Seit Beginn der neuzeitlichen Ästhetik hat das Erhabene, komplementär zum Schönen, Anspruch auf den Status einer autonomen ästhetischen Kategorie erhoben. Als Bezugspunkt galt es im 18. Jhdt. denen, die eine Subversion normativ-klassizistischer Regelästhetiken anstrebten, während es für die Verteidiger einer monistischen Theorie des Schönen eine kontinuierliche Herausforderung darstellte. Die fortwährende, untergründige Aufmerksamkeit, welche der Konzeption des Erhabenen über diesen Zeitraum hinweg zuteil wurde, erlaubt es, gerade die Anfänge philosophischer Ästhetik treffend als eine Epoche der 'doppelten Ästhetik' zu bezeichnen. – Indem Immanuel Kant, der die Thematik bereits zuvor in seinen "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" (1764) behandelt hatte, der Analyse des Erhabenen einen Platz in seiner "Kritik der Urteilskraft" (1790) einräumte, wurde erstmals eine umfassende philosophische Konzeption des Erhabenen entwickelt, welche methodisch wie inhaltlich über die bisherigen, heterogenen Versuche hinauswies. Die "Analytik des Erhabenen" (KU, §§ 23 - 29) markiert somit einen Kreuzungspunkt in der begrifflichen Entwicklungsgeschichte desselben: sowohl bildet sie den Abschluß einer jahrhundertlangen Debatte, als auch die Basis für alle anknüpfenden Reflexionen zum Thema. Durch eine Interpretation dieses Textes ein detailgenaues Verständnis des Kantischen Erhabenen zu gewährleisten, soll das Ziel der vorliegenden Untersuchung sein. – Im Rahmen meiner Arbeit möchte ich zunächst (Abschnitt 1) die Abgrenzung des Erhabenen vom in der vorangegangenen "Analytik" (§§ 1 - 22) thematisierten Gefühl des Schönen, welche Kant in § 23 durch Extrapolation ihrer zentralen Differenzaspekte vornimmt, referieren. Im Anschluß (Abschnitt 2) sollen die soweit hervorgehobenen Charakteristika des Erhabenen durch eine detaillierte Strukturanalyse sowohl des Mathematisch- als auch Dynamisch-Erhabenen präzisiert, miteinander verknüpft und in ihrem Problemgehalt näher erläutert werden. Schließlich (Abschnitt 3) möchte ich die im Verlauf dieser Analyse sukzessiv hervortretende Affinität des erhabenen zum moralischen Gefühl, welche einen fundamentalen Risikofaktor für die ästhetische Autonomie des Erhabenen birgt, untersuchen, und durch eine gegenseitige Abgrenzung beider Gefühle die genuine Eigenständigkeit des letzteren als ästhetische Kategorie sicherstellen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Erhabene in Abgrenzung vom Schönen (§ 23)
- Gemeinsamkeiten von Erhabenem und Schönem
- Das Erhabene als, Unform‘.
- Die Bipolarität des Gefühls
- Die Ambivalenz der formalen Zweckmäßigkeit
- Subreption, Subjektivität und ontologischer Status
- Strukturanalyse des Erhabenen
- Das Mathematisch-Erhabene (§§ 25-27)
- Nominale Definition
- ,Absolute Größe als Grenzfall ästhetischer Größenschätzung
- ‚Unendliche Totalität als Denkgegenstand der Vernunft
- Synthese des Heterogenen? – Zum Verhältnis von Sinnlichkeit und Vernunft im Erhabenen
- Das Dynamisch-Erhabene (§§ 28/29)
- Furcht, Widerstand und Selbsterhaltung
- Apriorität durch Moralität?
- Das Mathematisch-Erhabene (§§ 25-27)
- Ethisierung des Ästhetischen? –
-\nZur Affinität von erhabenem und moralischem Gefühl
- Strukturelle Identität?
- Differenzen
- Ausblick: Die Relevanz des Erhabenen für die Moralität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer Interpretation der Kantischen „Analytik des Erhabenen“ aus der „Kritik der Urteilskraft“. Ziel ist es, ein detailgenaues Verständnis des Kantischen Erhabenen zu erlangen, indem der Text sorgfältig analysiert wird.
- Abgrenzung des Erhabenen vom Schönen
- Strukturanalyse des Erhabenen
- Unterscheidung zwischen Mathematisch- und Dynamisch-Erhabenem
- Die Affinität des Erhabenen zum moralischen Gefühl
- Sicherung der Eigenständigkeit des Erhabenen als ästhetische Kategorie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung bietet einen historischen Überblick über die Rezeption des Erhabenen von der Antike bis zu Kant. Sie hebt die Bedeutung von Kants „Analytik des Erhabenen“ als Abschluss einer lange andauernden Debatte und als Basis für spätere Reflexionen hervor.
Kapitel 1 befasst sich mit der Abgrenzung des Erhabenen vom Schönen. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Kategorien analysiert, wobei der Fokus auf der "Unform" des Erhabenen liegt. Kant argumentiert, dass das Schöne durch Qualität, das Erhabene jedoch durch Quantität evoziert wird.
Kapitel 2 bietet eine detaillierte Strukturanalyse des Erhabenen. Es werden die beiden zentralen Ausprägungsformen, das Mathematisch-Erhabene und das Dynamisch-Erhabene, anhand ihrer jeweiligen Definitionen und Charakteristika untersucht.
Kapitel 3 beleuchtet die Affinität des Erhabenen zum moralischen Gefühl. Es wird untersucht, ob es eine strukturelle Identität zwischen beiden Kategorien gibt, sowie welche Differenzen bestehen. Der Ausblick befasst sich mit der Relevanz des Erhabenen für die Moralität.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind die "Analytik des Erhabenen" von Immanuel Kant, die Abgrenzung des Erhabenen vom Schönen, die Struktur des Erhabenen, die Unterscheidung zwischen Mathematisch- und Dynamisch-Erhabenem, die Affinität des Erhabenen zum moralischen Gefühl sowie die ästhetische Autonomie des Erhabenen.
- Quote paper
- M.A. Björn David Herzig (Author), 2002, Negative Ästhetik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142914