Die ungleichen Machtverhältnisse in der guatemaltekischen Gesellschaft haben bis heute zu extremen Formen der Verelendung, zu Rassismus und Repression gegenüber der indigenen Bevölkerungsmehrheit geführt. In einer Situation der Krise und in einem Klima der allgemeinen Polarisierung zeigt sich der tatsächliche Grad des Einflusses von religiösen Orientierungen besonders deutlich; so ist es heute offenbar, dass sich der Protestantismus innerhalb dieser Machtverhältnisse zu einer politischen Größe entwickelt hat. Deshalb halte ich das Erkennen vom Wesen der protestantischen Mission und ihrer Wirkung auf den Polarisationsprozess für mittlerweile genauso dringend wie die Beschäftigung mit der "Theologie der Befreiung", die ebenfalls eine politische Größe geworden ist und über die es schon sehr viele Untersuchungen gibt, besonders wenn der Verdacht besteht, dass die protestantische Mission als Neutralisierungsmittel gegen die Befreiungstheologie eingesetzt wird.
Das Ziel meiner Arbeit ist die Darstellung der dynamischen Entwicklung eines religiösen Phänomens, der protestantischen Mission, im historischen und kulturellen Kontext eines Landes, das stark geprägt ist von den Strukturen der Unterentwicklung. Den Schwerpunkt der Analyse liegt auf den Auswirkungen des Protestantismus auf die Lage der indigenen Bevölkerungsmehrheit durch dieselbe. Die indigene Bevölkerung stellt die Basis der sozialen Pyramide Guatemalas dar. Ihre Lebenswelt ist durch den sozialen Wandel des letzten Jahrhunderts am nachhaltigsten und brutalsten verändert worden. Die Frage ist, inwieweit die protestantische Mission, die zugleich Indikator und Initiator von sozialem Wandel ist, an diesem Projekt beteiligt gewesen war und noch ist.
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- Sophie Hennis-Hosseini (Author), 1985, Die Rolle der protestantischen Mission für die indigene Bevölkerung Guatemalas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1433303