Die Imagination des Orients


Term Paper (Advanced seminar), 2007

31 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das konzipierte Orientbild im Europa des 18.,19. und 20. Jahrhunderts

3. Femme Fatal und Tausendundeine Nacht – Das Bild der orientalischen Frau aus der Sicht europäischer Männer anhand ausgewählter Beispiele
.
Carsten Niebuhr und Helmuth Graf von Moltke
Gérard de Nerval und Gustave Flaubert
Montesquieu und Voltaire – Die orientalische Frau aus der Sicht der Philosophen
Die orientalische Frau in der Kunst

4. Das Bild der orientalischen Frau aus der Sicht europäischer Frauen anhand ausgewählter Beispiele zur Sicht des Harems
Reiseberichte von Frauen. Ihre Glaubwürdigkeit und ihre
Besonderheiten
Lady Mary Montagu, Lady Elisabeth Craven und Jemima Kindersley – drei
Haremsberichte im Vergleich

5. Schluss

6. Literatur- und Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll sich mit dem konzipierten Orientbild im Europa der Neuzeit beschäftigen, dabei soll ein besonderes Augenmerk auf die Sicht der orientalischen Frauen seitens europäischer Männer, als auch europäischer Frauen gelegt werden. Ist das Bild über die „kulturell andere Frau“ das Gleiche, oder gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung der orientalischen Frau. Welche Vorstellungen hatten die Europäer über die Harems, welche die Privaträume der orientalischen Frauen sind und wie sah die Wirklichkeit aus? Wie gingen Schriftsteller und Philosophen mit der Fremde um und dem Image des Orients und wer prägte dieses? Die unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Orient sollen anhand exemplarischer Vergleiche kurz geschildert werden, um auch die unterschiedlichen Voraussetzungen aufzuzeigen, unter denen sich Europäer in den Orient begaben.

Das Hauptarbeitsmittel und die Grundlage dieser Arbeit stellt dabei das Buch „Europa und der Orient 800-1900“ herausgegeben von Gereon Sievernich und Hendrik Budde im Rahmen einer Ausstellung des vierten Festivals der Weltkulturen Horizonte 1889 in Berlin dar.

Auch das Thema „Reiseberichte“ soll näher beleuchtet und untersucht werden, ob sich Unterschiede in den verschiedenen Berichten über den Orient aus männlicher Sicht, weiblicher sowie ein Vergleich zwischen den weiblichen Berichten erkennen lassen.

Wie sich bestimmte Vorurteile und Images bis in unsere heutige Zeit gehalten haben und in wie weit wir heute von einem veränderten oder stagnierten Orientbild sprechen können, soll nun im Folgenden geklärt werden.

2. Das konzipierte Orientbild im Europa des 18. , 19. und 20. Jahrhunderts

Wenn man heute jemanden danach fragt, was er mit dem Begriff „Orient“ assoziiert, so erhält man erstaunlicherweise nahezu die gleichen Aussagen wie sie die Leute im 18. und 19. Jahrhundert getroffen hätten. Der Unterschied zu heute, also dem 21. Jahrhundert, liegt allerdings darin, dass wir um die Umstände in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wissen. Wir haben die Möglichkeit durch Nachrichten im Fernsehen und durch die verschiedenen Radiosender schnell und umfassend informiert zu werden, was in welchem Teil der Welt gerade geschehen ist. Vorher vermittelte einzig die Literatur reale und imaginierte Informationen über das Morgenland. Die Reisezeiten in ferne Länder und Städte haben sich im Vergleich zum 18. Jahrhundert erheblich verkürzt.

Und doch verbinden viele Menschen mit dem Orient immer noch solche Images wie, die schöne, geheimnisvolle, verschleierte, mit teurem Schmuck und bunten Tüchern aus edlen Stoffen bekleidete Bauchtänzerin, Gemächer aus „Tausendundeiner Nacht“ durch die magisch duftende Rauchschwaden hindurchschweben, Sultane, Serails, Harems, Wüste und Kamele. Von solchen Bildern gibt es unzählige. Warum haben wir heute immer noch so ein konzipiertes und vorgefertigtes Orientbild, obwohl wir zum Beispiel über die Kriege, auch die aktuellen politischen Auseinandersetzungen, in diesen Ländern wissen? Nach Karl Ulrich Syndram[1] kennen die Menschen heute zwei verschiedene Arten der Orientwahrnehmung, die vom „18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch weitgehend miteinander verbunden waren“.[2] Zum Einen das politische Orientbild, welches mittlerweile nach den unterschiedlichen Ländern differenziert, wandelbar und an die aktuellen Ereignisse gebunden ist. Zum Anderen gibt es laut Syndram noch das ästhetische Orientbild. Dieses Bild basiert hauptsächlich auf den überlieferten Bildern und den Assoziationen, also den Images und den Klischees, die wir von bestimmten Dingen haben. Sie überdauerten die historischen Veränderungen und konstituieren so eine eigene Vorstellungswelt, die Imagerie[3].

Und bereits die Begriffspaare von Morgen- und Abendland, von Orient und Okzident zeichnen sich durch eine starke Polarität aus. Schon das bloße Wort „Orient“ suggeriere, nach Syndram, eine exotische Ferne und es wirke äußerst ernüchternd, wenn diese Ferne auf ein reales Gebiet festgelegt werden würde[4].

Eines der wichtigsten Kommunikationsmitttel für die Menschen in der Neuzeit war die Literatur. Aus ihr erfuhren sie, ob nun fiktiv oder real, etwas über die Ferne.

Seit der Antike, zum Beispiel bei Homer (Ilias, Odyssee) lässt sich der Orient als Thema in der Literatur antreffen. Im 18. und 19. Jahrhundert kommunizierte, entdeckte und informierte sich Europa durch die Literatur und die Kunst. Die eigentliche literarische Entdeckung des Orients in Europa fand wesentlich durch die erste französische Veröffentlichung der Geschichten aus „Tausendundeine Nacht“ (Les mille et une nuits, contes arabes traduits en français, 1704 -17) durch den Orientalisten Antoine Galland (1646-1715) , der die Geschichten im 18. Jahrhundert gefördert, herausgegeben und übersetzt hatte, statt[5]. In ganz Europa prägten die Geschichten aus „Tausendundeine Nacht“ das vorromantische Orientbild. Allein schon durch die Rahmenhandlung eines willkürlichen Despoten, der nach der Liebesnacht seine Frauen töten lässt, bis ihm die schöne und kluge Scheherazade begegnet, die ihm jeden Tag eine Geschichte zu erzählen weiß, bot den Europäern ein bizarres und exotisches Szenarium und öffnete den Raum für die Phantasie, was wohl hinter den verschlossenen Türen der orientalischen Frauengemächern vor sich gehen mochte[6]. Überhaupt interessierten sich viele Europäer besonders für das weibliche Geschlecht, die Orientalin, die geheimnisvolle „femme fatal“.

Karl-Heinz Kohl bemerkt in seinem Aufsatz „ Cherchez la femme d´Orient“[7], es habe einen sprachlichen Wandel in der wissenschaftlichen Literatur zum Exotismus gegeben. Das Fremde hätte sein Geschlecht gewechselt und wäre nun die Fremde. Damit werde „das Exotische […] zum Metonym des Erotischen, die Fremde zum Inbegriff des Begehrens“[8].

Auch in den Erdallegorien des 16. Jahrhunderts wurde der neu entdeckte vierte Kontinent meist als eine nackte, mit kannibalischen Attributen versehene, aber auch verführerische Frau dargestellt. Der Orient galt als das weibliche Gegenstück zum männlich konnotierten Okzident.

Doch herrschte zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch ein gewisser Respekt gegen die Orientalen vor. Reisende des 17. und 18. Jahrhunderts entdeckten in Arabien und Persien in der patriarchalen Gesellschaft das Bild eines zwar exotischen, doch gleichwertigen männlichen Gegners.[9] Der orientalische Despot, der mit Willkür und Gewalt über seine Untertanen und seinen Harem herrschte und die orientalische Frau, die aus der Öffentlichkeit scheinbar verbannt und hinter einem Schleier ihr Gesicht verbergen musste, zerstörten das Image von der Verkörperung des Orients in Form der entblößten weiblichen Gestalt, die zu Eroberung herausforderte. Doch diese Vorstellung wandelte sich mit der Erweiterung des kolonialen Einflussbereiches der Engländer in Indien, die sich auf Kosten der zerfallenden Reiche der islamischen Mogulherrscher bereicherten und der Landung Napoleons 1798 in Ägypten. Wenige Jahre darauf wurde auch Nordafrika kolonialisiert. Die Welle der Orientbegeisterung erreichte ihren Höhepunkt mit der Einnahme Algiers 1830 durch Kolonialtruppen der Franzosen[10].

3. Femme fatal und Tausendundeine Nacht – Das Bild der orientalischen Frau aus der Sicht europäischer Männer anhand ausgewählter Beispiele

Wie bereits beschrieben, war das Orientbild der Neuzeit geprägt vom Weiblichen. Die schöne und wilde Fremde regte die Phantasie der Menschen an. Hier soll nun auf einzelne europäische Vertreter und ihre Vorstellungen der orientalischen Frau eingegangen werden. Dabei wird es kurz um Carsten Niebuhr im Vergleich zu Helmuth Graf von Moltke gehen, als Männer, die in ihren Reiseberichten aus dem Orient im Vergleich zu den folgenden Berichten nur sporadisch auf die orientalischen Frauen eingingen. Weiter soll ein direkter Vergleich zwischen den Erwartungen von Gérard de Nerval und Gustave Flaubert an die geheimnisvolle Fremde und ihre realen Erfahrungen geschildert werden. Auch soll die orientalische Frau aus der Sicht zweier französischer Philosophen und Schriftsteller näher beleuchtet werden und zuletzt ein kurzer Blick auf diese in der europäischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts geworfen werden.

Dabei ist es von großer Wichtigkeit für die getroffenen Aussagen, ob die Berichtenden schon einmal das Morgenland bereist haben oder nicht, d.h. ob sich ihr Bild vom Orient als reines Image erweist, oder ob es Anzeichen der Störung, Enttäuschung, Begründung, oder sogar des vollständigen Wandels ihres Images gibt. Inwieweit lassen sich europäische Vorstellungen gekleidet in abendländischen Gewändern als Kritik, oder im Unterbewussten entstanden, in den Texten finden? Später soll verglichen werden, welche Vorteile in der Objektivität und der Realitätsnähe sich herausfiltern lassen, wenn europäische Frauen sich der Thematik zuwendeten.

3.1. Carsten Niebuhr und Helmuth Graf von Moltke

Der Forschungsreisende Carsten Niebuhr (1733-1815) bereiste für 7 Jahre die Länder des Orients und beobachtete sehr detailgetreu und meist ganz nüchtern-objektiv die Gebräuche und Sitten sowie die Architektur der Morgenländer. Zu seinen wichtigsten Werken gehören „Beschreibung von Arabien“[11] (1772) und „Reisebeschreibungen nach Arabien und anderen umliegenden Ländern“[12] (1774-1778). Der Deutsche widmete sich in seinen Arbeiten oft nur kurz dem orientalisch weiblichen Geschlecht. Meist ging es um Beobachtungen zur Kleidung der Frauen:

[…] „Kein Kleidungsstück scheint den Morgenländerinnen so wichtig zu sein wie das Tuch, mit dem sie ihr Gesicht bedecken können, wenn sich ihnen ein Mann nähert. Ein Engländer überraschte einmal in Basra eine Frau, die gerade im Euphrat badete. Die Frau schlug sofort die Hände vors Gesicht, ohne sich darum zu kümmern, was der Fremde sonst sehen konnte.“ […][13]

Durch die Anekdote Niebuhrs wird deutlich, wie wichtig den orientalischen Frauen das Tuch vor ihrem Gesicht ist. Niebuhr wertet allerdings nicht, er gibt nur wieder, was er gesehen/ bzw. gehört hat.

In einem anderen Textausschnitt zeigt Niebuhr verschiedene Motive an, welche die Wahrnehmung der orientalischen Frau bestimmten:

[…] „Es ist bekannt, dass den Arabern erlaubt ist, bis vier Frauen zugleich zu haben. Indes begnügen sich die meisten mit einer und behalten selbige Zeit Lebens, wenn sie sich nur einigermaßen nach dem Willen des Mannes bequemt. Unser Schech von Beni Saiid hatte zwey Frauen, wovon die eine, welche da wohnte, wo wir unser Zelt aufgeschlagen hatten, auf die Bedienten Achtung geben musste, die das Vieh hüteten. Die andere wohnte in einer anderen Gegend und hatte die Aufsicht über einen Garten mit Dattelbäumen. Seine häuslichen Geschäfte wurden also von seynen beiden Frauen besorgt, wenn er seine Freunde besuchte oder wenn es zu Sués war, um Geld mit Wasserholen zu verdienen“ […][14]

Die Motive sind nach Niebuhr demnach Polygamie (Vielweiberey), Dienerrolle aber auch Selbstständigkeit im Arbeitsleben.

Auch hier wertet Niebuhr nicht und erscheint somit als wert- und vorurteilsfrei.

Anders ist es beim preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke (1800-1891), der von 1835 bis 1839 Militärberater im Osmanischen Reich war, und anschließend wieder in den preußischen Generalstab berufen wurde. Neben seinem beruflichen Engagement beschäftigte er sich auch unter anderem mit der Rolle der Frau im Osmanischen Reich.

Er geht kritisch auf das „Sichtverbot“ ein, welches ein umstrittenes Thema in der europäischen Betrachtung in Bezug auf die orientalischen Frauen zu dieser Zeit war.

[…] „Die Weiber sind streng bewacht und von allem Umgang, außer mit Frauen, geschieden. In diesem Punkte sind alle Muselmänner einverstanden, und die Reformen werden gewiß zu allerletzt in die Harems dringen. Die Fenster sind mit Holzgittern und dahinter von oben bis unten mit dichtem Rohrgeflechte geschlossen, so, daß niemand von außen das mindeste vom Innern erblickt. Gewöhnlich gestattet ein kleines rundes Loch diesen Gefangenen einen Blick hinaus in die schöne freie Welt, oft aber siehst Du auch 20 bis 30 Fuß hohe Bretterverschläge, welche den reizenden Anblick des Bosporus verstecken, damit die vorüberfahrenden Kaiks mit Männern nicht von den Frauen bemerkt werden. Es ist freilich bequemer, der einzige Mann zu sein, den die Frau sieht, als unter vielen der liebenswürdigste. Auf Promenaden, in den Kähnen oder im Wagen sitzen Frauen stets nur mit Frauen beisammen. Wenn der Mann seiner Gattin auf der Straße begegnet, so wäre es die größte Unschicklichkeit, sie zu grüßen oder nur Miene zu machen, daß er sie erkenne; deshalb ist auch der Anzug der Frauen in ihrem Hause ebenso übertrieben frei, wie er außerhalb übertrieben verhüllt ist. Ein weißer Schleier bedeckt das Haar und die Stirn bis zu den Augenbrauen, ein anderer Kinn, Mund und Nase.“[…][15]

Graf von Moltke schildert den Harem als eine Tabuzone und trifft damit den Nerv seiner Zeit. Allerdings schildert er ihn gleichsam als ein Gefängnis mit „Holzgittern“ und nur einem winzigen Guckloch in die Freiheit. Im Gegensatz zu Carsten Niebuhr ist Moltke nicht wertfrei.

So weiß er weiter über die Frauen zu berichten:

[…] „Gewiß sind die Gesichter der Türkinnen im allgemeinen sehr schön. […]

Die beständig sitzende Lebensweise hat aber den türkischen Frauen alle Anmut der Bewegung, die Einkerkerung jede Lebhaftigkeit des Geistes geraubt, und sie stehen in Hinsicht auf Bildung noch eine Stufe unter den Männern.“[…][16]

[...]


[1] Syndram, Karl Ulrich: Der erfundene Orient in der europäischen Literatur vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Sievernich, Gereon, Budde, Hendrick (Hg.): Europa und der Orient. 800 -1900, Gütersloh 1989. S. 324

[2] Ebda S. 324

[3] Ebda S. 324

[4] Syndram, Karl Ulrich: Der erfundene Orient in der europäischen Literatur. S. 324

[5] Ebda S. 324

[6] Ebda S. 325

[7] Kohl, Karl-Heinz: Cherchez la femme d´Orient. In: Sievernich, Gereon, Budde, Hendrick (Hg.): Europa und der Orient. 800 -1900, Gütersloh 1989. S. 356

[8] Ebda S. 356

[9] Kohl, Karl-Heinz: Cherchez la femme d´Orient, S. 359

[10] Ebda S. 360

[11] Niebuhr, Carsten: Beschreibung von Arabien: Aus eigenen Beobachtungen und im Lande selbst gesammelten Nachrichten, Kopenhagen 1772.

[12] Niebuhr, Carsten: Carsten Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien und anderen umliegenden Ländern, Kopenhagen 1774-1837.

[13] Niebuhr, Carsten: S. 31

[14] Niebuhr, Carsten: Reisebeschreibungen S. 241

[15] Moltke, Helmuth von: Unter dem Halbmond. Erlebnisse in der alten Türkei 1835-1839. S. 80ff.

[16] Ebda S. 80ff.

Excerpt out of 31 pages

Details

Title
Die Imagination des Orients
College
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Historisches Institut )
Course
Die orientalische Despotie
Grade
1,0
Author
Year
2007
Pages
31
Catalog Number
V139938
ISBN (eBook)
9783640503629
ISBN (Book)
9783640503759
File size
821 KB
Language
German
Keywords
Fremdverstehen, Blick auf den Orient, Orient und Okzident
Quote paper
Anke Schulz (Author), 2007, Die Imagination des Orients, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139938

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