Auf der Suche nach einer neuen Historik

Historismus, Positivismus und die Krise der Geschichtswissenschaft


Seminararbeit, 2008

13 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

01: Einleitung

02: Die Zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus

03: Der Historismus als empirische Wissenschaft und seine Krise
03.1: Der Historismus als empirische Wissenschaft
03.2: Die Aufgabe des Geschichtsschreibers nach Humboldt
03.3: Die Krise des Historismus

04: Fazit - Die Suche nach einer neuen Historik

Literaturverzeichnis

01: Einleitung

Natürlich gibt es Geschichtsschreibung nicht erst seit dem 19. Jahrhundert. Kommentierte Herrscherlisten, astronomische Kalender, landwirtschaftliche Aufzeichnungen gab es schon in der Antike – auch das war Geschichtsschreibung. Doch war sie hier rein pragmatischer Natur, ohne methodischen oder theoretischen Hintergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts begann man schließlich, die Vergangenheit unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten und eine systematische Methodik zu entwickeln. Auch begann nun die Geschichte sich als akademisches Fach zu etablieren, anfangs noch als Hilfswissenschaft anderer Bereiche, letzten Endes aber als autonome Disziplin.

Ihren Ausgang nahm diese Entwicklung mit den preußischen Reformen Anfang des Jahrhunderts unter Wilhelm von Humboldt mit der Einführung eines wissenschaftlich-methodischen Konzeptes für die Geschichtsschreibung – dem Historismus. In Niebuhrs „Römische Geschichte bis 241 v. Chr.“ wurde 1812 dieses Konzept zum ersten Mal angewendet, und etwas später stellte Leopold von Ranke seine quellenkritische Methode vor. Ende des 19. Jahrhunderts kommt es dann allerdings zu einem heftigen Methodenstreit innerhalb der noch jungen Geschichtswissenschaft, deren deskriptive Methode ganz eklatant infrage gestellt wird – der Historismus gerät in eine Krise, in deren Folge man sich gezwungen sieht, sich auf die Suche nach einer neuen Historik zu begeben.

Aber warum ist das eigentlich so wichtig? Warum spielen Theorie und Methodik in der Geschichtswissenschaft eine so große Rolle, besonders in der politisch unruhigen und beinah instabilen Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert herum?

Die Antwort findet sich in den Funktionen, welche Geschichte in der menschlichen Gesellschaft einnimmt.

Da wäre an erster Stelle der Beitrag der Geschichte zum Verständnis und zur praktischen Behandlung der Gegenwartsphänomene zu nennen. Manche Dinge können nur im Kontext ihrer geschichtlichen Entwicklung verstanden werden (wie beispielsweise der deutsche Föderalismus). Vernünftiges politisches Handeln setzt historische Kenntnis voraus (ist aber keine zwingende Konsequenz).

Des Weiteren übt Geschichte eine nicht zu vernachlässigende soziale und politische Orientierungsfunktion aus, sie nimmt eine paradigmatische Rolle ein. Vereinfacht könnte man sagen: Die Vergangenheit dient als Beispielsammlung für die Gegenwart.

Und zuletzt geht es um Legitimation und Kritik bestehender Verhältnisse. In diesem Sinne wird Geschichte benutzt als Instrument für ökonomische und politische Zwecke, was einerseits aufklärende Funktion haben – aber auch in Missbrauch enden kann.

Aus all diesen Gründen wird ersichtlich, warum Methodik für die Geschichtswissenschaft von so großer Relevanz war: Nur sie garantierte die notwendige Distanzgewinnung, und nur so kann verhindert werden, dass Geschichte zu einem reinen Instrument der zeitgenössischen Politik wird.

Im Rahmen dieser Arbeit, welche sich mit der Suche nach einer neuen Historik an der Jahrhundertwende beschäftigt, werde ich zunächst einmal die zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus klären, anschließend seine Entwicklung zur empirischen Wissenschaft genauer betrachten und letztlich die Krise der Historik am Beispiel des Lamprecht-Streits darstellen. In einem letzten Schritt werde ich dann auf die Folgen und Konsequenzen für die Geschichtswissenschaft eingehen und einen Ausblick auf das 20. Jahrhundert geben.

02: Die Zeitgeschichtlichen Grundlagen des Historismus

In einem ersten Schritt - welcher freilich noch sehr grob und ungenau ist und daher einer weiteren Differenzierung bedarf – lässt sich der Historismus als dem aufklärerischen Rationalismus mit seiner vernunft- und naturrechtlichen Orientierung entgegengesetzt beschreiben. Bei dieser verallgemeinernden Darstellung darf es aber natürlich nicht bleiben.

Trotz aller Gegensätze schafft die Aufklärung nämlich sogar in mehrfacher Hinsicht wichtige Grundlagen des Historismus, und das, obwohl diese Tradition gekennzeichnet ist von vollkommener „Ungeschichtlichkeit“[1]. Hier ging es nicht um historische Aspekte, um geschichtliche Ereignisse oder dergleichen, hier standen „theoretische Abstraktionen“[2] im Mittelpunkt des Denkens. Und dennoch: Selbst ein so durch und durch theoretisches Konstrukt wie die aufklärerische Naturrechtstheorie war schon als solche, noch jenseits ihres Inhaltes, fest verankert in einem ausgesprochen historischen Ereignis – der Etablierung des Bürgertums.

Insbesondere in der frühbürgerlichen Gesellschaft der schottischen Aufklärung war man sich darüber im Klaren, in welch geschichtlichem Kontext sich das eigene gedankliche Fundament befand und das man sich offensichtlich doch nicht einfach so von seinem historischen Hintergrund lösen konnte. Stattdessen bediente man sich der naturrechtlichen Argumente, um die neue bürgerliche Gesellschaft in eine allgemein anerkannte historische Theorie einzubetten.

Hier wird deutlich, welchen Umwälzungsprozessen die Erfahrungswelt der Menschen des 18. Jahrhunderts ausgesetzt war: Geschichte wird zu einem Schauplatz des Wandels, auf dem sich grundlegende soziale Veränderungen abspielen. Die Erfahrung des Fortschritts, und zwar eines der sämtliche Bereich des menschlichen Lebens ergreift und der mit der menschlichen Bedürfnisprädisposition begründet wird, die grundsätzlich die aktuellen Möglichkeiten, diesen Bedürfnissen zu begegnen, übersteigt, wird ein maßgebliches Kennzeichen dieser Epoche.

Gegenwart wird zu einer Situation des Mangels, den es zu überwinden gilt, und zwar in Richtung einer besseren Zukunft. Nun wird klar, warum dieser Fortschrittsbegriff herangezogen wurde zur „Begründung bürgerlicher Emanzipationsansprüche“[3].

Damit verbunden war selbstverständlich eine gravierende Veränderung der Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Geschichte meinte jetzt Fortschritt, und Zukunft „wird zu etwas qualitativ anderem als die jeweilige Gegenwart und alle Vergangenheit.“[4], zu einer Weiterentwicklung der Gegenwart, und damit zu etwas völlig Neuem. Auf keinen Fall konnte man nun mehr die Vergangenheit heranziehen, um aus ihr Lehren für die Zukunft zu ziehen, da diese immer etwas prinzipiell Neues mit sich brachte und es somit nichts Vergleichbares geben konnte. Die Geschichte verlor ihren Status als magistra vitae, gewann aber großes Gewicht im Bereich sozialer und soziologischer Argumentation.

Es lässt sich also zunächst festhalten, dass sich schon während der Aufklärung eine historisch geprägte Argumentation zu etablieren begann, die letzten Endes die Naturrechtstheorie verdrängen sollte, ohne die sie sich aber selbst kaum hätte entwickeln können. Wir sehen also schon hier, dass das naturrechtliche Denken der Aufklärung in gewisser Weise wenn schon nicht als Fundament, so doch gewiss als Katalysator für den Entwicklung des Historismus fungiert hat.

[...]


[1] Jaeger, Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung. Beck, München 1992, S. 12

[2] Ebenda

[3] Jaeger, Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung. Beck, München 1992, S. 13

[4] Ebenda

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Auf der Suche nach einer neuen Historik
Untertitel
Historismus, Positivismus und die Krise der Geschichtswissenschaft
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
„Politik und Philosophie von 1860 - 1914“
Note
2.0
Autor
Jahr
2008
Seiten
13
Katalognummer
V142606
ISBN (eBook)
9783640518494
ISBN (Buch)
9783640518715
Dateigröße
407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Suche, Historik, Historismus, Positivismus, Krise, Geschichtswissenschaft
Arbeit zitieren
Christine Numrich (Autor:in), 2008, Auf der Suche nach einer neuen Historik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142606

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