Die Verweigerung der Zeugen Jehovas im "Dritten Reich"


Seminararbeit, 2003

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Exkurs: Widerstandsterminologien
1.1 Nonkonformität / Dissidenz
1.2 Verweigerung
1.3 Protest

2. Das nonkonforme Verhalten und die Verweigerung der Ernsten Bibelforscher sowie die staatliche Repression durch die Nationalsozialisten
2.1 Wahlenthaltung
2.2 Verweigerung des Hitler-Grußes
2.3 Schriftenverteilung und Missionierung

3. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Da versuchte wohl Mancher in der Verzweiflung Widerstand und ob die Spinne nicht zu töten sei, warf zentnerige Steine auf sie, wenn sie vor ihm im Grase saß, schlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr, aber alles umsonst; der schwerste Stein erdrückte sie nicht, das schärfste Beil verletzte sie nicht, unversehens saß sie dem Menschen im Gesicht, unversehrt kroch sie an ihn heran. Flucht, Widerstand, alles war eitel. Da ging alles Hoffen aus, und Verzweiflung füllte das Tal, saß auf den Bergen“

(aus: Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne)

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich im Rahmen des Proseminars „Widerstand im Dritten Reich“ mit dem oppositionellen Verhalten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes. Die Zeugen Jehovas, als dessen Begründer der Amerikaner Charles Taze Russell gilt, halten sich für das älteste Volk der Welt, was sie durch Bibelstellen zu belegen wissen. Sie leiten aus ihrem Glauben bis heute die Anforderungen an das alltägliche Verhalten ab und sehen es als das fundamentale Ziel an, die strenge Auslegung der Endzeiterwartung den Menschen näher zu bringen. Die Gründungszeit fällt in das 19. Jahrhundert, als sich Amerika im Umbruch zwischen einem Agrar- zum Industriestaat befand und deutliche Verunsicherungen in Glaubensfragen auch aufgrund der Evolutionstheorie aufkamen. Die kontinentweite Ausbreitung der Glaubensrichtung begann 1900 mit einem Londoner Zweigbüro, die mit einem Werbefeldzug im Deutschen Reich ab 1903 fortgesetzt wurde. Zur Zeit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zählte die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die sich bis 1931 „Ernste Bibelforscher“ nannte, rund 25.000 Mitglieder. Übereinstimmend spricht die Forschung, deren Stand trotz günstiger Quellenlage eher defizitär ist und deren Lage sich in Bezug auf diese Thematik erst seit den 1990er Jahren verbesserte, von über 10.000 Inhaftierten, weiterhin von über 2.000 KZ-Insassen, von denen weit mehr als 1.200 zu Tode kamen und lediglich 250 wehrmachtgutachtlich verurteilt wurden.[1]

Diese Hausarbeit verfolgt das Ziel in Bezug auf die seminarimmanente Fragestellung, was unter Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu verstehen ist, in einem ersten Schritt anhand einer Einführung in die Widerstandsterminologie ein Untersuchungskriterium zu Grunde zu legen, anhand dessen im Anschluss die darzustellenden nonkonformen und verweigernden, aber dennoch nicht-umstürzlerischen Agitationsformen der Zeugen Jehovas zu messen sind.

Diese Überlegung und ebenso die Frage, warum die Ernsten Bibelforscher wie einflussreiche politische Feinde – trotz ihrer Selbstdefinition als unpolitische Gruppe – von dem nationalsozialistischen Apparat verfolgt wurden, wurden insbesondere nach eingehender Lektüre der Dissertation Detlef Garbes „Zwischen Widerstand und Martyrium“ sowie Hans Hesses Aufsatzsatzsammlung „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas“ angestoßen.[2] Hilfreiche Einblicke in die Widerstandsforschung und –definition bieten ferner die Aufsätze Dieter Langewiesches „Was bedeutet Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ sowie Detlev Peukerts Einteilung in „Alltag unterm Nationalsozialismus.“

1. Widerstandsterminologien

Der folgende Exkurs begründet sich a) aufgrund der Vieldeutigkeit des Widerstandsbegriffs sowie der sich daraus ergebenden problematischen Begriffsausdehnung über den bewusst intendierten politischen Widerstand hinaus, aber ebenso b) wegen der in der Fachliteratur[3] so benannten Schwierigkeit, dass sich die Haltung der Zeugen Jehovas „der in der Widerstandshistoriographie herrschenden Kategorisierung“[4] entzöge. Der Klärungsversuch ist wie dargestellt das anvisierte Ziel der vorliegenden Untersuchung und wird in Kapitel 3 verfolgt.

Schriebe man a) entsprechend den Widerstandskämpfern lediglich eine politisch-legitimatorische Absicht zu, wie es das Anliegen der Forschung bis in die 1960er Jahre war, fielen zahlreiche Handlungen aus dem zu engen Rahmen hinaus.

Bezeichnet man hingegen all diejenigen Verhaltensformen als Widerstand,

„in denen das NS-Regime als Ganzes abgelehnt wurde und Maßnahmen zur Vorbereitung des Sturzes des NS-Regimes im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des jeweils einzelnen Subjekts getroffen wurden“[5]

und fasst Widerstand dementsprechend als Oberbegriff für Einstellungen, Haltungen und Handlungen gegen das nationalsozialistische Regime auf[6], so lassen sich gleichfalls mit Blick auf die Glaubensgemeinschaft der Ernsten Bibelforscher eine Reihe von Unterbegriffen finden, die in der Lage sind, sowohl die persönliche Abwehr aber auch organisierte Formen des passiven und aktiven Widerstandes in sich zu subsumieren. In Anlehnung an Peukert, Langewiesche und Breyvogel lassen sich u.a. folgende Begriffe auflisten, die genau die Lücke zwischen punktueller Unzufriedenheit und offenem Widerstand, der nach Peukert an dem oberen Ende der Widerstandsskala anzusiedeln ist, zu schließen versuchen.

1.1 Nonkonformität / Dissidenz

Mit Blick auf die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas trifft man in der Fachliteratur immer wieder auf den nun zu kennzeichnenden Begriff der Nonkonformität, der oftmals mit der so genannten Dissidenz gleichsetzbar ist.[7] Diese Begriffe können definiert werden als das Phänomen der Abweichung von der herrschenden Meinung. Nonkonformes Verhalten entzieht sich dabei oftmals der polizeilichen Eingriffsschwelle, da es hier zunächst lediglich um die Aufrechterhaltung des eigenen sozialen Raumes geht. Dissidenz ist besonders gekennzeichnet durch Kontaktpflege und die Aufrechterhaltung alter Beziehungsnetze. Grundsätzlich wird auf dieser Stufe nicht das ganze politische Regime in Frage gestellt, auch wenn die Handlungen durchaus über die nur mentale Reserve hinaus gehen.

[...]


[1] Vgl. hierzu: Benz, Wolfgang: Kirchen – Selbstbehauptung und Opposition. In: Informationen zur politischen Bildung (243), S. 20 sowie Oleschinski, Brigitte: Religiöse Gemeinschaften im Widerstand. In: Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hg. v. Peter Steinbach und Johannes Tuchel. Bonn: 1994, S. 196.

[2] Die zugezogene Fachliteratur zollt der Haltung der Zeugen Jehovas während des nationalsozialistischen Regimes großen Respekt, trotzdem ist bei der Beschäftigung mit diesem Thema deutlich abzuwägen und vorab zu analysieren, welche Intention hinter den jeweiligen Untersuchungen steckt. Vor diesem Hintergrund fanden in dieser Hausarbeit vermeintlich einschlägige Internetquellen sowie Herausgeberschriften der Wachturmgesellschaft keine Beachtung.

[3] Mit Blick auf die unterschiedlichen Widerstandsdeutungen ab 1945 lassen sich folgende wesentliche Etappen benennen (vgl. Langewiesche: Was heißt Widerstand gegen den NS): Im Sinne der politisch-legitimatorischen Absicht, die in der BRD zwecks Identitätsstiftung verfolgt wurde, fand der Widerstand der katholischen Kirche, des 20. Juli 1944 aber auch der seit 1933 unterdrückten Arbeiterbewegung nur wenig Bedeutung, erst langsam ging der Blick über zu der moralischen Selbstbehauptung, was aber immer noch kein Entlastungsangebot zu bieten vermochte für diejenigen, die außerhalb des politischen Widerstands standen; der Widerstand von unten schien klar ausgegrenzt zu sein. Wichtig ist anzumerken, dass sich die Widerstandsforschung erst seit den 1960er Jahren gezielt um ein angemesseneres Widerstandsverständnis bemühte und sich nicht mehr nur auf bestimmte Kreise beschränkte. In eben diesen Kontext – auf welchem Punkt der Skala zwischen Anpassung und aktivem Widerstand siedelt man das Verhalten der Ernsten Bibelforscher an – passt der vorliegende folgende Exkurs.

[4] Lexikon des deutschen Widerstandes. Hg. v. Wolfgang Benz und Walter H. Pehle. Frankfurt (Main): 2001, S. 325.

[5] Peukert, Detlev: Alltag unterm Nationalsozialismus (=Beiträge zum Thema Widerstand, Heft 17). Berlin: 1981, S. 25.

[6] Vgl. Benz, Wolfgang: Widerstand: zur Definition eines schwierigen Begriffs. In: Informationen zur politischen Bildung (243), S. 8.

[7] Vgl. Breyvogel, Wilfried: Resistenz, Widersinn und Opposition. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. In: Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Hg. v. ders. Bonn: 1991, S. 9.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Verweigerung der Zeugen Jehovas im "Dritten Reich"
Hochschule
Universität Hamburg  (Philosophie und Geschichtswissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar Neuzeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V14263
ISBN (eBook)
9783638197205
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
allgemeine Widerstandsbegrifflichkeit und Einordnung des nonkonformen Verhaltens der Zeugen Jehovas
Schlagworte
Verweigerung, Zeugen, Jehovas, Dritten, Reich, Proseminar, Neuzeit
Arbeit zitieren
Catrin Ingerfeld (Autor:in), 2003, Die Verweigerung der Zeugen Jehovas im "Dritten Reich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14263

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