Bedeutungen und Funktionen des Terminus 'ousia' bei Aristoteles


Travail d'étude, 2008

20 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aspekte und Arten der ousia bei Aristoteles
2.1 Die ousia als vorrangig Seiendes
2.2 Die ousia als Form und Materie (morphe und hyle)
2.3 Die ousia als das Zugrundeliegende (hypokeimenon)
2.4 Die ousia als Wesenswas oder Essenz (to ti en einai)

3. Kann Allgemeines Substanz sein?

4. Kritische Betrachtung der Substanztheorie

5. Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Untersuchung des Seienden - als eine zentrale Frage seit den Anfängen der Philosophie überhaupt - in den Büchern VII-IX (Zeta, ta, Theta) der Metaphysik des Aristoteles beschäftigt sich mit der hauptsächlichen Frage „Was ist das Seiende?“. Besonders die Suche nach dem Seienden als „[…] Seins- und Erklärungsgrund alles Seienden“ (Rapp 1996: 1) nimmt in diesen sog. Substanzbüchern eine zentrale Stellung ein, wobei die Frage nach dem Seienden auch die Frage nach der Substanz sein muss. Dabei wird von Aristoteles der Versuch einer Definition der ousia als Wesen oder Substanz im Kontext abstrakter, autonom existierender Universalien als Ursache und Erkenntnisgegenstand von Eigenschaften unternommen.

Aristoteles als Begründer der Metaphysik[1] (neben Platon) vertritt im Rahmen des Projekts, das Seiende als Seiendes zu untersuchen, die Auffassung, dass alles Seiende entweder eine Substanz ist oder auf eine bezogen ist; er thematisiert die Substanz, um nach den Prinzipien und Ursachen der Dinge, d. h. aber nach der Substanz bzw. nach den Konstituentien eines konkreten Einzeldings zu suchen. Dem Aspekt der Unterscheidung der Substanz von ihren Akzidentien (kata symbebekos legomenon) kommt hierbei eine große Bedeutung zu - aus diesem Zusammenhang lässt sich die ousia als das vorrangig Seiende ableiten.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, Bedeutung und Funktion des Begriffs der ousia im Kontext der Metaphysik als eine Seinslehre des Aristoteles darzustellen und gleichzeitig Aristoteles’ Behauptung, die (erste) Substanz der Dinge sei immer etwas Einzelnes auf eine begründete Verbindung zwischen dem gemeinsamen Allgemeinen und der einzelnen Substanz hin zu untersuchen. Nachgegangen wird weiterhin der Frage nach der Substanz als dem dreifach[2] vorrangig Seienden im Rahmen der Wissenschaft vom Wesen, insofern für Aristoteles die Bedeutung der ousia eine doppelte ist: die der Einzeldinge (individuelle Substanz – prote ousia) und die der allgemeinen Wesen (deutere ousia[3], beide in ihrer Form eines Für-sich-Seins.

Ausgehend von seiner Theorie des Hylemorphismus, welche besagt, dass Dinge aus den zwei Komponenten Materie (hyle) und Form (morphe) bestehen, wird dargelegt, dass dieser Dualismus von Materie und Form für Möglichkeit und Wirklichkeit steht und somit zu der bedeutenden Aussage führt, dass Einzelnes und Allgemeines mithilfe dieser Theorie eine Verbindung eingehen können. Die Lehre von Materie und Form verbindet Aristoteles zu der Synthese des Werdens im eidetisch-teleologischen Sinne.

Eine kritische Betrachtung soll versuchen, Aristoteles’ Werk im Kontext moderner Forschung zu beurteilen und die Bedeutung seiner Abhandlungen und deren entscheidende Einflussnahme auf das abendländische Denken darzustellen. Ein abschließender Ausblick zeigt Aristoteles’ Werk als einen heute noch bzw. wieder stark diskutierten Text, welcher in den letzten Jahren sowohl zu vielen verschiedenen neuen Interpretationsansätzen als auch Standpunkten führte. Diese neuen Ansätze reflektieren den heutigen Stand der Forschung.

2. Aspekte und Arten der ousia bei Aristoteles

2.1 Die ousia als vorrangig Seiendes

Und die Frage […], was das Seiende ist, bedeutet nichts anderes als,

was das Wesen ist“ (Met. Z1, 1028b)

Unter Berücksichtigung sprachlogischer Aspekte bei der Bestimmung des Begriffes der ousia ist festzustellen, dass es sich um ein griechisches Wort der Umgangssprache handelt, das bedeutet, das ousia nicht von vornherein - im Gegensatz zum lat. ens/essentia - ein philosophischer Begriff war. Ousia als Wortbildung geht auf das Partizip zu „einai - sein“ zurück; hierbei ist es jedoch schwierig, eine passende entsprechende Übersetzung zu finden. Im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen substantia und essentia des Boethius[4] kann man feststellen, dass der Begriff der substantiellen Form des Aristoteles nicht der substantia, „[…] da sie Ursache des Seins des Individuums ist“ (Graeser 1992: 215) und auch nicht der essentia entspricht, welche das Allgemeine bezeichnet.

Eine frühere Substanztheorie entwickelt Aristoteles in den Kategorien, deren Inhalt der traditionellen Deutung gemäß genau gegenteilig zu denen der Substanzbücher ausfällt. Andererseits lassen sich gerade in diesem Zusammenhang bedeutsame Kontinuitäten beider Schriften feststellen. Durch Überarbeiten und Modifizieren gelang es Aristoteles, den bis dahin undifferenzierten Ansatz der ousia der Kategorien in eine weiterentwickelte ousia-Konzeption zu überführen.

Die Frage nach der Substanz in den Kategorien erfordert die Differenzierung in Bezug auf die logische und die ontologische Bestimmung des Begriffes. Im logischen Kontext spricht man von der primären Substanz als das, was nicht vom Zugrundeliegenden (hypokeimenon) ausgesagt werden kann. Die ontologische Bestimmung der ousia ist die des unabhängigen Existierens im Unterschied zu den Eigenschaften, welche auf die Substanzen als Träger angewiesen sind. Die zweiten ousiai bringt man mit den Art- und Gattungsbegriffen[5] in Zusammenhang, nennt man die Substanz nun zweite Substanz als die Art (eidos), in welcher sich die primären Substanzen befinden. Diese zweiten Substanzen sind nicht in einem anderen befindlich. Das bedeutet, alle nicht-substantialen Bestimmungen bedürfen einer Substanz, von der sie abhängig sind. Sie können von der primären ousia prädiziert werden, was deren „Wasbestimmtheit“ zum Ausdruck bringt und „[…] erweisen sich daher stets als Wesensaussagen“ (Fonfara 2003: 20). Die primäre Substanz liegt allem Seienden zugrunde (vgl. Kat. 5, 2b38) und nimmt hierbei eine Vorrangstellung ein, insofern sie weder von einem anderen ausgesagt wird noch sich in einem anderen befindet. Aus ontologischer Perspektive definiert Aristoteles in den Kategorien also das Einzelne als erste Substanz (prote ousia) - „[…] gibt es nicht die Wesen im ersten Sinn, dann gibt es unmöglich etwas anderes“ (Kat.: 15), das Allgemeine hingegen als zweite Substanz (deutere ousia) - „[…] von den Wesen im zweiten Sinn ist die Form mehr Wesen als die Gattung“ (ebd.). Das bedeutet, die Art weist aufgrund ihrer größeren Nähe zum Einzelnen die größere Realität auf - deshalb ist sie mehr Substanz als die Gattung.

Die zweite Substanz macht durch ihr eidetisch-beständiges Allgemeines[6] das eigentliche „Wassein“ des Einzelnen aus, macht die primäre Substanz erst zu dem, was sie ist. Zusammenfassend kann man feststellen, dass beide ousia-Arten „[…] wechselseitig aufeinander bezogen“ (Fonfara 2003: 35) sind.

Bei Platon stellt der Begriff der ousia als allgemeine Idee das allem Sein gegenüber primär Seiende dar; von der ousia hängt alles Seiende in seinem Sein ab. Aristoteles’ Aussage über die ousia als das bestimmbare, numerisch unteilbare Einzelwesen[7] (tode ti) zeigt diese als unbedingte erste Ursache aller Dinge bzw. der allen Ursachen vorausgehende Seinsgrund auf. In den Kategorien kommen der Substanz die Bestimmungen zu - sie existiert selbstständig.

Die Bestimmungen als veränderliche Abstraktionsbegriffe bzw. Akzidentien[8] können hingegen nur an bzw. mit diesen Substanzen existieren, welche als materielle Träger von Eigenschaften auch bei deren Veränderung erhalten bleiben. Die Akzidentien sind das an den Substanzen Wechselnde, das „Zukommende“, jedoch nicht im Sinne von zufällig. Die ousia als das eigentlich Seiende hervorhebend, erlangt Aristoteles mittels einer Gegenüberstellung von Substanzen und nicht-substantialer Kategorien die Erkenntnis, dass ousia das einzig Seiende ist. Im Sinne der Kategorien ist jedes Seiende durch das einzelne Ding - die ousia - seiend und somit das vorrangig vorliegende Seiende. Diese Bestimmung der ousia wird auch in der Metaphysik beibehalten (vgl. Met. Z1). Aristoteles’ Bestreben war es, „[…] eine einheitliche, die Differenz von erster und zweiter Substanz relativierende Theorie“ (Höffe 1996: 175) zu suchen und diese im Kontext der Spannung zwischen Erkennbarkeit und Selbstständigkeit einzusetzen.

Der deutlichste Unterschied zwischen beiden Konzeptionen macht sich an der Tatsache fest, dass Aristoteles in der Metaphysik nicht mehr zwischen erster und zweiter Substanz unterscheidet, sondern das konkrete Einzelding wird in die beiden Aspekte Form und Materie aufgespalten. Ausgeschlossen von den Substanzen wird in der Metaphysik der Bereich der Gattungen, weil Allgemeines nicht Substanz sein kann.

Im Hinblick auf die Bestimmung der ousia als primäre Substanz müssen von den jeweiligen ousia-Kandidaten drei Kriterien zwingend erfüllt werden: das Seiende muss sich als Zugrundeliegendes (hypokeimenon) erweisen, ein bestimmtes Einzelwesen (tode ti) sein sowie selbstständig und definitorisch abtrennbar (choriston) für sich existieren können.

In der Metaphysik unterscheidet Aristoteles das Seiende der ersten ousia von dem restlichen Seienden, d. h. den Akzidentien (Met. Z1, 1028a). Menschen, Tiere, Pflanzen etc. sind seiend, während Farben, Größen, Relationen etc. eine inhärente Existenz aufweisen. Die Bestimmung der ousia als erstes Seiendes zeigt, dass diese Bestimmungen nicht unabhängig von der ousia bestehen können, denn diese verbleibt als Träger akzidenteller Änderungen als selbständig existierend und wird immer ontologisch und logisch-grammatisch vorausgesetzt.

Die dreifach vorrangige Seiendheit der ousia stellt Aristoteles in den Kontext der Prioritätskategorien der Definition, der Erkenntnis sowie der Zeit. Die Definition beschreibt eine Erklärung eines Dinges, welche stringent die erste Seinsweise des aktuellen Einzelwesens, d. h. die Kategorie der eigenen Seinsweise, enthalten muss. Die Erklärung zeigt das Sein für die jeweilige Sache an; das „Was–es-ist“ ist die Erkenntnis über die Seinsweise des Einzelwesens bzw. das Vorliegen einer bestimmten zugehörigen Wesensdefinition. Die wichtige Reihenfolge der Abhängigkeit aller anderen Seinsweisen von der uneingeschränkten, vorrangigen ousia bezeichnet Aristoteles mit der Priorität der Zeit. Vorrangig deshalb, weil die Akzidenzien nicht abgetrennt von dieser ousia existieren und somit auch nicht zeitlich früher bestehen können. Allerdings ist diese dreifache Terminologie nicht ohne Problematik, da sie sich „[…] zu anderen Stellen nicht ganz konsistent“ (Rapp 1996: 35) verhält.

[...]


[1] Bei Aristoteles als „Erste Philosophie“ bezeichnet.

[2] Der Zeit (chrono), der Erkenntnis (gnosei) und der Definition (logo) nach.

[3] Vgl. Kat.: 15

[4] In der Contra Eutychen et Nestorium thematisiert.

[5] Z. B. Mensch als Begriff für die Gattung vernünftiger Lebewesen.

[6] Z. B. beim Menschen das wesentliche Menschsein.

[7] Z. B. dieser bestimmte Mensch.

[8] Griechisch: symbebekos - das Zusammenkommende.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Bedeutungen und Funktionen des Terminus 'ousia' bei Aristoteles
Université
University of Hagen
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
20
N° de catalogue
V142576
ISBN (ebook)
9783640519361
ISBN (Livre)
9783640521708
Taille d'un fichier
430 KB
Langue
allemand
Mots clés
Aristoteles, Substanz, ousia, Substanzlehre, Kategorien, Metaphysik
Citation du texte
Silke Piwko (Auteur), 2008, Bedeutungen und Funktionen des Terminus 'ousia' bei Aristoteles, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142576

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