Von der Defizit-Hypothese zur Differenz-Theorie

Entwicklungen in der Soziolinguistik


Seminararbeit, 2009

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Bernsteins Defizit- Hypothese
1.1 Ausgangssituation
1.2 Elaborierter und restringierter Code
1.3 Sprache und Sozialisation
1.4 Kritik an der Defizit- Hypothese

2. Labovs Differenz-Theorie
2.1 Ausgangssituation
2.2 Defizit- Hypothese und Differenz- Theorie: Ein Vergleich
2.3. Kritik an der Differenz-Theorie

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit dem Beginn einer systematischen Erforschung des Verhältnisses von Sprache und sozialem Kontext um 1960 konnten zahlreiche Weiterentwicklungen innerhalb der Soziologie verzeichnet werden. Diese Arbeit konzentriert sich vor allem auf die Entstehung der Varietätenlinguistik aus einem Bewertungsbefund, der das Sprachverhalten bestimmter sozialer Schichten als defizitär einstuft. Hierfür sind besonders die Defizit- Hypothese Bernsteins, als auch die Differenz- Theorie Labovs ausschlaggebend, die im Folgenden näher untersucht werden sollen. Die Begrifflichkeiten des elaborierten und restringierten Codes werden detailiert beleuchtet und hinsichtlich ihrer Gültigkeit untersucht. Der Fokus liegt innerhalb der Theorie Bernsteins auf der Auswirkung von spezifischem Sprachverhalten auf Sozialisationsprozesse, als auch auf dem generellen Verhältnis von Sprache und Gesellschaft. Im zweiten Teil soll die Entwicklung verdeutlicht werden, die sich vollzog, indem durch die Differenzkonzeption Labovs sprachliche Stigmatisierungen zugunsten eines Varietätenkonzeptes umformuliert wurden. Die signifikanten Unterschiede, sowohl in sprachlicher, als auch in sozialer Hinsicht werden herausgearbeitet und liefern einen diachronen Überblick über wesentliche soziolinguistische Entwicklungsprozesse. Aufgrund der Komplexität der Aufsätze Bernsteins soll an dieser Stelle bewusst kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, sondern eine Konzentration auf einige wesentliche Aspekte erfolgen.

Die relevante Textgrundlage der Arbeit bilden die Aufsätze von Basil Bernstein aus ´Soziale Schicht, Sprache und Kommunikation`, sowie aus `Sprachliche Kodes und soziale Kontrolle` in Übersetzung, als auch William Labovs `Sprache im sozialen Kontext`.

1. Bernsteins Defizit- Hypothese

1.1 Ausgangssituation

Die 1958 vom Soziologen Basil Bernstein veröffentlichte Defizit- Hypothese bildet einen der wichtigsten Ausgangspunkte für das Aufkeimen der Soziolinguistik. Indem er das Verhältnis von sozialer Schichtung und spezifischen Sprachmustern untersuchte, gelangte er zu der Erkenntnis, dass sich das Ausdrucksverhalten von Angehörigen der Unterschicht in vielfacher Hinsicht von demjenigen der Mittelschicht unterscheidet. Die Sprachformen der beiden Schichten werden als Codes bezeichnet, innerhalb deren Differenzierung das Sprachverhalten der Unterschicht als defizitär bewertet wird. Bernstein entwirft seine Theorie auf der Grundlage der Vorarbeiten von Schatzmann/ Strauss (1955), sowie Sapir/ Whorf (1929). Während erstere implizite und explizite Sprechstrategien unterschieden, stützt sich die Sapir- Whorf- Hypothese auf die Annahme, dass „ verschiedene sprachliche Systeme unterschiedliche Gesellschaftserfahrungen implizieren“.[1] Diese linguistische Relativitätsthese legt eben jenen Determinismus zugrunde, der sich auch in Bernsteins soziologischem Entwurf findet. Beide Konzepte betonen zwar den Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Schichtung und Sprache, aber erst Bernstein interpretiert ihn als zirkulären Prozess, in dem sich Sozialstruktur und Sprachverhalten gegenseitig reproduzieren.[2]

1.2 Elaborierter und restringierter Code

Sprache als soziales Phänomen, als Instrument zur Kommunikation, bildet immer auch Persönlichkeiten ab, die einander sehr ähnlich sein können, oder auch sehr verschieden. Die Soziolinguistik bündelt jene sich in Bezug auf Vokabular, grammatische Korrektheit oder auch dialektale Eigenheiten ähnelnden Individuen zu Sprechergemeinschaften. Sowohl die Mittel-, als auch die Unterschicht stellen solche Sprechergemeinschaften dar, denen wiederum ein charakteristischer Code zuzuordnen ist. Unter einem soziolinguistischen Code versteht Bernstein „sprachliche Planungsstrategien“, die nach systematischer Regelhaftigkeit realisiert werden.[3] Der elaborierte Code wird demnach von der Oberschicht genutzt, wobei der restringierte Code innerhalb der Unterschicht seine Verwendung findet.[4] Beide unterscheiden sich neben der Explizitheit, grammatischen Korrektheit und argumentativen Strukturiertheit besonders in Bezug auf ihre Vorhersagbarkeit.[5] Während Sprecher des elaborierten Codes über eine Vielzahl von Variationsmöglichkeiten auf syntaktischer und semantischer Ebene verfügen und ihre Aussagen schwer vorherzusehen sind, verfügt der restringierte Sprecher nach Bernstein über weniger Sprachmaterial, weswegen seine Aussagen wesentlich vorhersagbarer sind. Zudem verlaufe sein Kommunikationsverhalten gänzlich statusorientiert. Probleme werden nicht verhandelt, Dinge nicht erklärt, Emotionen nicht erläutert. Im Kontrast dazu sei das Sprachverhalten des elaborierten Sprechers personenorientiert. Erläuterungen, Abwägungen und Konsensfindung stehen hier im Vordergrund und führen Bernstein letztlich zu dem Urteil, dass der Sprecher der Unterschicht demjenigen der Mittelschicht defizitär unterlegen sei.[6] Das schichtenspezifische Sprachverhalten wird demzufolge von Bernstein in direkte Verbindung mit Denkmustern und Intellekt gesetzt; einer Person, die mittels restringiertem Code kommuniziert, wird in Konsequenz dessen also weniger Intelligenz und Erkenntnisfähigkeit zugeschrieben. Dies begründete Bernstein unter anderem damit, dass der Sprecher des elaborierten Codes über ein so großes Repertoire verfüge, dass er nach Bedarf auch den restringierten Code verwenden könne, umgekehrt sei diese Form des Code- Switchings jedoch nicht möglich. Die Sprecher der Unterschicht „wählen aus dem gesamten Repertoire von lexikalischen Einheiten und syntaktischen Regeln weniger, diese aber häufiger aus“[7] und verfügen damit nur über eine Teilmenge der gesamten Sprachalternativen. Bernstein nimmt eine weitere Differenzierung zwischen dem Sprachverhalten der beiden Schichten vor. Der elaborierte Sprecher drücke sich vorwiegend explizit aus und verfüge über die Fähigkeit zur Abstraktion, wogegen der Sprecher der Unterschicht in einer eher konkreten Welt lebe, die er implizit durch Sprache mitteile.[8] Die unübersehbare Gleichsetzung von Kognition und sprachlichen Planungsstrategien, die auch als Sozialdarwinismus tituliert wird, rief viele Kritiker hervor, die eine derartige Theorie für nicht fundiert genug und diskriminierend hielten. Hierauf soll in Punkt 1.4 näher eingegangen werden.

1.3 Sprache und Sozialisation

Ein großer Teil des alltäglichen Lebens wird von Sprache dominiert. Gerade für Heranwachsende ist sprachliche Orientierung ein wichtiger Faktor zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit. Sie kann Gemeinschaft innerhalb von sozialen Gruppen stiften, sie kann aber auch ausgrenzend und hinderlich wirken. Gerade Kinder nehmen meist von Geburt an unkritisch auf, was ihr soziales Umfeld ihnen sprachlich vorlebt. Im Falle einer Umgebung, die sich vorwiegend des restringierten Codes bedient, kann dies zu einer erheblichen Problematisierung des Sozialisationsprozesses insgesamt führen.

[...]


[1] Dittmar, Norbert: Soziolinguistik. Exemplarische und kritische Darstellung ihrer Theorie, Empirie und Anwendung. Mit kommentierter Bibliographie. Frankfurt am Main: 1973. S. 3.

[2] Ebd. S. 4.

[3] Ebd. S.9.

[4] Die Klassifizierung von elaboriertem und restringiertem Code ist äquivalent zu den vormals verwendeten Bezeichnungen öffentlich und formal.

[5] Vgl. Neuland, Eva (Hrsg.): Sprache und Schicht. Texte zum Problem sozialer Sprachvariation. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Eva Neuland. 3. Auflage, Neufassung. Frankfurt am Main: 1978. S. 61.

[6] Vgl. Linke, Angelika/ Markus Nussbaumer/ Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik. 5. erweiterte Auflage. Tübingen: 2004. S. 339.

[7] Dittmar, Norbert: Soziolinguistik. 1973. S. 26.

[8] Vgl. Ammon, Ulrich: Dialekt, soziale Ungleichheit und Schule. Weinheim: 1972. S. 121.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Von der Defizit-Hypothese zur Differenz-Theorie
Untertitel
Entwicklungen in der Soziolinguistik
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Germanistik/ Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Linguistik- Gesprochene Sprache
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V144301
ISBN (eBook)
9783640532254
ISBN (Buch)
9783640532469
Dateigröße
411 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
William Labov, Bernstein, Defizithypothese, Differenztheorie, Linguistik, Sozialisation, gesprochene Sprache, Varietätenlinguistik
Arbeit zitieren
Susanne Ackermann (Autor:in), 2009, Von der Defizit-Hypothese zur Differenz-Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144301

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