Die Transformation der Geisteswissenschaften in der Aktion Ritterbusch


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Was ist die „Aktion Ritterbusch“ ?
1.2. Aufgabenstellung

2. Die Altertumswissenschaft – Ein Vorbild für die Moderne ?
2.1. Die Stellung der Altertumswissenschaft im NS
2.2. Aktivitäten der Altertumswissenschaftler
2.3. Nutzen der Altertumswissenschaft für den NS
2.4. Bewertung der Publikationen

3. Die Geschichtswissenschaft – Eine Legitimationswissenschaft ?
3.1. Die Wichtigkeit der Geschichtswissenschaft im NS
3.2 Planung des historischen Kriegseinsatzes
3.3 Bewertung der neuzeitlichen Publikationen
3.4 Bewertung der mediavistischen Publikationen

4. Die Romanistik – Passiver Widerstand innerhalb des Kriegseinsatzes ?
4.1. Der Abstieg der Romanistik
4.2. Organisation des romanistischen Kriegseinsatzes
4.3 Bewertung der Publikationen
4.4 Widerstand gegen den Kriegseinsatz

5. Auswertung
5.1 Fazit der Auswertung
5.2 Gründe für gemäßigte Publikationen
5.3 Das Scheitern der „Aktion Ritterbusch ?

1. Einleitung

1.1. Was ist die Aktion Ritterbusch ?

Unter den Führungskräften des nationalsozialistischen Deutschlands herrschte die Meinung vor, nur diejenigen Völker seien fähig, Krieg zu führen „bei denen das Soldatische, das Geistige und Seelisch-Sittliche und das Wirtschaftliche eine Einheit und Ganzheit bildeten“[1]. Die Niederlage im 1. Weltkrieg sei selbst verschuldet gewesen, da man „die geistige Auseinandersetzung mit […] der Wertwelt des Gegners"[2] vernachlässigt habe, was schließlich zu einer „moralischen Schwächung der Heimatfront beigetragen“[3] habe. Die Meinungsbildung bei den Neutralen sei ebenfalls den Alliierten überlassen worden.[4] Damit Fehler dieser Art nicht wiederholt werden, rief kurz vor Beginn des Westfeldzuges der Kieler Rektor Paul Ritterbusch die ‚Aktion Ritterbusch’ ins Leben, indem er angesehene Vertreter von wichtigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen (u.a. Germanisten, Romanisten, Anglisten, Altertumswissenschafter, Historiker, Philosophen, Geographen, Juristen) nach Berlin einlud. Deren Aufgabe war fach- und universitätsübergreifend eine ‚neue geistige Ordnung Europas’ den deutschen Kriegszielen gemäß wissenschaftlich zu unterlegen. Diese neue nationalsozialistische Wissenschaft sollte trotz ihres „festen nationalen Standpunkts“[5] auch vorbildlichen Charakter für das Ausland und internationale Bedeutung besitzen, das Motto lautete: „Neben den besten Soldaten der Welt muss der beste Wissenschaftler der Welt stehen“[6]. Zur Bewältigung dieser gewaltigen Aufgabe wurde ein innovativer Ansatz des geisteswissenschaftlichen Arbeitens eingeführt, analog zum Konzept der Volksgemeinschaft, bildete man mit der ‚Aktion Ritterbusch’ eine ‚Wissenschaftlergemeinschaft’, in der gemeinsames Forschen und Publizieren die Regel werden sollte. Da die Geisteswissenschaften den nationalsozialistischen Eliten seit jeher als lebensfremd, weltfern und kaum förderungswürdig galten[7] war dies für viele Geisteswissenschaftler eine einzigartige Chance sich und die Wichtigkeit ihres Faches zu beweisen, dementsprechend groß war die Begeisterung und der Zulauf.

1.2. Aufgabenstellung

Die Aufgabe der vorliegenden Hausarbeit ist eine Untersuchung dreier beteiligter Disziplinen der ‚Aktion Ritterbusch’, im Folgenden oft auch als ‚Gemeinschaftsprojekt’ oder ‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften’ bezeichnet. Dabei wird zunächst überprüft werden, wie sich die Stellung der jeweiligen Disziplinen nach Machtergreifung der Nationalsozialisten verändert hat, welche Bedeutung der Nationalsozialismus den einzelnen Geisteswissenschaften beimaß und wie diese ihm dienlich sein konnten. Einen weiteren zentralen Teil nimmt die deskriptive Darstellung der geplanten und realisierten Aktivitäten ein, um besser nachvollziehen zu können unter welchen Rahmenbedingungen die Publikationen der einzelnen Disziplinen entstanden und wie diese zu bewerten sind. Wie stark waren die Werke vom damaligen völkisch-nationalen Geist durchdrungen, findet sich auch hier der oft zitierte ‚wissenschaftliche Niveauabfall’ oder inwieweit können sie auch noch heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen? Abhängig von den Ergebnissen dieser Untersuchung folgt die Darstellung der Gründe für den Erfolg bzw. Misserfolg des ‚Gemeinschaftsprojektes’. Warum gelang bzw. misslang die ideologische Kontaminierung der Geisteswissenschaften in der „Aktion Ritterbusch“? Ob die oben beschriebenen Ziele aus Sicht der nationalsozialistischen Machthaber erreicht wurden oder kann man von einem Scheitern der „Aktion Ritterbusch“ sprechen ?

2. Die Altertumswissenschaft – ein Vorbild für die Moderne ?

2.1. Die Stellung der Altertumswissenschaft im Nationalsozialismus

Unter der Bezeichnung Altertumswissenschaft wurde in der Zeit des Nationalsozialismus sowohl die historische Beschäftigung mit der Antike, als auch der philologische Umgang mit lateinischen bzw. griechischen Quellen verstanden. Erst nach Ende des zweiten Weltkrieges folgte die heute noch gültige Aufteilung in Klassische Philologie, Alte Geschichte und Archäologie. Die Stellung der lateinischen Sprache verbesserte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunächst und auch der antiken Geschichte wurde wieder mehr Wertschätzung gegenübergebracht. Dies galt nicht zuletzt, weil Hitler selbst deklariert hatte „jeder deutsche Oberschüler solle die beiden imperialen Sprachen Englisch und Latein lernen“[8]. Ebenso mahnte er Beschäftigung mit antiken Inhalten an: „Der Student solle sich im Geschichtsunterricht […] nicht vom Studium mit der Antike abbringen lassen. Römische Geschichte, in ganz großen Linien aufgefasst, ist und bleibt die beste Lehrmeisterin nicht nur für heute, sondern für alle Zeiten.“[9]

2.2. Aktivitäten der Altertumswissenschaftler

Die Altertumswissenschaften beteiligten sich erst mit Verspätung am Kriegseinsatz, zeigten sich aber dann ziemlich aktiv. Das erste Treffen der Altertumswissenschaft wurde 1941 in Berlin zum Thema ‚Das neue Bild der Antike’ geplant. Das Programm dieser Tagung[10], das glücklicherweise vorliegt, beinhaltet eine Liste von vierzig Themen, die in schriftlicher Form bearbeitet wurden. Zehn ausgewählte Themen davon wurden zusätzlich noch als Vorträge gehalten. Über den Inhalt dieser Beiträge kann heute teilweise nur noch gemutmaßt werden, die Betrachtung der einzelnen Titel mag noch relativ unverdächtig scheinen und wohl fast alle Titel könnten sich auch auf heutigen Publikationen befinden. Allerdings zeigt sich bei Miteinbeziehung aller 40 Titel eine auffällige Konzentration auf bestimmte Themenkomplexe. Zwei Themen (‚Archaische Kunst’ und ‚Die geometrische Kunst’) bezogen sich auf antike Kunst und Architektur, welche von den Nationalsozialisten als maßgeblich betrachtet wurden, vier Themen hatten Referenz zur römischen ‚Kolonialpolitik (‚Die Grundlagen der altrömischen Lebensordnung’, ‚Der römische Imperialismus’, ‚Römische Staatarchitektur’ und ‚Raumauffassung und Raumordnung in der römischen Politik’) und bei weiteren vier Themen waren wohl die Germanen zentrales Kernstück (‚Römer und Germanen’, ‚Tacitus’, ‚Die einheimische Bevölkerung der keltisch-germanischen Provinzen’ und ‚Theoderich’). Allein schon diese Häufung bestimmter Themen, die sich in dieser Form wohl heute bei Überblicks- oder Gesamtdarstellungen nicht mehr finden würde, legt den Verdacht nahe, dass die Beiträge eine völkisch-rassische Komponente und höchstwahrscheinlich auch Aktualitätsbezug hatten.

2.3. Der Nutzen der Altertumswissenschaft für den Nationalsozialismus

Gerade dies, nämlich die Bedeutung der Antike für das damalige Deutschland hervorzuheben, war eines der Hauptanliegen der Altertumswissenschaft und sollte in allen Publikationen realisiert werden. Beispielhaft dafür ist unter anderem ein Vorwort von Helmut Berve, dem Leiter des Einsatzes der Altertumswissenschaft:

„Ursprünglicher, als ein Stück der eigenen leiblichen und geistigen Existenz, empfinden wir die aus der Antike in die Gegenwart fortwirkenden Kräfte.

In aufregende Nähe rücken unter dem übermächtigen Erlebnis weltbewegender Politik der politische Instinkt der Römer, der Staatsgedanke der Hellenen, das historische Schicksal beider Völker.

Der ungemeine Auftrieb, den Sport, Leibeskultur und überhaupt leiblicher Sinn mit der Verwirklichung nationalsozialistischer Grundgedanken erfahren, schafft ein natürlich enges Verhältnis nicht nur zu Sport und bildender Kunst der Alten, sondern allgemein zu dem sinnlichen Denken und Fühlen, dass ihr Leben trug und ihre Werke erfüllt.

Wie sich härtester Realismus und reinster Idealismus im griechischen Menschen treffen konnten, vermögen wir heute zu ahnen […]

der wach gewordene Rasseninstinkt unseres Volkes lässt die beiden Völker der Antike , jedes in seiner Weise, als unseres Blutes und unserer Art empfinden, er schließt sie in den Kreis seiner Wesensverwandtschaft mit ein. Besseren Rechtes denn früher dürfen wir daher von ihnen als unseren geistigen Ahnen sprechen.“[11]

Ziemlich deutlich kann man hier erkennen inwiefern die Altertumswissenschaft dem Nationalsozialismus nützlich sein konnte. Sie wurde benutzt, um Deutschland kulturell aufzuwerten und scheinbare Parallelen zu den Römern und Griechen aufzuzeigen. Indirekt wurden hier Griechen und Römer als geistig wesensverwandt, fast schon als eine Art ‚Ur-Nationalsozialisten’ bezeichnet, deren Erbe es fortzusetzen galt. Das Vorwort entsprach ziemlich genau dem Bild, das Berve im Nationalsozialismus abgab. Er war unter den Hochschuldozenten einer der Hauptträger des Nationalsozialismus, der weitaus mehr als bloße Lippenbekenntnisse lieferte. Sein Konzept bestand darin, die Altertumswissenschaft zu transformieren, sich von humanistischen Traditionen abzuwenden und aus ihr eine Geisteswissenschaft mit Lebensverbundenheit zu machen. Diese „gegenwartsbezogene Vitalisierung der Antike“[12] sollte in erster Linie propagandistisch brauchbare Munition gegenüber den Westmächten und der Sowjetunion liefern. Dieser Aufgabe war sich Breve nicht nur bewusst und akzeptierte sie notgedrungen, sondern er unterstützte diese wissenschaftliche Ausrichtung sogar aktiv:

„Was wir einer teils bolschewisierten, teils amerikanisierten Welt entgegenzusetzen haben an kultureller Ueberlegenheit, liegt in den Gehalten der Geisteswissenschaften beschlossen […] Das deutsche Volk wird seinen geistigen Führungsanspruch in Europa und über die Grenzen unseres Erdballs hinaus nur durchsetzen können, wenn es auch auf diesem Feld seine Überlegenheit, die bisher unbestritten war, bewahrt und nach Möglichkeit steigert“[13]

Das Bild vom missbrauchten Wissenschaftler, der sich dem System ungern und notgedrungen angepasst hatte, das nach Kriegsende von vielen Wissenschaftlern vertreten und gepflegt wurde, kann also zumindest in seinem Fall wohl kaum zutreffen.

[...]


[1] Paul Ritterbusch, Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum, Berlin 1942, S.16

[2] Paul Ritterbusch, Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum, Berlin 1942, S.16

[3] Zitiert nach: Frank-Rutger Hausmann, Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt a. Main 2003, S.297

[4] Vgl. Frank-Rutger Hausmann, Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt a. Main 2003, S.297

[5] Theodor Spira, „Beiträge zur Geschichte und Aufgabe der englischen Studien in Deutschland“, in: Anglia 60, 1936, S.19

[6] Paul Ritterbusch, Wissenschaft im Kampf umRreich und Lebensraum, Berlin 1942, S.22

[7] Vgl. Frank-Rutger Hausmann, Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945, München 2002, S.VIIff.

[8] Frank-Rutger Hausmann, Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt a. Main 2003, S.98

[9] Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1938, S. 328f.

[10] Vgl: Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaften“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch (1940-1945), Dresden 1998, S. 127f.

[11] Helmut Berve, Das neue Bild der Antike, Leipzig 1942,S.6

[12] Helmut, Berve, Das neue Bild der Antike, Leipzig 1942,S.5

[13] Helmut Berve, Ist Forschung wichtig ?, in: Hannoverscher Kurier, Nr. 83, 24.3.43, S.5, zitiert nach: Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaften“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch (1940-1945)“, Dresden 1998, S.134

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Transformation der Geisteswissenschaften in der Aktion Ritterbusch
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Wissenschaften im Nationalsozialismus
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V144262
ISBN (eBook)
9783640539451
ISBN (Buch)
9783640539956
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transformation, Geisteswissenschaften, Aktion, Ritterbusch
Arbeit zitieren
Daniel Conley (Autor:in), 2006, Die Transformation der Geisteswissenschaften in der Aktion Ritterbusch , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144262

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