Ist die Gesellschaft an allem Schuld? Überlegungen zur primären und sekundären Devianz nach Edwin Lemert


Exposé (Elaboration), 2008

14 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Symbolischer Interaktionismus als theoretische Grundlage

3. Primäre und sekundäre Devianz

4. Verlaufsmodell einer kriminellen Karriere nach Lemert

5. Die Rolle der Gesellschaft

6. Überlegungen zum Erklärungsansatz von Lemert

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bis in den 1960er Jahren wurden in Deutschland die ätiologischen Ansätze zur Ursachenanalyse kriminellen Verhaltens nicht hinterfragt. Das änderte sich, als die Labeling-Perspektiven[1] in Deutschland bekannt und weiterentwickelt wurden. Systematisch formulierte sie erstmals Edwin M. Lemert 1951.[2] Sein Ansatz bezeichnet abweichendes Verhalten als ein Produkt von gesellschaftlichen Interaktions- und Reaktionsprozessen. Lemert problematisierte damit erstmals zahlreiche neue Dimensionen, die an der Bildung einer kriminellen Karriere beteiligt sein können.[3] Die bisherigen Ansätze erklärten Kriminalität stets von der Voraussetzung eines feststellbaren Unterschiedes zwischen konformen und nonkonformen Verhalten. Lemert sah jedoch nicht das individuelle Verhalten als Erklärung abweichender Verhaltensweisen, sondern die gesellschaftlichen Reaktionen, welche an das Individuum herangetragen werden. Plötzlich standen insbesondere die Institutionen der sozialen Kontrolle, wie z.B. die Polizei, Staatsanwälte,[4] Richter oder Sozialarbeiter als Verursacher krimineller Karrieren zur Debatte. Lemert stellte mit seinen Überlegungen die Täterzentriertheit radikal in Frage und löste eine jahrzehntlang andauernde Fachdiskussion und Weiterentwicklung der Labeling-Perspektiven aus. Nicht der deliquente Jugendliche mit seinen Erziehungsdefiziten hat Schuld an seinem devianten Verhalten, sondern erst die Polizei, das Jugendamt oder der Bewährungshelfer verhelfen ihm zur kriminellen Karriere. Letzendlich ist die Gesellschaft an allem Schuld?

Im ersten Kapitel wird zunächst der theoretischen Ausgangspunkt dargelegt. Anschließend wird der Erklärungsansatz von Edwin M. Lemert zum abweichendem Verhalten vorgestellt. Insbesondere seine primäre und sekundäre Devianz und sein Verlaufsmodell zu einer kriminellen Karriere werden detalliert erklärt. Im Folgendem wird die Rolle der Gesellschaft veranschaulicht, denn für Lemert kann die sekundäre Devianz nicht ohne die soziale Kontrolle verstanden werden. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung und Gesamtbewertung des Erklärungsansatzes von Lemert.

2. Symbolischer Interaktionismus als theoretische Grundlage

Nach Mead und später Blumer entwickelt sich der Mensch zu einem geistig begabten Individuum, welches zu selbst gestaltendem Handeln fähig ist. Über diverse wechselseitige Interaktionen mit signifikanten Anderen und einer eigenen Auseinandersetzung, bildet das Individuum ein Selbstbewußtsein (self). Das „self“ wird aus dem Produkt von „I“ und „me“ konstituiert, d.h. durch die Sichtweise seiner selbst (I) und der gesellschaftlich entgegengebrachten Einschätzung (me). Als Resultat der Interaktionen entsteht (neues) Handeln, die Beherrschung unterschiedlicher Rollen und insgesamt eine gelungene Sozialisation mit Befähigung zu sozialen Kompetenzen.[5] Die soziale Interaktion ist nur möglich, weil das Individuum fähig ist, durch interagieren mit sich selbst, auf einen Prozeß der Rollenübernahme einzugehen. Sobald ein Mensch eine Interaktion mit sich selbst eingeht, wird der Entwurf von neuen Handlungsplänen ermöglicht. In den Prozessen der Rollenübernahme kann das Individuum in den eigenen Handlungen die Aspekte der signifikanten Anderen mitberücksichtigen. In Interaktionen findet der Prozeß doppelt statt. Zum einen zeigt das Individuum wie die anderen handeln sollen und zum anderen werden selbst die Aspekte der anderen interpretiert. Der Mensch ist sowohl Handelnder als auch Reagierender, er antwortet auf seine Umwelt und läßt sich selbst anregen. Individuen innerhalb einer Sozialstruktur rufen damit gegenseitige Erwartungen in Bezug auf gegenseitiges Verhalten hervor. Sie schaffen so verinnerlichte Erwartungen in Bezug auf ihr eigenes Verhalten und entwickeln ein Selbst, das aus unterschiedlichen Identitäten und Rollen besteht. Die Identitätsbildung motiviert wiederum Kräfte, die zu einem Verhalten antreiben, welches die Rollen oder Identitäten darstellen.[6] Werden einem Individuum negative Definitionen zugeschrieben, so kann das zukünftige Verhalten dieser Person eine abweichende Identität entwickeln. Die „I“ Leistungen werden von den „me“ Definitionen verdrängt (vgl. Abb.1). Das „me“ verfestigt sich und damit die abweichende Identität.[7] Wie Lemert darauf seine Grundüberlegungen präzisierte, soll nachfolgend beschrieben werden.

[...]


[1] Unter dem Begriff der Labeling-Perspektive werden hier alle interaktionistischen Ansätze subsumiert.

[2] Es ist fachlich umstritten, ob Lemert oder Becker den devianzsoziologischen Ansatz zuerst nach Tannenbaum wieder aufgegriffen hat. Lemert hat ihn jedoch als erstes systematisch formuliert.

[3] Vgl. Peuckert, Rüdiger. S. 115

[4] Lediglich um den Lesefluss zu erleichtern, wird auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. Gemeint ist immer auch die weibliche Form.

[5] Vgl. Kraimer, Klaus. S. 26-31

[6] Vgl. ebd. S. 26-31

[7] Vgl. Ferchhoff, Wilfried/Peters, Friedhelm. S. 63 f.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Ist die Gesellschaft an allem Schuld? Überlegungen zur primären und sekundären Devianz nach Edwin Lemert
Université
University of Lüneburg  (Fachbereich Sozialwesen)
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
14
N° de catalogue
V142710
ISBN (ebook)
9783668349131
ISBN (Livre)
9783668349148
Taille d'un fichier
526 KB
Langue
allemand
Mots clés
gesellschaft, schuld, überlegungen, devianz, edwin, lemert
Citation du texte
Heike Meyer (Auteur), 2008, Ist die Gesellschaft an allem Schuld? Überlegungen zur primären und sekundären Devianz nach Edwin Lemert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142710

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