Der Fußballsport im Dritten Reich unter dem Gesichtspunkt seiner politisch-ideologischen Instrumentalisierung


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2009

83 Páginas, Calificación: 1,3

Anónimo


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Stand der zeitgeschichtlichen Forschung bezüglich des Verhaltens des DFB zur Zeit des Nationalsozialismus

3. Begriffsbestimmung "Ideologie"
3.1 Die Mehrdeutigkeit des Ideologiebegriffs
3.2 Kennzeichen von Ideologie und Klassifikation des Nationalsozialismus als eine ideologische Bewegung

4. Die programmatisch-ideologische Ebene der körperlichen Erziehung im Kontext der erziehungspolitischen Grundsätze des Nationalsozialismus
4.1 Ausrichtung der schulischen Leibeserziehung auf militärische und (kriegs-)politische Ziele
4.2 Einführung der „Dritten Turnstunde“ in den Schulunterricht – programmatische Anpassung an die nationalsozialistische Ideologie
4.3 Die geistig-ideologische Zweckbestimmung des Fußballspiels

5. Entwicklung des DFB vom Gründungsakt bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten (1933)
5.1 Gründungsakt des deutschen Fußballs (DFB) und die sportpolitisch-gesellschaftliche Entwicklung in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts
5.2 Das Verhalten des DFB im Vorfeld des Ersten Weltkrieges – Militarismus und Nationalismus als ideologische Ausrichtung
5.3 Die Auswirkungen des verlorenen Weltkrieges auf das Selbstverständnis des Fußballbundes und seine ideologisch-politische Neuorientierung
5.4 Die sportpolitische Entwicklung des DFB in der Weimarer Republik
5.4.1 Der DFB in der Auseinandersetzung mit der Professionalisierung des deutschen Fußballs

6. Der DFB und der Fußballsport zur Zeit des Nationalsozialismus
6.1 Die Neuorganisation des Sports im "Dritten Reich" – Gleichschaltung und Führerprinzip
6.2 Rassismus und Antisemitismus im Fußballsport
6.3 Die Rolle des DFB im „Dritten Reich“: Täterschaft, Mitläufertum oder Insubordination? – Eine Bestandsaufnahme
6.4 Ideologisch-dogmatische Neuausrichtung des DFB im Zuge der Gleichschaltung des Sports – Gesinnungsbekenntnisse
6.5 Machtpolitisch-ökonomische Bestrebungen im DFB in Zeiten der Umstrukturierung des Sports

7. Spielball der Politik – Die deutsche Fußballnationalmannschaft im Dienst des NS-Regimes
7.1 Die Instrumentalisierung der Nationalmannschaft für die propagandistischen Ziele der Nationalsozialisten nach der Machtübernahme
7.2 Die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin – Selbstinszenierung der NS-Ideologie im Sport
7.2.1 Stand der Forschung und Themenausblick bezüglich der Olympiade
7.2.2 Boykottbestrebungen des Auslands im Vorfeld der Olympischen Spiele
7.2.3 Boykottbestrebungen im Inland und Propagandawirkung der Spiele – Die Olympischen Spiele 1936 als friedlicher Deckmantel einer kriegstreibenden Nation
7.2.4 Fußball bei den Sommerspielen 1936 – Olympisches Debakel im Heimatland
7.3 Die Nationalmannschaft als Aktivposten der Außendarstellung ab
7.4 Das Reichsfachamt Fußball im Zweiten Weltkrieg – Im Einsatz für den nationalsozialistischen Krieg

8. Schlussbetrachtung

9. Bibliographie

1. Einleitung

Der Fußballsport in Deutschland entwickelte sich seit seiner Gründung am 28. Januar 1900 in Leipzig im Verlauf seiner Geschichte zu einem wahren Massenphänomen. Ende 1932, als Deutschland rund 65 Millionen Einwohner zählte, gehörte dem Deutschen Fußball-Bund[1] bereits mehr als eine Million Mitglieder an, die in 8 600 Vereinen organisiert waren. Mit jährlich circa 40 000 neuen Mitgliedern verzeichnete er damals ein größeres Wachstum als jeder andere Sportverband. Ein gesellschaftliches Subsystem mit einem solch enormen Zuspruch gerät daher zwangsläufig in das Blickfeld von Staat und Regierung. Dieser These folgend äußert sich Peter Lösche in seinem Traktat über die Verflechtung zwischen Sport und Politik:

„Kein Zweifel: Sport und Politik haben etwas miteinander zu tun, sie sind aufeinander bezogen, auch wenn im Zentrum der Politikwissenschaft nicht der Sport, im Zentrum der Sportwissenschaft nicht die Politik steht. […] Man könnte sogar formulieren, dass es den unpolitischen Sport – eigentlich – nicht gibt.“[2]

Die Geschichte der gegenseitigen Einflussnahme geht auf den Anbeginn der Sportkulturen zurück und nahm in der Politik gerade mit dem Aufkommen der zunehmenden Mediatisierung der Welt ab den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen immer wichtiger werdenden Stellenwert ein. Mit der Instrumentalisierung und Vereinnahmung des Sports verknüpft sich die Erwartung der Führungsriege eines Staates, einen Prestigegewinn im In- und Ausland und damit einhergehend einen Machtzuwachs erringen zu können. Gleichzeitig hofft die Obrigkeit, mit sportlich beachtlichen Leistungen im nationalen und internationalen Sportverkehr, die emotionale Stimmung im eigenen Land anheben zu können. Der Sport dient in diesem Falle einzig und allein der Zweckerfüllung und wird durch die bewusste Steuerung der Machthaber seiner ursprünglichen Funktion von Wettbewerb und Leistungsvergleich beraubt. Vor diesem Hintergrund kann die nachfolgend zitierte Ansprache Hitlers anlässlich des 50. Geburtstages des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten als Beweis für die Zweckdienlichkeit des Sports geltend gemacht werden:

„Sie haben mir meine politische Arbeit wesentlich erleichtert. Für einen Politiker ist das Selbstvertrauen der Menschen, die er zu führen hat, von wesentlicher Bedeutung. Wenn heute das deutsche Volk mit großem Vertrauen in seine Zukunft sieht, so ist das zum Teil auch das Ergebnis des großen Siegeszuges des deutschen Sports.“[3]

Wie es der Titel der Arbeit bereits impliziert, trätieren die nachfolgenden Ausführungen die Aufarbeitung des Fußballsports im „Dritten Reich“ unter dem akzentuierten Gesichtspunkt der politisch-ideologischen Instrumentalisierung.

Aus dieser Themenstellung lassen sich zwei verschiedene Schwerpunkte interpretieren:

1. Das Verhältnis von Ideologie und Sport
2. Das Verhältnis von Sport und politischer Ideologie

Bei erstmaliger und oberflächlicher Betrachtung der aufgestellten Bedeutsamkeiten lässt sich kein gravierender Unterschied ausmachen.

Unter 1. ist jedoch die Problemstellung zu verstehen, die die Art und Weise charakterisiert, mit der die nationalsozialistische[4] Ideologie den Sport in ihre Programmatik integriert. Belangvolle Fragen in diesem Kontext lauten: An welcher Stelle des Sports setzt sie an, welche Ziele können durch ihn erreicht werden, worin liegt die Dienstbarkeit des Sports? Welche Umformungen in der Sportstruktur resultierten aus der Machtübernahme 1933? Welcher Stellenwert kam dem Sport, speziell dem Fußballsport, im Rahmen der Ideologie zu und warum? War der Fußball eine geeignete Plattform für die politische Instrumentalisierung quasi der Propaganda, d.h. auch, standen die Werte und Tugenden des Fußballspiels im Einklang mit den geforderten Normen der NS? Anders formuliert, gingen die Werte der körperlichen Erziehung und Ausbildung in den Strukturen des DFB konform zu den propagierten Werten der NS?

Unter 2. dagegen liegt der Schwerpunkt der Fragestellung darin, wie der DFB auf die neuen politisch-ideologischen Umwälzungen im Jahre 1933 reagiert hat. Weiterführende Fragen sind hierbei: Hat der DFB sich willfährig und im vorauseilenden Gehorsam in den Dienst der neuen Machthaber gestellt und wurde somit zu einem der Aktivposten in der Politik Hitlers? Wie hat er die Neuformierung der politisch-gesellschaftlichen Zustände eingeordnet, bzw. konnte er persönlichen Nutzen aus den stattfindenden Ereignissen ziehen? Die Betrachtungsweise konzentriert sich demnach auf die Rolle des Fußballsports als Handelnder im Machteroberungsprozess sowie in den weiteren Phasen der NS-Herrschaft. Unter 2. fallen ebenfalls die Fragestellungen, welche Aspekte des Sports es sind, die die ideologischen Programmatiker dazu bewegen, ihn für sich in Anspruch nehmen zu wollen und ob der Sport sich per se als ein probates Mittel für eine Manipulation der Massen eignet?

Die Jahrtausendwende war nicht nur der evidente Anbeginn einer neuen Zeitrechnung und der Aufbruch in ein neues, modernes Zeitalter, sondern gleichzeitig auch Anlass zur Feier des 100-jährigen Bestehens des DFB. Im Blickpunkt dieser öffentlichkeitswirksamen Inszenierung des größten nationalen Sportverbandes rückte die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und damit korrelierend die gründliche Aufarbeitung des Verhaltens des DFB im „Dritten Reich“ innerhalb des Verbandes, wie auch in der Medienlandschaft, vor allem aber in der Sporthistografie in den Vordergrund. Eine chronologische Darstellung an Publikationen nach 1945 bezüglich dieses Themenkomplexes wird dem Leser im Anschluss an diese Einleitung Auskunft darüber geben, wie der derzeitige Stand der Forschung ist. Dieses Kapitel wird der eigentlichen theoretischen Abhandlung des eingegrenzten Problemaufrisses vorangestellt, da ein Überblick über den Umfang der wissenschaftlichen Quellenlage die Sicherheit gewährleistet, dass die zusammengetragenen Ergebnisse dieser Arbeit auf der Grundlage von wissenschaftlich fundierten und gestützten Belegen basieren und nicht der Willkür des Verfassers unterliegen. Methodisch wurde die Bearbeitung des Themas demnach überwiegend auf die Sondierung der herrschenden Literatur aufgebaut, da mancher Zugang zu Archiven und Nachlässen verwehrt blieb. Die zu diesem Themengebiet verfügbare Literatur wurde systematisch durchgearbeitet und es wurde versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Auslegung der Materialien ausfindig zu machen, um auf diese Weise eine hinreichende Differenziertheit möglich zu machen. Um die ideologische Dimension der Instrumentalisierung des Sports im Nationalsozialismus dezidiert beurteilen zu können, ist es m.E. unerlässlich, den vieldeutigen und seit langer Zeit umstrittenen und diskutierten Begriff der Ideologie zu erarbeiten. Dies bedeutet, seine historische Entwicklung und die Vielfalt der Bedeutungsattribuierungen aufzuzeigen, um im Anschluss eine für diese Arbeit verbindliche Definition anhand der gängigen Forschungsliteratur festzulegen. Die Erarbeitung des Ideologiebegriffs schließt mit ein, Kennzeichen einer Ideologie darzulegen, anhand derer die nationalsozialistische Bewegung trennscharf als eine ideologische auszumachen ist.

Der Autor weiß um die Problematik der Begriffsbestimmung von Ideologie und erkennt das überaus vielschichtige und komplexe Themengebiet. Dennoch wurde der Versuch angestrengt, einen Abriss über die Deutungsvielfalt des Ideologiebegriffs zu geben und eine für diese Arbeit relevante Definition festzulegen. Auch dieser Beitrag wird dem ersten Hauptteil dieser Arbeit vorangestellt, da eine definitorische Grundlage vonnöten ist, um die Einordnung des Fußballsports hinsichtlich der ideologischen Instrumentalisierung im NS-Staat und die Nachvollziehbarkeit der Argumentation sicherzustellen. Aufgrund der umfassenden Darstellung wurde dieser Auslegung ein Extrakapitel eingeräumt, da diese den Rahmen der Einleitung sonst gesprengt hätte. Der Verfasser ist sich aber bewusst, dass dieser Vorgang schon in der Einleitung vollzogen werden könnte, durch die Behandlung in einem separierten Gliederungspunkt andererseits die visuelle Hervorhebung und damit einhergehend die inhaltliche Akzentuierung dergestalt deutlich herausgearbeitet werden kann.

Aufbau der Arbeit:

Die folgende Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile.

Nach der Erhebung einer Definitionsgrundlage, die für diese Arbeit relevant und gültig sein soll und nach der Klassifikation des Nationalsozialismus als ideologische Bewegung wird in Teil I nachvollzogen, welche Vorstellungen und Maxime in Bezug auf die körperliche Erziehung, spezieller auf den Schulsport gegolten haben. Darunter fällt, welche Rolle der Sport im Kontext der erziehungspolitischen Grundsätze im NS spielen sollte, welchen Zweck erfüllen und welche Bedeutung ihm im Rahmen des ideologischen Gesamtkonzeptes zukommen sollte? Zur Beweissicherung der aufgestellten Thesen wurde in diesem Teil der Erörterung Wert darauf gelegt, anhand von Zitaten und wörtlichen Überlieferungen der Parteioberen, vornehmlich aber anhand diverser schriftlicher Belege aus Hitlers „Mein Kampf“, darauf einzugehen, wie die inhaltliche Verknüpfung von Ideologie und Sport nach ihrer Vorstellung auszusehen habe. Meines Erachtens können wörtliche Zitate die volle Aussagekraft und die Dimension ihres Inhaltes am Besten transportieren und wurden demzufolge zur Stützung der Beweisführung mit in die Erarbeitung einzelner Kapitel integriert. Die Darstellung wird sich auf den Schulsport konzentrieren, da aufgezeigt werden soll, mit welch perfiden Methoden und Mitteln Einfluss auf die Heranwachsenden genommen werden sollte, um sie für die NS-Ideologie linientreu und gefügig zu modellieren und um sie für die Verwirklichung der kriegspolitischen Ziele der Lebensraumpolitik vorzubereiten.

Um den Bogen zum Fußballsport und damit dem Thema der vorliegenden Arbeit zu spannen, wird auf die Aufgabe des Fußballspiels hinsichtlich seiner geistig-ideologischen Zweckbestimmung im Rahmen der körperlichen Ertüchtigung eingegangen und des Weiteren beleuchtet, ob die inhaltlichen Werte des Fußballsports konform zu den Normvorgaben der NS waren.

Teil II (1900-1933) begutachtet die Entwicklung des DFB seit seinem Gründungsakt 1900 und beschreibt weiterhin, wie sich der Verband im Laufe der Jahre im historischen Kontext der Zeit verhielt und welchen strukturellen Gegebenheiten er sich fortwährend anpassen musste. Eine vertiefende Kenntnis der Geschichte des DFB bis 1933 ist eine für diese Arbeit fundamentale Grundlage für eine Einordnung des DFB zur Zeit des NS und ebenso eine Argumentationsgrundlage für die Nachvollziehbarkeit der reibungslosen politisch-ideologischen Adaptation in der Zeit der Schreckensherrschaft. Es wird aufgezeigt, dass der Verband im Laufe seines Bestehens sich vieler Widerstände erwehren musste und dass ein prosperierendes Fortbestehen nur mithilfe einer Anpassung an das vorherrschende politische System verbunden war. Um den Verband sicher und gefestigt in der deutschen Sportlandschaft zu verankern, musste der DFB durch Sympathiebekundungen an das jeweilige Regime und das Herausstellen von ideologischen Schnittmengen zwischen Sport und Politik affin handeln. Zudem wird betrachtet, ob die politisch-ideologischen Bekundungen aus Opportunitätsgründen oder aus purem Eigeninteresse heraus getätigt wurden, welche Motive demgemäß bei der Annäherung des DFB zum jeweiligen Herrschaftssystem bestanden und welche Ziele überhaupt seit seiner Gründung verfolgt wurden.

Getreu dem Motto „nur wer die Geschichte kennt, kann auch die Lehren aus ihr ziehen“[5], ist die Beschäftigung mit der Entwicklung des DFB unabdingbar für diese Arbeit, da anhand der politisch-ideologischen Ausrichtung in den jeweiligen Phasen der einzelnen Jahrzehnte Rückschlüsse auf das Verhalten des DFB im „Dritten Reich“ gezogen werden können. Diese finden in der Schlussbetrachtung ihre abschließende Bewertung.
Teil III (1933-1945) stellt das Kernstück des Betrachtungsfeldes dar. Mit der Erarbeitung eines gewissen Kenntnisstandes ob des Verhaltens des DFB à travers der Geschichte, erfolgt sodann eine Erörterung der Rolle des DFB im NS, wobei sich die zentrale Problemdiskussion vornehmlich darauf zu konzentrieren hat, wie systematisch die NS vorgingen, um das Massenphänomen Fußball in seiner gesellschaftlichen Bedeutsam- bzw. Wirksamkeit zu sowohl politischen als auch propagandistischen Zwecken zu instrumentalisieren und in welchem Ausmaß sie dabei die Unterstützung des Verbandes erfuhren. Die Betrachtung soll unter den folgenden Fragestellungen erfolgen: Wie ging der DFB in seiner Intention vor, sich als zentrale Dachorganisation des deutschen Fußballs zu profilieren und seine Machtposition weiter zu festigen, anders gefragt, wie reagierte der DFB auf den Aufstieg des NS, auf die Machtergreifung und die sich anschließende Gleichschaltung und Verstaatlichung des Sports? Welches Bild hatten die NS vom DFB? Sahen sie in ihm einen Verbündeten, mit dem sich NS-Ziele durchsetzen ließen? Konträr betrachtet, welches Urteil bildete sich der DFB über das NS-Regime? Hauptanliegen der Arbeit wird sein, zu prüfen, ob der DFB bereitwillig und mit vorauseilendem Gehorsam an der Neugestaltung des nationalsozialistischen Deutschlands mitwirkte, die NS-Diktatur aufgrund einer weltanschaulichen Nähe und Kongruenz begrüßte, oder ob der Fußballbund, geknechtet durch die Zustände der Zeit, dem Terror und der Angst vor Repressalien unterliegend, gezwungenermaßen die Ideologie adaptierte und die Vereinnahmung durch die NS widerstandslos über sich ergehen ließ. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage der Täter-Opfer-Rolle auf und wird eingehend untersucht. Darüber hinaus bleibt zu erwähnen, dass auf die Rolle der Juden im Fußballsport, d.h. der aufkeimende Antisemitismus in Deutschland, eingegangen wird. Der Verfasser weiß um die Sensibilität dieses Themas und ist sich darüber im Klaren, dass ein kurzer Einblick in diesen Gegenstandsbereich der Sportgeschichte nur ansatzweise die damaligen Zustände erfassen kann, und dass dieses Thema in ihrer Komplexität eine ihr eigene Abhandlung bedürfte. Die gebotene Differenziertheit bleibt hier lediglich erwähnt und findet Eingang in den weiterführenden Literaturverweisen des behandelnden Kapitels. Auf eine veranschaulichende Darstellung wurde deswegen nicht verzichtet, da eine Beurteilung des Verhaltens des DFB im NS unter Einbeziehung dieses Aspektes erst zur Voraussetzung wird.

Als besonderer Fokus hinsichtlich der politisch-ideologischen Instrumentalisierung wurden die deutsche Nationalmannschaft und deren Länderspiele gegen andere Nationen von 1933 bis 1942, wie auch die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin ausgewählt, um an exemplarischen Beispielen aufzuzeigen, auf welche Weise solche Großveranstaltungen für die eigenpolitischen Zwecke der Machthaber benutzt wurden. Die Betrachtung endet mit der letzt stattgefundenen Partie gegen die Slowakei am 22. November 1942. Am 20. Februar 1943 stellte das Deutsche Reich den internationalen Sportverkehr ein, zeitlich parallel mit der Ausrufung des von Goebbels geforderten „totalen Krieges“ am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast.

Wenn die Hauptteile abgehandelt sind, kann im letzten Kapitel das Resümee folgen, welches einerseits eine Zusammenfassung der erworbenen Kenntnisse und Feststellungen beinhaltet, andererseits auf die in dieser Einleitung aufgeworfenen Fragestellungen eingeht und sie versucht zu beantworten. Der Verfasser hält sich absichtlich mit einem vorgezogenen Urteil ob des Verhaltens des DFB, wie auch einer Bilanzierung der politisch-ideologischen Einflussnahme durch die NS zurück, um eine fortlaufende Klimax bis zum Ende dieser Arbeit zu schaffen.

2. Zum Stand der zeitgeschichtlichen Forschung bezüglich des Verhaltens des DFB zur Zeit des Nationalsozialismus

Lange Zeit war die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und damit korrelierend die gründliche Aufarbeitung des Verhaltens des DFB im „Dritten Reich“ geradezu ein Tabuthema in der deutschen Sportgesellschaft wie auch in der Medienlandschaft. Verbände und Vereine aller Sportdisziplinen erwehrten sich vehement gegen eine lückenlose Prüfung ihrer Geschichte und befürchteten bei einer möglichen Vorlage von belastenden Ergebnissen einen erheblichen Schaden in der Außendarstellung und der damit einhergehende Verlust an öffentlicher Reputation. Nicht nur der DFB ignorierte jahrzehntelang den oftmals erhobenen Vorwurf, dass er sich nicht in ausreichendem Maße den dunklen Kapiteln seiner sonst so sportlich strahlenden Vergangenheit stelle. Arthur Heinrich fordert in seiner im Jahre 2000 publizierten Studie zum Themenkomplex DFB und dessen Geschichte[6], dass gerade der DFB als größter Verband Deutschlands mit seinen sechs Millionen Mitgliedern die Pflicht hat, der Öffentlichkeit eine vollständige Aufarbeitung seiner Vergangenheit zu präsentieren, um „den Genuss öffentlicher Bedeutung und Wertschätzung mit Transparenz zu begleichen.“[7] Im Juli 1946 behauptete Georg Xandry, seinerzeit Geschäftsführer des Verbandes, dass der DFB „vor allem um die Freihaltung unserer fachlichen Sportführung von jeglicher parteibonzenhaften Führung durch politische Leiter und vornehmlich durch SA und SS“ gekämpft habe, was dem Verband „bis zuletzt gelungen“[8] sei. Dem Geiste dieser Aussage folgend, verkündete Peco Bauwens, erster Nachkriegsvorsitzender des DFB, dass „der deutsche Sport trotz stärkster Versuchung der DAF[9] wie der SA nur zum allerkleinsten Teil nazistisch vergiftet gewesen sei.“[10] Noch zehn Jahre nach Kriegsende wurden keinerlei Versuche unternommen, das Wirken des DFB in der zwölf Jahre dauernden Schreckensherrschaft zu untersuchen und einzuordnen. Kläglich erscheint die vom Verband herausgegebene „Geschichte des Deutschen Fußballsports“[11], verfasst von Carl Koppehel, in der er lediglich ein Kapitel dem Thema Fußballsport im „Dritten Reich“ einräumt. In Kriegszeiten war Koppehel Pressewart des DFB und als Funktionär stark involviert in die Geschehnisse der damaligen Zeit. So verwundert es nicht, dass Koppehel marginal aufklärende Fakten zur Aufarbeitung beiträgt und sich dem eigens inszenierten Selbstbild unterwirft. Eine objektive, kritische Prüfung des Themenkomplexes fand in dieser Chronik nicht statt.

„Die politischen Verhältnisse erschwerten die Innehaltung der bisher geltenden Linie, aber im Allgemeinen gelang es doch, den alten Kurs zu steuern. Parteipolitisch waren die im Fußballsport führenden Männer nicht gebunden.“[12]

Die Schilderung entsprach dem allgemeinen Umgang der jungen Republik mit den Jahren der Hitler-Diktatur. Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnte es ab, sich mit den Geschehnissen und der Frage nach individueller Schuld und Verantwortung auseinanderzusetzen. Die Menschen gingen einer direkten Konfrontation mit den Verbrechen aus dem Weg und schlugen eher den anscheinend bequemeren Weg der Verdrängung ein. Weitere zwanzig Jahre mussten verstreichen, bis das von Koppehel gezeichnete Bild des DFB im „Dritten Reich“ öffentlich angezweifelt wurde. In der Rede zum 75-jährigen Bestehen des DFB geißelte der Gastredner, Walter Jens, Tübinger Rhetorikprofessor, das Verhalten des DFB. Dem überraschten Auditorium mahnte er an, dass der Verband sich der eigenen Geschichte stellen müsse und dass der Sport keineswegs „fern von der Politik im Wolkenkuckucksheim angesiedelt“[13] sei.

„Es ist das Ziel dieses Vortrages, […], den Deutschen Fußballbund daran zu erinnern, dass er eine Geschichte hat, die nicht nur aus Bilanzen besteht, nicht nur aus Länderspielen, Meisterschaften, Vereinen und Ligen, sondern eine politische Geschichte ist. Eine Geschichte, die der DFB, einer der größten Meinungsbildner in unserem Land endlich aufarbeiten sollte.“[14]

Das brisante Thema des Fußballsports im „Dritten Reich“ rückte im Jahr 2000 erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Anlass war die in diesem Jahr stattfindende 100-Jahr-Feier des DFB. Im Zuge dieses Ereignisses erschienen vier Arbeiten, die anstrebten, die Rolle des Verbandes zur Zeit des NS zu erklären. Auf die Ergebnisse und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen wird an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen. Im Verlauf der Arbeit werden aber die Veröffentlichungen mit einbezogen und deren zum Teil sehr unterschiedliche Interpretationen gegeneinander geprüft. Zunächst publizierten Gerhard Fischer und Ulrich Lindner ihr Werk „Stürmer für Hitler“[15], in dem sie sich in journalistischer Form mit dem Fußball zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzten und dabei auch dem DFB ein Kapitel widmeten. Ihre Ergebnisse stützten sie auf das vorhandene Forschungsmaterial, auf zeitgenössische Zeitungsartikel, Memoiren von Fußballspielern und die Befragung von Zeitzeugen. Schon in der Einleitung weisen die Autoren aber darauf hin, dass diese Form der Materialsammlung zwar eine Menge Informationen transportieren, ihre Auswertung hinsichtlich der subjektiv wahrgenommenen Ereignisse jedes Individuums aber kritisch zu erfolgen hat.[16] Ein Jahr nach Veröffentlichung des Werkes „Stürmer für Hitler“ erschien das Buch von Arthur Heinrich mit dem prägnant pragmatischen Titel „Der Deutsche Fußballbund – Eine politische Geschichte.“ Seine Publikation behandelt die gesamte (politische) Geschichte des DFB seit dem Gründungsakt im Jahre 1900 und legt die Zeit des NS in circa 50 Seiten dar. Heinrich erklärt hierbei detailgenau die Mechanismen des Zusammenspiels des DFB mit den NS und kommt zu aufschlussreichen Befunden. Heinrich interpretiert das Verhalten des DFB als eine Kooperation mit den NS, die sehr wohl auf ideologischen Beweggründen basierten. Er verstand seine Studie auch als Gegenthese zu einem knappen Beitrag, den Adolf Scherer ein Jahr zuvor in der Jubiläumsfestschrift „100 Jahre DFB“[17] veröffentlicht hatte. Scherer behandelt darin zwar einige Aspekte des Fußballs in der Zeit des Nationalsozialismus, doch hält er sich mit einem klaren und deutlichen Fazit zurück. Diese Tatsache muss man wohl dem Rahmen, in dem dieser Aufsatz verfasst wurde, attribuieren. Die 600 Seiten umfassende Festschrift befasst sich lediglich 27 Seiten lang mit dem Fußball im „Dritten Reich“. Walter Jens, der Gastredner der 75-Jahrfeier, bezeichnete diesen Aufsatz schon vor der Veröffentlichung als „Alibibeitrag“ und gibt weiterhin zu bedenken, dass „jeder Beitrag, der unter 100 Seiten ist, nicht seriös sein kann.“[18] Im Tenor von Scherer vertritt Karl-Heinz Schwarz-Pich in seinem Werk „Der DFB im Dritten Reich – Einer Legende auf der Spur“[19] die These, dass der DFB nach dem Januar 1933 „nur das Allernötigste“ getan habe, was „angesichts der revolutionären Stimmung im Lande fast schon eine Provokation in Form passiver Resistenz“[20] gewesen sei. Schwarz-Pich hebt in seinen Ausführungen den Vorwurf auf, dass der DFB ein williges Werkzeug des NS-Regimes gewesen sei. Weiterhin äußert er eine Reihe, in der Sporthistoriografie sehr umstrittener Annahmen, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit examiniert werden sollen. Im Jahre 2005 erschien dann eine vom DFB in Auftrag gegebene Studie, die die Zeit von 1933 bis 1945 kritisch und objektiv beleuchten und analysieren sollte.[21] Beauftragt wurde Nils Havemann, der zu diesem Themenkomplex bis dato verschlossene Archive und Nachlässe als Informationsquelle nutzen konnte. Anders als Arthur Heinrich kommt Havemann zu dem Schluss, dass der DFB, geblendet von den potenziell ökonomischen und finanziellen Zuwendungen der NS, sich willfährig in den Dienst des Regimes stellte. Wie im Laufe dieser Arbeit zu sehen sein wird, wurde der Sport mit dem Machtantritt der NS zu einem prioritären Gut der Volksgemeinschaft, welches mit allen Mitteln gefördert werden sollte. Der DFB, motiviert durch die mögliche Prosperität des eigenen Verbandes, zeigte laut Havemann eine „ausgeprägte Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an politisch-gesellschaftliche Trends.“[22] Er verweist die Ausführungen Heinrichs, die klarstellen, dass der DFB sich vornehmlich aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten zu den NS bekannte und erweitert das Spektrum der Blickwinkel um die machtpolitisch-ökonomische Komponente. Die Studie markiert einen Wendepunkt in der Aufarbeitung der Geschehnisse seitens des DFB. Anlässlich der Präsentation der DFB-Studie von Havemann im September 2005 wies der aktuelle DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger darauf hin, „dass die heutige Veröffentlichung keinen Schlussstrich ziehen [soll], sondern ein Anfang [zu weiteren Untersuchungen, d. Verf.] darstellen soll.“[23] Dem Aufruf Folge leistend, veröffentlichten Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling 2008 als Herausgeber des Werkes „Hakenkreuz und rundes Leder“[24] die Ergebnisse der mitwirkenden Autoren. Das Werk beleuchtet die Politik des DFB und des deutschen Fußballs seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und prüft des Weiteren auch die Zeit nach 1945 im Hinblick auf den Umgang mit der eigenen Geschichte. In einer umfassenden Abhandlung nimmt Heinrich Stellung zu den neuartigen Thesen und Interpretationen Havemanns. Er kritisiert nachdrücklich die Ausführungen Havemanns und versucht hierbei die Erklärungsmuster einstürzen zu lassen.

„Das ohnehin nicht sonderlich stabile Havemann´sche Argumentationsgebäude der gänzlich unpolitischen, allein Nutz und Frommen ihres Verbandes verpflichteten DFB-Funktionäre bricht gegen Ende seiner Ausführungen vollends zusammen.“[25]

Neben der äußerst aufschlussreichen Interpretationsdebatte der beiden Historiker stellen die einzelnen Autoren dezidiert die „großen“ Vereine und deren Anpassungsversuche im NS dar. Ebenfalls ist die Skizzierung des Fußballsports in Österreich, im Elsass, im Sudetendeutschland und „Protektorat Böhmen und Mähren“ erhellend und interessant, da anhand dieser Vergleichsdarstellung Parallelen und Unterschiede zwischen Deutschland und „Großdeutschland“ hinsichtlich der Sportpolitik gezogen werden können. Die Initiative zu einer kritischen Aufarbeitung wurde vom DFB im Jahre 2005 mit der Herausgabe der eigens in Auftrag gegebenen Studie ergriffen, und diese befriedigt vorerst die von Heinrich im Jahre 2000 aufgestellte Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung gegenüber der Öffentlichkeit und die damit einhergehende Transparenz. Aufgabe einer seriösen Sporthistoriografie wird es sein, die gesammelten Informationen richtig zu deuten und zu klaren und aufrichtigen Ergebnissen zu gelangen, die frei sind von ausufernden und überlagerten Interpretationen.

3. Begriffsbestimmung "Ideologie"

3.1 Die Mehrdeutigkeit des Ideologiebegriffs

Um auf die Bestimmung des Begriffs „Ideologie“ im Folgenden näher einzugehen, möchte ich einleitend Terry Eagleton zitieren, der in seinem sehr gelungenen Buch über Ideologie zu Beginn den Terminus in pointierter Art und Weise umschreibt:

„Es ist Ideologie, was Menschen von Zeit zu Zeit dazu bringt, einander für Götter oder Ungeziefer zu halten. Man kann nur zu gut verstehen, dass Menschen aus materiellen Gründen kämpfen und morden – Gründe, die z. B. mit ihrem physischen Überleben verknüpft sind. Schwieriger jedoch ist zu verstehen, warum sie dies auch im Namen von etwas so offensichtlich Abstraktem wie Ideen tun.“[26]

Der Begriff „Ideologie“ hat eine lange und vielfältige (Deutungs-) Geschichte. Etymologisch entstammt der Terminus „Ideologie“ der griechischen Sprache und setzt sich aus zwei Worten zusammen; dem Substantiv „eidos“, d.h. Erscheinung, Abbild und dem Substantiv „logos“, d.h. Lehre. Als zusammengesetzter Gesamtbegriff könnte man „Ideenlehre“ übersetzen. Zeitgeschichtlich betrachtet gibt es mannigfache Auslegungen ob der Bedeutung des Wortes und je nach Betrachtungsweise verschieden gelagerte Definitionen. Es ist folglich unmöglich, den einen allgemeingültigen Ideologiebegriff zu definieren, der in der Lage ist, alle Anmerkungen und Reflexionen zu integrieren. Dennoch ist es notwendig, eine für diese wissenschaftliche Arbeit relevante Definition zu erarbeiten, die ermöglichen soll, den Fußballsport im „Dritten Reich“ hinsichtlich seiner politisch-ideologischen Instrumentalisierung zu bewerten und einzuordnen, so wie es der Titel dieser Arbeit schon einfordert. Nur mit einer vorher geklärten und fundierten Definitionsgrundlage kann m.E. der DFB in seinen Verhaltensweisen begriffen und entsprechend beurteilt werden. Im alltäglichen Sprachgebrauch kann man eine überwiegend negativ besetzte Konnotation des Begriffs ausmachen. Ideologie ist hierbei meist auf politische Domänen beschränkt, kann sich aber auch auf religiöse oder allgemein weltanschauliche Ansichten beziehen. Da in dieser Arbeit der Bezug von Politik und Ideologie herausgearbeitet werden soll, wird nachfolgend vornehmlich auf den politischen Sinngebrauch eingegangen. Im politischen Geschehen wird dem Gegenspieler bspw. vorgeworfen ideologisch zu sein, mit der Intention, ihn zu diffamieren und ihm seine Engstirnigkeit sprich Unflexibilität in politischen Ansichten deutlich zu machen. Ein ideologisch geprägter Mensch ist demnach fixiert auf unangreifbare Prinzipien, die über allem erhaben sind und die keinen Raum für Diskussionen und Kompromisse lassen. Unter dem Begriff wird im Alltagsleben ein befangener Mensch subsumiert, der unverrückbar zu seinen Thesen steht und nicht bereit ist, andere Meinungen anzuhören, geschweige denn zu akzeptieren. Ideologie ist somit ein in sich geschlossenes Gedankengebäude und wird oftmals mit dem Begriff Weltanschauung in Verbindung gebracht. Diese Bemerkungen sind meine subjektiven Reflexionen und Deutungen zu der Wertschätzung des Begriffes Ideologie im alltäglichen Sprachgebrauch und sind durch keinerlei wissenschaftliche Grundlage gesichert und gestützt. Jedes Individuum konnotiert den Begriff anders und strengt eventuell andere Überlegungen diesbezüglich an. Offensichtlich bleibt dieser Begriff unscharf und zuweilen beliebig, wird aber meist zur Abgrenzung und Diskriminierung benutzt.

Für den Fortgang der vorliegenden Arbeit ist also zwischen dem polemisch benutzten Alltagsbegriff und einem für diese Arbeit geeigneten wissenschaftlich erarbeiteten Begriff zu unterscheiden.

Da diese Arbeit prononciert auf die politische Dimension der Instrumentalisierung eingeht, muss eine Definition mit letztgenannter Referenz erfolgen, um das gesamte Spektrum des Ideologiebegriffs dieser Arbeit abzudecken. Peter Christian Ludz integriert in seiner Ideologiedefinition die politische Dimension der Ideologie und erklärt, dass das von einer Gruppe oder Bewegung entwickelte Weltbild auch politisch und gesellschaftlich realisiert wird. Ludz spricht von einem pragmatisch-funktionalistischen Ideologiebegriff:

„Ideologie ist eine aus einer historisch bedingten Primärerfahrung gespeiste, systemhafte und lehrhafte Kombination von symbolgeladenen theoretischen Annahmen, die spezifischen historisch-sozialen Gruppen ein intentional-utopisches, tendenziell geschlossenes und dadurch verzerrtes Bild von Mensch, Gesellschaft und Welt vermittelt und dieses Bild für eine bestimmte politisch-gesellschaftliche Aktivität bei strenger Freund-Feind-Polarisierung programmatisch-voluntaristisch organisiert.“[27]

Wie zu Beginn dieses Kapitels bereits namentlich genannt, legt Terry Eagleton seine Ausführungen zum Ideologiebegriff in sechs Punkten dar:

1. Der Prozess der Produktion von Ideen, Überzeugungen und Werten des gesellschaftlichen Lebens.
2. Ideen und Überzeugungen, die die Lebensbedingungen und –erfahrungen einer spezifischen, gesellschaftlich relevanten Klasse oder Gruppe symbolisieren.
3. Die Propagierung und Legitimierung der Interessen sozialer Gruppen angesichts oppositioneller Interessen.
4. Propagierung und Legitimierung partialer Interessen, beschränkt auf die Aktivitäten einer herrschenden gesellschaftlichen Macht.
5. Legitimierung der Interessen einer herrschenden Gruppe oder Klasse durch Verzerrung oder Entstellung der Wirklichkeit.
6. Ideologie als Ansammlung von falschen oder irreführenden Ideen, deren Ursprung aber nicht in den Interessen einer herrschenden Klasse zu suchen ist.[28]

Was kann Ideologie nach seinen Erläuterungen bedeuten? Er beschäftigt sich in seinen Thesen mit dem Verlauf einer Ideologiefindung und deren Durchsetzung, also der Entwicklung einer Idee hin zur Legitimierung und Propagierung gegenüber oppositioneller Kräfte und deren Verankerung im vorherrschenden System.

3.2 Kennzeichen von Ideologie und Klassifikation des Nationalsozialismus als eine ideologische Bewegung

Wie obig darauf hingewiesen, ist es nahezu unmöglich, den einen Ideologiebegriff zu definieren. Die vorgetragenen Auslegungen in Punkt 3.1 sind Begriffsklärungen, die kompatibel zum Thema dieser Arbeit erscheinen und m. E. griffig und in ihrer Aussagekraft recht eindeutig sind, wohl wissend, dass in der Literatur eine Vielzahl an weiteren Begriffsanalysen zu finden ist, die für diese Thematik aber in eine andere Betrachtungsrichtung gehen und folglich unbrauchbar sind.

Mit der im Gliederungspunkt 3.1 angestrengten definitorischen Grundlage ist es nun notwendig, die Kennzeichen und Merkmale einer Ideologie aufzuweisen, um im weiteren Verlauf den NS klar als eine ideologisch orientierte Bewegung einzugrenzen. Welche Muster und Voraussetzungen müssen also erfüllt sein, um von einer Ideologie sprechen zu können? Der Beantwortung dieser Frage wird in diesem Abschnitt nachgegangen: Nach Frank Schmitz sind Ideologien „Deutungssysteme, die Erklärungsschemata anbieten, die mehr oder weniger statisch sind, also wahrheitsorientiert und dabei verbindlich für ihre Anhänger [sind]. Diese Systeme sind kompakte Weltorientierungssysteme, die sich auf die Welt als ganzes Phänomen erstrecken.“[29] Des Weiteren ist Ideologie eine Massenbewegung, die sich auf weite Teile einer Gesellschaft erstreckt und eine große Anhängerzahl aufweist. Eine Ideologie übt eine anziehende Faszination aus, die die überzeugten Menschen soweit vereinnahmt, dass sie ihr dienen, sich aufopfern und notfalls ihr Leben für die Realisation der Ideologie geben. Ebenfalls kennzeichnend ist die Vermittlung der Inhalte von Ideologie, also die Propagierung der Lehre. Dies kann in sprachlicher Form (Schrifttum, Reden, Ansprachen in elektronischen Medien) vollzogen werden, begleitend mit dem Aufbau einer stets gegenwärtigen Symbolwelt als identitätsstiftendes Moment zur bewussten Wahrnehmung und Wiedererkennung. Schmitz merkt hierzu an, dass „ideologietransportierende Sprache eine triumphale Sprache ist, die gespickt ist durch grandiose Selbst- und Siegesgewissheit und die weiterhin geprägt ist durch Schlichtheit, Vereinfachung, Verallgemeinerung und Reduzierung von Sachverhalten auf Slogans [Slogans wollen keine Erklärung liefern, sondern Zustimmung hervorrufen], um so eine größtmögliche Zahl von Menschen ansprechen und intellektuell auch erreichen zu können.“[30]

Hitler äußert sich hierzu, dass man die zu verwendende Sprache auf die Aufnahmefähigkeit des Volkes beschränken muss, sodass auch wirklich ein jeder die Inhalte verstehen kann.

„Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen auf die Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll. Handelt es sich aber, wie bei der Propaganda für die Durchhaltung eines Krieges, darum, ein ganzes Volk in ihren Wirkungsbereich zu ziehen, so kann die Vorsicht bei der Vermeidung zu hoher geistiger Voraussetzungen gar nicht groß genug sein.“[31]

Es wird kein Wert auf argumentative Überzeugungsstrategien gelegt, wie auch eine selbstkritische Reflexion oder das Eingeständnis von Fehlern völlig negiert wird.[32] Die Sprache wird somit zum Transportmittel vorgetäuschter Eindeutigkeiten bei komplexen Sachverhalten. Ideologie lässt keinen Raum für Diskurs und Diskussion, gar kritischer Nachfrage und intellektuellem Austausch – Ideologie steht nie zur Disposition. Ebenso gehören die Zensur und die Monopolisierung der Informationsgabe zu einem ideologischen System. Im Nationalsozialismus war es bspw. bei Todesstrafe verboten, ausländische Radiosender zu hören, die feindliche Propaganda darstellten. Betrachtet man die Herrschaftsverhältnisse innerhalb einer ideologischen Bewegung, so ist eine klare Hierarchie von Elite und Gefolgsleuten festzustellen. Die „Oberen“ gehen Macht- und Privilegienerhaltung nach und versuchen die Ideologie gefestigt in der Gesellschaft zu platzieren, wohingegen die „Unteren“ bestrebt sind, ihren eigenen persönlichen und beruflichen Nutzen aus der Bewegung zu ziehen. Bei den Gefolgsleuten ist zudem das Bedürfnis nach Orientierung, Geltung und Sicherheit ausgeprägt. Es lassen sich folglich unterschiedliche Beteiligungsformen an einer Ideologiebewegung ausmachen, die in Propagandisten und Konsumenten eingeteilt werden können. Die Propagandisten sind es − um die Präsenz in der Öffentlichkeit voranzutreiben − sich verschiedener Möglichkeiten der Selbstinszenierung bedienen. Die Realisierung der Ideologie ist mit Ereignissen oder Inszenierungen verbunden, die für sich allgemein positive Konnotationen und Assoziationen wecken.[33] Selbstinszenierungen, in Verbindung mit dem publikumswirksamen Bereich wie dem Sport, bieten sich geradezu an, um an dieser Stelle den Bogen zu der hier vorliegenden Arbeit zu spannen. Aus den Ausführungen lässt sich ableiten, dass der Sport und Sportveranstaltungen gesuchte Orte und Möglichkeiten sind, um ideologische Ideen zu verbreiten.

Der Sport kann für eine positive Außendarstellung einer Ideologie instrumentalisiert werden und soll die Kraft und Entschlossenheit, in vielen Fällen auch die Überlegenheit des Systems gegenüber anderen Systemen demonstrieren. Nebst Werbung und Außendarstellung für die eigene Propaganda und die Akkumulierung von Anhängern gibt es drastischere Formen wie Zwang und Einschüchterung der Bevölkerung, um diese gefolgs- und linientreu zu machen. Ein Kennzeichen von machtvollen Ideologien ist, dass es viele Mitläufer gibt, die nur aus Angst vor Sanktionen partizipieren. „Es muss angemerkt werden, dass Ideologie keine Interessengruppe bezeichnet, vielmehr ein geistiges Konstrukt, ein Aussagesystem, dessen konkrete historische Vertreter ein vitales Interesse an Macht haben.“[34] Die äußere Darstellung einer Ideologie ist meist an einen Anführer gebunden, der sämtliche Machtbefugnisse innehat und dem mit einem sogenannten Personenkult begegnet wird. In unserem Beispiel handelt es sich um den „Führer“ Adolf Hitler, dem ein solcher Kult unterlag. Die geistigen Führer der Bewegung nehmen überweltliche Züge an, präsentieren sich als Gallionsfigur, gar Held der Zeit und vermitteln gleichzeitig Nähe und Distanz zur Bevölkerung. Ein weiteres Merkmal einer ideologischen Bewegung ist das Bedürfnis nach Feindbildern, d.h., dass die Aggressivität und der Hass gegen andere ethnische Gruppen gerichtet sind, deren Bekämpfung ein zentraler Punkt in einer Ideologie darstellt. Wie Ludz in seiner Definition zur politischen Dimension festhielt, ist eine Ideologie durch eine Einteilung in Freund und Feind charakterisiert. Festzuhalten ist die Tatsache, dass der Entstehung und Verankerung einer Ideologie bestimmte politische und gesellschaftliche Umstände vorausgehen. So sind Situationen von Krise und Gefährdung einer Gesellschaft oder die Situation des Neuanfangs einer Gesellschaft ein guter Nährboden für das Entstehen einer neuen Ideologie. In den beschriebenen Situationen erhofft sich die Bevölkerung bzw. die Gesellschaft eine schnelle Lösung für die bestehenden Probleme im Land und unterstützt diese Bewegung mit vollem Engagement und Eifer, um effizient und rapide zu einer Besserung der Umstände beizutragen. Die Aufzählung der Merkmale erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich um selektierte Gesichtspunkte, die m.E. nach für eine Ideologie bedeutsam sind und somit als Grundlage dieser Arbeit dienen sollen. Die beschriebenen Merkmale treffen in ausgeprägter Weise auf die NS-Ideologie zu. Wie folgt, ein Resümee der erhobenen Merkmale und deren Kompatibilität mit der NS-Ideologie: Die Werbung nach außen verstärkte sich im NS zu einer groß angelegten Propaganda mit eigenen Techniken und Vorgehensweisen.

Die Bekämpfung der Feindbilder, die Eliminierung, ja die gezielte Ausrottung der Feinde stellt im NS alles in den Schatten, was zeitgeschichtlich je an Brutalität und unbarmherzigen Vorgehen auftrat. Die NS-Ideologie hatte nicht nur eine Vergrößerung ihrer Bewegung vor Augen gehabt, vielmehr eine Weltmachtfantasie mit totalitärem Weltanspruch. Man kann deutlich die Kluft zwischen der Führungsriege (so auch den angesprochenen Personenkult um Hitler) und der Gefolgschaft mit ihren verschiedenen Interessen erkennen. Auffallend sind ebenso das straffe Organisationsprinzip und die totale staatliche Vereinnahmung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. All die genannten Kongruenzen lassen Rückschlüsse dahingehend ziehen, dass man das System des Nationalsozialismus eindeutig und trennscharf als eine ideologische Bewegung klassifizieren und bewerten kann. Diese Einordnung musste vorgenommen werden, um im weiteren Verlauf der Arbeit die NS-Bewegung als Ideologie auszumachen und entsprechend einordnen zu können.

[...]


[1] Im weiteren Verlauf der Arbeit als Akronym DFB verwendet. Es bleibt weiterhin anzumerken, dass, wenn die Rede vom DFB ist, jene Institutionen zu verstehen sind, die legislatorische Funktionen wahrnahmen. Hierbei sind zu nennen: Der DFB-Bundestag, der DFB-Vorstand, exekutive Gremien, die Vorstände der Landesverbände und die diversen Ausschüsse, die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Beschlüsse der Fußballparlamente oder der Vorstände umsetzten.

[2] Lösche 2002, S. 45.

[3] Ansprache Hitlers zum 50. Geburtstag des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten am 25.10.1937, zit. nach Teichler 1991, S. 11.

[4] Im weiteren Verlauf der Arbeit als Akronym NS verwendet, stellvertretend für Begriffe wie: Nationalsozialismus, Nationalsozialisten, nationalsozialistisch etc.

[5] Jung 2008.

[6] Vgl. Heinrich 2000.

[7] Heinrich 2000, S. 9.

[8] Xandry 1946, zit. nach Havemann 2005, S.10.

[9] Die Deutsche Arbeitsfront war in der Zeit des Nationalsozialismus der Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

[10] Bauwens 1948, zit. nach Havemann 2005, S.10.

[11] Vgl. Koppehel 1954.

[12] Koppehel 1954, S. 189.

[13] Walter 1975, zit. nach Heinrich 2000, S. 10/11.

[14] Ebda.

[15] Vgl. Fischer/Lindner 1999.

[16] Ebda., S. 11.

[17] Vgl. Scherer 1999.

[18] Walter 1999, zit. nach Fischer/Lindner 1999, S. 10.

[19] Vgl. Schwarz-Pich 2000.

[20] Schwarz-Pich 2000, S.33.

[21] Vgl. Havemann 2005.

[22] Havemann 2005, S.44.

[23] Zit. nach dpa v. 13.9.2005.

[24] Vgl. Peiffer/Schulze-Marmeling 2008.

[25] Heinrich 2008, S.75.

[26] Eagleton 1993, S. 3.

[27] Ludz 1977, S. 103.

29 Eagleton 1993, S. 44/45.

[29] Schmitz 2001, S. 55.

[30] Ebda., S. 56.

[31] Hitler 1935, S. 197.

[32] Vgl. Schmitz 2001, S. 57.

[33] Ebda., S. 59.

[34] Schmitz 2001, S. 60.

Final del extracto de 83 páginas

Detalles

Título
Der Fußballsport im Dritten Reich unter dem Gesichtspunkt seiner politisch-ideologischen Instrumentalisierung
Universidad
Humboldt-University of Berlin
Calificación
1,3
Año
2009
Páginas
83
No. de catálogo
V140727
ISBN (Ebook)
9783640500239
ISBN (Libro)
9783640500123
Tamaño de fichero
765 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Fußballsport, Dritten, Reich, Gesichtspunkt, Instrumentalisierung
Citar trabajo
Anónimo, 2009, Der Fußballsport im Dritten Reich unter dem Gesichtspunkt seiner politisch-ideologischen Instrumentalisierung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140727

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