsentierten sie sich zunächst mit englischen Texten. Hogekamp war es auch, der den ersten gesamtdeutschen Poetry Slam initiierte. Dies geschah im Jahre 1997 zusammen mit den Städten Berlin, München, Düsseldorf und Hamburg.[32] Seit 1996 findet im Münchener SUBSTANZ monatlich ein Poetry Slam statt, der mit jeweils rund 400 Besuchern zu Europas größten und populärsten zählt.[33]
Die Anzahl lokaler Slams wuchs kontinuierlich und überschritt 1999 die deutschen Landesgrenzen nach Österreich und in die Schweiz, die sich im gleichen Jahr auch am National Slam beteiligten. Dies führte zwei Jahre später zur Namensänderung in German International Poetry Slam (GIPS).[34] Teilnahmeberechtigt an den German International Poetry Slams sind seit dem alle deutschsprachigen Poetry Slams, die regelmäßig und mindestens sechsmal im Jahr veranstaltet werden.
Außerdem laufen seit einigen Jahren Bestrebungen, Slams als lebendige Vermittlungsform von Literatur an Schulen zu bringen. Mithilfe von Fortbildungen für Lehrkräfte und Workshops an Schulen entstanden 2004 U20-Poetry Slams, Slams für Schüler.[35]
2.4. Situierung
Um einen erfolgreichen Poetry Slam ausrichten zu können, wird ein Veranstaltungsort benötigt, an dem der Slam regelmäßig stattfinden kann. Denn Ortsgebundenheit und Regelmäßigkeit sind die Grundvoraussetzung für die Herausbildung einer literarischen community. Poetry Slams finden sowohl unter der Woche als auch am Wochenende statt, beginnen selten vor 20 Uhr und dauern meist bis spät in die Nacht. Die kulturelle Vielfalt der Lokalitäten von Slams ist groß: Das Green Mill in Chicago, Geburtsort des Poetry Slams, ist ein Jazzclub. Andere Venues sind zum Beispiel, ein Jugend- und Kulturzentrum wie in Aschaffenburg, der Gewölbekeller eines Turmes wie in Halle oder ein Theater wie in Braunschweig.[36] Meistens sind es jedoch verschiedenste Bars, Kneipen oder Clubs. Das Aussehen dieser Orte kann sehr stark variieren, doch gemeinsam muss allen Orten sein, dass sie öffentlich, allgemein zugängliche Räumlichkeiten sind. Wichtig ist, dass sie ihre eigene kulturelle Szene und ein eigenes Stammpublikum aufweisen, damit ein direkter Kontakt zu den Zuschauern gewährleistet ist.
2.5. Struktur
Bevor der Poetry Sam stattfinden kann, muss neben der Festlegung eines verbindlichen Regelwerks und Veranstaltungsorts, muss auch die Frage der Finanzierung und Werbung geklärt werden. Dies geschieht überwiegend durch Flyer, die in Kneipen, Clubs oder an den Universitäten verteilt werden. Auch weisen Anzeigen in regionalen Veranstaltungskalendern und im Internet auf den Event hin. Die Kostendeckung für Werbung und etwaige Spesenzahlungen wie Reisekosten an die geladenen Poeten oder auch Raummiete werden durch den Eintrittspreis und den Verkauf von Getränken reguliert. Dabei wird meistens ein Kostendeckungsgrad von etwa 100 Prozent angestrebt, der keinen Profit für den Veranstalter verspricht.
„In seinem Verlauf bildet ein Poetry Slam - in steter Abfolge von Autoren, Lesezeit und Abstimmungen - eine aus Wiederholung und Variation bestehende Struktur. So lässt sich der Poetry Slam aus kulturanthropologischer Perspektive als Ritual deuten, nämlich als Dramatisierung lebensweltlicher Zusammenhänge unter Einsatz ästhetischer Mittel und gegeneinander abgegrenzter Handlungssequenzen. Der Sinn liegt darin, seinen Verlauf immer wieder für alle Beteiligten zu legitimieren. Neben dieser Ritualität sind es auch die Bezugnahmen von Slam-Texten auf die Alltagswirklichkeit, mit denen sie Anspruch auf die Ästhetik einer Authenzität erheben.“[37]
Im Folgenden werde ich die Struktur von Poetry Slams stark verallgemeinert darstellen. Zwar hat der Poetry Slam im Gesamtablauf eine konstante Struktur, doch sind die Einzelelemente der Veranstaltung variabel, denn die spezifische Ausgestaltung ist natürlich von regionalen Besonderheiten und den jeweiligen Organisatoren abhängig. Vorreiter und Muster für die einzelnen Veranstaltungen waren und sind natürlich Slams in den USA beziehungsweise den großen Städten der jeweiligen Länder, in denen die ersten Slams stattfanden.
Generell existiert bei einem Poetry Slam zwei Möglichkeiten des Ablaufs. Zum einen gibt es das System der offenen Liste. Das bedeutet, dass vor dem Slam noch nicht feststeht, wer auftritt, da am Eingang eine Liste ausliegt, auf der sich Slammer spontan eintragen können.[38] Dieses System ist in großen Städten öfter vertreten als in kleinen, da sich mehr Autoren finden lassen und keine Gefahr besteht, ohne Teilnehmer beginnen zu müssen. Die meisten Slam-Veranstalter verwenden allerdings das challenging system. Dabei werden nationale oder internationale Gast-Slammer direkt eingeladen. Oft werden beide Systeme miteinander kombiniert, das heißt einige Slammer werden eingeladen und die gleiche Anzahl an Plätzen bleibt für lokale Slammer auf der offenen Liste. Bei diesem System ist gewährleistet, dass mindestens die Hälfte der Teilnehmer erfahrene Slammer sind.
Der eigentliche Programmablauf eines Poetry Slams lässt sich in bis zu drei Teile gliedern: das Vorprogramm, der Wettbewerbsteil und das offene Ende. In dieser Struktur lassen sich deutlich ritualisierte Züge erkennen.
Das Vorprogramm dient dazu eine Verbindung zwischen dem Publikum und der Bühne herzustellen und einen literarischen Kontext aufzubauen. Die aktuelle Veranstaltung soll an den Ort und die Veranstaltungsreihe angeknüpft werden. Dies kann eine Ansage des Moderators sein oder durch einen Gastpoeten geschehen, der außer Konkurrenz auftritt, um das Publikum einzustimmen.
Der Wettbewerbsteil wird dann vom Moderator eingeleitet und die einzelnen Autoren betreten nacheinander die Bühne. Jede Veranstaltung entwickelt nach und nach ihre eigenen Abläufe, etwa ob in Blöcken aufgetreten wird und wie viele Runden es gibt. Der Wettebewerbsteil endet mit der Siegerehrung, welche von einer Band oder einem DJ begleitet sein kann. Diese Rituale enden in einem informellen offenen Ende. Viele der Beteiligten gehen nicht sofort nach Hause, sondern nutzen den Anlass Poetry Slam zum geselligen Zusammensein und Austausch über Texte, Darbietungen oder die Veranstaltung. Zuschauer haben die Möglich- keit, in Kontakt mit den Autoren zu treten und ihre Texte detaillierter zu loben oder zu kritisieren. Im Gegenzug versuchen Autoren mit einem kleinen Stand ihre Hefte, Bücher oder CDs mit eigenen Texten zu verkaufen. Meist legt danach noch ein DJ Musik auf, damit die Beteiligten den Abend gemeinsam ausklingen lassen können. Hierbei führt ein ständiger Innovationsdruck dazu, dass neben dem eigentlichen Slam ein attraktives Rahmenprogramm immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Diese Struktur erinnert deutlich an Konzerte oder andere Musikveranstaltungen, die in der Regel eine ähnliche dreiteilige Struktur aufweisen und ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl vermitteln. Dass eine Poetry-Slam-Veranstaltung eher an Kneipen- und Musikveranstaltungen erinnert und nicht unmittelbar an klassische Lesungen, liegt wohl vorrangig an der informellen Atmosphäre. Gerade dieser Unterschied stellte den Anreiz für den Poetry-Slam- Gründer dar:
„Wieso geht es bei Jazz- Konzerten so lebendig zu, und warum starren die Menschen bei literarischen Lesungen so oft in die Ecken? So fragte sich 1986 der Baustellen-Vorarbeiter Marc Smith.“[39]
2.6. Die Beteiligten
Bei einem Poetry Slam kommt allen Beteiligten eine Aufgabe zu. Die Veranstaltung gelingt erst dann, wenn jeder seine Rolle sowohl verantwortlich als auch mit einer gewissen Leichtigkeit und Spaß an der Sache ausfüllt. Oder wie Jaromir Konecny, Slammer aus München, es ausdrückt:
„Ein guter Slam ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem alle gleichermaßen mitwirken: Die Dichter, die MCs, das Publikum, der Pausen-DJ, aber auch die Barkeeper - alle!“[40]
Das Wichtigste bei einem Poetry Slam ist das Zusammenspiel. Jeder Slam hat seine eigene Dynamik und keiner der Teilnehmer kann im Voraus sagen, wie sich die Veranstaltung entwickelt. Die besondere Atmosphäre wird durch das Publikum, die Präsenz der Slammer und nicht zuletzt durch die Texte geschaffen. Dabei können die Übergänge der Beteiligten fließend sein: Ein Zuschauer kann zum Juror oder Slammer werden, ein Veranstalter zum Moderator oder ein Slammer zum Zuschauer. Im Mittelpunkt sollte jedoch immer das gesprochene Wort stehen.
2.6.1. Slam Master
Zu den wichtigsten Bestandteilen des Poetry Slams zählt der Gastgeber, auch Host oder Slam Master genannt. Dieser ist verantwortlich für die Wahl der Räumlichkeit und das regelmäßige Stattfinden des Poetry Slams. Weiterhin ist der Slam Master zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, etwa dem Bekanntmachen der Veranstaltung. Außerdem sind sie für die Organisation der Bühnentechnik und der Bar zuständig. „In der Regel übernehmen Slam Master [auch] die Reisekosten der eingeladenen Slammer, ebenso stellen sie ein Nachtquartier für angereiste Slamgäste zur Verfügung.“[41]
Der Einfluss des Veranstalters ist zum einen durch sein regelmäßiges Ausrichten des Poetry Slams, was zur Etablierung innerhalb der literarischen Gemeinde beiträgt, bedeutend. Zum anderen prägt auch die Wahl des Veranstaltungsortes die kulturelle Zusammensetzung von Autoren, Publikum und somit auch die Richtung der Texte. Diversen Veranstaltern ist ebenfalls die weitgehend schnelle Verbreitung der Slam-Bewegung zu verdanken.
„Eine [...] wichtige Motivation war es demnach, den Slam als Plattform für den offenen, kollektiven Austausch von Literatur zu begreifen, die durch die kritische und supportive Interaktion der Autoren einen besonderes fruchtbaren Nährboden für das Schreiben des Einzelnen bot.“[42]
Wolfgang Hogekamp etwa beschreibt seine Motivation Poetry Slams in Berlin auszurichten wie folgt:
„Die ursprüngliche Motivation war wohl die, dem immer mehr werdenden visuellen Bewusstsein etwas entgegenzusetzen, das Kommunikationsmittel Nummer eins, das ein jeder hat: seine eigenen Sprache. […] Auch meine Abneigung gegen die Sockelmentalität des akademischen Literaturbetriebs war ein Antrieb.“[43]
2.6.2. Master of Ceremony
Der Host kann, muss aber nicht, gleichzeitig der MC ( Master of Ceremony) des Abends sein. Der MC wacht über das gesamte Programm des Slams, die Einhaltung der Regeln und das Wohlbefinden der Gäste. So greift der MC etwa ein, wenn ein Slammer seine Zeit überschreitet. Er fungiert gleichzeitig als Moderator, welcher auf der Bühne durch den Abend führt. Zu seinen Aufgaben zählt es auch die Regeln und den Ablauf nochmals zu erklären und, wenn für den Slam üblich, eine Jury auszuwählen. Andernfalls wird bei besonderen Ritualen das Publikum auf seine Rolle vorbereitet. Dann stellt der MC auftretende Künstler meist nicht nur namentlich vor, sondern erzählt auch kleine Anekdoten, etwa indem er von Erfolgen in der Slam-Szene berichtet. Wird der Gewinner durch Beifall ermittelt, liegt es am MC herauszufinden, wer den lautesten Applaus bekommt. Werden andere Abstimmungssysteme durchgeführt, ist es Aufgabe des MCs das Ergebnis bekannt zu geben. Am Ende übergibt er dem Gewinner seinen Preis.
Die wichtigste Aufgabe des MCs ist es jedoch, das Interesse und die Begeisterung des Publikums zu wecken, es als aktiven und gleichberechtigten Part der Veranstaltung zu integrieren und keine Hierarchien im Vorfeld entstehen zu lassen. Für die unterschiedlichen Künstler und Texte sollte der MC einen gemeinsamen Rahmen schaffen.[44] Wichtig ist, dass die Stimmung während der Veranstaltung nicht kippt. Zwar weist der MC das Publikum darauf hin, dass es seine Meinung auch schon während eines Vortrags äußern kann, doch sollte bei Bedarf für Ruhe gesorgt werden, damit jeder Slammer die nötige Ruhe und Konzentration im Publikum finden kann. Bevor abgestimmt wird, fasst der Moderator die Beiträge der Slammer nochmals kurz zusammen, um die Erinnerung an einzelne Beiträge zu erleichtern.
2.6.3. Slammer
Die Frage nach der Rolleneingrenzung der Beteiligten ist des Öfteren fließend, da aus Zuschauern oder Veranstaltern auch Slammer werden können. Slammer werden die teil- nehmenden Autoren des Poetry Slams genannt. Der Terminus ist ein Überbegriff: Slammer sind Dichter, Lyriker, Geschichtenerzähler, Performer, Performance-Poeten, Lebenskünstler und Autoren.
„Der Slammer Moses sieht drei Varianten von Slammern: die inhaltlichen, die technischen und die improvisierenden. Die inhaltlichen Slammer schreiben Texte, die entweder eine Aussage, eine Meinung oder ein Gefühl vermitteln möchten, häufig bemühen sie sich zusätzlich lustige und amüsante Themen zu präsentieren. Die technischen stellen zum Beispiel ihr Beatbox-Können unter Beweis oder ihre Vortragsgeschwindigkeit. Die improvisierenden liefern einen zuvor nicht festgelegten Vortrag, der sich auf der Basis von Fragmenten entwickelt. Sie bauen ihre Rhymes nach Gusto um. Sie können teilweise sogar Zurufe des Publikums in ihre Strophen mit einbauen.“[45]
Die Reihenfolge, in der die Slammer auftreten wird meist ausgelost, dazugehörig kann ein featured poet sein, auch special guest genannt, ein eingeladener Gastpoet, der außer Konkurrenz auftritt.[46] Viele Slammer beginnen mit einer Begrüßung oder einer kleinen Vorrede, um sich und ihren Text dem Publikum näher zu bringen. Zwar müssen Slam-Autoren mit der sofortigen Kritik ihres Vortrags durch das Publikum rechnen, gleichzeitig haben sie jedoch viel Spielraum in der Präsentation.
„Die Kunst eines guten Slam Vortrages besteht darin, den eigenen Text so authentisch zu präsentieren, so sehr mit der eigenen Person in der Performance ‚zu leben’, dass der Autor die gesammelte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf seine Person zieht und damit letztlich Bühne und Publikum bespielt.“[47]
Der erste Slam läuft nicht immer gleich perfekt. Sebastian23, Slampoet aus Bochum erinnert sich an seinen ersten Auftritt:
„Das war 2001 in Freiburg [...]. Ich hatte gedacht, man muss bei Slams improvisieren, und brachte deswegen keinen Text mit. Als ich dann aufgerufen wurde, hatte ich bereits mitgekriegt, dass die anderen alle vorgelesen oder irgendetwas auswendig gelernt hatten. Was ich dann von mir gegeben habe, gefiel weder mir noch dem Publikum.“[48] Doch das hat ihn nicht abgeschreckt:
“Aber ich habe trotzdem weiter gemacht, weil ich beim Poetry Slam Resonanz bekam und prüfen konnte, was ankommt und was nicht. Denn als Jungliterat oder Jungpoet ist es natürlich immer schwierig irgendwo Gehör zu finden.“[49]
Das Fazit lautet also:
„Wenn man sich einen Ruck gibt, sich beim Slam auf die Bühne traut und mit der Kritik der Zuschauer klarkommt - was auch mal hart sei kann - profitiert man letztendlich immer. Denn Slam ist eine gute Sache um sich weiterzuentwickeln.“[50]
Sein Tipp für beginnende Slammer ist:
„Wahrnehmungen und Humor sind regionalspezifisch. Es gibt Texte, die funktionieren bei Slams in Süddeutschland besser als in Norddeutschland oder umgekehrt. Es hängt auch von der Tagesform ab und wie sich das Publikum zusammensetzt, ob es eher jung, alt, wild oder ruhig ist. Wenn ein Text nicht funktioniert, dann liegt das nicht unbedingt am Text oder an einem schlechten Vortrag. Es kann auch am Publikum liegen, Zuschauer und Slammer benötigen ein gutes Zusammenspiel.“[51]
Für die Autoren ist die Regelmäßigkeit von Slam-Veranstaltungen und die dabei gewonnene Anerkennung eine Gelegenheit und Motivation zur weiteren Textproduktion. Gauner, ein Slam Poet aus Berlin, erinnert sich in einem Interview:
„In der Poetry Szene habe ich Publikum gefunden, das zuhören kann. Das hat mich motiviert, mehr politische Sachen zu schreiben. Es war für mich am Anfang ein Schock, als ich den Text vortrug und völlige Stille herrschte. Erst am Ende des Textes habe ich beim Slam am Applaus gemerkt, dass ich ein aufmerksames Publikum hatte. Mittlerweile habe ich Gespür entwickelt, in der Stille zu erkennen, wie der Text gerade im Publikum ankommt. Was mir in zehn Jahren Hip Hop nie passierte, passiert mir beim Slam öfter mal, nämlich dass mich Leute auf eine einzelne Zeile ansprechen. Einer hat mich einmal gefragt, ob er einen Satz auf sein T-Shirt drucken darf.“[52]
Ein Traum vieler Slam-Poeten ist natürlich, wenn sie vom Slammen leben können, doch das gelingt den wenigsten. Nur selten werden bei Veranstaltungen Gagen gezahlt, Slammer schlagen sich durch, sind Künstler, Bohemien, jobben nebenher und gehen auf Tour.
[...]
[1] Siebert, Jan. Vorwort: Worthäppchen vorab. In: Treml, Sandra. Wortschatz: Perlen des Poetry Slam. Das Poetry Slam Magazin. Ausgabe 1. Athesia Druck: Stuttgart. 2007. S. 7
[2] In Buchform bei Books on Demand erschienen.
[3] Vgl.: Westermayr, Stefanie. Poetry Slam in Deutschland. Marburg: Tectum Verlag. 2004.
[4] Vgl.: Smith, Marc Kelly and Joe Kraynak. The Complete Idiot's Guide to Slam Poetry. New York: Alpha. 2004.
[5] Vgl.: Bylanzky, Ko u. Rayl Patzak (Hrsg.). Planet Slam. Das Universum Poetry Slam. München: Yedermann. 2002.
[6] Peters, Freia. Ein Club voller Selbstdarsteller. In: Die Welt vom 29. April 2001. < http://www.welt.de/print-wams/article611381/Ein_Club_voller_Selbstdarsteller.html >
[7] Vgl.: Preckwitz, Boris. Slam Poetry: Nachhut der Moderne. Hamburg: Books on Demand GmbH. 2002. S. 99 6
[8] Vgl: Anders, Petra. Poetry Slam. Live-Poeten in Dichterschlachten - Ein Arbeitsbuch. Iserlohn: Verlag an der Ruhr. 2007. S. 15
[9] The Oxford English Dictionary. Band XV. Oxford: Clarendon Press. 1989. S. 647-648
[10] Preckwitz. 2002. S. 21
[11] Farmbauer, Martina. Junge Wortakrobaten mit viel Sportsgeist. In: Die Welt vom 11. Januar 2001. < http://www.welt.de/print-welt/article427391/Junge_Wortakrobaten_mit_viel_Sportsgeist.html>
[12] Peters. Die Welt. 2001.
[13] Hamann, Mathias. Poetry Slam: Wie Julian den U20-Slam in Berlin gewann. In: Süddeutsche Zeitung vom 07. Oktober 2007. < http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/401117 >
[14] Anders, Petra. Slam Poetry. Stuttgart: Reclam. 2008. S. 5
[15] Anders. 2008. S. 7
[16] Eine Sneak Preview oder kurz Sneak ist eine Art Überraschungspremiere oder Vorpremiere, bei der ein Film im Kino vor dem nationalen Filmstart gezeigt wird, ohne dass die Besucher beim Kartenkauf jedoch wissen, welcher Film sein wird.
[17] WDR. Poetry Slam. Sendung. Das Regelwerk. < http://www.wdr.de/tv/poetryslam/zursendung/slamregeln.jsp >
[18] Hamann, Mathias. „Als Traktor immer genug zum Abschleppen“ - Junge Schaffhauserin gewinnt Poetry Slam in München. In: Neue Züricher Zeitung vom 11. November 2006. < http://www.nzz.ch/2006/11/11/vm/articleenhlc_1.74872.html >
[19] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: R. < http://www.arte.tv/de/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC=1773668.html >
[20] Poetry Slam Inc. Poetry Slam. General FAQ. < http://www.poetryslam.com/index.php?option=com_content&task=view&id=10&Itemid=25 >
[21] Treml, Sandra. Wortschatz: Perlen des Poetry Slam. Das Poetry Slam Magazin. Ausgabe 1. Athesia Druck: Stuttgart. 2007. S. 179
[22] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: C. < http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/Poetry-Slam/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC= 1773538.html >
[23] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: R. < http://www.arte.tv/de/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC=1773668.html >
[24] Poetengeflüster. < http://www.poetengefluester.de >
[25] Song Slam. Info. FAG. < http://www.songslam.de/info/faq >
[26] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: V. < http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/Poetry-Slam/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC =1773678.html>
[27] Der Kultursender arte startete 2007 im Internet den ersten regelmäßigen europäischen Web-Slam, bei dem Internetnutzer im zweimonatigen Abstand per Punkteabstimmung einen Sieger aus eingesandten Video- Beiträgen wählen.
[28] Preckwitz. 2002. S. 45-46
[29] Anders. 2007. S. 18
[30] Slampapi. Marc Kelly Smith. < http://www.slampapi.com >
[31] Vgl.: Preckwitz. 2002. S. 47-49
[32] Vgl.: Preckwitz. 2002. S. 59-62
[33] Planet Slam. Munichslam. < http://www.planetslam.de/munichslam.php >
[34] Vgl.: Westermayr. 2004. S. 53
[35] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: U. < http://www.arte.tv/de/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC=1773674.html >
[36] My Slam. Das Poetry Slam Portal. Poetry Slams < http://www.myslam.de/poetry-slams >
[37] Preckwitz. spoken word und poetry slam: Kleine Schriften zur Interaktionsästhetik. Wien: Passagen Verlag. 2005. S. 92
[38] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: U. < http://www.arte.tv/de/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC=1773586.html >
[39] Treml. 2007. S. 21
[40] Treml. 2007. S. 98
[41] Treml. 2007. S. 179
[42] Preckwitz. 2002. S. 88
[43] Anders. 2007. S. 26
[44] Vgl.: Anders. 2007. S. 29
[45] Westermayr. 2004. S. 34
[46] arte. Poetry Slam. Poetry Slam von A bis Z: F. < http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/Poetry-Slam/Poetry-Slam-von--A-Z-/1773528,CmC= 1773566.html >
[47] Preckwitz. 2002. S. 95
[48] Treml. 2007. S. 42
[49] Treml. 2007. S. 42
[50] Treml. 2007. S. 47
[51] Treml. 2007. S. 42
[52] Treml. 2007. S. 67
- Arbeit zitieren
- Antje Schoene (Autor:in), 2009, Poetry Slam. Ein demokratisch-interaktives Performance-Format in Zeiten der neuen Medien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139822
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