Natürlich gibt es Geschichtsschreibung nicht erst seit dem 19. Jahrhundert. Kommentierte Herrscherlisten, astronomische Kalender, landwirtschaftliche Aufzeichnungen gab es schon in der Antike – auch das war Geschichtsschreibung. Doch war sie hier rein pragmatischer Natur, ohne methodischen oder theoretischen Hintergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts begann man schließlich, die Vergangenheit unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten und eine systematische Methodik zu entwickeln. Auch begann nun die Geschichte sich als akademisches Fach zu etablieren, anfangs noch als Hilfswissenschaft anderer Bereiche, letzten Endes aber als autonome Disziplin.
Ihren Ausgang nahm diese Entwicklung mit den preußischen Reformen Anfang des Jahrhunderts unter Wilhelm von Humboldt mit der Einführung eines wissenschaftlich-methodischen Konzeptes für die Geschichtsschreibung – dem Historismus. In Niebuhrs „Römische Geschichte bis 241 v. Chr.“ wurde 1812 dieses Konzept zum ersten Mal angewendet, und etwas später stellte Leopold von Ranke seine quellenkritische Methode vor. Ende des 19. Jahrhunderts kommt es dann allerdings zu einem heftigen Methodenstreit innerhalb der noch jungen Geschichtswissenschaft, deren deskriptive Methode ganz eklatant infrage gestellt wird – der Historismus gerät in eine Krise, in deren Folge man sich gezwungen sieht, sich auf die Suche nach einer neuen Historik zu begeben.
Aber warum ist das eigentlich so wichtig? Warum spielen Theorie und Methodik in der Geschichtswissenschaft eine so große Rolle, besonders in der politisch unruhigen und beinah instabilen Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert herum?
Die Antwort findet sich in den Funktionen, welche Geschichte in der menschlichen Gesellschaft einnimmt.
Da wäre an erster Stelle der Beitrag der Geschichte zum Verständnis und zur praktischen Behandlung der Gegenwartsphänomene zu nennen. Manche Dinge können nur im Kontext ihrer geschichtlichen Entwicklung verstanden werden (wie beispielsweise der deutsche Föderalismus). Vernünftiges politisches Handeln setzt historische Kenntnis voraus (ist aber keine zwingende Konsequenz).
Des Weiteren übt Geschichte eine nicht zu vernachlässigende soziale und politische Orientierungsfunktion aus, sie nimmt eine paradigmatische Rolle ein. Vereinfacht könnte man sagen: Die Vergangenheit dient als Beispielsammlung für die Gegenwart.
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Inhaltsverzeichnis
- 01: Einleitung
- 02: Die Zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus
- 03: Der Historismus als empirische Wissenschaft und seine Krise
- 03.1: Der Historismus als empirische Wissenschaft
- 03.2: Die Aufgabe des Geschichtsschreibers nach Humboldt
- 03.3: Die Krise des Historismus
- 04: Fazit - Die Suche nach einer neuen Historik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Entwicklung des Historismus im 19. Jahrhundert und seiner Krise an der Jahrhundertwende. Ziel ist es, die zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus aufzuzeigen, seine Etablierung als empirische Wissenschaft zu beleuchten und die Krise des Historismus anhand des Lamprecht-Streits zu untersuchen. Abschließend werden die Folgen für die Geschichtswissenschaft und ein Ausblick auf das 20. Jahrhundert gegeben.
- Entwicklung des Historismus aus der Aufklärung
- Etablierung des Historismus als empirische Wissenschaft
- Die Krise des Historismus an der Jahrhundertwende
- Die Suche nach einer neuen Historik
- Die Bedeutung von Theorie und Methodik in der Geschichtswissenschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung der Geschichtswissenschaft und ihre Entwicklung im 19. Jahrhundert. Sie zeigt auf, wie die Geschichte von einer pragmatischen Aufzeichnung zu einem wissenschaftlichen Fach wurde. Kapitel 2 behandelt die zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus und seine Abgrenzung zum aufklärerischen Rationalismus. Kapitel 3 geht näher auf die Etablierung des Historismus als empirische Wissenschaft ein, wobei die Rolle von Wilhelm von Humboldt und Leopold von Ranke hervorgehoben wird. Dieses Kapitel beleuchtet auch die Krise des Historismus, die durch den Methodenstreit am Ende des 19. Jahrhunderts ausgelöst wurde.
Schlüsselwörter
Historismus, Aufklärung, Empirische Wissenschaft, Geschichtsphilosophie, Quellenkritik, Methodenstreit, Lamprecht-Streit, Objektivität, Neue Historik, Jahrhundertwende
- Arbeit zitieren
- Christine Numrich (Autor:in), 2008, Auf der Suche nach einer neuen Historik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142606