Das Dreiklassenwahlrecht in Preußen: Entstehung, Funktionsweise und Auswirkungen


Dossier / Travail, 2009

18 Pages, Note: 2


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Entstehung
2.1 Das preuBische Wahlrecht während der oktroyierten Verfassung
2.2 Die revidierte Verfassung und das Dreiklassenwahlrecht

3. Struktur und Ausgestaltung des Dreiklassenwahlrechts
3.1 Wahlrechtsanspruch und Realität bei der Umsetzung
3.2 Politische und soziale Auswirkungen

4. Fazit

1. Einleitung

Das in der Offentlichkeit recht bekannte Dreiklassenwahlrecht PreuBens beruhte auf einer Verordnung Friedrich Wilhelms IV. von 1849, die bis 1918 in Kraft blieb und massive gesellschaftliche, territoriale und politische Umstrukturierungen Deutschlands und Europas aberdauerte. Während ihrer gesamten Geltungszeit war diese Ausfhrungsvorschrift des preuBischen Wahlrechts umstritten und galt bei vielen Kritikern schon im 19. Jahrhundert als rackständig. Sie betraf nur die Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer, dem preuBischen Abgeordnetenhaus während die erste Kammer nicht aus vom Volk gewählten Mitgliedern bestand. Auch erfolgte die Reichstagswahl im Deutschen Reich nach geheimen und gleichen Wahlen und nicht nach dem Dreiklassenwahlrecht.

In dieser Arbeit soll auf die Entstehungsgeschichte des Dreiklassenwahlrechts, die stark mit der Revolution von 1848 verknupft ist, eingegangen werden. Auch bei der Verfassungsrevision durch die beiden preuBischen Kammern wurde die Verordnung far gültig befunden. Auf die Grande dafr soll hier ebenfalls eingegangen werden. SchlieBlich sollen die Umsetzung des preuBischen Wahlrechts behandelt und die Auswirkungen aufgezeigt werden.

2. Entstehung

Die „Verordnung betreffend die Ausfhrung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer" die zur Entstehung des Dreiklassenwahlrechts in PreuBen gefhrt hat, muss vor dem Hintergrund des Verlaufs der Revolution von 1848 betrachtet werden, um zu verstehen wie es zu dieser Verordnung kommen konnte. Dies muss deshalb erfolgen, da die Verordnung im Zuge der oktroyierten Verfassung far den preuBischen Staat vom 5. Dezember 1848 nach Artikel 105 erlassen worden war1 (vgl. Huber 2001: 1) und somit eine Notverordnung darstellte. Diese blieb selbst im Zuge der Verfassungsrevision von 1850 in Kraft und wurde bis auf ein paar unerhebliche Reformen bis 1918 nicht verän-dert.

Vor den Einffihrungen der preuBischen Verfassungen von 1848 und 1850 war PreuBen kein Verfassungsstaat gewesen. Seit der Neuorganisation des Staates nach 1815 war bereits durch Friedrich Wilhelm III. eine schriftliche Verfassungsurkunde versprochen, jedoch zeitlebens nicht verliehen worden. Durch die Machtfibernahme Friedrich Wil-helms IV. gab es neue Hoffnung auf eine Verfassung die ebenso schnell wieder ent-täuscht wurde: Friedrich Wilhelm IV. war zwar zur Weiterentwicklung der provinzial-ständischen Verfassung entschlossen, hielt aber im Gegensatz zu den konstitutionellen Tendenzen seiner Zeit an dem altständischen Charakter fest (vgl. Hartung 1950: 251). Die Bildung oppositioneller Gruppierungen, der Radikaldemokraten und der Liberalen ffihrten in den 1840er Jahren zu konkreten politischen Forderungen gegenfiber der parti-kularistischen Regierung. Ein Anschluss an die westliche Verfassungstradition wurde gefordert (siehe Frotscher 1999: 146). Durch die Revolution in Paris und die Abschaf-fung der Monarchie in Frankreich, kam es auch in Deutschland zu entscheidenden Ereignissen die sich vor allem in Osterreich und PreuBen abspielten (vgl. Frotscher 1999: 150). In erster Linie war das Bfirgertum fiber den Widerstand der Regierung ver-bittert, eine zeitgemäBe Verfassung auszugestalten und berief so in Berlin und anderen Städten Volksversammlungen ein. Erste Konzessionen der Regierung erfolgten bereits vor dem 18. März, dem Tag der StraBenschlachten in Berlin die rund 300 Opfer forder-ten. Hartung sieht gerade in der persönlichen Demfitigung des Königs durch seinen Auf-ruf an das Volk vom 19. März die fast vollständige Ausschaltung des Königtums und der altständischen Partei (Hartung 1950: 253). Die liberale Opposition fand sich in den Ver-einigten Landtagen wieder, die ständischen Ideale des Königs schienen aufgegeben zu sein. Die Nationalversammlung sollte nur aus einer Kammer bestehen, das „Wahlgesetz ffir die zur Vereinbarung der preuBischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung vom 8. April 1848" sah gleiche, geheime aber indirekte Wahlen fiber Wahlmänner vor2 (Weber 1910: 3). Jedoch war dieses Wahlgesetz welches nur acht Monate Geltung haben sollte, demokratischer als das folgende Wahlgesetz welches im Zuge der oktroy- ierten preuBischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 erlassen] wurde. Es bedeute inso-weit eine Verschlechterung für den Bürger, als es nur noch den selbstständigen PreuBen das Wahlrecht lieB. Jedoch wagte die reaktionäre Regierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht an der geheimen und gleichen Wahl zu rütteln (Weber 1910: 4). Nach dem Vorbild der belgischen Verfassung von 1831 versuchte die „zur Vereinbarung der Verfassung berufene Versammlung" ein Modell zu erarbeiten, das letztendlich ebenso wie die Charte Waldeck von der preuBischen Nationalversammlung abgelehnt wurde. Nach Meinung Hartungs wurde der Versuch der Nationalversammlung, den ersten Entwurf in eine radikaldemokratische Richtung umzuarbeiten zu ihrem Verhängnis. Sie hatte nicht einen neuen Staat zu schaffen sondern einen alten zu reformieren, dabei ignorierte sie jedoch das König- und Beamtentum, die Armee und den Adel die sich rasch von der Niederlage der Märztage erholten (vgl. Hartung 1950: 254). Jedoch blieb der Erfolg der Idee, das absolute Königtum durch die Macht der Verfassung zu beschränken und der Bevölkerung EinfluB auf die Leitung des Staates zu geben. Am Tag der Auflösung der Nationalversammlung wurde deshalb eine Verfassung oktroyiert, die in einigen Punkten mit dem Entwurf der Nationalversammlung übereinstimmte.

2.1 Das preuBische Wahlrecht während der oktroyierten Verfassung

Die oktroyierte Verfassung entsprach nicht den Wünschen des Königs, wurde aber von ihm erlassen da es zu dieser Zeit als die beste Möglichkeit erschien, die revolutionäre Stimmung der Märztage im Land zu beruhigen und eine der Hauptforderungen der Liberalen zu erfüllen: eine Verfassung für den preuBischen Staat (siehe Hartung 1950: 255, Frotscher 1999: 162). In Artikel 112 der daraufhin oktroyierten Verfassung war vorbehalten worden, dass die Verfassung sofort nach dem ersten Zusammentritt der bei-den Kammern revidiert und der König, die Kammern und Staatsbeamten vereidigt wer-den sollten (vgl. Dreier 2007a: 10). Jedoch wurde die zweite Kammer nach ihrem Zusammentritt am 27. April 1849 aufgelöst, da sie versuchte den König zur Annahme der Frankfurter Reichsverfassung3 und zur Beendigung des Belagerungszustands von Berlin zu zwingen (vgl. Hartung 1950: 255). Vorher war Friedrich Wilhelm IV. am 28. März von der Nationalversammlung zum „Kaiser der Deutschen" gewählt worden, hatte die Deputation die am 3. April in Berlin erschienen war um ihm den Titel anzutragen jedoch abgewiesen. Im Gegensatz zu seinem Aufruf an die Berliner Bevölkerung vom 19. März 1848 in der er beschwichtigende Zugeständnisse machte, war seine Absage an die Deputation der Nationalversammlung von selbstsicherer, dem monarchischen Prin-zip folgendender Arroganz gegenüber der verfassungsgebenden Versammlung geprägt, der er schlicht jegliche Legitimation absprach (siehe Frotscher 1999: 172).

Durch die Auflösung der zweiten Kammer am 27. April zeigte der König zum wieder-holten Male, dass er nicht bereit war die Paulskirchenverfassung zu akzeptieren und die politische Abstimmung mit den eigenen Volkskammern nur zu vollziehen, solange diese nicht gegen seine Interessen verstieBen.

In der oktroyierten Verfassung von 1848 wurde das Dreiklassenwahlrecht bereits in Artikel 67 in Erwägung gezogen: „Bei der Revision der Verfassungsurkunde bleibt zu erwägen, ob nicht ein anderer Wahlmodus, namentlich der der Eintheilung nach bestimmten Klassen für Stadt und Land, wobei sämmtliche bisherige Urwähler mitwäh-len, vorzuziehen sein möchte" (Dreier 2007a: 6). Um in Zukunft den besitzenden Klas-sen einen stärkeren EinfluB auf die Politik als der breiten Masse zu gewähren, wurde durch eine königliche Verordnung vom 30. Mai 1849 das geheime, gleiche Wahlrecht vom 8. April 1848 aufgehoben und durch das Dreiklassenwahlrecht4 ersetzt, welches die Urwähler in drei Klassen aufteilte und die Stimmenabgabe in öffentlicher Form vor-schrieb (siehe Hartung 1950: 255). Da die Demokraten die Rechtsgültigkeit dieser Ver-ordnung anfochten und die Wahl boykottierten, hatte die nach dem Dreiklassenwahl-recht neu gewählte Kammer eine konservative Mehrheit.5 Durch diese Mehrheit wurde die Verordnung nun von den Kammern nachträglich genehmigt, wie es in Artikel 105 der oktroyierten Verfassung vorgeschrieben war (vgl. Hartung 1950: 255). Den Ent-scheidungsprozess zur Einführung des Wahlgesetzes schildert Rudolf von Gneist wie folgt:

[...]


1 Artikel 105 lautet wie folgt: „Gesetze und Verordnungen sind nur verbindlich, wenn sie zuvor in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Wenn die Kammern nicht versammelt sind, können in dringenden Fällen, unter Verantwortlichkeit des gesamten Staatsministeriums, Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen" (vgl. Dreier 2007a: 9).

2 Da die Berliner Nationalversammlung aus einem allgemeinen und gleichen Stimmrecht hervorgegangen war, konnte sie mit ihren Verfassungsvorschlägen zu keinem anderen Wahlgesetz als zur Anerkennung des allgemeinen, gleichen Stimmrechts gelangen (vgl. Gneist 1962: 21).

3 Die Frankfurter Reichsverfassung, auch bekannt als Paulskirchenverfassung erlangte wegen des Scheiterns der Revolution keine Geltung, galt aber als Orientierungsmodell für alle nachfolgenden gesamtstaatlichen deutschen Verfassungen: der Reichsverfassung Bismarcks von 1871, der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und dem Grundgesetz von 1949 (siehe Frotscher 1999: 164).

4 Diese königliche Notverordnung ist die „Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849" (vgl. Huber 2001).

5 Nach Meinung der Demokraten hatte die Gesellschaft 1848 ein unentziehbares Recht auf die gleichwertige Teilnahme aller Bürger an der Wahl erworben. Sie sahen die Verordnung des Königs als Staatsstreich mit der Verletzung wohlerworbener Rechte des Volkes. Bei der erneuten Wahl der zweiten Kammer und bei der späteren Revision der Verfassung beteiligten sich die Demokraten deshalb nicht. Später gaben sie jedoch diese Taktik als inopportun auf (vgl. Gneist 1962: 25).

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Das Dreiklassenwahlrecht in Preußen: Entstehung, Funktionsweise und Auswirkungen
Université
University of Bremen  (Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Verfassungsgeschichte seit 1806
Note
2
Auteur
Année
2009
Pages
18
N° de catalogue
V143883
ISBN (ebook)
9783640532230
ISBN (Livre)
9783640532421
Taille d'un fichier
440 KB
Langue
allemand
Mots clés
Dreiklassenwahlrecht, Preußen, Dreiklassenwahlsystem, Deutsche Verfassungsgeschichte, Preußische Verfassungsgeschichte
Citation du texte
Leon Keller (Auteur), 2009, Das Dreiklassenwahlrecht in Preußen: Entstehung, Funktionsweise und Auswirkungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143883

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