Die Sozialmaßnahmen der flavischen Kaiser bei Sueton


Tesis de Maestría, 2008

69 Páginas, Calificación: Gut


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. VORBEMERKUNG
1.1. Problemstellung

2. ZU SUETON
2.1. Leben und Zeitrahmen
2.2. Suetons Arbeitsweise
2.3. Der Aufbau der Viten

3. DIE SOZIALSTRUKTUR ROMS IN DER FRÜHEN KAISERZEIT
3.1. Die Stände und Schichten
3.2. Die kaiserliche Macht
3.3. Die Provinzintegration

4. UNTERSUCHUNG DER SOZIALMAßNAHMEN IN DEN VITEN
4.1. Vita Vespasiani
4.1.1. Herkunft
4.1.2. Familie
4.1.3. Kindheit
4.1.4. Jugend und Karriere
4.1.5. Verhältnis zu den Vorzeichen
4.1.6. Öffentliches Wirken
4.1.7. Charakter
4.1.8. Äußere Erscheinung
4.1.9. Tod
4.2. Vita Titi
4.2.1. Herkunft und Kindheit
4.2.2. Jugend
4.2.3. Äußere Erscheinung
4.2.4. Militärkarriere
4.2.5. Öffentliches Wirken während der Mitregentschaft
4.2.6. Öffentliches Wirken während der Kaiserherrschaft
4.2.7. Tod
4.3. Vita Domitiani
4.3.1. Herkunft
4.3.2. Jugend und Militärkarriere
4.3.3. Herrschaft und öffentliches Wirken
4.3.4. Charakter
4.3.5. Tod
4.3.6. Äußere Erscheinung
4.4. Zusammenfassender Vergleich der Viten

5. SCHLUSSBETRACHTUNG

6. LITERATURNACHWEIS

7. ABBILDUNGSNACHWEIS

1. Vorbemerkung

Suetons Werk De Vita Caesarum umfasst 8 Bücher und die Lebensläufe von 12 römischen Herrschern. Von Caesar bis Domitian werden die Umstände ihrer Machtübernahme, ihres politischen Wirkens und ihres Privatlebens ebenso dargestellt wie ihre charakterlichen Schwächen und Stärken. Die drei Viten der flavischen Kaiser Vespasian, Titus und Domitian stechen insofern aus diesem Werk heraus, als Sueton zur Zeit aller drei Kaiser lebte. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie Sueton die drei Flavier darstellte. Dazu eignet sich eine Untersuchung der öffentlichen Handlungen und der Sozialmaßnahmen besonders, da sie zeigen kann, welchen gesellschaftlichen Stellenwert Sueton jedem von ihnen gab.

1.1. Problemstellung

Für die Betrachtung der Sozialmaßnahmen muss aber zuerst untersucht werden, wie die Sozialpolitik in der Zeit der Flavier zu definieren ist. Was ist überhaupt unter Sozialmaßnahmen in der frühen römischen Kaiserzeit zu verstehen?

Alföldy weist darauf hin, dass es in Rom keine Alternative zur kaiserlichen Macht gab[1]. Die Sozialpolitik wurde durch den Kaiser bestimmt. Somit hing der Umfang der Maßnahmen für die societas vom Sozialverständnis des Kaisers ab. Jeder neue Kaiser konnte die alten Maßnahmen bestätigen oder neue einrichten. Dabei umfassten die Sozialmaßnahmen weite Bereiche der Innen- und Außenpolitik. Sowohl die soziale Versorgung des Volkes in Rom als auch die Sicherung und Integration der Bevölkerung in den Provinzen gehörten dazu.

Um eine Aussage über Suetons Darstellung dieser Maßnahmen treffen zu können, ist es also zuerst nötig, die römische Sozialstruktur der frühen Kaiserzeit zu betrachten und ihre sozialen Maßnahmen zu skizzieren. Anhand dieser Betrachtung wird dann zu untersuchen sein, welche Maßnahmen Sueton erwähnt und wie er sie bewertet.

2. Zu Sueton

2.1. Leben und Zeitrahmen

Sueton wurde als Gaius Suetonius Tranquillus wahrscheinlich im Jahre 70 n. Chr. in Hippo Regius geboren[2]. Er erlebte Vespasians Herrschaft 69- 79 n. Chr. als Kind, die des Titus 79- 81 n. Chr. ebenfalls noch als Kind und die des Domitian 81- 96 n. Chr. als junger Mann. Ob er Vespasian und Titus noch persönlich kennenlernte ist nicht sicher. Er selbst gibt keinen Hinweis auf eine entsprechende Anwesenheit in Rom. Domitian kann er während seiner frühen Amtszeit als Redner und Anwalt kennen gelernt haben. Sueton schreibt selbst, dass er sich erinnere, als ganz junger Mann dabei gewesen zu sein, als ein 90-Jähriger von einem Prokurator untersucht wurde, ob er Jude und beschnitten sei.[3] Sueton kannte also zumindest die Maßnahmen des Domitian und erlebte ihre Auswirkungen in der Bevölkerung persönlich mit. Ob er dieses Erlebnis in Rom oder in einer anderen Stadt hatte, ist allerdings nicht sicher. Ebenfalls ist nicht sicher, wie alt Sueton zu dieser Zeit genau war.

Sein Vater war Suetonius Laetus, ein Ritter und Offizier in Othos Heer.[4] Sueton beschreibt, was sein Vater ihm von Otho erzählte. Auch von seinem Großvater berichtet er in der Caligula-Vita.[5] Das gibt einen Hinweis darauf, dass er auch Berichte von Verwandten für seine Biographien verwendete.

Er durchlief als Mitglied des Ritterstandes die übliche Rhetorikausbildung.[6] Nach Martinet war er dann zunächst als Redner und Anwalt in Rom tätig.[7] Als Trajan an die Macht kam, trat Sueton in seine Dienste.[8] Wahrscheinlich verhalf ihm sein Gönner Plinius der Jüngere zu diesem Posten. Plinius half Sueton nach eigenen Angaben auch dabei, ein kleines Landgut in der Nähe von Rom zu erwerben und erwirkte das ius (trium) liberorum für Sueton bei Trajan.[9] Martinet schreibt, dass Trajan recht sparsam mit der Verleihung des ius liberorum umging.[10] Dieses Recht gab durch die leges iulia und papia Familienvätern und Müttern private und öffentliche Privilegien. Männer wie Sueton mit dem ius liberorum konnten Steuervergünstigungen erwarten und bekamen schnelleren Zugang zum cursus honorum[11]. Durch dieses Privileg konnte Sueton beruhigt sein Leben planen, ohne an eine Heirat denken zu müssen und ohne deswegen den Druck des Erbschaftsverlustes und der Steuerlast zu fürchten.

Nach dem Tode Plinius´ des Jüngeren in der Zeit um 112 n Chr. blieb er in der Gönnerschaft des gemeinsamen Freundes und Plinius-Gönners Septicius Clarus[12]. Er erhielt etwa ab dem Jahre 114 n. Chr. die Ämter a studiis und a bibliothecis unter Trajan.[13] Unter Hadrian bekleidete er etwa im Jahre 118 n. Chr. das Amt ab epistulis[14] und war damit auf der Karriereleiter weit oben angekommen. Diese Ämter unter Trajan und Hadrian ermöglichten Sueton Zugang zur kaiserlichen Korrespondenz, zum kaiserlichen Archiv und zur kaiserlichen Bibliothek. Darin dürfte eine Basis für seine Viten zu sehen sein. Er konnte auf schriftlich Überliefertes zugreifen und es verwenden. Im Jahre 122 n. Chr. wurde Sueton zusammen mit Septicius Clarus wegen eines Vergehens gegen die Etikette der Kaiserin Vibia Sabina[15] entlassen.[16] Ob er tatsächlich beteiligt war oder den Hof nur aus Sicherheitsgründen verlassen musste, ist nicht zu ermitteln. Nach der Entlassung scheint er noch als Privatgelehrter tätig gewesen zu sein.

2.2. Suetons Arbeitsweise

Suetons Stil ist einfach.[17] Er scheint nicht nur für eine Bildungselite geschrieben zu haben, sondern auch für den ganz normalen Bürger.

Durch die Fülle der Fakten wirkt sein Werk De Vita Caesarum, als wäre es aus Einzelteilen zusammengestellt worden. Sueton nahm sich dabei die Freiheit, Fakten auszuwählen und sie frei zu komponieren. Diese Praxis war in Rom allgemein anerkannt und wurde schon von alters her genutzt, wie für die laudatio funebris[18] etwa. Sueton konnte also mit Anerkennung und Interesse rechnen. Sein Anspruch war einerseits die Unterhaltung des Lesers und das Bedienen der Neugier über den Werdegang einer gens oder Einzelpersönlichkeit und andererseits das Belehren über positive und negative Eigenschaften der Kaiser.

In seinen Kaiserviten findet man ein wiederkehrendes Argumentationsschema, das durch eine Kausalkette aufgebaut wird. Sueton steigert den Text über Gerüchte, Anekdoten und allgemeine Formulierungen ohne Namen hin zu Fakten und namentlich genannten Personen. Am Ende zieht er selbst ein Fazit, indem er sich den Fakten anschließt oder ihnen widerspricht und oft auf eigene Forschung verweist.

Seine Vorgehensweise bei der Materialsammlung ist nicht eindeutig zu ermitteln, es lässt sich aber vermuten, dass er über Jahre Informationen sammelte und archivierte, um sie dann nach und nach zu verarbeiten. Jede Vita scheint für sich selbst zu stehen, aber speziell in den Viten der drei flavischen Kaiser ist zu erkennen, dass Sueton sie immer wieder unterschwellig vergleicht. Geförderte oder begnadigte Einzelpersonen bei Vespasian sind häufig von Domitian verurteilt worden. Sueton erwähnt gezielt nur die Beispiele, die sich für einen wertenden Vergleich eignen. Durch diese Selektion lenkt er die Lesermeinung. Möglicherweise schrieb er die Einzelviten schon während seiner Zeit bei Hofe, immer in kleinen überschaubaren Abschnitten, und gab sie noch während seiner Dienstzeit heraus. Da Sueton aber in der Caligula-Vita den Angaben von Plinius zum Geburtsjahr und -ort des Caligula mehrfach vehement und mit Hinweis auf eigene Akteneinsicht widerspricht[19], schei]nt es zumindest logisch zu sein, dass er diesen Widerspruch in den Viten nicht vor Plinius´ Tod im Jahre 112 n.Chr. veröffentlichte.

Ein Vergleich einzelner Darstellungen, wie der Armut bei der Geburt von Vespasian, Titus und Domitian beispielsweise, die er alle drei unterschiedlich wertet, macht auch deutlich, dass er großen Wert auf Rhetorik legte. Er wollte mit jeder Vita eine bestimmte Aussage über den beschriebenen Kaiser machen und für diese Aussage suchte er gezielt Anekdoten und Gerüchte, die er kombinierte, verstärkte oder entkräftete. Darin zeigt sich der Anspruch des Belehrens sehr deutlich.

Nach Martinet wendet Sueton das Grundschema der alexandrinischen Biographie an, das Cornelius Nepos verwendete.[20] Dem kann man sich anschließen, auch wenn Sueton nicht ausschließlich in diesem Schema bleibt. Er skizziert zwar ebenso wie Nepos das äußere Leben des dargestellten Herrschers und schafft ein anekdotisches Charakterbild, vermischt aber private mit öffentlichen Handlungen und Träume und Omina mit politischen Entwicklungen. Er unterteilt wie Nepos in die Themen vita privata und vita publica, behält dabei aber kein durchgehendes Schema bei, sondern springt zwischen den Themen hin und her. Die antithetisch-ambivalente Erzähltechnik übernimmt Sueton ebenfalls, indem er Lob und Tadel gleichermaßen nebeneinander stellt und so moralisch belehrend auf den Leser einwirken kann. Aber darüber hinaus springt er chronologisch vor und zurück und stellt Gerüchte, Anekdoten, Fakten und eigene Nachforschungen nebeneinander. Darin zeigt sich Suetons rhetorisches Geschick.

Seine große literarische Stärke zeigt sich auch in der Fähigkeit, zwischen bekannten historischen Schreibmethoden, wie der alexandrinischen Biographie, der hellenistischen Historiographie und seiner eigenen Methode, hin und her zu wechseln. Er bewegt sich dabei sicher zwischen so berühmten Vorgängern wie Herodot und Thukydides und wendet ihre unterschiedliche Methodik der Geschichtsschreibung auf seine Herrscherbiographien an. Während Herodot den narrativen Erzählanspruch selbst als ausreichend definierte, wollte Thukydides für die Nachwelt schreiben und hatte dabei den Anspruch, durch Erwähnung und Beschreibung der Ereignisse diese in der Zukunft verhindern zu können. Herodot wollte erzählen und Thukydides wollte belehren. Sueton aber gelingt ein rhetorischer Spagat zwischen diesen beiden Intentionen und der alexandrinischen Biographie. Er belehrt einerseits den Leser durch das Erwähnen der negativen wie positiven Fakten, unterteilt andererseits in res privata und res publica und gleichzeitig informiert er über historische Geschehnisse und unterhält narrativ durch die vielen Exkurse in die römische Gerüchteküche.

2.3. Der Aufbau der Viten

Die Viten sind in einzelne Rubriken eingeteilt, die wie Rahmenthemen wirken: Herkunft, Familie, Kindheit, Jugend, öffentliches Wirken, Privatleben, Charakter, Verhältnis zu den Vorzeichen, äußere Erscheinung, Tod.[21] Allerdings fällt auf, dass sich Sueton nicht genau an die Reihenfolge dieses Schemas hält. Er tauscht die Rubriken je nach Bedarf gegeneinander aus. Dabei richtet er sich danach, ob das Erwähnte thematisch passt und ordnet den Aufbau seinem rhetorischen Anspruch unter. Diese Vermischung der Rubriken zieht sich durch den gesamten flavischen Bereich des Werkes. Sie ist ein stilistisches Mittel, das zur Verstärkung der jeweiligen Aussage genutzt wird. Durch die „Beweise“ und deren Mischung aus Anekdoten, mündlichen Berichten und öffentlich bekannten Handlungen erreicht er eine große Glaubwürdigkeit. Das abschließende Fazit zieht Sueton häufig selbst aufgrund von eigenen Nachforschungen und Akteneinsicht. Er wirkt dadurch wie ein Eingeweihter, der über elitäre Informationen verfügt. Auch mischen sich Hinweise zu mündlich Überliefertem unter die Berichte: „Einige berichten...“[22], „Im Gegensatz dazu gibt es aber Leute, die behaupten...“[23]. Dem gegenüber steht Suetons eigenes Urteil: „Dies scheint auch der Wahrheit näher zu kommen...“[24]. Dadurch wirkt das ganze Werk wie ein Konstrukt aus Fakten, mündlichen Berichten, eigener Anschauung und öffentlichem Klatsch.

3. Die Sozialstruktur Roms in der frühen Kaiserzeit

3.1. Die Stände und Schichten

Die Sozialstruktur Roms in der frühen Kaiserzeit ist nach Alföldy am ehesten durch eine Stände-Schichten-Struktur zu erklären.[25] So gab es Ober- und Unterschichten, wobei ein echter Mittelstand nicht vorhanden war. Die Trennlinie zwischen den Schichten war eindeutig.

Zu den Oberschichten, den honestiores, zählten Senatoren, Ritter und Dekurionen. Diese Schichten machten nach Alföldy selbst mit den Ehefrauen und Kindern weniger als 1% der Gesamtbevölkerung aus.[26] Die eigentliche Führungsschicht schätzt er auf nur 150 bis 300 Personen, was 0,001% der Bevölkerung ausmacht.

Anhand seiner Bevölkerungspyramide[27] lässt sich dieses Modell sehr gut nachvollziehen.(siehe Abb.)

Die Oberschichten lassen sich in ländliche- und städtische unterscheiden und hier gliedern sie sich noch weiter in einzelne ordines, in geschlossene soziale Einheiten auf, die sich nach ihren Vermögenssätzen, Funktionen und Ansehen unterscheiden.[28] Innerhalb der Oberschichten bilden die reichen Freigelassenen und die familia caesaris eine eigene Gruppe, deren Mitglieder entsprechend ihres politischen Einflusses weiter oben oder weiter unten einzugliedern sind.[29]

Die Unterschichten, humiliores, beinhalten alle Gruppen der Bevölkerung aus Stadt und Land, die nicht den Oberschichten angehörten.[30] Sie unterscheiden sich voneinander durch ihr Vermögen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit und ihren Rechtsstatus als Freier, Freigelassener oder Sklave. Eine klare Unterscheidung durch politischen Einfluss wie in den Obersschichten gab es nach Alföldy in den Unterschichten nicht.[31] Michael Grant weist darauf hin, dass nicht nur der Sozialstatus durch Vermögen und politischen Einfluss zwischen den Schichten unterschiedlich war, sondern dass auch das Rechtssystem eine klare Unterscheidung kannte.[32] Die Mitglieder der Unterschichten wurden bei Verstößen härter bestraft, als diejenigen der Oberschichten. Grant führt diesen Umstand auf die Verantwortlichen für Gesetzesänderungen zurück, die aus den Oberschichten stammten und somit eine hohe Motivation hatten, ihre eigene soziale Schicht per Gesetz zu begünstigen.

Da die römische Gesellschaft aber nicht nur nach wirtschaftlichen, sondern auch nach sozialen Kriterien gegliedert war, konnten Personen der Oberschichten, wie Dekurionen einerseits privilegierte Amtsinhaber sein und andererseits gleichzeitig produzierende Bauern wie die Unterschichtenmitglieder.[33]

Auch boten die Schichten innerhalb ihrer Grenzen Mobilität in den Aufstiegsmöglichkeiten. So wurde die Kinderlosigkeit der führenden Schichten häufig durch Heirat aus der nächstunteren Schicht behoben, so dass diese Personen sozial aufstiegen.[34] Mitglieder der Unterschichten konnten durch Geschick und wirtschaftlichen Erfolg ihre Stellung erheblich verbessern. Ein Aufstieg bis in die obersten Schichten war möglich, wie das Beispiel des späteren Kaisers Pertinax zeigt, der als Sohn eines ehemaligen Sklaven bis in die höchste Stellung aufstieg.[35] Der Kaiser Vitellius des Vierkaiserjahres sollte nach Gerüchten ebenfalls aus einer Familie stammen, die sich auf einen Freigelassenen zurückführte.[36]

Alföldy weist darauf hin, dass uns diese soziale Mobilität aber nicht dazu verleiten sollte, das gesellschaftliche Leben der frühen Kaiserzeit zu positiv zu bewerten.[37] Ein sozialer Aufstieg war seiner Meinung nach nur den wenigsten Personen möglich und ein Aufstieg aus einer der unteren Schichten bis in die Spitze der Gesellschaftspyramide eher untypisch und von persönlichen Fähigkeiten und glücklichen Umständen abhängig. Dennoch ist dieser Aufstieg überhaupt möglich gewesen, was für Roms Sozialverständnis entscheidend war. Dadurch dürfte das Gefühl der Überlegenheit anderen Völkern gegenüber und damit der innere Zusammenhalt gestärkt worden sein.

3.2. Die kaiserliche Macht

Die römischen Gesellschaftsstrukturen und das Wirtschaftssystem bestanden zum Teil bereits seit der Republikzeit.[38] Eine grundlegende Änderung aber war die kaiserliche Monarchie mit ihrem besonderen Machtgefüge. Durch dieses Machtgefüge verlor der Senat seine Vormachtstellung. Seit Augustus gab es keine Alternative zur kaiserlichen Macht.[39] Sie wurde durch verschiedene Privilegien gestützt[40]:

- Der Kaiser war im Besitz der tribunicia potestas, die ihm jede gesetzgebende Initiative erlaubte.
- Als Inhaber des imperium proconsulare maius regierte er die kaiserlichen Provinzen allein durch seine Legaten, die senatorischen Provinzen aber auch zusammen mit den vom Senat bestellten Beamten.
- Er hatte den Oberbefehl über das Heer.
- Er konnte ihm geeignet erscheinende Personen in den Ritter- oder Senatorenstand erheben oder Ritter und Senatoren aus dem Stand ausschließen. Da der Stand erblich war, bedeutete ein Verlust großes Unglück für die gesamte Familie.

- Zivile oder militärische Dienststellen konnten nicht ohne seine ausdrückliche oder schweigende Zustimmung besetzt werden.

Aus dieser sozialen Struktur erklärt sich die besondere Position des Kaisers[41]:

- Als pater patriae[42] war er für die römische Bevölkerung verantwortlich wie der patronus für seine clientes und auch wie der pater familias für seine Familienmitglieder. Der Kaiser verstand sich als Beschützer und autoritäre Vaterfigur.
- Er galt als Verkörperung der altrömischen Tugenden, vor allem der virtus, clementia, iustitia un d pietas[43].
- Ebenso war ihm durch sein religiöses Charisma eine kultische Verehrung sicher.
- Gestärkt wurde sein Ansehen durch den kaiserlichen Kronbesitz, das patrimonium[44]. Der Kaiser war der vermögendste Mann des ganzen Reiches und konnte mit seinem Privatvermögen Spenden organisieren, Straßen und öffentliche Gebäude bauen, das Heer ausstatten und Einzelpersonen besonders fördern.

Dennoch oder vielleicht gerade aus dieser einsamen Spitzenposition heraus suchte der Kaiser weitreichende Beziehungen zu den gesellschaftlichen Gruppen. Diese Beziehungen existierten schon in der Republikzeit als amicitia zwischen gleichgestellten Personen und in Form von patronus-client zwischen Herren und Sklaven oder gesellschaftlich unterschiedlichen Personen.[45] Der Kaiser behandelte dementsprechend die Ritter und Senatoren als seine amici, wobei aber dieser Begriff nicht wörtlich mit dem heutigen Freundschaftsbegriff übersetzt werden kann, weil die Freundschaft nur von einer Seite aus eingerichtet oder abgebrochen werden konnte. Der Kaiser allein entschied sich für oder gegen einen dieser „Freunde“. Ein Verlust der kaiserlichen Freundschaft war für den amicus caesaris gleichbedeutend mit sozialem Sturz.[46]

Den Massen gegenüber war das Verhältnis des Kaisers das eines patronus. Der Titel pater patriae erlaubte ihm die absolute Macht über das gesamte Reich im Sinne eines Klientelverhältnisses.[47] So sorgte der Kaiser für Geld- oder Getreidespenden in Städten und Gemeinden oder richtete einzelne Spiele aus.[48]

Er unterstützte Städte nach Erdbeben oder Bränden und förderte Einzelpersonen durch Geld- und Ämterzuweisungen. Im Gegenzug leistete ihm das gesamte römische Volk den Treueid und verpflichtete sich zur kultischen Verehrung.[49]

Unter dieser absoluten kaiserlichen Macht wurden die hohen Ämter der Senatoren und Ritter vom ehemals öffentlichen Staatsdienst zum Dienst um die Person des Kaisers.[50] Selbst der Konsulat wurde als Belohnung für Verdienste um den Kaiser verstanden.[51] Dieses höchste Amt war für die innehabende Person die Spitze des Aufstiegs und der Lohn für jahrelange politische Bemühungen. Verletzte der Kaiser die Spielregeln im Verhältnis zwischen Monarchie und Senatstradition, dann konnte das zu empfindlichen Konflikten führen, die wie bei Nero und Domitian mit der Ermordung des Kaisers endeten.[52] An der absoluten Macht des Kaisers änderten diese Konflikte aber nichts. Auch der nächste Kaiser hatte wieder den principat mit allen Machtbefugnissen inne. Die Autorität des Kaisers war für die innere Sicherheit Roms sehr wichtig, so dass durch seine Person und seine Maßnahmen die soziale Stabilität gestärkt oder geschwächt werden konnte.

Ein schlechter princeps wurde durch Senatsbeschluss zum hostis, zum Feind erklärt und im Zuge einer Rebellion beseitigt.

3.3. Die Provinzintegration

Da sich das römische Gesellschaftssystem in der frühen Kaiserzeit auch auf die Bevölkerung des ganzen Reiches ausdehnte, bildete sich in den Provinzen eine ähnliche soziale Gliederung heraus, wie sie in Italien bestand.[53] Die ehemaligen Provinzialen gewannen soziale Privilegien, weil sie die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaftsschichten nutzen konnten. So gelangten zur Zeit der Flavier viele Provinziale in den Senatorenstand und in die Nähe des Kaisers.[54]

Die Förderung der Provinzintegration, die auf Veranlassung oder Zustimmung des Kaiser erfolgte, fand nach Alföldy auf folgenden Wegen statt[55]:

- durch die Verleihung des Bürgerrechts für ganze Gemeinden und Provinzen,
- durch den Ausbau des Straßennetzes, was eine Erweiterung des Verkehrs und damit des Handels möglich machte,
- durch eine einheitliche Verwaltung und durch die Heranziehung zum Heeresdienst, wodurch militärische Aufstiegschancen begünstigt wurden.

So konnte das Kaisertum breiten Bevölkerungsschichten auch außerhalb Roms einheitliche ethnische und ideologische Normen bieten. Diese Normen hatten sich schon zur Republikzeit aus der moralischen und religiösen Tradition Roms ergeben und in der Kaiserzeit wurden sie mit dem Herrscherkult verbunden.[56] Die Bürger Roms und die neu hinzugekommenen provinzialen Bürger hatten eine moralische Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Kaiser. Durch diese fortschreitende Bindung an den Kaiser und durch die Romanisierung konnten große Teile der städtischen Plebs ebenso wie die Landbevölkerung soziale Vorteile verbuchen und selbst die Sklaven wurden besser behandelt als früher und sehr oft freigelassen.[57] Diese Vorteile bestärkten sie in ihrer Loyalität, was die innere Sicherheit Roms stabilisierte. Demnach sind die Urbanisierungen und Bürgerrechtsverleihungen als soziale Sicherungsmaßnahmen zu sehen. Ein zufriedenes und sattes Volk hat keinen Grund, sich aufzulehnen. Und gerade in der Zeit der Flavier, nach den schweren Unruhen des Vierkaiserjahres, war die Sicherung des inneren Friedens sehr wichtig.

4. Untersuchung der Sozialmaßnahmen in den Viten

Im Folgenden sollen die drei Viten der Flavier auf Inhalt, rhetorische Mittel und soziale Maßnahmen untersucht werden.

Wie stellte Sueton die drei Kaiser dar? Welche Mittel nutzte er dafür und was wollte er beim Leser erreichen? Es wird sich dabei die Frage stellen, ob öffentliche Handlungen vor der Kaiserherrschaft schon zu den Sozialmaßnahmen zu zählen sind oder nicht. Da Sueton die Sozialmaßnahmen in vielen Rubriken der Biographie zur Verstärkung des Charakters heranzieht, also auch in den Zeiten vor der Herrschaft, sollen diese Teile ebenso gründlich auf soziale Aspekte untersucht werden wie die Biographieanteile der Herrschaftszeit.

4.1. Vita Vespasiani

4.1.1. Herkunft

Die Vita des Verspasian beginnt mit dem Hinweis auf das Vierkaiserjahr: „Lange war durch die bewaffnete Revolte dreier Kaiser und deren Ermordung die Herrschaft umstritten...“[58].

Sueton leitet diese Vita erklärend ein, wobei er von drei revoltierenden Kaisern[59] spricht und nicht von vier, aber auch Vespasian war ein Feldherr mit einer großen Heeresmacht hinter sich und auch er hatte seinen Blick auf den Thron gerichtet. Ob er tatsächlich von seinen Truppen und von Omina dazu überredet werden musste, wie Sueton einige Kapitel später behauptet[60], ist unklar. Geburtsrechtlich stand er ihm ebenso wenig zu wie den anderen drei Thronprätendenten. Dieses Problem weiß Sueton rhetorisch zu umschiffen, indem er sich zur Offenheit entschließt und dem Leser bedeutet, dass zwar die Familienanfänge der Flavier im Dunkeln lagen und es an „Ahnenbildern“ fehle, dass sich das Gemeinwesen dieser Kaiserfamilie aber dennoch nicht schämen müsse. Vespasian war demnach für den Thron. Es folgt ein Vorausblick auf Domitians habgierige und grausame Regierung, die hier durch die antithetische Überkreuzung mit Vespasians guter Herrschaft wie ein literarischer Chiasmus wirkt. Dadurch erreicht Sueton eine noch größere Hervorhebung des Vaters Vespasian und gleichzeitig Glaubwürdigkeit, da er nicht nur das Gute dieser Familie darstellt.

[...]


[1] Alföldy, G.: Römische Sozialgeschichte. 88

[2] Manfred Fuhrmann: Der Kleine Pauly 5., Sp. 411, Z.37, Nr.2 C.S.Tranquillus.

[3] Sueton, Domit.12,2. Dabei ging es um die Erhebung der Judensteuer, die Domitian aus Geldnöten sehr rigoros eintrieb.

[4] Suet. Otho 10,1

[5] Suet. Caligula 19

[6] Manfred Fuhrmann: D.Kl.P.5, Sp. 411, Z.39, Nr.2

[7] Martinet: Sueton, Die römischen Kaiser. 652. siehe auch Manfred Fuhrmann: D.Kl.P.5, Sp.411, Z.40, Nr.2. Fuhrmann stellt in Frage, ob Sueton die Rhetorikausbildung schon in Rom erhielt, weist aber darauf hin, dass Plinius zumindest erwähnt, Sueton sei zuerst Advokat gewesen.

[8] Manfred Fuhrmann: D.Kl.P.5, Sp. 411, Z.39, Nr.2.

[9] ebend., Z.42.

[10] Martinet: Sueton, Die römischen Kaiser. 652

[11] Dietrich V. Simon: D.Kl.P.3, Sp.16, Z.20, Nr.8 I.Liberorum. Freigeborene Mütter und Väter mit mindestens drei lebenden Kindern und Freigelassene mit vier Kindern wurden nach dem Tod des Ehegatten von der Ehepflicht ausgenommen und galten als erbfähig. Frauen wurden zudem von der Geschlechtervormundschaft befreit und Männer hatten Vorteile im cursus honorum. siehe auch Kaser: Das römische Privatrecht I. 273

[12] Gerhard Winkler: D. Kl. P. 5, Sp. 122, Z. 35, C.S.Clarus. Gaius Septicius Clarus war Prätorianerpräfekt unter Hadrian. Sueton hatte ihm seine Kaiserbiographien gewidmet und wurde 122 n.Chr. mit ihm zusammen entlassen.

[13] Manfred Fuhrmann: D.Kl.P.5, Sp. 411, Z.39, Nr.2.

[14] Manfred Fuhrmann: ebend.

[15] Rudolf Hanslik: D.Kl.P.5, Sp.1251, Z.12, Nr.24 Vibia Sabina. Sie war die Nichte von Trajan und heiratete Hadrian im Jahre 100 n.Chr.. Da Hadrian sich beklagt hatte, sie sei morosa et aspera, eigensinnig und streng, meint man, dass der Grund für die Entlassung von Septicius Clarus und Sueton evt. nicht nur bei den beiden gesucht werden sollte.

[16] Manfred Fuhrmann: D.Kl.P.5, Sp. 411, Z.39, Nr.2.

[17] Martinet: Sueton, Die römischen Kaiser. 655. Sueton kommt nach Martinet ohne Künstelei aus.

[18] Peter L. Schmidt: D.Kl.P., Bd.3, Sp.517, Z.60, Laudatio Funebris. Die familiäre schriftliche Totenehrung war während der Kaiserzeit fast nur noch für die Kaiserfamilie üblich.

[19] Sueton, Caligula 8,2

[20] Martinet: Sueton, Die römischen Kaiser. 654.

[21] Martinet: Sueton, Die römischen Kaiser. 654.

[22] Suet. Vesp. 16,3

[23] Suet. Vesp. 16,4

[24] Suet. Vesp. 16

[25] Alföldy, 130

[26] Alföldy, ebend.

[27] Alföldy, 131

[28] Alföldy, 130

[29] Alföldy, ebend.

[30] Alföldy, ebend.

[31] Alföldy, ebend.

[32] Grant, 266

[33] Alföldy, 132

[34] Alföldy,133

[35] Rudolf Hanslik: D. Kl. P. 4, Sp. 664, Z.3, P. Helvidius P. Pertinax war am 1.8.126 n.Chr. als Sohn eines Freigelassenen geboren worden und hatte zuerst eine Lehrertätigkeit ausgeübt, bevor er zum Militärdienst ging und danach in die ritterliche Ämterlaufbahn wechselte.

[36] Sueton, Vitell. 2,1

[37] Alföldy, 133

[38] Alföldy, 86

[39] Alföldy, 88

[40] Alföldy, ebend.

[41] Alföldy, 89

[42] Hans Volkmann: D.Kl.P.4, Sp.547, Z.41. pater patriae wurde in der Republikzeit ein Retter aus Kriegsnot, Gründer eines Staates oder väterlich gütiger Herrscher genannt. Augustus wurde der Titel im Jahre 2 v.Chr. von Senat, Ritterschaft und Volk verliehen. Danach nahmen die Kaiser ihn während der Regierung an, Domitian stellte ihn hinter das Konsulat, Pertinax nahm ihn in die Titulatur.

[43] Hans Volkmann: D.Kl.P.: Bd.4, Sp.1138, Z.34, Princeps. Die Tugenden auf dem Ehrenschild in der Curia Julia, der Augustus vom Senat verliehen wurde: Res Gestae 34. Es gab später noch weitere Kaisertugenden wie pius seit Antoninus und felix seit Commodus.

[44] Elmar Bund: D.Kl.P.4, Sp.554, Z.13, Nr.2 P.Caesaris. Ursprünglich wurde das patrimonium als „Stellung des pater familias “ verstanden, später verengte es sich zum „Vermögen“. Durch Augustus wurde das patrimonium caesaris als Privatvermögen des Kaisers zum Erhalt der kaiserlichen Familie und für öffentliche Zwecke eingeführt. Unter Septimius Severus (146-211 n.Chr.) gewann die res privata eine größere Bedeutung als das patrimonium caesaris.

[45] Alföldy, 89f

[46] Alföldy, 89f

[47] Alföldy, ebend.

[48] Hans Volkmann: D. Kl. P. 4, Sp.1137, Z.34, Princeps. Volkmann erwähnt das patrimonium und die Einnahmen aus den Provinzen, durch die der Kaiser ein riesieges Vermögen zur Verfügung hatte.

[49] Hans Volkmann: ebend. Z.39

[50] Alföldy, 90f

[51] Alföldy, ebend.

[52] Hans Volkmann: D. Kl. P. 4, Sp.1139, Z.9. Princeps.

[53] Alföldy, 91

[54] Alföldy, ebend.

[55] Alföldy, 92

[56] Alföldy 136

[57] Alföldy, 91f

[58] Sueton, Vesp. 1,1

[59] gemeint sind Galba, Otho und Vitellius. Sueton, Galba 2; Otho 5,1; Vitellius 8.

[60] Sueton, Vesp. 6,1

Final del extracto de 69 páginas

Detalles

Título
Die Sozialmaßnahmen der flavischen Kaiser bei Sueton
Universidad
University of Rostock  (Heinrich-Schliemann-Institut für Altertumswissenschaften)
Calificación
Gut
Autor
Año
2008
Páginas
69
No. de catálogo
V140370
ISBN (Ebook)
9783640497447
ISBN (Libro)
9783640497621
Tamaño de fichero
1112 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Sueton, Kaiser, flavisch, Sozialmaßnahmen
Citar trabajo
M.A. Daniela Stramm (Autor), 2008, Die Sozialmaßnahmen der flavischen Kaiser bei Sueton, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140370

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