Supernatural Horror in Literature

Überlegungen zu Lovecrafts Phantastiktheorie


Dossier / Travail, 2007

20 Pages, Note: 15 Punkte


Extrait


Inhalt

Einleitung

1. Lovecrafts Phantastikbegriff
1.1 Definition durch Abgrenzung
1.2 Die überweltliche Dimension
1.3 Der implizite Leser

2. Lovecrafts poetologische Forderungen
2.1 Über den Zweck phantastischer Literatur
2.2 Forderungen an die atmosphärische Gestaltung
2.3 Forderungen an die sprachliche Gestaltung

3. nblick: Ein kurzer Vergleich mit Todorovs Phantastiktheorie

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Autor, der zwar in der Populärkultur einen hohen Bekanntheitsgrad aufweist, in akademischen Kreisen jedoch erst langsam Beachtung findet. Dies mag mitunter auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Autor in Zeiten seines literarischen Schaffens fast ausschließlich in den wenig angesehenen Pulp-Magazinen publizierte. Seine traumatische Kindheit – sein Vater starb als er acht Jahre alt war, seine Mutter litt an starken Neurosen und verstarb ebenfalls frühzeitig – ebenso wie das Vorhandensein vieler phantastischer Werke in der hauseigenen Bibliothek mögen dazu beigetragen haben, dass sich Lovecraft für eben jenes Genre als seine schriftstellerische Berufung entschied. Hinzu kam, dass er bereits in frühem Alter lesen und schreiben konnte und ein außerordentliches Interesse für die Astronomie pflegte. Von diesen Fähigkeiten machte er bereits früh Gebrauch, so schrieb er im Alter von sechs Jahren seine erste Geschichte; dieses kreative Schaffen führte er als Erwachsener mit seinen Veröffentlichungen in Weird Tales fort.[1] Wirklicher Ruhm kam H.P. Lovecraft aber allerdings erst posthum zuteil, und auch dahingehend beschränkt sich die Rezeption vornehmlich auf seinen fiktionalen Output. Sein exzellenter Essay Supernatural Horror in Literature, der einen umfassenden Überblick über die Literatur des Unheimlichen nebst Rezensionen und Werkzusammenfassungen bietet, wurde von Leserschaft und Wissenschaft nur am Rande wahrgenommen. Im Jahre 1924 wurde Lovecraft von W. Paul Cook gefragt, ob er einen literaturgeschichtlichen Aufsatz über Phantastik für dessen Magazin Cook schreiben wolle. Es bedurfte einer 3-jährigen Arbeit, bis dieser dann –allerdings im Magazin The Recluse – erscheinen sollte. H.P. Lovecraft wird als der wichtigste Autor nach E. Allan Poe angesehen, der sich mit Ästhetik und Wirkung des Übernatürlichen auseinander setzte.[2] Sein Essay wird noch immer als eine der besten Analysen übersinnlicher Literatur angesehen und ist daher immer noch von wissenschaftlicher Relevanz. Allerdings beschränkten sich die Untersuchungen bisher auf Lovecrafts Sicht auf die Literatur anderer phantastischer Literaten, vernachlässigend was Lovecraft mit seinen Ausführungen über seine eigene Theorie preisgibt, was ich mit dieser Arbeit nachzuholen versuche.

Anhand der Datierung des Aufsatzes auf das Jahr 1927 ist festzustellen, dass Lovecrafts theoretische Ausführungen erst nach dem Verfassen einiger Erzählungen entstanden sind.[3] Es ist also durchaus wahrscheinlich , dass er seine künstlerischen Prämissen aus seinem vorherigen Schaffen extrahiert und erst im Nachhinein theoretisiert hat. Dennoch werde ich versuchen jene – wo möglich – auf Vorhandensein in seinen Erzählungen überprüfen. Die in Supernatural Horror in Literature dargelegte Theorie wird zunächst explizit erläutert und anschließend in seinen Rezensionen und Ausführungen belegt und spezifiziert. Durch Kritikpunkte in der Rezension Lovecrafts ist es möglich im Umkehrschluss seine Prämissen zu ermitteln. Es ergeben sich daraus nicht nur seine gattungstheoretischen Vorstellungen sondern auch explizite poetologische Forderungen und Gestaltungsideale, daher die Zweiteilung meiner Arbeit. Nach eingehender Analyse dieser Kriterien möchte ich zum Abschluss eine kurzen Vergleich zu der Phantastiktheorie Tzvetan Todorovs ziehen.

1. Lovecrafts Phantastikbegriff

1.1 Definition durch Abgrenzung

H.P. Lovecraft legt seinem Phantastikbegriff eine Definition durch Abgrenzung zugrunde. Er grenzt sein literarisches Schaffen von dem derer ab, die in der Literatur alltägliche Gefühle beschreiben, deren Werke durchaus bilden und der Leserschaft Hoffnung und Freude geben sollen. Er impliziert hiermit relativ deutlich, dass er sich nicht in der Tradition von „delectare aut prodesse“ sieht. Vielmehr postuliert er, dass unheimliche Literatur durchaus pessimistisch und depressiv auf den Rezipienten wirken soll.[4]

Darüber hinaus vollzieht er die Binnendifferenzierung zwischen übernatürlichem und weltlichem Grauen. So grenzt er beispielsweise die Schauerromane der Viktorianer mit ihrer Art der Schreckensdarstellung von seinem literarischen Schaffen ab. Er spricht bei Erstgenannten von greifbarer Angst und weltlichem Grauen; die Erzählungen seien sich somit äußerlich zwar ähnlich , aber der Unterschied bestehe in der psychologischen Dimension, d.h. der Wirkung auf den Leser bzw. Protagonisten; Lovecraft favorisiert das Moment des Unfassbaren, ein Element, das der Darstellung des weltlichen Grauens nicht inhärent ist. Auch die beliebten komisch-harmlosen Geistergeschichten können nicht unter Lovecrafts Begrifflichkeit fallen. Abgesehen von der von ihm bemängelten Leichtigkeit der Sprache, sei es vor allem der häufige Vorgriff der Erzählerinstanz auf unheimliche Momente, der durch jene Spannungsauflösung die Wirkung des Grauens immens verringere (SHIL 15).

Gespenstergeschichten und Schauerromane mit den eben beschriebenen Eigenschaften gehörten folglich nicht zur Literatur des von Lovecraft favorisierten „Überweltlichen Grauens“; dieses verfügt über eine größere Dimension als die des weltlichen Grauens – darunter versteht er u.a. ungeklärte Mordfälle und somit das Auftreten eines Schauers, der nicht durch Übersinnliches erregt wird, sondern durch Taten des Menschen selbst. Dazu zählt er auch Grauen, das durch Anblick weltlichen Schreckens ausgelöst wird, wie beispielsweise blutige Überreste, die er lediglich als Zugeständnisse an die genretypischen Motive sieht. Horror muss sich im Kopf abspielen; die durch das literarisch Beschriebene ausgelöste Gefühlsregung des Grauens muss so stark sein, dass sie die Gesetze der Logik und Natur, die im Normalfall zur Erklärung eines Geschehens herangezogen würden, ausgeschaltet werden. Nur so kann Grauen entstehen.

1.2 Die überweltliche Dimension

Das für Lovecraft einzig legitime Grauen manifestiert sich über das Vorhandensein einer Atmosphäre unerklärbarer Bedrohung und überweltlicher, unbekannter Kräfte; schon zu Beginn seines Essays wird die Angst vor dem Unbekannten als stärkster Auslöser von Furcht charakterisiert: „The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown“ (SHIL 12). Bereits hier legt Lovecraft den Grundstein für seine Theorie des „cosmic horror“, der Furcht vor dem Unbekannten und Unbegreiflichen, der Attribution der Ängste auf das Kosmische:

[M]en with minds sensitive to hereditary impulse will always tremble at the thouhgt of the hidden and fathomless worlds of strange life which may pulsate in the golfs beyond the stars, or press hideously upon our own globe in unholy dimensions which only the dead and the moonstruck gan glimpse (SHIL 14).

Dies bedeutet im Umkehrschluss die Ablehnung des weltlichen Grauens als nicht suffizient. Lovecraft räumt zwar ein, dass selbst eine Erzählungen, die zum Ende hin unheimliche Erscheinungen mittels einer natürlichen Erklärung auflösen durchaus über die Atmosphäre übernatürlicher Literatur verfügen können, aber dennoch nicht deren Klasse erreichen (SHIL 16). Als Beleg für seine Präferenz des überweltlichen und unfassbaren Grauens können durchaus seine weiteren Rezensionen dienen, denn hier bewertet er die Neigung zu weltlichem Grauen, bzw. die Tendenz zur Auflösung des Schreckens durch natürliche Erklärungen stets als negativ. So zu sehen in seiner Besprechung der für die Schauerromantradition nicht unbedeutenden Ann Radcliffe, der er einerseits einen neuen Standard in der Erzeugung einer schaurigen Atmosphäre attestiert, andererseits aber bemängelt, dass diese durch die Aufschlüsselung des Grauens zum Ende der Erzählung zunichte gemacht wird: „[She had] a provoking custom of destroying her own phantoms at the last through labored mechanical explanations“ (SHIL 27). Ein ähnliches Urteil fällt er in der Rezension der Erzählung History of Caliph Vatek von William Beckford, die ihm zu rational und zu wenig übernatürlich erscheint: „Beckford, however, lacks the essential mysticism which marks the acutest form of the weird; so that his tales have a certain knowing Latin hardness and clearness preclusive of sheer panic fright“ ( SHIL 37-38); oder auch bei der Diskussion der viktorianischen Literatur von Autoren wie Robert Louis Stevenson, die ihm zu pseudo- wissenschaftlich erscheint, und somit das Element des Überweltlichen und Unfassbaren vermissen lässt (SHIL 42).

Es bleibt zu spekulieren, ob Lovecraft den überweltlichen Horror vorzieht, weil er diesen in der Geschichte des Grauens für inhärent hält, schon seit Anbeginn der Menschheit im Glauben verankert sieht; zu finden in ältesten volkstümlichen Erzählungen und Balladen, sowie Chroniken und geistlichen Schriften (SHIL 17). Er wundert sich dahingehend, dass sich das Unheimliche erst so spät fest in der Literatur verankerte – mit dem Schauerroman im 18.Jh. - obwohl es schon seit Menschengedenken in deren Vorstellung existiert. Er impliziert damit durchaus, dass das Grauen als literarische Thematik mitunter unterschätzt und nicht ausreichend gewürdigt wurde.

1.3 Der implizite Leser

Diese Randstellung spiegelt sich auch in Lovecrafts Forderungen an den impliziten Leser. Übernatürliche Literatur fordere vom Leser einen gewissen Grad an Vorstellungsvermögen und die Bereitschaft zur Abkehr vom Alltäglichen (SHIL 12). Daher wird konventionelle, realistische Literatur immer einen größeren Rezipientenkreis finden, da sie dem Menschen und seinem Alltagsempfinden näher steht. Implizit legt er seine Leserschaft damit auf einen kleineren, exklusiven – mitunter gar elitären - Kreis fest, die sich auch mit Literatur abseits des konventionellen Massenmarktes zu identifizieren vermag; und über gewisse Fähigkeiten – die der Einfühlsamkeit - zum Genuss der von ihm propagierten Literatur verfügen muss, was seine Aussage „ [T]he sensitive are always with us“ belegt (SHIL 13).

[...]


[1] Vgl. Alpers, Hans J. (Hrsg.): Lexikon der Horrorliteratur. Erkrath 1999, S. 210 s.v. `Lovecraft, (H)oward (P)hillips´.

[2] Vgl. Bleiler, E.F.: Vorwort zu Supernatural Horror in Literature. In: H.P. Lovecraft: Supernatural Horror in Literature. New York 1973, S. (iii).

[3] Die Erzählung Die Ratten im Gemäuer erschien erstmals 1923.

[4] Vgl. Lovecraft, H.P.: Supernatural Horror in Literature. New York 1973, S. 12. Im Folgenden zitiert als: SHIL.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Supernatural Horror in Literature
Sous-titre
Überlegungen zu Lovecrafts Phantastiktheorie
Université
Saarland University  (Fachrichtung 4.1 Germanistik)
Cours
Phantastische Literatur
Note
15 Punkte
Auteur
Année
2007
Pages
20
N° de catalogue
V143737
ISBN (ebook)
9783640549795
ISBN (Livre)
9783640550425
Taille d'un fichier
493 KB
Langue
allemand
Mots clés
Supernatural, Horror, Literature, Lovecrafts, Phantastiktheorie, Punkte
Citation du texte
Christoph Ruffing (Auteur), 2007, Supernatural Horror in Literature , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143737

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