Die Ironie des Dahinlebens

Zur Ästhetik der Ironie nach dem Buch Kohelet und der Philosophie Sören Kierkegaards


Mémoire (de fin d'études), 2009

56 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

1 Das Haschen nach dem Winde
1.1 Anliegen
1.2 Methode

2 Zum allgemeinen Begriff der Ironie
2.1 Etymologie
2.2 Die Ironie als Existenzform

3 Zum Verständnis der Ironie bei Sören Kierkegaard
3.1 WerkbestimmenderEntstehungshintergrund
3.2 Die Position
3.2.1 Die Ironie als Erscheinung einer konstituierten Freiheit des Menschen
3.2.2 Die Abgrenzung zur Heuchelei und zum Zweifel
3.2.3 ZumWesendeslronikers

4 Der Begriff derÄsthetik bei Sören Kierkegaard
4.1 Der Charakter des Werkes Entweder-Oder hinsichtlich des Begriffs derÄsthetik
4.2 DiePosition
4.2.1 Zur Begriffsbestimmung der Ästhetik in Abgrenzung zu den Stadien des Ethischen und des Religiösen
4.2.2 Das Argumentdes Augenblicks
4.2.3 Das ArgumentderWahl
4.2.4 Die Ironie im Verhältnis zur Wirklichkeit
4.2.5 Ein bewusstes lnderDiskrepanzleben.DerD\chter.
4.2.6 Die Schwermut
4.2.7 Zum Wesen des Ästhetikers
4.2.8 Die Ästhetik als Kunst-Antizipation ewigen Lebens

5 Die Untersuchung der Ironie im Buch Kohelet
5.1 ZurErkennbarkeitderlronie
5.2 Eine kommentierte Untersuchung
5.2.1 Der TenorderSchrift
5.2.2 Das Unvermögen
5.2.3 Die Wiederkehr
5.2.4 Dasselbe Geschick
5.2.5 DerWiderspruch
5.2.6 Die AufforderungzurFreude
5.2.7 Fürchte Gott!
5.3 Zum Wesen der „Figur“ Kohelet

6 IronischerÄsthet-Ästhetischerlroniker

7 Die Verbale Ironie
7.1 AlltagssprachlicheKommunikation
7.2 Das Theater als provozierte Ironie

8 Heilsein
8.1 Die Freude über den lebendigen Widerspruch
8.2 Überlegen sein

9 Literatur

1 Das Haschen nach dem Winde

1.1 Anliegen

Nichts ist lebenswert ohne sein Gegenteil. Wir können nichts tatsächlich erfahren, ohne nicht auch den Gegensatz zu kennen und scheinen somit in unserer Wahrnehmung vom Widerspruch abhängig zu sein. Um die Spannung und das eventuelle Unverständnis dessen aushalten zu können, bedarf es der Ironie. Sie scheint jedwede Gegensätze als solche begriffen zu haben und echauffiert sich eine Weile innig darüber - um letztendlich zur Ruhe zu kommen, weil sie es versteht, den Widerspruch zu nutzen, der über eine konstituierte Freiheit eine Beruhigung auslösen kann. Ist dann die Ironie in ihrer Lebensform ein Im Schein leben? Sich überlegen wähnen? Sich verstellen? Entscheide ich mich für die Ironie oder die Ironie sich für mich? Kann ein Mensch absoluter Ironiker sein? Und kann Ironie vor der Angst vor Bedeutungslosigkeit schützen?

Im Buch Kohelet der Bibel wird mehrdeutig und umständlich beschrieben: Alles ist völlig sinnlos, also trink und iss lieber aber fürchte Gott! Dieser Diskurs zwischen Rechtschaffenheit und genussbezogener Nüchternheit provoziert förmlich die Ironie als Lebenshaltung und ist, was mich interessiert - als Mensch mit protestantisch eingeimpft permanent schlechtem Gewissen, mit großem Hang aber zum Hedonismus. Gerade diesen Zwiespalt - wenn es denn einer wird - möchte ich mithilfe Sören Kierkegaards Betrachtungen zur Ironie untersuchen. Was daran repräsentiert Ironie, was bewegt, unterstützt, nutzt oder tötet Ironie. Eine auf "iss und trink" bezogene Lebensweise ist freilich in erster Linie eine äußerliche, formgebende Lebensform, daher rührt, dass ich mich zudem mit dem ästhetischen Dasein eines Menschen, ebenso im Sinne Kierkegaards, beschäftigen möchte. Ästhetik möchte Stilisierung sein und damit unfreiwillig immer Kunst - (wie) lebt man darin? Währenddessen erdenke ich mir Konstruktionen wie eine "Ästhetik der Ironie" oder, wenn auch weniger interessant, eine "Ironie der Ästhetik", um beide Begriffe anders zusammen zu denken. Kierkegaard soll mir also Brückenschlag sein zwischen dem Hehl der Bibel und meinem Gefühl einer modernen ästhetischen Sinnfreiheit. Wir leben schließlich nicht sinnfrei.

Ich konnte bisher keine der einschlägigen theologischen oder philosophischen Interpretationen des Kohelets für konsequent relevant empfinden, und Kierkegaard hat es leider versäumt, das Buch im Sinne seiner Auffassungen von Ironie und Ästhetik zu behandeln. Ich wähle ihn als Unterstützer meiner Gedanken, da er in allen Forderungen ein pathetisches und leidenschaftliches Entweder - Oder verlangt, welchem ich seit mehreren Schriften seinerseits sowohl mit Getroffenheit als auch Humor, zumindest aber mit großem Widerhall in meinem Leben gegenüberstehe.

„Nicht im Menschen gründet das Glück" (Koh 2,24)[1] steht dort, dies wissen wir alle und wissen es eben nicht. Entgegen der Grundhaltung des restlichen Alten Testaments scheint sich Kohelet gegen eine Degradierung des Diesseits zugunsten des Jenseits[2] zu wehren, den Augenblick und auch die Illusion für höher zu bewerten als das Trachten nach der Erlösung und einem vernünftig, rechtschaffend geführten Leben.

Das permanente Interesse am Wesen der Ironie bewog mich auch einst zur intensiven Beschäftigung mit der Figur des Don Juan als Verfechter der Ironie, doch ich möchte an dieser Stelle noch näher am Wesen und an Konsequenzen des Begriffes festhalten Ich hoffe insgeheim, dass meine Überlegungen mich nicht derart weit über ein Verständnis hinausführen, nach welchem die Ironie für mich nicht mehr zu leben ist.

1.2 Methode

Kierkegaards Betrachtungen zur Ironie beziehe ich aus seiner Dissertation Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (1841), das Verständnis für Ästhetik aus dem Kapitel Das Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen in der Herausbildung der Persönlichkeit des Werkes Entweder - Oder (1843) und den Aphorismen der Diapsalmata, das erste Kapitel des Werkes. Diese Überlegungen sollen an entsprechender Stelle kommentiert sein, da es Aspekte gibt, die es durchaus näher infrage zu stellen gilt.

Es ist mir ein Anliegen, das Buch Kohelet auf ironische Wendungen und Haltungen zu untersuchen. Ich sehe daher davon ab, das Buch im Gesamten zu analysieren oder zu interpretieren, dies soll entsprechenden Theologen Vorbehalten bleiben, da sich eine solche Arbeit eng an die Übersetzung des Hebräischen knüpft, dessen ich nicht mächtig bin. Ich beziehe mich im Wesentlichen auf die Jerusalemer Bibel, da sie stets Kommentare zu anderen Übersetzungsmöglichkeiten und damit verbundene Deutungshinweise bietet. Während der Untersuchung ziehe ich theologische Schriften zurate und strukturiere meine Betrachtungen nach Relevanz, daher mitunter nicht nach Chronologie.

Im Zuge dieses Diskurses möchte ich es nicht versäumen, auf die verbale Ironie einzugehen, da sie nun einmal die Plastischste ist. Ich wähle das Beispiel Theater, weil es keinen Hehl daraus macht, jeden Abend ein beabsichtigtes, provoziertes Konglomerat an Ironie darzustellen - durch den einfachen Grundsatz Wir spielen nur - und daher sprachtheoretisch die höchste Form der Kunst ist.

2 Zum allgemeinen Begriff der Ironie

2.1 Etymologie

Die Verwendung des Wortes geht seit der griechischen Antike einher mit verbaler Ironie und wird also nicht als eigenständige Begrifflichkeit empfunden. Der Wortstamm eironeia bedeutet im Griechischen Verstellung, Vortäuschung[3] und beruht darauf, dass das Gegenteil dessen gesagt wird, was gemeint ist. Es wird hier eine besondere Form der Verstellung verstanden, bei der sich der Mensch als geringerer ausgibt, als er ist, wobei er gleichermaßen eigennützig handelt und durchaus seine Gesprächsteilnehmer verspottet. Ironie markiert im Verhältnis des Ironikers zu seinen Zuhörern ein Gefälle[4]. Weil er sich überlegen wähnt, kann er sich unterlegen zeigen. Doch schon bei Aristoteles oder Platon ist der Begriff nicht abwertend oder ausschließlich negativ belegt[5]. In den platonischen Dialogen ist die Ironie ein entscheidendes Merkmal, obwohl Sokrates selbst das Wort Ironie nie im Zusammenhang mit seiner Methode gebraucht hat, das didaktische Ansinnen seiner Gesprächstechnik rechtfertigt in positiver Weise die Verstellung - obwohl auch hier der Vorwurf erhoben wurde, Sokrates verspotte seine Gesprächsteilnehmer[6]. Die Ironie als "das-Gegenteil-sagen" kommt erst durch Anaximenes auf und wird bei ihm unterschieden zwischen Wortfigur (auf ein einzelnes Wort bezogen) und Gedankenfigur (die [Lebens]Einstellung eines Menschen) unterschieden[7].

Bei der etymologischen Betrachtung ist auffallend, dass Ironie nie unabhängig von dem Menschen betrachtet wird, der sich ihrer bedient. Trotz der rhetorischen Erscheinungsformen in der Antike ist Ironie auch ein ethischer Begriff. Wer ironisch ist, ist es mit Absicht und gewissem Ziel. Damit würde ein mit sich selbst identisches Subjekt vorausgesetzt - eine Ironie wider Willen oder aus Versehen wäre nicht denkbar. Das Auftreten von Ironie ließe somit auch Schlüsse auf den Charakter des betreffenden Redners zu, welcher in moralischer Hinsicht sowohl negativ als auch positiv bewertet werden kann. In Hinblick auf Prozesse einer somit ästhetischeren, da bemühteren und konstruierteren Kommunikation, ist die direkte Anbindung an ein einzelnes Subjekt problematisch.

2.2 Die Ironie als Existenzform

„Ironie ist ein Versuch zur Versprachlichung der Welt in Form einer gleichzeitigen Gegenrede.“[8]

Die Ironie verweist auf die wirkliche Welt und durch die gleichzeitige Gegenrede auf mögliche anderer Welten. Der ironische Mensch setzt sich mit der Wirklichkeit auseinander und distanziert sich von der Wirklichkeitssicht eines anderen. Auf die Frage, warum man Ironie gebraucht, kann es verschieden Antworten geben. Nach Uwe Japp brauchte Sokrates die Ironie, „um erstens das Scheinwissen zu entlarven, um zweitens das richtige Wissen herauszustellen, und um drittens das richtige Wissen vor Mißbrauch zu schützen.“[9]

Ein Mensch kann jedoch nicht ein absoluter Ironiker sein, denn Ironie kann nicht absolut sein, da sie sich auf die für unsereins ernstgenommene Wirklichkeit bezieht[10]. Die Ironie kann einem nicht wesentlich sein, weil Ironie nie Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sei. Dies gilt es jedoch, zu prüfen.

Schlegel vertritt die These:

„Ironie als eigenständige Existenzform einerseits und Übergangsstadium von der ästhetischen zur ethischen Sphäre andererseits, kann darüber hinaus als Inkognito auftreten.“[11]

Gemeint ist damit, dass Ironie beim Übertritt in die ethische Existenzsphäre eine andere Funktion erhält. Der Mensch bedient sich der Ironie, um sich selbst zu schützen, das heißt, er setzt sich die Maske des Ironikers auf, um zu verbergen, dass er eigentlich ein ethisch denkender Mensch ist. Indem der Ethiker sich als Ironiker ausgibt, bedient er sich der Ironie als Inkognito. Ironie wäre demnach nur auf Zeit möglich. Auch dies gilt es näher zu betrachten.

Die Ironie ist also eine Art Ausweg, die eine gewisse Freiheit bedingt, und die einem eine bedachte Entfremdung ermöglicht, dort, wo man sich von der Fremde bedrängt fühlt[12] und den Überblick verliert.

3 Zum Verständnis der Ironie bei Sören Kierkegaard

3.1 Werkbestimmender Entstehungshintergrund

Kierkegaards Dissertation zum Ironiebegriff ist eine Auseinandersetzung mit der romantischen Ironie vor dem Hintergrund der Hegelschen Kritik - zumindest ziehen sich zahlreiche Verweise durch das Werk und auch der Hegelwerksunkundige ist in der Lage, dessen Verständnis durch die Kritik Kierkegaards zu erfahren. Da er dennoch auch eine nicht zu verachtende eigenständige Position einnimmt, als ausschließlich seine Erkenntnisse mit denen Hegels zu vergleichen, soll im Weiteren der kritische Diskurs vor den vergleichslosen und somit selbstreflektierenden Überlegungen weichen. Zudem ist sein freiwillig gesetzter ständiger Bezug auf Sokrates werkeinnehmend und selbst Betrachtungen zu Fichtes, Schlegels oder Solgers Ironiebegriff nehmen noch weit mehr Raum ein, als seine eigene Haltung. Dies, so die Herausgeberin Rose Hirsch[13], sei unter anderem den

Entstehungsumständen zu schulden[14]. In größter Eile schrieb er, woran ihm eigentlich am meisten gelegen war, daher fällt dieser Teil für Kierkegaardsche Verhältnisse erstaunlich schmal und emotionsgedrungen aus. Weiter führte er dieses Thema noch vereinzelt in Entweder - Oder aus.

Auch gedanklich ist eine Schreibpause ablesbar. Die Auseinandersetzung mit Hegel bricht etwa mit Beginn des zweiten Kapitels des ersten Teils überraschend in Kierkegaards eigene Gedanken ein. Hegels Verständnis von sokratischer Ironie ist in den ersten Kapiteln noch maßgeblich und dominierend, später ziert er höchstens Randbemerkungen und Fußnoten[15]. Auch stilistisch entwickelten sich aus umständlichen, trockenen und schwerfälligen Hauptsätzen ausdrucksstarke, sprachwitzige und literarische Konstruktionen, wie man es vom dann geistig heranwachsenden Kierkegaard nicht anders gewohnt war.

3.2 Die Position

3.2.1 Die Ironie als Erscheinung einer konstituierten Freiheit des Menschen

„Die Erscheinung ist nicht das Wesen, sondern das Gegenteil des Wesens. Wenn ich rede, ist der Gedanke, der gemeinte Sinn das Wesen, und das Wort die Erscheinung. Sehe ich auf das sprechende Subjekt, so habe ich abermals eine durch alle Ironie hindurchgehende Bestimmung, das Subjekt ist nämlich negativ frei. Wo dagegen die Aussage nicht meiner Meinung entspricht, oder das Gegenteil meiner Meinung entspricht, bin ich frei in Beziehung auf andere und auf mich selbst.“[16]

Diese Freiheit fordert ein Sich-Lossagen-Können von jedweder Konvention und ist deshalb Freiheit, weil durch sie eine völlige Bezugslosigkeit entstehen kann. Die Ironie wird so zunächst gebraucht für ein Etwas, dass es zu umgehen gilt - entweder, indem man sich mit ihm gleichsetzt, oder aber indem man sich ihm in ein Verhältnis der Entgegensetzung bringt, jedenfalls aber so, dass die Erscheinung der Gegensatz zudem ist, woran man festhält - und dass man dieses Missverhältnis genießen kann. Ansonsten wäre man einfach nur traurig. Die Menschen brauchen, wenn schon nicht Wahrheit, so doch eine Überzeugung; wo es keine Empfindung für eine Überzeugung gibt, so muss man wenigstens über sie reden oder sie 'erscheinen lassen'.

„Im Verhältnis zum törichten, aufgeblasenen, Wissen, ist es ironisch richtig, mitzugehn, hingerissen zu sein von all dieser Weisheit, sie mit jubelndem Beifall zu reizen, daß sie sich immer noch höher erhebe in hoch höhere Narrheit, obwohl der Ironiker sich bei all dem bewußt ist, daß das Ganze leer und inhaltslos ist.“[17]

Einer faden und unangebrachten Begeisterung gegenüber ist es ironisch richtig, sie noch zu überbieten in sich stets noch steigerndem Beifall, obwohl der Ironiker sich bewusst ist, diese Begeisterung sei die größte Albernheit der Welt. Je mehr das Täuschen gelingt, umso größer die Freude. Eine Freude in völliger Einsamkeit, wie Kierkegaard behauptet.

In jedem Falle erweist sich laut Kierkegaard die Ironie als diejenige, die die Welt versteht, und die „die umgebende Welt zu mystifizieren versucht“[18], nicht so sehr um sich zu verstecken sondern vielmehr um auch andere dahin zu bringen, sich zu offenbaren. Auch das darin zum Vorschein Kommende ist die subjektive Freiheit, welche in jedem Augenblick die Möglichkeit eines neuen Anfangs in sich birgt[19]. Die Wirklichkeit verliert für einen kurzen Moment ihre Gültigkeit, man steht ihr frei gegenüber. Doch auch, wenn sich alles für einen kurzen Moment dem Maßstab der Wirklichkeit entzieht, so liegt in der Ironie dennoch viel Wahrheit.

Man versteht ja die Ironie eben gern als Äußerung eines Augenblicks, sodass man von ihr noch nicht als Standpunkt oder Lebensweise reden könnte.

„Ironie bezeichnet zugleich den subjektiven Genuß, sofern das Subjekt in der Ironie sich von der Gebundenheit losmacht, in der es von der fortlaufenden Kette der Lebensverhältnisse gehalten wird, daher kann man vom Ironiker sagen, er sei ausgelassen (losgelassen) und in gewissem Maße gewollt verstellt".[20]

Eine Verstellung hat ja schließlich auch eine Absicht, Kierkegaard möchte dies der Ironie jedoch nicht unterstellen: ihr Zweck sei lediglich innerlich und im besten Falle ein metaphysischer Zweck. Das hieße also, wenn ein ironischer Mensch sich als ein anderer zeigt, als er wirklich ist, so könnte es so wirken, als sei es seine Absicht, andere diese Verstellung glauben zu machen; seine eigentliche Absicht ist es aber, sich frei zu fühlen, kraft der Ironie. So hat sie also keinen anderen Zweck, sondern ist Selbstzweck. Wobei dabei freilich fraglich ist, worin der tatsächliche Unterschied zwischen Zweck und Selbstzweck bestünde, und ob nicht der Selbstzweck ebensolche Unfreiheit entstehen ließe wie der Zweck der Verstellung. Aber ich möchte an dieser Stelle nicht Kierkegaards Philosophie der Freiheit untergraben.

3.2.2 Ironie in der Abgrenzung zur Heuchelei und zum Zweifel

Des Weiteren führt er an, Ironie verwechsele man leider gern mit der Heuchelei. Diese wiederum verbindet sich jedoch mit den Vorstellungen von Moral, wohingegen doch die Ironie metaphysisch sei und die moralischen Bestimmungen viel zu konkret für das Ironische seien.

Die verinnerlichte Ironie bedeutet ihm die Betrachtung des Eitlen am Dasein. Dahingehend vergleicht er sie mit Auswüchsen wie dem Spott oder der Persiflage und fasst zusammen:

„Indem die Ironie ihre Wahrnehmung zur Darstellung bringen will, weicht sie ab, sofern sie das Eitle nicht vernichtet, sich dazu nicht strafend verhält, nicht etwas Versöhnliches hat wie das Komische, sondern das Eitle in seiner Eitelkeit bestärkt. Dies könnte man nennen den Versuch der Ironie, die auseinander getretenen Momente zu vermitteln, nicht in höherer Einheit, sondern höherer Narrheit."[21]

Wo Humor oder Spott eine Eitelkeit aufzeigen und sie karikieren oder beschämen wollen, setzt sich die Ironie drauf und nutzt die Gegebenheit, wie sie ist.

Wo sich also Ironie gegen das ganze Dasein kehrt, hält sie fest an dem Gegensatz zwischen Wesen und Erscheinung, zwischen dem Inneren und dem Äußeren. In diesem Sinne dem Begriff vom Zweifel naheliegend, empfindet Kierkegaard jenen als begriffsbestimmt, die Ironie hingegen als ein "Fürsichsein der Subjektivität"[22] und verweist wiederum auf die Tatsache, ihr ginge es nicht um die Sache, sondern um sich selbst. Im Zweifel wolle sich der Mensch schließlich mit einem konkreten Gegenstand beschäftigen und suhlt sich im Unglück, dass dieser immerfort vor ihm flieht. In der Ironie hingegen will der Mensch aus einem solchen Gegenstand heraus, was er dadurch erreicht, dass er sich in jedem Augenblick bewusst macht, dass der Gegenstand keine Realität hat.[23] ·[24]

„Im Zweifel ist das Subjekt Zeuge eines Eroberungskrieges, in welchem jede Erscheinung vernichtet wird, weil das Wesen stets dahinter liegen müsse. In der Ironie ist das Subjekt auf einen dauernden Rückzug , bestreitet jeder Erscheinung die Wirklichkeit, um sich selber zu retten, also um sich selber zu bewahren in der negativen Unabhängigkeit von allem".[25]

Jede Beziehung zur Welt verlöre also ihre Gültigkeit und alles würde vereitelt, sofern durch diese Verneinung alles, was stört und aufhält, beiseite geschafft wird und das, was ewig besteht, sichtbar wird - was auch immer einem das ist. In der Ironie also, in welcher alles als Eitelkeit erscheint, wird die Subjektivität frei, obwohl man sich gleichzeitig von ihr zu lösen versucht. Je mehr alles eitel wird, umso leichter und inhaltsleerer wird die Wahrnehmung eines Menschen. Man wird dadurch aber nicht eitel, sondern rettet seine eigene Eitelkeit heraus. Das hieße, für die Ironie wird also nicht alles zum Nichts, sondern zum Schönen Nichts.

Die Ironie versucht nicht mehr, als die vom Betroffenen ersehnte Wirklichkeit zu verwirklichen, die aber von ihr nicht bemäkelt, sondern liebgewonnnen werden möchte. Das Sehnen soll eine gesunde Liebe sein, nicht "ein verzärteltes, weichliches, sich aus der Welt Davonschleichen".[26]

3.2.3 Das Wesen des Ironikers

„Die Ironie im strengeren Sinne richtet sich nicht gegen das eine oder andere einzelne Dasein, sie richtet sich gegen die ganze zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene Wirklichkeit. Nicht diese oder jene Einzelerscheinung, sondern das Ganze des Daseins wird unter dem Mantel der Ironie betrachtet. Insofern hätte Hegel Recht, wenn er die Ironie als "unendliche absolute Negativität" bezeichnet.“[27]

Kierkegaard fasst Ironie als Zustand es Ausgeliefertseins zusammen. Indem der Ironiker sich eine Umwelt erdichtet, verliert sein Leben jede Kontinuität. Sein Leben besteht aus lauter Stimmungen, die sich gegenseitig ablösen. „Da er merkt, dass er Launen unterworfen ist, und somit unfrei, dichtet er, daß er selbst es sei, der die Stimmung hervorruft."[28]

Sein Leben bewegt sich somit in Gegensätzen, in "inhaltsloser Ewigkeit, genußloser Seligkeit und hungriger Übersättigtheit".[29] Dem Ironiker ist die Wirklichkeit also ganz und gar verloren gegangen, sie ist ihm eine unvollkommene Form geworden, er weiß, dass das Gegenwärtige nicht (s)einer Idee entspricht. Die Ironie wäre somit die unscheinbarste und abstrakteste Bestimmung der Subjektivität.

"Ironie ist eine Existenzbestimmung und nichts ist somit lächerlicher, als wenn man glaubt, es sei eine Redeform, oder als wenn ein Verfasser sich deswegen glücklich preist, dass er sich dann und wann ironisch ausdrücken kann. Wer wesentlich ironisch ist, ist es den ganzen Tag lang und ist an keine Form gebunden, weil Ironie die Unendlichkeit in ihm bedeutet."[30]

Kierkegaard wendet sich also explizit gegen die Ironie als hübsche Sprachspielerei, sondern betrachtet sie als formgebende Lebensart. Da es in der Welt des Ironikers keine festen Regeln gibt, ist alles möglich - und wieder komme ich auf die Figur des Don Juan zurück!

Auch er ist ein gänzlich von innen motivierter Mensch, für den die Gesetze der vereinbarten Welt nicht gelten müssen. Diese seine Welt jedoch besteht nur für den Moment und ist nicht von Dauer, was impliziert, dass er immer auf der Suche nach neuen Wertumstellungen sein muss. Seine Mittel beruhen dabei ausschließlich auf Kommunikation, die darin besteht, sich Signifikante auszuleihen, und zwar derart, dass sich auch der Gesprächspartner in diesen Illusionen wieder erkennt - und sich ihnen hingeben kann.[31]

Derartige Formulierungen sind nicht einmal Wortspiel oder rhetorische Versiertheit, man kann lediglich von einem geschickten Umgang mit dem wackligen Gerüst allgemein anerkannter Wertekonstruktionen sprechen. Ist einmal verinnerlicht, dass Wahrheit und Lüge, Tugend und Sünde nur Hilfslinien in einem mit Worten gebastelten Aktionsraum sind, so lassen sich eben diese Hilfslinien mit nur wenig Übung gekonnt verschieben. Je abstrakter solche 'Werte' sind, desto besser lassen sie sich vergewaltigen. Sobald es an Bezug mangelt, lassen sie sich umso leichtfertiger penetrieren.

Letztlich geht es also um eine permanente Umwertung aller halbwegs fundierter Werte im Sinne einer hohen moralischen Flexibilität. Daher wäre es falsch zu behaupten, der Ironiker tue so, als sei es stets eine selbst hervorgerufene Laune. Er weiß lediglich, sie adäquat zu transformieren und zu nutzen.

4 Der Begriff der Ästhetik bei Kierkegaard

4.1 Der Charakter des Werkes Entweder-Oder hinsichtlich des Begriffs der Ästhetik

Eigentlich sollte das Werk Im Augenblick - für die Ewigkeit heißen. Entweder Gott oder Hanswurst![32] Es sollte ursprünglich allein die Darstellung der ethischen Lebensanschauung enthalten[33]. Der ästhetische Teil ist ein Zuwachs. Der Titel legt dem Leser zugleich die Art und Weise des Lesens nahe: prüfe dich selbst, entscheide dich. Es geht ihm um eine Herausarbeitung des Verhältnisses Ethik-Ästhetik, indem der Ethiker dem Ästhetiker Briefe schreibt. Lediglich dessen Texte wirken kompakt und kontinuierlich, er ist es, der sich zum Ästheten verhält, nicht aber umgekehrt. Es gibt keine Wechselbeziehung. Die von Kierkegaard gewählte Briefform soll sicher die Intimität dieses Verhältnisses unterstreichen. Ich, der Gerichtsrat B, schreibe einem jungen Mann, den ich "meinen Freund" A nenne. Das Du, der Ästhetiker, entspringt also allein in der Beziehung des Gerichtsrats auf den jungen Mann, dieser ergreift nicht selbst das Wort.

Das ethische Stadium ist nicht nur das des Namens (Wilhelm), sondern auch das des Titels (Gerichtsrat), also das Stadium von Rang und Stellung, des verwirklichten und wirkenden Lebens, des gesättigten Existierens. Die ästhetische Existenz ist das ganze Gegenteil, was bereits in den Diapsalmata[34] belegt wird - denn hier sind die Argumente nicht auf bestimmtem Material begründet (Opern, Theaterstücke), sondern durch sich selbst. Der Ästhetiker ist die von Grund auf ungesättigte Existenz, die sich an allem Möglichen zu sättigen sucht. Der ästhetische Teil sei „eine Existenz­Möglichkeit, die keine Existenz gewinnen kann, eine Schwermut, die ethisch aufgearbeitet werden soll.“[35] Existenz in diesem Sinne meint daher "Verhältnis", ein Sich-Verhalten-zu.

Alle Argumente, die der Ethiker gegen ihn vorbringt, sind Erfahrungen. Und während der Ethiker aktiv an der Ausarbeitung seiner Persönlichkeit arbeitet, "arbeitet es" im Ästhetiker: er ist eine "aleatorische Existenz"[36], sie wählt sich nicht selbst und besitzt sich auch nicht - sie bekommt nur: Zu-fällig fällt ihr alles zu. So scheint auch das Innenleben des Ästhetikers von außen zu kommen. Es kommt auf ihn zu als "intime Vertraute"[37], so auch die Schwermut, die ihn überkommt und überwältigt als fremde Macht im Inneren, der der Ästhetiker nicht Herr zu werden vermag, der er sich vielmehr überlässt, sich - wie zum Genuss - unkontrolliert hingibt und von der er sich beherrschen und ausfüllen lässt.

4.2 Die Position

4.2.1 Zur Begriffsbestimmung der Ästhetik in Abgrenzung zu den Stadien des Ethischen und des Religiösen

Da ich nicht im geistigen Besitz des Gesamtwerkes Kierkegaards bin, beziehe ich mich wiederum auf den Herausgeber, im Falle des Entweder - Oder ist es Emanuel Hirsch, der im Vorwort ankündigt, dass der Begriff des Ästhetischen allen Exegeten gewisse Verlegenheiten bereitet hat, da Kierkegaard selbst ihn zwar des Öfteren definiert und ausschweifend reizend beschreibt, dennoch aber vielschichtig und mehrdeutig bleibt.

„Das ästhetische Stadium hat bei ihm den Doppelsinn einerseits, der noch nicht in Reue und Glaube wahrhaft bei sich selbst und vor Gott stehenden Innerlichkeit, andererseits der Existenz als Dichter oder doch

[...]


[1] Wie üblich beschreibt die erste Ziffer das Kapitel, die zweite die Phrase. Zunächst soll der bloße Verweis auf diejeweiligen Stellen genügen.

[2] Vgl. den im Alten Testament vielfältig beschriebene Tun-Ergehen-Zusammenhang: Gott urteilt anhand von Glaube und Tat.

[3] Vgl. Lotter, 1992, 112

[4] Vgl. Lotter, 1992, 112

[5] Vgl. Lotter, 1992, 112

[6] Vgl. Japp, 1983, 82

[7] Japp, 1983, 21

[8] Japp, 1999, 18

[9] Japp, 1999, 47

[10] Japp, 1999, 17

[11] Schlegel, 1967, 370

[12] Ich komme auf diese Formulierung über einen Bericht Dietrich Bonhoeffers, in welchem er schildert, wie er sich in Gefangenschaft im Konzentrationslager suggeriert hat, er sei in seinem Kinderzimmer, dazu täglich mehrere Stunden sang und trotz klarem Bewusstsein über seine traurige Situation verinnerlicht habe, er sei bei seinen Eltern zu Hause. Dies schildert zwar nicht das Wesen der Ironie, kann aber meines Erachtens beschreiben, wohin das Muster der Ironie im Sinne ihrer Verfremdung der Realität führen kann.

[13] Vgl. Hirsch, 1961, IX

[14] Zweieinhalb Jahre arbeitete er wohl an seinem Werk, 1839-1841, und das die ersten 18 Monate mit innigster Leidenschaft, alles andere ließ er dafür liegen. Dann folgte die traurige Trennung von seiner Verlobten Regine Olsen und der Tod seines Professors P.M. Mœller. Für elf Monate beinahe schreibunfähig, jedoch mit unverrückbarem Abgabetermin der Promotionsschrift, legte er daher das Hauptaugenmerk auf die Analyse des Ironiebegriffs anderer Philosophen, statt auf seinen eigenen, wie es ursprünglich geplant war (Vgl. Hirsch, 1961, X-XII). Gerade aufgrund der eigenartigen Trennung und der damit verbundenen schwermütigen Phase scheint es mehr als nachvollziehbar, dass Kierkegaard sich von der Freiheit des Ironikers als Lebenshaltung einen Ausweg ausjedweder sozialen Determinierung erhoffte.

[15] Er las die Schriften Hegels unmittelbar zuvor. (Vgl. Hirsch, 1961,X)

[16] Kierkegaard, 1961, 251

[17] Kierkegaard, 1961, 253

[18] Rehm, Walter, 2003, 350

[19] Vgl. Kierkegaard, 1961, 253

[20] Kierkegaard, 1961, 260

[21] Kierkegaard, 1961,261

[22] Kierkegaard, 1961,211

[23] Vgl. Kierkegaard, 1961, 263

[24] Ein Beispiel wäre es, beide Positionen nach einem Glauben suchen zu lassen. Der zweifelnde Mensch sucht, fragt und beschäftigt sich mit den Dingen, die ihn zweifeln lassen. Dem ironischen Menschen ist bewusst, dass der aufkeimende Zweifel in seinem Ursprung nicht in seinem Wirkungskreis lag, in welchem er sich dafür oder dagegen hätte entscheiden können - und ist beruhigt.

[25] Kierkegaard, 1961, 262

[26] Kierkegaard, 1961,332

[27] Kierkegaard, 1961,221

[28] Kierkegaard, 1961,333

[29] Kierkegaard, 1961,330

[30] Kierkegaard, 1922, 102

[31] Donna Elvira befragt Don Juan nach dem Grund der Trennung, dieser verweist aus sein moralisches Empfinden. Diese nämlich brächte ihn angeblich dazu, jenes von ihm nun beendete Zusammenleben als Sünde zu entlarven, zumal er sie vom Kloster entrissen und sie dazu gebracht hat, ihr Gelübde zu brechen. An dieser Stelle lässt sich nur allzu leicht feststellen, dass „mit dem Himmel nicht zu scherzen“ sei und er nun spontan von Reue ergriffen ist - und verhöhnt einen Himmel, an den er keineswegs glaubt. Hier aber lässt er sich hervorragend für eine fundierte Verteidigung missbrauchen: „Wollt Ihr Euch diesem reinen Motiv widersetzen? Soll ich, indem ich Anspruch aufEuch erhebe, den Zorn des Himmels auf mich laden?“ Vgl. auch die Schlüsse des Don Giovanni: formal der Konvention des Lieto Fine entsprechend, de facto: Weltuntergangsszenarien im Sinne der „Ironie des Schicksals“ in Reinkultur!

[32] Dies schreibt er in einem Brief an Regine Olsen, so der Herausgeber Emanuel Hirsch, 1922, 398.

[33] Vgl. Hirsch, 1922, X

[34] Erstes Kapitel des Werkes Entweder - Oder

[35] Kierkegaard. 1922, Bd. II, 140

[36] Kierkegaard, 1922, Bd. II, 146

[37] Kierkegaard, 1922, Bd. II, 146

Fin de l'extrait de 56 pages

Résumé des informations

Titre
Die Ironie des Dahinlebens
Sous-titre
Zur Ästhetik der Ironie nach dem Buch Kohelet und der Philosophie Sören Kierkegaards
Université
University of Music and Theatre "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig  (Dramaturgie)
Note
1,0
Auteur
Année
2009
Pages
56
N° de catalogue
V141513
ISBN (ebook)
9783640503698
ISBN (Livre)
9783640503841
Taille d'un fichier
755 KB
Langue
allemand
Mots clés
Ironie Ästhetik Kierkegaard Salomo Kohelet
Citation du texte
Friederike Bernhardt (Auteur), 2009, Die Ironie des Dahinlebens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141513

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