Formen der Liebe in Stendhals Roman «Le Rouge et le Noir»

Analyse der nonverbalen Kommunikation


Term Paper (Advanced seminar), 2007

29 Pages, Grade: 1,3

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorbemerkung

3. Die Heuchelei der Körpersprache

4. Darstellung der nonverbalen Kommunikation zwischen Julien Sorel und Mme de Rênal

5. Darstellung der nonverbalen Kommunikation zwischen Julien Sorel und Mathilde de la Mole

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Die nachfolgend angefertigte Arbeit untersucht den von Stendhal im Jahre 1830 veröffentlichten Roman „Le Rouge et le Noir“ unter den Aspekten der nonverbalen Kommunikation. Es soll im Folgenden dargestellt werden, wie Julien Sorel, der Protagonist dieses Romans, mit Hilfe der Verstellung seiner Körpersprache und seiner nonverbalen Signale den gesellschaftlichen Aufstieg begehen wollte. Sein Können im Kaschieren von Botschaften erlernte er phasig, die ich im dritten Punkt dieser Arbeit näher beleuchten möchte. Das Erlernen der Verstellung werde ich anhand verschiedener Episoden und Stationen in seinem Leben darlegen und erläutern, inwieweit er seine Qualitäten immer weiter perfektionieren musste. Je nach Umgebung musste er sein Habitus anpassen und sich den Umständen entsprechend verhalten. So beleuchte ich zunächst seine erste Station im Hause der Rênals, wo Julien Sorel als Privatlehrer tätig ist. Dort entwickelt sich eine amouröse Beziehung zu der Dame des Hauses, Mme de Rênal, die damit endet, dass er in das Priesterseminar zu Besançon berufen wird. In dieser Liaison lernt er die Grundkenntnisse des Sendens von nonverbalen Botschaften und erlernt gleichermaßen die Kunst der Verführung einer (sozial höher gestellten) Dame der Gesellschaft.

Im Priesterseminar bedient er sich seiner Körpersprache, um die Gunst der Oberen zu erlangen. Mit seiner kühlen, durchdringenden Mimik und Gestik lädt er aber auch zugleich viel Misstrauen und Neid der anderen Seminaristen auf sich.

Schließlich wird er in das Haus de la Mole´s gerufen, wo er als Privatsekretär des Herrn de la Mole fungiert. Er verliebt sich in Mathilde de la Mole, der er vollkommen verfallen ist. Er macht ihr den Hof, muss aber feststellen, dass er mit seiner erlernten Technik der Verstellung bei seiner Angebeteten nicht ankommt.

So begeht er neue Wege der Verführung und verfolgt dabei bereitwillig den Rat seines neuen Freundes Korasoff. In dieser Phase vervollkommnt er seine Kunst der Verstellung und die Technik der nonverbalen Kommunikation und avanciert letztendlich zum perfekten Dandy am Ende des Romans. Mit seiner Art und seiner Taktik erwirbt er die Gunst der Marquise de la Mole.

Wie schon angedeutet, werde ich die Kunst der Verführung und die stete Weiterentwicklung seines Talentes anhand seiner Etappen beschreiben. Mit dieser Grundlage widmet sich die Arbeit im Folgenden mit der Analyse der nonverbalen Kommunikation zwischen Julien Sorel und Mme de Rênal. Hier wird aufgezeigt, wie sich die beiden Liebenden anhand der Gestik nähern und wie sie die Zeichen des Körpers für ihre Liebesfindung aber auch für ihr Liebesspiel einsetzen. Ein wichtiges Moment wird hierbei die unterschiedliche Interpretation der nonverbalen Botschaften sein, wie auch die Wirkung derselbigen.

Im Anschluss wird das Liebesspiel zwischen Julien Sorel und Mathilde de la Mole examiniert. Es lassen sich erhebliche Unterschiede in der Kommunikation zwischen Julien und den beiden Damen ausmachen, die in den einzelnen Kapiteln herausgearbeitet werden sollen. Spannend ist hierbei die von Julien eingesetzte Kunst der Verführung und die Wirkung auf die unterschiedlichen Frauen.

Sein Antrieb, die Damen zu verführen, liegt nicht nur in der sexuell-erotischen Lustbefriedigung begründet, sondern vornehmlich in dem von ihm geführten Klassenkampf gegen die Aristokratie. Es wird in dieser Arbeit deutlich gemacht, dass Julien Sorel sich als klassenkämpferischen „plébéien révolté“ sieht, dessen Ziele die Überwindung der Gegensätze und der damit einhergehende Karrieresprung sind.

Auf seine Ansichten und Gedanken als „plébéien révolté“, wie auch auf die Motive seiner Taten wird in den einzelnen Abschnitten detailliert eingegangen.

Im Fazit werden die angesprochenen Aspekte resümiert und eine abschließende Bewertung der Analyse gegeben. Es wird an dieser Stelle nochmals deutlich gemacht, welche eklatanten Unterschiede in der nonverbalen Kommunikation zwischen Julien Sorel und seinen beiden amourösen Beziehungen bestehen und wie er es anhand der Verfeinerung der Verstellung schaffte, die Gunst seiner Angebeteten zu erlangen.

Als Grundlage meiner Analysen zur nonverbalen Kommunikation in „Le Rouge et le Noir“ und zu den Formen der Liebe in diesem Roman diente mir vor allem die Dissertation von Mechthild Albert, die sich, zur Erlangung der Doktorwürde, mit diesem delikaten Thema auseinandersetzte. Ebenfalls diente mir Pierre-Georges Castex und Mouillaud als Sekundärliteratur als erhellende Grundlage. Auch fanden die Erläuterungen von Carl Kröver Eingang in diese Arbeit.

2. Vorbemerkung

Stendhals Roman „Le Rouge et le Noir“ wurde in einer drei jährigen Arbeitszeit von 1827 bis 1830 verfasst und erschien letztendlich im November 1830.

Der Roman spielt zunächst in Verrières, einem Ort, eingebettet in die Gebirgszüge des Jura, in der Franche-Comté.

Die damalige Gesellschaft ist von den Klassenunterschieden zwischen Adel, Bürgertum und Unterschicht geprägt. Julien Sorel, der Protagonist dieses Romans, Sohn eines Zimmermanns, fühlt sich zu Höherem geboren und vertieft sich in die Lektüre und die Studien.

Sein Vater hält ihn für einen Taugenichts und versucht seine Liebe zur Literatur durch körperliche Züchtigung zu unterbinden.

Neben Juliens eigenen Studien wird er vom örtlichen Geistlichen unterrichtet und von ihm in die lateinische Sprache eingewiesen.

Julien Sorel will den gesellschaftlichen Aufstieg und probiert mit seinem glühenden Ehrgeiz, dieses auch in die Tat umzusetzen. Er ist ein leidenschaftlicher Bewunderer Napoleons und ist sehr empfänglich für militärische Ideologien.

Doch da er in der Zeit nach Napoleons Herrschaft aufwuchs, muss er sich mit seinen Bekundungen und Beteuerungen für den einstigen Kaiser zurückhalten.

Öffentliche Sympathiebekundungen sind arg gefährlich in der Zeit der Restauration, in der dieser Roman spielt. Durch diesen Umstand ist Julien gezwungen, seine Ideologien zu kaschieren und sich selber zu verstellen.

Weiterhin muss er konstatieren, dass ein gesellschaftlicher Aufstieg für ihn nur möglich ist, wenn er in das Amt des Priesters gelangen könnte. Die Entscheidung, ein Diener Gottes zu werden entstammt nicht aus dem Glauben an Gott oder moralischen und ethischen Vorstellungen heraus, sondern einer kühlen Berechnung seiner Lage.

Eines Tages äußert M. de Rênal, Bürgermeister von Verrières, die Idee, einen Hauslehrer für seine drei Kinder zu engagieren. Er begründete diesen Schritt damit, dass die Kinder nun in einem glänzenden Lernalter seien, um die lateinische Sprache zu erlernen und ihre Schulbildung voranzutreiben.

Für diese Tätigkeit hatte er sich also Julien Sorel ausgeguckt, da dieser wärmstens von dem Pfarrer empfohlen wurde. Julien Sorel, so der Geistliche, studiert seit drei Jahren Theologie und beabsichtigt ins Priesterseminar zu gehen.

Zu seinen besonderen Eigenschaften gehört, dass Julien in der Lage ist, das komplette Alte Testament auswendig aufzusagen.

3. Die Heuchelei der Körpersprache

Julien Sorel ist darauf bedacht, einen gesellschaftlichen Aufstieg zu vollziehen. Er wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren und setzt sich schon früh das Ziel, seinen Lebensstandard zu erhöhen. Julien Sorel möchte unter keinen Umständen in die Fußstapfen seines Vaters treten und ebenfalls Zimmermann werden. Er fühlt sich zu Höherem geboren und gibt sich seiner Leidenschaft der Lektüre und des Studiums der Theologie hin. Der Vater, der sein Verhalten und sein Tun missbilligt, versucht mit Druck und Härte auf seinen Sprössling einzuwirken, doch sämtliche erzieherische Maßnahmen versagen. Julien erkennt früh, dass ein Weiterkommen auf der Karriereleiter auch mit der Verstellung seines Habitus korreliert. Er unterwirft sein Verhalten dem Wunsch nach einem gesellschaftlichen Aufstieg.

Um sein Ziel zu erreichen, durchläuft er eine stufenweise Selbsterziehung zur Heuchelei und zur Verstellung der Körpersprache, bei deren Abschluss er als perfekt inszenierter Dandy am Ende des Romans erscheint. Nach und nach erschließt er sich die Lebensbereiche Kirche, (Provinz-) Adelsgesellschaft, Adelsgesellschaft, Liebe. In jedem Bereich stellt er fest, dass die äußere Verstellung geeignet für sein Fortkommen ist.

Er bemüht sich sein Innerstes zu verbergen, um das der anderen zu durchdringen und seiner Umwelt ein kontrolliertes, im Hinblick auf die Verwirklichung seiner Interessen gestaltetes Äußeres zu zeigen.[1] Sein Ruf und seine Reputation sind für ihn als mittellosen Karrieristen das Wichtigste in seinem Leben.

Professionell setzt er die Kunst der Verstellung und der Verklärung erst ein, als er zu der edlen und angesehenen Familie de Rênal berufen wird, um dort die Kinder des Bürgermeisters von Verrières zu unterrichten. Nach Amtsantritt erkennt er sogleich, dass ihm das Durschauen des Mienenspiels Macht über andere gibt.

Er verfügt über die verbale Hypokrisie, die es ihm ermöglicht, seine eigenen Gedanken durch das gesprochene Wort zu kaschieren, um so seinen Gesprächspartner zu täuschen und zu verführen. Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Geheimhaltung der Körpersignale. Diese zu erkennen, zu beherrschen und richtig einzusetzen, fordert seine ganze Entschlossenheit und Hingabe.

Die Beherrschung und die trügerische Handhabung dieser nonverbalen Kommunikation eignet sich Julien Sorel auf seiner ersten Etappe im Priesterseminar zu Besançon an. In dem Seminar muss er lernen, dass hinter dem äußeren Vollzug devoter Handlungen, die eigentlichen Gedanken und Absichten zu kaschieren sind.[2]

Zunächst ist Julien weit davon entfernt, die Maske der Unterwürfigkeit und Scheinheiligkeit gezielt zu tragen. Seine Miene verrät seinen weltlichen Geist, sein Auftreten und sein gepflegtes Äußeres zeigen Spuren vom mondänen Leben auf. Sein Habitus und seine hochmütige und hartnäckige Stille machen ihn zum Außenseiter und zum Feindbild der anderen Teilnehmer des Priesterseminars.

« Du moment que Julien fut aperçu de sa folie, il ne s’ennuya plus. Il voulut connaître toute l’étendue du mal, et, à cet effet, sortit un peu de ce silence hautain et obstiné avec lequel il repoussait ses camarades. Ce fut alors qu’on se vengea de lui. Ses avances furent accueillies par un mépris qui alla jusqu’à la dérision. Il reconnut que, depuis son entrée au séminaire, il n’y avait pas eu une heure, surtout pendant les récréations, qui n’eût porté conséquence pour ou contre lui, qui n’eût augmenté le nombre de ses ennemis, ou ne lui eût concilié la bienveillance de quelque séminariste sincèrement vertueux ou un peu moins grossier que les autres. »[3]

Sodann erkennt er, dass Unterschiedlichkeit Hass und Antipathie hervorbringen. Er entschließt sich dazu, sein Verhalten neu zu überdenken und sich den gegebenen Umständen anzupassen und seine Persönlichkeit danach auszurichten. Er versucht, mit den Mitteln der Körpersprache ein Bild seiner selbst hervorzubringen, das den Vorgaben seiner Umwelt angepasst ist und ihn dadurch erst zu erfolgreicher Interaktion innerhalb dieses sozialen Umfeldes befähigt.[4]

« Le mal à réparer était immense, la tâche fort difficile. Désormais l’attention de Julien fut sans cesse sur ses gardes ; il s’agissait de se dessiner un caractère tout nouveau. Les mouvements de ses yeux, par exemple, lui donnèrent beaucoup de peine. Ce n’est pas sans raison qu’en ces lieux-là on les portes baissés. Quelles n’était pas ma présomption à Verrières, se disait Julien, je croyais vivre ; je me préparais seulement à la vie, me voici enfin dans le monde, tel que je le trouverai jusqu’à la fin de mon rôle, entouré de vrais ennemis. Quelle immense difficulté, ajoutait-il, que cette hypocrisie de chaque minute ; c’est à faire pâlir les travaux d’Hercule. »[5]

Julien macht sich bewusst, dass jede noch so kleine körperliche Äußerung eine Bedeutung hat und dass diese Form der Kommunikation unbedingt kontrolliert werden müsse.

Das körperliche und mimische Bild hat den Geistes- oder Gefühlszustand vorzutäuschen, um sich in seiner Umwelt behaupten zu können. Dieses Vortäuschen wird durch die « hypocrisie des gestes » möglich. Bei dem Entschluss zu diesen Verhaltensweisen erinnert sich Julien an die Rituale des Bischofs von Agde, den er in Verrières heimlich beobachtet hatte. Der Bischoff studierte unermüdlich die Gesten der Segnung vor dem Spiegel ein und betrachtete dabei die Wirkung seiner Gesten.

« À l’autre extrémité de la salle, près de l’unique fenêtre par laquelle le jour pénétrait, il vit un miroir mobile an acajou. Un jeune homme, en robe violette et en surplis de dentelle, mais la tête nue, était arrêté à trois pas de la glace. Ce meuble semblait étrange en un tel lieu, et, y avait été apporté de la ville. Julien trouva que le jeune homme avait l’air irrité ; de la main droite, il donnait gravement des bénédictions du coté du miroir.

[...]


[1] Vgl. Albert, Mechthild: Unausgesprochene Botschaften. Zur nonverbalen Kommunikation in den Romanen Stendhals, Tübingen 1987, S. 101.

[2] Vgl. Albert, Mechthild: Unausgesprochene Botschaften. Zur nonverbalen Kommunikation in den Romanen Stendhals, Tübingen 1987, S. 103.

[3] Stendhal: Le Rouge et le Noir. Chronique de 1830, Le Livre de Poche, livre 1, chapitre 26, page 183.

[4] Vgl. Albert, Mechthild: Unausgesprochene Botschaften. Zur nonverbalen Kommunikation in den Romanen Stendhals, Tübingen 1987, S. 104.

[5] Stendhal: Le Rouge et le Noir. Chronique de 1830, Le Livre de Poche, livre 1, chapitre 26, page 183.

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Details

Title
Formen der Liebe in Stendhals Roman «Le Rouge et le Noir»
Subtitle
Analyse der nonverbalen Kommunikation
College
Technical University of Berlin
Grade
1,3
Year
2007
Pages
29
Catalog Number
V140728
ISBN (eBook)
9783640500246
ISBN (Book)
9783640500130
File size
582 KB
Language
German
Keywords
Formen, Liebe, Stendhals, Roman, Rouge, Noir», Analyse, Kommunikation
Quote paper
Anonymous, 2007, Formen der Liebe in Stendhals Roman «Le Rouge et le Noir» , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140728

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