Das Generische Maskulinum heute: Ausdruck sprachlichen Sexismus oder neutrale Sprachform?


Tesis de Maestría, 2009

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Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung und Themen der feministischen Linguistik
2.1 Entstehung der feministischen Linguistik
2.1.1 Die erste Frauenbewegung
2.1.2 Die Neue Frauenbewegung in Deutschland
2.1.3 Entwicklung der feministischen Linguistik
2.2 Themenfelder und Ziele der feministischen Linguistik
2.2.1 Untersuchungsgegenstand und Schwerpunkte
2.2.1.1 Die Strukturanalyse
2.2.1.2 Die Kommunikationsanalyse
2.2.2 Ziele der feministischen Linguistik

3. Genus und Sexus
3.1 Begriffsbestimmung Genus und Sexus
3.2 Der Zusammenhang von Genus und Sexus
3.3 Genus und Sexus bei Personenbezeichnungen
3.4 Das Generische Maskulinum
3.4.1 Definition
3.4.2 Varianten des Generischen Maskulinums
3.4.3 Kontroverse um die Verwendung des Generischen Maskulinums
3.4.4 Argumente pro und kontra für die Verwendung des Generischen Maskulinums
3.4.5 Fazit zur Verwendung des Generischen Maskulinums

4. Das Generische Maskulinum: eine Form des modernen Sexismus?
4.1 Definition Sexismus
4.2 Zur Verwendung des Generischen Maskulinums im heutigen Sprachgebrauch
4.2.1 Personenbezeichnungen im Deutschen
4.2.1.1 Mittel der Geschlechtsspezifikation
4.2.1.1.1 Grammatische Mittel
4.2.1.1.2 Lexikalische Mittel
4.2.1.1.3 Wortbildung
4.2.1.2 Mittel der Geschlechtsabstraktion
4.2.1.3 Asymmetrien im Gebrauch der deutschen Personenbezeichnungen durch die Verwendung Generischer Maskulina.
4.2.2 Berufsbezeichnungen
4.2.2.1 Gesetzgeberische Grundlagen
4.2.2.2 Gegenwärtige Berufsbezeichnungen
4.2.2.3 Exkurs: Berufsbezeichnungen in der Praxis
4.2.3 Pronomen
4.2.3.1 Pronomen allgemein
4.2.3.2 Zur Besonderheit der Indefinitpronomen

5. Die semantische Prototypentheorie als Erklärungsmodell für die Interpretation „männlich“ generisch verwendeter Personenbezeichnungen
5.1 Die Prototypentheorie
5.2 Die Prototypentheorie in Bezug auf die feministische Linguistik

6. Eine empirische Untersuchung zur Wirkungsweise generisch maskuliner Personenbezeichnungen
6.1 Die Erstellung des Fragebogens
6.1.1 Durchführung
6.1.2 Versuchsmaterial
6.1.3 Versuchspersonen
6.1.4 Hypothesen
6.2 Ergebnisse des Fragebogens
6.2.1 Pronomen
6.2.1.1 Pronomen im einfachen Satz
6.2.1.2 Pronomen im Kontext
6.2.1.3 Fazit
6.2.2 Nomen
6.2.2.1 Nomen im Singular
6.2.2.2 Nomen im Plural
6.2.2.3 Fazit
6.2.3 Nomen mit Geschlechtsrollenstereotyp
6.2.3.1 Geschlechtsrollenstereotype im Singular
6.2.3.2 Geschlechtsrollenstereotype im Plural
6.2.3.3 Fazit
6.2.4 Der Einfluss von Pronomen auf Nomen
6.2.4.1 Nomen im Singular im einfachen Satz
6.2.4.2 Nomen im Plural im einfachen Satz
6.2.4.3 Nomen im Singular und Plural im kontextgebundenen Beispiel
6.2.4.4. Fazit
6.2.5 Einfluss von Pronomen und Geschlechtsrollenstereotypen auf Nomen
6.2.5.1 Kontextungebundene Sätze
6.2.5.2 Kontextgebundene Sätze
6.2.5.3 Fazit
6.2.6 Formulierungstendenzen der Probanden
6.3 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

7. Fazit

8. Bibliographie

9. Anhang

1. Einleitung

Die Dominanz männlicher Elemente in der Sprache ist ein alltägliches Phänomen. Folgender Auszug aus dem Artikels „Jeder Surfer kann Experte werden“ (Spiegel Online Ausgabe 2006) zeigt exemplarisch die weit verbreitete Verwendung maskuliner Formen.

„Als Anreiz zum Mitmachen [...] lockt iQ seine potenziellen Mitarbeiter mit akademischen Titeln. [...] Neulinge sind zunächst "Student", können aber zum "Professor", "Stephen Hawking" oder bis zum höchsten Rang, "Albert Einstein", emporklettern. Es gibt insgesamt hundert verschiedene Ränge; die meisten tragen die Namen berühmter Wissenschaftler und Erfinder. [...] Als Belohnung für gute Antworten auf ihre Fragen können die Nutzer Bonuspunkte ausloben [...]. Die Entscheidung, was eine hilfreiche Antwort ist und was nicht, trifft der Fragesteller. [...]“. (http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,395004,00.html)

Die Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen in Sachverhalten, in denen männliche und weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind, wird fachsprachlich als Generisches (neutralisierendes oder verallgemeinerndes) Maskulinum bezeichnet und entfacht seit der Frauenbewegung in den 70er Jahren hitzige Diskussionen über seinen Status als neutrale Sprachform. Die vorliegende Arbeit greift die bestehenden Debatten auf und soll dabei die Frage beantworten, ob das Generische Maskulinum zurecht als neutral und verallgemeinernd verwendet werden kann, oder ob es sich bei diesem sprachlichen Phänomen um sexistischen Sprachgebrauch handelt, der Frauen systematisch benachteiligt und diskriminiert.

Dafür wird zunächst die Entstehungsgeschichte, Themenfelder und Ziele der feministischen Linguistik vorgestellt, dem Forschungszweig innerhalb der Sprachwissenschaft, der die Sprache und das Sprachverhalten von Individuen unter feministischen Gesichtspunkten analysiert und beurteilt und sich unter anderem mit dem Generischen Maskulinum beschäftigt.

Anschließend stehen im 3. Kapitel die Begriffe Genus und Sexus im Mittelpunkt, deren Verhältnis zueinander zu der Diskussion über die Neutralität des Generischen Maskulinums führt und daher einer detaillierten Beschreibung bedürfen. Anschließend wird der Begriff „Generisches Maskulinum“ definiert, es werden verschiedene Varianten aufgezeigt und die Kontroverse um das aufgeführte sprachliche Phänomen wird näher beleuchtet. Auf dieser Grundlage erfolgt daraufhin der Versuch, verschiedene Argumente für und gegen generisch maskuline Bezeichnungen aufzustellen, diese gegeneinander abzuwägen und zu beurteilen.

Im vierten Kapitel wird der Frage nachgegangen, ob es sich bei dem Generischen Maskulinum um eine Form des modernen Sexismus handelt. Dafür wird zunächst erläutert, was unter sprachlichem Sexismus verstanden wird und ob generisch maskuline Personenbezeichnungen in diesen Bereich einzuordnen sind. Den Schwerpunkt für diese Analyse bilden die Personenbezeichnungen im Allgemeinen, die spezielle Untergruppe der Berufsbezeichnungen sowie die eigenständige Gruppe der Pronomen. Anhand der bestehenden sprachlichen Möglichkeiten, mit denen im Deutschen auf Personen verwiesen werden kann, wird die Notwendigkeit generisch maskuliner Formulierungen kritisch bewertet. Darüber hinaus wird der Exkurs über Berufsbezeichnungen in der Praxis aufzeigen, inwieweit generisch maskuline Formulierungen im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet werden.

Im fünften Kapitel wird die Prototypentheorie kurz vorgestellt. Diese dient als Erklärungsmodell für die Interpretation Mann in generisch maskulin formulierten Personenbezeichnungen.

Anschließend befasst sich das sechste Kapitel mit der empirischen Untersuchung zur Wirkungsweise generisch maskuliner Personenbezeichnungen. Da bereits andere Studien die männliche Interpretation generisch maskuliner Formen belegen konnten, soll diese Untersuchung überprüfen, in welchen Situationen diese Interpretation erfolgt und ob es konkrete Sachverhalte gibt, in denen generisch maskuline Personenbezeichnungen tatsächlich neutral verstanden werden. Dafür werden Faktoren wie Geschlechtsrollenstereotype, Kontext und pronominale Beziehungen untersucht.

Abschließend werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst und auf der Grundlage der ausgehenden Fragestellung kritisch beurteilt.

2. Entstehung und Themen der feministischen Linguistik

2.1 Entstehung der feministischen Linguistik

2.1.1 Die erste Frauenbewegung

Die erste Welle der modernen Frauenbewegung in Deutschland beginnt 1848 und kämpft für die politische und bürgerliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann (vgl. Breiner 1996, S. 7). Louise Otto-Peters, welche während der 1848er Revolution gemeinsam mit anderen Frauen auf die spezielle Lage der Frau aufmerksam wird und nach Veränderung für das weibliche Geschlecht strebt, gilt allgemein als Begründerin der deutschen Frauenbewegung. Zusammen laden sie 1865 zur ersten Frauenkonferenz Deutschlands ein, welche den formalen Zusammenschluss der Frauenbewegung darstellt (vgl. Biegler 2001, S. 60). Im Rahmen dieser Konferenz wird der „Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet“, dessen erklärtes Ziel es ist, „die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen Hindernissen“ (Nave-Herz 1994, S. 11) zu erkämpfen. Daraufhin werden weitere Frauenvereine gegründet, die sich 1894 zum „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) zusammenschließen (vgl. Gerhard 1990, S. 170).

Diese erste Welle der Frauenbewegung fand durch das Nazi-Regime ein jähes Ende. Unmittelbar nach dem Krieg entstehen jedoch bereits wieder die ersten Frauenverbände, welche sich 1947 zum „Demokratischer Frauenbund Deutschland“ zusammenschließen. Zwei Jahre später wird der „Deutsche Frauenring e.V.“ gegründet (vgl. Nave-Herz 1994, S.60). Schließlich wird 1951 der „Deutsche Frauenrat“ als Spitzenverband gegründet. Dieser fordert u.a. gleiche Rechte und Chancen für Frauen in Politik, Recht und Wirtschaft, gleiche Ausbildungschancen für Mädchen und Jungen und die Entlastung berufstätiger Mütter (vgl. Biegler 2001, S. 200f.).

2.1.2 Die Neue Frauenbewegung in Deutschland

Die zweite Frauenbewegung, welche sich in ihrer Zielsetzung und Strategie von den damaligen Frauenverbänden abgrenzt, begann 1968 und hält bis heute an. Ihr Ziel ist „die Abschaffung der Geschlechtsrollenzuweisung, auf der, so wird vermutet, die Abwertung weiblichen Denkens, Handelns und Fühlens basiere“ (Schenk 1980, S. 191). Der Anfang der Neuen Frauenbewegung geht auf die Studentenbewegung von 1967/68 zurück. Zwischen den männlichen und weiblichen Mitgliedern des „Sozialistischer Deutscher Studentenbund“ (SDS) kommt es zu Spannungen, da die Männer zwar den Abbau autoritärer Strukturen, eine antiautoritäre Erziehung sowie eine liberale Einstellung fordern, sich selbst aber gegenüber den Frauen autoritär verhalten. Die Studentinnen haben letztendlich nur den „abgeleiteten Status als Frau oder Freundin eines SDS- Mannes“ (Nave-Herz 1994, S. 66). Im Januar 1968 wird als Reaktion darauf der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ in Berlin gegründet. Auf der 23. Tagung des SDS im September 1968 kommt es schließlich zu besonders starken Spannungen zwischen den Männern und Frauen. Aus Entrüstung über die Ignoranz ihrer männlichen Kollegen wirft eine Teilnehmerin mit Tomaten. Dieser berühmt gewordene Tomatenwurf gilt als Auftakt der Neuen Deutschen Frauenbewegung in Deutschland (vgl. Nave-Herz 1994, S. 68). Ab 1968/69 steigt die Anzahl der Frauengruppen stark an. Grund dafür sind zum einen die Abspaltungen der Frauen vom SDS, zum anderen die veränderte Selbstwahrnehmung der Frauen. In der Neuen Frauenbewegung gibt es keinen Dachverband, sondern es entwickeln sich in den siebziger Jahren viele sogenannte Frauenzentren, Frauenselbsterfahrungsgruppen und politische Frauengruppen, zu denen die Männer keinen Zutritt haben (Samel 1995, S.15). Die einzelnen Frauenverbände sind in ihrer Grundausrichtung sehr verschieden. Zusammenfassend können sie in drei größere Gruppen eingeteilt werden:

„1. Unternehmungen, die sich mit Aufklärung, Weiterbildung, Selbstverwirklichung [...] befassen, z.B. Frauenzentren, Frauenbuchläden [...];
2. Einrichtungen, die sich gegen „Gewalt gegen Frauen“ richten, z.B. Frauenhäuser für mißhandelte Frauen, [...];
3. Örtlichkeiten, wo Frauen gemeinsam ihre Freizeit verbringen [...], wie z.B. Frauencafés, Frauenkneipen [...].“ (Wiggershaus 1981, S. 31)

Diese Gruppen machen sich die verschiedensten Anliegen der Frauen zur Aufgabe. Ein Teil der Frauenrechtlerinnen beschäftigt sich im Zuge der Neuen Frauenbewegung mit diversen wissenschaftlichen Bereichen und bringt ihren Blickwinkel mit ein. So wenden sie sich u.a. auch dem Forschungsgebiet der Linguistik zu und betrachten diesen Bereich aus einer feministischen Perspektive.

2.1.3 Entwicklung der feministischen Linguistik

Die Frauenbewegung setzt sich allgemein für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen ein. Neben der politischen, sozialen und ökonomischen Gleichberechtigung, geht es nun auch um die sprachliche Gleichberechtigung. Sprache und Sprechen rücken in den Mittelpunkt weiblichen Denkens, sprachliche Unterschiede und deren Niederschlag im sprachlichen System werden thematisiert. Hellinger definiert die feministische Sprachwissenschaft als „feministische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Sprache und Geschlecht“ (Hellinger 1990, S.25). Die feministische Linguistik grenzt sich von der herkömmlichen Linguistik ab, indem sie die Sprache nicht nur beschreibt, sondern auch kritisiert (Pusch 1984, S. 10).

Die Wurzeln der feministischen Linguistik liegen in den USA. Hier hält Mary Ritchie Key 1970 ihr erstes Seminar zum Thema Sprache und Geschlecht an der Universität von Kalifornien in Irvine. Fünf Jahre später erscheint ihr Buch Male/Female Language, in dem sie sich mit den Unterschieden in der Sprache beschäftigt. Robin Lakoff schließt sich der Diskussion an und veröffentlicht 1975 ihr Buch Language and Women´s Place. Im gleichen Jahr erscheint der Sammelband von Barrie Thorne und Nancy Henley mit ersten empirischen Arbeiten zum Thema Sprache und Geschlecht. Erst 1978 wird das Thema in Europa aufgegriffen, auf dem 8. Weltkongress für Soziologie in Uppsala, Schweden. Zu dieser Zeit beginnt die Diskussion auch in Deutschland, ausgelöst durch Senta Trömel-Plötz´ Artikel Linguistik und Frauensprache (vgl. Hellinger 1990, S. 9).

Die feministische Linguistik entsteht nach Trömel-Plötz „als bestimmte Feministinnen einen Blick auf ihr eigenes Fachgebiet warfen oder eher, als bestimmte Linguistinnen feministische Ideen auf ihre eigene Wissenschaft anwendeten“ (Trömel-Plötz 1983, S. 33).

Die Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt in zwei Phasen: Die Phase der unsystematischen Beobachtung, in der Annahmen nur aufgrund persönlicher Erfahrungen erfolgen, sowie die Phase der empirischen Begründungen, in der systematische, empirische Überprüfungen dieser Annahmen durchgeführt werden (Hellinger 1990, S. 25ff.).

Für die Vertreterinnen der Anfangsphase der feministischen Linguistik ergeben sich bei der Beschäftigung mit dem Thema Sprache und Geschlecht folgende Fragen: Wie kommen Frauen in der deutschen Sprache vor? Wie sprechen Frauen? Wie verhalten sich Männer gegenüber Frauen in Gesprächen? Werden Frauen in der Kommunikation mit Männern unterdrückt?

Die Sprachwissenschaftler/innen beschäftigen sich also mit der Struktur der Sprache sowie deren Verwendung. Dabei gehen sie grundsätzlich von einer Asymmetrie aus. Nach Trömel-Plötz sind Frauen in der Sprache „ausgeschlossen, unsichtbar, benachteiligt und degradiert“ (Trömel-Plötz 1979, S.6). Männer dominieren demzufolge nicht nur im politischen und sozialen, sondern auch im sprachlichen Bereich. Die Kritik richtet sich gegen das Patriarchat in der Gesellschaft.

Anzumerken ist, dass vor allem die frühen Feministinnen von einer Ungleichbehandlung ausgehen, ohne dies empirisch nachhaltig begründen zu können. In der neueren Betrachtung der geschlechtsbezogenen Sprachforschung ergeben sich kritischere und differenziertere Fragen:

„1. Sind die Unterschiede nur im Stereotyp vorhanden, oder sind sie real?
2. Wie sind die Unterschiede zu erklären, wie sind sie zu bewerten?
3. Welche geschlechtsbezogenen Asymmetrien sind im Sprachsystem eingeschrieben, welche psychologischen Wirkungen haben sie?
4. Wie ist der Zusammenhang von sozialer Position der Geschlechter in der Gesellschaft und Sprache zu sehen?“ (Klann-Delius, S. 6)

Diese Fragen werden u.a. in der heutigen Sprachforschung verfolgt. Die These, dass „Geschlecht in Sprache und Sprachgebrauch Reflex patriarchalischer Machtverhältnisse“ ist, soll dabei „in Forschung und Theoriebildung“ (KlannDelius, S. 9) aufgeklärt werden.

2.2 Themenfelder und Ziele der feministischen Linguistik

2.2.1 Untersuchungsgegenstand und Schwerpunkte

Der allgemeine Untersuchungsgegenstand der feministischen Linguistik ist die Beschäftigung mit dem Thema Sprache und Geschlecht. Zu den generellen Schwerpunkten für die wissenschaftliche Auseinandersetzung zählen:

1. die Betrachtung des Sprachsystems (Wie werden Frauen von der Sprache behandelt?),
2. die Betrachtung des Sprachgebrauchs (Wie werden Frauen von den Sprechern und Sprecherinnen der Sprache behandelt?), sowie
3. die Betrachtung von Interaktionen (Wie folgen Frauen den sprachlichen und kommunikativen Erwartungen an sie?) (vgl. Trömel-Plötz 1982, S. 37).

Daraus lassen sich zwei große Forschungsschwerpunkte ableiten, die Strukturanalyse und die Kommunikationsanalyse.

In diesen Bereichen gehen die Linguistinnen von einer Asymmetrie und der damit einhergehenden sprachlichen Diskriminierung von Frauen aus und suchen nach Alternativen, „die dem Grundsatz der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern entsprechen“ (Hellinger 1990, S. 12). Es wird eine Ungleichbehandlung der Geschlechter unterstellt, in welcher der Mann bevorzugt und die Frau vernachlässigt wird. Die feministische Linguistik sieht ihre Arbeit u.a. darin, Lösungsvorschläge für die angenommene Problematik zu finden.

2.2.1.1 Die Strukturanalyse

Die Strukturanalyse stellt eines der beiden großen Forschungsgebiete der feministischen Linguistik dar. Sie beschäftigt sich mit dem Sprachsystem und dem Sprachgebrauch. Unter Sprachsystem versteht man „die in einer natürlichen Sprache geltenden phonologischen, morphosyntaktischen und semantischen Strukturen“ (Klann-Delius, S. 37). Nach de Saussure ist das Sprachsystem auf der Ebene der langue angesiedelt, dem Band, dass die Sprecher einer Sprache verbindet (vgl. de Saussure 1967, S. 16f.). In Bezug auf die feministische Linguistik beschäftigt sich der Bereich der langue damit, welche Worte und Wendungen es für Frauen gibt, wie diese im System der Sprache vorkommen. Der Sprachgebrauch umfasst die konkreten Äußerungen von Individuen und betrifft die Ebene der parole (ebd.). In diesem Bereich wird untersucht, ob Frauen mit den für sie passenden Wendungen bezeichnet werden. Die Strukturanalyse bewegt sich also „im Spannungsfeld von langue – parole – Norm“ (Schoenthal 1989, S. 300), untersucht deren Phänomene und setzt diese miteinander in Beziehung. Die feministische Linguistik untersucht im Bereich des Sprachsystems seit den siebziger Jahren u.a. das Genussystem, die Personen- und Berufsbezeichnungen, die Formen der pronominalen Referenz, die Struktur des Lexikons sowie Verfahren der Wortbildung (vgl. Klann-Delius, S. 19). Für sie stellt sich die Frage, ob und wie sich in diesem Bereich der Einfluss des Geschlechts geltend macht. Dabei zeigt sich für einige Linguistinnen eine grundlegende Asymmetrie bei der Personenreferenz, was zu der Annahme führt, Sprache sei in Struktur und Lexikon sexistisch und androzentrisch (Schoenthal 1989, S. 301). Die feministische Linguistik vertritt somit, dass Sprache und ihre Struktur sowie der Sprachgebrauch von patriarchalischen Machtverhältnissen bestimmt ist, was es jedoch zu beweisen gilt (Klann-Delius, S. 38).

Sprache selbst kann nicht sexistisch sein, sondern nur die unterschiedlichen Gebrauchsweisen des Sprachsystems durch die Sprachbenutzer. Wenn von einer sexistischen Sprache die Rede ist, kann also nicht die Sprache an sich gemeint sein, sondern lediglich deren Gebrauch.

Die Unterscheidung von Sprache und Gebrauch wird nicht von allen Linguisten und Linguistinnen vertreten. Nach Sibylle Krämer gibt es keine Sprache hinter dem Sprechen, „Sprache existiert nicht als Form, sondern nur in Form von Praktiken des Sprachgebrauchs“ (Krämer 2001, S. 270). Eine Unterscheidung in Sprachsystem und Sprachgebrauch ist jedoch zwingend notwendig, da der angenommene patriarchalische Charakter der Sprache nur im Gebrauch verändert werden kann und dies nicht geht, wenn Sprachsystem und Sprachgebrauch eine Einheit bilden.

2.2.1.2 Die Kommunikationsanalyse

Die Kommunikationsanalyse stellt das zweite große Forschungsgebiet innerhalb der feministischen Linguistik dar. Im Zentrum stehen „Analyse und Kritik des kommunikativen Verhaltens von Frauen und Männern in verschiedenen Situationen“ (Schoenthal 2000, S. 2086). Innerhalb dieses Bereiches untersuchen Linguistinnen und Linguisten also, wie Frauen und Männer sprechen und wie sie beim Sprechen miteinander umgehen. Das Geschlecht wird als zentraler Einflussfaktor im Gespräch herausgearbeitet. Geschlechterdifferenzen werden auf folgenden Ebenen untersucht:

1. Ebene der Phonologie
2. Ebene der Syntax
3. Ebene der Semantik
4. Ebene der Pragmatik (vgl. Klann-Delius 2005, S. 38).

Untersuchungen im Bereich der Phonologie betreffen Unterschiede in Tonhöhe bzw. Stimme, Intonationsmuster und Aussprachegenauigkeit.

Die Stimme ist meist ein verlässlicher Indikator für Geschlechtsrollenzugehörigkeit. Aufgrund physiologischer Ursachen ist die weibliche Stimme in der Regel höher. In Bezug auf die Intonation stellen Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Hypothese einer weiblichen Präferenz für Frageintonation auf, welche als Indikator für Höflichkeit und Machtlosigkeit gewertet wird (vgl. ebd., S. 39ff.). Dies konnte empirisch jedoch nicht nachgewiesen werden. Intonation wird außerdem nicht nur vom Geschlecht, sondern auch von anderen Faktoren mitbestimmt.

In Bezug auf die Aussprache wird Frauen eine größere Genauigkeit zugeschrieben, welche sich in den Befunden allerdings nicht nachweisen lassen (ebd.).

Im Bereich der Syntax wurden syntaktische Formen wie Bestätigungsfragen (Sie ist so nett, nicht wahr?) und Heckenausdrücke (vielleicht, nun ja) untersucht, die nach Lakoff als Ausdruck der Höflichkeit und Unsicherheit von Frauen sowie für deren gesellschaftlichen inferioren Status stehen (vgl. Lakoff 1975, S. 53ff.). Zum anderen beschäftigten sich die Forscher und Forscherinnen mit syntaktischer Hyperkorrektheit, welche tendenziell eher von Frauen verwendet wird (vgl. De Stefano 1975, S. 70), sowie mit verbaler Flüssigkeit, worunter der „Worteinfall von bedeutungsähnlichen oder formähnlichen Wörtern“ (Klann-Delius 2005, S. 47) verstanden wird und bei dem Frauen einen Vorsprung aufweisen. Die Ergebnisse der Forschungen sind nach Klann-Delius jedoch wenig überzeugend und lassen sich nicht eindeutig beurteilen. Fest steht nur, dass auch in diesem Bereich das Geschlecht mit anderen Faktoren interagiert (ebd.).

Auf der Ebene der Semantik wurde der Gebrauch des Wortschatzes sowie der Gebrauch von Mitteln der Personenreferenz untersucht. Im Bereich des Wortschatzes wurden deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern festgestellt, die auf verschiedene Interessen zurückzuführen sind (vgl. ebd., S.48f.).

Im Bereich der Pragmatik standen u.a. folgende Schwerpunkte im Mittelpunkt der Forschung: Redemenge, Unterbrechungen und Gesprächsarbeit. Trömel-Plötz behauptet, dass Männer öfter das Wort ergreifen, länger reden, Frauen unterbrechen und die Gesprächsthemen bestimmen, während Frauen um ihr Rederecht kämpfen müssen, sich unterbrechen lassen, aufmerksam zuhören, Fragen stellen und insgesamt die Gesprächsarbeit leisten (vgl. Trömel-Plötz 1984, S. 58ff.). Klann-Delius weist darauf hin, dass diese Thesen aufgrund der schmalen Datengrundlage nicht nachhaltig belegt oder systematisch geprüft worden sind (vgl. Klann-Delius 2005, S. 72).

2.2.2 Ziele der feministischen Linguistik

Die feministische Linguistik geht von einer patriarchalischen Sprache aus, in der Männer dominieren und Frauen benachteiligt werden. Sie leitet diese These aus den Asymmetrien im Sprachsystem ab und fordert den „Abbau der sprachlichen und gesellschaftlichen Diskriminierung von Frauen“ (Hellinger 1990, S. 12). Dies soll durch eine Sprachveränderung weg von einer androzentrischen Sprache hin zu einer Sprache, die Frauen und Männer gleichwertig behandelt, realisiert werden.

Somit besteht letztlich das Ziel in der expliziten Nennung von Frauen sowie dem Finden adäquater Bezeichnungen für Frauen und betrifft damit die Ebene des Sprachgebrauchs. Die feministische Linguistik hat es sich schlussfolgernd zur Aufgabe gemacht, die Asymmetrien aufzudecken, gegebene „Erscheinungsformen von sprachlichem Sexismus“ (Hellinger 1990, S.12) nicht als gegeben zu sehen und nach Alternativen zu suchen, in der die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern gewährleistet ist.

Pusch spricht darüber hinaus sogar von einer „Entpatrifizierung der Sprache“ (Pusch 1991, S. 76), und setzt den Ansatz damit auf der Ebene des Sprachsystems. Sie fordert, alle männliche Formen aus dem System durch Feminisierungen zu ersetzen und schlägt beispielsweise Formulierungen wie niefraud anstatt niemand vor. Solche Empfehlungen sind jedoch als übermotiviert zu bewerten, da generische Feminina ebenso wie generische Maskulina nicht zu einer Gleichbehandlung beider Geschlechter führen.

Insgesamt verfolgt die Feministische Linguistik den Abbau der gesellschaftlichen Diskriminierung von Frauen, welche sie in den sprachlichen Asymmetrien begründet sieht.

3. Genus und Sexus

3.1 Begriffsbestimmung Genus und Sexus

Der Begriff Sexus verweist auf das naturbedingte Geschlecht des Menschen (vgl. Ulrich 1988, S. 310), männlich oder weiblich, und bezieht sich somit auf einen biologisch sexuellen Aspekt. Im Deutschen wird Sexus dementsprechend mit Geschlecht übersetzt.

Der Begriff Genus verweist auf die „grammatische Eigenschaft von Substantiven, die Lebewesen oder Unbelebtes“ (ebd.) bezeichnen, und beinhaltet die drei Formen maskulin, feminin oder neutral. Das Genus ist ein Erbe der lateinischen Grammatik und bedeutet wörtlich übersetzt Art oder Gattung (vgl. Leiss 1994, S. 332). Im Deutschen wird der Begriff oft mit Geschlecht übersetzt, was jedoch irreführend ist, da auch Sexus mit Geschlecht übersetzt wird. Demzufolge sollte immer deutlich zwischen dem biologischen Geschlecht einer Person, dem Sexus, und dem grammatischen Geschlecht von Substantiven, dem Genus, unterschieden werden. Verwendet man nur den Begriff Geschlecht für Genus und Sexus, kann dies leicht zu einer Verwechslung führen.

Das Genus ist im Unterschied zum Sexus eine grammatische Kategorie, da es die Substantivparadigmen in die Einheiten maskulin, feminin und neutral gliedert (vgl. Eisenberg 1989, S. 167). Es handelt sich um ein morphosyntaktisches Phänomen, das daran zu erkennen ist, dass „mindestens zwei Satzelemente morphologisch übereinstimmen“ (Hellinger 1990, S. 60). Die Elemente unterteilen sich in das Nomen auf der einen Seite und typischerweise Artikel, Adjektive oder Pronomen auf der anderen Seite (ebd.), z.B. Ein fröhlicher Junge. Das Genus ist rein strukturell bedingt und leistet einen Beitrag zur Formdifferenzierung und Formabstimmung (vgl. Eisenberg 1989, S.174). Der Satz „Als ein neuer Stadtverordneter hereinkam.“ wird durch das Genus formal abgestimmt. Der Artikel (ein) und das adjektivische Attribut (neuer) werden hinsichtlich des Genus vom Substantiv (Stadtverordneter) regiert. Somit sind Artikel und Attribute, aber auch Pronomen und Adjektive genusinvariant, d.h. sie erhalten die entsprechenden Formen maskulin, feminin oder neutral je nach dem Genus des Substantivs. Genusinvariant sind ebenfalls Nominalisierungen, die von Adjektiven oder Partizipien abgeleitet sind, wie z.B. studieren – der/die Studierende (vgl. Hellinger 1990, S. 60).

Für das heutige Sprachbewusstsein gilt das Genus als willkürlich oder verdeckte Kategorie, die zusammen mit dem Substantiv erlernt werden muss. Viele indogermanische Sprachen unterscheiden Wortklassen nach Genus. Dabei wird dies in den verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich praktiziert. Während es im Deutschen die drei Genera maskulin, feminin und neutral gibt, so findet man in anderen Sprachen zwei, drei oder mehr als drei Genera. Es gibt aber auch Sprachen, wie z.B. Ungarisch, Finnisch oder Türkisch, in denen die Kategorie Genus überhaupt nicht existiert (vgl. Ulrich 1988, S. 310). Des weiteren ist das Genus für die Bezeichnung der gleichen Begriffe in den verschiedenen Sprachen nicht dasselbe. So ist z.B. der Begriff Sonne in den romanischen Sprachen Maskulinum, im Deutschen Femininum und in den slawischen Sprachen Neutrum.

3.2 Der Zusammenhang von Genus und Sexus

Das Verhältnis von Genus und Sexus hat in der Sprachwissenschaft eine lange Tradition. In der früheren Forschung herrscht die allgemeine Auffassung, das Genus diene der Sexusunterscheidung. Im 19. Jahrhundert wird die Entstehung der Genera auf die Unterscheidung des Sexus zurückgeführt. Ein bekannter Vertreter dieser Zeit ist Jacob Grimm. Er nimmt an, dass in sprachhistorischer Hinsicht das Sexus dem Genus vorausgegangen sei (vgl. Leiss 1994, S. 331). Grimm glaubt, der Mensch habe sein Geschlecht auf die Dinge seiner Welt übertragen und diese durch Personifikation sexualisiert (vgl. Grimm 1831 nach Leiss 1994, S. 331). Die Personifikationsthese besagt allgemein, dass in allen Dingen Lebewesen gesehen werden. Diese Auffassung wird heute aus linguistischer Sicht nicht mehr vertreten und hat lediglich einen historisch- dokumentarischen Wert. Grimms Begriffe „grammatisches“ und „natürliches“ Geschlecht für Genus und Sexus werden jedoch weiterhin benutzt und führen oft zu einer Begriffskontamination von Genus und Sexus. Ein bekannter Gegner Grimms ist Karl Brugmann. Er nimmt an, dass das Sexus vom Genus abgeleitet sei und vertritt somit genau die entgegengesetzte Position zu Jacob Grimm. Nach Brugmann hat das Genus spezifische grammatische Funktionen, die in keinerlei Verbindung zum Sexus stehen. Somit begründet er die Entstehungsrichtung Genus gefolgt von Sexus (vgl. Brugmann 1889, S. 33ff.). Brugmann nennt folgende Argumente gegen eine Gleichsetzung von Genus und Sexus: Zum einen wird das Sexus bevorzugt mit anderen sprachlichen Mitteln, nicht mit Genus, zum Ausdruck gebracht. So kann das Sexus durch das Lexikon ausgedrückt werden, z.B. Mutter – Vater, oder aber auch durch Motion, z.B. Lehrer – Lehrerin. In beiden Fällen ist das Genus nicht beteiligt. Zum anderen spricht gegen eine Gleichsetzung das Vorhandensein der Epicoena, d.h. Substantive, die sich sowohl auf die Kategorie männlich als auch auf die Kategorie weiblich ihrer Gattung beziehen können, z.B. der Igel oder die Eule. Des weiteren zeigt sich bei der Personifizierung von Lexemen, z.B. bei Götternamen, die Orientierung des Sexus am Genus und deutet somit auf die sekundäre Rolle des Sexus hin, was wiederum gegen eine Gleichsetzung von Genus und Sexus spricht.

Wienold ist ebenfalls ein Vertreter der Auffassung, dass die Entstehung der Genera im Urindogermanischen und den indogermanischen Sprachen nicht auf Bezeichnungen für Sexus zurückgeführt werden kann. Nach Wienold beruht das Vorhandensein der drei Genera im Deutschen nicht auf der Unterscheidung des Sexus, sondern auf der Unterscheidung von Maskulinum und Femininum, was wiederum auf das nur zweigliedrige Genussystem der indogermanischen Sprachen gründet. Der Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht (Sexus) und grammatischem Geschlecht (Genus) interessiert laut Wienold nur bei Tier- und Personenbezeichnungen (Wienold 1967, S. 42).

Auch Bußmann sieht einen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus nur bei Tier- und Personenbezeichnungen. Hier sind Genus und Sexus nicht beliebig, sondern das Genus ist vom Sexus her motiviert. Er weist darauf hin, dass das Genus zwar zur Unterscheidung des Sexus herangezogen werden kann, wie eben in solchen Fällen der Tier- und Personenbezeichnungen, seine Herkunft jedoch nicht auf Sexusunterscheidung hinweist (Bußmann 1990, S. 274).

Greenberg spricht ebenfalls für die Position von Brugmann. Genus muss nichts mit dem natürlichen Geschlecht zu tun haben. Die Unterscheidung nach dem Sexus ist nur eine von vielen Möglichen für das Genus (vgl. Greenberg 1978). Brühlmeier bezeichnet die „Gleichsetzung von biologischer Geschlechtlichkeit und grammatikalischem Genus“ als „Fehlüberlegung“ und „fundamentalen sprachwissenschaftlichen Irrtum“ (Brühlmeier 2005, Internetquelle). Die Gleichsetzung sei schon allein deswegen unangebracht, weil es drei Genera, aber bloß zwei Geschlechter gibt. Außerdem wird auch allem Ungeschlechtlichen ein Genus zugeordnet, z.B. der Ofen, die Wolke, das Fass.

Auch Eisenberg sieht das grammatische Geschlecht von Substantiven nicht im Verhältnis zum natürlichen Geschlecht und geht von einer strukturellen Bedingtheit aus (vgl. Eisenberg 1989, S. 168).

Generell werden bis heute in der herrschenden Grammatikbeschreibung Genus und Sexus klar voneinander unterschieden. Um eine Verwechslung zu vermeiden, ist es jedoch notwendig, einheitliche Bezeichnungen zu verwenden und vor allem die irreführende Übersetzung mit Geschlecht zu vermeiden.

3.3 Genus und Sexus bei Personenbezeichnungen

Wie bereits erwähnt, ist ein Zusammenhang zwischen Genus und Sexus nur bei Personen- und Tierbezeichnungen gegeben. Aufgrund dieser Ausnahmestellung soll an dieser Stelle näher auf diesen Bereich eingegangen werden. Die Linguistinnen und Linguisten sind sich einig, dass für die deutschen Personenbezeichnungen eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem grammatischen und dem natürlichem Geschlecht herrscht, d.h. das Genus des Nomens stimmt im Allgemeinen mit dem Geschlecht der Personen überein (vgl. Bußmann 1995, Internetquelle; Hellinger 1990, S. 60ff.). Dies kann auch für die Untergruppen der Personenbezeichnungen festgestellt werden, z.B. bei den Verwandtschaftsbezeichnungen oder bei der sozialen Geschlechtsrolle der Berufsbezeichnungen. Viele Gruppen von Personenbezeichnungen sind hinsichtlich des natürlichen Geschlechts symmetrisch aufgebaut, bestehend aus zwei geschlechtsspezifischen und einem geschlechtsneutralen Ausdruck, z.B. Frau – Mann – Mensch (vgl. Eisenberg 1989, S. 173). Es gibt jedoch auch Bereiche, in denen die Bezeichnungen sehr ungleichmäßig verteilt sind. Dazu zählen die substantivierten Adjektive und Partizipien, bei denen ein Differentialgenus vorliegt, d.h. „es gibt genusunterschiedene Substantive für das jeweilige natürliche Geschlecht, vgl. die/der Abgeordnete, Jugendliche, Heranwachsende, Angestellte, Auszubildende [...]“ (ebd.). Des weiteren lassen sich zu vielen Personenbezeichnungen im Maskulinum die Feminina morphologisch ableiten, im Deutschen vor allem mit dem Suffix –in, wie bei Lehrer/in (vgl. ebd.).

Es gibt jedoch auch Personenbezeichnungen, bei denen das grammatische Geschlecht nicht mit dem natürlichen kongruiert.

„Die Grundregularität ist, dass grammatisches und natürliches Geschlecht nur dann auseinanderfallen, wenn in der Wortbedeutung ein Merkmal des Sexus besonders markiert wird. Diese Markierung ist stets abwertend oder neutral, niemals aber mit einer positiven Konnotation.“ (ebd.)

Eisenberg nennt Memme und Tunte als abweichend vom Maskulinum und sieht es als charakteristisch, dass „als Synonyma Substantive in übertragender Bedeutung gebraucht werden, die Feminina oder Maskulina, aber kaum Neutra sind“ (ebd.). Breiner nennt zusätzlich alle Diminuitiva auf –chen, -lein und –erl als Beispiele für eine negative Konnotation, wie z.B. bei Muttersöhnchen (vgl. Breiner 1996, S. 100). Dagegen kommen als Abweichungen vom Femininum Neutra durchaus vor, wie z.B. das Weib (vgl. Eisenberg 1989, S. 173). Diese müssen nach Breiner jedoch nicht immer mit einer negativen Konnotation belegt sein, z.B. das Mannequin (vgl. Breiner 1996, S. 100). Wenn Frauen mit Maskulina bezeichnet werden, dann ist dies oft aufwertend zu verstehen: Sie ist ein feiner Kerl.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die meisten sächlichen Personenbezeichnungen für Männer und Frauen einen negativen Beiklang haben, welches sich aber laut Breiner aus dem Charakter des Neutrums erklärt (vgl. ebd.).

Auch bei den Tierbezeichnungen wird das biologische Geschlecht durch das Genus abgebildet. In der Regel werden männliche und weibliche Tiere unterschieden, z.B. der Hahn, die Henne. Die Genuszuweisung kann jedoch zweideutig sein. Die Gesamtbezeichnungen bringen das natürliche Geschlecht der Tiere nicht immer zum Ausdruck, z.B. die Ameise, der Bär, das Pferd (vgl. Eisenberg 1989, S. 174).

Die Beziehung zwischen Genus und Sexus bei den Personenbezeichnungen ist insofern besonders, als dass der Sprechende aufgrund der formalen Übereinstimmung eine Verbindung zwischen den beiden Kategorien herstellt und diese gleichsetzt, d.h. das Genus des Substantivs spiegelt das Geschlecht der Person wider. Aufgrund dieser Assoziation steht der Bereich der Personenbezeichnungen besonders in der Kritik der feministischen Linguistik.

3.4 Das Generische Maskulinum

3.4.1 Definition

Das generische Maskulinum ist kein viertes Genus der deutschen Sprache, sondern die Verwendung des maskulinen Genus für die Nennung gemischtgeschlechtlicher Gruppen. Dies gilt auch für Personen, deren Geschlecht keine Rolle spielt oder nicht weiter spezifiziert wird. In Sätzen wie „Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich.“ oder „Die Studenten protestierten gegen die geplante Erhöhung der Studiengebühren.“ kommen nur maskuline Personenbezeichnungen vor, beziehen sich aber gleichermaßen auf Männer und Frauen. In der Duden Grammatik von 1995 heißt es:

„Besonders bei Berufsbezeichnungen und Substantiven, die den Träger eines Geschehens bezeichnen (Nomina agentis), verwendet man die maskuline Form vielfach auch dann, wenn das natürliche Geschlecht unwichtig ist oder männliche und weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind. Das Maskulinum ist hier neutralisierend bzw. verallgemeinernd (generisch)“ (Duden Grammatik 1995, S. 196f.).

Im Unterschied zum maskulinen Genus, welches nur Männer repräsentiert, kann das maskuline Genus in der generischen Verwendung geschlechtsunspezifisch auf Substantive referieren und somit sowohl Männer als auch Frauen in gleicher Weise repräsentieren.

3.4.2 Varianten des Generischen Maskulinums

Das Generische Maskulinum findet sich in zwei verschiedenen Verwendungsweisen wieder. Zum einen sind Frauen in der Bezeichnung mitgemeint, zum anderen werden sie mit grammatisch maskulinen Begriffen bezeichnet. Diese beiden Positionen werden im folgenden ausführlich dargestellt.

Variante 1: Frauen sind mitgemeint.

Beispiel 1: Die Wanderer erreichten ihr Ziel an der Spitze des Berges.

In diesem Zusammenhang ist die Rede von einer Gruppe, zu denen vermutlich männliche wie weibliche Personen gehören.

Beispiel 2: Ein Feuerwehrmann sollte keine Angst vor dem Feuer haben.

In diesem Beispiel ist nicht von einem bestimmten realen Mann die Rede, sondern von einer imaginierten männlichen oder auch weiblichen Person, die als Träger einer bestimmten Rolle fungiert.

Beispiel 3: Der Deutsche ist sehr gewissenhaft.

Wie bereits in Beispiel 2 ist nicht von einem bestimmten realen Mann die Rede, sondern von einer männlichen oder weiblichen Person, in diesem Fall als Träger einer Eigenschaft.

Sowohl in Beispiel 2 als auch in Beispiel 3 liegt ein generalisierender Singular vor.

Variante 2: Eindeutig und ausschließlich weibliche Personen werden mit grammatisch maskulinen Begriffen bezeichnet.

Beispiel 1: Die Informationen stammen von unserem Korrespondenten Susanne Schulze.

Beispiel 2: Die letzten Künstler des Abends waren Nina und Marie.

Sowohl in Kontexten mit einer weiblichen Person als auch mit mehreren weiblichen Personen wird bei deren expliziter Nennung ein grammatisch maskuliner Begriff verwendet. Im Unterschied zur ersten Variante kann davon ausgegangen werden, dass die maskulinen Bezeichnungen nicht als männlich interpretiert werden, da es sich in den Kontexten um konkrete weibliche Personen handelt.

3.4.3 Kontroverse um die Verwendung des Generischen Maskulinums

Es gibt im Deutschen zwei Positionen, wie das generische Maskulinum (im folgenden GM) verstanden werden kann.

Zum einen erhält es die semantische Markierung neutral, wenn es in seiner generischen Bedeutung begriffen wird, und bezieht sich somit auf Männer und Frauen.

Zum anderen erhält es die semantische Markierung männlich, wenn es als maskulines Genus verstanden wird, und bezieht sich somit nur auf Männer. Ein Satz wie „Der Inhaber dieses Passes ist Deutscher.“ kann dementsprechend auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden. Einerseits spiegelt das Substantiv Deutscher den geschlechtsindefiniten Gebrauch wider, wird also neutral verstanden, andererseits spiegelt es den maskulinen Gebrauch wider und wird männlich erfasst. Diese beiden möglichen Lesarten des GM haben innerhalb der Linguistik eine Kontroverse entfacht, welche die Sprachwissenschaftler/innen in zwei entgegengesetzte Lager spaltet.

So empfinden einige Linguistinnen und Linguisten die deutsche Sprache als männlich geprägt, da durch die beiden Lesarten eine deutliche Asymmetrie zu Ungunsten der Frauen besteht (vgl. Ulrich 1988, S. 309; Bußmann 1995, Internetquelle). Trömel-Plötz und Pusch vertreten die Position, durch die Verwendung der maskulinen Form werde nicht sichtbar, dass Frauen mitgemeint sind und kritisieren somit die Verwendung generisch gebrauchter Substantive wie der Zuhörer (vgl. Trömel-Plötz 1978, S. 238 und Pusch 1979, S. 279ff.). Um Irritationen zu vermeiden sollen dementsprechend immer Maskulina und Feminina (der Zuhörer, die Zuhörerin) verwendet werden.

Ein bekannter Gegner Trömel-Plötz` und Puschs ist Kalverkämper, der die Position vertritt, maskuline Personenbezeichnungen sind Archilexeme und somit neutral (vgl. Kalverkämper 1979, S. 258ff.). Stünde der Zuhörer in Opposition zu die Zuhörerin, erhalte er das Merkmal männlich und verlöre somit seine neutrale Bedeutung. Er wirft Trömel-Plötz vor, sie vermische die Kategorien Genus und Sexus (ebd.). Dem entgegenzuhalten wäre jedoch, dass Trömel-Plötz sich gezielt für die deutschen Personen- und Verwandtschaftsbezeichnungen interessiert und das Genus der Substantive, mit denen Personen benannt werden, im allgemeinen mit dem natürlichen Geschlecht, dem Sexus, der Person übereinstimmt. Der Zusammenhang von Genus und Sexus für den Bereich der Personenbezeichnungen ist somit bedeutsam für eine Bewertung des GM.

Auch Brühlmeier geht davon aus, das Genus sei nicht nur geschlechtlich (maskulin oder feminin) oder ungeschlechtlich (neutral), sondern zusätzlich übergeschlechtlich, als Androgynum (der Mensch, der Gast, der Flüchtling), zu verstehen (vgl. Brühlmeier 2005, Internetquelle). In einem Androgynum sind auch Männer lediglich mitgemeint. Somit kann Brühlmeier keine Benachteiligung der Frauen in der Sprache sehen. Wenn überhaupt, seien die Männer benachteiligt, da es für sie, im Gegensatz zu den Frauen, keine Bezeichnung gibt, die nur auf Männer referiert (ebd.).

Wichtig ist jedoch, zwischen den einzelnen Personenbezeichnungen zu unterscheiden. Einige Gruppen sind hinsichtlich des natürlichen Geschlechts symmetrisch aufgebaut. So bildet das Androgynum Mensch den geschlechtsneutralen Ausdruck in der Symmetrie Frau – Mann – Mensch, während Frau und Mann die geschlechtsspezifischen Ausdrücke darstellen (vgl. Eisenberg 1989, S. 173). Somit sind in der Bezeichnung Mensch sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen inbegriffen. Außerdem geht es den Gegnern des GM nicht um die Frage, warum Substantive wie der Mensch ein bestimmtes grammatisches Geschlecht haben. Viel eher interessieren spezifische Personenbezeichnungen, die keine Symmetrie aufweisen und bei denen die Bezeichnungen dementsprechend ungleichmäßig verteilt sind, z.B. bei genusunterschiedenen Substantiven (die/der Angestellte) oder Bezeichnungen, zu denen sich Feminina morphologisch durch das Suffix –in ableiten lassen (der Lehrer/ die Lehrerin).

Zusammenfassend lassen sich folgende Schwerpunkte erkennen, die im Mittelpunkt der Kontroverse um das GM stehen:

1. Argument der Uneindeutigkeit,
2. Argument der Asymmetrie,
3. Erkennbarkeit von Frauen in Sprache und Denken.

Während für die Gegner das GM uneindeutig ist, da maskulin formulierte Personenbezeichnungen entweder spezifisch oder generisch interpretiert werden können, sehen die Befürworter den Kontext, wie die maskulinen Formen interpretiert werden müssen, als klar festgelegt. Des weiteren sehen die Gegner durch die Verwendung des GM eine Asymmetrie in der Sprache, die Frauen benachteiligt, welche wiederum von den Befürwortern nicht anerkannt wird, da im geschlechtsindefiniten Gebrauch der Personenbezeichnungen Männer wie Frauen gleichermaßen nur mitgemeint sind. Der dritte Kritikpunkt, das „Mitgemeintsein“ im Maskulinum führt zu fehlender Sichtbarkeit von Frauen in Sprache und Denken, stößt bei den Befürwortern des GM auf Ablehnung, da nicht allein Frauen nur mitgemeint seien, sondern auch Männer lediglich mitgemeint seien.

3.4.4 Argumente pro und kontra für die Verwendung des Generischen Maskulinums

Die im vorigen Abschnitt beschriebene Kontroverse zeigt, wie schwierig die Verwendung des GM zu bewerten ist. Daher soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, verschiedene Argumente für und gegen die Benutzung des GM zu finden, diese gegeneinander abzuwägen und daraus resultierend einen Lösungsvorschlag anzubieten.1

1) PRO KONTRA

Das Genus ist eine grammatische Eigenschaft und hat nichts mit dem Sexus, dem biologischen Geschlecht einer Person, zu tun.

Im Bereich der Personen- und Tierbezeichnungen stimmen Genus und Sexus für gewöhnlich überein, d.h. das grammatische Genus spiegelt das biologische Geschlecht tatsächlich wider.

Das generische Maskulinum bezieht sich ausschließlich auf Substantive aus dem Bereich der Personenbezeichnungen und besitzt laut Definition die Fähigkeit, geschlechtsabstrahierend verwendet zu werden (vgl. Abschnitt 2.5.1). Da das Genus des Substantivs in diesem Bereich mit dem Sexus einer Person formal übereinstimmt, können die Kategorien nicht getrennt voneinander betrachtet und bewertet werden, auch wenn sie theoretisch in keiner Verbindung zueinander stehen.

[...]


1 Die hier folgenden Argumente beziehen sich ausschließlich auf die Variante 1 in der Anwendung des Generischen Maskulinums. Sie stellt den Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit dar.

Final del extracto de 102 páginas

Detalles

Título
Das Generische Maskulinum heute: Ausdruck sprachlichen Sexismus oder neutrale Sprachform?
Universidad
University of Potsdam  (Institut für Germanistik)
Calificación
1,7
Autor
Año
2009
Páginas
102
No. de catálogo
V144471
ISBN (Ebook)
9783640548279
ISBN (Libro)
9783640550791
Tamaño de fichero
1307 KB
Idioma
Alemán
Notas
Magisterarbeit zum Generischen Maskulinum mit theoretischem sowie empirischen Teil. Fragebogen befindet sich im Anhang.
Palabras clave
Generisches Maskulinum, Genus, Sexus, Feministische Linguistik, sprachlicher Sexismus, feminine Sprachformen, männliche Sprachformen, neutrale Sprachformen, generische Personenbezeichnungen, maskuline Personenbezeichnungen, feminine Personenbezeichnungen, sexistischer Sprachgebrauch, Wirkungsweise generisch maskuliner Personenbezeichnungen, Prototypentheorie
Citar trabajo
Franziska Massner (Autor), 2009, Das Generische Maskulinum heute: Ausdruck sprachlichen Sexismus oder neutrale Sprachform?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144471

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