Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat in Deutschland eine große praktische Bedeutung und ist hier die am weitesten verbreitete Unternehmens-Rechtsform.Diese große Attraktivität beruht wesentlich auf der größeren Gestaltungsfreiheit des Gesellschaftsvertrages durch die Gesellschafter als in einer Aktiengesellschaft.
Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann als juristische Person nur durch ihre Organe handeln. Das GmbH-Gesetz sieht für die GmbH grundsätzlich zwei Organe vor, nämlich die Gesellschafterversammlung und den Geschäftsführer.Letzterer wird durch die Gesellschafter bestellt. Dies geschieht entweder durch den Gesellschaftsvertrag (§ 6 Abs. 3 S. 3 GmbHG) oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Der Geschäftsführer unterliegt dem Verhaltensmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG und haftet bei einer Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft. Aber auch eine persönliche Haftung gegenüber Dritten ist möglich, z.B. nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 GmbHG.
Es kann aber auch vorkommen, dass der Bestellvorgang nichtig ist, weil zum Beispiel bei der bestellten Person Eignungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 GmbHG fehlen, er die Geschäfte aber gleichwohl führt. Ebenso ist es denkbar, dass ein Gesellschafter oder Dritter, ohne jemals bestellt worden zu sein, die Geschäftsführung tatsächlich innehat. Der Grund für die Nichtbestellung kann vielfältig sein. Zu denken wäre hier zum Beispiel an jemanden bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, so dass formal eine andere Person zum Geschäftsführer bestellt wird, welcher Weisungen des Hintermanns ausgesetzt ist. Die beiden genannten Fälle, insbesondere die Umgehungskonstruktionen, sind in der Unternehmenspraxis weit verbreitet. Zu beachten ist hier aber auch, dass der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern weisungsgebunden ist. Die Gesellschafter können somit weitgehenden Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen. Sie unterliegen dagegen aber keinem dem § 43 Abs. 1, 2 GmbHG ähnlichen Verhaltens- und Haftungsmaßstab. Die Handlungsfreiheit der Gesellschafter und die Verantwortlichkeit fallen somit grundsätzlich auseinander.
Aufgrund dieser Aspekte ist zu untersuchen unter welchen genauen Voraussetzungen ein Gesellschafter oder Dritter als faktischer bzw. tatsächlicher Geschäftsführer anzusehen ist. Und des Weiteren ist zu fragen, welche Konsequenzen sich aus der Annahme eines faktischen Geschäftsführers ergeben.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung
I. Erfordernis eines Bestellungsaktes
1. Ansicht der Rechtsprechung
2. Andere Ansichten in der Literatur
a) 1. Ansicht: Differenzierung bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
b) 2. Ansicht: Bestellvorgang erforderlich
II. Einflussnahme auf die Geschäftsführung
1. Ansicht der Rechtsprechung
a) Entwicklung in der höchstrichterlichen Judikatur
b) Neuste Rechtsprechung
2. Andere Ansichten in der Literatur
a) 1. Ansicht: Erfüllung einer Anzahl von Kernaufgaben der Geschäftsführung
b) 2. Ansicht: Erfordernis einer überragenden Stellung oder eines Übergewichts im strafrechtlichen Bereich
c) 3. Ansicht: Nur bedingtes Erfordernis eines Außenauftritts
aa) (Vollständiger) Verzicht auf eine Außenhandlung
bb) Verzicht auf einen Auftritt im Außenverhältnis in bestimmten
Situationen
III. Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter
1. Erfordernis der Billigung
2. Umfang des Einverständnisses
IV. Konstellationen der faktischen Geschäftsführung
V. Stellungnahme
C. Haftung des faktischen Geschäftsführers
I. Überblick über die Haftung eines ordentlichen Geschäftsführers
II. Ansicht der Rechtsprechung
III. Andere Ansichten in der Literatur
1. Ansicht: Haftung des faktischen Geschäftsführers als Normanwendungsproblem
2. Ansicht: Differenzierung im strafrechtlichen Bereich
3. Ansicht: Haftung des faktischen Geschäftsführers nach allgemeinen Normen
IV. Stellungnahme
D. Zusammenfassung und abschließende Würdigung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat in Deutschland eine große praktische Bedeutung und ist hier die am weitesten verbreitete Unternehmens-Rechtsform. Dies kann man zum einen daran sehen, dass die Anzahl der GmbHs auf über 900 000 geschätzt wird.[1] Zum anderen lässt sich die immense Bedeutung auch an den Gewerbeanmeldungen erkennen. Im Jahre 2005 wurden insgesamt ungefähr 81 000 GmbHs angemeldet.[2] Fast jede zweite Anmeldung einer Gesellschaft war damit eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.[3] Diese große Attraktivität beruht wesentlich auf der größeren Gestaltungsfreiheit des Gesellschaftsvertrages durch die Gesellschafter als in einer Aktiengesellschaft.[4]
Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann als juristische Person nur durch ihre Organe handeln.[5] Das GmbH-Gesetz sieht für die GmbH grundsätzlich zwei Organe vor, nämlich die Gesellschafterversammlung und den Geschäftsführer.[6] Letzterer vertritt nach § 35 Abs. 1 GmbHG die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Der Geschäftsführer wird durch die Gesellschafter bestellt. Dies geschieht entweder durch den Gesellschaftsvertrag (§ 6 Abs. 3 S. 3 GmbHG) oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG).[7] Gleichzeitig wird ein Anstellungsvertrag zwischen dem bestellten Geschäftsführer und der Gesellschaft, vertreten durch die Gesellschafter, geschlossen.[8] Des Weiteren wird die Bestellung in das Handelsregister eingetragen (§§ 8, 39 GmbHG). Der Geschäftsführer unterliegt dem Verhaltensmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG und haftet bei einer Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft. Aber auch eine persönliche Haftung gegenüber Dritten ist möglich, z.B. nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 GmbHG.[9]
Es kann aber auch vorkommen, dass der Bestellvorgang nichtig ist, weil zum Beispiel bei der bestellten Person Eignungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 GmbHG fehlen, er die Geschäfte aber gleichwohl führt. Ebenso ist es denkbar, dass ein Gesellschafter oder Dritter, ohne jemals bestellt worden zu sein, die Geschäftsführung tatsächlich innehat. Der Grund für die Nichtbestellung kann vielfältig sein. Zu denken wäre hier zum Beispiel an jemanden bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, so dass formal eine andere Person zum Geschäftsführer bestellt wird, welcher Weisungen des Hintermanns ausgesetzt ist.[10] Die beiden genannten Fälle, insbesondere die Umgehungskonstruktionen, sind in der Unternehmenspraxis weit verbreitet.[11] Zu beachten ist hier aber auch, dass der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern weisungsgebunden ist.[12] Die Gesellschafter können somit weitgehenden Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen.[13] Sie unterliegen dagegen aber keinem dem § 43 Abs. 1, 2 GmbHG ähnlichen Verhaltens- und Haftungsmaßstab.[14] Die Handlungsfreiheit der Gesellschafter und die Verantwortlichkeit fallen somit grundsätzlich auseinander.[15]
Aufgrund dieser Aspekte ist zu untersuchen unter welchen genauen Voraussetzungen ein Gesellschafter oder Dritter als faktischer bzw. tatsächlicher Geschäftsführer anzusehen ist. Und des Weiteren ist zu fragen, welche Konsequenzen sich aus der Annahme eines faktischen Geschäftsführers ergeben.
B. Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung
Obwohl sich Rechtsprechung und Literatur bereits eingehend mit der Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers befasst haben, existiert keine allgemein anerkannte Begriffsdefinition.[16] Daher sollen im Folgenden die einzelnen Ansichten, aufgeschlüsselt in drei übergeordnete Kriterien, dargestellt werden.
I. Erfordernis eines Bestellungsaktes
Zunächst ist zu untersuchen, ob ein Bestellakt in irgendeiner Form zur Annahme einer faktischen Geschäftsführung erforderlich ist.
1. Ansicht der Rechtsprechung
In der Rechtsprechung ist ein Bestellungsakt, auch wenn dieser nichtig ist, nicht erforderlich.[17] Ebenso wenig ist im Falle einer unwirksamen Bestellung die Kenntnis des Handelnden oder der Gesellschaft über die Unwirksamkeit entscheidend.[18] Die Ansicht der Rechtsprechung findet auch im Schrifttum viele Anhänger.[19] Es werden somit zum einen diejenigen erfasst, bei denen die Bestellung aus zivilrechtlichen Gründen nichtig ist. Aber auch die Personen, die überhaupt nicht bestellt wurden, aber die Position eines Geschäftsführers tatsächlich wahrnehmen, werden nach der Rechtsprechung als faktische Geschäftsführer angesehen.
Dieser Auffassung nach könne es nämlich nicht darauf ankommen, ob jemand auf den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer Einfluss ausübe oder in eigener Person die Geschäftsführung vornehme.[20] Beide Konstellationen seien auch vergleichbar, da der Gesellschafter oder Dritte jeweils nicht rechtsgültig Organträger geworden ist.[21] Des Weiteren könne man den tatsächlichen Gegebenheiten, unter Berücksichtigung des Gläubigerschutzes, nur gerecht werden, wenn man einen Bestellvorgang nicht für erforderlich hält.[22]
2. Andere Ansichten in der Literatur
a) 1. Ansicht: Differenzierung bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
Eine Ansicht in der Literatur folgt, soweit es um die zivilrechtliche Verantwortlichkeit geht, der Auffassung der Rechtsprechung, differenziert aber bezüglich der Strafrechtlichen. Danach soll eine nur tatsächliche Geschäftsführung ohne einen zumindest unwirksamen Bestellungsakt im Strafrecht nicht genügen.[23]
Das im Strafrecht geltende Analogieverbot und der Bestimmtheitsgrundsatz würden nämlich einer solchen Ausdehnung über den Wortlaut des Straftatbestandes entgegen stehen.[24] Geißler hält eine Gleichbehandlung im Zivil- und Strafrecht auch nicht für sachgerecht.[25] Denn während das Zivilrecht vor allem dem Interessenausgleich diene, versuche das Strafrecht die Rechtsordnung zu verteidigen und den strafrechtlichen Strafanspruch durchzusetzen.[26]
b) 2. Ansicht: Bestellvorgang erforderlich
Des Weiteren existiert in der Literatur die Ansicht, dass nur derjenige einen faktischen Geschäftsführer darstelle, der aufgrund eines unwirksamen Bestellvorgangs die Geschäftsführung tatsächlich ausübe.[27] Es kommt somit auf eine formale Betrachtungsweise an.
Wenn ein Bestellakt vorliegt, würde der fehlerhaft Bestellte sowie die Gesellschaft grundsätzlich von einer Bindung des Geschäftsführers an die entsprechenden Rechte und Pflichten ausgehen.[28] Dieser Auffassung nach soll sich nur so die Sachlage weder objektiv noch subjektiv von der eines ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers unterscheiden und somit sachgerecht sein.[29]
II. Einflussnahme auf die Geschäftsführung
Ferner ist zu fragen, wie die Einflussnahme auf die Geschäftsführung ausgestaltet sein muss.
1. Ansicht der Rechtsprechung
a) Entwicklung in der höchstrichterlichen Judikatur
Die Auffassung der Rechtsprechung unterlag im Laufe der Zeit einigen Schwankungen, daher soll im folgenden kurz die Entwicklung aufgezeigt werden.
Ursprünglich hatte der BGH einen bestimmenden Einfluss auf sämtliche Geschäftsvorgänge verlangt.[30] Maßgeblich war dabei sowohl die Stellung innerhalb der Gesellschaft als auch das Auftreten im Außenverhältnis.[31] In dem entschiedenen Fall hatte der Angeklagte die tatsächliche Geschäftsführung inne, von einer Bestellung wurde bewusst abgesehen. Alle Dispositionen gingen von ihm aus und er hatte einen bestimmenden Einfluss auf sämtliche Geschäftsvorgänge. Durch eine vom formal bestellten Geschäftsführer erteilte Generalvollmacht trat der Angeklagte auch nach außen auf und führte dabei etwa selbst Kreditverhandlungen für die Gesellschaft.
In einer der folgenden Entscheidungen wurde dann sogar eine überragende Stellung des faktischen Geschäftsführers gegenüber anderen Geschäftsführern gefordert.[32] Der faktische Geschäftsführer müsste eine übergeordnete Stellung im Vergleich zu den anderen Entscheidungsträgern haben und alle wichtigen Entscheidungen müssten von ihm getroffen werden.[33] Dabei sollte es nicht auf die förmlich übertragenen Rechte ankommen, sondern viel mehr auf die tatsächliche Verfügungsmacht.[34] Im zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte der Ehemann der bestellten Geschäftsführerin, welche nur als „Strohmann“ diente. Von einer Bestellung des Angeklagten wurde aufgrund einer früheren Insolvenz abgesehen. Der Angeklagte hatte maßgeblich die Geschäftseröffnung betrieben, Angestellte eingestellt und entlassen, sowie Arbeitszeugnisse ausgestellt. Darüber hinaus knüpfte er eigenständige Geschäftsverbindungen und führte die wesentlichen Gespräche über Zahlungsmodalitäten. Die bestellte Geschäftsführerin nahm dagegen nur untergeordnete Funktionen wahr. Hierin wurde eine überragende Stellung gesehen.
Diese strenge Rechtsprechung wurde dann, keine zwei Jahre später, vom BGH selbst wieder relativiert. Ein Übergewicht des faktischen gegenüber dem eingetragenen Geschäftsführer sollte danach schon ausreichen.[35] In dem entschiedenen Fall erledigte der Angeklagte die laufende Buchführung, stellte Buchhaltungshilfskräfte ein und erteilte dem Steuerberater Auskünfte. Gewichtige Aufgaben wurden auch weiterhin von dem eingetragenen Geschäftsführer selbst wahrgenommen.
In einer weiteren Entscheidung wurden schließlich die Anforderungen an eine faktische Geschäftsführung weiter gesenkt. Nach dieser Entscheidung würde es schon genügen, wenn die entsprechende Person durch eigenes, auch nach außen hervortretendes Handeln die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in der Hand hat.[36] Hierbei müsse es sich aber um Aufgaben handeln, welche typischerweise eine Geschäftsführung kennzeichnen und dieser zurechenbar sind.[37] Eine Verdrängung des ordnungsgemäßen Geschäftsführers sei nicht erforderlich.[38] Entscheidend sei viel mehr, wer von den Geschäftsführern die maßgeblichen und entscheidenden Maßnahmen trifft und nicht die Anzahl der übernommenen Aufgaben.[39]
b) Neuste Rechtsprechung
Der Bundesgerichtshof hatte zuletzt in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2005[40] die Gelegenheit gehabt die Anforderungen an einen faktischen Geschäftsführer weiter zu präzisieren. Der BGH führte in beiden Urteilen aus, dass nur dann von einer faktischen Geschäftsführung ausgegangen werden kann, wenn der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in der Hand hat.[41] Dies müsse durch eigenes Handeln des Betreffenden im Außenverhältnis, über die interne Einwirkung auf die ordnungsgemäße Geschäftsführung hinaus, geschehen.[42] Des Weiteren wird ausgeführt, dass das Handeln des Betreffenden die Tätigkeit des satzungsmäßigen Geschäftsführers nachhaltig prägen muss.[43] Nicht erforderlich sei demgegenüber, dass die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt wird.[44] Entscheidend sei vielmehr die objektive Außenwirkung des Handelns als ein organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft.[45] Somit liegt bei lediglich gesellschafts- oder konzerninternen Einwirkungen auf den Geschäftsführer keine faktische Geschäftsführung vor. Das soll nach dem BGH selbst dann gelten, wenn der satzungsmäßige Geschäftsführer zu einem reinen Befehlsempfänger wird und diesem kein eigener Handlungsspielraum mehr bleibt.[46] Die Auffassung der Rechtsprechung findet auch bei einem Teil des Schrifttums Zuspruch.[47]
Insbesondere die Forderung nach einem Auftreten nach außen sei zwingend erforderlich, denn in der Vertretung der Gesellschaft nach außen läge schon nach dem Gesetz[48] ein entscheidendes Wesensmerkmal jeder Geschäftsführung.[49] Vor allem ist die Vertretungsbefugnis gegenüber Dritten gem. § 37 Abs. 2 GmbHG unbeschränkbar. Ferner könne nur so der Geschäftsführungskompetenz der Gesellschafter Rechnung getragen werden, auch wenn die Weisungsbefugnis intensiv ausgeübt wird.[50] Aufgrund des Außenauftritts könne man daher auch von einer „typisierten Vertrauenshaftung“[51] sprechen. Zuletzt wird noch angemerkt, dass diese faktische Betrachtungsweise, zumindest im Strafrecht, eine entscheidende Bedeutung habe, da es ansonsten fast unmöglich wäre den wirklichen Verantwortlichen zu finden.[52] Nur so könne man den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht werden.[53] Auch verfassungsrechtliche Bedenken würden es bei dieser Betrachtungsweise nicht geben.[54]
Um diese Ansicht zu veranschaulichen, sollen noch einmal die beiden Entscheidungen aufgegriffen werden. In dem ersten zu beurteilenden Fall (Urteil vom 27.06.2005)[55] hatte der Beklagte die wichtigen Aufgaben der Preiskalkulation und Preisfestsetzung selbst vorgenommen. Weiter hatte er dem bestellten Geschäftsführer die Pflicht zur Berichterstattung bei wesentlichen Geschäftsmaßnahmen und Geldbewegungen auferlegt. Der BGH verneinte in diesem Fall aber eine faktische Geschäftsführung, da die Maßnahmen ausschließlich interne Wirkungen hätten und es somit an einer Außenwirkung fehle.
Der zweite Fall (Urteil vom 11.07.2005)[56] war hingegen eindeutiger. Der Beklagte hatte hier eine Alleinentscheidungsbefugnis über finanzielle und organisatorische Angelegenheiten der Gesellschaft und traf auch die Personalentscheidungen. Des Weiteren erteilte er dem satzungsmäßigen Geschäftsführer Weisungen im Bereich der Unternehmenspolitik und –organisation. Außerdem besaß der Beklagte die alleinige Bankvollmacht über das einzige Gesellschaftskonto. Hierin sah der BGH dann auch die notwendige Außenwirkung und nahm eine faktische Geschäftsführung an.
2. Andere Ansichten in der Literatur
a) 1. Ansicht: Erfüllung einer Anzahl von Kernaufgaben der Geschäftsführung
Eine Auffassung in der Literatur fordert, im Gegensatz zur neueren Rechtsprechung des BGH, eine überragende Stellung des faktischen Geschäftsführers gegenüber dem ordnungsgemäß Bestellten.[57] Diese überragende Stellung soll sich aus der dauerhaften Übernahme einer gewissen Anzahl von Kernaufgaben der Geschäftsführung ergeben.[58] Zwar seien solche Geschäftsführungsaufgaben nicht explizit definiert, man könne aber trotzdem einen Kern von Tätigkeitsbereichen nennen, die typischerweise zur Organzuständigkeit eines Geschäftsführers gehören.[59] Zu diesem Kern würde insbesondere die Bestimmung der Unternehmenspolitik und –organisation, Personalentscheidungen, die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen, Entscheidungen in Steuerangelegenheiten, Verhandlungen mit Kreditgebern, die Steuerung von Buchhaltung und Bilanzierung und schließlich die Höhe des Gehalts zählen.[60] Da der faktische Geschäftsführer eine überragende Stellung haben soll, müssen mindestens sechs der acht genannten Merkmale vorliegen.[61] Begründet wird diese Ansicht damit, dass nur bei dieser Auffassung unternehmensfremde Dritte und der Betroffene klar erkennen können wann eine faktische Geschäftsführung vorlege und die Grenze zur Geschäftsführerhaftung überschritten sei.[62]
Als weitere Voraussetzung wird, wie in der Rechtsprechung des BGH, ein Auftreten nach außen gefordert.[63]
b) 2. Ansicht: Erfordernis einer überragenden Stellung oder eines Übergewichts im strafrechtlichen Bereich
Eine andere Ansicht im Schrifttum hält zumindest im Bereich der strafrechtlichen Haftung eine überragende Stellung oder wenigstens ein Übergewicht des faktischen Geschäftsführers für erforderlich.[64] Diese Ansicht stellt aber, im Gegensatz zur erst genannten Auffassung, nicht auf einen Aufgabenkatalog ab. Eine überragende Stellung soll vielmehr vorliegen, wenn der Betreffende sämtliche unternehmerischen Entscheidungen, auch schon bei der Unternehmensgründung, maßgeblich beherrscht.[65] Es würde dieser Ansicht nach keinen Anlass geben eine weitere Person in Verantwortung zu nehmen, wenn bereits ein verantwortlicher Geschäftsführer vorhanden sei.[66] Und das Erfordernis einer überragenden Stellung sei auch für eine hinreichend vorhersehbare und klare Abgrenzung notwendig.[67]
[...]
[1] Grunewald, Kap. 2F, Rn. 5; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, Einl., Rn. 29; Meyer, GmbHR 2004, 1417, 1419.
[2] Statistisches Bundesamt, S. 510.
[3] Statistisches Bundesamt, S. 510.
[4] Grunewald, Kap. 2F, Rn. 5; Wilhelm, Rn. 177.
[5] Dinkhoff, S. 11; Hoffmann/Liebs, Rn. 300; Lindemann, JURA 2005, 305.
[6] Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 GmbHG, Rn. 3; Wilhelm, Rn. 1137.
[7] Kindler, § 16, Rn. 42; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 46 GmbHG, Rn. 21 ff.; K. Schmidt, § 36, S. 1072; Wilhelm, Rn. 1143.
[8] Grunewald, Kap. 2F, Rn. 50; Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 GmbHG, Rn. 2; K. Schmidt, § 36, S. 1073; Wilhelm, Rn. 1145; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG, Rn. 165 f..
[9] Bauer in Bauer/Wachter, S.16; Kübler/Assmann, § 18, S. 288; K. Schmidt, § 36, S. 1083; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG, Rn. 90.
[10] Dierlamm, NStZ 1996, 153; Lindemann, JURA 2005, 305, 306.
[11] Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178; Lindemann, JURA 2005, 305, 306.
[12] Altmeppen/Roth, § 37 GmbHG, Rn.3; Grunewald, Kap. 2F, Rn. 44; Hommelhoff/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 GmbHG, Rn. 84; Wilhelm, Rn. 1149, 1170; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 37 GmbHG, Rn. 18.
[13] Altmeppen/Roth, § 37 GmbHG, Rn.4; Haas, NZI 2006, 494; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 37 GmbHG, Rn. 19.
[14] Altmeppen/Roth, § 43 GmbHG, Rn.70; Haas, NZI 2006, 494, 495.
[15] Haas, NZI 2006, 494, 495.
[16] Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178; Weimar, GmbHR 1997, 473, 474.
[17] BGH NJW 1983, 240 f.; BGH NJW 1988, 1789 f.; BGH NZG 2005, 816 f.; Bormann, BGHReport 2005, 1453, 1455.
[18] Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 179; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 GmbHG, Rn. 11; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG, Rn. 2; a.A. Stein, Kap. 6, S. 125.
[19] Sie u.a. Alexander in Schwerdtfeger, § 6 GmbHG, Rn. 8; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 GmbHG, Rn. 11; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 82 GmbHG, Rn. 11; Ulmer in Hachenburg, § 64 GmbHG, Rn. 11; Weimar, GmbHR 1997, 473, 474.
[20] Schneider in Scholz, § 43, Rn. 15.
[21] Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1108.
[22] Bisson, GmbHR 2005, 843, 849; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 82 GmbHG, Rn. 11.
[23] Altmeppen/Roth, § 84 GmbHG, Rn.8 f.; Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1108 f.; Hoyer, NStZ 1988, 368, 369; Schulze-Osterloh/Servatius in Baumbach/Hueck, § 84 GmbHG, Rn. 30; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rn. 34.
[24] Altmeppen/Roth, § 84 GmbHG, Rn.8 f.; Hoyer, NStZ 1988, 368, 369; Schulze-Osterloh/Servatius in Baumbach/Hueck, § 84 GmbHG, Rn. 30.
[25] Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1109.
[26] Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1109.
[27] Stein, Kap. 5, S. 115 ff.; Kap. 6, S. 121 f.; Stein, ZHR 1984, 207, 222 ff..
[28] Dinkhoff, S. 91; Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1110.
[29] Dinkhoff, S. 91; Stein, Kap. 5, S. 115; Stein, ZHR 1984, 207, 224.
[30] BGHSt 3, 32.
[31] BGHSt 3, 32, Dinkhoff, S. 93.
[32] BGH NJW 1983, 240.
[33] BGH NJW 1983, 240 f.; Bisson, GmbHR 2005, 843, 849; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 155.
[34] BGH NJW 1983, 240; Bruns, JR 1984, 133; Kohlmann in Hachenburg, Vor § 82 GmbHG, Rn. 27.
[35] BGH StV 1984, 461; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 155; Dinkhoff, S. 93 f..
[36] BGH NJW 1988, 1789, 1790; Bisson, GmbHR 2005, 843, 849. In dem entschiedenen Fall ging es zwar um eine GmbH & Co. KG, für eine GmbH würde aber nichts anderes gelten.
[37] BGH NJW 1988, 1789, 1790; Bisson, GmbHR 2005, 843, 849.
[38] BGH NJW 1988, 1789, 1790; Haas in Gottwald, § 92, Rn. 41; K. Schmidt, FS Rebmann, S. 428; Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG, Rn. 7.
[39] BGH NJW 1988, 1789, 1790; Dinkhoff, S. 94.
[40] BGH, Urteil v. 27.06.2005 = NZG 2005, 755; BGH, Urteil v. 11.07.2005 = NZG 2005, 816.
[41] BGH NZG 2005, 755; BGH NZG 2005, 816; Bormann, BGHReport 2005, 1453, 1455; Nauschütz, NZG 2005, 921.
[42] BGH NZG 2005, 755; BGH NZG 2005, 816; Bormann, BGHReport 2005, 1453, 1455; Nauschütz, NZG 2005, 921.
[43] BGH NJW 2002, 1803, 1805; BGH NZG 2005, 755; BGH NZG 2005, 816.
[44] BGH NJW 2002, 1803, 1805; BGH NZG 2005, 755; BGH NZG 2005, 816; Haas in Gottwald, § 92, Rn. 41; Tomat, GmbHStB 2005, 263, 264.
[45] BGH NZG 2005, 816, 817; Alexander in Schwerdtfeger, § 6 GmbHG, Rn. 8; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rn. 34.
[46] BGH NZG 2005, 755, 756; Bormann, BGHReport 2005, 1453, 1455; Gehrlein, BB 2005, 1867, 1871; Tomat, GmbHStB 2005, 263, 264.
[47] Siehe u.a. Alexander in Schwerdtfeger, § 6 GmbHG, Rn. 8; Altmeppen/Roth, § 43 GmbHG, Rn.69; Bauer in Bauer/Wachter, S.12; Gehrlein, Kap. 5, S. 275; Kindler, § 16, Rn. 44; Konzen, NJW 1989, 2977, 2985; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 GmbHG, Rn. 11; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG, Rn. 9, § 43 GmbHG, Rn. 3.
[48] Vgl. §§ 35a, 37, 39 GmbHG.
[49] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 35a GmbHG, Rn. 4, § 37 GmbHG, Rn. 2.
[50] Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1112; ähnlich auch Haas in Michalski, § 43 GmbHG, Rn. 27.
[51] Kübler/Assmann, § 15, S. 211.
[52] Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 182; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 84 GmbHG, Rn. 10.
[53] Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 84 GmbHG, Rn. 10.
[54] Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 182; Fuhrmann, FS Tröndle, S. 150 f., 154; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 84 GmbHG, Rn. 10.
[55] BGH NZG 2005, 755.
[56] BGH NZG 2005, 816.
[57] BayObLG NJW 1997, 1936; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 179.
[58] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Dinkhoff, S. 94.
[59] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Dinkhoff, S. 94.
[60] BayObLG NJW 1997, 1936; Bisson, GmbHR 2005, 843, 849; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 179.
[61] BayObLG NJW 1997, 1936; Bisson, GmbHR 2005, 843, 849; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Flore/Lewinski, GmbHStB 2001, 178, 179.
[62] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Rönnau, NStZ 2003, 525, 526.
[63] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156 f.; Dinkhoff, S. 94.
[64] Hoyer, NStZ 1988, 368, 369; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 82 GmbHG, Rn. 12.
[65] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 82 GmbHG, Rn. 13.
[66] Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 82 GmbHG, Rn. 12.
[67] Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; Rönnau, NStZ 2003, 525, 526.
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