Die Selbstverwaltung der Gemeinde ist schon länger verfassungsrechtlich fest verankert (vgl Art 115ff B-VG). Bei der nichtterritorialen Selbstverwaltung war dies bis zur B-VG Novelle I 2008/2 nicht der Fall, sie fand davor keine explizite Grundlage in der österreichischen Bundesverfassung. Deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit war zunächst umstritten und wurde später von der herrschenden Lehre und ständigen Rechtsprechung des VfGH an die Einhaltung bestimmter Typusmerkmale (wirtschaftliche Selbständigkeit, staatliche Aufsicht, Pflichtmitgliedschaft und besonders demokratische Organisation und Organkreation) gebunden.
Basierend auf den Arbeiten des Österreich-Konvents sollten die nichtterritoriale Selbstverwaltung sowie ihre wesentlichen Merkmale in der Verfassung verankert werden. Die Vorarbeiten zu dieser Verankerung wurden in den letzten Jahren aufbauend auf fundierten Untersuchungen der Lehre wie bei Rill und Vorschlägen im Österreich-Konvent , und schlussendlich durch die Expertengruppe „Staats- und Verwaltungsreform“ geleistet. Als „Ort“ der Verankerung bot sich ein neues fünftes Hauptstück an, in dem die Bestimmungen über die Gemeinden und die neu aufzunehmenden Bestimmungen über die sonstige Selbstverwaltung zusammengefasst wurden. Dort enthalten sind Regelungen zu Einrichtung
(Art 120a B-VG), Rechtsstellung (Art 120b B-VG) sowie Organisation der Selbstverwaltung (Art 120c B-VG). Eberhard ist daher der Meinung, dass es sich hier „…um eine so genannte „Nachführung“ des geschriebenen Verfassungstextes an den Stand der Dogmatik handelt, der eben jene Inhalte, wie sie von der Lehre und von der Judikatur entwickelt wurden, in komprimierter … Form in diesen einbaut.“ Im Prinzip wurde damit nur bestehende Judikatur kodifiziert und eine systematische Regelung geschaffen.
INHALTSVERZEICHNIS
II. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
III. VORBEMERKUNG
IV. DEFINITION DER NICHTTERRITORIALEN SELBSTVERWALTUNG
V. DIE VERFASSUNGSRECHTLICHEN GRUNDLAGEN DER SELBSTVERWALTUNG VOR DER B-VG NOVELLE BGBL I 2008/2
VI. DIE B-VG NOVELLE BGBL I 2008/2
1. ART 120A ABS 1 - EINRICHTUNG VON SELBSTVERWALTUNGSKÖRPERN UND DEREN PFLICHTMITGLIEDSCHAFT
2. ART 120A ABS 2 - VERANKERUNG DER SOZIALPARTNERSCHAFT
2.1. BUNDESVERFASSUNGSRECHTLICHE GARANTIE FÜR BERUFLICHE SELBSTVERWALTUNGSKÖRPER?
2.2. DIE ANERKENNUNG DER ROLLE DER SOZIALPARTNER
3. ART 120B ABS 1 - WEISUNGSFREIHEIT, GESETZESERGÄNZENDES VERORDNUNGSRECHT UND RECHTSAUFSICHT
3.1. GESETZESERGÄNZENDES VERORDNUNGSRECHT UND WEISUNGSFREIHEIT
3.2. RECHTSAUFSICHT
4. ART 120B ABS 2 - EIGENER UND ÜBERTRAGENER WIRKUNGSBEREICH
5. ART 120B ABS 3 - MITWIRKUNG AN STAATLICHER VOLLZIEHUNG
6. ART 120C ABS 1 - DEMOKRATISCHE LEGITIMATION DER ORGANE
7. ART 120C ABS 2 - FINANZIERUNG
8. ART 120C ABS 3 - SELBSTVERWALTUNGSKÖRPER ALS SELBSTÄNDIGE WIRTSCHAFTSKÖRPER
VII. ZUSAMMENFASSUNG
VIII. INTERVIEW ZUR B-VG NOVELLE BGBL I 2008/2
IX. LITERATURVERZEICHNIS
II. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III. Vorbemerkung
Um die vorliegende Bachelorarbeit und die darin bearbeitete Thematik besser verständlich zu machen, sollen die folgenden, einleitenden Worte einen grundlegenden Überblick zur Ausgangssituation und Problemstellung darstellen.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten kam es zu wiederholten Versuchen die österreichische Bundesverfassung an die geänderten Anforderungen, wie etwa durch den Beitritt zur Europäischen Union, anzupassen beziehungsweise auch bestehendem Reformbedarf Rechnung zu tragen.
Als Beispiel kann hier die als „Strukturreformkommission“ bezeichnete Expertengruppe für Fragen der Neuordnung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung genannt werden, welche im Jahr 1989 eingesetzt wurde. Im Jahr 1992 wurde eine Vereinbarung getroffen, mit der die wichtigsten verfassungspolitischen Leitlinien für eine weit reichende Änderung des B-VG fixiert wurden. Für die Mehrzahl der strittigen Fragen konnten einvernehmliche Standpunkte formuliert und ein Entwurf einer B-VG-Novelle ausgearbeitet werden. Zu einer Umsetzung dieser Verfassungsreform ist es letztlich aber nicht gekommen.1
Der Europäische Konvent zur Erarbeitung eines Vertrags über eine Verfassung für Europa hat der österreichischen Verfassungsreformdiskussion wichtige Impulse und wieder Auftrieb gegeben. Unter dem Vorsitz des damaligen Präsidenten des Rechnungshofes, Dr. Franz Fiedler, ist am 30. Juni 2003 der Österreich-Konvent zu seiner ersten Sitzung zusammengetreten. Dieser Konvent sollte gemäß den formulierten Grundsätzen seines Gründungskomitees Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform erarbeiten, welche eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen sollte. Ziel war es, einen neuen, knappen aber sämtliche Verfassungsbestimmungen enthaltenden Verfassungstext unter Aufrechterhaltung der geltenden Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung zu schaffen. Der Österreich-Konvent tagte knapp über 1,5 Jahre, in denen die aufgegebenen Themen umfassend beraten wurden. Es kam zu zahlreichen Textvorschlägen, eine Einigung über einen Gesamtentwurf einer neuen Verfassung konnte aber nicht erreicht werden, wobei allerdings in einer Vielzahl von Einzelbereichen Konsens erzielt werden konnte.2
Der Bericht des Österreich-Konvents wurde - nach Kenntnisnahme durch die Bundesregierung - vom Bundeskanzler dem Nationalrat zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung vorgelegt. Im Nationalrat wurde unter dem Vorsitz seines damaligen Präsidenten, Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol, ein Besonderer Ausschuss zur Vorberatung des Berichts des Österreich-Konvents eingesetzt, in dem die Beratungen fortgesetzt, weitere Textvorschläge ausgearbeitet und Gegenüberstellungen der vorliegenden Vorschläge erarbeitet worden sind. Der Bericht des Besonderen Ausschusses (1584 dB XXII.GP) ist vom Nationalrat einstimmig zur Kenntnis genommen worden. In einer Entschließung hat sich der Nationalrat für die Fortsetzung der Arbeiten an einer umfassenden Reform der österreichischen Bundesverfassung ausgesprochen und die Bundesregierung aufgefordert, die Arbeiten an einer zukünftigen modernen Bundesverfassung auf der Grundlage der Ergebnisse des Österreich-Konvents und des Besonderen Ausschusses voranzutreiben (209/E XXII.GP).3
Im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode wurde unter dem Kapitel Staats- und Verwaltungsreform vorgesehen, dass auf der Grundlage der Arbeiten des Österreich-Konvents und des diesbezüglichen Besonderen Ausschusses eine Verfassungsreform vorzubereiten ist. Daraufhin wurde zu diesem Thema beim Bundeskanzleramt eine Expertengruppe eingerichtet. Diesem Gremium gehörten Dr. Franz Fiedler, Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol, Dr. Peter Kostelka und Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger sowie zwei Vertreter der Länder an. Von Seiten der Länder wurden in weiterer Folge Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller und Landeshauptmann Dr. Herbert Sausgruber entsendet, die jedoch von Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin (für Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller) sowie Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss (für Landeshauptmann Dr. Herbert Sausgruber) vertreten wurden. Darüber hinaus wurde der Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher, von Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer mit der Vorsitzführung in der Expertengruppe betraut und ersucht, die Betreuung der Arbeit der Expertengruppe durch den Verfassungsdienst sicherzustellen. Zur Unterstützung in der Expertengruppe wirkten von Seiten des Verfassungsdienstes neben dem Vorsitzenden der stellvertretende Leiter Dr. Harald Dossi und Dr. Clemens Mayr mit. Die Expertengruppe ist am 9. Februar 2007 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetreten und hat bis zum 10. Juli 2007 insgesamt 15 Sitzungen abgehalten.4
Mit Ausnahme des Vorsitzenden waren alle Mitglieder der Expertengruppe bereits Mitglieder des Österreich-Konvents. Drei davon (Dr. Franz Fiedler, Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol sowie Dr. Peter Kostelka) waren sogar Mitglieder des Präsidiums des Österreich-Konvents. Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol war darüber hinaus Vorsitzender des Besonderen Ausschusses zur Vorberatung des Berichts des Österreich-Konvents. Durch die Zusammensetzung der Expertengruppe wurde somit in hohem Ausmaß eine Kontinuität zwischen Österreich-Konvent, „Besonderer Ausschuss des Nationalrates“ und nunmehr Expertengruppe sichergestellt und man verfügte dadurch auch über einen großen Erfahrungsschatz sowie zahlreiche Textvorschläge und Unterlagen aus den vorangegangen Gremien.5
Durch das Regierungsprogramm 2007 wurde der Expertengruppe zur Staats- und Verwaltungsreform eine Vielzahl von Beratungsthemen zur Behandlung übertragen. Der erste Entwurf beziehungsweise der erste Teil der Verfassungsreform basiert auf den diesbezüglichen Beratungsergebnissen der Expertengruppe. Darin enthalten ist unter anderem der Bereich der nichtterritorialen Selbstverwaltung samt ihren wesentlichen Strukturelementen, mit dem sich diese Arbeit auch näher beschäftigen wird.
IV. Definition der nichtterritorialen Selbstverwaltung
Bevor näher auf die Neuregelung beziehungsweise Änderung im Bereich der nichtterritorialen Selbstverwaltung eingegangen wird, soll nun zunächst ganz allgemein der Begriff der Selbstverwaltung erläutert werden.
Selbstverwaltung wird bei Kahl/Weber6 und Stolzlechner7 als „eine Form dezentralisierter, demokratisch legitimierter und relativ unabhängiger öffentlicher Verwaltung, die von eigenen Rechtsträgern besorgt wird“ definiert. Stolzlechner8 beschreibt den Begriff „Selbstverwaltung“ dahingehend, dass „öffentliche Aufgaben mit engem Sachbezug zum in der Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefassten Personenkreis von Organen des Selbstverwaltungsträgers eigenverantwortlich besorgt werden („eigener Wirkungsbereich“).“ Wesentlich für die Selbstverwaltung ist also die weisungsfreie Besorgung ihrer Aufgaben durch eigene Rechtsträger. Die weisungsfreie Besorgung der Aufgaben wird im eigenen (selbstständigen) Wirkungsbereich vollzogen. Innerhalb des jeweiligen Selbstverwaltungskörpers gilt jedoch der Grundsatz der Weisungsgebundenheit.9 Darüber hinaus werden Selbstverwaltungskörper meist auch durch Gesetz mit der Besorgung von (Staats-)Aufgaben anderer Rechtsträger betraut. In diesem Bereich handeln die Selbstverwaltungskörper im übertragenen Wirkungsbereich, werden funktionell als Bundes- oder Landesorgane tätig und sind den übergeordneten staatlichen Verwaltungsorganen gegenüber auch weisungsgebunden. Weiters besteht hier auch in der Regel ein Instanzenzug an die Staatsorgane.10
Die wesentlichen juristischen Merkmale der Selbstverwaltung sind also:11
- Träger ist eine eigene juristische Person (Rechtsträger), eine Körperschaft öffentlichen Rechts.
- Der Träger der Selbstverwaltung besitzt einen eigenen Wirkungsbereich, in dem er weisungsfrei ist, allerdings der staatlichen Aufsicht unterliegt. In der Regel ist auch ein Instanzenzug an staatliche Behörden ausgeschlossen. Ein solcher besteht nur, wenn er ausdrücklich angeordnet ist.12
Innerhalb der Selbstverwaltung kann man nach der österreichischen Bundesverfassung zwischen territorialer Selbstverwaltung (Gemeindeverwaltung) und eben nichtterritorialer oder funktionaler Selbstverwaltung unterscheiden.
Die funktionale Selbstverwaltung umfasst:13
- die wirtschaftliche Selbstverwaltung der Berufsgruppen in „Kammern“ (zB Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Landwirtschaftskammer). Zur wirtschaftlichen Selbstverwaltung gehören aber auch zB die durch Gesetz eingerichteten regionalen Fremdenverkehrsverbände.
- die kulturelle/wissenschaftliche Selbstverwaltung (Österreichische Hochschülerschaft und Akademie der Wissenschaften)
- die soziale Selbstverwaltung (Anstalten der Sozialversicherung als gemeinsame Selbstverwaltung der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, also Gebietskrankenkassen, Pensionsversicherungsanstalten sowie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt)
- die sonstige Selbstverwaltung (personen- und sachbezogene Zweckverbände) wie z.B. die Landesjagdverbände, die Landes-Feuerwehrverbände, Wasserverbände und -genossenschaften, Agrargemeinschaften usw
Sowohl für territoriale, wie auch für nichtterritoriale Selbstverwaltung bestehen nach Kahl/Weber14 neben bereits genannten auch noch weitere strukturelle Merkmale, die sie kennzeichnen, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß vorkommen beziehungsweise ausgeprägt sind. Sie müssen aber trotzdem alle vorhanden sein, um einen Organisationstypen als Selbstverwaltungskörper bezeichnen zu können.
Präsident Universitätsprofessor Dr. Korinek hat dazu acht typische organisatorische Merkmale herausgearbeitet:15
- Errichtung als juristische Person (Körperschaft öffentlichen Rechts) mit personalem Substrat
Die Selbstverwaltungskörper(schaften) sind mitgliedschaftlich (personelles Substrat) organisiert, sie bestehen aus einzelnen natürlichen oder juristischen Personen. Der Bestand der Körperschaften ist unabhängig vom Wechsel ihrer konkreten Mitglieder.
- Einrichtung durch Gesetz oder einen anderen Hoheitsakt
Für jeden Selbstverwaltungskörper besteht ein eigenes Organisationsgesetz, das die demokratische Struktur, die Aufgaben (in sehr allgemeiner Form), die Finanzierung, die Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat (Begutachtungs- und Mitwirkungsrechte bzw –pflichten) festlegt. Im Rahmen der durch das Gesetz festgelegten allgemeinen Aufgabenerstellung ist der Selbstverwaltungskörper frei von jeder Einflussnahme von außen, insbesondere durch den Staat.
- Staatsaufsicht
Die Aufsicht besteht hier hinsichtlich der gesetzmäßigen Führung der Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches (zB Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen von Selbstverwaltungsorganen).
- Obligatorische Mitgliedschaft
Um die Verfolgung des Gruppeninteresses und insbesondere den Interessenausgleich zu ermöglichen, besteht Pflichtmitgliedschaft aller funktional einer Gruppe zuzurechnenden natürlichen oder juristischen Personen.
- Besorgung der im Verbandsinteresse gelegenen eigenen Angelegenheiten in weisungsfreier Eigenverantwortlichkeit
Das beinhaltet die Weisungsfreiheit der Selbstverwaltungsorgane gegenüber Staatsorganen.
- Mitbestimmung, insbesondere Bestellung der Organe aus der Mitte der Verbandsangehörigen durch die Verbandsangehörigen
Um das Fehlen der individuellen Austrittsmöglichkeit zu kompensieren, legt das jeweils konstituierende Gesetz umfangreiche demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten und Kontrollmöglichkeiten fest. In regelmäßigen Abständen haben Wahlen zur Besetzung der Entscheidungsgremien stattzufinden. Die Kandidaten werden von „wahlwerbenden Gruppen“ vorgeschlagen, die um die Kontrolle über den jeweiligen Selbstverwaltungskörper konkurrieren.
- Finanzielle Selbständigkeit (Budgethoheit) Selbstverwaltungskörper werden regelmäßig finanziert durch Mitgliedsbeiträge (nach der Leistungsfähigkeit gestaffelt) der Gruppenmitglieder, durch eigene wirtschaftliche Tätigkeit beziehungsweise auch durch (gesetzlich fixierte) staatliche Mittel.
- Befehls- und Zwangsgewalt gegenüber den Mitgliedern
V. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Selbstverwaltung vor der B-VG Novelle BGBl I 2008/2
Die Selbstverwaltung der Gemeinde ist schon länger verfassungsrechtlich fest verankert (vgl Art 115ff B-VG). Bei der nichtterritorialen Selbstverwaltung war dies bis zur B-VG Novelle I 2008/2 nicht der Fall, sie fand davor keine explizite Grundlage in der österreichischen Bundesverfassung. Deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit war zunächst umstritten und wurde später von der herrschenden Lehre16 und ständigen Rechtsprechung des VfGH an die Einhaltung bestimmter Typusmerkmale (wirtschaftliche Selbständigkeit, staatliche Aufsicht, Pflichtmitgliedschaft und besonders demokratische Organisation und Organkreation) gebunden.17
Bereits in den 1950er und 1960er Jahren wurden die Grundsteine gelegt, die schließlich zur Judikatur des VfGH18 zur „Salzburger Jägerschaft“ geführt hat. Der VfGH hat dabei unter Bruch mit seiner bis dahin auf dem Boden der herrschenden Dogmatik basierenden Judikatur19 entschieden, dass die Einrichtung von Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen des Organisationsplanes der Bundesverfassung liegt und daher auch durch einfaches Gesetz allgemein zulässig ist, und dem Gesetzgeber zugleich gewisse materielle verfassungsrechtliche Kriterien vorgegeben.20 Konkret begründet der VfGH die verfassungsrechtliche Zulässigkeit wie folgt (VfSlg 8215/1977): „…der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 (hat) Selbstverwaltung als Organisationstechnik nicht bloß gekannt, sondern - als dem Art 20 B-VG nicht entgegenstehend - auch vorausgesetzt und anerkannt. Die Schaffung von Selbstverwaltungskörpern und damit von Organen, die gegenüber staatlichen Organen weisungsfrei sind, ist somit im Rahmen des Organisationsplanes der Bundesverfassung gelegen. Die Einrichtung von Selbstverwaltung durch den einfachen Bundes- und Landesgesetzgeber ist sohin verfassungsrechtlich zulässig.“21
Für die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern war hierfür eine im Lichte des Gleichheitssatzes (Art 7 Abs 1 B-VG) sachgerechte Abgrenzung des zum Selbstverwaltungskörper zusammengefassten Personenkreises, sowie auch eine sachliche Abgrenzung jenes Aufgabenkreises erforderlich, der im weisungsfreien eigenen Wirkungsbereich vollzogen wird, im Sinne von Interesse und Eignung (vgl Art 118 Abs 2 B-VG). Weiters war die Einrichtung eines staatlichen Aufsichtsrechts als Substitut der Weisungsbindung und die binnendemokratische Organisation, im Besonderen durch Wahlen der leitenden oder mit wesentlichen Aufgaben betrauten Organe, erforderlich. Zu den verfassungsrechtlichen Schranken, die der einfache Gesetzgeber bei der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern zu beachten hat, führt der VfGH konkret aus (VfSlg 8215/1977): „Der einfache Gesetzgeber könne jederzeit neue Selbstverwaltungskörper unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots einrichten, müsse aber eine staatliche Aufsicht vorsehen und dürfe zu ihrem Gegenstand nur solche Angelegenheiten machen, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zur Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefassten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden.“ Mit dem Grundsatz der Weisungsbindung der Verwaltung gemäß Art 20 Abs 1 B-VG soll grundsätzlich sichergestellt werden, dass der Verantwortungszusammenhang von der parlamentarisch kontrollierten Verwaltungsspitze bis zur untersten Ebene der Verwaltung garantiert ist. Ausnahmen vom Gebot der Weisungsbindung bestanden vor der Novelle ua eben für die Organe der Selbstverwaltungskörper im eigenen Wirkungsbereich. Ein Grund für die Weisungsfreistellung bei den Selbstverwaltungskörpern wurde in der demokratischen Legitimation der Organe durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörper gesehen. Die Beziehung zwischen fehlender Weisungsbindung und staatlichen Aufsichtsrecht kann als Befugnis des Bundes oder des jeweiligen Landes gesehen werden, welche ihr das Recht einräumt, sich über die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsführung eines Selbstverwaltungskörpers zu unterrichten.22
Auf Grund des Fehlens verfassungsrechtlicher Regelungen im Bereich der nichtterritorialen Selbstverwaltung entwickelte der VfGH in weiterer Folge mit seiner Judikatur Grundsätze der nichtterritorialen Selbstverwaltung (zB zur demokratischen Legitimation der Organe)23 und verfeinerte diese. Spektakuläre Verfahren und Erkenntnisse der letzten Jahre wie zum Beispiel jenes des VfGH zur Verfassungswidrigkeit der vormaligen Organisationsstruktur des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger basierten auf einer Anwendung eben jener Grundsätze. Die große Aufgabe im Rahmen einer Verfassungsreform war es nun, diese Grundsätze verfassungsrechtlich zu verankern bzw auch zu modifizieren.24
[...]
1 Vgl 94/ME XXIII. GP - Ministerialentwurf - Materialien - Vorblatt und Erläuterungen S. 2. 5
2 Vgl 94/ME XXIII. GP - Ministerialentwurf - Materialien - Vorblatt und Erläuterungen S. 2.
3 Vgl 94/ME XXIII. GP - Ministerialentwurf - Materialien - Vorblatt und Erläuterungen S. 2.
4 Vgl 94/ME XXIII. GP - Ministerialentwurf - Materialien - Vorblatt und Erläuterungen S. 2.
5 Vgl 94/ME XXIII. GP - Ministerialentwurf - Materialien - Vorblatt und Erläuterungen S. 3.
6 Vgl Kahl/Weber 2007, S. 80f.
7 Vgl Stolzlechner 2007, S. 296.
8 Vgl Stolzlechner 2007, S. 296.
9 Vgl VfSlg 13304/1992.
10 Vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer 2007, S. 411.
11 Vgl Öhlinger 2007, S. 237.
12 Vgl VwGH 21.12.2005, 2002/08/0253.
13 Vgl Stolzlechner 2007, S. 297f; <wko.at>.
14 Vgl Kahl/Weber 2007, S. 81.
15 Vgl Korinek 1970, Kahl/Weber 2007, S. 81.
16 Vgl Berka 2005, Rz 765.
17 Vgl Kneihs 2008, S. 148f.
18 Vgl VfSlg 8215/1977.
19 Vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer 2007, S. 412.
20 Vgl Stolzlechner 1995, S. 370ff.
21 Vgl Öhlinger 2008, S. 187.
22 Vgl Eberhard 2008, S. 92.
23 Vgl ua VfSlg 8644/1979 und VfSlg 17.023/2003.
24 Vgl Eberhard 2008, S. 92.
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