Inter Christianos

Jüdisches Leben in deutschen Städten des Mittelalters aus archäologischer Sicht


Bachelorarbeit, 2009

89 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Anfänge und Fragen zur Kontinuität

2. Eine Stadt in der Stadt: Topographie jüdischer Siedlungen
2.1. Die Synagoge: Haus der Versammlung - Haus des Gebetes - Haus des Lernens
2.2. Die Mikwe: Der Juden kaltes Bad
2.3. Weitere Einrichtungen: Tanzhaus, Spital, Bäckerei
2.4. Der Friedhof: Ort der Ewigkeit
2.5. Ver- und Entsorgung

3. Chanukkia und Hochzeitsring: Jüdische Sachkultur im archäologischen Befund

4. Zum Verhältnis zwischen Juden und Christen im Mittelalter

5. Abschließende Bemerkungen

Quellen

Liste abgekürzt zitierter Literatur

Abbildungsnachweis

Einleitung

Shylock: Ich will mit euch handeln und wandeln, mit euch stehen und gehen, und was dergleichen mehr ist; aber ich will nicht mit euch essen, mit euch trinken, noch mit euch beten.

William Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig, 1. Aufzug, 3. Szene

Die oben zitierten Worte Shylocks, des mit sämtlichen Clichés versehenen und wohl bekanntesten Juden der westlichen Kulturgeschichte, illustrieren in ihrer Einfachheit das in keiner Weise einfache Zusammenleben von Juden und Christen, das stets zwischen bedingter Kooperation und massiver

Feindseligkeit changierte. Gerade im stark christlich dominierten Europa des Mittelalters führte die empfundene Fremdartigkeit des anderen Kultes zu einem ausgeprägten Misstrauen, das die verbindenden Aspekte häufig gänzlich überschattete. Diese waren jedoch von kaum geringerer Bedeutung, auch wenn sie bei der Betrachtung dieses schwierigen Verhältnisses häufig weniger zum Tragen kommen. In seiner Einleitung zu den Beiträgen des internationalen Symposium in Speyer zu Europas Juden im Mittelalter bemerkt Alfred Haverkamp, dass die Kultur der Juden in Europa während des Mittelalters nicht weniger europäisch sei als jüdisch.1 Diese Aussage beleuchtet die Tatsache, dass das Judentum einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Kultur Europas hatte und eine Betrachtung der Geschichte Deutschlands ohne dessen Einbeziehung wohl als unvollständig angesehen werden müsste. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung urbaner Siedlungen, denn die Judensiedlung, Judenstraße oder Judengasse prägte häufig in nicht geringem Maße das Stadtbild.

Die geographische Abgrenzung dieser Arbeit ist nicht unproblematisch, da über weite Strecken des Mittelalters kaum von Deutschland, ja nicht einmal von deutschen Landen die Rede sein kann. Die folgenden Ausführungen werden sich weitgehend auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik beschränken, auch wenn es sich hierbei um eine rein künstliche Demarkation handelt, die sich nur sehr bedingt auf die Verhältnisse des zu behandelnden Zeitraums übertragen lässt. Die zeitliche Abgrenzung wird durch die Tatsache erleichtert, dass die Geschichte der Juden in deutschen Städten mit dem Ausgang des Mittelalters vielerorts ein abruptes Ende fand. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten Worms und Frankfurt am Main, wo die Stadt eine zumindest für die christliche Seite akzeptable Alternative zu einer völligen Vertreibung fand. Bei der Frage nach den Möglichkeiten der archäologischen Erforschung jüdischer Kultur in deutschen Städten ergeben sich jedoch wiederum gewisse Probleme. Die jüdischen Bewohner einer mittelalterlichen Stadt unterschieden sich in ihrer Sachkultur, die nun einmal eine der Grundlegenden Quellengattungen der Archäologie darstellt, nur marginal von ihren christlichen Nachbarn. Anders als die Differenzierung sozialer Gruppen innerhalb eines städtischen Weichbildes können religiöse Minderheiten nur durch ein geringes Spektrum archäologischer Quellen erfasst werden. Im Vordergrund stehen hier solche Artefakte, die sich explizit mit religiös kultischen Handlungen in Verbindung bringen lassen. Im Falle des Judentums ist in erster Linie an Chanukka-Leuchter und Hochzeitsringe zu denken. Zuweilen finden sich auch Gefäße mit hebräischen Schriftzeichen oder jüdischen Symbolen. Neben der Sachkultur sind es auch die architektonischen Hinterlassenschaften, die Zeugnis über die Anwesenheit einer jüdischen Gemeinde ablegen. Im für diese Arbeit relevanten aschkenasischen Raum sind bis heute gut ein Dutzend mittelalterlicher Synagogenbauten im Originalzustand als Ruine, wie in Speyer, oder als Grabungsbefund bekannt. Für Letzteres sind unter anderem Worms, Regensburg und Köln zu nennen. Hinzu kommen weitere Bauten und Einrichtungen, die für das Funktionieren einer jüdischen Gemeinde unabdingbar waren. Hierzu zählen insbesondere das Rituelle Kaltbad, die Mikwe, und der Friedhof. In vielen Fällen verfügte die Gemeinde des Weiteren über ein Tanzhaus und ein eigenes Schlachthaus, Letzteres zur Gewährleistung der rituellen Reinheit des Fleisches. All diese der Archäologie zur Verfügung stehenden Quellen sind Indikatoren für das Vorhandensein einer jüdischen Gemeinde in einer Stadt. Nur selten finden sich Hinweise auf gewaltsame Auseinandersetzungen, wie sie in der Geschichtsschreibung ausführlich überliefert sind. So verweisen Brandschichten im Umfeld der Synagoge zu Worms möglicherweise auf den für 1348-50 überlieferten 'Judenbrand'2 und auch Schatzfunde wie jener von Erfurt sind Zeugen unsicherer Zeiten. Nahezu unmöglich scheinen relevante Aussagen zum jüdischen Alltagsleben, da sich die hierfür zur Verfügung stehenden Funde und Befunde wie erwähnt kaum bis gar nicht von jenen des christlichen Alltags unterscheiden.

Diesen wenig Erfolg versprechenden Umständen zum Trotz wurden gerade in den letzten Jahrzehnten vermehrt archäologische Untersuchungen innerhalb jüdischer Wohnquartiere vorgenommen, deren Ergebnisse anhand einiger prominenter Beispiele im Folgenden vorgestellt werden sollen. Zunächst soll jedoch die immer wieder gestellte Frage zur Kontinuität jüdischer Besiedlung in deutschen Landen aufgegriffen werden, wobei verstärkt auf Schrifthistorische Quellen zurückgegriffen werden muss. Den Schwerpunkt der Arbeit bilden die Topographie jüdischer Viertel, sowie die für den jüdischen Kult elementaren Einrichtungen. Von Bedeutung werden insbesondere die Fragen sein, welche Beiträge die archäologischen Untersuchungen jüdischer Viertel zu einem umfassenderen Gesamtbild jüdischen Lebens in deutschen Städten des Mittelalters leisten können und inwieweit sich die gewonnen Erkenntnisse zu einer Interpretation des Verhältnisses zwischen Juden und Christen heranziehen lassen. Der Sachkultur kann ob der geringen Menge an vorhandenem Material nur ein kurzes Kapitel gewidmet werden.

1. Anfänge und Fragen zur Kontinuität

Die Frage nach dem Beginn jüdischer Siedlungstätigkeit auf deutschem Gebiet beziehungsweise einer eventuellen Kontinuität zwischen Spätantike und Mittelalter wurde bereits vielfach gestellt, konnte jedoch bisher nicht befriedigend beantwortet werden. Ursache ist der Mangel an Quellen aus dem relevanten Zeitraum. Für die Spätantike ist dieser Mangel etwas weniger gravierend. Im Codex Theodosianus wird für das Jahr 321 Die Rückgängigmachung eins Erlasses durch Kaiser Konstantin erwähnt. Der ursprüngliche Erlass befreite die Juden der Colonia Agrippina, dem heutigen Köln, vom Dienst in der curia. Im an die Dekurionen der Stadt Köln gerichteten Schreiben heißt es: „Allen Behörden erlauben wir durch allgemeines Gesetz, die Juden zur Kurie zu berufen (...)“.3 Dies ist das erste Dokument, in dem Juden aus dem Gebiet des heutigen Deutschland Erwähnung finden. In einem weiteren kaiserlichen Schreiben des Jahres 331, das ebenfalls an die Stadtherren in Köln gerichtet war, werden Personen genannt, die „von jeder persönlichen Leistung frei sein sollen“: „Die Rabbiner (...) und die Synagogenväter sowie die übrigen, die (...) in den Synagogen ein Amt bekleiden.“4 Die beiden genannten Quellen werden immer wieder als Hinweis auf eine große und gut organisierte Gemeinde im spätantiken Köln angeführt. Die Evidenz insbesondere der zuletzt genannten Schriftquelle, wird von Michael Toch hingegen bezweifelt, da es sich um ein allgemeines Gesetzt handele, das nicht auf eine bestimmte Stadt zu beziehen sei.5 Dass zumindest das erstgenannte Gesetz Konstantins auf eine größere jüdische Gemeinde in Köln schließen lässt, darf hingegen als Tatsache angesehen werden.6 Tatsache ist jedoch auch, dass aus der Zeit nach dem 4. Jahrhundert und bis in das Hochmittelalter hinein keine eindeutigen schriftlichen Belege für die Anwesenheit einer nennenswerten jüdischen Gemeinde in Köln bekannt sind.

Auch die Archäologie vermag nur spärliche Indizien für eine jüdische Präsenz zu liefern. In Trier fand sich eine Öllampe mit dem Motiv der Menora, des siebenarmigen Leuchters aus dem Tempel zu Jerusalem (Abb. 1).7 Sie wird in das 3. Jahrhundert datiert. Zudem fanden sich zwei jüdische Plomben, deren Datierung ebenfalls in die Spätantike zu setzten ist.8 Ein weiteres Zeugnis jüdischer Kultur im Rheingebiet ist ein in Kaiseraugst gefundener Ring, der gleich der Öllampe eine Darstellung der Menora aufweist (Abb. 2).9 Ob es sich bei diesen Funden um Hinweise auf tatsächlich vor Ort ansässige Juden, oder lediglich auf der Durchreise befindliche Kaufleute handelt, wird wohl kaum zu beantworten sein. Für das Frühmittelalter versiegen auch die archäologischen Quellen nahezu gänzlich. Synagogenbauten sind, im archäologischen Befund, wie auch durch schriftliche Erwähnung, frühestens ab dem 9. Jahrhundert sicher belegt. Die Synagoge zu Worms wurde 1034 errichtet.10 Der Ursprung der Kölner Synagoge kann auf Grund von Scherbenfunden für das Ende des 8. bis Anfang des 9. Jahrhunderts angesetzt werden.11 Sven Schütte und Marianne Gechter gehen gar von einer kontinuierlichen Nutzung des Synagogenstandortes seit der Spätantike aus.12 Eine These, die auf einige Zweifel stieß,13 jedoch nicht grundsätzlich zu verwerfen ist. Erste schriftliche Erwähnung findet die Kölner Synagoge erst im 11. Jahrhundert,14 was jedoch keinerlei Schluss auf den Zeitpunkt ihrer Erbauung zulässt.

Obwohl anzunehmen ist, dass es an Orten des Rhein und Maß-Gebietes, sowie im Donaubezirk in Augsburg und Regensburg, die größere römische Truppenlager beherbergten, jüdische Siedlungen gegeben hat,15 so mangelt es doch an hinreichender schrifthistorischer und archäologischer Evidenz für eine Kontinuität jüdischer Siedlungen zwischen Spätantike und frühem Mittelalter. Michael Toch wagt gar die Annahme, dass es „in den nachfolgenden Jahrhunderten und bis in die Kaolingerzeit (...) in der gesamten Germania (...) offenbar überhaupt keine Juden gegeben“ hat.16 Die politisch und wirtschaftlich unsichere Lage im Rheingebiet nach dem Rückzug der Römer im frühen 5. Jahrhundert brachte einen großen Teil der Zivilbevölkerung dazu, sich in die sichereren Gebiete des Reiches zurück zu ziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass die jüdischen Bewohner sich diesem Rückzug anschlossen. Möglich ist aber auch, dass der Mangel an Nachricht einzig der generell schlechten Quellenlage zu verdanken ist und sie tatsächlich in den „ehemaligen römischen Grenzprovinzen überwintern“17 konnten. Wenn also auch nicht auszuschließen ist, dass Juden in der Spätantike und im frühen Mittelalter auf dem Gebiet des deutschen Reiches gesiedelt haben, so scheint es doch, als seien jüdische Gemeinden nennenswerter Größe erst wieder ab dem 10., frühestens dem 9. Jahrhundert vorhanden gewesen.

Der erste namentlich bekannte Jude in Deutschland tritt uns erst 797 entgegen. In diesem Jahr schickte Kaiser Karl der Große von Aachen aus eine Gesandtschaft an den Kalifen Harun al Rschid. Dieser gehörte, wohl auf Grund seiner Reigonal- und Sprachkenntnisse, auch der in Aachen ansässige Großkaufmann Isaak an.18 Die sonst zu dieser Zeit erwähnten Juden auf europäischem Grund stammten zumeist aus Gallien und Italien.19 Da es nirgendwo einen Beleg gibt, dass Juden zu den Erstsiedlern in einer der diversen Stadtgründungen des Mittelalters zählten, ist anzunehmen, dass sich größere jüdische Gemeinden östlich des Rheins und nördlich der Donau erst nach Bildung früher städtischer Strukturen niedergelassen haben.20 Der überwiegende Teil der jüdischen Gemeinden Deutschlands gelangte wohl durch Einwanderung ins Reich. Diese dürfte in erster Linie von Westen her über Mosel und Rhein erfolgt sein, wie es die vielen, bei Juden in Deutschland lange üblichen französischen Namen und Ausdrücke nahe legen.21 Es ist auf Grund schrifthistorischer Quellen bekannt, dass jüdische Kaufleute die Handelsstraßen entlang der wichtigen Flüsse wie Rhein, Main, Donau und Elbe befuhren und es ist anzunehmen, dass manche sich in den dort gelegenen Bischofsstädten niederließen. In Magdeburg unterstellte Otto der Große 965 Juden und Kaufleute der Gewalt des Bischofs.22 Es ist wohl anzunehmen, dass die Niederlassung der Juden in Magdeburg nicht erst unmittelbar vor ihrer Unterstellung unter kirchliche Oberhoheit stattfand. Dies gilt für die meisten Gemeinden, die seit dem 10. und insbesondere dem 11. Jahrhundert verstärkt in den Schriftquellen Erwähnung finden. Von den an der Mosel gelegenen Gemeinden wird zunächst Metz 88823 erwähnt, Trier erst 106624. Am Rhein hören wir von Mainz 90625, Worms Mitte des 10. Jahrhunderts26 und Speyer erst 108427. Diese ersten mittelalterlichen Judengemeinden entstanden in den wichtigsten ökonomischen und kulturellen Zentren des Reiches. Um das Jahr 1100 scheinen in nahezu allen dieser Zentren, wie Köln, Trier Mainz, Magdeburg, Worms und Speyer Juden anwesend gewesen zu sein.28 Die Ausbreitung jüdischer Gemeinden konzentrierte sich im 11. Jahrhundert vornehmlich im Westen des Reiches entlang des Rheins. Dies korrespondiert mit dem allgemeinen Wechsel des kulturellen und ökonomischen Fokus, der in ottonischer Zeit noch im Nordosten des Reiches lag, sich im 11. Jahrhundert unter den Saliern und Staufern jedoch in die westlichen Gebiete verschob. Zudem scheint es, als folge die Ausbreitung der für Handel und Kommerz so erheblichen jüdischen Siedlungen, nicht umsonst werden Juden und Kaufleute in Urkunden häufig gemeinsam genannt, jener des Urbanisierungsprozesses.29 Ungeachtet einiger weniger früher Hinweise auf jüdisches Leben im ländlichen Umland rheinischer Städte, scheint es unzweifelhaft, dass Juden ihre Aktivitäten in erster Linie auf ein urbanes Umfeld konzentrierten.30

2. Eine Stadt in der Stadt: Topographie jüdischer Viertel

Bevor auf die einzelnen, für jüdische Gemeinden maßgeblichen Einrichtungen eingegangen wird, soll die Aufmerksamkeit zunächst den allgemeinen topographischen Gegebenheiten einzelner Judenviertel gelten. Die jüdischen Ansiedlungen konzentrierten sich bereits zu Zeiten der lateinisch- römischen Diaspora in der engeren Umgebung der Synagoge.31 In diesem Bereich befanden sich meist auch das Gemeindehaus, im deutschen Sprachraum gemeinhin als Tanzhaus oder Hochzeitshaus bekannt, sowie die Mikwe und gegebenenfalls das Hospital. Ein derart konzentriertes Wohnen in Judenhöfen, Judengassen oder Judenvierteln lässt sich anhand schriftlicher als auch archäologischer Quellen ebenfalls für die deutschen Städte des Mittelalters nachweisen. Zweifelsfrei bestand zumindest im hohen Mittelalter ein hohes Interesse der Stadtherren daran, Juden für die Ansiedlung zu gewinnen. Bischof Rüdiger Houzman von Speyer begann 1084 das erste bekannte Judenprivileg Deutschlands mit den Worten: „Als ich das Dorf Speyer zur Stadt machte, glaubte ich das Ansehen dieses unseres Ortes zu vertausendfachen, indem ich auch Juden dort zuziehe.“32 Die Bedeutung die dem Zuzug von Juden beigemessen wurde zeichnete sich auch im archäologischen Befund der Synagoge von Speyer ab. Dieser wies mächtige Aufplanierungsschichten auf, mit denen offenbar der Platz zum Bau für das Gotteshaus der neuen Gemeinde vorbereitet wurde.33 Das Gebiet war demnach keinesfalls Siedlungsleer. Tiefe Gruben und Erdkeller zeugten von einer Vorgängerbebauung, möglicherweise aus Fachwerkhäusern. Im östlichen Teil der Synagoge konnten zwei dicht beieinander liegende Öfen festgestellt werden, die auf ein gewerblich genutztes Areal hindeuten. Einer der Öfen wurde zweifelsfrei erst zur Zeit des Synagogenbaus aufgelassen. Offenbar hatte man keinerlei Mühen gescheut, den Juden ein geeignetes Gelände zum Bau eines stattlichen Gotteshauses zur Verfügung zu stellen.

Die älteste, bisher bekannteste Erwähnung einer geschlossenen Judensiedlung auf deutschem Grund findet sich für eine Stadt, die wie Speyer römischen Ursprungs ist. Für Regensburg wird bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts ein habitacula judeorum genannt.34 Die Nennung sagt gleichwohl nichts über das tatsächliche Alter der Ansiedlung aus, das allein schon durch die Lage innerhalb der Mauern des ehemaligen Legionslagers als recht hoch angesetzt werden darf. Bereits im Jahre 981 wird ein Juden Samuel erwähnt, der offenbar über Grundbesitz in einer Vorstadt Regensburgs verfügte.35 Das Wohnareal der Juden erstreckte sich im Bereich des heutigen Neupfarrplatzes (Abb.

3). Dessen Neugestaltung im Jahre 1995 führte zu großflächigen Ausgrabungen, die einige neue Erkenntnisse zur Mangels zeitgenössischer Darstellungen nahezu völlig unbekannten Topographie des mittelalterlichen Judenviertels erbrachten. Die Siedlung erstreckte sich über eine Fläche von ca.

14 000 m², die den gesamten heutigen Neupfarrplatz, sowie die westlich und östlich angrenzenden Grundstücksparzellen einschloss.36 Im Süden reichte sie an die von Westen kommende Fernstraße heran. Dem Befund nach war die Grundstruktur des Viertels von engen, teilweise verwinkelten Gässchen geprägt, die sich, wie nördlich der Synagoge, auf kleine Plätze öffneten. Einzig die Judengasse verfügte über eine nennenswerte Breite von mindestens 5 m und war somit problemlos mit Karren zu befahren. Sie verlief im östlichen Drittel des Viertels und führte in nördlicher Richtung zum Ufer der Donau und den dortigen Handelsplätzen. An ihrem nördlichen Ende lag der nur archivalisch nachgewiesen Judenstadel, das Lagerhaus der jüdischen Kaufleute (Abb. 3, Nr. 6). Die Synagoge befand sich nicht in zentraler Lage unter der heutigen Neupfarrkirche,wie es lange angenommen wurde,37 sondern im äußersten Südwesten der Judenstadt (Abb. 3, Nr. 1). Ein ungewöhnlicher Umstand, wie bei der folgenden Betrachtung weiterer Judenviertel noch deutlich werden wird. Der Regensburger Synagogenkomplex befand sich direkt am Eingang in den alten Stadtkern innerhalb der Legionslagermauern und damit unmittelbar an der Kontaktzone zwischen Juden und Christen. Silvia Codreanu-Windauer sieht darin einen Hinweis auf das „relativ entspannte Verhältnis zwischen Juden und Christen, das von der Weltoffenheit der europäischen Handelsmetropole geprägt war“.38 Östlich der Synagoge lag das Brunnenhaus (Abb. 3, Nr. 2). Der Bau entstammte der Mitte des 12. Jahrhunderts und verfügte über einen durch einen Eckkamin beheizbaren Raum und einen aus Sandsteinquadern errichteten Brunnen, der über 9 m in die Tiefe reichte. Im südlichen Bereich des Gebäudes ist die Mikwe zu vermuten, die jedoch 1939 dem Bau einer Zisterne zum Opfer fiel. Ebenfalls durch diesen Eingriff weitgehend zerstört wurde ein leicht trapezförmiges Gebäude, das wohl mit dem 1350 genannten preuthaus vor der schul, dem Tanzhaus gleichzusetzen ist (Abb. 3, Nr. 3). Links neben dem Brunnenhaus befand sich der Schulhof, der wohl auch für Versammlungen genutzt wurde (Abb. 3, Nr. 4). Um den Hof gruppierten sich mehrere Wohnhäuser. Die Ausgrabungen erbrachten die Befunde einiger Häuser, die Spuren mehrere Umbauten trugen. Die häufig angetroffenen weitläufigen Kellerräume, die teilweise über eine Grundfläche von 60-80 m² verfügten, lassen auf einen hohen Bedarf an Lagerraum schließen.

Sowohl in der baulichen Qualität, wie auch in der Gliederung ergaben sich keinerlei Unterschiede zu den Häusern christlicher Bewohner. Die vereinzelt geborgenen architektonischen Elemente, wie Bauplastiken und Gewölberippen belegen zudem, dass die Bewohner über ausreichende Mittel verfügten ihre Anwesen dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend zu renovieren. Im Nordwesten des Viertels befand sich eine schmale Gasse, der so genannte Kramwinkel. Hier lag ein großes Haus, das wohl die archivalisch belegte Bäckerei beherbergte. Es verfügte über zwei Keller, eine Rauchküche, sowie über einen kleinen Hof mit gemauertem Abort. Direkt vor dem Haus konnte ein Brunnen nachgewiesen werden, der wohl zur Wasserversorgung des gesamten Kramwinkels diente. Ein weiterer Brunnen konnte nördlich der heutigen Neupfarrkirche festgestellt werden. Westlich des Kramwinkels, am äußersten Rand der Siedlung ist das bereits im 13. Jahrhundert genannte hospitale judeorum zu vermuten , das als im Westen an das Christenviertel, im Osten, Süden und Norden aber an das Judenquartier grenzend beschrieben wird (Abb. 3, Nr. 5). Gestützt wird diese Annahme durch den Befund einer Vielzahl möglicher Latrinenschächte in einem im Mittelalter als Hof genutzten Anwesen in der Tändlergasse, worauf an anderer Stelle noch näher eingegangen werden soll. Der den Regensburger Juden zur Verfügung stehende Baugrund wurde scheinbar weitestgehende ausgenutzt, die ausdrückliche Nennung eines Baumgartens lässt jedoch vermuten, dass auch Freiflächen mit Gärten existierten. Der Friedhof der jüdischen Gemeinde befand sich den Schrifthistorischen Quellen zufolge teils jenseits des Regens auf einer kleinen Anhöhe, die noch jetzt den Namen Judenau trägt, teils an der Straße nach Abbach in einem Emmeramer Waldbesitz bei Argle.39 Silvia Codreanu-Windauer bezeichnet das Regensburger Judenviertel als „Stadt in der Stadt“40, eine durchaus zutreffende Beschreibung, bedenkt man die aufgeführten Gemeindeeinrichtungen, wie Gotteshaus, Spital und Bäckerei, die parallel zu jenen der Christen existierten.

Ein nicht unähnliches Bild ergibt sich für das Kölner Judenviertel, dessen Synagoge möglicherweise bis in karolingische Zeit zurück reicht. Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt angesprochen wurde, beherbergte die Domstadt vielleicht sogar die älteste mittelalterliche Judengemeinde am Rhein überhaupt.41 Schriftliche Erwähnung findet das Judenviertel jedoch erst 1075.42 1953 wurden bei Ausschachtungen für einen neuen Bau des Rathauses Grabungen im nördlichen Bereich des Judenviertels durchgeführt.43 Die Befundlage für die jüdische Epoche war jedoch recht enttäuschend. Die Keller der jüdischen Häuser waren durch jene neuerer Bebauung zerstört. Einzig einige Brunnen konnten festgestellt werden. Erfreulicher waren die Ergebnisse zu Synagoge und Mikwe der Gemeinde, auf die an anderer Stelle zurückzukommen sein wird. Für eine detailliertere topographische Betrachtung muss in erster Linie auf schrifthistorische Quellen zurückgegriffen werden. Das Kölner Judenviertel befand sich demnach in der Altstadtpfarre St. Laurenz und wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts im Norden durch die Rückfront der Häuser an der Portalsgasse, im Westen durch die Straße Unter Goldschmied und im Osten durch die Judengasse begrenzt (Abb. 4).44 Im Süden wurde der Bezirk später durch das Backhaus und das Warmbad (stupa) erweitert. Das Tanzhaus erstreckte sich nahezu über den gesamten westlichen Bereich des Viertels. Zugänglich war es vornehmlich von Osten her durch den späteren Torweg. Im Vorhof der Synagoge befand sich ein Brunnen, der als lapis lavatorius in den Schriftquellen Erwähnung findet und wohl der rituellen Waschung diente. Wie auch die Fundamente des Vorhofs ist er heute noch erhalten. Das nur archivalisch überlieferte Spital befand sich neben der Synagoge auf der Westseite der Judengasse.45 Eine Besonderheit in der schriftlichen Überlieferung stellt das Schreinswesen der Stadt Köln dar, in dem seit dem 12. Jahrhundert Grundstücksgeschäfte und Hausbesitzverhältnisse der einzelnen Kirchspiele erfasst wurden. Beim Einsetzen des Schreinswesens umfasste die Judensiedlung die Westseite und Teile der Ostseite der Judengasse, die Südseite der Portalsgasse, Teile der Bürgerstraße und der Straße Unter Goldschmied. Für das Jahr 1130 können etwa 26, für das Jahr 1170 bereits etwa 45 und für 1235 etwa 50 Häuser als in jüdischem Besitz befindlich belegt werden. Direkt vor dem Pogrom von 1349 verfügten die Kölner Juden über 86 Häuser und Hofstätten. Ihr Viertel erstreckte sich nun von der nördlichen Häuserreihe der Budengasse bis hinunter zur Obenmarspforten. Vom Aussehen der jüdischen Wohnhäuser ist kaum etwas bekannt, wobei angenommen werden kann, dass sie sich wie in Regensburg nicht von jenen der Christen unterschieden. Um 1300/1320 wurde das Viertel von einer Mauer umgeben. Die Fenster zu den christlichen Häusern mussten vergittert werden. An der Judengasse, der Budengasse, der Portalsgasse, dem späteren Jerusalemgässchen und dem Metzloch war das Viertel durch Pforten zugänglich. Auf der Rückseite einiger Häuser am Alten Markt ist der Befund der Judenmauer erhalten geblieben. Bisher singulär für Köln ist, dass das Rathaus der Stadt innerhalb des Judenviertels lag. Erst im Jahre 1404 verbot der Rat den Juden sich auf dem Synagogenplatz zu versammeln, solange die Stadtväter im Rathaus tagten.46 Dies kam jedoch zu einer Zeit, da die rechtlichen Verhältnisse der Juden sich seit den Pestpogromen kontinuierlich verschlechtert hatten. Der archivalisch belegte Friedhof der Judengemeinde lag außerhalb des Stadtwalls und gehörte zu St. Severin.47

Die oben angeführten Beispiele zu teilweise archäologisch erschlossenen Judenvierteln decken sich weitgehend mit in erster Linie durch Schriftquellen fassbare Siedlungen. Das jüdische Viertel von Speyer wurde bereits in Verbindung mit der Ansiedlung von Juden in der Stadt 1084 durch Bischof Houzman erwähnt. Die Lage dieser ersten Judensiedlung konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden und ist Gegenstand einiger Diskussion,48 worauf hier jedoch nicht näher einzugehen ist. Die jüdische Siedlung in der Kernstadt hingegen ist anhand Schrifthistorischer Quellen in ihren Grundzügen ersichtlich. Die jüdischen Wohnhäuser gruppierten sich auch hier weitestgehend um die Kultgebäude wie Synagoge und Mikwe.49 Der Judenhof, welcher in erster Linie die Kultgebäude umfasste, wurde im Norden von der Kleinen Pfaffengasse und im Westen von der Judengasse begrenzt. Im Süden und Osten reichte das Areal bis an die heutigen Hofmauern der Mikwe heran. Außer Synagoge und Mikwe, die in Teilen noch heute obertägig erhalten sind, können archivalisch ein Tanzhaus, ein Badehaus und ein Backhaus nachgewiesen werden. Zudem kann auf Grund von Bedeutung und Größe der Speyerer Judengemeinde von der Existenz eines Hospitals und einer Metzgerei für koschere Schlachtungen ausgegangen werden. Zugänglich war der Judenhof durch mindestens zwei Tore, von dem das Größere sich in der kleinen Pfaffengasse befand und das Kleinere in der Judengasse. Anhand der Grundstücksnennungen ergibt sich für die Besitzverhältnisse in der unmittelbaren Umgebung des Judenhofes ein heterogenes Bild. So befanden sich einige der Häuser in jüdischem und einige in christlichem Besitz. Zudem besaßen Juden Grundstücke, die in einiger Entfernung zum Judenhof lagen. Ein fest umgrenztes Judenviertel gab es in Speyer demnach nicht.

Eine ähnliche Situation ergibt sich für das Judenviertel der Stadt Mainz, das gemeinsam mit Worms und Speyer den sogenannten SchUM-Gemeinden angehörte, den bedeutendsten jüdischen Gemeinden des Mittelalters. Das Viertel erstreckte sich wahrscheinlich von der Betzelsgasse und der Stadthausstraße aus bis über den Flachsmarkt unter Einschluss von Teilen der Schusterstraße und der Christopherstraße.50 In diesem Bezirk befanden sich die meisten urkundlich bekannten Grundstücke in jüdischem Besitz. Mitten auf dem Flachsmarkt lag die aus dem 13. Jahrhundert bekannte christliche Marienkapelle, die in Schriftquellen als Sancta Maria inter judeos bezeichnet wird. Das Viertel wurde nie, wie in Köln oder Trier, durch Tore vom Rest der Stadt abgetrennt. Gleich Speyer wohnten auf dem Areal nicht nur Juden. Gleichzeitig verfügten diese nachweisliche über Häuser, die in einiger Entfernung zu ihren Gemeindeeinrichtungen lagen. Gleichwohl muss nicht zwangsläufig angenommen werden, dass die betreffenden Häuser tatsächlich von Juden bewohnt wurden. Es kann sich ebenso gut um verfallene Grundstückspfänder gehandelt haben. Der Friedhof der Gemeinde befand sich spätestens seit Anfang des 11. Jahrhunderts außerhalb der Stadt am so genannten 'Judensand'.

In Trier finden seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Hausverkäufe beziehungsweise Verpachtungen an Juden in den Schriftquellen Erwähnung.51 Die betreffenden Häuser konzentrierten sich in einem Areal, das von der heutigen Simeon- und Jakobstraße, sowie der Judengasse und der Stockstraße umschrieben wird (Abb. 5). Die für das Gemeindeleben elementaren Einrichtungen wie die Synagoge und das als domus communitatis iudeorum überlieferte Tanzhaus lagen im Zentrum des Viertels. Zur Zeit der maximalen Besiedlung um das Jahr 1338 lebten auf diesem Gebiet von ca. 7000 m² schätzungsweise etwas mehr als 300 Juden. Der Friedhof befand sich außerhalb des mittelalterlichen Stadtareals südlich der Jüdemergasse.

Ebenfalls vornehmlich aus Schriftquellen bekannt ist das erste Judenviertel von Frankfurt am Main. Die dauerhafte Präsenz von Juden in Frankfurt ist erstmals für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts belegt.52 Ihr Viertel war südlich und südwestliches des Domes situiert und verfügte über einen direkten Zugang zum Main (Abb. 6).53 Auch in Frankfurt lebten die Juden im 12. Jahrhundert noch in direkter Nachbarschaft zu christlichen Handwerkern und Patriziern. Das Judenviertel verfügte über eine Synagoge, ein Tanzhaus und eine Mikwe. Über die genauen topographischen Gegebenheiten ist jedoch kaum etwas bekannt. Der Friedhof lag zwar nahe des jüdischen Viertels, jedoch außerhalb der Stadtmauern, jenseits des Wollgrabens sowie nördlich des Fischerfeldes.

Die vorausgegangenen Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die Situation vor den Pestpogromen der Jahre 1348 und 1349. Bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts finden sich keine eindeutigen Hinweise auf eine tatsächliche Abriegelung jüdischer Viertel durch Mauern und Tore. Genannte Ummauerungen jüdischer Viertel, wie etwa in Köln, waren keineswegs stark genug, um für einen solchen Zweck qualifiziert zu sein54. Es wurde mehrfach erwähnt, dass Christen innerhalb der Judenviertel und Juden außerhalb der Judenviertel lebten. Die Bezeichnung inter Judeos findet sich in einigen Schriftquellen zur Beschreibung der Lage nichtjüdischer, meist profaner doch auch sakraler Bauten.55 Dies änderte sich im Laufe des 14. Jahrhunderts, insbesondere in Folge der verheerenden Pestepidemie. Das Gerücht, die Juden seien Schuld am Ausbrechen des Schwarzen Todes führte zu grausamen Ausschreitungen. Innerhalb kürzester Zeit wurden während dieser Pogrome die jüdischen Gemeinden der meisten deutschen Städte ausgelöscht. Einigen Juden gelang die Flucht nach Osten, vornehmlich in das Königreich Polen, wo sie mit weniger Repressalien zu rechnen hatten. Die von Michael Toch erstellten Karten zur jüdischen Besiedlung im deutschen Reich illustrieren dies anschaulich.56 Die Anzahl von Orten mit jüdischen Bewohnern ist in den Jahren 1348-1399 im Verhältnis zu den Jahren 1300-1355 deutlich reduziert (Abb. 13 und 14). In vielen, insbesondere den größeren Städten geschah jedoch sehr bald eine Wiederansiedlung von Juden, in vielen Fällen auf dem selben Areal, das sie bereits zuvor bewohnt hatten. An einigen Orten jedoch, wie Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber, erfolgte sie an weitaus ungünstigeren Plätzen, etwa am Stadtrand oder in der Vorstadt. Dies ist vielfach auch damit zu erklären, dass die Besitzungen der Juden umgehend gepfändet, verkauft und anderweitig genutzt wurden. In Nürnberg, dessen Juden am 5. Dezember 1349 nahezu allesamt dem Pogrom zum Opfer fielen, ließ die Stadt eine Anzahl Judenhäuser abreißen und errichtete an ihrer Stelle den heutigen Hauptmarkt.57 Andere Häuser wurden von der Stadt an christliche Bürger vergeben. Die Synagoge zerstörte man und errichtete schließlich an ihrer Stelle die Liebfrauenkirche. Der Friedhof wurde geplündert und dessen Grabsteine als Baumaterial genutzt.58 Bereits am 18. Dezember 1349, lediglich elf Tage nach dem Pogrom, nahm die Stadt Nürnberg wieder zwei Juden als Bürger auf.59 Ähnliches spielte sich in Würzburg ab, wo man das Judenviertel abbrannte und das Areal zur Erweiterung des Marktes und zur Errichtung der Marienkapelle nutzte.60 Auch in dieser Stadt siedelten sich bald, spätestens 1377, wieder Juden an.61 Ihre rechtliche Position verschlechterte sich jedoch in vielen Städten zunehmend. Eine Entwicklung, die bereits ab dem Ende des 13. Jahrhunderts zu beobachten ist. Man machte Juden den Erwerb von Hofstätten und Häusern unmöglich, so zum Beispiel in Worms 1294, in Köln 1341 und in Nürnberg 1344.62 Kirchliche Gesetzgebung, die auf die Vermeidung sozialer Kontakte zwischen Christen und Juden abzielte, ist keinesfalls ein Phänomen des Hohen und Späten Mittelalters, sondern bereits seit den Generalskonzilien der Spätantike bekannt. Jedoch begannen die städtischen Obrigkeiten erst im Späten Mittelalter sie rigoroser durchzusetzten. Die Gesetzgebung befasste sich vornehmlich mit dem gemeinsamen Besuchen von Badehäusern, sexuellen Beziehungen, sowie dem gegenseitigen Besuch von Feierlichkeiten.63 Einen massiven Einschnitt in die Existenz der Juden bedeutete es, dass seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Kreditvergabe gegen Zinsen zunehmend auch von christlichen Geldverleihern betrieben wurde. Diese verdrängten die Juden sukzessive aus dem Geschäft und beraubten sie so ihrer Bedeutung für eine florierende Wirtschaft.64 Im 15. Jahrhundert begann eine Welle der Vertreibung von Juden aus Städten und sogar ganzen Landstrichen, so etwa aus Trier an der Wende zum Jahre 141965 und 142466 aus Köln.

Eine Alternative zur vollständigen Vertreibung ersann man in Frankfurt am Main. 1460 beschloss der Rat der Stadt auf Drängen Kaiser Friedrich III., der bereits 1442 entsprechende Maßnahmen verlangt hatte, die Juden in einem neuen Viertel außerhalb der Altstadt, nahe ihres Friedhofs anzusiedeln.67 Die Zuweisung dieses Gebietes verfolgte gewiss eine bestimmte Absicht, denn es handelte sich um das wohl zur Besiedlung am wenigsten geeignete des damaligen Stadtgebietes. Es erstreckte sich auf dem Damm des alten Wollgrabens, der als Abwassergraben fungierte, und lag im Schatten der alten Stadtmauer, in unmittelbarer Nachbarschaft zum sumpfigen Fischerfeld. Die Juden suchten erfolglos ihre Zwangsumsiedlung zu verhindern, nicht zuletzt, da sie in der Abgeschiedenheit des neuen Siedlungsplatzes eine Gefährdung für ihre Sicherheit sahen.68 Aus Schriftquellen, insbesondere den so genannten Judenbaubüchern, geht hervor, dass der Rat noch im Jahr des Beschlusses mit dem Bau erster Häuser begann.69 Diese lagen wohl im Bereich der späteren Ostzeile. Bereits 1462 bezogen die ersten Familien die zu dieser Zeit elf Gebäude umfassende Judengasse. Weitere Häuser, sowie Gemeindeeinrichtungen wie Tanzhaus und Hospital, deren Errichtung die Stadt finanzierte, entstanden in den Folgejahren. Für die Errichtung von Synagoge und Mikwe zwischen 1460 und 1463,70 sowie allen nach 1465 errichteten Gebäude mussten die Juden selbst aufkommen, wobei sowohl die Grundstücke als auch die Bausubstanz der Judengasse im Besitz der Stadt verblieben. Der Dammweg entlang des Wollgrabens zwischen Fischerfeld und Bornheimer Pforte bildete den Kern des 1460-62 eingerichteten Ghettos.71 Auffällig ist, im Vergleich zu den zuvor behandelten Judensiedlungen, dass die Wohnhäuser sich nicht mehr um die Gemeindeeinrichtungen scharten. Dieser Umstand ist gewiss auch der Form des Straßendorfes zuzuschreiben. Doch befanden sich Mikwe und Tanzhaus ganz am südöstlichen Ende, während die Synagoge sich, etwas zentraler gelegen, im nordwestlichen Drittel befand. Hierbei muss jedoch auch die zeitliche Ebene bedacht werden. Direkt nach der Errichtung des Ghettos 1465 dürften sich die Häuser noch vermehrt in gewohnter Form um die Synagoge konzentriert haben72 (Abb. 7). Die Anzahl der Bewohner und dementsprechend die Bautätigkeit nahmen ab dem 16. Jahrhundert rapide zu. Knapp 100 Jahre nach seiner Errichtung bestand das Ghetto bereits aus 112 bis 113 Häusern.73 Erst zu dieser Zeit, durch die beidseitige, dichte Bebauung, taucht die Bezeichnung Judengasse in den Schriftquelle auf. Es existieren einige Bildquellen, die eine Vorstellung vom Aussehen der Frankfurter Judengasse ab der Mitte des 16. Jahrhunderts vermitteln. Zu nennen sind hier insbesondere der Belagerungsplan von Konrad Faber, 1551/1554 (Abb. 8), sowie die Ansicht von Frankfurt von Matthäus Merian, 1628 (Abb. 9). Ein Vergleich der beiden knapp 80 Jahre auseinander liegenden Darstellungen illustriert den erheblichen Bevölkerungszuwachs in der Judengasse. Sind Mitte des 16. Jahrhunderts noch Freiflächen mit Bäumen zu sehen, ist bereits im ersten Drittel des 17. Jahrhundert sämtlicher Raum baulich genutzt. Eine hohe Mauer auf der Ostseite und massive Tore im Osten und Westen, die Nachts und an christlichen Feiertagen zu verschließen waren, machen die Frankfurter Judengasse zu einem tatsächlichen Ghetto, das darauf abzielte die das christliche Seelenheil gefährdenden Juden vom Rest der Bevölkerung weitest möglich fern zu halten.

Im Zuge der Bauarbeiten an einem Kundenzentrum der Frankfurter Stadtwerke 1987 bis 1988 war es möglich, einen Teil der Frankfurter Judengasse archäologisch zu Untersuchen.74 Das Grabungsareal befand sich am heutigen Börneplatz und schloss den äußersten Südteil der mittelalterlichen Judengasse ein (Abb. 10). Schrifthistorischen Quellen zufolge befand sich hier ein Teil des Judenviertels, der nur von geringer Relevanz und zu Beginn kaum besiedelt war. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse der Grabung nur bedingt dazu qualifiziert Aussagen zu treffen, die sich auf das gesamte Ghettoareal beziehen. Dennoch konnten einige wichtige Beobachtungen gemacht werden, nicht zuletzt, da die Grabungsfläche auch die Mikwe umfasste. Der Hauptteil der ergrabenen Mauerreste entstammte der jüngsten Phase des Ghettos, das nach einem Brand 1711 vollständig wieder aufgebaut werden musste. Die Aufhebung des Ghettozwangs erfolgte erst 1824. Ältere Strukturen des 16. und 17. Jahrhunderts sind nur schwer zu identifizieren. Das wohl nahezu sämtliche Häuser in Fachwerk ausgeführt waren, wirkte sich ebenfalls negativ auf die Befundlage aus. Ob bereits die ersten Häuser über einen Keller verfügten ist unklar, spätestens mit dem zunehmenden Bedarf an Wohnraum werden jedoch vielen Häusern Keller hinzugefügt und neue Häuser mit Keller gebaut worden sein. Zu den ältesten ergrabenen Bebauungsresten gehörten die Fundamente zweier rechteckiger Keller unter dem Haus Kamel, sowie den Häusern Elefant und Hirschhorn (Abb. 11). Diese waren parallel zur Gasse orientiert (Abb. 12, Nr. 1 und 3) und existierten wohl bereits bei der Anlage des 'Kanal 12', die noch im 15. Jahrhundert erfolgt sein dürfte. Die Form der Keller lässt auf verhältnismäßig breite Häuser schließen, wie sie noch auf den Plänen des 16. Jahrhunderts, etwa jenem von Konrad Faber zu sehen sind. Diese unterscheiden sich deutlich von den durch die extreme Wohnraumverdichtung sehr schmalen Häusern des Merianplans von 1628. Der Keller im östlichen Bereich wies Reste von Treppenkonsrtuktionen auf und muss vom Haus Elefant aus zugänglich gewesen sein. Dieses war 1493 als eines der älteren Häuser hinter das Spital gebaut worden. Der Keller zwischen den Häusern Hirschhorn und Elefant dürfte zum Haus Hirschhorn gehört haben, da dieses 1556 vor das Haus Elefant gesetzt wurde. Die West- und Ostmauer des Kellers überspannte ein Gewölbe aus Backstein, in der Nordostecke befand sich eine Treppe. Offenbar hatte man nach dem Abriss des älteren Vorgängerbaus Elefant die neuen schmaleren Häuser Elefant und Hirschhorn über dem alten quer verlaufenden Keller erbaut. 1556, ca. vier Jahre nach der Erstellung des Faber-Plans, errichtete man das Haus Hirschhorn als Vorderhaus zum Elefant. Hier zeigt sich im archäologischen Befund offenbar der Wechsel in der Bebauung von breiteren zu deutlich schmaleren Häusern, wie er sich auf den genannten Stadtplänen Fabers und Merians zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts darstellt.

Die oben genannten Beispiele vermögen einen Eindruck von den grundlegenden topographischen Strukturen der Judensiedlungen auf deutschem Grund zu vermitteln wie sie bereits von Alexander Pinthus 1930 eingehend untersucht wurden.75 Die Judenniederlassungen fanden sich vor den großen Pestpogromen von 1348-50 vornehmlich in zentraler Lage nahe des Marktes und/oder an wichtigen Verkehrswegen. Periphere Lagen sind hingegen kaum zu beobachten. Sie treten, wie in Frankfurt, verstärkt erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf und wurden hier vielfach als Alternative zur völligen Vertreibung herangezogen.76 Die marktnahe bzw. verkehrsgünstige Lage vieler Judenviertel ist nicht zuletzt mit der übergeordneten Bedeutung zu erklären, die der Handel im Leben der Juden besaß. Zudem geschah die Ansiedlung von Juden in einigen Städten wohl in einem frühen Stadium der Stadtentwicklung, noch vor Erreichen der Wachstumsspitze.77 Naturgemäß bedeutet dies, dass sie zu ihrer Entstehungszeit an der Grenze der derzeitigen Bebauung situiert waren. Die Lage der Judenviertel im Stadtzentrum kann demnach auch als Zeichen hohen Alters angesehen werden.78 Judenviertel als eigene stadtstrukturelle Einheiten sind generell vornehmlich in jenen großen urbanen Zentren zu beobachten, wo Juden sich schon vor der Konsolidierung einer Bürgerstadt ansiedelten.79 Dies trifft für Köln und Regensburg zu, aber auch für die Städte der SchUM-Gemeinden. Zuweilen wurden die Viertel, wie in Speyer, durch Mauern und Toranlagen abgegrenzt, was nicht allein der Trennung zwischen Juden und Christen diente, sondern auch dem Schutz der jüdischen Minderheit. Auf die Frage der Abgrenzung jüdischer Viertel soll an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden. Die Innere Gliederung der Viertel wurde durch diverse Faktoren beeinflusst. Einer der maßgeblichsten war hierbei sicherlich die Bindung an eine vorgegebene Grundfläche. Die als Judenhof bezeichneten Viertel, wie zum Beispiel das Speyerer Judenviertel, ähnelten in ihrem Aufbau den Binnenhöfen der christlichen Händler, wie der Fuggerei in Augsburg. Bei den auch cul-de-sac (franz.: Sackgasse) genannten Judenhöfen scharte die Bebauung sich um Gemeinschaftseinrichtungen wie Synagoge und Mikwe. Das Innere des Blockartigen Viertels wurde durch Innenhöfe aufgeschlossen. Der Synagogenhof bildete hier häufig nicht allein den gesellschaftlichen, sondern auch den geographischen Mittelpunkt des Viertels.

Judenhöfe waren im 12. Jahrhundert in Deutschland kaum verbreitet, traten jedoch in späterer Zeit häufig auf, was möglicherweise mit den veränderten sozialen Verhältnissen zusammenhängt, die eine geringere Orientierung zum christlichen Umfeld hin bewirkten.80 Die vornehmlich außerhalb der Judenviertel stattfindende Handelstätigkeit, die für die Lage der Viertel innerhalb der Stadt von Bedeutung war, dürfte hingegen weniger Einfluss auf die innere Gestaltung ausgeübt haben. Relevant sind in diesem Zusammenhang jedoch sicherlich die für das Gemeindeleben und die religiöse Pflichterfüllung erforderlichen Gebäude. Hierzu zählen selbstverständlich Synagoge und Mikwe, aber auch, sofern vorhanden, Lehrhaus, Hospital, Schlachthaus und das Tanzhaus. Wie bereits erwähnt befand sich die Synagoge meist, von Ausnahmen wie Regensburg abgesehen, in zentraler Lage und im allgemeinen hinter der Häuserreihe, was wohl durch die allmähliche Entstehung der meisten Judensiedlungen bedingt wurde. Eine Lage an der Straße ist vornehmlich bei planmäßig angelegten Judengassen wie in Frankfurt am Main zu beobachten. Bei einer dichteren Besiedlung bildete der Synagogenhof oftmals die einzige freie Fläche des Judenviertels.81

2.1. Die Synagoge: Haus der Versammlung - Haus des Gebetes - Haus des Lernens

Anders als die christlichen Gotteshäuser, die einzig dem Gebet und der religiösen Einkehr gewidmet sind, dienten die Synagogen den jüdischen Gemeinden zu allen Zeiten auch in profanen Angelegenheiten als Ort der Versammlung und als Ort der Lehre. Im Mittelalter fungierte sie zuweilen auch als Gerichtsgebäude, da sie Sitz des auch für rechtliche Fragen zuständigen Gemeinderates war. Die Synagoge ist demnach ein Mehrzweckbau, ein Versammlungsraum, wie es bereits die Bedeutung des Wortes nahe legt (synago griech.: (sich) versammeln). Für den Gottesdienst in der Synagoge sind drei Gebetszeiten festgeschrieben: Morgen (Schacharith), Nachmittag (Mincha) und Abend (Maariv). Am Montag, Donnerstag und am Sabbath wird aus der Thora gelesen. Die Thora, sowie ihr Studium, ihre Lehre und Auslegung stehen im Mittelpunkt des Judentums, weshalb in der Synagoge auch gelehrt wird. Die Bezeichnung 'schul' oder 'Judenschul' für Synagogen in vielen Schriftquellen belegt die herausragenden Bedeutung die der Synagoge als Ort der Lehre zukommt.82

Für den Zeitraum vom frühen Mittelalter bis zur beginnenden Neuzeit sind im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Synagogen an etwas 200 Orten eindeutig urkundlich belegt.83 An 40 weiteren Orten ist ihr Vorhandensein zumindest anzunehmen, etwas durch die Anwesenheit eines Rabbiners, ein Schulklopfers, des jüdische Gemeindedieners, der unter anderem die Gläubigen zum Gebet in die Synagoge rief, oder die Anwesenheit von der für die Abhaltung des Gottesdienstes erforderlichen Mindestzahl von zehn mündigen, männlichen Juden. Die Dichte der belegten und anzunehmenden Synagogen nimmt proportional zur Dichte der belegten Siedlungen nach Norddeutschland hin ab. So sind etwa für Bayern ca. 50 Synagogen erwähnt, 14 weitere werden vermutet, während für Mecklenburg-Vorpommern nur an drei Orten Synagogen nachweisbar sind.84 An archäologisch erfassten Synagogen sind vornehmlich jene von Köln, Regensburg, Marburg a. d. Lahn, Speyer, Miltenberg und Erfurt zu nennen. Da die Synagogenstandorte sich häufig im innerstädtischen Bereich befanden, sind in vielen Fällen keine Funde mehr zu erwarten. Vergleicht man die Situation der bekannten Synaogenbauten in Deutschland jedoch mit der in anderen Ländern des aschkenasischen Raumes, so erscheint sie in weit positiverem Licht. Die meisten aschkenasischen Bauten sind aus Deutschland bekannt. Dies erklärt sich durch die politischen Verhältnisse im deutschen Reich, die weit weniger homogen waren als zum Beispiel in Frankreich oder England, wo die regionalen Herren wesentlich geringeren Einfluss hatten. Anders als in den genannten Ländern gab es in Deutschland keine reichsweite, sondern lediglich eine punktuelle Vertreibung, abhängig vom Verhältnis zwischen den Herrschenden und den ihnen untergebenen Juden.85 Während der Pogrome und zum Ende des Mittelalters wurden zwar in vielen Städten die Synagogen zerstört oder anderweitig genutzt, doch blieben sie an einigen Orten, wie beispielsweise in Worms, auch erhalten.

Im archäologischen Befund sind Synagogen weniger eindeutig zu identifizieren, als dies bei christlichen Gotteshäusern der Fall ist. Die architektonischen Konventionen sind hier in weit geringerem Maße fest gefügt. Zudem bestand keine eigenständig jüdische Architekturtradition, die sich erleichternd auf eine eindeutige Ansprache auswirken würde. Die jüdischen Kultbauten fanden sich in vielen Städten nahe des Doms. Diese Nähe war nicht allein geographisch, sondern zeigte sich auch in der architektonischen Gestaltung. Da den Juden das Ausüben von Handwerken meist nicht möglich war, waren es in der Regel die örtlichen Dombauhütten, die für den Bau der Synagoge verantwortlich zeichneten. Architektonische Vergleiche zwischen dem Kölner Dom und der Kölner Synagoge ergaben eindeutige Parallelen zwischen Material und Dekorelementen.86 Für den Bau des jüdischen Kultgebäudes wählte man offenbar den Stil, der jenem zeitgenössischer sakraler Bauten entsprach. Gerade für den Archäologen ergeben sich hierdurch natürlich gewisse Schwierigkeiten. Es existieren jedoch einige liturgisch bedingte Bestandteile der Synagogeneinrichtung, die bei der Bestimmung hilfreich seien können. Als elementares Merkmal einer Synagoge sei zunächst der Thoraschrein genannt, der auch als Aron ha-Qodesch oder Heilige Lade bezeichnet wird. In diesem werden die Schriftrollen der Thora ('Lehre', die fünf Bücher Mose) aufbewahrt. Ursprünglich handelte es sich um ein transportables hölzernes Möbel, etwa ein Kasten oder Schrank, später bestand er aus einem architektonischen Element an der nach Jerusalem weisenden Ostseite des Baus. Er war entweder mit einer nach außen weisenden Nische verknüpft, wie beispielsweise in Worms, oder er stand vor einer glatten Wand.87 Den deutlichsten Hinweis auf eine Synagoge liefert jedoch das Vorhandensein eines Almemors, auch Bima genannt. Hierbei handelt es sich um ein Podium, das im aschkenasischen Raum traditionell im Zentrum der Synagoge situiert ist.88 In der Antike gab es keinen festen Standort der Bima, nur im aschkenasischen Judentum bildete sich die traditionell zentrale Positionierung heraus.89 Die Bima wird von einem Geländer umgeben und verfügt über ein Lesepult, denn von ihr aus List der Vorsteher während des Gottesdienstes aus der Thora und leitet die Gemeinde beim Gebet. Im Mittelalter war die Bima zuweilen mit Bogenstellungen und Baldachinen versehen. Sie ist der wohl prägendste Bestandteil einer Synagoge. Zuweilen wird die Bima mit einer Genisa kombiniert.90 Hierbei handelt es sich um einen vermauerten Hohlraum zur Aufbewahrung nicht mehr verwendbarer liturgischer Schriften. Texte, die den Namen Gottes beinhalten dürfen im Judentum nicht einfach weggeschmissen, oder, wie im Christentum, verbrannt werden. Archäologisch sind Genizoth jedoch kaum nachgweisbar, da sie sich meist auf dem Dachboden der Synagogen befunden haben dürften.91 Zuletzt sei noch die Einrichtung zum Waschen der Hände vor dem Betreten der Synagoge genannt. Bereits die älteste erhaltene Synagoge von Delos aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus verfügte über eine Zisterne, die unterirdisch in einen Nebenraum des Gebäudes führte.92 Von einem Loch in der Mauer konnte das Wasser geschöpft und in ein Marmorbecken gegossen werden. Derartig elaborierte Vorrichtungen waren gewiss nicht die Regel. Häufig wird es sich um ein kleines Waschbecken gehandelt haben, das mit Brunnenwasser befüllt wurde und das archäologisch kaum nachweisbar ist. Anders verhält es sich bei dem Brunnen, aus dem das Wasser entnommen wurde. Dieser musste sich freilich nicht in der Synagoge selbst befinden, doch darf zumindest davon ausgegangen werden, dass er nahe der Synagoge lag.

Bei den mittelalterlichen Synagogen in Deutschland kann generell zwischen zwei Bautypen unterschieden werden: dem einfachen Saalbau und dem zweischiffigen Bau.93 Während die Zweischiffigkeit sich beim christlichen Gottesdienst eher als hinderlich erweist, da sie den freien Blick auf den Altarraum versperrt, kommt sie der Raumkonzeption einer Synagoge sehr entgegen.

[...]


1 Cluse 2004, 13 1

2 Harck 2008, 94 2

3 Zitiert nach: Gidal 1997, 25

4 Zitiert nach: Gidal 1997, 25

5 Toch 2001, 12

6 Schütte 2004, 74f.

7 Gidal 1997, 24

8 Kann 1986, 31-37

9 Berger 2005, passim. 3

10 Künzel 1988, 62

11 Doppelfeld 1959, 71-145, insbes. 122; Toch 2001, 12, insbes. Anmerkung 26

12 Schütte - Gechter 2000, 108-114; Schütte 2004, 74-88: Laut Schütte und Gechter fanden sich für den spätantiken Bau kein „spezifisch „jüdisches“ Gerät oder Bauornamentik“ (Schütte - Gechter 2000, 113). Sie gründen ihre Argumentation für eine Synagoge im spätantiken Köln vornehmlich auf die zwei oben genannten Schriftquellen, welche die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Köln bereits vor 321 belegen, sowie der Ähnlichkeit des Vorbaus des spätantiken Gebäudes mit der Synagoge von Khirbet El-Samara und der Tatsache, dass an gleicher Stelle in hochmittelalterlicher Zeit und teilweise direkt auf den römische Mauern aufsetzend eine Synagoge errichtet wurde.

13 Schmandt 2004, 444, insbes. Anm. 3; Toch 2001, 12, insbes. Anm. 26. Toch sieht in der Tatsache, dass am gleichen Ort im Hochmittelalter eine Synagoge errichtet wurde keine Veranlassung zu dem Zirkelschluss, dass sämtliche Vorbauten (insgesamt drei: spätantik, karolingisch, spätkarolingisch-ottonisch) ebenfalls zur Synagoge zu erklären seien. Zumal sich auch nach Schütte und Gechter für den Spätantiken Bau kein „spezifish jüdisches Gerät oder Bauornamentik“ (Schütte - Gechter 2000, S. 13) feststellen ließen. Zudem hält Toch die Schrifthistorischen Quellen, wie erwähnt, keinesfalls für aussagekräftig genug, tatsächlich eine mächtige jüdische Gemeinde im spätantiken Köln zu postulieren.

14 Germania Judaica I, 71

15 Germania Judaica I, S. XVIII

16 Toch 2001, 13

17 Harck 2008, 88 4

18 Germania Judaica I, 7

19 Germania Judaica I, S. XVIII

20 Harck 2008, 88

21 Germania Judaica I, S. XVIII

22 Germania Judaica I, S. XIX

23 Germania Judaica I, 230

24 Germania Judaica I, 376

25 Germania Judaica I, 175f.

26 Germania Judaica I, 438

27 Germania Judaica I, 327

28 Toch 1997, 71

29 Toch 1997, 72 5

30 Toch 1997, 75

31 Haverkamp 2004, 81

32 Nach der Übersetzung aus dem Lateinischen bei Wenninger 2004, 9

33 Porsche 2004, 409

34 Germania Judaica I, 287: Riziman, Bürger von Regensburg schenkt an das Kloster St. Emmeram daselbst drei Höfe bei dem Judenquartier „tria curtilia in predicta urbe prope Judaeorum habitacula“. Notiz aus einem Schenkungsbuch des Klosters St. Emmeram aus der Zeit Abt Richolts (1006-1028). 6

35 Germania Judaica I, 286. Kaiser Otto II. übergab am 2. April 981 dem St. Emmeramskloster das Gut Schierstadt in der nördlichen Vorstadt mit allem Zubehör. Dieses Gut hatte das Kloster schon vorher mit des Kaisers Erlaubnis dem Juden Samuel abgekauft „Quoddam praedium Scierstat nominatum... in suburbano Reginae civitatis... quod idem nostro permissu ex quodam Judaeo Samuhel dicto in anterius praetio comparaverunt“.

36 Die folgenden Ausführungen zu den Grabungsergebnissen im Regensburger Judenviertel: Codreanu-Windauer 2004, 465-477, sowie ausführlicher Codreanu 2004, 117-128

37 Germania Judaica I, 287

38 Codreanu-Windauer 2004, 471 7

39 Germania Judaica I, 288: 1210 erwarb der Jude Abraham vom Abt von St. Emmeram ein Stück Land, um es als Begräbnisplatz zu verwenden, mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass auch fremde Juden dort beerdigt werden dürften.

40 Codreanu-Windauer 2004, 123

41 Schmandt 2004, 444

42 Germania Judaica I, 70

43 Doppelfeld 1959, 71-147, insbes. 89 8

44 Zur Topographie des Kölner Judenviertels: Gechter - Schütte 2000, 137-139

45 Germania Judaica I, 72

46 Schmand 2004, 452

47 Germania Judaica I, 72 9

48 Engels 2004, 69; Porsche 2003, 13-34

49 Die folgenden Ausführungen zur Topographie des Judenviertels von Speyer: Engels 2004, 75

50 Die folgenden Ausführungen zur Topographie des Mainzer Judenviertels: Falck 1978, 33f; Germania Judaica I, 184. 10

51 Die folgenden Ausführungen zur Topographie des Trierer Judenviertels: Clemens 2004, 165-177; Germania Judaica I, 378

52 Germania Judaica I, 104f.

53 Die folgenden Ausführungen zur Topographie des ersten Frankfurter Judenviertels: Wamers - Grossbach 2000, 100

54 Germania Judaica II/1, S. XXXI, Anm. 52

55 So des Kölner Rathauses oder der Kapelle St. Maria in Mainz.

56 Toch 1997, 61f. 11

57 Germania Judaica II/2, 604

58 Germania Judaica II/2, 604: Einige Grabsteine des mittelalterlichen Friedhofs von Nürnberg wurden für den Bau einer Wendeltreppe genutzt, wo sie 1917 bei deren Einsturz zum Vorschein kamen. Der älteste datierte Grabstein stammt aus dem Jahr 1273.

59 Germania Judaica II/2, 604

60 Hoffmann-Axthelm 2005, 92

61 Germania Judaica II/2, 932

62 Germania Judaica III/1, S. XXXVI

63 Toch 2004, 17

64 Transier 2004a, 66; Hoffmann-Axthelm 2005, 92

65 Haverkamp 1996, 478

66 Schmandt 2004, 453 12

67 Backhaus 1989, 64

68 In einer Bittschrift an den Rat schreiben sie, dass es zu befürchten sei, dass sie „ her mordet wurden oder da ß un ß er genommen worde by dage oder by nacht oder mit brande ffyergelaget oder geschossen worde “ . Backhaus 1989, 65

69 Wamers - Grossbach 2000, 37

70 Backhaus 1989, 67

71 Wamers - Grossbach 2000, 37

72 Wamers - Grossbach 2000, 45

73 Wamers - Grossbach 2000, 38 13

74 Die folgenden Ausführungen zu den Grabungen in der Frankfurter Judengasse: Wamers - Grossbach 2000 passim.; Wamers - Grossbach 2004, 205-210. 212f. 14

75 Pinthus 1930, 106-130

76 Haverkamp 2004, 82

77 Haverkamp 2004, 81

78 Pinthus 1930, 124

79 Hoffmann-Axthelm 2005, 81 15

80 Pinthus 1930, 124; Hoffmann-Axthelm 2005, 112

81 Pinthus 1930, 210-216

82 Künzl 1988, 47f.

83 Paulus 2004, 63. Neben den Synagogenbauten existierte im Mittelalter sicherlich eine große, jedoch nicht näher bestimmbare Anzahl privater Betstuben und Beträume. Bei diesen handelte es sich um für den Gottesdienst hergerichtete Räume, meist in privaten Wohnhäusern. Da sie jedoch weder im archäologischen Befund fassbar sind, noch in den Schriftquellen nennenswerten Niederschlag fanden, werden sie in dieser Arbeit außer Acht gelassen.

84 Paulus 2004, 63f.

85 Künzl 1988, 61

86 Markus Werner: Zwischen Eigenständigkeit und Anpassung. Aspekte der jüdischen Kunst im Mittelalter. In: Europas Juden im Mittelalter, Speyer 2005, S. 100

87 Doppelfeld 1959, 115; Künzl 1988, 62

88 Doppelfeld 1959, 116

89 Künzl 1988, 62

90 Doppelfeld 1959, 116

91 Doppelfeld 1959, 117, insbes. Anm. 31

92 Doppelfeld 1959, 118f.

93 Künzl 1988, 62 18

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Inter Christianos
Untertitel
Jüdisches Leben in deutschen Städten des Mittelalters aus archäologischer Sicht
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Institut für Archäologie, Denkmalpflege und Kunstgeschichte)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
89
Katalognummer
V143081
ISBN (eBook)
9783640532780
ISBN (Buch)
9783640533145
Dateigröße
16275 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inter, Christianos, Jüdisches, Leben, Städten, Mittelalters, Sicht
Arbeit zitieren
Svenja Muche (Autor:in), 2009, Inter Christianos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143081

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