Methoden und Werkzeuge für den Wissenstransfer in der Bionik


Doctoral Thesis / Dissertation, 2008

209 Pages, Grade: magna cume laude


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Forschungsmethodik
1.3 Struktur der Arbeit

2 Bionik im Überblick
2.1 Bionik im Schrifttum
2.1.1 Begriffsklärung und Grundverständnis
2.1.2 Teilgebiete der Bionik
2.1.3 Zusammenfassung
2.2 Beispiele bionischer Produkte
2.2.1 Beispiel: Lotus-Effekt
2.2.2 Beispiel: Haifischhaut
2.2.3 Beispiel: Unterwasser-Modem
2.2.4 Beispiel: Anti-G-Anzug
2.3 Bionik in der Praxis
2.3.1 Vorgehensweise
2.3.2 Biologische Grundlagenforschung
2.3.3 Bionisches Arbeiten
2.3.4 Technische Umsetzung
2.4 Zusammenfassung

3 Produktentwicklung im Überblick
3.1 Produktentwicklungsmethodik
3.1.1 VDI-Richtlinie 2221
3.1.2 Alternative Beschreibungen der Vorgehensweise
3.1.3 Weitere Aspekte der Produktentwicklung
3.2 Strategien, Methoden, Werkzeuge und Hilfsmittel
3.2.1 Strategien
3.2.2 Sachmethoden
3.2.3 Organisationsmethoden
3.2.4 Werkzeuge und Hilfsmittel
3.3 Konstruktionsarten
3.3.1 Neukonstruktion
3.3.2 Anpassungskonstruktion
3.3.3 Variantenkonstruktion
3.3.4 Zusammenfassung
3.4 Entwicklung technischer Systeme
3.4.1 Evolution technischer Systeme
3.4.2 Entwicklungstrends technischer Systeme
3.5 Zusammenfassung

4 Lösungsfindung
4.1 Lösungsfindung in der Praxis
4.1.1 IPE-Projekt: Schleifgerät
4.1.2 IPE-Projekt: Carving-Hilfe
4.1.3 IPE-Projekt: Ampel-Informations-System
4.1.4 Ideenfindung durch Wettbewerbsanalyse
4.1.5 Ideenfindung durch nichttechnische Assoziation
4.2 Exkurs in die Analogielehre
4.2.1 Analogien aus philosophischer Sicht
4.2.2 Analogien aus psychologischer Sicht
4.2.3 Analogiearten
4.3 Analogiebildung in der Produktentwicklung
4.3.1 Analogien und Kreativitätstechniken
4.3.2 Analogien und das Konzept der Wiederverwendung
4.3.3 Lösungsfindung und das Werkzeug „Bionik“
4.4 Thesen

5 Modelle für das bionische Arbeiten
5.1 Übertragungsmodelle für die Bionik
5.1.1 Modell von Hill
5.1.2 Modell von Küppers
5.1.3 SFT-Methode nach Rummel
5.1.4 Bionisches Vorgehensmodell nach Gramann
5.1.5 Ilmenauer Bionic Algorithm
5.1.6 Zusammenfassung und Kritik
5.2 Bionisches Analogiemodell
5.2.1 Vorbetrachtungen
5.2.2 Analogiebildung als Mapping-Prozess
5.2.3 Verallgemeinerung des Analogiemodells
5.2.4 Diskussion des Analogiemodells
5.3 Analogiebildung als Kommunikationsprozess
5.3.1 Vorbetrachtungen
5.3.2 Kommunikation zwischen Biologen und Ingenieuren
5.3.3 Barrieren des interdisziplinären Wissenstransfers
5.3.4 Weitere Dimensionen des Kommunikationsmodells
5.4 Zusammenfassung

6 Methoden und Werkzeuge der Bionik
6.1 Unterstützung der Kommunikation zwischen Experten und Laien
6.1.1 Vorbetrachtungen
6.1.2 Triadengespräche und interpunktierte Erzählungen
6.1.3 Diskussion des Ansatzes
6.2 Bestehende Ansätze zur Unterstützung des Wissenstransfers
6.2.1 Kataloge biologischer Konstruktionen
6.2.2 Digitaler Katalog biologischer Konstruktionen
6.2.3 Assoziationslisten
6.2.4 Grundprinzipien biologischer Systeme
6.2.5 Gesetzmäßigkeiten und allgemeingültige Regeln
6.2.6 TRIZ und Bionik
6.2.7 Zusammenfassung
6.3 Konzept eines Unterstützungssystems für das bionische Arbeiten
6.3.1 Vorbetrachtungen
6.3.2 Wikis und semantische Wikis
6.3.3 Ontologie des Unterstützungssystems
6.3.4 Anmerkungen zur prototypischen Umsetzung
6.3.5 Prototypische Umsetzung mit Semantic MediaWiki
6.3.6 Zusammenfassung und Diskussion

7 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang A E-Mail mit Interviewanfrage

Anhang B Fragenbogen

Abbildungsverzeichnis

Bild 1.1: Lebensphasen eines Produktes nach Ehrlenspiel [Ehr03, S. 43]

Bild 1.2: Struktur der Arbeit

Bild 2.1: Technische Biologie und Bionik [Nac96]

Bild 2.2: Auswirkung der Rauigkeit auf die Benetzbarkeit hydrophiler und hydrophober Oberflächen [BN98]

Bild 2.3: Haihaut unter dem Mikroskop [LK04]

Bild 2.4: Technische Nachbildung [LK04]

Bild 2.5: Leichtflugzeug "Stingray" [SFL+06, S. 58]

Bild 3.1: Produktentwicklung nach VDI-Richtlinie 2221 [VDI2221]

Bild 3.2: Münchner Vorgehensmodell [Lin03]

Bild 3.3: Beispiel für die Zusammensetzung von Teams nach Ehrlenspiel [Ehr95, S. 170]

Bild 3.4: "Lebenslinie" von Systemen [Alt84, S. 115]

Bild 3.5: Evolution durch vertikalen Gentransfer

Bild 3.6: Evolution durch horizontalen Gentransfer

Bild 4.1: Gestaltungsentwürfe für ein Schleifgerät (Chamäleon, Ente, Wels und Käfer)

Bild 4.2: Finales Konzept der Carvinghilfe

Bild 4.3: Sicht auf eine Ampel

Bild 4.4: Konzept der aufgelegten Klappe [Lei05, S. 89]

Bild 4.5: Konzept der eingelegten Klappe [Lei05, S. 88]

Bild 4.6: Konzept des Vorderwagens [Lei05, S. 95]

Bild 4.7: Momentenbedarf der Welle über der Drehzahl (links) und gebildete Analogie (rechts) [Gra04, S. 87]

Bild 4.8: Beispiel für die Attributionsanalogie [Kun98, S. 112]

Bild 4.9: Beispiel für Proportionalitätsanalogie [Kun98, S. 119]

Bild 4.10: Ordnungsschema für Kreativitätstechniken und die Wahrscheinlichkeit, innovative Produktideen zu generieren [GEK01, S. 123]

Bild 4.11: 80/20-Regel - das Pareto-Prinzip

Bild 4.12: Mehrdeutige Skizze [LDL01]

Bild 4.13: Mögliche Toleranzkurven als Abhängigkeit von Wertebereich (horizontal) und Trefferwahrscheinlichkeit

Bild 4.14: Eingrenzung des Lösungsraumes durch Nutzung weiterer Suchkriterien

Bild 4.15: Konzeptdreieck für das Problem, die Durchbiegung eines Balkens zu verringern [GEK01, S. 130]

Bild 5.1: Analogiebildung in der Bionik [Hil98a, S. 52]

Bild 5.2: Anleitung für bionisches Forschen und Entwickeln [KT02, S. 161]

Bild 5.3: Bioanaloge Ähnlichkeitsmatrix [KT02, S. 157]

Bild 5.4: Nutzung des biologischen Wissenspools zur Lösung technischer Probleme [Rum04]

Bild 5.5: Bionischer Vorgehenszyklus nach Gramann [Gra04, S. 98]

Bild 5.6: Bionic Algorithm nach Schilling et al. [SFM+05]

Bild 5.7: Mögliche Aspekte einer analogen Gegenüberstellung

Bild 5.8: Zusammentragen der Aspekte

Bild 5.9: Aufbauen der Beziehungsnetzwerke

Bild 5.10: Zusammenführen der relevanten Aspekte

Bild 5.11: Basic cycle of reflective practise [Dor97, S. 74]

Bild 5.12: Kommunikationsmodell nach Shannon & Weaver [WS49, S. 34]

Bild 5.13: Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun [Sch01, S. 14]

Bild 5.14: Beziehungsnetzwerk zwischen Biologen und Ingenieuren

Bild 5.15: Bedeutungen der Ebenen nach Heppner [Hep97] und im Kommunikationsmodell

Bild 6.1: Wissensprofile von Biologen und Ingenieuren

Bild 6.2: Wissenslücken bei der Kommunikation zwischen Experten und Laien sowie bei der Kommunikation zwischen Novizen und Laien

Bild 6.3: Katalog biologischer Konstruktionen nach Hill [Hil98a, S. 3]

Bild 6.4: Abfolge der hinterlegten Seiten im "Analogie-Sucher" [Sch06b]

Bild 6.5: Auszug aus der Assoziationsliste von Gramann [Gra04, S. 140]

Bild 6.6: Auswahl von Grundprinzipien biologischer Systeme [Nac98b; MR98; KT02]

Bild 6.7: Zusammenstellung ausgewählter Konstruktionsprinzipien [Kes54; Suh90; PB93]

Bild 6.8: Goldener Schnitt bei Rechtecken

Bild 6.9: Goldener Schnitt im eingespannten Balken

Bild 6.10: Integration der Bionik in die TRIZ-Werkzeuge [Gün04]

Bild 6.11: Beispiel einer semantischen Relation

Bild 6.12: Beispiel einer Relation zu einem Attribut

Bild 6.13: Beispiel einer Klassenhierarchie

Bild 6.14: Ableitung der Konzepte des Unterstützungssystems aus dem bionischen Analogiemodell ...150 Bild 6.15: Auswahl möglicher Unterklassen des Konzeptes "Analogieaspekt" in OWL-Graphen Darstellung

Bild 6.16: Relationen und Eigenschaften der Konzepte „Publikation“ und „Organisation“

Bild 6.17: Einordnung semantischer Wiki-Software

Bild 6.18: Aufbau eines Artikels im Umterstützungssystem

Bild 6.19: Auszug aus der Bildergalerie im Unterstützungssystem

Bild 6.20: Aufbau der Seite „Einfache semantische Suche“

Bild 6.21: Infobox mit eingehenden Links

Bild 6.22: Aufbau der factbox in Semantic MediaWiki

Verwendete Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Motivation

Innovationen, so ist oft zu hören, sind die Voraussetzung für langfristigen Erfolg und wirtschaftliches Wachstum. Zudem verlange der Markt in immer kürzeren Abständen nach neuen Produkten, die den wachsenden und ständig wechselnden Kundenbedürfnissen Rechnung tragen. Bei dieser Argumentation wird häufig übersehen, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung Veränderungen eher skeptisch gegenüber steht [Sim99, S. 7]. Etwas Neues, das Gewohntes zu ersetzen versucht, wird in der Regel abgelehnt. Dies gilt auch für neue Produkte1.

Unterstützt wird diese Sichtweise durch drei Beobachtungen. Zum einen kann sich die Verkürzung der Produktentwicklungszeit nachteilig auf die Produktqualität auswirken. Spektakuläre Meldungen der jüngeren Vergangenheit wie der nicht bestandene „Elchtest“ der A-Klasse von Mercedes Benz [Kno97] und die Rückrufaktionen namhafter Hersteller [WDR04; COM05; Nür05] zeugen davon, dass unausgereifte Produkte auf den Markt gebracht wurden. In vielen dieser Fälle wurde zugunsten einer schnellen Marktpräsenz auf ausführliche Produkttests verzichtet. Der Leidtragende ist in der Regel der Kunde.

Zum anderen ist festzustellen, dass die meisten Märkte einen Sättigungsgrad erreicht haben, der ein weiteres Wachstum behindert2. Kurze Innovationszyklen in diesen Bereichen führen nicht zwingend zu mehr Wachstum. Viele Kunden sehen nicht die Notwendigkeit, in immer kürzeren Zeitabständen in neue Produkte zu investieren. VON BRAUN fragt zu Recht nach dem Nutzen von Produkten, die „ schon wieder veraltet sind, bevor der Kunde gelernt hat, sie richtig zu beherrschen oder sie auch nur abschreiben konnte “ [Bra97, S. 310].

Zum dritten sei darauf verwiesen, dass die Entwicklungsgeschichte der Menschheit durch lange Zeiträume gekennzeichnet ist, in denen keine erkennbaren Fortschritte und Innovationen stattfanden. Noch heute gibt es Naturvölker, deren Lebensstil über tausende Jahre nahezu unverändert blieb. Es darf daher bezweifelt werden, dass die kontinuierlich betriebene Beschleunigung des technischen Fortschritts zwingend notwendig für das menschliche Überleben ist.

Die oben aufgeführten Argumente lassen den Schluss zu, dass der „laute Ruf nach Innovationen“ nicht von den Kunden ausgeht. Vielmehr scheinen die Firmen selbst ein existentielles Interesse an neuen Produkten und deren schnellen Markteinführung zu haben. „ Innovation ist f ü r Unternehmen, was Sauerstoff f ü r den Menschen ist “ [Trø97, S. 247]. Innovationen versprechen Wachstum. Wachstum wiederum benötigen Unternehmen, um Gewinne erwirtschaften zu können [Bun88]. Doch gesättigte Märkte behindern ein weiteres Wachsen. Gewinne lassen sich hier nur dann er- zielen, wenn Umsätze fr ü her realisiert werden. Die Unternehmen versuchen dies z. B. durch eine frühere Marktpräsenz und schnellere Produktwechsel zu erreichen3. Hierzu genügt es nicht, Pro- duktinnovation zu betreiben; auch die Strukturen und Abläufe eines Unternehmens müssen kontinu- ierlich verbessert und den veränderten Bedingungen angepasst werden. Dieser Aspekt der Inno- vation wird in der öffentlichen Diskussion nur unzureichend berücksichtigt.

Frühere Marktpräsenz und schnellere Produktwechsel wirken sich unmittelbar auf die Lebensdauer der Produkte aus. Vereinfacht lässt sich feststellen, dass sich die Lebensdauer eines Produktes aus der Addition der Längen seiner Lebensphasen ergibt. Die in Bild 1.1 genannten Phasen sind pro- duktunabhängig, d. h. sie können bei allen Produkten identifiziert werden. Dauer und Ausprägung der einzelnen Phasen unterscheiden sich jedoch in Abhängigkeit vom betrachteten Produkt.

Soll ein Produkt früher auf den Markt gebracht werden und dort ein bereits existierendes ablösen, so wirkt sich dies auf die Lebensphasen beider Produkte aus. Die kürzer werdenden Produkt- wechselzeiten zwingen zunehmend dazu, das alte Produkt zu einem Zeitpunkt auszutauschen, der vor dem Ende seiner funktionellen Lebensdauer liegt; d. h. seine Nutzungsphase wird verkürzt. Da dies jedoch im Widerspruch zum Kundeninteresse steht, wenden die Unternehmen enorme An- strengungen auf, um ihre Kunden dennoch zum Erwerb neuer Produkte zu animieren.

Um eine frühere Marktpräsenz zu erreichen, müssen die Phasen, in denen das neue Produkt erstellt wird (Planung, Entwicklung, Fertigung und Vertrieb), „schneller als sonst“ durchschritten werden.

Besonderes Potential, das time-to-market signifikant zu verkürzen, bietet die Phase „Entwicklung und Konstruktion“. Sie lässt sich - verglichen mit den anderen - relativ schnell verändern und ist zudem mit verhältnismäßig geringen Investitionskosten verbunden. Ein Zeitvorteil lässt sich zum einen durch eine Verkürzung der Teilprozesse der Produktentwicklung, zum anderen durch einen höheren Grad an Parallelisierung erreichen. Im Schrifttum werden beide Ansätze intensiv diskutiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 1.1: Lebensphasen eines Produktes nach E HRLENSPIEL [Ehr03, S. 43]

Die obengenannten Bestrebungen zielen in erster Linie darauf ab, die Produktentwicklung effizi- enter zu gestalten, d. h. Produkte schneller und besser zu entwickeln. Sie führen nicht zwingend zu „besseren“ Produkten. „ Gut Ding will Weile haben “, weiß der Volksmund zu berichten. Überträgt man dies auf die Produktentwicklung, so verwundert es nicht, dass die als Innovationen gepriesenen Produkte, aus der Nähe betrachtet, oft nichts weiter sind als „ Anpassungserneuerungen “ und „ Wei- terentwicklungen “. Beide Arten der Neuerung sind zweifelsfrei notwendig, doch stellen sie keine „ Innovation im engeren Sinne “ dar [Sim99, S. 7]. Technischer Fortschritt ist in der Regel nur von „ Durchbruchsinnovationen “ zu warten. Es scheint, dass diese Art von Innovation den Kunden am ehesten zu verkaufen ist. So führt BERTH an, dass die durchschnittliche Rendite von Durchbruchs- innovationen bei etwa 15 Prozent liegt. Mit kleinen Anpassungen hingegen verdient ein Unter- nehmen fast nichts [Sim99, S. 8].

Doch wie kommt man zu „wahren“ Innovationen? Wie lassen sich neue Ideen generieren und schnell in marktfähige Produkte überführen? Die Antworten auf diese Fragen sind vielschichtig. Schlagworte wie „Kreativitätstechniken“ und „Innovationsmanagement“ sind dabei genauso Bestandteil der Antwort, wie die Schaffung eines kreativitätsfördernden Umfeldes durch geeignete Organisationsstrukturen und gestaltete Arbeitsplätze.

Ein weiterer Teil der Antwort lässt sich vermutlich durch die Analyse von Produkten finden, die im allgemeinen zu den Durchbruchsinnovationen gezählt werden. Diese Produkte enthalten oft Elemente, die einzeln zwar bereits bekannt waren, aber noch niemals zuvor in dieser Art und Weise kombiniert wurden. So wurde z. B. im Explosionsmotor von HUYGENS, einem Vorgänger moderner Verbrennungsmotoren aus dem Jahr 1674, in einem Zylinder Schießpulver gezündet. Durch die De- tonation wurde ein Kolben bewegt und Arbeit verrichtet [WIK06a; WIK06b]4. Die wesentlichen Elemente der Maschine waren keineswegs neu; Zylinder und Kolben wurden bereits in der grie- chischen Antike verwendet und Schießpulver ist seit Mittelalter in Europa bekannt. Eine Kombina- tion in dieser Form jedoch war bis dahin unbekannt. Ähnliches gilt für andere Innovationen. Of- fensichtlich basiert die „ Neuigkeit eines technischen Systems (...) nicht auf der Neuigkeit seiner Objekte, sondern auf deren Relationen “ [Gra04, S. 9]. PORTER argumentiert in ähnlicher Weise, wenn er schreibt: „ Innovation bedeutet (...) die generelle Ermittlung neuer Kombinationsm ö glich- keiten “ [Por97, S. 94].

Nach SIMON kommt es zu „spektakulären Innovationen“, „ wenn eine Idee, die in einem Fachgebiet funktioniert, auf ein anderes ü bertragen wird “ [Sim99, S. 102]. Eine Innovation ist umso spektakulärer, je weiter die kombinierten Objekte thematisch auseinander liegen5. So hat die Integration eines MP3-Players in ein Mobiltelefon zwar einen gewissen Neuheitswert, aber sie scheint verglichen mit der Entwicklung schmutzabweisender Textilien [SMS+04] durch die Nutzung einer mikrostrukturierten Oberfläche nach dem Vorbild der Lotus-Blume weniger innovativ.

Im obengenannten Beispiel der schmutzabweisenden Textilien wurde bekanntes Wissen der Biologie in einen neuen Kontext gestellt und aus technischer Sicht interpretiert. Damit wurden zwei Wissensgebiete miteinander verknüpft, zwischen denen keine nennenswerten Querverbindungen bestehen. Es handelt sich um ein Beispiel aus der Bionik, einer transdisziplinär angelegten Wissenschaftsdisziplin, die vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) wie folgt definiert wurde:

Bionik als Wissenschaftsdisziplin befa ß t sich systematisch mit der technischen Umsetzung und Anwendung von Konstruktion, Verfahren und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme “ [Neu93].

Die Bionik hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen „Paradebeispiele“, wie die selbstreinigenden Oberflächen nach dem Vorbild der Lotus-Pflanze [BNC04], Schwimmanzüge, die die Struktur der Haifischhaut nachbilden [Jün03], oder die selbstschärfenden Schneidwerkzeuge, die Nagetierzähnen nachempfunden sind [Fra05], haben ein Bewusstsein für die Bionik geschaffen und die Aufmerksamkeit der Industrie erregt. Bionik gilt als Innovationsmotor und als Hoffnungsträger, die „lahmende Konjunktur wieder in Schwung zu bringen“. Dies kommt nicht zuletzt auch in den Förderprogrammen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Ausdruck [BMBF05].

Kritiker werfen der Bionik vor, mehr Schein als Sein zu präsentieren. Sie argumentieren, dass viele der genannten Beispiele nicht durch eine systematische Übertragung von Prinzipien entstanden sind, sondern eher auf zufällige strukturelle Ähnlichkeit zurückzuführen sind. So soll die Säge ihr Vor- bild in Fischgräten haben, und das Prinzip der Saugnäpfe sollen Krakenarmen abgeschaut worden sein [Vog00, S. 237 f.]. Kritisiert werden u. a. auch Vergleiche zwischen Samenkorn und Fall- schirm, Vogelschnabel und Pinzette sowie Analogien zwischen den Grabschaufeln eines Maulwurfs und denen eines Baggers. In der Tat scheinen die angeführten Vergleiche fragwürdig, zumal die Entstehungsgeschichte vieler technischer Lösungen heute nicht mehr nachvollziehbar ist. Darüber hinaus lassen sich Beispiele für Produkte finden, in denen die angegebenen Analogien zu natürli- chen Lösungen einer näheren Betrachtung nicht standhalten [Vog00, S. 239 ff.]. Die Produkte wurden im Nachhinein „bionisiert“.

Die Entwicklung bionischer Produkte scheint nicht so trivial zu sein, wie es das Schrifttum zum Teil suggeriert. Bionik zu betreiben, erfordert die Überwindung von Grenzen zwischen Biologie und der Ingenieurwissenschaft. Mit den etablierten, an klassischen Fächern orientierten Denk- und Vorgehensweisen ist dies jedoch nicht realisierbar. Es sind daher neue Formen der Zusammenarbeit und andere Arbeitsmethoden gefragt. Im Schrifttum der Bionik ist hierzu überraschend wenig zu finden. Es ist bekannt, dass Bionik auch Analogieforschung ist [Nac98a, S. 61] und dass es gelingen muss, Assoziationen zwischen verschiedenen Wissensdomänen zu bilden [Hil98a, S. 6]. Doch wie lässt sich dies in der industriellen Praxis realisieren? Welches Wissen der Biologie ist relevant für Entwicklung technischer Produkte? Welche Voraussetzung müssen gegeben sein, damit der Trans- ferprozess erfolgreich verläuft, und wie lässt sich dieser Prozess unterstützen? Die vorliegende Arbeit will diese Fragestellungen beleuchten. Sie will die Potentiale und Grenzen der Bionik her- ausstellen und Möglichkeiten aufzeigen, wie sich das bionische Arbeiten unterstützen lässt.

1.2 Forschungsmethodik

Wie viele Dissertationsschriften ist auch diese Arbeit das Resultat einer Tätigkeit als wissenschaftli- cher Mitarbeiter an einer Universität. Die Forschungsmethodik gründet sich daher auf die hier verfügbaren Möglichkeiten. Die vorliegende Arbeit spiegelt Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Mitarbeit an Industrieprojekten, der Betreuung von Studien- und Diplomarbeiten und nicht zuletzt auch der Betreuung von Projekten der Studienrichtung „Integrierte Produktentwicklung“, die an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg angeboten wird, wider. Als weitere Quelle ist die inzwi- schen recht umfangreiche Literatur zum Thema Bionik zu nennen. Bei der Sichtung der Publika- tionen stellte sich jedoch heraus, dass diese sich oft auf die Darstellung der Ergebnisse beschränken. Für diese Arbeit ist es jedoch der Weg, der zu diesen Ergebnissen führte, von besonderem Interesse. Da hierzu im Schrifttum der Bionik relativ wenig zu finden ist, wurden Interviews mit Personen ge- führt, die an der Entwicklung bionischer Produkte mitwirken. Ziel der Interviews war es, den Entwicklungsprozess bionischer Produkte zu beleuchten und transparent machen.

Insgesamt wurden 22 Personen aus 17 Organisationen angeschrieben und um ein Interview gebeten. Dieses Interview sollte per Video aufgezeichnet werden, um eine spätere Auswertung zu erleichtern. Von den angeschriebenen Experten beantworteten 11 die Anfrage. In ihren Antworten lehnten 2 Personen mit dem Hinweis auf Zeitmangel und vorhandene Publikationen das Interview ab. 5 Per- sonen äußerten sich unbestimmt oder baten um die Zusendung eines schriftlichen Fragenkatalogs, den sie zu einem späteren Zeitpunkt beantworten wollten. Die verbleibenden 4 Experten erklärten sich für ein Interview bereit.

Es mag kritisch erscheinen, eine wissenschaftliche Arbeit auf Erkenntnissen aufzubauen, die den obengenannten Quellen entstammen. Die verfügbare Datenbasis ist sehr klein und wenig repräsenta- tiv. Zudem lassen sich studentische Entwicklungsprojekte nur bedingt mit realen Entwicklungspro- jekten vergleichen. Doch wie sieht ein typisches Entwicklungsprojekt aus? Im Rahmen der For- schung der Konstruktionsmethodik entstanden Modelle, die den Ablauf von Entwicklungsprojekten zu beschreiben versuchen (vgl. Kapitel 3.1). Dabei ist festzustellen, dass dies nur auf einer relativ abstrakten Ebene geschehen kann. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass der Produktentwicklungs- prozess durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird, mit dem Ergebnis, dass kein Entwicklungs- projekt dem anderen gleicht. Erkenntnisse, die anhand eines Projektes gewonnen wurden, können zwar genutzt werden, um Thesen aufzustellen, doch zur Validierung dieser Thesen ist es erforder- lich, Entwicklungsprojekte reproduzierbar zu gestalten. Bislang ist in der Forschung der Konstruk- tionswissenschaft keine Möglichkeit bekannt, alle Einflussfaktoren und ihre Wechselwirkungen zu erfassen und gegebenenfalls konstant zu halten. Somit bleiben Studien, die das Wesen des Produkt- entwicklungsprozesses beschreiben wollen, letztlich Einzelfallstudien. Wegen der oben dargestell- ten Problematik haben Aussagen, die auf Einzelfallstudien und Selbstbeobachtung beruhen, in der Konstruktionswissenschaft inzwischen einen festen Platz. Sie müssen jedoch vom Leser kritisch hinterfragt werden.

1.3 Struktur der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Ihre Struktur ist aus Bild 1.2 ersichtlich. In den Kapiteln 2 und 3 werden zunächst die für diese Arbeit relevanten Themen dargestellt und der Problemkreis skizziert. Das Kapitel 2 gibt dem Leser einen Übersicht über die Bionik. Die Ausfüh- rungen gehen über eine Wiedergabe des Grundverständnisses der Bionik und ihrer Teilgebiete hin- aus. Durch die Darstellung einiger ausgewählter Beispiele bionischer Produkte und der Ergebnisse der Interviews wird deutlich, welchen Stellenwert bionisches Arbeiten in der Praxis hat.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 1.2: Struktur der Arbeit

Wird dem Leser in Kapitel 2 ein Grundverständnis für die Bionik vermittelt, erfolgt dies in analoger Weise in Kapitel 3 für die Produktentwicklung. Das Kapitel skizziert die Vorgehensweise des Produktentwicklers, stellt ausgewählte Methoden und Werkzeuge vor und zeigt Trends für die Entwicklung von Produkten auf. Aufgrund der Komplexität der Thematik und der daraus resultierenden Vielfalt an diskussionswürdigen Problemfeldern kann die Darstellung nur einen kleinen Auszug des Standes der Technik wiedergeben. Es wurde jedoch versucht, jene Aspekte herauszugreifen, die Berührungspunkte zur Bionik aufweisen.

Das Kapitel 4 widmet sich der Lösungsfindung. Anhand einiger Beispiele wird gezeigt, wie die Lö- sungsfindung in der Praxis verläuft. Die Darstellung fokussiert dabei nicht auf Entwicklungsprojek- te, bei denen die Entwicklung bionischer Produkte im Vordergrund stand. Vielmehr wird darge- stellt, wie der Produktentwickler im „Konstruktionsalltag“ zu Lösungsansätzen kommt und welche Rolle Analogien in diesem Prozess spielen. Darauf aufbauend werden Fragestellungen der Analo- giebildung und des fachübergreifenden Wissenstransfer herausgearbeitet und in Form von Thesen zusammengefasst.

Im Kapitel 5 wird der Wissenstransfer zwischen Biologie und Technik aus theoretischer Sicht be- leuchtet. Zunächst werden bekannte Übertragungsmodelle vorgestellt und diskutiert. Im Anschluss daran wird ein Analogiemodell für die Bionik entwickelt. Des Weiteren wird im Kapitel 5 die Kom- munikation von Biologen und Ingenieuren als wichtige Einflussgröße für ein erfolgreiches bionisches Arbeiten herausgestellt. Der Wissenstransfer zwischen Biologen und Ingenieuren wird in Form eines Kommunikationsmodells beschrieben. Wichtige Barrieren, die dem Wissenstransfer ent- gegenstehen, werden aufgezeigt.

Das Kapitel 6 beschäftigt sich mit Ansätzen, die den fachübergreifenden Wissenstransfer unterstützen und so helfen können, die obengenannten Kommunikationsbarrieren zu überwinden. Ausgehend von der Darstellung und Diskussion bestehender Methoden und Werkzeuge wird ein Konzept für ein Unterstützungssystem für die Bionik erarbeitet. Hierbei handelt es sich um ein Werkzeug für den Produktentwickler, das dieser im Rahmen der Lösungsfindung für die Recherche nach bionisch relevanten Strukturen nutzen kann.

Kapitel 7 fasst die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und zeigt Anknüpfungspunkte für weiterführende Arbeiten auf.

Abschließend sei bemerkt, dass in dieser Arbeit die Bezeichnungen „Produktentwickler“, „Konstrukteur“ und „Ingenieur“ häufig synonym gebraucht werden. Sie bezeichnen die Profession sowohl in männlicher als auch in weiblicher Fassung. Darüber hinaus wird in dieser Arbeit zumeist von dem Produktentwickler gesprochen ungeachtet der Tatsache, dass Produktentwicklungsprozesse in der Regel in einem Team, in dem nicht nur Ingenieure mitwirken, stattfinden. Es handelt sich um sprachliche Vereinfachungen mit dem Ziel, die Lesbarkeit des Textes zu verbessern.

Die Literaturquellen in dieser Arbeit werden z. T. durch Seitenzahlen belegt. Dies ist dann der Fall, wenn dem Leser durch die Seitenangabe das Auffinden einer konkreten Information (z. B. direkte oder indirekte Zitate) erleichtert wird. Eine Ausnahme bilden Quellen für die keine Seitenzahlen existieren (z. B. Internetseiten). Auf die Angabe von Seitenzahlen wird auch dann verzichtet, wenn die Information oder die Abbildung, auf die verwiesen wird, beim schnellen Durchblättern der Quelle sofort ins Auge fällt oder wenn auf ein Werk als Ganzes referenziert wird.

2 Bionik im Überblick

Bionik ist eine Wortschöpfung, die sich aus den Begriffen Biologie und Technik zusammensetzt. Sie wird dem amerikanischen Luftwaffenmajor J. E. STEELE zugeschrieben, der auf einer Konferenz im Jahr 1960 das Wort bionics erstmalig verwendete1 [Gér68 zitiert nach Nac92]. STEELE definierte Bionik als „ Wissenschaft von Systemen, deren Funktionen auf lebenden Systemen basieren, oder die charakteristischen Eigenschaften lebender Systeme haben, oder diesen ä hnlich sind “ [Vog00, S. 238].

Bionik ist keine Erfindung der Neuzeit. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Menschen seit jeher die Natur beobachten, aus den Beobachtungen Erkenntnisse gewinnen und diese Erkenntnisse für sich nutzbar machen. Hinweise auf ein „Abschauen von der Natur“ sind bereits in der griechischen Mythologie zu finden; bekanntermaßen flohen Daedalus und sein Sohn Ikarus aus kretischer Gefangenschaft mit Flügeln, die denen der Vögeln nachempfunden waren.

LEONARDO DA VINCI wird häufig als Begründer der modernen Bionik gesehen [Bra05]. Er studierte die Natur und suchte gleichzeitig nach Anwendungsmöglichkeiten für die gewonnenen Erkenntnisse. Sein besonderes Interesse galt dem Vogelflug. Er untersuchte beispielsweise, wie sich die Überlap- pung der Federn eines Vogelflügels auf die Luftströmung auswirken und machte Vorschläge für eine technische Adaption in Form von Flügelklappen [Nac98a, S. 8 f.]. In seinen Aufzeichnungen finden sich unter anderem Skizzen eines Flugapparates, der durch natürliche Vorbilder inspiriert wurde.

In den letzten Jahren ist die Bionik wieder stärker in das Blickfeld der Forschung gerückt. Zunehmend beginnen auch Unternehmen sich für die Bionik zu interessieren. Auslöser für diesen Trend sind die publizierten „Paradebeispiele“ erfolgreicher Adaption natürlicher Lösungen und Prinzipien, wie z. B. die Selbstreinigung durch den Lotus-Effekt [BN98; BNC04] oder die besonderen Eigenschaften der Haifischhaut, die den Strömungswiderstand reduzieren [Bec98]. Diese „Erfolgsgeschichten“ zeigen, wie die Natur zur Lösung technischer Problemstellungen beitragen kann. Sie nähren darüber hinaus die Hoffnung der Unternehmen, dass von der Natur inspirierte Lösungen zu innovativen Produkten führen.

Die intensiven Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Bionik brachten in den letzten Jahren eine Reihe beachtlicher Resultate hervor. Sie reichen von grundlegenden Erkenntnissen, deren tech- nische Nutzbarkeit sich derzeit noch nicht abschätzen lässt2, bis hin zu Lösungsvorschlägen, die be- reits als technische Produkte realisiert wurden. Eine ausführliche Darstellung und Würdigung der Bionik-Forschung kann und soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Dennoch erscheint es sinnvoll, dem Leser das Grundverständnis der Bionik zu vermitteln und einige charakteristische Beispiele vorzu- stellen.

In diesem Kapitel wird zunächst das Selbstverständnis der Bionik skizziert und die Vielfalt bionischer Forschung anhand ihrer Teilgebiete dargestellt. Im Anschluss daran werden einige „Highlights“ der Bionik vorgestellt. Neben der eigentlichen Darstellung des bionischen Lösungsan- satzes wird auch versucht, den Entwicklungsweg kritisch zu beleuchten. Abschließend werden die Ergebnisse der Interviews mit „Bionikern“ präsentiert. Diese „Sichtweisen aus der Praxis“ runden das Bild der Bionik ab.

2.1 Bionik im Schrifttum

Im Folgenden wird der Begriff „Bionik“ und die Philosophie des bionischen Arbeitens näher erläutert. Zudem werden die Aktivitäten im Bereich der bionischen Forschung umrissen.

2.1.1 Begriffsklärung und Grundverständnis

Bionik steht für das Lernen von der Natur für die Technik. ISENMANN untersucht die „ Natur-als-Vor- bild-Welle “ [Ise98, S. 129] und stellt zwei Lager heraus, die sich scheinbar unvereinbar gegenüber stehen. Zum einen nennt er die Befürworter, die die Natur in jeder Hinsicht als Vorbild sehen [Com73; AG91], zum anderen die Zweifler, die die Idee von „Natur als Vorbild“ grundsätzlich ab- lehnen [GG94; Bir97]. Der Bionik liegt eine „ versteckte Naturphilosophie “ [Ise98, S. 135] zu- grunde. Da die Grundannahme, dass Natur als Vorbild dienen kann, in den Wissenschaften keines- wegs unbestritten ist, sieht ISENMANN es als wichtige Aufgabe der Bionik an, in diesen Fragen Stel- lung zu beziehen, wenn sie als eigenständige Wissenschaft ernst genommen werden will. Dabei wird nach Ansicht von ISENMANN deutlich werden, dass ein Lernen von der Natur nicht nur „ möglich und plausibel “, sondern im Hinblick auf die Entwicklung einer nachhaltigen Technik auch „ geboten und n ü tzlich “ [Ise98, S. 130] ist.

NACHTIGALL konstatiert, dass man die Lösungen der Natur nicht nutzen kann, wenn man sie nicht kennt und nicht versteht. Daher ist „ die Analyse der Natur unter Einbeziehung physikalisch- technischen Know-hows “ ein unverzichtbarer erster Schritt. Dieser Schritt stellt „ die Basis f ü r ein Durchforsten der Natur nach technologisch Verwertbarem “ [Nac92, S. 1] dar. In seinem Modell unterscheidet NACHTIGALL zwischen der Technischen Biologie und der Bionik (Bild 2.1). Die Technische Biologie versteht er als Grundlagenforschung, während die Bionik die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse darstellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2.1: Technische Biologie und Bionik [Nac96]

Eine andere Differenzierung schlägt ZERBST vor. Er unterteilt die Bionik in Allgemeine Bionik, Sys- tematische Bionik und Angewandte Bionik. Die Allgemeine Bionik betrachtet die Erscheinungen in der Natur „ aus dem Blickwinkel eines absch ä tzenden Suchers “ [Zer87, S. 17]. Sie untersucht, wel- che natürlichen Strukturen, Prozesse und Wechselwirkungen prinzipiell zur Lösung technischer Problemstellungen interessant sein k ö nnten. Mit der Systematischen Bionik werden die gefundenen biologischen Vorbilder problemorientiert analysiert. Sie hat die Aufgabe, für die Technik eine allge- meinverbindliche „Übersetzung“ biowissenschaftlicher Fakten zu schaffen, diese zu strukturieren und in Datenbanken zu speichern [Zer87, S. 18]. Die Angewandte Bionik nutzt die Erkenntnisse und setzt sie in Form technisch realisierter Prototypen um. Durch die weitere Anpassung und Opti- mierung an die Randbedingungen der Technik entsteht aus dem Prototyp schließlich ein technisches Produkt.

2.1.2 Teilgebiete der Bionik

Die Bionik lässt sich in verschiedener Weise einteilen. NEUMANN gliedert sie in Konstruktions -, Verfahrens - und Informationsbionik und ordnet ihnen in einer zweiten Gliederungsstufe mögliche Forschungsfelder zu [Neu96, S. 18]. Andere Einteilungen sind z. B. bei ZERBST [Zer87, S. 17 ff.] und HILL [Hil99, S. 65] zu finden. An dieser Stelle soll die Bandbreite bionischer Forschungsaktivitäten anhand der Gliederung von NACHTIGALL [Nac98a] dargestellt werden, da diese sehr differenziert ist. NACHTIGALL unterscheidet zwischen Historisches 3, Strukturbionik, Baubionik, Klimabionik, Konstruktionsbionik, Bewegungsbionik, Ger ä tebionik, Antrophobionik, Sensorbionik, Neurobionik, Verfahrensbionik sowie Evolutionsbionik.

Das Teilgebiet der Strukturbionik beschäftigt sich mit Möglichkeiten der Übertragung von Materialien und Strukturen der Natur in die Technik. Neben dem Einsatz alternativer Materialien und der Analyse biologischer Strukturen im Hinblick auf ihr Leichtbau-Potential [KL96; Hen01; Mir01] werden z. B. auch Formbildungsprozesse und Verpackungsstrategien [KT02; Küp04] untersucht. Darüber hinaus kann auch die Untersuchung der Strukturen von Oberflächen in das Teilgebiet Strukturbionik eingeordnet werden.

Die Bionik beschäftigt sich nicht nur, wie häufig dargestellt wird, mit der Analyse der belebten Welt. Auch Strukturen der nicht belebten Natur wie z. B. Schnee sind für die Forscher von Interesse [DL06]. So liefern die Wachstumsprozesse der Schneekristalle wertvolle Hinweise für die Herstellung von Nanostrukturen wie sie z. B. für Mikrochips benötigt werden. Darüber hinaus ist die poröse Struktur des Schnees für die Entwicklung schalldämmender Materialien interessant. Die feinen Spitzen der Eiskristalle werden durch Schallwellen zum Mitschwingen angeregt, verformen sich und zerbrechen schließlich. Die Schallenergie wird so in Wärme umgewandelt.

Die Baubionik untersucht Lösungen der Natur hinsichtlich ihres Nutzenpotentials für Architekten und Bauingenieure. In der Architektur werden Formen aus der Natur genutzt, um wirtschaftliche und ästhetisch ausgewogene bauliche Lösungen zu entwickeln [MK86, S. 8]. So erhofft man sich z. B. aus der Analyse von Eierschalen und Spinnennetzen Impulse für die Entwicklung temporärer Leichtbauten [Küp04]. Darüber hinaus werden die Eigenschaften natürlicher Baumaterialien wie Holz und Ton, die auch von Tieren zum Bau ihrer Behausungen genutzt werden, erforscht.

Die Klimabionik hat zahlreiche Berührungspunkte zur Baubionik. Jedoch stehen hier Aspekte der Heizung und Kühlung sowie der passiven Lüftung im Mittelpunkt der Betrachtungen. So fanden z. B. KLINGNER & MANZ [KM04] heraus, dass die Temperatur in Hornissennestern auch bei großen Schwankungen der Außentemperatur weitestgehend konstant bleibt. Die Ursache hierfür liegt zu einem großen Teil in der besonderen Struktur des Nestes. Klimatechnisch interessant ist auch der Bau des Präriehundes. Durch die unterschiedliche Höhe der Ein- und Ausgänge entsteht aufgrund des Bernoulli-Prinzips eine Druckdifferenz, die wiederum eine Zwangsdurchlüftung des Baus zur Folge hat [VB72 zitiert nach Nac92]. Einige Termitenvölker nutzen ebenfalls den Wind, um ihre Bauten zu lüften [Tri98]. Unter den Termitenhügeln ist ein langer Gang angelegt, der bis zum Grundwasser hinunterreicht. Durch die Verdunstung des Wassers wird der Luft in der Anlage Wärme entzogen und es entstehen für die Insekten angenehme Lebensbedingungen.

Anregungen für die Klimabionik lassen sich auch in der traditionellen Architektur finden. So offen- bart z. B. die Analyse von Iglus, von Hütten in Nordafrika [Tri98] oder von Häusern im Vorderen Orient [Nac01] interessante Aspekte, die für die Gestaltung moderner Bauten genutzt werden können. Es sind vor allem die Dachformen, die Materialien der Wände, die Einnischung4 der Bauten in die Erde sowie ihre Ausrichtung nach Sonne und Wind, die aus Sicht der Klimabionik von Inter- esse sind.

Bäume sind nicht nur für die Strukturbionik interessant, sie sind ebenfalls ein Forschungsobjekt der Klimabionik. Wie OLIGMÜLLER [Oli01] darstellt, entstanden an Fassaden nach dem Vorbild ihres Ast- und Blattwerkes „ transparente Lichtschwerter “ [Oli01, S. 259]. Dabei handelt es sich um einen Sonnenschutz mit lamellenförmigen Luftschlitzen. Das Sonnenlicht wird im Fensterbereich an den Schlitzen gebrochen und in die Tiefe des Raumes gelenkt. Das „harte“ Licht der Sonne wird dabei weich und angenehm. Lichtschwerter spenden einerseits bei starker Sonneneinstrahlung wirksam Schatten, andererseits schränken sie bei bewölktem Himmel das Tageslicht nicht unnötig ein.

Im Rahmen der Konstruktionsbionik werden die Konstruktionselemente biologischer Lösungen untersucht. Von Interesse ist dabei besonders, wie die Elemente miteinander interagieren und wie die Abstimmung erfolgt. Dabei zeigt sich, dass die Lösungen der Natur im Allgemeinen einen wesentlich höheren Grad an Funktionsintegration aufweisen, als dies bei technischen Konstruk- tionen der Fall ist. Darüber hinaus sind in der Natur häufig Materialien zu finden, deren Eigen- schaften sich örtlich unterscheiden. So hat das Holz im Inneren eines Baumes andere Eigenschaften als das Holz der Rinde [PPO+98, S. 272]. In der Technik hingegen ist der Einsatz von Stoffen mit „fließenden“ Materialkennzahlen bislang unüblich.

Die Bewegungsbionik befasst sich in erster Linie mit den Bewegungsformen im Tierreich und den damit verbundenen Problemkreisen [Bli92; Lie98; Wüs98; SS05]. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen nicht nur in die Entwicklung von Laufmaschinen oder Schlagflossenantrieben ein. Auch die Kriechbewegungen von Würmern sind ein Untersuchungsobjekt der Bionik. Die Erkenntnisse lassen sich z. B. für die Entwicklung neuartiger Endoskope nutzen [HMC+04]. In der Medizin werden Endoskope bislang durch äußere Krafteinwirkungen platziert, wodurch das Gewebe häufig beschädigt wird. Durch das „aktive Kriechen“ des Gerätes verringert sich das Verletzungsrisiko bei Operationen.

Für die Bewegungsbionik ist auch die Interaktion von Bewegungsorgan und Medium von Interesse. So weiß man inzwischen, dass der geringe Reibungswiderstand von Delphinen nicht allein auf die strömungsoptimierte Form der Tiere zurückzuführen ist. Die Flexibilität der Haut trägt gleichfalls maßgeblich zur Reduzierung der Wirbelbildung bei [Nac97, S. 89 f.]. Sie gibt bei Druckbelastung nach und vermindert so die Gefahr einer Wirbelbildung [Bau04].

Das Teilgebiet der Gerätebionik ist eng mit der Strukturbionik und der Konstrukionsbionik ver- knüpft. Im Fokus steht hier die Entwicklung einsetzbarer Gesamtkonstruktionen. NACHTIGALL führt als Beispiel die Nutzung eines Schlagflossenantriebs in der Pump- und Fördertechnik an [Nac98a, S. 22]. Mit einer solchen Flossenpumpe lassen sich im Gegensatz zu konventionell betriebenen Pumpen auch halbflüssige Gemische problemlos transportieren.

Die Antrophobionik hat ihren Schwerpunkt in der Mensch-Maschine-Interaktion. Sie steht damit in enger Beziehung zur Ergonomie und zur Arbeitsplatzgestaltung. Vor diesen Hintergrund stehen Analysen der motorischen und sensorischen Gewohnheiten des Menschen im Vordergrund. Die Ergebnisse lassen sich einerseits für die Gestaltung von menschengerechteren Produkten nutzen, andererseits können z. B. Erkenntnisse über das Zusammenwirken von Muskeln und Sehnen auch Impulse für die Entwicklung von Robotern geben [Möh04].

Die Sensorbionik beschäftigt sich mit der Erfassung und Verarbeitung von physikalischen und che- mischen Reizen in der Natur und den Möglichkeiten einer Übertragung in die Technik. Die Natur brachte eine Vielzahl hoch sensibler Sensoren hervor, die die Effizienz technischer Sensoren oft übertreffen. Durch die Analyse dieser natürlichen Sensorsysteme können nicht nur Anregungen für die Verbesserung technischer Sensoren gewonnen werden, sie helfen auch, neue Ideen für weitere Anwendungsfelder zu generieren. So weiß man z. B. inzwischen, dass der Schwarze Kiefernpracht- käfer Infrarot-Sensoren besitzt, mit denen er über viele Kilometer hinweg Waldbrände erkennen kann. Die Tiere nutzen diese Fähigkeit, um verbranntes Holz zu zu finden, in dem sie ihre Eier ablegen können [Sch98, S. 241]. Aus dieser Erkenntnis heraus entstand die Idee, einen „Feuerlöschkäfer“ zu entwickeln. Dabei handelt es sich um ein autonom agierendes Fahrzeug, das mit InfrarotSensoren und einem Löschmitteltank ausgestattet, in den Wäldern platziert wird. Derartige „Käfer“ könnten so helfen, Waldbrände frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen [Woh06].

Das Gebiet der Neurobionik kann nach LUKSCH [Luk05] in die Neuroprothetik, die Biohybrid- elemente und den Rechenvorschriften, nach denen die Natur Informationen verarbeitet, eingeteilt werden. Das Ziel der Neuroprothetik ist es, verloren gegangene Körperfunktionen durch Prothesen zu ersetzen und diese an das Nervensystem anzubinden. Beispiele für solche Prothesen sind Implan- tate im Innenohr oder in der Netzhaut des Auges. Mit der Biohybridtechnik wird versucht, die in- formationsverarbeitenden Elemente eines biologischen Systems mit Halbleiter-Bauelementen zu verbinden. Anwendungsgebiete für solche Biohybrid-Systeme ergeben sich z. B. für die Biosenso- rik. Dabei fungiert lebende Zelle als Sensor für Stoffe, für die keine technischen Sensoren zur Verfügung stehen. Die biologische Informationsverarbeitung als dritter Bestandteil der Neurobionik kann der Technik Impulse liefern, wie mit Beschränkungen des Systems umgegangen werden kann. Wichtig sind in diesem Zusammenhang z. B. Strategien, mit denen sich der Widerspruch zwischen einer hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit von Signalen und einer gleichzeitig hohen Ver- arbeitungsqualität lösen lässt. Der Vergleich von Auge und Kamera soll hier als Beispiel angeführt werden. Herkömmliche Kamera-Systeme zeichnen ihre Umgebung kontinuierlich auf. Die Detailge- nauigkeit ist im gesamten Aufnahmebereich gleich hoch. Dadurch wird eine relativ große Daten- menge generiert, die vom System ausgewertet werden muss. Vergleichbare biologische Systeme wie das Auge arbeiten hier effizienter. Sie sind in der Lage, auf das zu fokussieren, was wichtig sind. Weniger wichtige Informationen werden mit einem geringeren Detaillierungsgrad wahrgenommen. Die entstehende Datenmenge ist daher kleiner und die Verarbeitung kann schneller erfolgen.

Die Verfahrensbionik stellt die in der Natur ablaufenden chemischen und physikalischen Prozesse in den Vordergrund. Die Prozesse werden vor allem hinsichtlich ihres Potentials für die Energie- erzeugung untersucht. So arbeiten Forscher z. B. an der Entwicklung von „grünen Solarzellen“, bei denen nach dem Vorbild der Photosynthese Licht in elektrische Energie umgewandelt wird [Tri95, S. 148 ff.]. Daneben sind für die Forscher auch die Methoden des totalen Rezyklieren, d. h. der Vermeidung von Abfall, von Interesse.

Als letztes Teilgebiet der Bionik nennt NACHTIGALL [Nac98a] die Evolutionsbionik. Hierunter fallen z. B. die von RECHENBERG entwickelte Evolutionsstrategie [Rec94] oder der von GOLDBERG vorge- stellte Genetische Algorithmus [Gol89]. Beide Verfahren werden heute unter dem Oberbegriff Evo- lution ä re Algorithmen [Poh99] zusammengefasst. Es handelt sich um Optimierungsverfahren, die die Prinzipien der Evolution nutzen. Sie werden in der Industrie z. B. für die Optimierung von parametrischen Bauteilmodellen [VBC+04] oder für die Anpassung von Materialmodellen viskoelastischer Werkstoffe [Her06] eingesetzt.

Im Schrifttum der Bionik bezeichnet Evolutionsbionik im Wesentlichen die Entwicklung und die Anwendung evolutionärer Optimierungsverfahren. Die Charakteristika einer evolutionären Entwicklung (z. B. Zukunftsblindheit) und die zugrunde liegenden Prinzipien (z. B. Mutation und Rekombination) lassen sich jedoch auf andere Bereiche übertragen. So stellen VAJNA & BERCSEY [VB94] mit der Autogenetischen Konstruktionstheorie einen Ansatz zur Beschreibung von Produktentwicklungsprozessen vor (vgl. Kapitel 3.1.2).

2.1.3 Zusammenfassung

Die Ausführungen oben skizzieren die Bionik in ihren wesentlichen Zügen. Dabei wird deutlich, dass die Bionik heterogen aufgestellt ist. Dies betrifft zum einen die verschiedenen Sichtweisen zum Bionik-Begriff. Zum anderen äußert es sich in der Vielfalt bionischer Forschungsaktivitäten.

Die genannten Teilgebiete sind vielfältig miteinander verknüpft, so dass die Grenzen zwischen den Bereichen in der Praxis verschwimmen. Darüber hinaus finden sich Ansätze, die sich nicht in die von NACHTIGALL gewählte Gliederung einordnen lassen und die die Bandbreite der Bionik nochmals erweitern. Hierzu gehören z. B. Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften und im Organisationsma- nagement, die basierend auf der Analyse des Verhaltens von biologischen Systemen Vorschläge zur Verbesserungen bestehender Konzepte und Strategien unterbreiten [AG91; Nöl04; God06]. Die äs- thetische Komponente, die vielen biologischen Systemen innewohnt, und die Ansätze zur Formge- bung und Gestaltung von Produkten lassen sich ebenfalls nur schlecht den genannten Teilgebieten zuordnen. Unberücksichtigt bleiben ebenfalls die Zusammenhänge zwischen Bionik, Ethik und Bio- politik [Geh05]. Zu guter Letzt seien die Ansätze zur methodischen Unterstützung und zur Didaktik der Bionik erwähnt, die ebenfalls Bestandteil der Bionik-Forschung sind [Hil98b].

Die (sicherlich immer noch unvollständige) Zusammenstellung bionischer Forschungsaktivitäten macht deutlich, dass es zunehmend schwierig wird, ein vollständiges Bild der Bionik zu zeichnen. Der Bionik-Begriff umfasst längst mehr als „Biologie“ und „Technik“. Er ist in der öffentlichen Meinung positiv belegt und wird daher häufig zu Marketing-Zwecken genutzt. Damit ist jedoch auch die Gefahr verbunden, dass der Bionik-Begriff mit Inhalten belegt wird, die der ursprünglichen Intention entgegenstehen. Umso wichtiger ist es, einen fundierten „theoretischen Unterbau“ für das Wissensgebiet zu schaffen. Hierzu gehört zum einen, ein einheitliches Verständnis von dem zu generieren, was Bionik ist und wo sie sich zu anderen Gebieten abgrenzt. Ansätze für eine wissen- schaftstheoretische Betrachtung der Bionik existieren bereits [Gle98b; Ise01], jedoch werden sie scheinbar im Schrifttum nur ungenügend wahrgenommen. Zum anderen müssen auch die Arbeitsmethoden der Bionik klar definiert und in der Praxis gelebt werden. Dies ist, wie in dieser Arbeit gezeigt werden wird, nur zum Teil der Fall. Die genannten Themen werden daher im Verlauf der Arbeit diskutiert werden.

2.2 Beispiele bionischer Produkte

Zahlreiche populärwissenschaftliche Artikel erwecken den Eindruck einer „glanzvollen Zukunft“, in der die Bionik ungeahnte Möglichkeiten schafft. Auch wissenschaftliche Publikationen verleiten häufig zu „ ü berzogenem Optimismus “ [Zer87, S. 17]. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass die reale Entwicklung bionischer Produkte in der Regel weit weniger spektakulär ist, als dies in vielen populärwissenschaftlichen Darstellungen erscheint. Wie jedes andere Produktentwicklungsprojekt verläuft auch die Entwicklung bionischer Produkte nicht gradlinig. Bionische Produkte entstehen nicht von heute auf morgen. Ihre Entwicklung ist mit Schwierigkeiten und Misserfolgen verbunden. Und nicht selten spielt der Zufall eine nicht unbeachtliche Rolle.

2.2.1 Beispiel: Lotus-Effekt

Der von BARTHLOTT und NEINHUIS in [BN97; BN98; BNC04] beschriebene Lotus-Effekt gilt als das Vorzeigebeispiel der Bionik schlechthin. Er bezeichnet die Fähigkeit natürlicher Oberflächen zur Selbstreinigung. Der Lotus-Effekt basiert auf einer stark reduzierten Adhäsion von Wasser. Das abfließende Wasser trägt Partikel, die auf der Oberfläche haften, davon und reinigt sie auf diese Weise. Der Effekt wurde von BARTHLOTT und NEINHUIS zwar nach der Lotuspflanze benannt, jedoch ist anzumerken, dass er nicht auf diese beschränkt ist. Das Prinzip der Selbstreinigung ist in der Pflanzenwelt weit verbreitet und ist darüber hinaus auch bei Insekten zu finden. So sind z. B. Libellen und Schmetterlinge im Gegensatz zu anderen Insekten nicht in der Lage, ihre Flügel mit den Beinen zu reinigen; die Größe ihrer Flügel hindert sie daran. Die Reinigung erfolgt durch den Lotus-Effekt [BN98, S. 290 f.].

Beim Lotus-Effekt kommen zwei physikalische Prinzipien zum Tragen. Zum einen lässt sich fest- stellen, dass selbstreinigende Oberflächen eine hydrophobe (wasserabweisende) Schicht aufweisen. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Wachsschicht. Bei Pflanzen wird sie als extrazelluläre Schicht über der Epidermis ausgeprägt und heißt Cuticula. Diese Schicht ändert die Grenzflächen- spannungen zwischen Luft, Wasser und Blattoberfläche mit der Folge, dass der Kontaktwinkel zwi- schen Flüssigkeit und Oberfläche vergrößert wird und sich auf den benetzten Blättern Wasser- tropfen ausbilden.

Das zweite Prinzip basiert auf der Mikrostrukturierung der Blattoberfläche. Wie im Bild 2.2 gezeigt, sorgt eine Oberflächenstrukturierung für eine Verstärkung der Benetzungseigenschaften. Im Fall einer hydrophilen (wasserliebenden) Oberfläche wird durch eine Strukturierung der Oberfläche die Oberflächenspannung weiter herabgesetzt, so dass sich ein dünner Wasserfilm ausbilden kann. Ist die Oberfläche hingegen hydrophob, wird die Bildung von Wassertropfen unterstützt, die leicht ab- rollen können.

Der Lotus-Effekt wirkt auf hydrophoben und strukturierten Oberflächen. Wird eine solche Fläche mit Partikeln beschmutzt, lagern diese sich auf den Spitzen der Rauhigkeit ab. Die entstehende Kontaktfläche ist relativ klein und die wirkenden Adhäsionskräfte sehr gering. Rollt ein Wasser- tropfen über eine so verschmutzte Oberfläche, nimmt er die lose aufliegenden Partikel mit sich und trägt sie davon. BARTHLOTT [Bar05] weist darauf hin, dass es keine Rolle spielt, ob der Schmutz hy- drophiler oder hydrophober Natur ist. Handelt es sich um hydrophilen Schmutz, wird er in das Inne- re des Tropfens befördert und vom Blatt gespült. Reagiert der Schmutz hingegen hydrophob, lagert er sich auf der Oberfläche des Wassertropfens an und wird auf diese Weise transportiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2.2: Auswirkung der Rauigkeit auf die Benetzbarkeit hydrophiler und hydrophober Oberfl ä chen [BN98]

Da der Lotus-Effekt auf physikalischen und chemischen Prinzipien basiert, ist er auch auf technische Oberflächen übertragbar. Das Potential selbstreinigender Flächen für technische Anwendungen wurde schnell erkannt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Lotus-Effekt „ ein breites Interesse bei der Industrie “ [BN98, S. 291] fand und inzwischen technisch realisiert wurde. So sind auf dem Markt bzw. Farben, Lacken, Dachziegel und Textilien erhältlich, die den Lotus- Effekt nutzen [Bar05; BBF05]. Darüber hinaus gelang es, den natürlichen Effekt der Lotuspflanze zu erweitern und Beschichtungen herzustellen, die nicht nur die hydrophoben Eigenschaften ihrer biologischen Vorbilder nachbilden, sondern auch oleophob, d. h. ölabweisend reagieren. Derart be schichtete Oberflächen, die weder von Wasser noch von Öl benetzt werden können, werden als ultraphob bezeichnet [Bar05].

Die Unbenetzbarkeit vieler pflanzlicher Oberflächen ist seit langem bekannt. BARTHLOTT und NEINHUIS weisen darauf hin, dass es darüber hinaus seit über 100 Jahren in der Literatur „ versteckte Hinweise auf die Zusammenh ä nge zwischen Unbenetzbarkeit und Unbeschmutzbarkeit “ [BN98, S. 282] gibt. Eine systematische Erforschung der Ursachen des Selbstreinigungseffektes blieb je- doch aus. Die Entdeckung des Lotus-Effektes war keineswegs das Ergebnis zielgerichteter For- schung. Es handelte sich vielmehr um ein „ unbeabsichtigtes Nebenprodukt “ [BN98, S. 291] von Untersuchungen, deren eigentliches Ziel es war, Lotusblumen hinsichtlich ihrer systematischen Stel- lung zu analysieren.

2.2.2 Beispiel: Haifischhaut

Die Haut des Haifischs ist in mehrerlei Hinsicht für die Bionik interessant. Sie wirkt zum einen reibungsreduzierend und sorgt so dafür, dass sich der Hai schnell und wendig bewegen kann [Bec98]. Zum anderen gilt die Haut des Hais als Vorbild für die Bewuchsverhinderung5 [LK04]. Letzteres ist vor allem für die Schifffahrt von großem Interesse, denn durch den Bewuchs erhöht sich die Reibung der Schiffskörper und somit auch ihr Treibstoffverbrauch. Bislang wurde der Be- wuchs bei Schiffen durch besondere Farbanstriche, die umweltschädliche Wirkstoffe6 enthielten, verhindert. Seit dem Jahr 2003 ist dies verboten, und es wird vermehrt nach alternativen Lösungen gesucht [Bau04].

Die besonderen Eigenschaften der Haut des Haifischs sind in ihrer Oberflächenstruktur begründet. Das Bild 2.3 zeigt deutlich fein strukturierte Schuppen. Sie bestehen aus einem harten Material, sind aber dennoch untereinander beweglich [LK04]. Da Seepocken und andere Organismen nicht in der Lage sind, die Zwischenräume der Schuppen zu füllen, steht ihnen nur eine kleine Kontaktfläche zur Verfügung. Diese Fläche reicht nicht aus, um die notwendigen Haltekräfte zu übertragen.

Eine technische Nachbildung der beweglichen Schuppen mit vertretbarem Aufwand ist derzeit noch nicht möglich. LIEDERT und KESEL [LK04] vereinfachten daher die Struktur der Haifischhaut und entwickelten mikrostruktierten Silikonmatten (Bild 2.4). Mit Hilfe dieser Matten gelingt es, den Bewuchs durch Seepocken um bis zu 95 Prozent zu senken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2.3: Haihaut unter dem Mikroskop [LK04] Bild 2.4: Technische Nachbildung [LK04]

Die Mikrostrukturierung der Haifischhaut wurde erstmalig durch REIF [Rei81] beschrieben. Die Vermutung, die in Strömungsrichtung liegenden Rippen würden die turbulente Wandreibung her- absetzen, wurde experimentell bestätigt [BHR85; Bec98]. Das Prinzip wurde zunächst auf Folie übertragen. Mit diesen Folien konnten beliebige technische Oberflächen beklebt werden, deren Reibungswiderstand sich auf diese Weise tatsächlich spürbar reduzieren ließ7. BERCHERT errechnet beispielsweise, dass sich durch den Einsatz der Folien der Kerosinverbrauch des Airbus A 320 dras- tisch vermindern lässt [Bec98; Nac97, S. 35 ff.]. Trotz der viel versprechenden Testergebnisse wird die Folie bei Airbus bislang nicht serienmäßig eingesetzt [Pat05]. Offensichtlich werden die Vortei- le der Reibungsreduzierung durch das zusätzliche Gewicht der Folien nahe zu vollständig kom- pensiert.

2.2.3 Beispiel: Unterwasser-Modem

In der Informationstechnik werden für die Übertragung von Signalen in der Regel Wellen genutzt, die entweder optischer, elektromagnetischer oder akustischer Natur sind. Sollen Signale unter Wasser gesendet und empfangen werden, so wie es z. B. bei der Fernsteuerung von Tauchrobotern der Fall ist, stellt sich das Problem, dass optische und elektromagnetische Wellen im Wasser stark gedämpft werden. Aufgrund dessen lassen sich Signale nur über eine geringe Reichweite über- tragen. Die alternative Nutzung akustischer Wellen birgt ebenfalls Probleme, denn aufgrund ihres mechanischen Charakters werden sie z. B. durch die Wasseroberfläche, durch den Grund oder durch Objekte, die sich im Wasser befinden, gebrochen und reflektiert. Es entstehen Interferenzen und Verzerrungen, die letztlich zu einem Signalrauschen führen und so eine zuverlässige Übertragung von Informationen über längere Strecken behindern [Keb00, S. 12 ff.].

Trotz dieser signalstörenden Eigenschaften des Wassers gelingt es z. B. Delfinen über mehrere Kilometer hinweg miteinander zu kommunizieren. KEBKAL [Keb00] sieht die Ursache hierfür im Gesang der Tiere. Er fand heraus, dass im Gegensatz zu technischen Anwendungen, wo vorrangig starre Frequenzbänder für die Signalübertragung genutzt werden, Delfine ständig den Frequenzbereich variieren und so die Auslöschung der Signale verhindern. Aus der Analyse ihrer Pfeiflaute gelang es ihm, drei Grundprinzipien abzuleiten. Zur Verbesserung der Unterwasserkommunikation schlägt KEBKAL Folgendes vor [Keb00, S. 29 f.]:

1. Nutzung von Frequenzkanälen, die sich kontinuierlich ändern (fließen) und die über signal- interne Proportionen (wie z. B. definierte Abstände zur Trägerfrequenz) miteinander ver- knüpft sind.
2. Aufbau einer permanenten Verbindung zwischen Sender und Empfänger über einen signal- technisch separierbaren Grundton, der als Referenz zu den übrigen Frequenzkomponenten genutzt wird. Dieser Ton ermöglicht das Auffinden der Komponenten und erleichtert ihre Auswertung.
3. Digitale Übertragung von Informationen durch eine geeignete Modulationen der Frequenz- kanäle. Die Signale werden in Bitmustern kodiert.

KEBKAL und BANNASCH wiesen im Experiment nach, dass unter Beachtung der obengenannten Grund- prinzipien Informationen erfolgreich im Wasser übertragen werden können [KB01; KKB+04]. Mit dem von ihnen entwickelten Unterwasser-Modem gelang es, Daten mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilobit pro Sekunde über eine Distanz von 3,5 km zu übertragen [Pat05].

Die Technologie ist vielseitig anwendbar. Neben der bereits erwähnten Fernsteuerung von Tauchro- botern soll das Unterwasser-Modem auch im Tsunami-Warnsystems eingesetzt werden. Des Wei- teren ist die Nutzung der Technologie in anderen Bereichen denkbar. So haben Radiosender bislang versucht, dem Problem des Signalrauschens durch eine höhere Sendeleistung entgegenzuwirken. Mit der Frequenzmodulation könnten zukünftig Sender und Empfänger störungsfrei und mit einem relativ geringen Energiebedarf Informationen austauschen [GEO06]. Weitere mögliche Einsatzge- biete sind ebenfalls in der Materialprüfung und in der Medizin zur Früherkennung von Tumoren vorstellbar [Sze05].

2.2.4 Beispiel: Anti-G-Anzug

Seit der menschliche Traum vom Fliegen mit den Gleitversuchen von OTTO LILIENTHAL in Erfüllung ging8, wurden die Fluggeräte kontinuierlich verbessert. Die Entwicklung des Flugzeuges wurde von Anfang an auch durch militärische Anforderungen geprägt. Für den Luftkampf werden beispielsweise Flugzeuge benötigt, die bei hohen Geschwindigkeiten enge Kurvenflüge erlauben.

Mittlerweile ist die Entwicklung soweit fortgeschritten, dass die Grenzen des Machbaren nicht länger durch die Technik bestimmt werden. Längst ist der Mensch zu einem beschränkenden Faktor geworden, denn durch die hohen Beschleunigungskräfte, die insbesondere bei engen Kurvenflügen und Loopings auf den menschlichen Körper wirken, wird das Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet. Piloten, die hohen G-Kräften ausgesetzt sind, droht der zeitweise Verlust der Sehkraft (Blackouts) und bei extremen Belastungen Bewusstlosigkeit.

Zum Schutz der Piloten werden Druckluftanzüge eingesetzt. Sie erzeugen einen Gegendruck, der verhindern soll, dass das Blut in die Extremitäten gedrückt wird. Die Anzüge werden aktiv gesteuert. Sie können jedoch die Belastungen nicht vollständig kompensieren und sind darüber hinaus reaktionsträge9 [Mad02].

Große Beschleunigungskräfte sind auch in der Natur zu finden. Libellen sind beispielsweise in der Lage, ihren Körper extrem zu beschleunigen und die Flugrichtung bei hohen Geschwindigkeiten ab- rupt zu verändern. Dabei wirken auf die Libelle kurzzeitig Kräfte von 30 G [Met03]. REINHARD nahm sich die Flugeigenschaften der Libelle zum Vorbild. Er entwickelte den Prototypen eines Druck- anzuges, der die Hydrostatik des Wassers nutzt10. Er hatte dabei das Bild eines „ mit Blut gef ü llten Cockpits “ vor Augen, in dem der Pilot schwimmt „ wie das Kind im Mutterleib11. Da sich dies nicht realisieren ließ, entwickelte REINHARD einen mit Wasser gefüllten Anzug. Erfährt der Pilot nun eine hohe Beschleunigung, so verändern die Beschleunigungskräfte auch die Druckverhältnisse im Wasser. Es herrscht ein Gleichgewicht zwischen dem Druck innen und dem Druck außen, mit der Folge, dass die Belastung für den Piloten sinkt. Das System ist selbstregulierend und reagiert ohne Verzögerung.

Während die ersten Prototypen, die REINHARD fertigte, den Piloten noch nahezu vollständig mit Flüssigkeit umhüllten, gelang es durch die Verwendung von vertikalen Kammern die benötigte Wassermenge von anfangs 28 auf 3 Liter zu reduzieren. Zusätzlich wurde in den Anzug ein autono- mes System integriert, das eine Ausgasung des Blutes bei Druckverlust in großen Höhen verhindert [Mad02].

In verschiedenen Publikationen [Mad02; Met03] ist nachzulesen, dass sich REINHARD bei der Entwicklung des G-Anzuges Libelle vom anatomischen Aufbau des Insektes inspirieren ließ. Tatsächlich schwimmen die Organe der Libelle in einem Flüssigkeitspolster, in ähnlicher Weise, wie es auch REINHARD in seinem Anzug realisierte. Diese Übereinstimmung ist jedoch nicht das Ergebnis einer systematischen Untersuchung. Vielmehr ist festzustellen, dass REINHARD nach eigenen Angaben erst sehr viel später von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangte.

2.3 Bionik in der Praxis

Die bisherigen Ausführungen stellten die Bionik aus theoretischer Sicht dar und zeigten beispielhaft die Ergebnisse bionischer Forschung. Die genannten Beispiele sind typisch für die Bionik. Sie zeigen einerseits, dass Bionik in der Praxis funktionieren kann. Andererseits belegen sie, dass die Entstehung bionischer Produkte oftmals ihren eigenen Wegen folgt.

Im Folgenden wird dieser Frage detaillierter nachgegangen. Es wird dargestellt, wie sich das bionische Arbeiten in der Praxis gestaltet. Ziel ist es, zum einen das hier skizzierte Bild der Bionik abzurunden und zum anderem aus den Erkenntnissen erste Ansätze für eine Unterstützung des bionischen Arbeitens zu generieren.

2.3.1 Vorgehensweise

In der einleitenden Darstellung der Forschungsmethodik (Kapitel 1.2, S. 5 f.) wurde bereits erwähnt, dass Interviews mit Personen, die an der Entwicklung bionischer Produkte mitwirken, geführt wurden mit dem Ziel, den Entwicklungsprozess bionischer Produkte transparent zu machen. Diese Interviews bilden die Grundlage für diesen Teil der Arbeit. Die Namen möglicher Interviewpartner wurden durch eine Recherche ermittelt. Die Anfrage mit der Bitte um ein Gespräch erfolgte per E-Mail (Anhang A). Lag nach drei bis vier Wochen noch keine Antwort der angefragten Person vor, wurde sie erneut angeschrieben.

Es wurde bereits dargestellt, dass von den 22 angeschriebenen Personen etwa die Hälfte auf die Anfrage reagierten. Die meisten äußerten sich unbestimmt oder lehnten das Interview mit dem Hin- weis auf Zeitmangel oder vorhandene Publikationen ab. Letztlich kam mit 4 Personen ein Interview zustande. Dabei handelte es sich um Frau Dr. ANITA ROTH-NEBELSICK vom Institut für Geowissen- schaften (IFG) der Universität Tübingen, Herrn ANDREAS REINHARD, Erfinder und Geschäftsführer der Firma prospective concepts, Herrn Dr. ROLF LUCHSINGER, damals Mitarbeiter bei prospective con- cepts und heute im Center for Syncergetic Structures der Empa, einer Forschungsinstitution für Ma- terialwissenschaften und Technologie tätig sowie Herrn Prof. Dr.-Ing. MARTIN LAWERENZ vom In- stitut für Thermische Energietechnik (ITE) der Universität Kassel. Die Interviews mit Frau Dr. ROTH-NEBELSICK und Herrn Prof. LAWERENZ wurden telefonisch durchgeführt, die Gespräche mit Herrn REINHARD und Dr. LUCHSINGER hingegen erfolgten während eines Firmenbesuches in Glattbrugg in der Schweiz.

Die genannten Personen wurden gebeten, in erzählender Form von ihrer Arbeit zu berichten und zu- gleich ihre Sicht auf die Bionik zu schildern. Die Interviews wurden aufgezeichnet und später analysiert. In Vorbereitung der Gespräche wurde ein Fragebogen (Anhang B) erstellt. Er diente wäh- rend der Interviews als Rahmen und wurde im Wesentlichen genutzt, um den Erzählfluss „anzu- stoßen“ und um die „Vollständigkeit des Erzählten“ zu gewährleisten. Der Fragebogen wurde auch denjenigen Personen zur Verfügung gestellt, die um die Zusendung eines schriftlichen Fragenkata- logs gebeten hatten.

Die folgenden Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf Aussagen, die aus den individuellen Darstellungen und Berichten der interviewten Personen extrahiert wurden. Sie geben zudem Sichtweisen von verschiedenen hier nicht näher benannten Personen wider, die sich auf Konferenzen und Seminaren in „Pausengesprächen“ zum Thema Bionik äußerten.

2.3.2 Biologische Grundlagenforschung

Der Entwicklung bionischer Produkte geht, wie in Kapitel 2.1.1 dargestellt wurde, eine biologische Grundlagenforschung voraus. Bevor ein biologisches System Anregungen zur Verbesserung eines technischen Systems liefern kann, muss es mit seinen Strukturen und Funktionen vollständig verstanden sein. Die Analyse biologischer Systeme ist jedoch keine triviale Aufgabe. Aufgrund der Multifunktionalität dieser Systeme ist es häufig schwierig, den Strukturen eine bestimmte Funktion zuzuordnen. Oftmals bereitet es bereits Schwierigkeiten, in einem biologischen System eine Funk- tion als solche zu erkennen. Am Beispiel der Luftwurzeln bestimmter tropischer Pflanzen, wie sie am Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen erforscht werden, soll dies verdeutlicht werden. Es ist bekannt, dass die Wurzeln für die Wasseraufnahme der Pflanzen verantwortlich sind. Dieses „Flüssigkeitsmanagement“ der Pflanzen ist auch aus technischer Sicht relevant. Impulse erhofft man sich vor allem für Anwendungen, wo Textilien und Flüssigkeiten interagieren (z. B. bei Filtern oder Schutzkleidungen). Es ist jedoch festzustellen, dass für die Botaniker die genauen Be dingungen der Wasseraufnahme durch die Luftwurzeln bislang von untergeordnetem Interesse waren und dass daher die physikalischen Phänomene, die sich hinter den Gewebestrukturen ver- bergen, nahezu unerforscht sind. So ist z. B. nur unzureichend geklärt, ob die Wurzeln das Wasser direkt der Atmosphäre entnehmen, ob sie einen Nebel oder tropfbares Wasser benötigen. Ungesi- chert ist ebenfalls, ob die Wasseraufnahme kontinuierlich erfolgt oder ob die Wurzeln nur in den Regenperioden Wasser aufnehmen und dieses dann speichern. Bevor das Prinzip der Luftwurzeln für technische Anwendungen genutzt werden kann, muss die biologische Grundlagenforschung Ant- worten auf diese Fragen liefern und die für die Funktion entscheidende Eigenschaften der biolo- gischen Struktur herausstellen.

Bionik zu betreiben bedeutet immer auch Grundlagenforschung zu betreiben. In diesem Zusammen- hang ist festzustellen, dass bionisches Arbeiten nicht nur für die Produktentwicklung Vorteile birgt. Nach Ansicht von Frau Dr. ROTH-NEBELSICK können Biologen ebenfalls von der Bionik profitieren, denn die Fragestellungen, die aus der Technik kommen, liefern auch Impulse für die Grundlagenfor- schung. Der Biologe ist somit nicht nur „Dienstleister“ für den Ingenieur, vielmehr kann er aus der Zusammenarbeit Motivation für die eigene Arbeit schöpfen und seinen Horizont erweitern.

2.3.3 Bionisches Arbeiten

Der direkte Dialog von Biologen und Ingenieuren ist noch aus einem weiteren Grund wichtig. Bio- logen, die ein biologisches System analysieren, erkennen oft nicht, dass das, was sie untersuchen, technisch relevant sein könnte. Die Ursachen hierfür liegen in ihrer fachlich einseitig orientierten Ausbildung12. Die Analyse biologischer Systeme erfordert zwar ein gut fundiertes Grundlagen- wissen, gleichzeitig ist jedoch auch die Fähigkeit zu interdisziplinären Denken für das bionische Arbeiten unumgänglich.

Die meisten Bioniker kommen heute aus etablierten Studienrichtungen. Sie sind Biologen, Physiker oder (seltener) Ingenieure. Sie haben in einer Zeit studiert, in der Interdisziplinarität noch „kein Thema“ war. Die Motivation, bionisch zu arbeiten und sich in fremde Themen hineinzudenken, ist in der Regel auf ein persönliches Interesse zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Ausbildung zukünftiger Bioniker gestaltet werden kann. Bislang sind Ausbildungs- stätten, in denen Bionik gelernt wird, eher selten. Die Ausbildung findet meist in Form von Aufbau- kursen im Rahmen etablierter Studiengänge statt13. Anhand von Beispielen wird versucht, die zahl reichen „verborgenen“ Verbindungen zwischen Biologie und Technik aufzuzeigen und so die Studenten für die Themen des jeweils anderen Fachgebietes zu sensibilisieren.

Die Zusammenarbeit von Biologen und Ingenieuren kann sich vor allem in der Anfangsphase schwierig gestalten. Oft treten Missverständnisse auf, die vor allem daraus resultieren, dass das, was einem Biologen relevant erscheint, für den Ingenieur nicht unbedingt von Interesse ist. Für beide Seiten ist es daher wichtig, sich in die Themen des anderen hineindenken zu können. Die Erfahrung bionisch arbeitender Personen zeigt, dass dieser Prozess gewöhnungsbedürftig ist.

Während der Interviews wurde deutlich, dass der Dialog zwischen Biologen und Ingenieuren nur eine Form des bionischen Arbeitens darstellt. Einige Projekte kommen ohne eine detaillierte Ana- lyse biologischer Systeme aus. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung formvariabler Turboma- schinenschaufeln, an denen am Institut für Thermische Energietechnik der Universität Kassel ge- arbeitet wird [Mül04]. Die Schaufelblätter von Turbomaschinen haben heute in der Regel eine starre Geometrie. Sie sind auf einen bestimmten Strömungszustand hin ausgelegt. Weichen die Strö- mungsbedingungen von diesem „Normzustand“ ab (z. B. beim Anfahren der Maschine), kann es zu einer Fehlanströmung und zur Ablösung der Grenzschicht kommen. Die Verluste in der Maschine steigen dann sehr stark an. Bislang gelingt es nur ungenügend, durch eine Verstellung (Rotation) der Leitschaufeln einer Fehlanströmung entgegenzuwirken. Ziel der Formanpassung ist es, die Tur- binenschaufeln in allen Betriebszuständen optimal anströmen zu können und so den Wirkungsgrad der Maschine zu verbessern.

Bei der Konzeption der formvariablen Schaufeln wurden auch Analogien zu biologischen Systemen genutzt, ohne jedoch diese näher auszuführen. Assoziiert wurden vor allem Systeme, bei denen die Oberfläche durch frei bewegliche, relativ starre Elemente gebildet wird. Beispiele hierfür sind das Federkleid der Vögel oder die Schuppenhaut von Fischen und Reptilien. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass der Ansatz einer fein segmentierten Oberfläche technisch nicht realisierbar ist. Eine detaillierte Untersuchung des biologischen Systems „Federkleid“ war aus diesem Grund nicht notwendig. Problematisch ist vor allem die Anbindung und Haftung der Oberflächenelemente an die innere Struktur. Knicke und Welligkeiten müssen vermieden werden, da diese den Strö- mungsverlauf negativ beeinflussen. Das Konzept wurde daher an die Randbedingungen der Technik angepasst. Es sieht nun vor, die Verformung der Schaufel durch eine kinematische Kette realisieren, bei der die einzelnen Elemente der Schaufel eine Zwangsbewegung ausführen.

Ein weiterer Lösungsansatz, der entwickelt wurde, ohne ein biologisches System analysieren zu müssen, und der dennoch als „bionisch“ gilt, ist Tensairity14, ein Prinzip, bei dem eine pneuma tische Struktur mit Hilfe von Seilen und eines Druckstabes stabilisiert wird [LPR04]. Formstabilisierung durch Innendruck ist in der Natur auch bei Zellen zu finden. Dennoch spielten derartige Analogien bei der Entwicklung von Tensairity nach Aussage von Dr. LUCHSINGER keine Rolle. Eine spätere Recherche sowie eine Diskussion mit Biologen zeigte zudem, dass das Grundprinzip der Stabilisierung, wie es bei Tensairity genutzt wird, in der Natur nicht bekannt ist.

Die Ausführungen machen deutlich, dass bionisches Arbeiten viele Facetten hat. Es zeigt sich, dass in der Praxis eine klare Abgrenzung von bionischem Arbeiten und einem nicht-bionischen Vorge- hen schwierig ist. Nur in einem der untersuchten Projekte arbeiteten Biologen und Ingenieuren ge- meinsam an der Entwicklung bionischer Produkte. Bei den anderen Projekten wurden biologische Systeme (wenn überhaupt) auf einer recht abstrakten Ebene für die Ideenfindung genutzt. Experten- wissen war in diesen Fällen nicht notwendig oder konnte im Rahmen einer Recherche beschafft werden.

2.3.4 Technische Umsetzung

Die Randbedingungen, die die Entwicklungsmöglichkeiten eines Systems vorgeben, und die für die Realisierung zur Verfügung stehenden Mittel sind in Natur und Technik verschieden. Dies hat Konsequenzen für die technische Umsetzung einer biologisch inspirierten Lösung. Es sind vor allem die Materialien und die feinen Strukturen der Natur, die technisch nicht oder nur mit großen Aufwand hergestellt werden können. Dem Produktentwickler ist es daher oft nicht möglich, sich bei der Lösungsfindung eng an den Lösungen der Natur zu orientieren. Nach Meinung von Dr. LUCHSINGER ist dies auch nicht notwendig. Entscheidend ist nicht, wie die Natur Dinge löst, sondern dass sie sie löst. Diese Erkenntnis allein kann Ansporn für den Produktentwickler sein.

Die interviewten Personen sehen die Bionik vor allem im konzeptionellen Bereich. Bei der Detaillierung des Produktes hingegen sind im Wesentlichen die technischen Notwendigkeiten prozessbestimmend. Für die Entwicklung bionischer Produkte ist es nach Auffassung von Herrn REINHARD oft hinreichend, die Prinzipien des „Öko-Designs“ zu berücksichtigen, wobei die Vorsilbe „Öko“ hier nicht wie im Schrifttum allgemein üblich für Ökologie, sondern für Ökonomie steht. ÖkoDesign meint in diesem Zusammenhang also Dinge, wie ein optimales Aufwand-Nutzen-Verhältnis, zyklisch ablaufende Prozesse, Vermeiden einer „Funktionsübererfüllung“ und eine dynamische Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen. Orientiert man sich bei der Produktentwicklung an diesen Prinzipien, führt dies nach Ansicht von Herrn REINHARD zu innovativen Produkten. Ähnlichkeiten von biologischen und technischen Systemen sind in der Regel darauf zurückzuführen, dass sie unter den gleichen Gesichtspunkten optimiert wurden.

Vor diesem Hintergrund ist die Konzeption des „Stingrays“, eines ultraleichten Flugzeugs in der Form eines Stachelrochens (vgl. Bild 2.5), das unter Federführung von Herrn REINHARD entstand, keine Überraschung. Seine Form erhielt das Flugzeug aufgrund der physikalischen Randbe- dingungen. Die Ähnlichkeit zum Rochen spielte während der Entwicklung keine Rolle. Dennoch hat der Stingray bionische Elemente, denn der Startvorgang ist dem der Vögeln abgeschaut. Im Gegensatz zu anderen Flugzeugen, die eine relativ lange Startbahn benötigen, startet der Stingray aus dem Stand, indem er sich vom Boden „abstößt“. Als Starthilfe dient ein Teleskop-Stab, der mit Hilfe eines Druckluftimpulses expandiert wird. Die Anregung hierzu erhielt ANDREAS REINHARD wäh- rend einer Reise nach Florida, wo er beobachtete, wie sich Flamingos mit einem einzigen Sprung in die Luft erheben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2.5: Leichtflugzeug "Stingray" [SFL+06, S. 58]

Es wurde oben bereits dargestellt, dass bionisches Arbeiten in der Regel eine parallel ablaufende Grundlagenforschung erfordert. Bionik-Projekte sind daher heute im Wesentlichen Forschungsprojekte. Sie sind, wie viele andere Forschungsprojekte auch, in nicht unerheblichem Maß von staatlichen Fördergeldern abhängig. Zum Teil treten auch Unternehmen und private Investoren als Geldgeber auf. Nach Ansicht von Prof. LAWERENZ steht bei der Förderung oft der kommerzielle Erfolg des Produktes im Vordergrund. Das Ziel einer schnellen Markteinführung wird dabei in aller Regel nicht erreicht. Es steht im Widerspruch zur Realität der Entwicklung bionischer Produkte. Die Notwendigkeit zur Grundlagenforschung führt zu relativ langen Entwicklungszeiten, so dass die Umsetzung in ein Produkt nicht selten mehrere Jahre dauert.

2.4 Zusammenfassung

Dieses Kapitel beleuchtete die Bionik sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht. Dabei wurde einerseits deutlich, dass bionisches Arbeiten durchaus Impulse für die Produktentwicklung liefern kann, andererseits zeigten die Darstellungen, dass dies oft in einer Weise erfolgt, die nicht dem „klassischen“ Bild einer Zusammenarbeit von Biologen und Ingenieuren entspricht.

[...]


1 Die Zurückhaltung gegenüber neuen Produkten wird auch im Kaufverhalten deutlich. Nach ROGERS [Rog62] werden fünf Konsumententypen unterschieden, deren Kaufbereitschaft von der Reifephase eines Produktes abhängt: Innovatoren (2,5%), Frühe Adaptoren (13,5%), Frühe Mehrheit (34%), Späte Mehrheit (34%), Nachzügler (16%)

2 So lag z. B. die weltweite Jahresproduktion der Automobilhersteller im Jahr 2000 bei 80 Millionen Stück. Nachgefragt wurden hingegen nur 60 Millionen Fahrzeuge [Bra97, S. 310].

3 VON BRAUN stellt heraus, dass unter diesen Bedingungen das „Wachstum“ nur solange möglich ist, wie die Unternehmen in der Lage sind, die Beschleunigung beizubehalten [Bra97, S. 309]. In ähnlicher Weise argumentiert auch NACHTIGALL [Nac98a, S. 305 ff.]. Dass die Verkürzung der Produktlebenszyklen Grenzen hat, ist einsehbar. Die daraus folgenden Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft werden u. a. in [Bra97; Sch97a; Sch97b] diskutiert.

4 Die Informationen entstammen der freien Online-Enzyklopädie „Wikipedia“. Da das System keiner redaktionellen Kontrolle unterliegt, bietet Wikipedia keine Garantie für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Artikel. Der Leser ist daher aufgefordert, Informationen und Zitate, bei denen ein Wikipedia-Artikel als Quelle angegeben ist, besonders kritisch zu hinterfragen.

5 HILL bezeichnet die Entfernung zum Ausgangsproblem als Analogieweite. Sie stellt ein Maß für die Originalität der Analogie dar [Hil98a, S. 123].

1 Ob der Begriff durch STEELE selbst geprägt wurde oder aber während der Tagung als griffiges Schlagwort entstanden ist, lässt sich dem Konferenzband nicht entnehmen [Nac98a, S. 6].

2 Als Beispiel seien hier die von RÜPPEL entdeckten Kommunikationssignale von Libellen genannt [Rüp04].

3 Der Bereich „Historisches“ stellt die Entwicklung der Bionik anhand von überlieferten Beispielen technischer Entwicklungen dar. Er hat eine Sonderstellung und wird daher an dieser Stelle nicht betrachtet.

4 Einnischung bezeichnet hier die Bildung von Nischen als Schutz vor der Witterung.

5 Der Bewuchs durch fremde Organismen (z. B. durch Seepocken ) wird Biofouling genannt [LK04].

6 Als Biozid wurde Tributylzinn (TBT) eingesetzt [Bau04].

7 Nach [Bec98] wurden im Experiment durch eine trapezförmige Rippenoberfläche die besten Reibbeiwerte erzielt. Ein weiterer Vorteil einer solchen Struktur ist, dass mögliche Risse in Oberfläche besser erkannt werden können.

8 LILIENTHAL war nicht der erste, der Fluggeräte nach dem Prinzip „Schwerer als Luft“ entwickelte. Seine Arbeiten sind vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, weil er - im Gegensatz zu seinen Vorgängern - eine Vielzahl von Gleitflügen absolvierte [Con81, S. 161 ff.].

9 In modernen Kampfflugzeugen kann innerhalb von einer Sekunde eine Beschleunigungskraft von 12 bis 15 G aufgebaut werden. Der Druckaufbau im Anzug hingegen kann bis zu zwei Sekunden dauern [Met03].

10 Es ist anzumerken, dass bereits im Zweiten Weltkrieg Piloten mit wassergefüllten Druckanzügen ausgestattet wurden, um sie gegen die Auswirkungen hoher Beschleunigungskräfte zu schützen. Die Anzüge waren jedoch sehr schwer und ihr Schutz unzureichend. Sie wurden deshalb später durch pneumatische Druckanzüge ersetzt [Ber05].

11 Die Zitate entstammen einem Interview mit Herrn REINHARD, das am 25. Januar 2006 in Glattbrugg (Schweiz) geführt wurde (vgl. Kapitel 2.3.1).

12 In analoger Weise gilt dies auch für die Ingenieurausbildung.

13 In dieser Form wird Bionik gegenwärtig an der RWTH Aachen, TU Berlin, TU Darmstadt, Uni Freiburg, FH Heidelberg, TU Ilmenau sowie der Uni Saarbrücken gelernt. Die FH Bremen ist zur Zeit die einzige Einrichtung, an der ein Studiengang Bionik etabliert wurde.

14 Tensairity ist eine eingetragene Marke der Firma „prospective concepts“. Der Begriff setzt sich aus den Worten tension, air und integrity zusammen.

Excerpt out of 209 pages

Details

Title
Methoden und Werkzeuge für den Wissenstransfer in der Bionik
College
Otto-von-Guericke-University Magdeburg
Grade
magna cume laude
Author
Year
2008
Pages
209
Catalog Number
V144726
ISBN (eBook)
9783640538089
ISBN (Book)
9783640537822
File size
3799 KB
Language
German
Keywords
Produktentwicklung, Bionik, Werkzeug, Wissenstransfer, Analogie, Modell, Methode
Quote paper
André Jordan (Author), 2008, Methoden und Werkzeuge für den Wissenstransfer in der Bionik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144726

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Title: Methoden und Werkzeuge für den Wissenstransfer in der Bionik



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