"Wir sprechen keine gemeinsame Sprache"

Jürgen Fuchs und die Staatssicherheit


Term Paper, 2008

22 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Anfange als Schriftsteller

2. Das Ende der Selbstzensur

3. Die Sprache der Stasi-Mitarbeiter

4. Bewertung von Jurgen Fuchs' Texten durch die Stasi

5. Bewertung der Stasi-Sprache durch Fuchs

6. Die Wirkungen der sprachlichen Unterschiede auf Jurgen Fuchs

7. LiterarischeVerarbeitung seiner Erlebnisse

8. Stilistik seiner Texte

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Es gibt viele Beispiele fur den Einfluss, den Literatur seit jeher auf Gesellschaften, Staaten, Regierungen ausgeubt hat:

Die Bibel dient bis heute als Leitfaden fur politische Entscheidungen. Die Schriften von Montesquieu und Rousseau waren Eckstein der franzosischen Revolution. Das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels legte das Fundament fur einen realen Sozialismus. Und Anti-Utopien wie das Orwell'sche ,,1984“ pragen unseren Umgang, vielmehr unsere Skepsis, bezuglich Uberwachungskameras und Datenschutz.

Weit offensichtlicher noch ist der Einfluss, den die aufieren Umstande auf Literatur nehmen:

So war die radikalisierte Vormarz-Bewegung eine Reaktion auf Metternichs Zensur und Repression. Das ,,Stahlgewitter“ von Ernst Junger versuchte den ersten Weltkrieg zu reflektieren; fur die Gruppe 47 wiederum war die Verarbeitung des Nationalsozialismus DAS Thema.

Literatur und Geschichte sind also nicht voneinander zu trennen; sogar explizit unpolitische Schriften (z.B. Biedermaier, Pop-Literatur) sagen etwas uber die Zeit und den Ort aus, an dem sie entstanden.

“Der Gehalt eines Gedichtes ist nicht blofi der Ausdruck individueller Regungen und Erfahrungen. Sondern diese werden uberhaupt erst dann kunstlerisch, wenn sie, gerade vermoge der Spezifikation ihres asthetischen Geformtseins, Anteil am Allgemeinen gewinnen.‘“[1]

Unter diesem Vorzeichen wird in der folgenden Arbeit der Versuch unternommen, die Werke des ostdeutschen Schriftstellers Jurgen Fuchs zu analysieren, der wie nur wenige vor oder nach ihm das Leben in der DDR darzustellen verstand.

Nicht nur die Schriften an sich - das grenzt diese Arbeitsweise von einer rein literaturwissenschaftlichen ab - sondern auch die Bedingungen ihrer Veroffentlichung sowie die Reaktionen darauf werden thematisiert.

Die Biographie des Autors bietet einen wichtigen Schlussel zum Verstandnis der besonderen Umstande, unter denen Fuchs arbeitete und litt. Der Schwerpunkt soll allerdings auf der literarischen Leistung von Jurgen Fuchs liegen. Nicht in erster Linie als Burgerrechtler, sondem als Autor wird er betrachtet werden. In welche Gattung sind seine Texte einzuordnen, mit Rucksichtnahme auf ihren besonderen Dokumentarstil? Was sind die Themen, Entwicklungen, wie benutzt er Sprache im Angesicht ihres Missbrauchs durch das Ministerium fur Staatssicherheit? Wie entstanden die Texte wahrend seiner Gefangenschaft, auch ohne dass er Zettel und Stift parat hatte?

Geforscht wurde uber diesen Autor bisher nicht viel. Das schadet der vorliegenden Arbeit nicht, denn die meisten Informationen sind direkt seinen Texten entnommen und Sekundarliteratur wurde nur sparlich hinzugezogen - Jurgen Fuchs soll die Gelegenheit haben, postum selbst zu Wort zu kommen, ohne dass Literaturwissenschaftler die Deutungen vorweg genommen hatten.

1. Anfange als Schriftsteller

Nichts, was ich beschrieb, sog ich mir aus den Fingern,freilich, objektive Berichte konnte ich nicht liefern - ich machte deutlich, dass ich dieses undjenes erlebt und verarbeitet hatte -, aber alles beruhte auf einer sehr wirklichen und lebendigen Grundlage, auf meiner Biographie.“[1]

Einer, der die Realitat als „Zubringer der Musen“[2] bezeichnet, lebt und schreibt in der DDR. Durchlauft die normale Schullaufbahn, absolviert den Grundwehrdienst bei der NVA, nimmt aktiv am politischen Leben und offiziellen Feiertagen teil und wird Student in Jena. Grundet zusammen mit seinem Freund Lutz Rathenow den „Jenaer Arbeitskreis Literatur“ und veroffentlicht erste literarische Arbeiten in kleinen Anthologien und auf offentlichen Lesungen. Die Staatssicherheit wird auf ihn aufmerksam: Innerhalb von zwei Jahren, von 1975 bis 1977, wird er aus der SED und FDJ ausgeschlossen, kurz vor Abschluss seines Psychologie-Studiums exmatrikuliert, in Berlin-Hohenschonhausen inhaftiert, schliefilich mitsamt seiner Familie ausgeburgert und in Westberlin sogenannten „Zersetzungsmafinahmen“ unterzogen[3].

Warum das alles? Weil er seine Aufgabe als Schriftsteller ,,in der Aufdeckung der Wirklichkeit und der Kritik ihrer schlechten Seiten“[4] sieht. Praktisch klingt das so:

Das Fach Schonschreiben

Aber gewiss doch:

Nach Schablone und
In Schonschrift

Tanzt kein Buchstabe
aus der Reihe

Liegtkein Wort
Schief

Halten alle
Den Rand
Ein

Und erhalten ein
Lob

Nur die Wahrheit
Fallt immer auf

Als sehr schwer
erziehbar[5]

oder so:

Scheinwerfer

Die mich anfallen
Bis sie voruber sind
Und mich blass sehen
Und geblendet

Verstehe ich gut
In ihrer Wut

Denn ich leuchte
Zwar matt

Aber sie durchleuchten mich nicht

Und ich nehme ihnen die Sicht
Ein wenig:

Nicht unsichtbar
Nicht zu ubersehen
Mit mir mussen sie rechnen.[6]

Erich Honecker hatte auf der 4. Tagung des ZK der SED (am 17. Dezember 1971) gesagt, ausgehend „von der festen Position des Sozialismus“ konne es ,,auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.“[7] Darauf beruft sich Fuchs, will einen konstruktiven Beitrag zum sozialistischen Leben leisten, die DDR von innen heraus verandern, verbessern.

Verbesserungsbedurftige Systemfehler entdeckt er fruh. 1968, er ist 18 Jahre alt, hort er von der gewaltsamen Zerschlagung des Prager Fruhlings und sieht die Stasi einen Nachbarn abholen, weil der „Dubcek“ an die Hauserwande geschrieben hat. In der Schule wird er von Lehrern (Gerhard Hieke, Ingeborg Hochmuth) gefordert, die aufgrund ihrer freigeistigen Haltung erheblichen Repressalien ausgesetzt sind. Bucher, die diese ihm ausleihen, stehen in der Regel auf dem Index (Solschenizyn, Kafka, Kundera) und ziehen Fuchs um so mehr in ihren Bann. Borcherts Satz ,,Wir werden nie mehr antreten auf einen Pfiff hin“, wird zur grofien Herausforderung und Leitplanke seines Lebens.[8] Auch Lenin, Nietzsche, Brecht saugt er auf, ist besonders angetan von Viktor Klemperers ,,LTI-Lingua Tertii Imperii“, einer Aufstellung uber die Sprache des Dritten Reiches.[9] In Anlehnung an die detaillierten Beobachtungen, die Klemperer uber die Sprache der Nazi- Diktatur aufzeichnete, beginnt Fuchs, sich vermehrt Gedanken uber den offiziellen Wortschatz seiner Zeit zu machen: Gibt es auch eine ,,Lingua Quartii Imperii“, spricht man in der DDR anders als in freien Landern? Als frei erlebt er seine eigene Sprachgestaltung namlich nicht: Seine Eltern sind uber seine ersten Schreibversuche sehr erschrocken, versuchen ihn davon abzubringen, vernichten Beweismaterial. Fuchs selbst lasst sich davon anstecken, baumt sich zwar mehrmals kurz auf - mit klein hingekritzelten Slogans auf Wahlplakaten und kritischen Gedichten an der Wand seines Jugendzimmers - und kapituliert dann doch vor der Angst, halt den Mund, spult die Papierfetzen mit seiner Handschrift im Klo herunter.

2. Das Ende der Selbstzensur

Die Wende kommt 1971, als er sein Sozialpsychologie-Studium an der Universitat in Jena aufnimmt. Er erweitert seinen intellektuellen Horizont, kommt mit anderen Kunstlern und Schriftstellern in Kontakt, die ebenfalls kritisch aber konstruktiv ihren Staat beaugen. Nicht nur passiv nimmt er auf, was seine Umwelt ihm bietet, auch er selbst beginnt, Einfluss auf andere auszuuben, Vorbild zu sein.

Die Anerkennung seiner durchdachten Argumente bei Diskussionen (etwa beim 2. zentralen Poetenseminar der FDJ in Schwerin), die gute Bewertung seiner Kurzprosa im Literaturzirkel und auf Lesungen (z.B. des Lyrikclubs Kulturpalast Unterwellenborn) sowie die Aufnahme einiger seiner Texte in zwei Lyrikanthologien (,,Offene Fenster“ 1972 und 73 sowie ,,Auswahl 74“) heben sein Selbstbewusstsein.

Zur gleichen Zeit sammelt er negative Erfahrungen mit der realsozialistischen Wirklichkeit: die 18 Monate bei der Nationalen Volksarmee (1969-71) erlebt er als zutiefst antihumanistische, demutigende, beangstigende Zeit.[10] Danach verwehrt man ihm zunachst einen Studienplatz, weil er als politisch unzuverlassig gilt. Durch eine Eingabe doch an die Universitat gekommen, begegnet er Kommillitonen, die als inoffizielle Mitarbeiter fur der Staatssicherheit arbeiten, und anderen, die aus Angst schweigen und zu Mitlaufern werden. Diese Mischung aus negativer Erfahrung und Starkung seines Selbstbewusstseins fuhren dazu, dass er sein Schweigen bricht, dass plakative Statements die vormals vagen Andeutungen ablosen:

„[...] Das macht dich kaputt und wirft dich zuruck, da siehst du die Klobeckenund die wachsamen Verlage, was wahr ist, wird zum Kinkerlitzchen, das keinererkennt, du nicht und niemand. Aber das haben wir jetzt satt.“ [11]

Als Jurgen Fuchs Beitrag zu einer Debatte uberjunge Lyrik der DDR in ,,Sinn und Form“[12] erscheint, in dem er den Verschleifi von Lyrik ,,vielfach dem mangelnden Mut, das auszusprechen, was ist“ anrechnet, und in dem er als lyrische Aufgabe nicht nur ,,die Entlarvung der verfeinerten Formen der imperialistischen Unterdruckung“ nennt, sondern auch ,,die vollige Entlarvung des burokratischen Zentralismus im eigenen Erlebnisbereich“, leitet die SED ein Parteiverfahren gegen ihn ein.

Seine neue Klarheit, seine Weigerung, die Wirklichkeit zu verschonern oder zuvertuschen, leiten eine lange Auseinandersetzung mit der Partei,Universitatsleitung und Stasi ein. Als Fuchs im November 1976 verhaftet wird,

[...]


[1] Aus einem Brief an Erich Honecker vom 26.5.1975. In: Fuchs, Jurgen: Gedachtsnisprotokolle. Reinbek beiHamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1977. Seite 37.

[2] Fuchs:,,... und wann kommt der Hammer?“ Psychologie, Opposition und Staatssicherheit. Berlin: BasisDruckVerlagsgesellschaft 1990. Seite 12.

[3] Nachzulesen in: Fuchs, Jurgen: Unter Nutzung der Angst. Die ,,leise Form“ des Terors - Zersetzungsmafinahmen des MfS. Berlin: Der Bundesbeauftragte fur die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung 1994.

[4] Aus einem Brief an Erich Honecker vom 26.5.1975. In: Fuchs: Gedachtsnisprotokolle. Seite 37.

[5] Fuchs: Gedachtnisprotokolle. Seite 58 f.

[6] a.a.O. Seite 60.

[7] Kulturbetrieb und Literatur in der DDR. Hrsg. von Gunther Ruther. Koln: Verlag Wissenschaft undPolitik 1987. Seite 74.

[8] Fuchs, Jurgen:,,... und wann kommt der Hammer?“ Seite 11.

[9] Klemperer, Viktor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Reclam 1996.

[10] Nachzulesen in: Fuchs, Jurgen: Fassonschnitt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1984. Und Fuchs, Jurgen: Das Ende einer Feigheit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1988.

[11],,Die Wende“. In: Fuchs: Gedachtnisprotokolle. Seite 11 f.

[12] Sinn und Form, Heft 5/1974, S. 109 ff.

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Details

Title
"Wir sprechen keine gemeinsame Sprache"
Subtitle
Jürgen Fuchs und die Staatssicherheit
College
University of Leipzig  (Institut für Germanistik)
Course
Autorinnen und Autoren im Widerspruch: Literatur- und Kulturverhältnisse in der DDR
Grade
1,7
Author
Year
2008
Pages
22
Catalog Number
V140869
ISBN (eBook)
9783640507146
ISBN (Book)
9783640506996
File size
509 KB
Language
German
Notes
Aus dem Inhalt: 1. Anfänge als Schriftsteller 2. Das Ende der Selbstzensur 3. Die Sprache der Stasi-Mitarbeiter 4. Bewertung von Jürgen Fuchs' Texten durch die Stasi 5. Bewertung der Stasi-Sprache durch Fuchs 6. Die Wirkungen der sprachlichen Unterschiede auf Jürgen Fuchs 7. Literarische Verarbeitung seiner Erlebnisse 8. Stilistik seiner Texte
Keywords
Stasi, DDR, Opposition
Quote paper
Anna-Maria Heinemann (Author), 2008, "Wir sprechen keine gemeinsame Sprache", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140869

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Title: "Wir sprechen keine gemeinsame Sprache"



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