In seinem rühmenden Vorwort zu Bioy Casares Roman „La invención de Morel“ spricht sich Borges gegen Tendenzen in der Beurteilung von Literatur aus, die eine gute Handlung als Grundlage für einen Text in Prosa für überflüssig halten und gegen welche sich Bioy Casares seiner Meinung nach verweigert. Er argumentiert also gegen die Vertreter einer Sichtweise, welche den psychologischen Roman, also eine Romanform, die auf eine Handlung im Sinne einer Makrostruktur, die auch nach Abzug der Füllung mit handelnden Personen und diskursiven bzw. narrativen Elementen noch eine eigene Semiotik aufweist, weitestgehend verzichten kann, als solchen Genres überlegen erachtet, deren Handlung ein zentrales semiotisches Element darstellt. Diese Gegenüberstellung des psychologischen Romans mit anderen Prosaformen wie etwa Abenteuererzählungen und wie eben „La invención de Morel“ oder auch Volksmärchen, wie sie von Wladimir Propp, einem der wichtigsten Vertreter des frühen russischen Strukturalismus, untersucht wurden, findet sich in der systematischen Herangehensweise an die Semiotik von Erzählungen in Barthes renommiertem Aufsatz „Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen“ bestätigt, in welchem diese beiden Formen des Texts in Prosa als opponierende Extreme der Makrostruktur von Erzählungen auf einer Skala von „hochgradig funktionell“ (Volksmärchen) bis „hochgradig indiziell“ (psychologischer Roman) ausgemacht werden. Zwischen diesen beiden Polen liegen laut Barthes „eine ganze Reihe von Zwischenformen“ (Barthes 112).
Ziel dieser Arbeit soll es nun sein, einen zeitgenössischen Roman, „Los Crímenes de Oxford“ des argentinischen Mathematikers und Schriftstellers Guillermo Martínez, auf seine Position zwischen diesen beiden Polen hin zu untersuchen. Das Bestreben soll also sein, das Werk dahingehend zu analysieren, ob sich über die Handlung der Erzählung des vorliegenden Romans selbst sagen lässt, dass ihre Form ihre eigene, von narrativen Elementen unabhängige Semiotik besitzt, und wenn ja, wie es, wenn man Barthes folgt, für jede Erzählung zutrifft, inwiefern dies der Fall ist. Um dies zu bewerkstelligen, soll das Werkzeug, das dem Leser des erwähnten Barthes Aufsatzes an die Hand gegeben wird, um die Form von Erzählungen strukturalistisch auseinander zu nehmen, um so auf die atomaren Einheiten der Erzählung bzw. deren hierarchische Anordnung innerhalb dieser zu stoßen, eingehend dargestellt und im Anschluss auf „Los Crímenes de Oxford“ angewendet werden.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Claude Bremonds „Die Erzählnachricht“
- III. Roland Barthes „Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen“
- IV. Barthes Funktionen in „Los Crímenes de Oxford“
- V. Einordnung / Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert den Roman „Los Crímenes de Oxford“ von Guillermo Martínez im Kontext der strukturellen Analyse von Erzählungen, insbesondere im Sinne von Roland Barthes. Ziel ist es, die Position des Romans auf einer Skala von „hochgradig funktionell“ bis „hochgradig indiziell“ zu bestimmen und die Semiotik seiner Handlung zu untersuchen.
- Strukturelle Analyse von Erzählungen nach Roland Barthes
- Die Position von „Los Crímenes de Oxford“ auf der Skala von „funktionell“ bis „indiziell“
- Semiotik der Handlung in „Los Crímenes de Oxford“
- Die Rolle von narrativen Elementen in der Semiotik der Erzählung
- Anwendung von Barthes Werkzeugen auf zeitgenössische Literatur
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel I: Einleitung
Die Einleitung führt in die Thematik der strukturellen Analyse von Erzählungen ein und stellt die Gegenüberstellung des psychologischen Romans mit anderen Prosaformen wie Volksmärchen vor. Ziel der Arbeit ist es, den Roman „Los Crímenes de Oxford“ auf seine Position zwischen diesen beiden Polen hin zu untersuchen.
- Kapitel II: Claude Bremonds „Die Erzählnachricht“
Dieses Kapitel beleuchtet die Relevanz von Claude Bremonds Analyse der „Erzählnachricht“ für die strukturalistische Herangehensweise an Erzählungen. Es werden Propps „Morphologie des Märchens“ und dessen Bedeutung für die Analyse von Erzählungen im Rahmen des Strukturalismus erörtert.
- Kapitel III: Roland Barthes „Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen“
Dieses Kapitel stellt Barthes Werk „Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen“ vor und erläutert die Grundlagen seiner strukturalistischen Analyse von Erzählungen. Es werden die verschiedenen Ebenen und Funktionen von Erzählungen nach Barthes dargestellt.
- Kapitel IV: Barthes Funktionen in „Los Crímenes de Oxford“
Dieses Kapitel wendet die von Barthes entwickelten Werkzeuge zur Analyse von Erzählungen auf den Roman „Los Crímenes de Oxford“ an. Es wird untersucht, wie sich Barthes Funktionen in der Handlung des Romans manifestieren.
Schlüsselwörter
Strukturelle Analyse, Erzählung, Roland Barthes, Claude Bremond, Vladimir Propp, Semiotik, Handlung, „Los Crímenes de Oxford“, Guillermo Martínez, Psychologie, Volksmärchen, Funktion, Indiz, „hochgradig funktionell“, „hochgradig indiziell“.
- Citation du texte
- Michael Helten (Auteur), 2009, Die Mordserie in "Crímenes de Oxford" als katalysenumrankte Sequenz - Eine strukturalistische Analyse im Sinne Barthes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144402