Eine Stadt in Gefahr? - Magdeburg zwischen Interim und Fürstenkrieg (1548-1552)


Epreuve d'examen, 2009

51 Pages, Note: 3,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung und Quellenlage

2. Das Reich in den Jahren 1500-1555
2.1 Karl V. und seine Politik
2.2 Kirche, Reformation und Politik bis 1548
2.3 Der Schmalkaldische Bund
2.4 Der Reichstag von Augsburg 1547/48 und das Interim
2.5 Der Fürstenkrieg

3. Geschichte Magdeburgs bis zum Interim

4. Unser Herrgotts Kanzlei - Magdeburgs Reaktion auf das Interim

5. Moritz von Sachsen

6. Magdeburg - Eine Stadt in Gefahr?

7. Exkurs: Wilhelm Raabe

8. Zusammenfassendes

9. Literatur und Bildnachweis

1. Einführung und Quellenlage

Eine Stadt in Gefahr? Jeder Magdeburger würde bei dieser Überschrift wahrscheinlich an die drei großen Zerstörungen der einstmals so bedeutenden Stadt an der Elbe denken: 1631 durch Tilly, 1945 durch die Bombenangriffe und in den Nachkriegsjahren durch die Sprengung der Kirchen und die Neubebauung der Stadt. Doch in der vorliegenden Arbeit geht es um die Jahre 1548 bis 1552, als Magdeburg von dem Kurfürsten Moritz belagert wurde. Dieses Thema scheint nicht allzu präsent zu sein, aber es hängt mit einem wichtigen symbolischen Namen der Stadt zusammen: „Unser Herrgotts Kanzlei“. Hier erinnert sich der Magdeburger an das Werk Wilhelm Raabes, der der Stadt damit ein Denkmal setzt und ihren mutigen Widerstandskampf bewundert. Doch was hat es wirklich mit diesem Kampf auf sich? Hatte Moritz von Sachsen tatsächlich vor, die Stadt zu erobern?

Um dieser Frage nachgehen zu können, ist es meiner Meinung nach nötig, ein klein wenig in die Vergangenheit zu reisen, denn ohne die Ereignisse im Schmalkaldischen Krieg wenigstens angerissen zu haben - ebenso wie die Verhältnisse und Beziehungen der Obrigkeiten untereinander - wird man die Entscheidungen und Vorfälle Anfang der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts kaum verstehen können. Eine besondere Rolle muss in meiner Arbeit der Kurfürst Moritz besetzen, dessen Geschichte eng mit der der Stadt Magdeburg verwoben ist. Beginnen werde ich diese Arbeit also mit einer Analyse der Vorbedingungen und Konstellationen im Reich und in der Stadt. Darauf folgt ein Kapitel über den Kurfürsten Moritz, in dem ich verschiedene Ansätze und Probleme vorstellen werde. Vor diesem Hintergrund werde ich im anschließenden Teil direkt der Frage nachgehen, ob Magdeburg tatsächlich eine Stadt in Gefahr war.

Nur soviel sei an dieser Stelle bereits gesagt: als Magdeburger ist man nie ganz unvoreingenommen und ich hätte eigentlich erwartet, dass die Magdeburger in Gefahr waren und nur durch ihren Mut der Situation entgangen sind. Doch leider spielt der Kurfürst in dieser Angelegenheit die wichtigere Rolle.

Doch zunächst soll auf die wichtigsten Quellen und Forschungsliteratur eingegangen werden.

Die Literatur über Magdeburg ist, was die einschlägigen Stadtgeschichten angeht, gut. Gerade die Publikationen, die in den letzten Jahren oftmals begleitend zu den großen Ausstellungen im Kulturhistorischen Museum erschienen sind, überzeugen. Jedoch gilt auch für die Geschichte der Stadt Magdeburg, dass bei den Publikationen, die in der ehemaligen DDR erschienen sind, gewisse Dinge mit Vorsicht zu lesen sind.1 Das Phänomen der „Herrgotts Kanzlei“ hat bis vor kurzem keine große Beachtung gefunden, was daran liegen mag, dass mit dem Interim ja ein Diskurs in der lutherischen Kirche selber begann. Mit dem Werk „ Das Ende der Reformation“ von Thomas Kaufmann hat sich diese Lücke jedoch geschlossen. In diesem Werk befindet sich auch eine große Bibliographie der in der Interimszeit in Magdeburg erschienenen Drucke.

Das Interim hat „trotz seines verhältnismäßig geringen Gewichtes im allgemeinen Geschichtsbewusstsein2 “, eine häufige historische und literarische Bearbeitung erfahren. So gibt es auch Literatur über das Interim in einzelnen Städten.3

Horst Rabe erwähnt jedoch, dass, jedenfalls bis zu seinem Werk4, die Schriften über die Spätzeit der Reformationszeit sehr spärlich sind, was an der bis dahin vorherrschenden Auffassung liegen mag, dass die wichtigsten Entscheidungen bis 1530 bereits gefallen waren.5 Rabe beurteilt die Quellenlage für die Zeit jedoch als gut, mit Ausnahme der Entstehung des Interims, da die einschlägigen Verhandlungen geheim geführt wurden.

Die Fachliteratur über Moritz von Sachsen ist in den letzten Jahren um einige gute Werke erweitert wurden6, so z.B. durch den Moritzkenner Johannes Herrmann, der eine schon fast liebevoll zu nennende Biographie geschrieben hat oder auch die neuen Forschungsberichte von Karlheinz Blaschke. Doch Moritz wurde auch schon oft in der älteren Forschungsliteratur behandelt, immer noch lesenswert sind z.B. die vielen Publikationen von Simon Ißleib.

Gerade die Publikationen von Ißleib sind sehr detailliert und beschreiben fast auf den Tag genau, was während der Belagerung Magdeburgs und der Fürstenverschwörung geschah. Leider fehlen in den Publikationen oft die entsprechenden Belege, zudem ist der Ton der

Ausführungen ein ganz anderer, als man es von heutigen Werken gewohnt ist. Die Veröffentlichungen Ißleibs liegen mittlerweile auch schon über 100 Jahre zurück, so dass ich diese Berichte für die vorliegende Arbeit zwar gelesen habe, sie aber nicht in dem Maße wie andere Werke verwendet habe. Für die genaue Beschreibung der Belagerung sind sie jedoch sehr interessant, insbesondere die Aufsätze im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte von 1884 und 1885.

Die Quellenlage ist mit der fünfbändigen Korrespondenz des Kurfürsten sehr gut. Ein nicht kleiner Teil der Korrespondenz beschäftigt sich zudem mit Magdeburg, so dass es möglich ist, einen direkten Einblick in die damaligen Ereignisse zu bekommen.

Leider wurde bei der Zerstörung Magdeburgs 1631 auch das mittelalterliche Ratsarchiv vernichtet, so dass viele mögliche Quellen und Akten für immer verloren sind.

2. Das Reich in den Jahren 1500-1555

Diese kurzen vier Jahre, um die es in dieser Arbeit gehen soll, liegen mitten im 16. Jahrhundert, in der sogenannten frühen Neuzeit, einer Zeit, die unwahrscheinliche viele Veränderungen mit sich brachte und den Anfang des Weges in unsere heutige Gesellschaft bereitete, nicht nur religiös, sondern auch politisch.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen, wie es sich seit den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts nannte, hatte dem Namen nach noch die drei berühmten Kronen inne: die des Deutschen Reiches, Burgunds und Italiens. Tatsächlich aber bestritt das Reich an den Grenzen viele Kämpfe, Probleme bereiteten Oberitalien7, die Eidgenossenschaft, Niederlande, der Deutsche Orden und Böhmen; nicht zu vergessen die Gefahr durch die Türken. Diese Grenzprobleme sind daher interessant, da sich im Laufe der hier zu behandelnden Jahre einige Dinge ändern. Rabe spricht von der sogenannten „Konfessionalisierung der Außenpolitik“8, das heißt, dass sich auf Grund der religiösen Krise die Reichsstände auch mit anderen Ländern zusammen taten, wie beispielsweise das Bündnis der Protestanten mit Frankreich. Dies war jedoch nicht das einzige verändernde Moment. Denn Rabe spricht zudem noch die Entwicklung der Staatsräson an, das heißt, dass die Interessen des Staates allen anderen (z.B. universalen) Interessen voranstanden.

2.1 Karl V. und seine Politik

An der Spitze des Heiligen Römischen Reiches stand seit dem Jahr 1519 Karl V., der damals zum König gewählt wurde, sich anschließend als „erwählter Kaiser“ titulieren ließ und 1530 dann auch vom Papst gekrönt wurde. Auch wenn in der früheren Forschung immer wieder geschrieben steht, dass der Kaiser weitestgehend alleine seine Entscheidungen traf, so muss man heute doch davon ausgehen, dass er stark auf seine Ratgeber hörte, besonders in der Zeit des Schmalkaldischen Krieges. Die wichtigsten Berater waren wohl Gravanelle9 und der kaiserliche Beichtvater Pedro de Soto sowie der König des Reiches Ferdinand.

Bereits am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges war die hohe Kunst der Diplomatie auf Seiten der Berater Karls V. zu erkennen. Das Bündnis zwischen Moritz und dem Kaiser muss als diplomatische Höchstleistung gewertet werden, jedoch war es auch nicht ungefährlich, da der Kaiser sich damit band. Einige der Versprechungen entsprachen nicht den wahren Zielen des Kaisers10, daher ist zu erkennen, dass Karl V. die Lage im Reich realistisch eingeschätzt hatte und wusste, dass es nicht einfach sein würde, den protestantischen Bund zu sprengen und er somit auf die Hilfe anderer angewiesen war. Was wollte der Kaiser nun erreichen? Karl V. wollte zum einen natürlich die Reformierten wieder zurück zur alten Kirche bringen, zum anderen wollte er aber auch durch die Zerschlagung des Schmalkaldischen Bundes die Macht des Habsburger Kaisertums gegenüber den Ständen stärken. Der Zeitabschnitt, der für diese Arbeit wichtig ist, beginnt mit dem Reichstag in Augsburg, auf dem Karls Grundauffassungen von Reichs- und Religionspolitik sehr gut zu erkennen sind. Trotz der sehr guten Ausgangslage und den gedrückten und kleinlauten Fürsten und Ständen wird der Kaiser eine endgültige Einigung nicht erhofft haben.11 Das Interim, welches auf dem Reichstag letztendlich verabschiedet wurde, entsprach nicht der Religionspolitik des Kaisers, da es ein Sondergesetz für die Protestanten geworden war. Der Kaiser wird sicher auch damit gerechnet haben, dass die Kritiker wie Moritz von Sachsen und Hans von Küstrin ihren Protest weiter verstärken. Auch die schnell einsetzende negative Publizistik wird dem Kaiser bekannt gewesen sein. Schon eher entsprach die sogenannte formula reformationis, mit der es zu Reformen an der katholischen Kirche kam, der Religionspolitik des Kaisers. Die Umsetzung dieser Reform gehört mit zu den Erfolgen des Kaisers und ist als ein wichtiger Reformanstoß in die Geschichte eingegangen. Die Konzilspläne müssen jedoch als gescheitert angesehen werden und damit auch die kaiserliche Religionspolitik, denn eine Wiedervereinigung der getrennten Gläubigen schien unmöglich geworden zu sein. Doch nicht nur die Religionspolitik, auch die Reichspolitik kann man letztendlich als gescheitert betrachten ( z.B. die Bundespläne), da das Reich in diesen Jahren schon so sehr in Bewegung war, dass es unmöglich war, die heraufziehenden Veränderungen im Territorialwesen und Konfessionalismus aufzuhalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Politik des Kaisers von vornherein zum Scheitern verurteilt war, damit würde man das politische Format des Herrschers verkennen.12

2.2. Kirche, Reformation und Politik bis 1548

Schon am Beginn des 16. Jahrhunderts war der laute Ruf nach Reformen in der Kirche zu hören, neu war jedoch, dass diese Rufe nicht nur von Klerikern kamen, sondern auch von Bürgern und Obrigkeiten. Die Kritik galt der Verweltlichung der Kirche, insbesondere auch der des Papstes und der unmoralischen Seite der Kirche.

Zu den Erscheinungen der Zeit gehören aber ebenso eine wachsende Frömmigkeit der Menschen sowie ein wachsendes Bildungsbedürfnis, insbesondere nach der Erfindung des Buchdruckes. Auch die Humanisten trugen dazu bei, dass der Weg für die Reformation frei wurde, die natürlich mit dem Namen Martin Luther verbunden ist.

Ohne nun genauer auf die Reformation einzugehen - denn das würde diese Arbeit sprengen- sollen einige wesentliche Punkte festgehalten werden. Festzuhalten ist zum einen, dass dem Kaiser in den ersten Jahren der Reformation die außenpolitischen Angelegenheiten oftmals wichtiger waren und weder er noch die Stände sich über die Kirchenspaltung und deren Konsequenzen wirklich bewusst waren. Die Reformation war zudem auf vielfältigste Weise mit den politischen und sozialen Konflikten der Zeit verknüpft, gerade auch in der Stadt, wo sich Religiöses mit dem Willen zur Selbstbestimmung verband.13 Durch die Reformation und den Buchdruck wurde es üblich, dass Texte und Predigten verschriftlicht wurden, die oftmals im satirischen Ton und volkstümlich geschrieben waren und sich so zum Vorlesen eigneten.

Seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts kam es dann auch zu konfessionellen Bündnissen, die erste Schritte eines Weges waren, der sich so bis zum 30jährigen Krieg fortsetzten sollte.

2.3 Der Schmalkaldische Bund

Berühmt geworden ist der Schmalkaldische Bund, der 1531 gegründet wurde und in dem sich Hessen, Kursachsen, weitere norddeutsche Fürsten, süddeutsche Städte und fast alle protestantischen Reichsstädte trafen. Nach dem Reichstag 1544 in Worms, genauer im Mai 1545, kündigte der Kaiser an, militärisch gegen den Schmalkaldischen Bund vorzugehen.

Da die Machtverhältnisse jedoch unsicher waren, mussten zunächst noch einige Gespräche geführt werden, in denen der Kaiser bedeutende Herrscher auf seine Seite zog14: zum einen Markgraf Albrecht Alkibiades von Brandenburg Kulmbach15, Herzog Moritz von Sachsen und Markgraf Hans von Küstrin16. Am 20. Juli 1546 wurde dann die Reichsacht über Sachsen und Hessen verhängt. Zum einen war es das Ziel des Kaisers, die Reformierten wieder zurück zur katholischen Kirche zu bringen, andererseits wollte er durch die Zerschlagung des schmalkaldischen Bundes das Habsburger Kaisertum gegenüber den Ständen stärken.

Obwohl der Krieg von Karl vielleicht nicht hauptsächlich als Religionskrieg geführt wurde, tat die zeitgenössische Publizistik doch alles, um es so aussehen zu lassen.

Auch wenn der Hauptschauplatz des Krieges in Oberdeutschland war, war die Bedrohung Sachsens durch Moritz natürlich sehr groß, zumal der Kaiser 1547, nachdem sich das schmalkaldische Heer im Süden schnell auflöste, höchstpersönlich gen Sachsen ritt, um dort die Entscheidung zu suchen. Zuerst schien das Glück sogar auf Seiten der Sachsen zu sein, denn Albrecht Alkibiades war in sächsische Gefangenschaft geraten. Es begannen sogar Vergleichsverhandlungen, doch im Frühjahr konnten sich die Heere des Kaisers, des Königs und Moritz vereinen. Die entscheidende Schlacht ging dann als die Schlacht von Mühlberg in die Geschichte ein, bei der die Protestanten unterlagen und Kurfürst Johann Friedrich in kaiserliche Gefangenschaft geriet. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es weiterhin einige gut befestigte Städte in Sachsen gab und auch die Lage im Nordwesten des Reiches durchaus vielversprechend für den Schmalkaldischen Bund aussah17. Trotzdem wurde am 19. Mai 1547 die Wittenberger Kapitulation unterzeichnet, als deren Resultat Moritz Kurfürst von Sachsen wurde und der alte Kurfürst Johann Friedrich in Gefangenschaft blieb. Durch den Triumph des Kaisers und dem dadurch erzeugten Ende des Schmalkaldischen Bundes schien es plötzlich so, dass sogar die Reformation selbst verloren gehen könnte. Denn was würde geschehen, wenn der Kaiser eine vollständige Rückführung in die alte Kirche verlangte? Selbst Melanchton, der ja nach Luthers Tod der führende Protestant geworden war, stellte dunkle Prognosen:

Video secutuarm doctrinae mutationem et novas distractiones Ecclesarium: Deinde quantum decus, dissipata schola nostra extinguitur: Nos divellimur. “18

Ein weiteres Ergebnis der schmalkaldischen Niederlage war die Gefangennahme Phillips von Hessen. Dies ist allerdings ein heikler Punkt gewesen und sogar König Ferdinand warnte davor, den Landgrafen gefangen zu halten, war dieser doch der Schwiegervater des Herzogs Moritz. Kaiser Karl jedoch kostete seinen Sieg aus und hatte mit der Gefangenschaft beider Häupter des Schmalkaldischen Bundes alle Trümpfe in der Hand, ebenso wie eine gewisse Sicherheit. Diese Entscheidung sollte dem Kaiser jedoch nur wenige Jahre später teuer zu stehen kommen.

Nach diesem kaiserlichen Sieg wollte Karl V. nun eine absolute Neuordnung der Verhältnisse im Reich und beschloss, diese auf einem Reichstag festzusetzen.

2.4 Der Reichstag von Augsburg 1547/48 und das Interim

Der längste Reichstag des 16. Jahrhunderts sollte eigentlich schon viel früher stattfinden, nämlich vor dem Ende des schmalkaldischen Krieges. Nach langen Beratungen jedoch, unter anderem mit König Ferdinand, kam man zu der Entscheidung, den Reichstag erst dann abzuhalten, wenn man sicher Herr der Lage war. Zwar waren im Juni 1547 noch nicht alle Städte unterworfen, der Kaiser plante jedoch mit Hilfe des Reichstages und auf Rechnung der Reichsstände eine förmliche Exekution gegen eben jene Städte anzuregen19. Am dritten Juli verließen nun endgültig die Einladungen zum Reichstag Bamberg.20

Bei der Betrachtung dieses Reichstages fällt sofort die gute Ausgangsposition des Kaisers ins Auge21. Nicht nur, dass er den innerdeutschen Krieg gewonnen hatte- auch außenpolitisch hatte er die Vorteile auf seiner Seite.22

Dies mag man auch daran erkennen, dass der Reichstag außergewöhnlich gut besucht war, alle sechs Kurfürsten reisten persönlich an. Eine persönliche Anwesenheit garantierte schnelles Eingehen auf die zu besprechenden Dinge und erweckte gleichzeitig den Anschein von Gehorsam. Davon abgesehen, war sicher allen Obrigkeiten im Reich bewusst, dass auf diesem Reichstag wichtige Entscheidungen fallen würden, gerade nach dem Sieg des Kaisers über den Schmalkaldischen Bund.

Die Themen dieses „geharnischten Reichtages“23 waren die Regelung des Glaubensstreites, eine Rückverlagerung des Konzils auf Reichsboden, die Neuerung des Kammergerichtes und die Reform der Landfriedensordnung. Die Ziele des Kaisers waren klar: das Habsburger Kaisertum stärken und den Weg für das Konzil freizumachen, um damit den Glaubensstreit zu beenden. Die katholischen Reichstände entschieden sich einhellig dafür, die Konzilspolitik des Kaisers zu unterstützen, bei den evangelischen Reichsständen war die Lage jedoch schwieriger. Zwar hatten Moritz von Sachsen, Hans von Küstrin und wenig später auch Joachim von Brandenburg erklärt, sich den Beschlüssen des Konzils zu unterwerfen, jedoch nur wenn diese „fromm, christlich und ohne Leidenschaft“24 zu Stande gekommen sind. Letztendlich erreichte der Kaiser, dass die Stände seine Konzilspolitik annahmen, was für das Oberhaupt eine absolute Notwendigkeit war. Mit dem Papst konnte sich der Kaiser noch nicht einigen, dem zu Folge war es wichtig, dass zumindest die Verhältnisse im Reich geklärt waren, was die Rückführung des Konzils nach Trier anging. Der Streit zwischen Papst und Kaiser Karl V. ist hochspannend, da auch hier wieder viele weitere Dinge mit einfließen, zum Beispiel die Eroberung Piacenzas oder die Bündnispolitik zwischen dem Papst und Frankreich, jedoch kann auch hierfür in dieser Arbeit kein Platz sein. Festzuhalten bleibt das Ergebnis, das eine herbe Enttäuschung für den Kaiser war: ein Konzil auf dem Boden des Reiches war erst einmal in weite Ferne gerückt.25

Nun hatte König Ferdinand den Kaiser bereits ein Jahr zuvor auf mögliche interimistische Lösungen aufmerksam gemacht. Der Entschluss zu einem religiösen Interim war schnell gefasst, nur die Umsetzung gestaltete sich schwierig. Was wollte der Kaiser mit dem Interim erreichen? Seehase fast dies so zusammen:

Wie schon um 1544 war Kaiser Karl V. bemüht, die mittelalterlichen Strukturen der Reichskirche mit den geistlichen F ü rstent ü mern zu erhalten. Daf ü r schien er bereit, sehr weitgehende Zugest ä ndnisse bei der Feier der Liturgie einzur ä umen, ohne jedoch die Religionssouver ä nit ä t aus der Hand geben zu wollen. Dies bedeutete die Bereitschaft, schon eingetretene Ä nderungen zu dulden, sofern aus geistlichen Stiftsgebieten keine weltlichen Staaten entst ü nden. “26

Vor dem Reichstag stand bereits fest, dass die Meinungen der Stände, wie der Glaubensstreit beigelegt werden könnte, weit auseinander klafften. Verhandlungen über die Religionsfrage gab es schon früh, bereits Anfang Juli rief der Kaiser eine erste Beratungsrunde ein.27 Nach dem Scheitern früherer Verhandlungen, erkannte der Kaiser, dass er selber handeln musste, da die Stände zu keinem Ergebnis kamen. So vertraute er den Entwurf des Interims einem kleinen Personenkreis ein, dessen Beratungen bis heute nicht gänzlich geklärt sind und so in der Forschungsliteratur zu einigen Irritationen geführt haben.28 An dem Interim wirkten letztendlich Julius Pflug, Michael Helding, Johann Agricola, de Soto, Malvenda und Saltzer mit. Dieser Kommission gelang es dann, sogar erstaunlich zügig, genauer am 15. März 1548, einen Interimsentwurf vorzulegen. Der Text stand letztendlich dem katholischen Denken viel näher als dem protestantischen, war jedoch auf eine Vermittlung bedacht.

Dieser Text sollte als Bekenntnisformel für beide Religionen gelten, zumindest bis es auf dem angestrebten Konzil zu einem endgültigen Vergleich kommen sollte. In den folgenden Verhandlungen gab es einige Zugeständnisse, jedoch auch viel Widerstand, insbesondere von Moritz von Sachsen29 und Hans von Küstrin auf protestantischer Seite sowie auf Katholischer Seite, insbesondere von den Bayern.30 Weder der Sachse, noch der Brandenburger oder aber auch der Straßburger Jakob Sturm gaben die Zustimmung zum Interim, das „provozierende Diktat Karls V.“.31

Trotzdem wurde das Interim am 30. Juni 1548 Reichsgesetz - jedoch ohne Gültigkeit für die Katholiken. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang noch die Antwort des Mainzer Erzkanzlers, der die Bereitschaft zum Gehorsam verkündete. Es wurde von einer verabredeten List gesprochen, was jedoch nicht glaubhaft ist. Nichts desto trotz verwundert diese schnelle Bejahung des Interims, ohne den genauen Text zu kennen. Es folgten dann auch schnell förmliche Proteste, die jedoch zu nichts führten. Gerade der Umstand, dass das Interim nur für die Protestanten gelten sollte, führte noch zu einigen Nachverhandlungen, so zwischen Moritz und dem Kaiser. Der Kurfürst könne sich nicht vorstellen, dass „ es ( das Interim ) zu Frieden und Ruhe gereichen werde, wenn jetzt ein teil genzlich domit verschont, und allein das ander damit beladen werde solle32 “. Wie Recht er damit hatte, sollte sich bald zeigen.

Konnte der Kaiser mit dem Ergebnis des Reichstages zufrieden sein? Wenn man die hervorragende Ausgangsposition des Kaisers in Betracht zieht, muss man dies eher verneinen. Zwar kam es zu manchen Einigungen in Bezug auf das Kammergericht oder den Landfrieden, aber die wirklich wichtigen Punkte konnten nicht zur Zufriedenheit des Kaisers geklärt werden. So kann nicht die Rede davon sein, dass der Kaiser seine Machtstellung ausgebaut hätte. Gescheitert war der Kaiser auch an dem katholischen Widerstand, so dass der Interimstext nur für die Protestanten Gültigkeit hatte. Gerade dieser letzte Punkt sollte die Fronten nur noch weiter verhärten. Nachdem der Reichstag nun sein Ende gefunden hatte, stellte sich aber erst einmal die Frage nach der Durchsetzung des Interims. Der Papst behinderte das Interim nicht, leidenschaftlicher Widerstand kam hingegen von den Protestanten. Viele Theologen verweigerten sich dem Interim und verließen ihre Stelle.

[...]


1 Nur ein Beispiel an dieser Stelle: So heißt es bei Asmus, Helmut, Geschichte der Stadt Magdeburg, S. 84:“ Die religiöse Polemik war aber überwiegend nur die ideologische Verbrämung des Kampfes gegen die drohende Unterwerfung unter kaiserliche oder landesfürstliche Macht(…). Die vordergründige religiöse Motivierung sollte die gesamte Stadtbevölkerung für die Interessen des Ratsbürgertums mobilisieren“. Das die religiösen Motive für die Magdeburger tatsächlich ausschlaggebend waren und keineswegs vorgeschoben- daran dürfte heute kein Zweifel mehr bestehen (vgl. Kapitel 4).

2 Weyrauch, Erdmann, Konfessionelle Krise und soziale Stabilität, S. 55. Dieser vergleicht hier das Interim mit dem Augsburger Religionsfriede von 1555 und sieht den Grund für das geringe Gewicht und die trotzdem quantitativ hohe Bearbeitung darin, dass das Interim Werkstattcharakter hatte und heftig umstritten war, während der Religionsfriede allgemeine Anerkennung fand und ein „fertiges Werk war“ .

3 So eben bspw. Erdmann Weyrauch, der sich mit dem Interim in Straßburg auf interessante Art und Weise beschäftigt.

4 Das meint bis in die frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.

5 Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 2

6 Nicht dazu gehört meiner Meinung nach das Werk Gebhardts „ Moritz von Sachsen“ aus dem Jahr 2007, der fast nur Pauschalurteile trifft und ohne jegliche Nachweise arbeitet

7 Dahinter verbirgt sich der lange Kampf der Häuser Habsburg und Valois um die Vorherrschaft in Italien, denn wer diese hatte, sollte auch die Vorherrschaft in Europa inne haben.

8 Horst Rabe, Deutsche Geschichte zwischen 1500 und 1600, S. 24

9 Nicolas Perrenot und Antoine Perrenot de Granvella, Vater und Sohn aus Burgund stammend. Der Vater gehörte vor allem in den hier so wichtigen Religionsdingen zum engen Berater des Kaisers. Gravanelle war auch derjenige, der vor dem Schmalkaldischen Krieg mit Moritz verhandelte.

10 Der Übergang der sächsischen Kurwürde interessierte den Kaiser zwar nur mäßig, anders war dies jedoch mit den wittelsbachischen Ansprüchen und den religiösen Zusagen. Als es jedoch darum ging, Moritz die versprochenen ernestinischen Gebiete nach dem Sieg über die schmalkaldischen Verbündeten zu übergeben, handelte der Kaiser streng nach seinen Interessen und Moritz bekam nur einige wenige Gebiete, anders als der Albertiner dies erwartet hatte. Der Kaiser war folgerichtig in keinster Weise daran interessiert, die ernestinische Linie völlig aussterben zu lassen, ein bestehender Konflikt im wettinischen Hause konnte nur in seinem Interesse sein.

11 Erdmann Weyrauch, Konfessionelle Krise und soziale Stabilität, S. 57

12 So urteilt Horst Rabe in „Reichsbund und Interim“, S. 72

13 Vgl. Rabe Horst, Deutsche Geschichte zwischen 1500 und 1600, S. 272. Über die Verbindung zwischen Stadt und Reformation ist in den letzten 20 Jahren viel geschrieben wurden, Auslöser war vermutlich Bernd Moellers „ Reichsstadt und Reformation“.

14 Dafür musste der Kaiser jedoch einige Zugeständnisse machen, beispielsweise versicherte er dem Markgrafen von Küstrin und Herzog Moritz, dass man nicht mit dem Schwert gegen die Religion vorgehen wolle, sondern bis zum Konzil den Glauben frei lassen wolle. In weiteren Zugeständnissen ging es vor allem um territoriale Gewinne und um die Kurwürde für Herzog Moritz. ( Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 70)

15 Albrecht Alkibiades ist eine sehr ambivalente Figur der Geschichte. Meist kommt er sehr schlecht weg in der Literatur, da er doch oft nur aus Machtwillen handelt. Trotzdem sind viele Ereignisse wohl ohne ihn kaum zu denken. Über Alkibiades z.B. Herrmann, Johann, Moritz von Sachsen, S. 191-194.

16 Markgraf Hans von Küstrin ist der Sohn des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg. Seine Parteinahme für den Kaiser erklärt sich durch die Vertreibung des Schwiegervaters Herzog Heinrich von Braunschweig. Schon bald sollte jedoch auch Hans von Küstrin- tief enttäuscht über die Haltung des Kaisers nach dem Krieg, seine Behandlung der Religionssache und sein absolutistisches Auftreten- sich wieder gegen den Kaiser wenden. Dies ist, wie bei Moritz von Sachsen, schon auf dem Augsburger Reichstag zu erkennen, als der Markgraf sich gegen das Interim aussprach. Er war es dann auch, der die Bündnisverhandlungen, die später zur Fürstenverschwörung werden sollten, vorantrieb.

17 Vgl. Rabe, Horst, Deutsche Geschichte zwischen 1500 und 1600, S. 402

18 Zitiert bei Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 68

19 Ebd. , S. 180. Rabe zitiert als Beweis dafür einen Brief, indem es heißt, dass der Kaiser sich nicht länger um die Unterwerfung von Magdeburg, Bremen und Braunschweig bemühen wolle.

20 Nach Rabe sind einige dieser erhalten, so in Wien, Augsburg, München und Ludwigsburg.

21 Rabe zitiert einige Zeitgenossen, die die Macht des Kaisers bestätigen, so beispielsweise Madruzzo, den Kardinalbischof von Trient, der den Kaiser den absoluten Herren Deutschlands nannte oder Kurfürst Joachim von Brandenburg, der von einem drohenden Servitut spricht. Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 68-69

22 So war sein langjähriger Gegner Franz I gestorben, ebenso wie der englische König Heinrich VIII., was Aussichten auf Entlastungen und Vorteile bot. Auch an der türkischen Front herrschte Ruhe, man hatte hier einen 5jährigen Waffenstilstand vereinbart.

23 Der Name kommt daher, dass Karl V all seine Truppen in Augsburg beließ. Nach Rabe ist der Name schon bei Sleidan 1610 in Benutzung. Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 182, Fußnote 13

24 Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 185

25 Vgl. für die Entwicklungen zwischen Kaiser und Papst beispielsweise Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S.240- 261

26 Seehase, Hans, Magdeburg 1200, S. 154. Mit eben jenem Dr. Seehase habe ich Kontakt aufgenommen, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Auch er betonte vor allem, dass der „ Mythos der unbesiegbaren Stadt“ für die Magdeburger sehr wichtig ist- darauf werde ich später noch eingehen.

27 Dieses erste Beratungsgespräch wird von Horst Rabe besonders hervorgehoben, da er hier die Ursprünge für die beiden Sondergesetzte (Interim und Formula reformationis) sieht. Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 192-194

28 Ebd., S. 425

29 Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zwar wollte der neue Kurfürst Sachsens das Verhältnis zum Kaiser nicht verschlechtern, doch musste er vor allem an die kursächsichen Stände denken, die ihren neuen Landesherren wahrscheinlich nicht mit Sympathie empfangen würden, sollte er dem Interim allzu offen zustimmen. Nicht zuletzt lastete an Moritz doch auch noch der Ruf des Verräters an der evangelischen Religion, der mit dem Kaiser gegen den schmalkaldischen Bund gekämpft hatte.

30 Laienkelch:, Priesterehe Zugeständnisse an Protestanten

31 Vgl. Schirmer, Uwe, Sachsen und die Reformation, In: Junghans, Helmar, S. 232

32 Zitiert bei Rabe, Horst, Reichsbund und Interim, S. 445, aus den gewechselten Aktenstücken zwischen Moritz und Karl V.

Fin de l'extrait de 51 pages

Résumé des informations

Titre
Eine Stadt in Gefahr? - Magdeburg zwischen Interim und Fürstenkrieg (1548-1552)
Université
University of Leipzig  (Historisches Seminar )
Note
3,0
Auteur
Année
2009
Pages
51
N° de catalogue
V144199
ISBN (ebook)
9783640543960
ISBN (Livre)
9783640544356
Taille d'un fichier
644 KB
Langue
allemand
Annotations
In der vorliegenden Arbeit geht es vor allem um die Frage, warum (und wie ernst) Kurfürst Moritz Magdeburg angegriffen hat und in wieweit die Magdeburger dies in ihrer Geschichtsschreibung dargestellt haben. Natürlich geht es dabei auch um den Ruf Magdeburg als Herrgotts Kanzlei. Besonders der ersten Frage ist bisher noch keine größere Beachtung geschenkt wurden und ich habe versucht, die Zusammenhänge der Jahre nach der Reformation bis zum Jahre 1552 zu verknüpfen.
Mots clés
Eine, Stadt, Gefahr, Magdeburg, Interim, Fürstenkrieg
Citation du texte
Maxi Pellmann (Auteur), 2009, Eine Stadt in Gefahr? - Magdeburg zwischen Interim und Fürstenkrieg (1548-1552), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144199

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