Mortalität und Vitalität – Eine organisationsökologische Betrachtung der Theorie des Sterbens von Organisationen


Seminararbeit, 2009

51 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung und Problem Statement - The Ice King

II Grundgedanken der Organisationsökologie

III Theoriegebäude
1. Fitness Set Theory/Niche Width
2. Resource Partitioning Theory
3. Liability of Smallness
4. Liability of Newness, Adolescence, Obsolscence and Senescence
5. Founding Conditions
6. Density Dependence
7. Blueprint/Identity Dependence

IV Theorieevaluation und Vergleich

V Identifizierung eines Forschungsobjekts: Die Individualisierung von Textilien

VI Appendix
a) Theorievergleich
b) Glossar
c) Mathematische Modelle
i)Modell der Fitness Set Theory
ii)Modell der Resource Partitioning Theory
iii) Altersabhängige Modelle
iv) Modell der Density Dependence
v) Eigene Modellierungsideen
d) Identifizierung der Population und weiterführende Überlegungen
i) Populationseingrenzung „Design your own shirt“
ii) Hypothesenideen
iii) Nächste Schritte: Fragebogen

VII Literaturliste

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Einfluss der Größe auf die Überlebenschancen

Abb. 2: Liability of Newness für 3 Populationen

Abb. 3: Population Density of Credit Unions in New York City, 1914 - 1990

Abb. 4: „Specialists“ and „Generalists“ und ihre Ausprägung

Abb. 5: „Five Basic Models“ nach SPEC

Abb. 6: Niche Width Modell

Abb. 7: Relative Death Rate

Abb. 8: RP Modell

Abb. 9: Age Modell

Abb. 10: DD Modell

Abb. 11: Populationsübersicht

Abb. 12: Fragebogenentwurf

I Einleitung und Problem Statement - The Ice King

Der 22-jährige Frederic Tudor1 hatte 1805 eine Idee, die eine vollkommen unrealistische war: er wollte Eis ohne technische Hilfsmittel aus Amerika in die Tropen verschiffen. Als erster Händler überhaupt hatte Tudor eine Ladung an Bord, die man in den warmen Gefilden rund um den Äquator noch nie gesehen hatte. Das Geschäft boomte - dank des nicht vorhandenen Wettbewerbs - und Tudor wurde schnell zu einem reichen Mann. Doch wurde der Markt, den er Anfang des 19. Jahrhunderts begründet hatte, immer kompetitiver. Der Wettbewerb wurde durch verschiedene Faktoren, unter anderem die Zahl der Organisationen und deren Größe und Alter beeinflusst. Neue Unternehmen kamen hinzu, andere „starben“. Auch Tudor war mit seiner Firma einer derjenigen, die dem Wettbewerbsdruck weichen mussten - sein „Pioniersvorteil“ war aufgebraucht. Er war jedoch der Begründer einer „Population“, ihr erster Teilnehmer, der Besetzer einer „Nische“. John Freeman und Michael Hannan haben diese Begriffe der Biologie 19772 auf die Organisationsforschung übertragen und damit die Forschungsrichtung der Organisationsökologie begründet. Dieses Gebiet beschäftigt sich mit der Untersuchung von Populationen und Organisationen, sowie Prozessen, die sich innerhalb dieser Populationen auf verschiedenen Ebenen abspielen. Vor allem Gründung, Veränderung und das Sterben von Organisationen sind dabei die beobachteten „Ebents“. Die Frage, die mich innerhalb dieser Richtung besonders umtreibt, ist diejenige nach dem „death of organizations“. Warum musste gerade Tudor mit seiner Organisation trotz seiner anfangs führenden Rolle das Feld räumen? Welche Faktoren führen zur Entwicklung einer Population und schließlich zum Tod von Organisationen? Warum sterben Organisationen generell? Sterben kann hierbei, wie Hannan und Freeman 19893 diskutieren, in vielfacher Weise als solches betrachtet werden. Die Bankrotterklärung (das formelle Dahinscheiden) und die organisationale Desorganisation kommen dabei vor dem eigentlichen „disbanding“, das heißt der Auflösung der Organisation. Aber auch der Kauf durch eine andere Organisation („acqusition“) oder die Verschmelzung mit einer solchen („merger“) können als „Sterben“ der Ursprungsorganisation gedeutet werden. Ebenso ein radikaler Bruch in der „Form“ der Organisation4, das heißt bestimmten Grundfesten des Unternehmens.5 Im Folgenden möchte ich die Frage nach den (aus verfügbaren Theorien abgeleiteten Gründen) für das Sterben von vor allem einzelnen Organisationen, aber auch ganzen Organisationspopulationen, das heißt bestimmten Gruppen von Organisationen (siehe Abschnitt II), untersuchen. Viele Theorieansätze (siehe Abschnitt III) wurden bis dato meist unabhängig voneinander vorangetrieben. Ich möchte diese einzeln beschreiben und bewerten, gleichzeitig auch die Kritik an ihnen darlegen. Die verschiedenen

Ursachen, die für das Sterben von Organisationen möglich sind, werde ich danach zusammenfassen und hinsichtlich einer empirischen Fragestellung ausrichten. Meine Leitfrage dabei wird es sein, verschiedene mögliche Kausalitäten für das „disbanding“ von Organisationen zu beschreiben und die Möglichkeiten der Theorien aufzuzeigen. Diese Frage ist von besonderer Relevanz für sowohl Organisationsforschung, als auch tatsächliche Unternehmenspraxis: eine Vielzahl von Arbeiten beschäftigt sich im Feld der Organisationsforschung mit dem Thema des „organisationalen Sterbens“, da hierin eine Grundfrage der Forschungsrichtung beantwortet wird. Weiterhin ist dieses Feld gerade im Bereich der Organisationsökologie noch mit Forschungslücken behaftet - wie unten dargestellt wird - und hat andererseits eine ebenso große Bedeutung für die unternehmerische Praxis: aus Antworten können sich Strategien und Leitlinien für unternehmerisches Handeln ergeben, welche direkt in den Unternehmen zum Tragen kommen. Zunächst werde ich jedoch die Grundgedanken der Forschungsrichtung zusammenfassen, bevor die eigentliche Frage in den Mittelpunkt tritt.

II Grundgedanken der Organisationsökologie

Die Ausgangsfrage, die Hannan und Freeman, die gemeinhin als die Begründer der Populationsökologie postuliert werden, in den 1970ern beschäftigte, war folgende: “Why are there so many kinds of organizations?”6 Der Antrieb der Organisationsökologie war und ist es, Ursachen für die Diversität von Organisationen und ebenso für die Gründung, Veränderung und das Sterben dieser zu finden. In ihrem ersten Aufsatz proponieren Hannan/Freeman für die damalige Organisationsforschung erheblich neue Annahmen und Thesen, von denen vor allem zwei zentral sind:

1. Die vorherrschende Adaptions -These7 der organisationalen Veränderung, die auch von Weber8 und Parsons9 und darüber hinaus Exchange Theoretikern10 vertreten wurde, aber großen Limitationen unterliegt11, wird durch eine Selektions - These12 kommend aus der Biologie ergänzt. Erstere geht davon aus, dass sich Organisationen an gegebene Umweltzustände anpassen, wohingegen die Selektionsthese vereinfacht eine natürliche Selektion getrieben durch Wettbewerb und Umwelteinflüsse vorschlägt. Die Begründung des Postulats geschieht mit der Figur der „organisational inertia“, das heißt der Trägheit bis hin zur beinahe Unveränderlichkeit der Organisationen.13 Eine Adaption ist demnach nicht in dem Maße möglich, wie zunächst angenommen, da sie durch organisationale Trägheit verhindert wird.14

2. Weiterhin werden neue Untersuchungseinheiten betrachtet: drei Ebenen identifizieren die Autoren, wobei besonders die Ebene der Population - neben Organisation und Community - als wichtiges Forschungsobjekt erachtet wird.15 Die Erforschung der Populationen wird dabei als Populationsökologie16 („population ecology“) im Gegensatz zur „organizational demography“, das heißt der auf Organisationen bezogenen Forschung, bezeichnet.17 In meinen weiteren Ausführungen werde ich mich auf diese beiden Teilgebiete beschränken und die Ebene der Communities aufgrund der großen Komplexität und geringeren Relevanz für unternehmerisches Handeln ausklammern.18 Die untersuchten Populationen werden dabei in der Populationsökologie häufig durch “common fate”, das heißt geteilten Erfolg oder Misserfolg identifiziert: Exogene Schocks haben den gleichen Effekt auf alle Populationsorganisationen, welche dementsprechend homogen hinsichtlich ihrer „environmental vulnerability“ sind.19 Einfacher fassbar ist jedoch die Definition nach der „common form“. Die Definition von Population, die ich innerhalb dieser Arbeit anwenden möchte, ist dementsprechend folgende:

“… a population of organizations consists of all the organizations within a particular boundary that have a common form. ”20

Die Organisationen, die zu einer Population gehören, teilen ein gleiches “template”21 beziehungsweise “blueprint”22 oder „form“23. Hannan und Freeman24 beschreiben in diesem Zusammenhang die „form“ anhand der Dualität zur „niche“: das aus der Biologie übertragene Konzept der Nische kann dabei mit vier Variablen approximiert werden: Ziele, Formen der Autorität, Kerntechnologie und Marketing Strategie sind die wichtigsten Parameter.25 Es sind nicht immer Industrien oder Teile von Industrien innerhalb einer Population zu finden, sondern eine solche kann durchaus auch zunächst scheinbar ohne Zusammenhang sein, wie das Beispiel von Plantagen zeigt.2627 Andere Beispiele für Populationen können z.B. die Zeitungs- oder die Halbleiterindustrie sein.28 Die Populationen und Organisationen, die sie konstituieren, werden dabei immer im Zusammenhang mit ihrer Umwelt gesehen:

The organization is seen in its environmental context, depending on external resources for sustenance. Environmental conditions constrain the organization and shape organizational structure. “29

Neben diesen externen Faktoren, sind es interne Einflussfaktoren, wie Größe und Identität, die die Organisationen und Populationen verändern.30

Im Weiteren werde ich mich - wie in meiner Leitfrage beschrieben - auf ein einzelnes

Phänomen dieser Veränderung, nämlich das Sterben der Organisation, beziehungsweise den Rückgang der Population oder die Sterberate, beschränken und die Vielzahl an Theorien, die sich in diesem Gebiet finden, zusammenfassen und evaluieren.

III Theoriegebäude

1. Fitness Set Theory

Hannan/Freeman begründen mit ihrem ersten Aufsatz im Jahre 1977 innerhalb der Organisationsökologie auch einen Strang, der sich auf das Sterben von Organisationen beziehen lässt, nämlich die so genannte „Fitness Set Theory“, aufbauend auf die biologischen Arbeiten von Levins.31 Diese setzt sich aus zwei Theoriesträngen, nämlich der „competition theory“32 und der „niche-width theory“33, zusammen.34 Erstere beschreibt den Optimierungsprozess, durch den Formen isomorphisch mit ihrer Umwelt werden, während die zweite sich auf die Beschreibung des „evolutionären Vorteils“ von Generalisten oder Spezialisten in bestimmten Umweltsituationen beschränkt. „Fitness“ wird von den Autoren beschrieben als „the probability that a given form of oganization would persist in a certain environment“35. Die beiden Autoren fokussieren ihre Theorie dabei auf zwei Variablen, die die Umwelt beschreiben: „variablity“ und „grain“; „variability“ bezeichnet dabei die Varianz der Umweltveränderungen um ihren Mittelwert. „Grain“ gliedert sich in „fine“ und „coarse“: „Fine grained“ bezeichnet eine Umwelt, die sich häufig relativ wenig verändert, und „coarse grained“ eine solche, die sich wenig häufig, sehr stark verändert.36 Beide Variablen können sich unabhängig voneinander entwickeln.

Hauptaussagen der Theorie sind folgende: In einer stabilen Umwelt ist jeweils der Spezialist von Vorteil37, in einer veränderlichen Umwelt allerdings sind die Resultate komplexer. Im Falle einer „fine grained“ Umwelt ist die Spezialisierungsstrategie von Vorteil - unabhängig von der Variabilität. Im Falle einer „coarse grained environment“ wäre die Spezialisierung für niedrige Variabilität und die Strategie des Generalismus für hohe Variabilität anzustreben.3839 Daraus können Strategien für Organisationen beschrieben werden, die zu einer geringen Sterblichkeit führen, die sich auf ganze Populationen übertragen lässt.

Kritik: Dieser erste Theoriestrang der Populationsökologie steht schon aufgrund seiner ketzerischen Übertragung biologischer Konzepte auf einen sozialen Kontext in der Kritik.40 Diese werden nach Meinung von Herriott zudem noch auf fälschliche Weise übersetzt: Levins Fitness Set Theorie führt seiner Argumentation folgend zu der Em- pfehlung immer die Spezialisierung anzustreben.41 Diese Zusammenhänge werden jedoch von den Autoren durch leichte Korrekturen ihrer Thesen widerlegt. Auch der Forderung nach der Einführung von kontrollierenden Kovariablen, die zu Anfang der Theoriediskussion aufkommt, wird von Hannan/Freeman in ihren ersten empirischen Untersuchungen nachgekommen.42 So ist zum Beispiel die Kontrolle andere die

Population betreffender Variablen, wie der Einfluss der in Abschnitt III.6 beschriebenen Dichte oder „density“, zu beachten. Weiterhin lässt sich an diesem ersten Konzept Kritik hinsichtlich seiner Beschreibung der Umwelt üben: diese wird in nur zwei Variablen mit nur jeweils zwei Ausprägungen sehr rudimentär in ihrer Komplexität wiedergegeben. Man kann darüber streiten, ob die Theorie tatsächlich zu verallge- meinerbaren Aussagen für die tatsächliche Anwendung führt. Grundsätzlich lässt sich das Konzept jedoch auf jedwede Organisation übertragen und wird durch empirische Tests in seinen Kernaussagen bestätigt.43

2. Resource Partitioning Theory

Carroll baut seine Theorie der „Resource Partitioning“ wie Hannan/Freeman auf die Überlegungen der „Niche Width“ - Theorie auf.44 Er jedoch geht nicht der Richtung der „Fitness Set Theory“ nach, sondern beschäftigt sich mit einem Modell, das speziell für Märkte mit starken Economies of Scale konzipiert ist. Untersucht wird dabei die Dimension der Spezialisierung und die Frage, ob es in einem Umfeld mit hoher Marktkonzentration besser sei, Spezialist oder Generalist zu sein. Seine Antwort hierauf

- die auch von den empirischen Forschungen45 bestätigt wird - ist wiederum differenziert: innerhalb eines geographisch dispersen Marktes, welcher von einer konzentrierten Nachfrage bestimmt wird, versuchen die Organisationen eben dieser Nachfrage gerecht zu werden. Wenn die Anzahl der Organisationen zunimmt, werden große Generalisten die „Mitte“ des Marktes besetzen (bspw. Unilever, P&G), sich „vermehren“ und ausdehnen - die Lebenschance der Spezialisten nimmt ab. Wenn auf der anderen Seite die Anzahl nicht weiter steigt, die Konzentration also groß ist und nur einige wenige Generalisten die Mitte besetzen, bleibt für die Spezialisten Raum in den „seitlichen“ Nischen. Dieser Prozess nennt sich „Resource Partitioning“. Auch diese Theorie macht folgerichtig eine Aussage über die Sterberate von Generalisten/Spezialisten in Abhängigkeit zur Dichte Ersterer.

Kritik:

Die Theorie, die von Carroll entwickelt wurde und seitdem in häufigen Anwendungen auch empirisch untersucht wurde, stellt eine Ergänzung zur Interpretation der Theorie von Hannan/Freeman dar, deren Interdependenzen noch nicht untersucht wurden. Beide Theorien bauen auf ähnlichen Vorstellungen auf und untersuchen ähnliche Variablen - es sollte hierbei also zu empirischen und theoretischen Schärfungen der beiden Theoreme kommen, die eventuell auch eine gemeinsame Theorie als Ziel haben können.46 In der neusten Forschung wurden die Befunde Carrolls allerdings weiterentwickelt und in Frage gestellt. So kommen Dobrev et al. 2001 zu der empirisch validierten Aussage, dass in bestimmten Branchen eine breiter werdende Nische einer Organisation auch zu geringerer Sterbewahrscheinlichkeit führt - vor allem dann, wenn geringe Interdependenzen zu anderen Konkurrenten auftreten.47 Er verknüpft hierbei die ursprüngliche Theorie mit Ansätzen der Density Dependence und kommt so zu erweiterten, Carrolls Aussagen ergänzenden Ansichten. Als bisher intern konsistent kann demnach die Theorie auch nach neusten Erkenntnissen beschrieben werden. Grundsätzlich stellt sich das Postulat des „Resource Partitioning“ jedoch als deutlich schwieriger übertragbar dar: seine Anwendung beschränkt sich auf den bestimmten Typ der Märkte mit Economies of Scale, das heißt es kann zwar jeder Markt, der Massenwaren (bspw. Schrauben) herstellt, jedoch kein kleiner Individualmarkt, wie der der Luxuslimousinen, untersucht werden.

3. Liability of Smallness

Hannan und Freeman etablierten neben der oben beschriebenen „Fitness Set Theory“ auch weitere Theoriezweige innerhalb der Organisationsökologie. Einer dieser Zweige beschäftigt sich mit der Organisationsgröße als Variable, die einen Einfluss auf die Sterberate hat, und wurde 1984 von den beiden Autoren als „liability of newness“ formuliert.48 Der gefundene Befund ist, dass die Sterblichkeit mit zunehmender Größe abnimmt. Das Argument der Inertia, das heißt strukturellen Trägheit, welche bis zu einem bestimmten Grad zu einer höheren Wahrscheinlichkeit des Überlebens führt, wird auch hier angewandt, aber durch weitere ergänzt: neben dem Trägheitsvorteil der großen Organisationen, haben kleine Organisationen erhebliche Nachteile, wenn es beispielsweise um Kapitalbeschaffung, Besteuerung, staatliche Regulierung und Einstellung adäquater Fachkräfte geht.49 Zusätzlich sind große Organisationen für Beschäftigte aufgrund der Vielzahl an „benefits“ interessanter50 und haben die Möglichkeit durch Diversifizierung Risiken zu „poolen“51. Auch auf der Kostenseite ergeben sich aufgrund der bekannten „Economies of scale und scope“ mit steigender Größe Vorteile.52 Das Argument der mit der Größe sinkenden Sterblichkeit lässt sich demnach theoretisch nachvollziehen. Es kommt so unter Umständen auch zu einer Scherenbildung: Große Unternehmen werden immer größer und kleine sterben aus - Monopole oder Quasimonopole könnten die Folge sein.53

Kritik:

Die These der „smallness“ scheint sich darüber hinaus auch empirisch sehr stark zu bestätigen54. Einige empirische Untersuchungen in beispielsweise Gewerkschaften55 oder Weingütern56 stellen den oben dargelegten Zusammenhang fest. Aber auch dieser Ansatz weist gewisse Problematiken auf, die vor allem in den Interdependenzen zu anderen Argumenten bestehen: Die Variable „Größe“ kann im Grunde genommen nicht separat betrachtet werden, da sie mit einigen anderen Variablen, - vor allem dem Alter - korreliert. „Most new organizations tend to be small“, wie Singh und Lumsden es ausdrücken.57 Die Zusammenhänge sollten in Studien immer berücksichtigt werden um genaue Ergebnisse zu erzielen.

Noch gewichtiger sind allerdings Arbeiten, die die These der „Liability of Smallness“ durch eine „Liability of the middle“ ersetzen: auf der theoretischen Seite ergeben sich nach späterer Meinung z.B. der Verfasser des „Smallness-Argumentes“ auch erhebliche Bedenken: Sie weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Größe und Sterben nicht monton sei, sondern vielmehr einem umgekehrten „U“ entsprechen könnte: kleine Organisationen können einige Aufgaben auf informelle Weise beispielsweise weitaus besser erledigen als wachsende Gebilde - so entstehen mit wachsender Größe

Problemfelder, die zu gesteigertem Sterberisiko führen.58 Dieser Zusammenhang wurde auch empirisch für einzelne Branchen59 nachgewiesen, wodurch das sehr starke Argument der „Liability of Smallness“ entkräftet wurde. Einige Autoren wollen sogar einen umgekehrten Zusammenhang beobachten: kleine Organisationen haben eine geringere Sterberate als große. Durch eine zu große Trägheit verlieren sie die Fähigkeit zur Reaktion und Innovation.60 Dies ist vor allem in innovationsgetriebenen Branchen (z.B. IT) wichtig, während die Stabilität, die durch Größe entsteht, in trägen Branchen (z.B. Baugewerbe) von Vorteil sein kann. Ruef verdeutlicht diesen ambivalenten Einfluss der Variable Größe sehr deutlich mit folgender Abbildung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Einfluss der Größe auf die Überlebenschancen; Quelle: Ruef, 1997, S.842

Beachtet werden sollten also neben monotonen auch nicht-monotone Zusammenhänge zwischen Größe und Sterberate und vor allem derjenige zur Branche. Generell kann dieser Theoriestrang allerdings als übertragbar auf jede Art der Organisation betrachtet werden, wenn er sich auch - wie oben angedeutet - als intern inkonsistent erweist und stets genau differenziert werden muss. Es lässt sich also nicht generell sagen, ob kleine oder große Organisationen eine geringere Sterbewahrscheinlichkeit haben. Weitere Studien auf diesem Gebiet könnten eine Schärfung der Zusammenhänge vorantreiben und vielleicht auch mit den folgenden mit dem Alter zusammenhängenden Problematiken verknüpfen.

4. Liability of Newness, Adoloscence, Obsolescence and Senescence

Eine weitere Variable, die untersucht wird, ist die des Alters. Der Ansatz der „liability of newness“ legt dabei folgenden Zusammenhang zwischen dem Alter und der Sterberate von Organisationen zugrunde: „junge“ Organisationen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit unerfolgreich zu sein und zu sterben. Dies liegt nach Stinchcombe61 und anderen Vertreter der Theorie an einer Vielzahl von Gründen: die komplizierte Einfindung in neue soziale Rollen und den damit einhergehenden Zeit- und Ressourcenverlust als ein Beispiel für einen interne Grund, sowie den Wettbewerb mit etablierten Konkurrenten als wichtigsten externen, möchte ich hier anführen.62 Hannan und Freeman haben diesen Ansatz weiterentwickelt:63 Das Überleben von Organisationen hängt nach ihrem Verständnis von „reliability“ und „accountability“ ab, welche wiederum mit der Reproduzierbarkeit der Organisation verknüpft sind.64 Diese Reproduzierbarkeit nimmt mit dem Alter zu.65 Zudem führt sie zu ebenfalls zu „inertia“, das heißt Trägheit, welche die Überlebenschance der Organisation erhöht.66 Zusammengenommen ergeben diese Argumente die „liability of newness“. Auch empirisch getestet wird diese Hypothese nicht widerlegt: erste Studien von Freeman, Carroll und Hannan hat „national labour unions“ und „semiconductor industries“ untersucht und die These bestätigt.67

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Liability of Newness für 3 Populationen; Quelle: Freeman et al., 1983, S. 701

Kritik und Weiterentwicklung:

Der Ansatz der „newness“ kann aufgrund der Vielzahl an Variablen, die häufig mit dem Alter korreliert sind, tatsächlich aber nicht betrachtet werden, kritisiert werden. Beispielsweise können Kompetenzen, die einen direkten Einfluss auf das Überleben haben, mit dem Alter aufgebaut werden (internes Wissen und Routinen); auch die institutionelle Unterstützung nimmt sehr häufig mit dem Alter zu.68 Hier bedarf es Kovariablen, die auf eben diese Effekte überprüfen um die These der „newness“ tatsächlich zu filtern. Vor allem „Größe“ (die mit dem Alter häufig zunimmt) spielt - wie oben erwähnt - eine besondere Rolle.69 Zusätzlich kann es zu so genannten „age dependence patterns“ kommen.70 Populationen können durch bestimmte Faktoren zu „monotonen“ oder „nonmonotonen“ Altersdependenzen geführt werden; eine ganze

[...]


1 Die Informationen zu Tudor und seiner Lebensgeschichte sind aus dem Artikel von Jason Zasky (2003) entnommen.

2 Hannan/Freeman, 1977

3 Hannan/Freeman, 1989, S. 149f; siehe hierzu auch Appendix b)

4 Hannan/Freeman, 1989, S. 150; siehe zur Definition von Form Abschnitt II

5 siehe hierzu auch: Carroll/Delacroix, 1982, S. 170; häufig gibt es darüber hinaus Unterschiede in den Raten, in denen Organisationen tatsächlich sterben und „verschmelzen“, wie Freeman et al. schon 1983 herausfanden; hier muss immer differenziert werden.

6 Hannan/Freeman, 1977, S. 936

7 Hannan/Freeman, 1989, S. 12, siehe auch Appendix b) (Adaption)

8 Selznick, 1957

9 Parsons, 1956

10 Siehe hierzu unter anderem Levine/White 1961

11 Laut Hannan/Freeman (1977) gibt es eine Reihe von Problemen hinsichtlich der Fähigkeit von Organisation sich anzupassen; dazu zählen die aus der Tatsache der “structural inertia” hervorgehenden Probleme (S. 930), welches zurück geht auf Burns/Stalker (1961) und Stinchcombe (1965). Problematisch sind unter anderem “sunk costs”, “constraints on information” und “internal political constraints” (S.931).

12 Schon Aldrich (1971) und Kaufman (1975) versuchten diesen erweiternden Ansatz in der

Organisationsforschung zu platzieren. Der entscheidende Aufsatz ist jedoch tatsächlich der von Hannan/Freeman (1977).

13 Carroll, 1984, S. 73; siehe hierzu auch Appendix b) (Inertia)

14 siehe hierzu auch Appendix b) (Inertia)

15 Carroll, 1984

16 Hannan/Freeman, 1977

17 Carroll, 1984, S. 81f; Carroll/Delacroix, 1982

18 Diese Beschränkung ist zum einen durch praktikable Argumente zu begründen, zum anderen aber auch mit meiner Forschungsfrage, die sich explizit auf die Ebene der Populationen und Organisationen bezieht.

19 Hannan/Freeman, 1977, S. 934

20 ebd., S. 936

21 Hannan, 2005

22 Hannan, 2005, S. 58; siehe hierzu auch Hannan/Freeman, 1977, S. 935

23 Hannan/Freeman, 1989, S.48f: die Autoren definieren um die verschiedenen Möglichkeiten die „organisational form“ zu klassifizieren -unter anderem die Übertragung des Genbegriffs wird angesprochen - und kommen zu der Analogie „niche - form“.

24 Hannan/Freeman, 1989, S. 50

25 Hannan und Freeman führen hier noch weiter aus, inwiefern eine Nische wiederum eine „fitness function“ bedingt und dadurch so genannte „carrying capacities“. (S. 51f) siehe hierzu auch Appendix b) (Form, Identity)

26 Ruef, 2004: Ruef beschreibt dabei Plantagen, die nicht eindeutig einer Industrie zugeteilt werden können - dies soll lediglich illustrieren, dass der Glaube „Population = Industrie“ in vielen Fällen nicht korrekt ist.

27 Wichtig bei der Betrachtung der Population: “fringe” - Organisationen, die zunächst scheinbar unwichtig sind, aber zu zentralen Figuren werden können (Hannan, 2005, S. 53).

28 Freeman et al., 1983

29 Carroll, 1984

30 Hannan, 2005

31 Levins, 1968

32 Hannan/Freeman, 1977, S. 939f; aufbauend auf das Werk von Hawley (1950) entwerfen Hannan und Freeman eine etwas abgewandelte auf Organisationen anzuwendende Theorie des Wettbewerbs; diese basiert auf der Annahme, dass die verfügbaren Ressourcen zu jedem Zeitpunkt fix sind, und ebenfalls auf der These, dass die Gründungsrate neuer Organisationen von dem nicht verbrauchten „Rest“ dieses Ressourcenvorrats abhängt (S. 941).

33 Hannan/Freeman, 1977, S. 946

34 Singh/Lumsden, 1990, S. 165

35 Hannan/Freeman, 1977, S. 937

36 Singh/Lumsden, 1990, S. 165

37 Hannan/Freeman, 1977, S. 952

38 Freeman/Hannan, 1983, S. 126 - 129

39 Ein plastisches Beispiel hierfür findet sich in der Untersuchung on Restaurants von Freeman/Hannan, 1983.

40 siehe zur allgemeinen Kritik an den „Bioimporten“ Abschnitt IV

41 Herriott, 1987, S. 1210: Herriott bezieht sich dabei speziell auf die Studie von Hannan/Freeman aus dem Jahre 1983, welche nach seiner Untersuchung zu falschen Schlussfolgerungen kommt. In einem „technischen Anhang“ widerlegt er mit seiner Interpretation der Daten die Thesen der Autoren.

42 Hannan/Freeman, 1983

43 siehe hierzu die zusammenfassende Tabelle in Appendix a)

44 Carroll, 1985

45 siehe hierzu die Tabelle in Appendix a)

46 Singh/Lumsden, 1990, S.169

47 Dobrev et al., 2001, S. 1324

48 Hannan/Freeman, 1984, S. 158

49 Aldrich/Auster, 1986

50 Brown et al., 1990

51 Wholey et al., 1992

52 Wholey et al., 1992

53 Ranger-Moore, 1997, S. 903

54 siehe hierzu die Tabelle in Appendix a)

55 Freeman et al., 1983

56 Delacroix et al., 1989

57 Singh/Lumsden, 1990, S. 176

58 Greiner, 1972

59 siehe hier für eine Studie zu Health Maintenance Organizations: Wholey et al., 1992

60 Ranger-Moore, 1997, S. 903

61 Stinchcombe, 1965

62 Hier lassen sich natürlich noch einige weitere wichtige Gründe anbringen: die Teilnehmer sind zunächst Fremde ohne Vertrauen, welches aufgebaut werden muss und somit Ressourcen innerhalb des Wettbewerbs verbraucht; organisationale Routinen, welche sich bei „alten“ Organisationen aufgebaut haben und zu positiven Effekten führen, fehlen in der Gründungsphase.

63 Hannan/Freeman, 1984

64 Vgl. hierzu auch Ruef: Abb. 1 im Abschnitt III.3

65 Singh/Lumsden, 1990, S. 168: Reproduzierbarkeit wird mit internem Lernen, Koordination und

Sozialisation innerhalb der Organisation und externen Legitimation verknüpft; diese Variablen nehmen mit dem Alter zu.

66 Hannan/Freeman, 1984, S. 152; auch die „legitimacy“ spielt hierbei eine Rolle: alte Organisationen werden eher als „legitimate“ betrachtet und daher bspw. als besserer Handelspartner angesehen (Stinchcombe, 1968).

67 Freeman et al., 1983

68 Singh/Lumsden, 1990, S. 168: weitere Studien hierzu siehe Carroll (1983) und Tuma/Hannan (1984).

69 Hannan, 2005, S. 63

70 Levinthal/Fichman, 1988

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Mortalität und Vitalität – Eine organisationsökologische Betrachtung der Theorie des Sterbens von Organisationen
Hochschule
Zeppelin University Friedrichshafen  (Lehrstuhl für Strategische Organisation und Finanzierung)
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
51
Katalognummer
V142171
ISBN (eBook)
9783640514342
ISBN (Buch)
9783640512416
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Organizational Ecology, Netzwerktheorie
Arbeit zitieren
Johannes Lenhard (Autor:in), 2009, Mortalität und Vitalität – Eine organisationsökologische Betrachtung der Theorie des Sterbens von Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142171

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Titel: Mortalität und Vitalität –  Eine organisationsökologische Betrachtung der Theorie des Sterbens von Organisationen



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