Das Ziel dieser Arbeit ist es, herauszuarbeiten, wie der poetische Dokumentarfilm auf der Grundlage seiner besonderen Ästhetik politisch sein und als Möglichkeit einer Politik des Ästhetischen neu begriffen werden kann. Als theoretischer Rahmen bietet sich dafür Jacques Rancières Verständnis von Politik an. Der französische Philosoph denkt Politik und Ästhetik zusammen und schließt die Möglichkeit einer politischen Dimension poetischer Dokumentarfilme somit nicht schon durch die Unterscheidung in eine politische und eine ästhetisch-künstlerische Logik aus. Rancières Politikverständnis erlaubt es, nicht auf das Politische im Film in Bezug auf ein bestimmtes Thema, sondern auf dessen Ästhetik zu achten und vor diesem Hintergrund zu untersuchen, wie jene den Film politisch machen kann. Darüber hinaus nutzt diese Arbeit den von Julia Zutavern in Anlehnung an Rancière formulierten politischen Lektüremodus, um neben filmimmanenten Momenten auch kontextuelle Faktoren der Filmproduktion und -rezeption zur Untersuchung einer politischen Ästhetik poetischer Dokumentarfilme heranzuziehen. In der vergleichenden Analyse zweier poetischer, non-narrativer Dokumentarfilme – KOYAANISQATSI (Godfrey Reggio, USA 1982) und HALE COUNTY THIS MORNING, THIS EVENING (RaMell Ross, USA 2018) – untersucht die vorliegende Arbeit, wie eine politische Ästhetik im Sinne Rancières filmische Praxis werden kann.
Dokumentarfilme mit Titeln wie „Die Recycling-Lüge“, „Deutschland unterm Hakenkreuz“ und „Ich bin Greta“ füllen die Polit-Rubriken in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender. Was jene Filme politisch erscheinen lässt, sind ihre Themen: Industrieskandale, Drittes Reich, Klimaaktivismus. Ihre Ästhetik im Sinne gestalterischer Aspekte spielt bei der Frage nach ihrer politischen Dimension gemeinhin selten eine Rolle. Formalistischen, poetischen und artistischen Dokumentarfilmen wird politische Qualität in der Regel abgesprochen, die Logik des Künstlerischen von der Logik des Politischen unterschieden. Entgegen dieser gängigen Dichotomie blickt die vorliegende Arbeit auf die politische Dimension des poetischen Dokumentarfilms.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Politikverständnis von Jacques Rancière
- Politik als Dissens
- Politik ästhetisch denken – Ästhetik politisch denken
- Zur politischen Ästhetik des Films
- Der politische Modus nach Julia Zutavern
- Der poetische Dokumentarfilm
- Historischer Zugang: Poetik im (frühen) Dokumentarfilm
- Der poetische Modus des Dokumentarischen nach Bill Nichols
- Politische Ästhetik in KOYAANISQATSI und HALE COUNTY THIS MORNING, THIS EVENING - Ein Vergleich
- Veränderte Wahrnehmung: Montage, Bildkomposition, Zeit
- Ästhetische Gleichheit: Alltagsmomente und Non-Narrativität
- Reflexivität: How do we not frame someone?
- Intention und Rezeption: Nachweise einer Spaltung des Wirklichen
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die politische Dimension des poetischen Dokumentarfilms. Sie zielt darauf ab, aufzuzeigen, wie der poetische Dokumentarfilm durch seine spezifische Ästhetik politische Aussagen treffen und als Möglichkeit einer Politik des Ästhetischen verstanden werden kann.
- Das Verständnis von Politik und Ästhetik nach Jacques Rancière
- Der poetische Modus im Dokumentarfilm
- Die politische Ästhetik in poetischen Dokumentarfilmen
- Die Analyse der Filme KOYAANISQATSI und HALE COUNTY THIS MORNING, THIS EVENING
- Die Bedeutung von formalen Elementen für die politische Dimension des Films
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und erläutert die Relevanz der Untersuchung der politischen Dimension des poetischen Dokumentarfilms. Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem Politikverständnis von Jacques Rancière, insbesondere mit seinem Konzept der Politik als Dissens und der politischen Ästhetik. Kapitel 3 definiert den poetischen Dokumentarfilm historisch und anhand des poetischen Modus des Dokumentarischen nach Bill Nichols. Kapitel 4 analysiert die politische Ästhetik in den beiden poetischen Dokumentarfilmen KOYAANISQATSI und HALE COUNTY THIS MORNING, THIS EVENING anhand ihrer formalen Elemente, wie Montage, Bildkomposition und Zeit. Dieses Kapitel beleuchtet auch die Intention und Rezeption der Filme.
Schlüsselwörter
Politische Ästhetik, poetischer Dokumentarfilm, Jacques Rancière, Dissens, KOYAANISQATSI, HALE COUNTY THIS MORNING, THIS EVENING, Montage, Bildkomposition, Zeit, Ästhetische Gleichheit, Reflexivität, politische Dimension des Films.
- Citar trabajo
- Sarah Neu (Autor), 2023, Politische Ästhetik in den poetischen Dokumentarfilmen "Koyaanisqatsi" und "Hale County This Morning, This Evening", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1437094