Das Gottesurteil im Mittelalter und seine politische Einsatzmöglichkeit

Vergleich dreier Fallbeispiel


Term Paper (Advanced seminar), 2007

23 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Das Gottesurteil an sich
Grundlagen
Formen des Gottesurteils

Schilderung dreier exemplarischer Fälle
Das Gottesurteil beim Hoftag zu Steele, Mai 938
Das Gottesurteil zwischen Heinrich II und Hermann von Schwaben 1002
Das Verfahren gegen Otto von Northeim 1070

Zusammenfassung

Literatur
Quellen
Sekundärliteratur

Einleitung

Einem heutigen, rational denken Menschen dürfte die Praxis des Gottesurteils, wie sie im europäischen Mittelalter gelegentlich vollzogen wurde, befremdlich erscheinen. Augenscheinlich unterwerfen sich Menschen, die ein Gottesurteil anstreben, einer Kraft, die sie nicht beeinflussen können und für die es keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Der moderne Mensch würde, sofern es sich nicht um einen streng gläubigen Menschen handelt, den Ausgang eines Gottesurteils als Zufall betrachten. Man unterwirft sich ungern Zufällen, die das eigene Schicksal entscheiden sollen, sondern ist eher bestrebt, das eigene Glück in die eigenen Hände zu nehmen, nachdem man die Erfolgsaussichten basierend auf der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten abgewägt hat.

Die Menschen des Mittelalters haben das offenbar etwas anders gesehen. Möglicherweise herrschte in einer Zeit, in der es für viele unerklärbare Vorgänge noch keine wissenschaftlichen Erklärungen gab, das Bedürfnis, hinter „Zufällen“ eine allwissende und allmächtige Macht zu sehen, die manipulierend eingreift und das Schicksal in seine vorherbestimmten Bahnen lenkt. Wie könnte man sich sonst erklären, dass Menschen das Risiko von bleibenden Verletzungen und Verstümmelungen bewusst in Kauf nehmen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen oder Behauptungen unter Beweis zu stellen? Warum sollte man sich sonst einer so großen Gefahr grausamer Folgen aussetzen, wenn nicht, weil man sich seiner Sache sicher ist, also im Grunde, vertrauend auf Gottes Gerechtigkeit, gar kein Risiko eingeht?

Generell gesehen dienen die Gottesurteile von ihrem Charakter her grundsätzlich erstmal der Wahrheitsfindung, soweit sind sich die Historiker, die sich mit den Quellen über die mittelalterlichen Ordale beschäftigt haben, einig. Die Rechtstexte des Mittelalters, wie der Sachsenspiegel oder die Leges Salica, Burgundionum oder Thuringorum, sehen speziell geartete Rituale als Beweismittel oder zur Wahrheitsfindung vor, die heute unter dem Sammelbegriffen „Gottesurteil“ oder „Ordal“ gefasst werden. Viele Ordale werden sicherlich auch von gläubigen Christen aus genau diesem Grund eingegangen worden sein. Dennoch wirft die Beschäftigung mit Quellen, in denen von Gottesurteilen berichtet wird, die Frage auf, ob diese nicht zeitweilig auch instrumentalisiert wurden. Im folgenden soll anhand von drei ausgewählten Fällen in mittelalterlichen historiografischen Quellen nachgeprüft werden, ob in diesen speziellen Fällen tatsächlich die Wahrheitsfindung im Vordergrund stand, oder ob das Ordal möglicherweise als politisches Machtmittel eingesetzt worden ist.

Im ersten Teil dieser Arbeit soll vorweg die Praxis des Gottesurteils kurz beschrieben werden. Dabei wird auf die verschiedenen Formen und ihren Einsatz in der Rechtspraxis und auf die geschichtliche Entwicklung, sofern sie für die Fragestellung relevant ist, eingegangen.

Im zweiten Teil werden drei Fälle von Gottesurteilen näher betrachtet und die Fragestellung anhand dieser Beschreibungen untersucht.

Der Umfang der Arbeit erfordert bei beiden Teilen einige Einschränkungen. So handelt es sich bei den drei betrachteten Fällen um Ereignisse aus dem Frankenreich in der Zeit von 938 bis 1070. Auf die Vorgehensweise in anderen Ländern Europas oder gar aus anderen Kulturkreisen, in denen Gottesurteile ebenfalls zur Rechtspraxis gehörten, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ebenfalls vernachlässigt werden Gottesurteile aus anderen geschichtlichen Epochen, beispielsweise aus der Antike. So müssten genau genommen auch Ehrenduelle, wie sie von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert hinein in Europa und den europäischen Kolonien Amerikas verbreitet waren, aufgrund ihres Charakters zu den Gottesurteilen gezählt werden. In dieser Arbeit geht es jedoch speziell um die Praxis der Gottesurteile des hochmittelalterlichen Frankenreiches.

Im einzelnen werden im zweiten Teil der Arbeit die folgenden Fälle betrachtet:

1. Ein im Mai 938 von Otto I angeordnetes Gottesurteil zwischen Eberhard von Franken und Bruning von Sachsen, welches in Widukind von Corveys Sachsengeschichte beschrieben wird.
2. Das Gottesurteil zwischen Heinrich II und Hermann von Schwaben im Rahmen der Streitigkeiten um die Königswahl 1002, beschrieben in der Chronik des Thietmar von Merseburg.
3. Ein 1070 von König Heinrich IV angeordnetes Gottesurteil zwischen Otto von Northeim und Egino von Konradsburg, beschrieben in den Annalen des Abtes Lampert von Hersfeld.

Allen drei Ordalen ist gemein, dass es sich jeweils um Gottesurteile durch Zweikampf handelt. Dies ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit.

Das Gottesurteil an sich

Grundlagen

Wenn man Gottesurteile näher betrachten will, ist es zuallererst notwendig sie deutlich von den Orakeln und Auspizien zu unterscheiden. Zwar stellen auch letztere eine Art Urteil Gottes dar, doch ist die Intention eine andere, als bei den Gottesurteilen. Während die Orakel auf die Zukunft gerichtet sind, also etwa das Gelingen einer Unternehmung im Voraus offenbaren sollen, sind Gottesurteile rückwirkend wirksam. Sie sollen die Wahrheit zu einem in der Vergangenheit stattgefundenen Vorgang oder einer Tat, für die es keine ausreichenden Beweise gibt, im Nachhinein offenkundig machen.[1]

„Grundlage des Gottesurteils ist der Glaube an den Sieg des guten Rechts.“[2] Um einen Einblick in die Logik hinter den Gottesurteilen zu gewinnen, muss man sich ein Stück weit in die Mentalität der mittelalterlichen Menschen hinein versetzen. Für den mittelalterlichen Menschen ist die Ordnung in der Welt das, worauf der Frieden beruht. Diese Weltordnung ist von Gott gewollt. Stört jemand diesen Frieden, z.B. indem er ein Verbrechen begeht oder auch nur die Unwahrheit sagt, so begeht er damit einen Frevel gegen die göttliche Weltordnung, ja gegen Gott selbst.[3] Gott selbst hat also ein Interesse daran, den Missetäter in einem Verfahren zu entlarven und auf diesem Wege seiner Strafe zuzuführen. Daher sind Gottesurteile nicht zuletzt religiös motiviert und werden in einem religiösen Ritual abgehalten. „Wasser, Eisen, Käse, was immer herangezogen wurde, wurde vor Beginn des Gottesurteils gesegnet und somit geweiht. Mit dem Gottesurteil wurde oft eine Messe verbunden. Nach der Messe wurde der, der dem Gottesurteil unterzogen wurde, mit Gesängen zu dem Ort geführt, an dem es stattfinden sollte; dort musste er schwören unschuldig zu sein.“[4]

Formen des Gottesurteils

Das Mittelalter kannte verschiedene Arten von Gottesurteilen. Ihr Einsatz und ihre Durchführungsmethoden sind in den verschiedenen Volksrechten und Kapitularen, zum Teil auch in den Liturgien, niedergeschrieben. Es gibt sowohl sanfte wie auch harte Gottesurteile. Die sanften Ordale zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Regel keinen Schaden bei demjenigen, der sich ihnen unterwirft, bewirken. Zu den wichtigsten sanften Methoden zählen Losverfahren, Kreuzprobe und Käseessen. Das Losverfahren wurde zumeist angewendet, wenn es aus einer Vielzahl von möglichen Tätern den richtigen zu ermitteln galt. Kam es z.B. im Rahmen eines Aufstandes zu Tötungen und der Täter konnte nicht genau festgestellt werden, konnten bis zu sieben Männer angeklagt werden. Diese konnten sich nun ihrerseits mit jeweils zwölf Eidhelfern freischwören. Danach wurden sie zur Kirche geführt und mussten, jeder für sich, zwei Lose, von denen eines mit einem Kreuz versehen war, auf den Altar werfen. Zog ein Priester das Los mit dem Kreuz, war der Betreffende frei von Schuld. Zog er das andere Los, wurde ein spezielles Los für den entsprechenden Beschuldigten angefertigt. Am Ende wurde aus allen so hergestellten Losen erneut gezogen und der, dessen Los als letztes übrig blieb, war als Schuldiger ermittelt.[5]

Die Kreuzprobe war hauptsächlich als Probe zur Wahrheitsfindung und beim Meineid vorgesehen. Sie war außerdem die Probe der Geistlichen und derer, die nicht kämpfen konnten.[6] Um sie durchzuführen, stellten sich die beiden Personen, die sich gegenseitig des Meineids oder des falschen Zeugnisses beschuldigten, voreinander auf und spreizten ihre Arme vom Körper ab. Derjenige, der seine Arme zuerst sinken ließ, galt als der Lüge überführt.

Die Käseessen diente ebenfalls der Wahrheitsfindung. Ihr konnte sich unterziehen, wer der Lüge beschuldigt wurde. Der Pröbling erhielt dann ein Stück Käse, welches er in den Mund nahm und zu schlucken hatte. Gelang dies nicht, war auch hier der Pröbling der Lüge überführt.[7]

Die wichtigsten Formen des harten Gottesurteils sind Eisenprobe, Pflugscharengang, Wasserprobe, Kesselfang, Kaltwasserprobe und Zweikampf.

Bei der Eisenprobe wurde ein speziell gefertigtes Eisenstück in einer Esse bis zum Glühen erhitzt. Diese musste dann vom Probanden über eine bestimmte Strecke in einer oder beiden Händen getragen werden. Danach wurde die verbrannte Hand verbunden und die Verbände versiegelt. Nach einem vorher festgelegten Zeitraum wurden die Verbände wieder geöffnet und die Wunden beurteilt. Je nachdem, in welchen Zustand sie sich befanden, also ob sie entzündet oder sauber waren, war der Proband schuldig oder frei von Schuld.

Ganz ähnlich verlief der Pflugscharengang. Der Proband musste mit nackten Füßen über neun oder zwölf glühende Pflugscharen schreiten. Danach wurden die Füße verbunden, versiegelt und die Brandmale nach verstreichen einer gewissen Zeit wie bei der Eisenprobe untersucht. Dies war die wichtigste Probe für freie Frauen, die eines Vergehens gegen ihren Mann verdächtigt wurden.[8]

Die Wasserprobe, welche ähnlich ablief, ist in nahezu sämtlichen mittelalterlichen Volksrechten bekannt und findet weit verbreitete Anwendung. In einen Kessel mit siedenden Wasser werden ein oder mehrere Ringe oder Kieselsteine geworfen, welche dann von dem oder den Probanden mit der Hand herausgefischt werden mussten. Auch hier entschied der Zustand der Wunden über Schuld oder Unschuld des Probanden.[9] Interessant ist, dass die Wasserprobe in den meisten mittelalterlichen Volksrechten für Unfreie oder „Sklaven“ vorgesehen ist, bzw. für solche Probanden, denen eine Widerholungstat vorgeworfen wurde.[10] Ähnlich geartet ist der Kesselfang, bei dem der Proband einen Kessel mit kochendem Wasser auffangen musste. [Dieses Gottesurteil wurde gern im Zusammenhang mit Hexenproben durchgeführt. ß Beleg finden!]

Die Kaltwasserprobe war ebenfalls eine Probe, die verwendet wurde, um Hexen oder Ketzer zu identifizieren. Dem Probanden wurden Hände und Füße gebunden. Danach wurde er auf das Wasser eines Sees oder Teiches gelegt und es wurde geprüft, ob er schwimmt oder untergeht. Schwamm er an der Oberfläche, war dies der Beweis, dass Gottes reines Element ihn nicht aufnehmen wollte und er somit der Ketzerei oder Teufelsanbetung schuldig war. Ging er jedoch unter, war dies ein Indiz für seine Unschuld.

Sämtlichen oben geschilderten harten Proben ist eine Besonderheit gemein. Sie alle nutzen die Elemente Wasser oder Feuer als Mittel zur Wahrheitsfindung oder Beweisführung. Ebenfalls allen gemein ist, dass sich die Elemente im Unschuldsfall nicht so verhalten, wie sie es normalerweise tun sollten. Feuer verbrennt den Probanden nicht, bzw. hinterlässt nur saubere Spuren. Wasser lässt einen Körper nicht untergehen sondern an der Oberfläche treiben.

Als das Gottesurteil schlechthin muss allerdings der Zweikampf angesehen werden. Seine genaue Durchführung ist je nach Region, geltendem Gesetz und Zeit unterschiedlich. Während in den Kapitularien Karls des Großen gelegentlich von Zweikämpfen mit Stock und Schild die Rede ist, fordern andere Gesetze oder Machthaber den Kampf mit scharfen Waffen, der oftmals den Tod des Besiegten nach sich zieht.[11] Zweikämpfe unterscheiden sich von den anderen Ordalen in mehrer Hinsicht. Zum einen ist der Zweikampf von seiner Natur aus zweiseitig. Er eignet sich daher vorzüglich dazu eine Entscheidung in einem Streit zweier Parteien zu fällen, die sich gegenseitig eines Vergehens beschuldigen. Die übrigen, oben geschilderten Ordale sind einseitig. Sie dienen daher auch in erster Linie dazu, den Beweis über Schuld oder Unschuld eines Verdächtigen zu erbringen. Der eines Verbrechens beschuldigte kann sich mittels Gottesurteil vom Verdacht reinigen.[12] Der zweite Unterschied besteht in der Auffassung von Gottes Wirken bei einem Gottesurteil. Bei den übrigen Ordalen, wirkt Gott eher passiv. Er versetzt den Probanden in einen Zustand, in dem er das Ordal nicht bestehen kann. Gott versetzt den Probanden in Angst, so dass er den Käse nicht schlucken kann bzw. versetzt ihn in einen Zustand, in dem ihm das Feuer nichts anhaben kann.

[...]


[1] Vgl. Nottarp S. 9.

[2] Nottarp S. 11.

[3] Vgl. Nottarp S. 3.

[4] Nitschke S. 208f.

[5] Vgl. Köbler S. 97.

[6] Ebd. S. 99.

[7] Vgl. Nitschke S. 207.

[8] Vgl. Köbler S. 96.

[9] Vgl. Nitschke S. 203.

[10] Vgl. Köbler S. 93-96.

[11] Vgl. Nietschke S. 209f.

[12] Vgl. Nottarp S. 9.

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Details

Title
Das Gottesurteil im Mittelalter und seine politische Einsatzmöglichkeit
Subtitle
Vergleich dreier Fallbeispiel
College
University of Hamburg  (Fachbereich Geschichte)
Course
Gewalt im frühen Mittelalter
Grade
2,0
Author
Year
2007
Pages
23
Catalog Number
V142349
ISBN (eBook)
9783640514694
ISBN (Book)
9783640515264
File size
481 KB
Language
German
Keywords
Mittelalter, Ordal, Heinrich II., Gewalt, Gottesurteil
Quote paper
Marc Drozella (Author), 2007, Das Gottesurteil im Mittelalter und seine politische Einsatzmöglichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142349

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