Erziehung und Ideologie - Theorie und Praxis der Erziehung in den offenen Jugendwerkhöfen der DDR


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1) Einleitung

2) Stellung und Aufgabe der Jugendwerkhöfe
2.1) Der JWH und die Jugendhilfe in der DDR
2.2) Gründe für die Einweisung in einen JWH

3) Erziehungsziele und pädagogische Methodik in der DDR
3.1) Erziehung und Ideologie
3.2) Die Erziehung zur allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit
3.3) Exkurs: Erklärungen für abweichendes Verhalten und Kriminalität
3.4) Kernelemente der DDR Pädagogik

4) Pädagogische Praxis in den Jugendwerkhöfen
4.1) Die Erzieher
4.2) Politisch ideologische Erziehung
4.3) Kollektiv, Arbeit und Disziplin
4.4) Erzieherische Mittel

5) Schlussbetrachtung

6) Abkürzungen

7) Quellen und Literatur

1) Einleitung

Die vorliegende Arbeit hat sich nicht zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Jugendwerkhöfe in der DDR nachzuzeichnen, sondern sie möchte vielmehr der Frage nachgehen in welchem Zusammenhang Ideologie und Erziehung gestanden haben. Die Jugendwerkhöfe, die letzte Erziehungsinstanz vor dem Strafvollzug, bilden dabei eine Art Kristallisationspunkt. Wenn hier die gewünschte „Umerziehung“ scheitert, bedeutet das auch ein ideologisches Scheitern. Daher wird vor allem untersucht werden, wie die Ideologie des Marxismus-Leninismus auf das Erziehungsideal wirkte und welche genuin sozialistischen Erziehungsmethoden zum Ziel führen sollten. Bei einer derartigen Verknüpfung von Erziehung und Ideologie schließt sich daher die Frage an, inwiefern die DDR Erziehung, besonders in den Jugendwerkhöfen, zum staatlichen Repressionsinstrument wurde und welchen Stellenwert die Erziehung für die DDR hatte. Ich möchte mich in dieser Arbeit dabei auf die offenen Jugendwerkhöfe beschränken, da eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau einer eigenen Arbeit bedürfte.

Zur Erarbeitung des Themas habe ich mich für folgendes Vorgehen entschieden: Eingangs erläutere ich, welche Stellung die Jugendwerkhöfe im Jugendhilfesystem hatten und aus welchen Gründen Jugendliche in eine solche Einrichtung eingewiesen wurden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich vor allem mit der Frage nach der Verknüpfung von Ideologie und Pädagogik und stellt kurz die Kernelemente der Erziehung in der DDR vor. Durch den Rekurs auf die Ideologie soll deutlich werden, welche entscheidende Bedeutung der Erziehung in der Umsetzung ideologischer und politischer Ziele beigemessen wurde. Innerhalb dieses Abschnittes erfolgt ein Exkurs in die kriminologische Ursachenforschung von jugendlicher Delinquenz und abweichendem Verhalten. Der Blick auf die angenommenen Ursachen des in der DDR als Fehlverhalten Interpretierten ermöglicht ein besseres Verständnis für die Wahl der Erziehunsmethoden. Im dritten und letzten Kapitel wird dann ein Blick auf die praktische Umsetzung der vorgestellten Theorien geworfen, um im Anschluss ein Fazit bezüglich der Wirksamkeit dieser Erziehung zu ziehen.

2) Stellung und Aufgabe der Jugendwerkhöfe

In diesem Kapitel soll überblickshaft erörtert werden, was der JWH war, d.h., wie war er rechtlich verankert und zu welchem politischen Ressort zählte er. Aus dieser Einordnung ergeben sich dann weitere Fragen, beispielsweise welche Aufgaben ihm zugedacht waren, welche Einweisungsgründe zu einer Einweisung führten und in welchem Maße er als Repressionsinstrument diente.

2.1) Der JWH und die Jugendhilfe in der DDR

Die Jugendwerkhöfe waren ein Organ der Jugendhilfe, die ihrerseits dem Ministerium für Volksbildung, seit 1963 unter Margot Honecker, untergeordnet war.[1] Unter Jugendhilfe verstand man folgendes: „Jugendhilfe umfaßt die rechtzeitige korrigierende Einflußnahme bei Anzeichen der sozialen Fehlentwicklung und die Verhütung und Beseitigung der Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen, die vorbeugende Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Minderjährigen sowie die Sorge für elternlose und familiengelöste Kinder und Jugendliche.[2] Vergleicht man diesen Anspruch der Jugendhilfe mit dem im KJHG formulierten, so fällt auf, dass sich Jugendhilfe heute vor allem als Angebot und Hilfe versteht, während Jugendhilfe in der DDR vor allem eine „ordnungspolitische Maßnahme des Staates(…)“[3] war und somit auch den Ruf eines repressiven Organes des Staates innehatte.[4]

Je verwurzelter die Bürger in ihren jeweiligen Kollektiven (Pioniergruppe, FDJ, Arbeitskollektiv, Familie) waren, umso besser seien die Prinzipien des sozialistischen Zusammenlebens zu verwirklichen. Zeigte sich nun eine „Störung“ in der Integration in Kollektive oder gar ein Rückzug aus den Kollektiven, war eben diese Verwirklichung sozialistischer Beziehungen gefährdet und die Jugendhilfe sollte eingreifen.[5]

Jugendhilfe wurde als gesamtgesellschaftliches Anliegen, im Sinne einer allgemeinen Bürgerpflicht, verstanden und so war die Jugendhilfe in der DDR durch ein hohes Maß an ehrenamtlicher Mitarbeit gekennzeichnet. [6] “Dabei war die Aufgabe, bei der Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu guten Staatsbürgern beizutragen und bei Minderjährigen einen festen Klassenstandpunkt auszubilden, oberste Maxime, die letztlich Leitfunktion für die gesamte Jugendpolitik des Staates hatte.“[7]

Die Jugendwerkhöfe entstanden zum großen Teil vor der Gründung der DDR, in der sogenannten „antifaschistisch-demokratischen Epoche“[8] und hatten in den ersten Jahren die Aufgabe, elternlose Jugendliche aufzunehmen. Große Schwierigkeiten gab es in der Versorgung der Einrichtung mit Heizmaterial und Nahrungsmitteln und auch politisch unbedenkliches pädagogisches Personal fehlte in großem Umfang. Bis 1949 wurde vielerorts auf reformpädagogische Ansätze zurückgegriffen, die von MANNSCHATZ als pädagogischer Praktizismus abgelehnt wurden. In Anlehnung an die Pädagogik MAKARENKOs entwickelte sich in den folgenden Jahren eine ideologisch und politisch geprägte Pädagogik. Der Begriff Jugendwerkhof entstand ebenfalls in diesen ersten Nachkriegsjahren, und sollte auf den hohen Stellenwert der Erziehung zur Arbeit durch Arbeit hinweisen.[9]

Der Jugendwerkhof galt als Spezialheim für die Unterbringung schwererziehbarer Jugendlicher ab 14 Jahre, deren Umerziehung im Rahmen der Erziehungshilfe und anderer Möglichkeiten der Jugendhilfe nicht gewährleistet werden konnte.

Ab 1965 wurden die Jugendwerkhöfe unterteilt in die Typen I, II und III. Typ I war auf einen kurzen Aufenthalt des Jugendlichen ausgerichtet (drei bis neun Monate) und bot keine Möglichkeit zum Erwerb einer Berufsausbildung. Typ II war für Jugendliche vorgesehen, deren Umerziehung eine längere, intensive pädagogische Einwirkung gekoppelt mit einer Berufsausbildung verlangte. Dieser Typ des JWH war nochmals, zwar nicht gesetzlich aber faktisch, in Einrichtungen für POS- Abgänger und Hilfsschüler unterteilt.[10] Der JWH des Typs III war für Jugendliche im Alter von 14-20 Jahren, „die in Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheimen die Heimordnung vorsätzlich, schwerwiegend und wiederholt (…)“ verletzt hatten., vorgesehen[11] Diese Einrichtung war als geschlossene Einrichtung jenseits des Strafrechts gedacht. Es gab in der DDR ab 1964 einen GJWH, den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.

Ziel der pädagogischen Arbeit war also die Umerziehung auffälliger bzw. schwererziehbarer Jugendlicher. Unter Umerziehung verstand man den „Prozeß der Veränderung des bereits erworbenen habitualisierten Eigenschaftssystem von Individuen (…), so daß die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die vorher nicht dem angestrebten Erziehungsziel entsprachen, sich anschließend in Übereinstimmung mit ihm befinden.“[12] Das angestrebte Erziehungsziel wird an anderer Stelle der Arbeit aufgegriffen.

Der Konflikt zwischen dem Jugendlichen und seinem neuen Kollektiv sollte durch die straffe pädagogische Führung dermaßen zugespitzt werden, dass sich in ihm durch eine bewusste, einsichtige Entscheidung für die Interessen des Kollektivs eine Wesensveränderung vollzöge.[13] Der Egoismus (die Selbstgerichtetheit) des Jugendlichen sollte gebrochen werden und das Interesse des Jugendlichen sollte sich auf die Sache (Planerfüllung, Aufgaben im Kollektiv) konzentrieren.[14] Auf den ideologischen Stellenwert der Erziehung wird im Abschnitt 2.1) Erziehung und Ideologie näher eingegangen.

2.2) Gründe für die Einweisung in einen JWH

In den Anfangsjahren der DDR wurden die meisten männlichen Jugendlichen aufgrund krimineller Strafdelikte und die meisten Mädchen wegen sexueller Vergehen in einen Jugendwerkhof eingewiesen. Weitere Einweisungsgründe waren das Schwänzen der Schule oder das Fernbleiben vom Arbeitsplatz, Disziplinverstöße, Einbrüche aber auch sogenannte ‚sittliche Verwahrlosungserscheinungen` zu denen u.a. Homosexualität zählte.[15] Bis zum Inkrafttreten des StGB der DDR im Jahre 1968 konnte eine direkte gerichtliche Einweisung in den Jugendwerkhof vorgenommen werden, damit erklärt sich die weitverbreitete Auffassung der BürgerInnen der DDR, dass der JWH eine Art Strafvollzugsanstalt sei.[16]

Mit längerem Bestehen der DDR verschoben sich zunehmend die Einweisungsgründe, in den 1970ger Jahren wurde als Haupteinweisungsgrund die ‚Verletzung der öffentlichen Ordnung genannt`. Dazu zählte: „Arbeits- und Berufsschulbummelei; Herumtreiberei, Landstreicherei; undiszipliniertes und rowdyhaftes Verhalten; (…).[17] So wurde der Jugendwerkhof immer mehr dazu eingesetzt, Jugendliche wieder „auf Linie“ zu bringen, die nicht in die engen Vorstellungen der Partei passten. Diese Tendenz verstärkte sich in den 1980ger Jahren weiter und es wurden immer mehr Jugendliche wegen „stark verfestigter sozialer Verwahrlosung, politischer Provokation wie offener Ablehnung unserer Staatsordnung (…)[18] in einen Jugendwerkhof eingewiesen.

Es bestand auch nach 1968 weiterhin die Möglichkeit, dass Gerichte jugendliche Straftäter zur Bewährung in einen Jugendwerkhof einwiesen.[19] Um die Kriminalstatistik zu schönen, so berichtet ein ehemaliger stellvertretender Heimleiter, und das eigene politische System als der BRD überlegen darzustellen, hatte sich folgende Praxis entwickelt: „Ein Jugendlicher, der in den Knast kam, der wurde gemeldet. Soundsoviel Häftlinge haben wir in den Gefängnissen, aber der Jugendliche, der im Jugendwerkhof, in der Erziehungsanstalt oder sogar Umerziehungsanstalt sagte man ja dann hernach, war, der ging da irgendwie unter. Dann hatten wir welche, die dreimal auf Bewährung hatten“[20]

Das heißt faktisch, in der Wahrnehmung der BürgerInnen und Jugendlichen hatte der Werkhof den Stellenwert einer Strafanstalt, in der tatsächlich kriminelle Jugendliche, politische „Abweichler“ und vernachlässigte Jugendliche mit massiven häuslichen Problemen unter dem Begriff „schwererziehbar“[21] subsummiert wurden um sie umzuerziehen. Befugt solch eine Einweisung vorzunehmen war außerdem der Jugendhilfeausschuss, wenn er die Erziehung, Entwicklung oder Gesundheit der Jugendlichen gefährdet sah.[22] In besonders gravierenden Fällen konnte das Sorgerecht auch entzogen werden, so z.B. im Falle von Verwahrlosung des Kindes, negatives Vorbild (Alkoholismus, Prostitution, Delinquenz) und Gesundheitsgefährdung. Der Entzug des Sorgerechtes war durch das FGB geregelt.[23]. Gemeinsam mit dem § 42 des FGB, der als Grundsätze der elterliche Pflicht unter anderem die Erziehung der „Kinder zur sozialistischen Einstellung zum Lernen und zur Arbeit, zur Achtung vor den arbeitenden Menschen, zur Einhaltung der Regeln des sozialistischen Zusammenlebens, zur Solidarität, zum sozialistischen Patriotismus und Internationalismus“[24] forderte, war der Entzug des Sorgerechtes auch aus politischen Gründen und bei Ausreisewilligkeit gewährleistet![25]

Des Weiteren wurde normales jugendliches Verhalten, welches sich mittels Mode, Musik und Umgangsformen von der Erwachsenenwelt abzugrenzen versuchte, häufig bereits als delinquent gewertet. Denn die Hinwendung zu westlichen Musik- und Kleidungsstilen galt als Indiz für einen nicht gefestigten Klassenstandpunkt und Gefährdung der Ordnung des sozialistischen Staates.[26]

[...]


[1] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 48

[2] Jugendhilfe-Verordnung vom 03.03.1966 § 1. Zitiert nach: Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 13

[3] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 13

[4] Ebenda S. 62

[5] Jörns, Gerhard: Das System der Jugendhilfe in der DDR. In: Auf Biegen und brechen. Torgau 2006, S.26

[6] Ebenda

[7] Ebenda

[8] Ebenda S. 26

[9] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 69

[10] Ebenda S. 74

[11] Ebenda

[12] Laabs, Hans-Joachim u.a.(Hrsg.): Pädagogisches Wörterbuch. Berlin 1987,Stichwort ‚Umerziehung` S.383

[13] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 100

[14] Ebenda

[15] Zimmermann, Verena: Den neuen Menschen Schaffen. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Köln 2004, S. 261

[16] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 79

[17] Zimmermann, Verena: Den neuen Menschen Schaffen. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Köln 2004, S. 261

[18] Ebenda S. 262

[19] Ebenda S. 263

[20] Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern des Werkhofes Lehnin, Herr D. (stellvertretender Leiter). In: Einweisung nach Torgau. Berlin 2002, S. 200

[21] Zimmermann, Verena: Den neuen Menschen Schaffen. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Köln 2004 S. 267

[22] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 79

[23] FGB der DDR § 51

[24] Ebenda § 42 Absatz 2

[25] Jörns, Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR. Göttingen 1995, S. 79

[26] Zimmermann, Verena: Den neuen Menschen Schaffen. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Köln 2004, S. 128

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Erziehung und Ideologie - Theorie und Praxis der Erziehung in den offenen Jugendwerkhöfen der DDR
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
26
Katalognummer
V144357
ISBN (eBook)
9783640528011
ISBN (Buch)
9783640527731
Dateigröße
588 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehung, Ideologie, Theorie, Praxis, Erziehung, Jugendwerkhöfen
Arbeit zitieren
Katharina Markmann (Autor:in), 2009, Erziehung und Ideologie - Theorie und Praxis der Erziehung in den offenen Jugendwerkhöfen der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144357

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